Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt

VK Niedersachsen: Lärmschutzwände sind als Fachlos auszuschreiben

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Errichtung von Lärmschutzwänden stellt bei Straßen- und Brückenbauarbeiten ein marktübliches, abgrenzbares Gewerk und somit ein Fachlos dar.
2. Das gesetzliche Regel- und Ausnahmeverhältnis zwischen Los- und Gesamtvergabe bedeutet nicht, dass eine Gesamtvergabe überhaupt nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen darf. Erforderlich ist jedoch, dass nach einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Belange die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und/oder wirtschaftlichen Gründe überwiegen.
3. Ein Abwägungs- und Dokumentationsmangel ist anzunehmen, wenn weder Vergabevermerk noch die Dokumentation im Übrigen erkennen lassen, dass eine Abwägung mit den für eine Fachlosbildung sprechenden Gründen stattgefunden hat (sog. Abwägungsausfall).
4. Eine nachträgliche Heilung von Dokumentationsmängeln ist nur dann möglich, wenn die Vergabestelle ihre Erwägungen im Laufe des Nachprüfungsverfahrens lediglich ergänzt und präzisiert.
5. Die besonderen technischen Anforderungen bei der Errichtung von Lärmschutzwänden bei einem Brückenbauwerk rechtfertigen regelmäßig keine Gesamtvergabe.

VK Niedersachsen, Beschluss vom 29.11.2024 – VgK-29/2024

Gründe:

I.

Der Antragsgegner hat mit EU-Bekanntmachung vom ….2024 den Neubau einer Brücke … im Zuge der Verlegung der Bundesstraße … von … bis … im offenen Verfahren ausgeschrieben.

Nach Ziffer 5.1.10 der Bekanntmachung ist der Preis das einzige Zuschlagkriterium.

Eine Losteilung ist nach Ziffer 4 der Aufforderung zur Angebotsabgabe nicht vorgesehen.

Gemäß Ziffer C) sind Angaben zu Unteraufträgen/Nachunternehmerleistungen, Bietergemeinschaften und/oder eine Eignungsleihe jeweils mittels der zur Verfügung gestellten Standardvordrucke aus dem Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau (HVA B-StB) mit dem Angebot einzureichen.

Nach Ziffer 1.1.3.8 der Leistungsbeschreibung (Seite 14) gilt:

[…]

Die Verankerung der Lärmschutzwände ist bereits im Zuge der Herstellung der Kappen nach RiZ-ING LS 1 Blatt 1 bis 4 mit Betonankern und Gewindehülsen herzustellen. […] Die Lärmschutzanlagen auf dem Bauwerk (einschließlich Gesimse) sind Gegenstand dieser Ausschreibung, für den weiteren Streckenverlauf werden die Lärmschutzwände gesondert vergeben.

[…]

Die Teilleistung “Lärmschutzwand” wird im Leistungsverzeichnis unter den Positionsnummern 00.15.0006 bis 00.15.0011 beschrieben (Seite 149 ff). Für das Herstellen der Lärmschutzwand gilt: “Lärmschutzwand nach Unterlagen des AG. Gründung bzw. Tragkonstruktion wird gesondert vergütet.” Die Aufstellung des Standsicherheitsnachweises und die Herstellung der Ausführungszeichnungen für das Bauwerk einschließlich der Brückenausstattungen ist Teil der zu vergebenden Leistung und durch den Auftragnehmer zu erbringen (siehe Pos. 00.02.0003 und 00.02.0004; Seite 92/93).

Nach den Entwurfszeichnungen der Ausschreibungsunterlagen wird die Konstruktion der Lärmschutzwand jeweils in den Schnitten (Dateien: … und …) und in der Regel-Ansicht der Brückenpfeiler (Datei: …) nur nachrichtlich dargestellt:

[Detailzeichnung nicht dargestellt]

Gemäß Ziffer C und D der Aufforderung zur Angebotsabgabe könnten Teile der Leistung durch Nachunternehmen ausgeführt werden (Unteraufträge), der Auftraggeber kann sich auch der erforderlichen wirtschaftlichen, finanziellen, technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen bedienen (Eignungsleihe). Gemäß Ziffer 6 der Teilnahmebedingungen sind die dafür vorgesehenen Teilleistungen/Kapazitäten in den Angeboten zu benennen.

Die Antragstellerin ist ein mittelständisches, auf die Errichtung von Schutzwänden spezialisiertes Bauunternehmen. Mit Schreiben vom 04.10.2024 rügte die Antragstellerin die vorgesehene Vergabe, weil die Lärmschutzwände nicht als eigenständiges Fachlos ausgeschrieben worden sind. Durch die Anfrage mehrerer Generalunternehmer sei der Antragstellerin bekannt, dass eine Vergabe aller Fachlose an nur einen Generalunternehmer beabsichtigt sei. Das Anbieten einzelner Fachlose, zum Beispiel des Fachloses Lärmschutzwände, sei nicht vorgesehen. Nach § 4 Absatz 3 Satz 1 VOB/A sind Bauleistungen nach Fachgebieten getrennt zu vergeben. Technische oder wirtschaftliche Gründe, die eine Ausnahme von der Regelvergabe erlauben, seien bei diesem Bauvorhaben nicht erkennbar.

Mit Schreiben vom 10.10.2024 teilte der Antragsgegner mit, dass er der Rüge nicht abhilft. Auf die Fachlosvergabe könne verzichtet werden, wenn zwingende wirtschaftliche und technische Gründe dies erfordern. Die vorgesehene Lärmschutzwand (LSW) hänge sowohl technisch als auch wirtschaftlich so eng mit dem Brückenbau zusammen, dass eine losweise Vergabe nicht möglich sei. Das Bauwerk sei eine in sich geschlossene Einheit. Daher müssten zur Qualitätssicherung und auch für die Gewährleistungsansprüche z.B. die LSW und die Schutzplankenkonstruktionen (SPK) mit den jeweiligen dafür erforderlichen Verankerungskörben in den Brückenkappen zwingend in einer Ausschreibung erfolgen. Gleiches gelte auch für die statische Berechnung. Gegen die Teillosvergabe spreche zudem, dass wichtige konstruktive Arbeitsschritte nicht eigenständig vergeben werden könnten. Bei der LSW seien die Verankerungskörbe mit in die Betonkappen und mit der Bewehrung zu montieren. Zudem könne die Verkehrssicherheit während der Bauausführung der Gesamtbaumaßnahme (Baustellenverkehre über das Bauwerk und damit Entlastung in der Ortsdurchfahrt …) nur gewährleistet werden, wenn das Bauwerk vollständig errichtet und in Funktion genommen werde. Eine Fachlosvergabe der Lärmschutzwand werde in den Streckenbereichen außerhalb der Bauwerke durchgeführt. Dort könne die notwendige Gründung ohne Eingriff in ein konstruktives Vorgewerk mit ausgeschrieben werden.

