von Thomas Ax
Die Anhörung des Sachverständigen kann immer beantragt werden, um diesem in Bezug auf das Haupt- bzw. Erstgutachten Einwendungen und Fragen im Rahmen einer mündlichen Anhörung vorlegen und insoweit möglichst eine Klärung herbeiführen zu können. Das geht auch dann noch, wenn der Sachverständige in einem Ergänzungsgutachten bereits Stellung genommen hat. Einer Partei, die nach Vorlage eines schriftlichen Sachverständigengutachtens die Ladung des Sachverständigen beantragt, um diesem im Rahmen eines Anhörungstermins mündlich Einwendungen vorhalten und Fragen zu seinem Gutachten stellen zu können, ist insbesondere nicht abzuverlangen, dass sie die Einwände und Fragen, die sie dem Sachverständigen vorzulegen beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert, sondern es reicht aus, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (vgl. die oben genannten Fundstellen sowie BGH, MDR 2005, 1308/1309).
Die Parteien haben zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für wesentlich erachten, in einer mündlichen Anhörung stellen können. Dieses Antragsrecht besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO. Für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, kommt es daher nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob zu erwarten ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändert. Entscheidend ist allein, ob bzw. dass die Partei dem Sachverständigen Bedenken vortragen und ihn um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten will.
Dabei kann von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (BVerfG, NJW-RR 2013, 626 – RdNr. 20 gem. Juris; BVerfG, NJW 2012, 1346 – RdNr. 14 gem. Juris; BVerfG, NJW 1998, 2274 – RdNr. 11; BGH, NJW-RR 2014, 295 – RdNr. 9 gem. Juris; BGH, NJW-RR 2011, 704 RdNr. 9 gem. Juris; BGH, BauR 2009, 1773 – RdNr. 10 gem. Juris; Zimmermann in Münchener Kommentar, ZPO, 4. Aufl., § 411 RdNr. 11; Vorwerk/Wolf, Beck’scher OK, ZPO, § 411 RdNrn. 19 und 27; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 411 RdNr. 7; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 411 RdNr. 5a – jew. m. w. Nachw.)
Wie jedes Recht steht allerdings auch das Recht der Partei, den Sachverständigen im Rahmen einer mündlichen Anhörung zu seinem Gutachten zu befragen, unter dem Vorbehalt des Verbots des Rechtsmissbrauchs. Ist jedoch der Antrag nicht als rechtsmissbräuchlich einzuordnen und auch nicht verspätet, so ist ihm nachzukommen.
Zwar stellt die mündliche Anhörung des Sachverständigen nicht die einzig mögliche Behandlung eines solchen Antrags dar. In Betracht kommt etwa, den Sachverständigen stattdessen um eine schriftliche Ergänzung seines Gutachtens zu bitten oder aber ein weiteres Gutachten eines anderen Sachverständigen einzuholen (vgl. BVerfG, NJW-RR 2013, 626 – RdNr. 21 gem. Juris; vgl. auch BGH, NJW 1992, 1459 – RdNr. 12 gem. Juris – zu § 411 Abs. 3 ZPO). So kann das Gericht etwa vor Terminanberaumung eine ergänzende schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen herbeiführen, was sich gerade in umfangreichen und schwierigen Sachverhalten als sinnvoll erweisen kann. Danach mögen sich die von der Partei aufgeworfenen Fragen aus ihrer Sicht erledigt haben, so dass sie – ggf. auf entsprechende Nachfrage des Gerichts – von der Befragung des Sachverständigen im Rahmen einer mündlichen Anhörung Abstand nimmt. Das Fragerecht der Partei im Rahmen einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen wird jedoch allein durch das zunächst eingeholte Ergänzungsgutachten nicht erledigt (vgl. Huber in Musielak/Voit, a.a.O., § 411 RdNr. 7; Vorwerk/Wolf, Beckscher Online-Kommentar, a.a.O., § 411 ZPO RdNr. 20); dem Antrag auf mündliche Befragung des Sachverständigen ist daher – innerhalb der durch das Verbot des Rechtsmissbrauchs gezogenen Schranken – weiterhin nachzugehen.
