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VK Rheinland zu der Frage, dass für eine fristgemäße Rüge deren Zugang beim Auftraggeber relevant ist und nicht deren Absendung

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Rüge ist eine zwingend von den Vergabekammern von Amts wegen zu beachtende Sachentscheidungsvoraussetzung. Ohne vorherige Rüge ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig.
2. Für eine den Anforderungen des § 160 GWB genügende Rüge ist erforderlich, dass aus ihr für den Auftraggeber unmissverständlich hervorgeht, welches Verhalten als Vergaberechtsverstoß angesehen wird und inwiefern der Bieter vom Auftraggeber Abhilfe verlangt.
3. Für eine fristgemäße Rüge ist deren Zugang beim Auftraggeber relevant und nicht deren Absendung. Der “O.K.”-Vermerk auf dem Sendebericht ist jedenfalls dann irrelevant, wenn der Empfänger den Zugang substantiiert bestreitet.
4. Der Rügende trägt das Risiko, dass die Rüge nicht bzw. nicht vollständig zugeht. Er ist dafür darlegungs- und beweispflichtig.
VK Rheinland, Beschluss vom 23.07.2024 – VK 28/24

Gründe:

I.

Mit Auftragsbekanntmachung vom 06.03.2024 schrieb die Antragsgegnerin unter der Vergabenummer: … landschaftsgärtnerische Arbeiten an … in C. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union im offenen Verfahren europaweit aus. Die Arbeiten umfassen gemäß Ziffer 5.1 der Bekanntmachung Landschaftsbauarbeiten, Wegebau und Bepflanzung. Einziges Zuschlagskriterium ist gemäß Ziffer 5.1.10 der Bekanntmachung der Preis.

Die Antragstellerin gab fristgerecht ein Angebot ab.

Mit Schreiben vom 09.05.2024 wurde die Antragstellerin von der Antragsgegnerin aufgefordert, hinsichtlich der finanziellen Leistungsfähigkeit zur Durchführung der Maßnahme eine Bestätigung ihrer Bank oder ihres Steuerberaters vorzulegen, um Anhaltspunkte für eine fehlende Bonität zu entkräften. Hierauf reagierte die Antragstellerin, indem sie einen Auszug aus ihrem Präqualifikationsnachweis vom 15.01.2024 vorlegte, der Umsätze aus den Jahren 2020 bis 2022 enthielt. Weiterhin legte sie eine aktuelle Auskunft der Creditreform vom 30.01.2024 vor. Außerdem wurde die Antragstellerin seitens der Antragsgegnerin aufgefordert, ihren für die Position “Baustelleneinrichtung” angebotenen Einheitspreis näher zu erläutern. Daraufhin legte die Antragstellerin ihre Vorkalkulation für das Einrichten, Vorhalten und Räumen der Baustelle vor und erklärte, es handele sich um Kosten, die während der Bauzeit geschätzt anfielen und nicht in die Leistungspositionen einkalkuliert werden könnten. Weiterhin bat die Antragsgegnerin die Antragstellerin im Rahmen der Angebotsaufklärung zwecks Eignungsprüfung um Vorlage dreier Referenzprojekte, die mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbar seien. Die Antragstellerin legte drei Referenzprojekte vor.

Mit Informationsschreiben vom 29.05.2024 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin gemäß § 134GWB darüber, dass ihr Angebot auszuschließen sei, weil zum einen keine ausreichende Aufklärung ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit erfolgt sei, zum anderen entgegen der Vorgaben des Leistungsverzeichnisses die Kosten für Vorhalten, Unterhalten und Betreiben der Geräte, Anlagen und Einrichtungen einschl. Mieten, Pacht, Gebühren und dgl. in der Position 1.1 kalkuliert worden seien und außerdem die vorgelegten Referenzprojekte nicht mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbar seien. Der Zuschlag solle frühestens am 04.06.2024 auf das Angebot der Fa. G. erteilt werden.