Daraufhin reichte die Antragstellerin am 21.10.2024 einen Nachprüfungsantrag ein. Der Nachprüfungsantrag sei sowohl zulässig als auch begründet. Die unterbliebene Bildung eines Fachloses für Arbeiten an den Lärmschutzwänden verletze die Antragstellerin in ihren Rechten. Die besagten Arbeiten seien separat als Fachlos auszubilden und auszuschreiben. Bei Arbeiten an Lärmschutzwänden, deren Planung, Konstruktion und Einbau, handele es sich um ein seit Jahrzehnten anerkanntes Fachlos, für die ein eigener Markt existiere. Die benötigten Bauleistungen könnten auch in Gestalt eines Fachloses erbracht werden. Zudem sei die Aufteilung von Aufträgen in Fach- und Teillose als gesetzlicher Regelfall festgeschrieben, von dem nur im Ausnahmefall abgewichen werden dürfe. Im Interesse des Wettbewerbs seien bei der Vergabe mittelständische Interessen durch Fach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen. Technische Gründe für eine zusammengefasste Vergabe seien nicht gegeben und wirtschaftliche würden nicht geltend gemacht.

Die Arbeit an Lärmschutzwänden könnten von den Decken- und Erdbauarbeiten des Straßenbaus und von den Brückenbauarbeiten fachlich strikt getrennt werden. Die mit diesen Leistungsteilen angesprochenen Wettbewerbsunternehmen würden auch regelmäßig keine Fachlosarbeiten auf dem Gebiet der Planung und Errichtung von Lärmschutzwänden erbringen und sich des Einsatzes von fachkundigen Nachunternehmen bedienen müssen. Auf die Planung und den Bau komplexer Lärmschutzsysteme spezialisierte Unternehmen, wie die Antragstellerin, seien auch dazu in der Lage und darauf eingerichtet, dies stets im Verbund und in enger Zusammenarbeit mit den Bauarbeiten der baulichen Hauptgewerke zu tun.

Dass das Bauwerk eine “geschlossene Einheit” sei, stelle eine Binsenwahrheit dar und hätte zur Folge, dass für nahezu jedes Bauvorhaben Verträge über Bauleistungen nie in Lose aufzuteilen wären. Das wiederum würde zum genauen Gegenteil der gesetzlichen Vorgaben führen. Dass getrennt vergeben und erfolgreich gebaut werden könne, würden die beispielhaft genannten Vorhaben belegen. Ferner seien die “Qualitätssicherung und Gewährleistung” keine anerkannten Gründe für eine Gesamtvergabe. Es handele sich dabei um allgemeine Gesichtspunkte einer jeden ordnungsgemäßen Bauausführung.

Es mache auch keinen Unterschied, ob der spätere Aufbau der Lärmschutzwand von einem Nachunternehmer des Brückenbauers oder einem Fachlosunternehmer ausgeführt werde. Denn die Herstellung der Verankerung, also das Einarbeiten der späteren Aufnahmen für die Pfosten der LSW in der Brücke, erfolge immer durch den Hauptunternehmer Brückenbau. Zudem sei es üblich, dass der Hauptunternehmer mit dem Fachlosunternehmer die Verankerung und Ausbildung der Lärmschutzwand gemeinsam plane. Bei der Planung und Bemessung der Verankerungen gebe es keine großen Spielräume; denn diese seien streng nach gültigen Normen und Vorschriften auszuführen.

Auch das Argument der Verkehrssicherheit erschließe sich nicht. Soweit damit gemeint sein könnte, dass ggf. mehrere Verkehrssicherungen aufzubauen wären, sei diese Annahme jedenfalls falsch. Bei all den beispielhaften Projekten seien das Bauwerk selbst (Brücke) sowie die Lärmschutzwand im Schutze einer einzigen einheitlichen Verkehrssicherung – einem weiteren Fachlos, an dem es hier fehle – errichtet worden. Ein Auf- und Abbau derselben, weil das Gewerk wechsele, finde nie statt.

Mit Schreiben vom 15.11.2024 trägt die Antragstellerin ergänzend und vertiefend vor, dass die angedeuteten Zulässigkeitszweifel unbegründet seien. Sie habe erst am 30.09.2024 über eine Preisanfrage von dem Vergabeverfahren erfahren.

Die Wiedergabe allgemeiner rechtlicher Obersätze würden nicht den konkreten Fall- und Auftragsbezug ersetzen, den der Auftraggeber bei seiner Entscheidung für eine Gesamtvergabe schulde. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung komme es darauf an, dass nach einer vollständigen Zusammenstellung des Tatsachenmaterials eine Abwägung sämtlicher für und gegen eine Losaufteilung sprechenden Gesichtspunkte vorzunehmen ist, als deren Ergebnis die Gründe für eine Gesamtvergabe eindeutig überwiegen müssen (“erfordern”).

Daran fehle es hier fast vollständig. Der Vergabevermerk befasse sich mit keinem Wort mit den Interessen und Belangen der Fachlosanbieter. Bei jedem Bauwerk würden einzelne Bereiche ineinandergreifen und Gewährleistungsansprüche zu berücksichtigen sein. Um Verkehrssicherung und Schutzplankenkonstruktionen (SPK) würde es im vorliegenden Fall nicht gehen. Der Antragsgegner habe keine technischen Gründe dokumentiert, die belastbar für eine Gesamtvergabe sprechen könnten. Zudem seien keine Punkte in die Abwägung eingestellt worden, die für eine Losaufteilung und damit gegen die Gesamtvergabe sprechen könnten. Es würden nur einseitig vermeintliche Vorteile einer Gesamtvergabe aufgelistet. Dabei würden die Ausführungen in der Antragserwiderung nicht über den Inhalt des Vergabevermerks hinausgehen.

Es entspreche der Baupraxis, dass der Brückenbauunternehmer nach Maßgabe einer auftraggeberseitig beigestellten oder von ihm selbst gefertigten Planung die Verankerungskörbe für die Lärmschutzwände einbaue.

