von Thomas Ax
1. Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.
2. Nicht jede nicht vertragsgerechte Erfüllung ist eine mangelhafte Erfüllung. Sie muss erheblich sein. Erheblich ist die mangelhafte Leistung, wenn sie den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belastet.
3. Neben dem Vorliegen früherer Mängel ist erforderlich, dass die Mängel zu einer vorzeitigen Beendigung, Schadensersatz oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt haben.
4. Damit ein Schadensersatzanspruch oder ein anderer aus einer Pflichtverletzung resultierender Anspruch des öffentlichen Auftraggebers mit der vorzeitigen Beendigung eines Vertrags vergleichbar ist, muss der jeweilige Anspruch nicht nur entstanden, sondern auch geltend gemacht worden sein.
5. Wenn ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund vorliegt, keine oder keine ausreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen ergriffen hat, darf es bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 GWB höchstens drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden.
VK Westfalen, Beschluss vom 16.02.2024 – VK 3-47/23
In dem Nachprüfungsverfahren
wegen der Vergabe von Sicherungsdienstleistungen
(…)
hat die Vergabekammer Westfalen […] auf die mündliche Verhandlung vom 06. Februar 2024 am 16. Februar 2024
entschieden:
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, im Falle fortbestehender Vergabeabsicht die Angebotswertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu vorzunehmen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden auf ###,- € festgesetzt.
3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufgewandten Kosten der Antragstellerin.
Gründe:
I.
Mit Bekanntmachung vom 22.08.2023 schrieb die Antragsgegnerin Sicherungsdienstleistungen für […] in zwei Losen in einem europaweiten, offenen Verfahren aus. In dem hier allein streitgegenständlichen Los 2 […], für welches die Antragsgegnerin einen Auftragswert in Höhe von ###,- EUR schätzte, war einziges Zuschlagskriterium der Preis.
Die Antragsgegnerin verlangte in der Bekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen von den Bietern, unter anderem Eigenerklärungen über das Nichtvorliegen der Ausschlussgründe nach §§ 123 und 124 GWB zusammen mit dem Angebot einzureichen. Zudem forderte Sie die Unternehmen auf, den Stundenverrechnungssatz in Bestandteile aufgeschlüsselt darzustellen, und wies darauf hin, den ab Juli 2023 gültigen Beitragssatz zur Pflegeversicherung zu Grunde zu legen. Hierfür stellte sie den Bietern ein Formular zur Verfügung. Dieses sah vor, dass die Bieter zu den einzelnen Positionen des Stundenverrechnungssatzes deren Prozentsatz bezogen auf den Gesamtwert und die Höhe in Euro angeben.
Die Antragstellerin übermittelte ihr Angebot für das Los 2 fristgemäß und erklärte darin, dass Ausschlussgründe nach §§ 123 und 124 GWB für sie nicht vorlägen.
Aus der Dokumentation der Antragsgegnerin über die Prüfung der Stundenverrechnungssätze der Angebote geht hervor, dass ein Bieter nicht den aktuellen Beitragssatz zur Pflegeversicherung eingetragen hatte. In der Aufschlüsselung der Stundenverrechnungssätze ist ein geringerer Anteil von 1,53 % angegeben. Der betreffende Bieter wurde um Aufklärung gebeten, worauf dieser mitteilte, dass ihm der Fehler unterlaufen sei, die Erhöhung in der Berechnungstabelle nicht anzugleichen. Er versicherte jedoch, die Beiträge zur Pflegeversicherung gesetzeskonform abzuführen. Es wurde eine neue Aufschlüsselung bei unverändertem Stundenverrechnungssatz eingereicht; der Zuschlag für Gewinn und Wagnis wurde dabei um 0,17 % verringert. Die Antragsgegnerin lies das Angebot des Bieters zur Wertung zu.
Mit Schreiben vom 22.12.2023 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin gemäß § 134 GWB mit, dass ihr Angebot gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ausgeschlossen worden sei. Konkret begründete die Antragsgegnerin den Ausschluss damit, dass in einem früheren öffentlichen Auftrag der Antragsgegnerin “aufgrund von Schlechtleistungen und weiteren Mängeln für die Dienstleistung Sicherheitsdienst bei Veranstaltungen im […]” die Antragstellerin “teilgekündigt” wurde. Der Zuschlag im vorliegenden Vergabeverfahren solle auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden. Hintergrund ist, dass die Antragstellerin bereits in den Jahren 2019 bis 2023 vertraglich mit der Durchführung des Sicherheitsdienstes bei Veranstaltungen im […] beauftragt war. Eine dieser Veranstaltungen war das […]. Infolgedessen ist es zu einer vertraglichen Änderung im November 2019 gekommen.
Die Antragstellerin rügte ihren Ausschluss mit Schreiben vom 27.12.2023. Eine Reaktion der Antragsgegnerin auf die Rüge erfolgte vor dem 02.01.2024 nicht. Die Antragstellerin hat am 29.12.2023 ihren Nachprüfungsantrag gestellt.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass die von der Antragsgegnerin genannte Grundlage des Ausschlusses ins Leere gehe.