Die Antragstellerin rügte dies mittels Einwurf-Schreiben, welches vom 07.06.2024 datiert. Das Schreiben umfasst insgesamt fünf Seiten. Der Briefumschlag des Schreibens ist mit dem Frankierstempel der Deutschen Post mit Datum “07.06.24” sowie dem Eingangsstempel der C. mit Datum “13. Juni 2024” versehen. In dem Rügeschreiben trägt die Antragstellerin vor, dass der Ausschluss ihres Angebots vergaberechtswidrig sei. Die Anforderung, welche Unterlagen zum Nachweis der finanziellen/wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hätten vorgelegt werden müssen bzw. dass sie dies im Einzelnen von der Bank oder dem Steuerberater hätte bestätigen lassen müssen, sei von der Antragsgegnerin nicht ausreichend bestimmt formuliert worden. Die Kosten für das Vorhalten, Unterhalten und Betreiben der Geräte, Anlagen und Einrichtungen einschl. Mieten, Pacht, Gebühren und dgl. sei zu Recht in der Position 1.1 einkalkuliert worden, da diese während der Bauzeit geschätzt anfielen und nicht in die einzelnen Leistungspositionen hätten einkalkuliert werden können. Auch könne nicht alleine aus der fehlenden Vergleichbarkeit der Referenzprojekte mit der ausgeschriebenen Leistung auf die Leistungsfähigkeit der Antragstellerin geschlossen werden. Schließlich sei der von der Antragsgegnerin genannte beabsichtigte Zuschlagstermin rechtswidrig, da dieser nicht die 15-Tagesfrist des § 134Abs. 2 GWB einhalte.

Die Antragstellerin hat ihr Rügeschreiben nicht nur per Deutscher Post versandt, sondern es auch per Fax an die von der Antragsgegnerin in der Bekanntmachung sowie dem § 134-er Informationsschreiben benannte Fax-Nummer geschickt. Der von der Antragstellerin vorgelegte Fax “Sendebericht” enthält u.a. folgende Angaben:

“DATUM/UHRZEIT 07/06 11:59

FAX-NR./NAME … [Anm.: Fax-Nr. von VK anonymisiert]

Ü.-DAUER 00:02:22

SEITE(N) 05

ÜBERTR OK

MODUS Standard

ECM”


Dieses Fax ist nach den von der Antragsgegnerin vorgelegten Dokumenten nur unvollständig bei ihr eingegangen. Vollständig eingegangen ist nur die erste Seite des Schreibens, aus der sich ergibt, dass es sich um eine Rüge handelt, welche Baumaßnahme betroffen ist, welcher Bieter die Rüge einlegt, wer dessen Verfahrensbevollmächtigter ist und dass der Rüge ein Absageschreiben nach § 134 GWB vom 29.05.2024 vorangegangen ist. Auf der zweiten Seite findet sich in der Mitte lediglich ein Satzfragment (= “ausreichende finanzielle”) sowie folgender Satz:

“2. Des Weiteren begründen Sie den Ausschluss des Angebotes damit, dass Kosten für Vorhalten, Unterhalten und Betreiben der Geräte, Anlagen und Einrichtungen einschl. Mieten, Pacht, Gebühren und dgl. in der Position 1.1 einkalkuliert worden sind und nicht in die einzelnen Leistungspositionen.”

Die dritte Seite ist praktisch komplett leer, die weiteren Seiten, insbesondere auch die fünfte Seite mit der Unterschrift, fehlen völlig.

Das von der Antragsgegnerin vorgelegten Fax-Protokoll enthält die Meldung

“Übertragung nicht abgeschlossen (3 Seite(n) empfangen)”

Am 07.06.2024 reichte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag mittels Telefax bei der Vergabekammer ein. Der Fax-Ausdruck trägt das Datum 07.06.2024 und die Uhrzeit 14:44.

Die Antragstellerin beantragt darin,

1.Einsicht in die Vergabeakte,

2.das Vergabeverfahren in den Stand vor Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin zurückzuversetzen und

3.den Zuschlag an die Antragstellerin zu erteilen.