Man kann sich die Frage stellen, ob – nachdem der Sachverständige sein schriftliches, u.a. auf die Einwendungen und Fragen eingehendes schriftliches Ergänzungsgutachten vorgelegt hat – nunmehr dem in Bezug auf das Haupt- bzw. Erstgutachten gestellten Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen nachzukommen ist.
Der Antrag, den Sachverständigen auch nach Vorlage des schriftlichen Ergänzungsgutachtens noch zu seinem Hauptgutachten im Rahmen einer Anhörung mündlich zu befragen, lässt sich nicht grundsätzlich als rechtsmissbräuchlich einordnen. Im Ausgangspunkt ist der Erwägung Rechnung zu tragen, dass der Aspekt des Rechtsmissbrauchs das als Ausprägung des Anspruchs auf rechtliches Gehör grundsätzlich bestehende Recht der Partei auf mündliche Befragung des Sachverständigen einschränkt, und er daher als Ausnahmetatbestand zu verstehen, seine Voraussetzungen infolgedessen entsprechend streng zu beurteilen sind. Mit dieser Maßgabe lässt sich eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung des Antrags auf mündliche Befragung des Sachverständigen bejahen, wenn die Notwendigkeit der Erörterung entweder überhaupt nicht begründet wird oder wenn nur solche Fragen angekündigt werden, die keinerlei Bezug zu der Beweisfrage erkennen lassen (vgl. Zimmermann in Münchener Kommentar, a.a.O., § 411 RdNr. 12 m. w. Nachw.). Die letztgenannte Alternative kommt nicht in Betracht, wenn das Landgericht die in Bezug auf das Hauptgutachten vorgebrachten Einwände und Fragen zum Anlass genommen hat, damit den Sachverständigen im Rahmen des schriftlichen Ergänzungsgutachtens zu befassen.
Ein als rechtsmissbräuchliche Vorgehensweise vorzuwerfendes Verhalten ist hier allein unter dem Aspekt einer fehlenden Begründung oder eines diesem Mangel gleichzustellenden “krassen und offensichtlichen Begründungsdefizits” (vgl. OLG Saarbrücken, OLGR 2004, 379/381) in Erwägung zu ziehen. Bei der gebotenen strengen Betrachtung lässt sich indessen auch dies grundsätzlich nicht ohne weiteres begründen.
Einer Partei, die nach Vorlage eines schriftlichen Sachverständigengutachtens die Ladung des Sachverständigen beantragt, um diesem im Rahmen eines Anhörungstermins mündlich Einwendungen vorhalten und Fragen zu seinem Gutachten stellen zu können, ist nicht abzuverlangen, dass sie die Einwände und Fragen, die sie dem Sachverständigen vorzulegen beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert, sondern es reicht aus, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (vgl. die oben genannten Fundstellen sowie BGH, MDR 2005, 1308/1309).
Nicht zuletzt der Aspekt der Verfahrensökonomie spricht zwar dafür, eine solches, der Verfahrensentwicklung angepasstes gesteigertes Begründungserfordernis zu bejahen, andernfalls das nicht von der Hand zu weisende Risiko einer sich in bloßer Wiederholung erschöpfenden Befassung des Sachverständigen und hierdurch unnötig erhöhter Verfahrenskosten bestünde. Auch hierbei ist allerdings der Erwägung Rechnung zu tragen, dass es für das Recht der Partei, den Sachverständigen mündlich zu befragen, nicht darauf ankommt, ob das Gericht die Einwendungen und Fragen der Partei für erschöpfend beantwortet erachtet, sondern dass es maßgeblich auf die Sicht der Partei bzw. darauf ankommt, ob diese ihre Einwendungen und Fragen für ausreichend beantwortet hält und dass die Partei auch im gegebenen Zusammenhang nur allgemein anzugeben braucht, in welcher Richtung sie sich durch die Befragung des Sachverständigen eine Klarstellung verspricht.