Bei den Leistungspositionen zum Lärmschutz handele sich um sogenannte Standardleistungstexte (STL-Nr. 21127/16253011193), die dem Standardleistungskatalog des Bundes für den Straßen und Brückenbau entnommen seien und sich in nichts von der Vergabe von Lärmschutzwänden als Fachlos unterscheiden würden. Nach der Leistungsbeschreibung und der vorgenannten Preisanfrage sei davon auszugehen, dass der Antragsgegner in den Vergabeunterlagen selbst alles Erforderliche angeordnet habe, um eine ordnungsgemäße Verankerung der LSW auf dem Brückenbauwerk sicherzustellen. Dabei sei es Aufgabe des Brückenbauers, die baulichen Voraussetzungen für die spätere Errichtung der Lärmschutzwand, die sogenannten Ankerkörbe, zu schaffen und diese Verankerungen für die spätere LSW baulich im Brückenbauwerk nach Maßgabe der dafür geltenden technischen Regelwerke vorzubereiten. Technisch sei dies am besten anhand der Richtzeichnung (RZ) “LS1” der Bundesanstalt für Straßenwesen, auf die sich auch die Antragserwiderung beziehe, zu erläutern. Wobei die Bemessung der Ankerkörbe jeweils nach den Vorgaben der genannten Richtzeichnung erfolge. Die Ankerkörbe würden in der Regel durch die beauftragte Brückenbaufirma bestellt oder nach deren Bemessungsgrundlagen beschafft. Vor dem Einbau würde immer eine Bewährungsabnahme durch den Auftraggeber erfolgen.

Soweit technische Gründe für die Gesamtvergabe angeführt werden, sei diesen entgegen zu halten, dass

– eine Lärmschutzwand immer integraler Ausstattungsbestandteil einer Brücke sei,

– die Ausführung immer in Abhängigkeit vom jeweiligen Bauwerk zu planen sei,

– die Verankerung der Pfosten immer durch den Brückenbauer nach den maßgeblichen technischen Normen eingebaut werde.

Es mache im Ergebnis keinen Unterschied, ob die Lärmschutzwand später von einem Nachunternehmer des Brückenbauers oder einem Fachlosunternehmer ausgeführt werde, so dass eine Gesamtvergabe nicht erforderlich sei. Vorliegend handele es sich gerade um eine Brückenbaumaßnahme ohne jede bauliche Besonderheit.

Bei den benannten Referenzen teilweise umfangreicher Brückenbaumaßnahmen sei es um den Bau von Lärmschutzwänden auf Ingenieurbauwerken gegangen, bei denen die Ankerkörbe von einem anderen Auftragnehmer eingebaut worden seien bzw. werden. Sämtliche vom Antragsgegner geschilderten Problemstellungen seien bislang nicht aufgetreten. Es bleibe der Eindruck, dass es dem Antragsgegner im Ergebnis vor allem um die Entledigung der Bauaufsicht und/oder den mit dem Einsatz mehrerer Fachlosunternehmen verbundenen Koordinierungsaufwand gehe.

Die Antragstellerin beantragt, dem Antragsgegner aufzugeben,

1. bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die im Zuge der Herstellung des Bauwerks “Brücke …” zu errichtenden Lärmschutzwände nach Ziffer 1.1.3.8. der Baubeschreibung aus der bestehenden Generalunternehmerausschreibung nach EU-Bekanntmachung Nr. … vom ….2024 herauszulösen und gesondert als Fachlos auszuschreiben;

2. hilfsweise sonstige geeignete Maßnahmen anzuordnen, um eine Rechtsverletzung auf Seiten der Antragstellerin zu verhindern;

3. dem Antragsgegner die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der notwendigen Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen

4. und auszusprechen, dass für die Antragstellerin die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren erforderlich ist.

Zudem wird um Einsicht in die beizuziehenden Vergabeakten ersucht.

Der Antragsgegner beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückzuweisen;

2. die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen.

Der Antrag sei zulässig, aber unbegründet. Die Vergabestelle habe nicht in unzulässiger Weise gegen das Gebot der Fachlosvergabe verstoßen.

Dass öffentliche Aufträge grundsätzlich in Teil- und Fachlose aufzuteilen seien, gelte nicht ausnahmslos. Öffentliche Auftragnehmer dürften von dem Gebot der losweisen Vergabe abweichen, wenn technische oder wirtschaftliche Gründe dies erfordern. Technische Gründe seien dabei solche, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen würden, wenn sonst das Risiko bestehe, dass Teilleistungen nicht zusammenpassen und in ihrer Gesamtheit nicht geeignet seien, die angestrebte Qualität zu erreichen. Dies sei der Fall, wenn für ein Bauwerk spezifische Bauteile oder eine besondere Abstimmung der Errichtungsschritte aufeinander erforderlich seien, die bereits während des Erstellungsprozesses besondere Maßnahmen aus einer Hand erfordern würden. Vorliegend handele es sich bei dem zu vergebenen Auftrag um die Herstellung eines Brückenbauwerkes inklusive einer Lärmschutzwand mit Handlauf. Die Erstellung der Ausführungsplanung sei Inhalt dieses Auftrages und müsse durch den Auftragnehmer Brückenbau aufgestellt werden. Dafür seien alle Angaben, also auch die zur Lärmschutzwand, erforderlich. Dies insbesondere deshalb, da es sich bei dem aufzubringenden Gewicht durch die Lärmschutzwand um statisch relevante Gewichte handele. Ohne Angaben zu den Lasten könnten keine Ausführungspläne erstellt werden. Zudem müssten die Lasten der Lärmschutzwand in die Planung der Pfosten und Verankerungen einfließen.

Hinzu komme, dass im Bereich der Lärmschutzwände unterschiedliche Möglichkeiten der Detailausbildung möglich seien. Dabei könne es verschiedene Durchmesser der Gewindestangen geben, und es seien für die meisten Lastenbereiche mehrere Verankerungen geeignet. Hiervon abhängig seien wiederum die Fußplatten der Lärmschutzwandpfosten in ihrer Dicke und Breite. Da die Ausführungsplanung vor Baubeginn erstellt und statisch geprüft werden müsste, sei es falsch, dass ein Auftragnehmer Brückenbau die Verankerung und Ausbildung der Lärmschutzwand mit einem Auftragnehmer Lärmschutzwand gemeinsam plane.

Es würde sich vorliegend um ein spezifisches Bauteil handeln, für das bereits während der Planung eine besondere Abstimmung notwendig sei, so dass hinreichend technische Gründe für den Verzicht auf die Fachlosvergabe bestanden hätten. Zudem seien die von der Antragstellerin genannten Bauvorhaben und eingeführten Entscheidungen mit dem hiesigen Fall nicht vergleichbar, da es sich bei den dort zugrunde liegenden Sachverhalten um Bauvorhaben im Streckenbau, nicht aber um Ingenieurbauwerke gehandelt habe.