Zur Begründung ihrer Anträge wiederholt die Antragstellerin die bereits in ihrer Rüge vorgebrachten Argumente. In weiteren Schriftsätzen vom 28.06.2024, 04.07.2024 und 16.07.2024 führt sie zur Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags wie folgt ergänzend aus:

Das Telefax mit der Rüge sei am 07.06.2024 um 11:59 Uhr mit fünf Seiten an die Antragsgegnerin übermittelt worden. Werde die Übermittlung eines Telefaxes wie hier mit einem “OK”-Vermerk quittiert, bedeute dies, dass die Datenübermittlung jedenfalls soweit einwandfrei bis zum Empfängergerät erfolgt sei, dass die voreingestellte sogenannte Fehlerquote – werksseitig sei regelmäßig ein Wert von 10% voreingestellt – nicht überschritten worden sei. Selbst wenn eine Fehlerquote bis an die 10% erreicht worden sei, so hätte dies allenfalls dazu führen können, dass einzelne Buchstaben über die Seite verteilt Fehler aufgewiesen hätten. Insbesondere sei es ausgeschlossen, dass ganze Seiten fehlten oder ganz überwiegende Textzeilen einer Seite nicht übermittelt würden. Daher müsse der Datenverlust im Herrschaftsbereich der Antragsgegnerin eingetreten sein. Hierfür sei die Antragstellerin nicht verantwortlich. Für den Zugang komme es lediglich darauf an, ob die Daten zu dem Empfangsgerät, hier also dem Server der Antragsgegnerin übermittelt worden seien, nicht dagegen ob ein übermitteltes Telefax beim Empfänger ausgedruckt werde. Letztlich sei auch der Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer mit demselben Faxgerät störungsfrei und einwandfrei übermittelt worden, auch ansonsten seien bisher keine Störungen des Geräts aufgetreten. Bemerkenswert sei auch, dass es angeblich in zwei parallellaufenden Verfahren der Antragstellerin mit der Antragsgegnerin zu vergleichbaren Fehlern bei der Übermittlung eines Rügeschreibens per Telefax gekommen sein solle.

Bieter seien aufgrund zwingend einzuhaltender Fristen regelmäßig auf eine Übermittlung einer Rüge per Telefax angewiesen. Wenn der Bieter alles ihm Mögliche unternehme, um eine rechtzeitige Rüge zu übermitteln, so müsse für die Frage der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages nach Auftreten eines technischen Fehlers der Grundsatz von Treu und Glauben berücksichtigt werden. Die Antragsgegnerin habe im Vergabeverfahren, durch das zwischen Bieter und Vergabestelle eine Art vorvertragliches Vertrauensverhältnis entstehe, eine Pflicht zur Fairness, Kooperation und Rücksichtnahme. Dies ergebe sich auch aus der Entscheidung OLG Celle vom 19.08.2008 – 8 U 80/07. Eine mögliche Unvollständigkeit der Übermittlung des Rügeschreibens hätte die Antragsgegnerin den Verfahrensbevollmächtigen der Antragstellerin sofort anzeigen müssen, da aus der Seite 1 des übermittelten Rügeschreibens klar erkennbar gewesen sei, von wem und für welchen Bieter das Rügeschreiben verfasst war, wie die Vertreter der Antragstellerin zu erreichen sind und um welches Vergabeverfahren es sich handelt. Die Antragsgegnerin habe eine solche Anzeige unterlassen und die Meldung über die unvollständig eingegangene Rüge bereits drei Minuten nach Empfang der Nachricht bzw. des Telefaxes im Hause weitergeleitet, ohne den Bieter hierüber in Kenntnis zu setzen. Im Übrigen sei auch nicht klar, ob sich die Fehlermeldung “Übertragung nicht vollständig abgeschlossen (3 Seite(n) empfangen)” auf den ursprünglichen Empfang der Nachricht auf dem Server oder alleine auf die Weiterverarbeitung der eingegangenen Daten in Form der Weiterleitung beziehe.

Mit Schriftsatz vom 18.06.2024, ergänzt durch Schriftsätze vom 04.07.2024 und 09.07.2024 nahm die Antragsgegnerin zum Nachprüfungsantrag Stellung und beantragt,