Die Antragstellerin räumt ein, dass es bei der früheren Ausführung des Veranstaltungsschutzes im […] Mängel gegeben habe. Schon aus eigenem Interesse habe die Antragstellerin daraufhin ein Selbstreinigungsverfahren durchgeführt.
So habe man sich vom damaligen Einsatzleiter getrennt. Ein weiterer Mitarbeiter gehöre dem Bereich Veranstaltungen nicht mehr an. Veranstaltungen würden seitdem von einem anderen Mitarbeiter geleitet. Die Antragstellerin habe zudem einen Ablaufschulungsplan für Veranstaltungen erstellt, der individuell für die einzelne Veranstaltung geändert werde und unbedingt beachtet werden müsse.
Diese Maßnahmen habe sie jedoch nicht als Selbstreinigungsmaßnahmen in dieser Ausschreibung aufgeführt, da die Antragstellerin davon ausging, dass der zulässige Zeitraum für einen Ausschluss nach § 124 Abs. 2 Nr. 7 GWB gemäß § 126 Abs. 1 GWB abgelaufen sei. Dieser betrage drei Jahre. Er beginne ab dem betreffenden Ereignis, welches im Jahre 2019 geschehen sei. Als Folge hieraus habe die Antragstellerin eine Änderungsvereinbarung mit der Antragsgegnerin im November 2019 getroffen. Demgemäß habe der Zeitraum für die Berücksichtigung dieses Ereignisses, und damit die Möglichkeit einen Vergabeausschluss darauf zu stützen, mit Beginn des Monats Dezember des Jahres 2022 geendet.
Der Rechtsgedanke des § 126 Nr. 2 GWB sei bei der Begründung der Antragsgegnerin nicht berücksichtigt worden. Damit sei der Ausschluss der Antragstellerin rechtsfehlerhaft.
Die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Inhalte der informellen Gespräche zu Vorkommnissen, die die Antragsgegnerin als Schlechtleistung bewerte, erfüllten jedoch nicht die Voraussetzungen, den Zeitraum für den Ausschluss zu verschieben. Das Gesetz schreibe ein “Ereignis” vor, das als ein berechtigter Ausschlussgrund gegeben sein müsse. Die Antragsgegnerin habe sich in ihrem Absageschreiben eindeutig auf die Teilkündigung berufen. Das Nachschieben von Gründen sei nicht möglich. Darüber hinaus liege auch kein weiteres “Ereignis” vor.
Im Übrigen halte es die Antragstellerin für bedenklich, dass – wie aus der Vergabedokumentation ersichtlich – die Einreichung von Kalkulationsblättern über Stundenverrechnungssätze des Angebotes eines weiteren Bieters nicht zum Ausschluss aus dem Vergabeverfahren geführt hätte. Die abgegebene Kalkulation habe nicht den aktuellen Beitragssatz zur Pflegeversicherung enthalten. Durch die Verringerung des Gewinn- und Wagniszuschlags sei einer Nachbesserung der Kalkulationsaufschlüsselung stattgegeben worden. Hätte die Antragsgegnerin tatsächlich die Einpreisung von eindeutig geforderten Aufwendungen der Sozialversicherungsbeiträge in dieser Art und Weise zugestimmt, so läge ein vergaberechtswidriger Angebotsvorteil für diesen Bieter vor.
Die Antragstellerin beantragt,
1. der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag in dem Vergabeverfahren zu Los 2 auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen,
2. der Antragsgegnerin für den Fall fortbestehender Vergabeabsicht aufzugeben, die Angebotswertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu vorzunehmen,
3. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, dass der Nachprüfungsantrag unbegründet sei. Der Ausschluss der Antragstellerin sei rechtmäßig gewesen, es liege kein Verstoß gegen vergaberechtliche Grundsätze vor.
Seit dem 01.02.2019 wäre die Antragstellerin mit der Durchführung des Sicherheitsdienstes bei Veranstaltungen im […] beauftragt gewesen. Der Vertrag zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin sei zum 31.03.2023 ausgelaufen. Die letzte von der Antragstellerin begleitete Veranstaltung sei am 12.11.2022 erfolgt. Im Jahr 2023 habe die Beigeladene für drei Monate interimsweise die Sicherheitsdienstleistungen übernommen. Aktuell seien erst wieder Veranstaltungen im Frühjahr 2024 geplant.
Das Angebot der Antragstellerin sei gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ausgeschlossen worden, da diese eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich und fortdauernd mangelhaft erfüllt habe. Hintergrund sei gewesen, dass mit der Antragstellerin aufgrund von Schlechtleistungen und weiteren Mängeln für die Dienstleistung Sicherheitsdienst bei Veranstaltungen im […] im November 2019 ein Änderungsvertrag habe geschlossen werden müssen. Dieser Änderungsvertrag sei notwendig geworden, nachdem bei der Veranstaltung “[…]” massive Mängel bei der Durchführung der Sicherheitsleistung festgestellt worden seien, die eine Schadensersatzforderung der Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin nach sich gezogen habe. Auch in der Folgezeit habe sich die mangelhafte Auftragserfüllung durchgezogen.