Mit Schriftsatz vom 19.11.2024 trägt der Antragsgegner ergänzend und vertiefend vor, dass durchaus erklärt werde, welche technischen Gründe des Ausnahmetatbestandes des § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB vorliegen würden. Sollte keine hinreichende Abwägung erfolgt sein, könne dies im laufenden Nachprüfungsverfahren nachgeholt werden, da es sich um einen heilbaren Dokumentationsmangel handele. Denn grundsätzlich seien die erforderlichen Angaben ordnungsgemäß dokumentiert worden und eine Begründung für den Verzicht auf die Fachlosvergabe ausreichend niedergelegt worden. Daher werde den Ausführungen, dass schon ein Dokumentationsmangel den Nachprüfungsantrag begründe, widersprochen.

Es handele sich zwar bei der Leistung für die Herstellung von Lärmschutzwänden um ein eigenständiges Gewerk, das bei der Bildung von Fachlosen zu berücksichtigen sei. Jedoch könne dieses Gewerk bei der Gesamtmaßnahme nicht in Gänze unbeachtet bleiben. Den Interessen der Mittelstandsförderung stehen hier die bereits dargestellten technischen und wirtschaftlichen Gründe entgegen. Gleichwohl finde das Gewerk im Bereich des Streckenbaus ausreichend Berücksichtigung, so dass die Losaufteilung in der Gesamtmaßnahme Berücksichtigung finde.

Die Beigeladene stellt keine eigenen Anträge.

Sie hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass es keine pauschale oder etwa eine einzige Lösung gibt, Ingenieurbauwerke unter Berücksichtigung einer Lärmschutzwand herzustellen. Sie geht davon aus, dass es einfach sinnvoll ist, bei der Entscheidung über die Gesamtvergabe oder Losvergabe die Dimension des jeweiligen Bauwerks zu berücksichtigen, insbesondere ob die Lärmschutzwand selbst ein gewisses bedeutendes Volumen einnimmt oder ob sie als nachrangig einzustufen ist. Sie selbst habe Erfahrungen damit, dass sowohl Gesamtvergaben für Brücken in diesem Fall ausgeschrieben werden als auch, dass eine losweise Unterteilung der jeweiligen Baumaßnahmen vorgenommen wird. Sie bestätigt aber die Auffassung des Antragsgegners, dass die Schnittstellenproblematik bei Ingenieurbauwerken gegenüber dem Bau einer freien Strecke maßgeblich sein kann. Diese Aspekte müsse ein öffentlicher Auftraggeber bei der Abwägung berücksichtigen.

Die Beigeladene hat erklärt, dass sie im Zuschlagsfalle auch nach ihrem Angebot die konkrete Errichtung der Lärmschutzwand durch einen Nachunternehmer, ein Fachunternehmen, ausführen lässt.

Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 19.11.2024 gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist hinaus bis zum 04.12.2024 verlängert.

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.11.2024 Bezug genommen.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung des Antragsgegners, die im Zuge der Herstellung des verfahrensgegenständlichen Bauwerks zu errichtenden Lärmschutzwände nicht gesondert als Fachlos auszuschreiben, sondern zusammen mit dem Brückenbauwerk im Wege einer Generalunternehmerausschreibung zu beauftragen, in ihren Rechten verletzt. Der Antragsgegner hat in der Vergabeakte zwar Aspekte und Gründe aufgeführt, die seiner Auffassung nach für eine Gesamtvergabe sprechen. Er hat jedoch versäumt, auch die Gründe für die nach § 97 Abs. 4 S. 2 GWB ausdrücklich vorrangige Möglichkeit der Fachlosvergabe zu berücksichtigen und eine Abwägungsentscheidung zu treffen. Die Entscheidung für die Gesamtvergabe genügt daher bereits weder den Anforderungen des § 97 Abs. 4 S. 2 und 3 GWB noch den Anforderungen an die Dokumentation einer solchen Abweichung vom gesetzlichen Regel-Ausnahme-Prinzip gemäß § 20 EU VOB/A i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 11 VgV (im Folgenden 2 a). Unabhängig davon hat der Antragsgegner sowohl im Vergabevermerk wie auch schriftsätzlich und mündlich im Zuge des Nachprüfungsverfahrens zwar technische Gründe für seine Entscheidung aufgeführt. Diese genügen jedoch nicht den Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit einer Gesamtvergabe gemäß § 97 Abs. 4 S. 3 GWB (im Folgenden 2 b).

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

Bei dem Antragsgegner handelt es sich um das … und damit um einen öffentlichen Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweiligen Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, die nach den EU-Richtlinien festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Bauauftrag i.S. des § 1 EU VOB/A, für den gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in der seit 01.01.2024 und damit zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens geltenden Fassung ein Schwellenwert von 5.538.000 Euro gilt. Die geschätzten Kosten für die verfahrensgegenständliche Gesamtmaßnahme überschreiten diesen Schwellenwert deutlich. Ausweislich Nr. 2.1.3 der europaweiten Bekanntmachung beträgt der geschätzte Wert insgesamt … Euro. Der geschätzte Wert des unterlassenen streitbefangenen Fachloses “Lärmschutzwände” beträgt nach den vom Antragsgegner unwidersprochenen Angaben der Antragstellerin … bis … Euro netto und überschreitet damit den gemäß § 3 Abs. 9 VgV für Bauleistungen geltenden Teilschwellenwert von 1 Mio. Euro deutlich.

Die Antragstellerin ist auch gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Sie ein hat ein Interesse am Auftrag dargelegt und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht, indem sie beanstandet, dass der Antragsgegner entschieden hat, die im Zuge der Herstellung des verfahrensgegenständlichen Bauwerks zu errichtenden Lärmschutzwände nicht gesondert als Fachlos auszuschreiben, sondern zusammen mit dem Brückenbauwerk im Wege einer Generalunternehmerausschreibung zu beauftragen, obwohl eine Gesamtvergabe vorliegend nicht erforderlich sei. Dies verstoße gegen § 97 Abs. 4 S. 2 und 3 GWB. Dadurch werde sie gehindert, sich mit einem aussichtsreichen Angebot für ein zu bildendes Fachlos “Lärmschutzwände” an der Ausschreibung zu beteiligen. Sieht sich ein Bieterunternehmen wie vorliegend durch die Gestaltung der Ausschreibung an einer Teilnahme am Vergabeverfahren gehindert, genügt eine Interessenbekundung und die substanziierte Darlegung, an der Angebotseinreichung gerade durch ein vergaberechtswidriges Verhalten des Antragsgegners gehindert worden zu sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 14.01.2009, VII-Verg 59/08, NZBau 2009, 398, und vom 30.09.2022, VII-Verg 40/21, NZBau 2023, 804 Rn. 23; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.02.2022, 367 Rn. 34; Dicks/Schnabel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 160, Rn. 12).

Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Beck VergabeR/Hom/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB, § 160, Rn. 23, Boesen, Vergaberecht, § 107 GWB, Rn. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzungen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 – 2 BvR 2248/04; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB, § 160, Rn. 43; vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160, Rn. 34; Schäfer in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 160, Rn. 30 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 – X ZB 14/06, zitiert nach VERIS). Die Antragstellerin hat eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Chancen auf den Zuschlag und damit einen möglichen Schaden schlüssig dargelegt.

Die Antragstellerin hat auch ihrer Pflicht genügt, den geltend gemachten, aus der Bekanntmachung vom ….2024 und den Vergabeunterlagen erkennbaren Verstoß gegen die grundsätzliche Verpflichtung zur Fachlosbildung gegen die Vergaberechtsvorschriften gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber der Auftraggeberin zu rügen. Die Frist für den Eingang der Angebote hatte der Antragsgegner gemäß Nr. 5.1.12. der Bekanntmachung auf den ….2024 festgelegt. Mit Schreiben vom 04.10.2024 rügte die Antragstellerin die unterbliebene Fachlosausschreibung. Auch eine Präklusion gemäß § 160 Abs. 3. Satz 1 Nr. 1 GWB liegt entgegen der Vermutung des Antragsgegners nicht vor. Die Antragstellerin hat belegt, dass sie durch eine Preisanfrage 30.09.2024 (Anlage KK 6 der Antragstellerin) Kenntnis davon erhalten hat, dass für die Baumaßnahme … kein Fachlos für die Lärmschutzwände gebildet wurde. Die Rüge vom 04.10.2024 erfolgte somit auch innerhalb der Frist von 10 Kalendertagen ab positiver Kenntniserlangung vom geltend gemachten Vergaberechtsverstoß.

Der Nachprüfungsantrag ist daher zulässig.

2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung des Antragsgegners, die im Zuge der Herstellung des verfahrensgegenständlichen Bauwerks zu errichtenden Lärmschutzwände nicht gesondert als Fachlos auszuschreiben, sondern zusammen mit dem Brückenbauwerk im Wege einer Generalunternehmerausschreibung zu beauftragen, in ihren Rechten verletzt:

a. Der Antragsgegner hat in der Vergabeakte zwar Aspekte und Gründe aufgeführt, die seiner Auffassung nach für eine Gesamtvergabe sprechen. Er hat jedoch versäumt, auch die Gründe für die nach § 97 Abs. 4 S. 2 GWB ausdrücklich vorrangige Möglichkeit der Fachlosvergabe zu berücksichtigen und eine Abwägungsentscheidung zu treffen. Die Entscheidung für die Gesamtvergabe genügt daher bereits deshalb weder den Anforderungen des § 97 Abs. 4 S. 2 und 3 GWB noch den Anforderungen an die Dokumentation einer solchen Abweichung vom gesetzlichen Regel-Ausnahme-Prinzip gemäß § 20 EU VOB/A i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 11 VgV.

Gemäß § 97 Abs. 4 GWB sind mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art und Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen danach (nur dann) zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. § 97 Abs. 4 GWB enthält keinen bloß allgemein gehaltenen Programmsatz, sondern ein konkretes Gebot an den Auftraggeber mit einem korrespondierenden, subjektiven Bieterrecht auf Beachtung der Losvergabe (vgl. Kus in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 97 GWB, 5. Aufl., Rn. 171). Der Begriff der Fachlose und Teillose kommt originär aus dem Bereich der Bauvergaben und nicht aus dem Dienstleistungsbereich. Lose sind Gewerke bzw. Bauleistungen verschiedener Handwerks- und Gewerbezweige. § 5 EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 bis 3 VOB/A wiederholt insoweit die identische, mittelstandsfördernde Regelung des § 97 Ab. 3 GWB. Welche Leistungen zu einem Fachlos gehören, bestimmt sich nach den gewerberechtlichen Vorschriften und der allgemein oder regional üblichen Abgrenzung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2000, Verg 10/07). Dabei ist stets auch zu untersuchen, ob sich für spezielle Arbeiten ein eigener Markt herausgebildet hat (vgl. Kus, a.a.O., § 97 GWB, Rn. 197). Allein die tatsächlich-technische Möglichkeit, dass mehrere Abschnitte einer Leistung auch von verschiedenen Personen oder Unternehmen erbracht werden können, begründet noch nicht das Vorliegen eines Fachloses (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 16.09.2013 – 1 Verg 5/13, zitiert nach VERIS). Unter einem Fachlos versteht man eine Teilleistung, die marktüblich von einem Unternehmen ausgeführt wird, das zu einem bestimmten Handwerks- oder Gewerbezweig gehört. Die Abgrenzung bestimmt sich zunächst nach den gewerberechtlichen Vorschriften unter Berücksichtigung der allgemein oder regional üblichen Arbeitsteilung. Dies schließt ein, dass es auch innerhalb einer Branche eine weitere fachliche Aufgliederung geben kann. Die Losvergabe ist allerdings kein Selbstzweck, sondern soll möglichst vielen Unternehmen die Teilnahme an einem Vergabeverfahren ermöglichen. Von wesentlicher Bedeutung ist deshalb, ob ein Anbietermarkt mit Fachunternehmen existiert, die sich auf eine bestimmte Tätigkeit spezialisiert haben und ohne eine Losvergabe keinen Zugang zu öffentlichen Aufträgen hätten. Die bloße Existenz derartiger spezialisierter Fachunternehmen allein genügt jedoch nicht. Es muss vielmehr eine hinreichend große Anzahl von Fachunternehmen geben, damit jeder öffentliche Auftraggeber, der Lose bildet, diese auch jederzeit im Wettbewerb vergeben kann (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 16.09.2013 – 1 Verg 5/13; OLG München, Beschluss vom 09.04.2015 – Verg 1/15).

Vorliegend ist unstreitig, dass sich für die Errichtung von Lärmschutzwänden ein eigener Markt gebildet hat und sich außer der Antragstellerin auch weitere Unternehmen darauf spezialisiert haben, so dass in der Regel eine entsprechende Fachlosvergabe möglich ist, schon weil sie bei Straßenbauarbeiten ein abgrenzbares Gewerk bilden (dazu auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2007 – Verg 10/07 – und Beschluss vom 25.11.2009 – Verg 27/09-; OLG München, Beschluss vom 09.04.2015 – Verg 1/15).

Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs für die seinerzeitige GWB-Novellierung 2009 bezweckte die Bundesregierung mit der Neufassung der Mittelstandsklausel eine Stärkung des Mittelstandsschutzes (vgl. BT-Drucksache 16/10117 vom 13.08.2008, zu Nr. 2 (§ 97) a; vgl. Kus in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 97 GWB, Rn. 128). In der bis zum 23.04.2009 geltenden Fassung war im seinerzeitigen § 97 Abs. 3 GWB lediglich geregelt, dass mittelständische Interessen vornehmlich durch Teilung der Aufträge in Sach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen sind. Ausweislich der Begründung der Bundesregierung beklagten trotz dieser Regelung in der Altfassung mittelständische Unternehmen die vielfach wenig mittelstandsgerechte Ausgestaltung der Auftragsvergabe. Die Bündelung von Nachfragemacht und die Zusammenfassung teilbarer Leistungen seien zunehmende Praxis. Die Mittelstandsklausel sollte daher lt. Begründung des Gesetzesentwurfs vom 13.08.2008 in ihrer Wirkung verstärkt werden. Dies sollte dadurch verwirklicht werden, dass eine Losvergabe grundsätzlich stattzufinden hat. Nur in begründeten Ausnahmefällen könne davon abgewichen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Sofern öffentliche Auftraggeber nach dieser Vorschrift verfahren, haben sie aktenkundig zu begründen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. BT-Drucksache 16/10117 vom 13.08.2008, zu Nr. 2 (§ 97) a).

Dieses klare Regel-/Ausnahmeverhältnis bedeutet allerdings entgegen einer teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung (Antweiler in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 97 Abs. 4 GWB, Rn. 51; Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 97 GWB, Rn. 95) nicht, dass eine Gesamtvergabe überhaupt nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen darf. § 97 Abs. 4 GWB ist im Kontext der primären Ziele des Vergaberechts auszulegen, zu denen insbesondere auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung gehört (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 18.07.2024 – 17 Verg 1/24, zitiert nach ibr-online). Dabei sind auch die weiteren Grundsätze des Vergaberechts (Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit) sowie die vom Gesetzgeber in § 97 Abs. 3 GWB normierten strategischen Ziele (Qualität, Innovation, soziale und umweltbezogene Aspekte) im Blick zu behalten.

Allerdings ergibt sich aus der klaren Wertung des Gesetzgebers, dass es nicht ausreicht, wenn der Auftraggeber anerkennenswerte Gründe für die Gesamtvergabe vorbringen kann; auch vermag die Entlastung des Auftraggebers von typischerweise mit einer losweisen Vergabe verbundenen Koordinierungsaufgaben oder sonstigem organisatorischem Mehraufwand für sich allein ein Absehen von einer Losvergabe nicht zu rechtfertigen.

Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinandersetzt und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange trifft, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und/oder wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018 – 11 Verg 4/18; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019 – Verg 10/18; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.08.2024 – VII – Verg 7/24, Beschluss vom 13.03.2020 – Verg 10/20, Beschluss vom 25.05.2022 – Verg 33/21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.04.2022 – 15 Verg 2/22).

Bei der Prognose der Vor- und Nachteile der Losvergabe, deren Gewichtung und der Abwägung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. jeweils zur Fachlosaufteilung OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018 – 11 Verg 4/18; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019 – Verg 10/18; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2020 – Verg 10/20, Beschluss vom 25.05.2022 – Verg 33/21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.04.2022 – 15 Verg 2/22). Die Entscheidung des Auftraggebers über die Gesamtvergabe ist deshalb von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur darauf zu überprüfen, ob sie auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruht (OLG Rostock, a.a.O.).

Unter technischen und wirtschaftlichen Gründen im Sinne des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB sind solche zu verstehen, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen.

Vorliegend hat der Antragsgegner die Gesamtvergabe und damit das Absehen von der Fachlosbildung ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte und dem Schreiben vom 10.10.2024 zur Zurückweisung der Rüge der Antragstellerin nicht mit wirtschaftlichen, sondern mit technischen Aspekten und Erwägungen begründet. Technische Gründe i.S.d. § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB sind alle Aspekte, die zu einem vom Auftraggeber vorgegebenen Leistungsprofil in einem unauflöslichen Zusammenhang stehen. Dies kann auch bei komplexen, miteinander verflochtenen Dienstleistungen der Fall sein oder wenn die Aufteilung in Fachlose unverhältnismäßige Kostennachteile mit sich bringen oder zu einer starken Verzögerung des Vorhabens führen würde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.05.2022 – VII Verg 33/21).

Im Vergabevermerk des Antragsgegners heißt unter 1.11 zur Begründung für das Abweichen von der Fachlosvergabe:

“Das Bauwerk als solches ist in sich eine geschlossene Einheit, bei der die einzelnen Bereiche ineinandergreifen. Deshalb müssen zur Qualitätssicherung und auch für die Gewährleistungsansprüche z.B. die LSW und die SPK, mit den jeweiligen dafür erforderlichen Verankerungskörbe in den Brückenkappen, zwingend in einer Ausschreibung erfolgen. Gleiches gilt auch für die statische Berechnung dazu. Gegen die Teillosvergabe (Anm. der Vergabekammer: Gemeint ist offenbar die Fachlosvergabe.) spricht auch, dass diese nicht vollständig und somit eigenständig vergeben werden können, da wichtige konstruktive Arbeitsschritte immer ineinandergreifen. Bei der LSW sind gemäß RiZ-Ing LS 1 (Blatt 1 bis 4) die Verankerungskörbe mit in die Betonkappen und damit der Bewehrung zu montieren. Diese Leistung muss vom AN Brücken – Betonbau erfolgen. Die Verankerung ist dabei maßgeblich für die vertraglich geschuldete Gesamtleistung der LSW und ist deshalb in einem Vertrag auszuführen. Bei der SPK sind ebenfalls die Verankerungen in der Bewehrung der Brückenkappe zu berücksichtigen. Des Weiteren kann die Verkehrssicherheit während der Bauausführung der Gesamtbaumaßnahme (Baustellenverkehre über das Bauwerk und damit Entlastung in der Ortsdurchfahrt …) nur gewährleistet werden, wenn das Bauwerk vollständig errichtet und in Funktion genommen wird.