1.den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,

2.der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da die Antragstellerin ihrer Rügepflicht aus § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB nicht fristgereicht nachgekommen sei. Die Rüge hätte vor Beantragung des Nachprüfungsverfahrens am 07.06.2024 bei der Antragsgegnerin eingegangen sein müssen. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, vielmehr seien von der per Telefax vom 07.06.2024, 11:59 Uhr übermittelten Rüge die Seiten 2 und 3 bis auf Bruchstücke leer, die Seiten 4 und 5 hätten komplett gefehlt. Daraus lasse sich der behauptete Vergaberechtsverstoß nicht ableiten, es fehle an dessen hinreichender Darlegung. Aus den systemseitigen Angaben der Server der Stadt C. ergebe sich, dass der Status als “Übertragung nicht abgeschlossen” vermerkt worden sei. Bei diesem Vermerk handele es sich um einen Vermerk, den das Empfangssystem automatisch hinzufüge, wenn die Übertragung nicht abgeschlossen wurde. Seit Inbetriebnahme des Servers zum Empfang von Faxsendungen durch das Referat Vergabedienste der C. habe es keine Betriebsstörungen oder unvollständige Übermittlungen gegeben. Gerade der Umstand, dass die Übermittlungsstörungen nur bei Faxen vom Gerät des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin aufträten, spreche für einen nicht behobenen Fehler an dessen Faxgerät. Der seitens der Antragstellerin vorgelegte Fax-Sendebericht sei nicht aussagekräftig und kein Nachweis für eine ordnungsgemäße und inhaltlich vollständige Übersendung. Durch die Vorlage eines Sendeprotokolls werde der Beweis des Zugangs eines Telefax-Schreibens nicht geführt, was bereits in den Entscheidungen BGH IBR 2011, 733; OLG Frankfurt, IBR 2010, 267; OLG Celle, IBR 2008, 615 gerichtlich geklärt sei. Der Sendebericht sage nur etwas darüber aus, ob eine Verbindung zwischen dem Fax-Gerät des Versenders und dem des Empfängers zustande gekommen sei, nicht jedoch, dass und welche Daten tatsächlich übermittelt worden seien. Dies sei auch vom OLG Frankfurt, IBR 2022, 542 so gesehen worden. Darlegungs- und beweisbelastet für den ordnungsgemäßen und inhaltlich vollständigen Zugang der Rüge sei die Antragstellerin.

Eine Rüge könne formfrei erhoben werden, die Nutzung des Telefaxes sei nicht die einzige Option. Um den zeitlichen Konflikt zwischen Rüge und Nachprüfungsantrag zu lösen, hätte die Rüge unproblematisch (zusätzlich) per Bote, per Mail oder über das besondere elektronische Behördenpostfach erhoben werden können.

Es habe keine Pflicht der Antragsgegnerin bestanden, die fehlerhafte Übermittlung gegenüber der Antragstellerin oder ihren Verfahrensbevollmächtigten anzuzeigen. Die von der Antragstellerin angeführte Entscheidung des OLG Celle vom 19.08.2008 – 8 U 80/07 sei nicht auf den hiesigen Fall übertragbar. Denn in dortigem Fall seien Versender und Empfänger durch Vertrag verbunden und daher in höherem Maß zu gegenseitiger Rücksicht verpflichtet gewesen. Im Übrigen sei der Rechtsgedanke vorvertraglicher Beziehungen aus dem Zivilrecht auf das Vergaberecht nicht übertragbar. Denn das Vergaberecht verbiete der Vergabestelle an mehreren Stellen nicht nur ausdrücklich, einen Bieter auf Fehler hinzuweisen, sondern verpflichte diese gleichzeitig, den betreffenden Bieter ohne Hinweis unmittelbar auszuschließen. Der Bieter habe in eigener Verantwortung für die Fehlerfreiheit seiner Angaben zu sorgen. Dies gelte umso mehr, als dieser – wie hier – anwaltlich vertreten sei. Es wäre der Antragstellerin ein Leichtes gewesen, sich selbst über den Eingang der Rüge und deren Vollständigkeit zu versichern.

Der Nachprüfungsantrag sei auch nicht begründet. Die Antragstellerin habe die von der Antragsgegnerin geforderten Unterlagen zu ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit nicht fristgerecht vorgelegt. Auch habe sie Leistungen, die auf die Einheitspreise der jeweiligen Bauleistung umzulegen waren, in die Baustelleneinrichtung eingepreist, damit eine unzulässige Preisverlagerung vorgenommen und somit nicht die in der Leistungsbeschreibung geforderten Preise benannt. Auch habe die Antragstellerin die geforderte Eignung nicht nachgewiesen, da sie Referenzen vorgelegt habe, die mit der ausgeschriebenen Leistung nicht vergleichbar seien.

Die Vergabekammer hat die Verfahrensbeteiligten in einem rechtlichen Hinweis vom 20.06.2024 auf ihre vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage sowie auf die Möglichkeit der Entscheidung nach Aktenlage gem. § 166 Abs. 1 S. 3 Alt. 2 und 3 GWB hingewiesen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze, der Verfahrensakte sowie der Vergabeunterlagen verwiesen.

II.

1. Die Vergabekammer Rheinland ist gemäß §§ 155156 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i.V.m. § 2 Abs. 2 der Verordnung über Einrichtung und Zuständigkeit der Vergabekammern NRW (Zuständigkeitsverordnung Vergabekammern NRW – VK ZuStV NRW) vom 02.12.2014 (SGV.NRW.630), zuletzt geändert durch Verordnung vom 27.11.2018 (GV.NRW.S.639) für die Entscheidung zuständig.

2. Die Antragsgegnerin hat als öffentlicher Auftraggeber i.S.v. § 99 Nr. 1 GWB Landschaftsbauarbeiten im Zusammenhang mit einer Baumaßnahme, d.h. einen Bauauftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 GWB ausgeschrieben, dessen geschätzter Gesamtauftragswert den Schwellenwert nach § § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Artikel 4 der RL 2014/24/EU in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung [= 5.538.000,- Euro (netto) ] eindeutig überschreitet.

3. Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig. Es fehlt an der erforderlichen, dem Nachprüfungsantrag vorausgehenden Rüge des vermeintlichen Vergaberechtsverstoßes gegenüber der Antragsgegnerin.

Gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 – 3 GWB ist ein Nachprüfungsantrag nur zulässig, wenn der vermeintliche Vergaberechtsverstoß gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber gerügt wurde. Die Rüge ist zwingend vor der Einreichung des Nachprüfungsantrags zu erheben (vgl. Hofmann in: Müller-Wrede (Hrsg.), GWB Kommentar, 2. Aufl. 2023, § 160 GWB, Rn. 42). Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dem Auftraggeber vor Antragseinreichung noch einmal die Möglichkeit zu geben, den geltend gemachten Vergaberechtsverstößen von selbst abzuhelfen und so ein verzögerndes Vergabenachprüfungsverfahren zu vermeiden (vgl. Hofmann, a.a.O., Rn. 38). Die Rüge ist eine zwingend von den Vergabekammern von Amts wegen zu beachtende Sachentscheidungsvoraussetzung. Ohne vorherige Rüge ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig und allein deswegen abzulehnen (vgl. Hofmann, a.a.O., § 160 GWB, Rn. 42).

Vorliegend datiert das Rügeschreiben der Antragstellerin vom 07.06.2024. Es wurde per Einwurf-Einschreiben an die Antragsgegnerin gesandt. Eingegangen bei der Antragsgegnerin ist das Schreiben laut Eingangsstempel auf dem Briefumschlag am 13.06.2024, mithin nach der Einreichung des Nachprüfungsantrages bei der Vergabekammer, welche am 07.06.2024 erfolgt ist. Zwar trägt der Frankierstempel der Deutschen Post das Datum 07.06.2024. Allerdings muss bei Briefpost mit einer regelmäßigen Postlaufzeit von ein bis zwei Werktagen nach Einlieferung ausgegangen werden, wobei als Werktag auch der Samstag angesehen wird (vgl. § 2 Nr. 3 Post-Universaldienstleistungsverordnung). Da es sich bei dem 07.06.2024 um einen Freitag handelt, konnte die Antragstellerin nicht davon ausgehen, dass der Brief vor dem 08.06.2024 (= Samstag) bzw. 10.06.2025 (= Montag) bei der Antragsgegnerin eingehen würde. Im Übrigen sind selbst überdurchschnittlich lange Postlaufzeiten der Risikosphäre des Antragstellers zuzurechnen (vgl. Horn/Hofmann in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, GWB 4. Teil, Hrs. Burgi/Dreher/Opitz, 4. Aufl. 2022, § 160 Rn. 78). Eine Rüge, die erst beim Auftraggeber eingeht, nachdem bereits ein Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer eingereicht wurde, ist nicht geeignet, eine Zulässigkeitsvoraussetzung für den Nachprüfungsantrag zu schaffen.