Eine Fachlosvergabe der Lärmschutzwand wird in den Streckenbereichen außerhalb der Bauwerke durchgeführt. Die dort notwendige Gründung kann ohne Eingriff in ein konstruktives Vorgewerk bei der Lärmschutzwand mit ausgeschrieben werden.”

Weder der Vergabevermerk noch die Dokumentation im Übrigen lassen irgendeine Berücksichtigung oder gar Abwägung dieser technischen Belange mit Aspekten und Gründen erkennen, die für eine Fachlosbildung sprechen. Der öffentliche Auftraggeber hat eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden Gründen nicht nur anerkennenswert sein, sondern überwiegen müssen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.08.2024 – VII – Verg 7/24 – und Beschluss vom 13.03.2020, Verg 10/20, juris, Rn. 27 m. w. Nachw.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018, 11 Verg 4/18, juris, Rn. 72).

Eine Heilung des aufgezeigten Abwägungs- und Dokumentationsmangels scheidet im vorliegenden Fall aus. Eine nachträgliche Heilung ist nur dann möglich, wenn die Vergabestelle ihre Erwägungen im Laufe des Nachprüfungsverfahrens lediglich ergänzt und präzisiert (OLG Celle, Beschluss vom 13.01.2011 – 13 Verg 15/10, BeckRS 2011, 2421, Rn. 35, beck-online OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 10.02.2021, VII – Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn. 47, und vom 23.03.2011, VII – Verg 63/10, NZBau 2011, 369, 371). Denn nach dieser Rechtsprechung können zwar Gründe bzw. Ermessenerwägungen auch im Vergabenachprüfungsverfahren nachgeschoben werden, wobei der Dokumentationspflicht genügt ist, wenn dies in anwaltlichen Schriftsätzen erfolgt. Die Nachholung der Dokumentationspflicht im Nachprüfungsverfahren ist aber nur zulässig, soweit die ergänzenden Erwägungen oder Erläuterungen sich auf Begründungen beziehen, die im Kern bereits im Vergabevermerk angelegt sind (vgl. Beck VergabeR/Dörr, 4. Aufl. 2022, GWB § 97 Abs. 1, Rn. 50). Darin fehlt es im vorliegenden Fall aber, da die Dokumentation in der Vergabeakte überhaupt keine Ausführungen zu der erforderlichen Abwägung enthält.

Unabhängig davon hat der Antragsgegner im Zuge des Nachprüfungsverfahrens weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung diese Abwägung “nachgeholt”, sondern ausschließlich die Argumente vertieft, die aus seiner Sicht für eine Gesamtvergabe sprechen.

Bereits dieser Abwägungsausfall macht es erforderlich, den Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen, um gemäß § 168 Abs. 1 GWB die Verletzung der Rechte der Antragstellerin zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern.

b. Darüber hinaus sind die vom Antragsgegner sowohl im Vergabevermerk wie auch schriftsätzlich und mündlich im Zuge des Nachprüfungsverfahrens angeführten technischen Gründe pro Gesamtvergabe zwar nachvollziehbar. Sie überwiegen jedoch nicht das Interesse der Antragstellerin an einer Fachlosausschreibung und vermögen nach Auffassung der Vergabekammer eine Abweichung vom gesetzlichen Regel-Ausnahme-Prinzip gemäß § 97 Abs. 4 S. 2 und 3 GWB nicht zu begründen. Die vorgetragenen Aspekte genügen nicht den Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit einer Gesamtvergabe gemäß § 97 Abs. 4 S. 3 GWB.

Der Antragsgegner hat die Gesamtvergabe im Vergabevermerk damit begründet, dass das Bauwerk als solches eine in sich geschlossene Einheit sei, bei der die einzelnen Bereiche ineinandergreifen. Deshalb müssten zur Qualitätssicherung und auch für die Gewährleistungsansprüche z.B. die LSW und die SPK, mit den jeweiligen dafür erforderlichen Verankerungskörben in den Brückenkappen, zwingend in einer Ausschreibung erfolgen. Gleiches gelte auch für die statische Berechnung dazu. Gegen die Fachlosvergabe spreche auch, dass diese nicht vollständig und somit eigenständig vergeben werden könnten, da wichtige konstruktive Arbeitsschritte immer ineinandergreifen. Der Antragsgegner weist darauf hin, dass bei der LSW gemäß RiZ-Ing LS 1 (Blatt 1 bis 4) die Verankerungskörbe mit in die Betonkappen und damit der Bewehrung zu montieren sind, was zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig ist. Diese Leistung muss vom Auftragnehmer des Brücken-Betonbau erfolgen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Antragsgegner seine Beweggründe für die Gesamtvergabe vertieft und erläuternd darauf hingewiesen, dass die streitbefangene Vergabe für das Ingenieurbauwerk nicht etwa mit der Errichtung einer Lärmschutzwand entlang einer Strecke zu vergleichen sei, wo für die Ausschreibung der Lärmschutzwand regelmäßig eine Fachlosvergabe gewählt wird. Bei der Strecke sei es so, dass das Straßenbauwerk komplett abgeschlossen ist, wenn die Errichtung der Lärmschutzwand erfolgt. Die Errichtung der Lärmschutzwand sei dort ein eigenständiges Bauwerk inklusive der notwendigen Gründungs-/Verankerungsarbeiten. Demgegenüber sei bei der hier streitbefangenen Vergabe zu berücksichtigen, dass die Lärmschutzwand integraler Bestandteil des Gesamtbauwerks sei. Hier sei es nötig, im Rahmen der Ausführungsplanung eben gleichfalls nicht nur die Betonbauarbeiten, sondern auch die Errichtung der Lärmschutzwand zu berücksichtigen. Deshalb sei es aus seiner Sicht erforderlich – insbesondere unter Berücksichtigung der Verankerung – hier von Anfang an sicherzustellen, dass die Berücksichtigung der Lärmschutzwand Hand in Hand im Rahmen der Ausführungsplanung berücksichtigt werde. Insbesondere sei bei dem vorliegenden Brückenbauwerk eine Gründung unter Verwendung von Ankerkörben erforderlich, was auf der Strecke regelmäßig nicht der Fall sei.

Die Vergabekammer bewertet die Darlegungen des Antragsgegners als überzeugend, soweit er dargelegt hat, dass unterschiedliche Anforderungen an die Errichtung einer Lärmschutzwand an einem Brückenbauwerk im Vergleich zu einer Lärmschutzwand entlang einem normalen Straßenbauwerk auf einer Strecke bestehen. Das Brückenbauunternehmen als führendes Gewerk muss nicht nur die Verankerungskörbe für die Lärmschutzwand mit in die Betonkappen und damit der Bewehrung montieren. Es muss auch im Übrigen die möglichen statischen Belastungen des Brückenbauwerks, die insbesondere durch den Winddruck auf die Lärmschutzwände entstehen, bei der Statik und der Bauausführung berücksichtigen.