Allerdings hatte die Antragstellerin das Rügeschreiben bereits am 07.06.2024 um 11:59 Uhr vorab per Telefax an die Antragsgegnerin gesandt, mithin vor Einreichung des Nachprüfungsantrages bei der Vergabekammer am 07.06.2024 um 14:44 Uhr. Dies war zulässig. Eine besondere Form für die Rüge ist nicht vorgeschrieben. Sie kann z.B. auch mündlich, per E-Mail oder Telefax oder auf anderen elektronischen Kommunikationswegen gestellt werden (vgl. Hofmann, a.a.O., § 160 GWB, Rn. 51). Allerdings ist für eine den Anforderungen des § 160 GWB genügende Rüge erforderlich, dass aus ihr für den Auftraggeber unmissverständlich hervorgeht, welches Verhalten als Vergaberechtsverstoß angesehen wird und inwiefern der Bieter vom Auftraggeber Abhilfe verlangt (vgl. Hofmann, a.a.O., § 160 GWB, Rn. 52; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 07.12.2011 – Verg 81/11; OLG Celle, Beschluss v. 30.09.2010 – 13 Verg 10/10). Auch müssen schriftliche oder fernschriftliche Rügen unterschrieben sein, damit der Auftraggeber erkennen kann, dass es sich nicht nur um einen Entwurf handelt, und dass die Rüge von dem Unternehmer oder einer vertretungsberechtigten Person stammt (vgl. Wiese in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Aufl. 2020, § 160 GWB, Rn. 144). Beides war aus dem bei der Antragsgegnerin per Fax eingegangenen Rügeschreiben der Antragstellerin nicht der Fall. Das Rügeschreiben ist nur fragmentarisch eingegangen. Vollständig angekommen ist nur die erste Seite, aus der weder hervorging, welches Verhalten die Antragstellerin als Vergaberechtsverstoß ansieht noch inwiefern die Antragstellerin von der Antragsgegnerin Abhilfe verlangt. Die Seite 2 enthielt nur eine kurze Textzeile und die Seite 3 praktisch keinen Text. Das am 07.06.2024 bei der Antragsgegnerin eingegangene Fax erfüllt somit nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge, sondern erst das per Einwurf-Einschreiben übersandte und bei der Antragsgegnerin nach Einlegung des Nachprüfungsantrags eingegangene Rügeschreiben. Damit ist der Nachprüfungsantrag unzulässig Dem steht auch nicht der Einwand der Antragstellerin entgegen, die unvollständige Übermittlung bzw. der nur fragmentarische Ausdruck sei der Risikosphäre der Antragsgegnerin zuzurechnen, da sie, die Antragstellerin, alles für eine ordnungsgemäße Übermittlung Mögliche getan habe und ihr Fax-Sendebericht einen “O.K.”-Vermerk enthalte.

Da die Rüge gegenüber dem Auftraggeber zu erheben ist, ist für eine fristgemäße Rüge deren Zugang beim Auftraggeber relevant und nicht deren Absendung. Somit ist der “O.K.”-Vermerk auf dem Sendebericht der Antragstellerin irrelevant, da er nur eine Aussage dazu trifft, dass das Fax abgesandt wurde (vgl. BHG, Beschluss v. 21.07.2011 – IX ZR 148/10). Dies gilt zumindest dann, wenn der Empfänger den Zugang substantiiert bestreitet (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss v. 05.03.2010 – 19 U 213/09, und vom 31.03.2021 – 29 U 178/20). Maßgeblich für den Zugangszeitpunkt ist § 130 BGB, der zwar grundsätzlich nur für Willenserklärungen gilt, auf Rügen jedoch entsprechend angewendet wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 07.12.2011 – Verg 81/11). Danach gilt eine Rüge als zugegangen, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (vgl. Hofmann, a.a.O., Rn. 55; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 07.12.2011 – Verg 81/11). Dabei trägt der Rügende das Risiko, dass die Rüge nicht bzw. nicht vollständig zugeht (siehe zur vergleichbaren Problematik beim Zugang von Willenserklärungen: Einsele in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2021, BGB § 130, Rn. 16; Florian Faust in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB Allgemeiner Teil, EGBGB, 4. Aufl. 2021, § 130 BGB, Rn. 80). Vorliegend hat die Antragsgegnerin durch Vorlage des Fehlerberichts ihres Servers dargelegt, dass die Übermittlung des von der Antragstellerin versandten Faxes nicht vollständig erfolgt ist. Damit hat die Antragsgegnerin den Zugang des vollständigen Rügeschreibens substantiiert bestritten. Die dafür darlegungs- und beweispflichtige Antragstellerin konnte den Zugang nicht nachweisen.

Es trifft auch nicht zu, dass die Antragstellerin keine andere Möglichkeit gehabt hätte, das Rügeschreiben an die Antragsgegnerin zu übermitteln bzw. dessen korrekte Übermittlung festzustellen. So kommunizieren Behörden, Anwälte und Gerichte heute zunehmend über den sicheren Übermittlungsweg des elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP), die Antragsgegnerin z.B. über das besondere elektronische Behördenpostfach. Eine andere Übermittlungsform wäre die Übermittlung per E-Mail an die Antragsgegnerin gewesen. Schließlich wäre auch eine Rüge per Boten-/Kurierdienst-Überbringung möglich gewesen.

Zudem ist festzuhalten, dass die Antragstellerin, obwohl ihr durch das § 134-er Schreiben der Antragsgegnerin bereits am 29.05.2024 bekannt war, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden soll, die Rüge erst am Freitag, den 07.06.2024 übersandt hat. Es stellt sich hier schon allgemein die Frage, ob diese Zeitdauer zur Rügeerstellung erforderlich war, zumal der Ausschluss ihres Angebots ganz überwiegend aus denselben Gründen erfolgte wie in dem zu diesem Zeitpunkt bereits anhängigen Parallelverfahren VK 26/24-B. Sie hätte auf die Argumentation in diesem Parallelverfahren zurückgreifen können, im Übrigens sind rechtliche Ausführungen des Rügenden oder die Subsumption unter eine vergaberechtliche Norm für eine Rüge [zunächst] ohnehin nicht erforderlich (vgl. Hofmann, a.a.O., § 160 GWB, Rn. 53). Weiterhin hat die Antragstellerin die Rüge erst an einem Tag erhoben, an dem die von der Antragsgegnerin benannte Frist für die beabsichtigte Zuschlagserteilung bereits abgelaufen war, so dass eine besondere Eilbedürftigkeit aus dieser Sicht nicht vorlag. Zumindest hätte die Antragstellerin, wenn sie schon so knapp vor Einreichung des Nachprüfungsantrags die Rüge übermittelt, bei der Antragsgegnerin zur eigenen Absicherung nachfragen sollen, ob die Rüge auch vollständig eingegangen ist bzw. eine Empfangsbestätigung verlangen sollen. Der Vergabekammer ist aus eigener Erfahrung bekannt, dass z.B. Antragsteller bei knappen Fristen einen Nachprüfungsantrag vorab telefonisch ankündigen bzw. nachfragen, ob der Nachprüfungsantrag eingegangen ist.

Der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch nicht der Einwand der Antragstellerin entgegen, die Antragsgegnerin hätte die Antragstellerin aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben auf den unvollständigen Eingang des Faxes hinweisen müssen. Dabei kann offenbleiben, ob dieser Grundsatz im Vergabeverfahren Anwendung findet, da jedenfalls kein Verstoß der Antragsgegnerin gegen diesen Grundsatz erkannt werden kann.