Aus diesen Technischen Anforderungen folgt jedoch nicht, dass diese eine Gesamtvergabe von Brückenbauwerk und Lärmschutzwand i.S.d. § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB erfordern. Die Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens wie auch der fachkundige ehrenamtliche Beisitzer der Vergabekammer, seinerseits selbst als Brückenbauingenieur im Hauptamt mit der Ausschreibung und Koordinierung vergleichbarer Baumaßnahmen befasst, haben übereinstimmend erklärt, dass die Berücksichtigung der Verankerung und der besonderen statischen Anforderungen für die Errichtung von Lärmschutzwänden zum einen durch den Antragsgegner selbst mit seinen vorgegebenen Planungen, zum anderen in der Ausführungsplanung des Brücken-Betonbauunternehmens genau vorgegeben und gewährleistet wird.

An diese Ausführungsplanung des führenden Gewerks Brückenbau ist im Falle einer Fachlosbildung das Unternehmen, das die Lärmschutzwand errichtet, nachvollziehbar gebunden.

Das gilt jedoch ebenso, wenn das Fachunternehmen mit Errichtung der Lärmschutzwand vom Brückenbauunternehmen als Nachunternehmer beauftragt wird.

Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung aus einem anderen Projekt, wo sie als Subunternehmerin der Beigeladenen fungiert, beispielhaft eine Richtzeichnung LS 1 vorgelegt, aus der ersichtlich ist, was dort ursprünglich Teil des Grundentwurfs ist und was im Rahmen der Ausführungsplanung vom Hauptunternehmer der Antragstellerin als Errichter der Lärmschutzwand vorgegeben wurde. Die Beigeladene, die ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte das wirtschaftlichste Angebot im vorliegenden Vergabeverfahren abgegeben hat, hat auf Nachfrage der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie im Zuschlagsfalle nach ihrem Angebot auch im vorliegenden Fall die konkrete Errichtung der Lärmschutzwand durch einen Nachunternehmer, ein Fachunternehmen, ausführen lässt.

Ein bei der Abwägung Fachlos- oder Gesamtvergabe berücksichtigungsfähiger bauvorhabenspezifischer Synergieeffekt (OLG Rostock, a.a.O.) läge somit nur dann vor, wenn dessen Eintritt bei Einsatz eines Nachunternehmers sichergestellt wäre, bei gesonderter Beauftragung als Fachlos demgegenüber nicht. Nachteile und Risiken der Fachlosvergabe, die bei Einsatz eines Nachunternehmers in gleicher Weise bestehen, heben sich insoweit im Rahmen der Abwägung auf und können deshalb keine Berücksichtigung finden. Vorliegend verbleiben allein die möglichen Vorteile einer Verlagerung des Koordinierungsaufwands vom Auftraggeber auf den Generalunternehmer als typische Folge des Absehens von der Losvergabe. Diese sind bei der Abwägung jedoch nicht berücksichtigungsfähig. Denn der Gesetzgeber hat mit dem Regel-Ausnahme-Prinzip des § 97 Abs. 4 GWB ausdrücklich einen erhöhten Koordinierungsaufwand des öffentlichen Auftraggebers durch den Primat der Losbildung zugunsten der Berücksichtigung mittelständischer Interessen bewusst in Kauf genommen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2012 – 1 Verg 2/11 = NZBau 2012, S. 598 ff., 599; Antweiler in Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 4. Aufl., § 97 Abs. 4 GWB, Rn. 52; Frenz in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 5. Aufl., § 97 GWB, Rn. 112, m.w.N.).

Schließlich führt auch eine Gesamtschau des Bauvorhabens “Verlegung der Bundesstraße …” oder gar aller Bauvorhaben des Antragsgegners zu keiner abweichenden Bewertung. Der Antragsgegner hat zwar darauf hingewiesen, dass er im Zuge der Gesamtbaumaßnahme durchaus Teil- und Fachlose vergibt. Das allein rechtfertigt indes nicht, hinsichtlich der Lärmschutzwandarbeiten ohne weitere Gründe von der Fachlosvergabe abzusehen.

Die streitbefangene Errichtung der Lärmschutzwände stellt sich vielmehr auch im Zusammenhang mit dem verfahrensgegenständlichen Brückenbau als Bauleistung dar, die typischerweise für eine Fachlosbildung geeignet ist.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist daher in vollem Umfang begründet.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB in der seit dem 18.04.2016 geltenden Fassung (Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) vom 17.02.2016 (BGBl. I, S. 203), in Kraft getreten gemäß dessen Art. 3 am 18.04.2016).

Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 Euro, die Höchstgebühr 50.000 Euro und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 Euro.

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung aus Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 Euro (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 Euro zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 Euro (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. Euro (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

Der zugrunde zu legende Auftragswert wird auf … Euro (brutto) festgesetzt. Dieser Betrag berücksichtigt in Ermangelung eines Angebotes der Antragstellerin ihren mit Antrags-schriftsatz mitgeteilten, von ihr auf … bis … Euro (netto) geschätzten Wert (Mittelwert zzgl. 19 % Mehrwertsteuer) des unterbliebenen Fachloses und damit ihrem Interesse am Auftrag.

Bei einer Gesamtsumme von … Euro ergibt sich eine Gebühr in Höhe von … Euro. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein.

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin in der Hauptsache Erfolg hatte.

Der Antragsgegner ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung der auf ihn entfallenden Kosten gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 BVerwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2005, Az.: WVerg 0014/04). Zwar ist das BVerwKostG mit Wirkung vom 15.08.2013 aufgehoben worden, jedoch ist es aufgrund der starren Verweisung aus § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB auf das BVerwKostG in der Fassung vom 14.08.2013 hier weiter anzuwenden. Inhaltlich entspricht die dortige Regelung § 8 BGebG.

Die Beigeladene hat vorliegend keinen Antrag zur Hauptsache gestellt. Sie war daher nicht anteilig an den Kosten zu beteiligen.

Kosten der Antragstellerin:

Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat der Antragsgegner der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten. Gemäß § 182 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf den Antrag der Antragstellerin gemäß Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren für die Antragstellerin notwendig war. Ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, bedurfte die Antragstellerin gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung.

Angesichts der Tatsache, dass der Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren in der Hauptsache unterlegen ist, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.

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