Das Fax wurde von der Antragstellerin am 07.06.2024, d.h. einem Freitag, um 11:59 Uhr an die Antragsgegnerin gesandt. Die Antragstellerin konnte nicht davon ausgehen, dass ein Fax am Freitagnachmittag noch auf seine Vollständigkeit bzw. seinen Inhalt hin geprüft wird und ihr Rückmeldung gegeben wird. So gilt auch für Briefpost, dass ein nach Geschäftsschluss in den Briefkasten eingeworfener Brief erst am nächsten Morgen bzw. mit Wiederbeginn der Geschäftsstunden zugeht (vgl. Wiese a.a.O., 160 GWB, Rn. 122; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 07.12.2011 – Verg 81/11) und letztlich auch dann erst geprüft werden kann. Dies gilt umso mehr, als die Antragstellerin aufgrund des anhängigen Parallelverfahrens und die bis zu diesem Zeitpunkt ausgebliebene Reaktion der Antragsgegnerin auf die Rüge der Antragstellerin in diesem Verfahren unsicher geworden sein müsste, ob ihre Rüge die Antragsgegnerin überhaupt per Fax erreicht hat. Dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin mutwillig über den unvollständigen Eingang ihres Faxes im Unklaren gelassen hätte, ist eine reine Behauptung der Antragstellerin. Im Übrigen muss sich die Antragstellerin, wenn sie sich selbst auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen will, entgegenhalten lassen, dass auch sie gegen diesen Grundsatz verstoßen haben dürfte, wenn sie der Antragsgegnerin in ihrem Rügeschreiben eine Frist von nur ca. 2,5 Stunden zur Rügeabhilfe setzt.

III.

Da der Nachprüfungsantrag unzulässig ist, konnte die Vergabekammer gemäß § 166 Abs. 1 S. 3 GWB ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Im rechtlichen Hinweis der Vergabekammer vom 20.06.2024 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Vergabekammer von der Möglichkeit der Entscheidung nach Aktenlage Gebrauch zu machen beabsichtigt.

Aufgrund der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags war über dessen Begründetheit nicht mehr zu entscheiden.

IV.

Akteneinsicht war der Antragstellerin nicht zu gewähren. Der nach § 165 Abs. 1 GWB bestehende Anspruch auf Einsichtnahme in die Vergabeakten wird durch den Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens begrenzt und besteht nur bezüglich entscheidungsrelevanter Aktenbestandteile, sofern andere Möglichkeiten der Sachaufklärung nicht existieren (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 25.09.2017 – Verg 19/17; OLG Brandenburg, Beschluss v. 16.02.2012 – Verg W 1/12). Vorliegend kam es entscheidungserheblich darauf an, ob die Rüge der Antragstellerin vor Stellung des Nachprüfungsantrages beim Auftraggeber eingegangen ist. Alle zur Beantwortung dieser Frage erforderlichen Unterlagen waren den Schriftsätzen der Antragsgegnerin bzw. dem rechtlichen Hinweis der Vergabekammer als Anlagen beigefügt, so dass es einer Akteneinsicht nicht bedurfte.

V.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 182 GWB.

Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen der Vergabekammer) sind gem. § 182 Abs. 3 S. 1 GWB von der Antragstellerin zu tragen, weil sie im Verfahren unterlegen ist.

Die Pflicht zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin durch die Antragstellerin folgt aus § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.

Gemäß § 182 Abs. 1 S. 1 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammern Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Die Höhe der Gebühren bestimmt sich gem. § 182 Abs. 1 S. 2 GWB i.V.m. § 9 Abs. 1 Verwaltungskostengesetz in der am 14.08.2013 geltenden Fassung nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstandes der Nachprüfung. Der Gebührenrahmen wurde vom Gesetzgeber in § 182 Abs. 2 GWB für den Regelfall auf 2.500,- Euro bis 50.000,- Euro festgesetzt. Die Vergabekammern des Bundes haben eine Gebührenstaffel erarbeitet, die die Vergabekammern des Landes Nordrhein-Westfalen im Interesse einer bundeseinheitlichen Handhabung übernommen haben (vgl. Damaske in: Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, Kommentar, 2016, § 182, Rn. 25).

Danach orientiert sich die Gebühr der Vergabekammer an der Bruttoangebotssumme des Angebots des Antragstellers als dem für die Bewertung maßgeblichen wirtschaftlichen Interesse am Nachprüfungsverfahren. Vorliegend beläuft sich die Bruttoangebotssumme der Antragstellerin auf … Euro. Bei Anwendung der o.g. Gebührenstaffel führt dies zu einer Gebühr in Höhe von … Euro. Da die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erfolgte und sich dadurch der Verwaltungsaufwand reduziert hat, wird diese Gebühr gem. § 182 Abs. 3 S. 6 GWB aus Billigkeitsgründen um 25% reduziert, so dass eine Gebühr in Höhe von … Euro verbleibt.

VI.

(…)