Die Antragstellerin habe nach Ansicht der Antragsgegnerin bei 9 von 11 Veranstaltungen nicht ordnungsgemäß geleistet. Hierzu habe sie auch eine Dokumentation erstellt. Eine etwaige Übermittlung dieser Dokumentation oder entsprechender Schreiben an die Antragstellerin konnte von der Antragsgegnerin nicht dargelegt werden.
Eine vollständige Kündigung des Vertragsverhältnisses im Jahr 2022 sei nicht erfolgt, da der Vertrag praktisch mit dem Ende der Saison 2022 ausgelaufen sei. In der mündlichen Verhandlung räumte die Antragsgegnerin zudem ein, dass hinsichtlich der als Schlechtleistung bewerteten Auftragsausführung der Antragsgegnerin aber kein Schadensersatz oder eine vergleichbare Rechtsfolge ergriffen wurde.
Der Nachprüfungsantrag sei dennoch unbegründet, da die im Jahr 2019 erfolgte Kündigung der Sicherheitsdienstleistungen für das “[…]” nicht alleinige Grundlage für den Ausschluss gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB gewesen sei. Die vorzeitige Beendigung sei lediglich als Grundlage für die Prognose zur Beurteilung der Eignung des Unternehmens bei der aktuellen Ausschreibung dieser Leistung herangezogen worden. Sie sei somit als Teilaspekt lediglich miteingeflossen. Maßgeblich für diese Prognoseentscheidung seien die Schlechtleistungen der Folgejahre bei den Sicherheitsdienstleistungen im […] gewesen, die sich bis zum Ablauf des Vertrags gezogen hätten. Auch nach erneuter Ausübung des Ermessens könne keine positive Prognose gestellt werden.
Die Kammer nimmt Bezug auf die Vergabeakten, die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten und deren Ausführungen in der am 06.02.2024 stattgefundenen mündlichen Verhandlung, sowie die rechtlichen Hinweise der Kammer vom 26.01.2024. Am 23.01.2024 hat die Kammer die Beiladung beschlossen. Die Entscheidungsfrist nach § 167 Abs. 1 GWB wurde durch Entscheidung des Vorsitzenden bis zum 29.02.2024 verlängert.
II.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
Die Zuständigkeit der Vergabekammer Westfalen ergibt sich aus § 156 GWB i. V. m. § 2 Abs. 2 VK ZuStV NRW, weil die Antragsgegnerin ihren Sitz in […] (Regierungsbezirk […]) und damit im Zuständigkeitsbereich der Vergabekammer Westfalen hat.
Die Antragsgegnerin ist eine Gebietskörperschaft und damit öffentlicher Auftraggeber i. S. v. § 99 Nr. 1 GWB. Der Auftragswert liegt mit von der Antragsgegnerin geschätzten ###,- EUR schon für Los 2 gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB oberhalb des für die Zuständigkeit der Kammer erforderlichen Schwellenwertes.
Nach § 160 Abs. 2 GWB ist jedes Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Sie hat ihr Interesse an dem Auftrag hinreichend, durch die Abgabe eines Angebots für Los 2 belegt. Ebenfalls legt die Antragstellerin dezidiert dar, in ihren Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften verletzt zu sein und dass ihr ein Schaden droht, da der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden soll.
Der Nachprüfungsantrag ist auch nicht unzulässig gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB. Danach ist der Antrag unzulässig, soweit der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat.
Die Antragstellerin hat den geltend gemachten Verstoß vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 GWB gegenüber der Antragsgegnerin gerügt. Die Rüge datiert vom 27.12.2023, nachdem die Antragsgegnerin die Antragstellerin am 22.12.2023 gemäß § 134 Abs. 1 GWB informiert hatte. Da bereits am 02.01.2024 der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladene drohte, war der Antragstellerin ein Zuwarten auf die Rügeantwort nicht zumutbar und die Stellung des Nachprüfungsantrags am 29.12.2023 zulässig.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.
Der Ausschluss der Antragstellerin ist rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB. Umstände, die der Antragsgegnerin einen rechtmäßigen Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ermöglichen, liegen nicht vor.
2.1. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin rechtswidrig ausgeschlossen.
Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat, § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB. Wenn ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund vorliegt, keine oder keine ausreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 ergriffen hat, darf es bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 höchstens drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, § 126 Nr. 2 GWB.
Eine mangelhafte Erfüllung im Sinne von § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ist jede nicht vertragsgerechte Erfüllung. Erheblich ist diese, wenn die mangelhafte Leistung den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belastet (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.03.2018 – Verg 49/17).
Neben dem Vorliegen früherer Mängel ist für das Eingreifen dieses Ausschlussgrundes erforderlich, dass die Mängel zu einer vorzeitigen Beendigung, Schadensersatz oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt haben. Eine Rechtsfolge muss, um eine vergleichbare Rechtsfolge im Sinne dieser Vorschrift zu sein, nicht zu einer vorzeitigen vollständigen Beendigung des Vertragsverhältnisses führen, sie muss aber hinsichtlich ihres Schweregrades mit einer vorzeitigen Beendigung oder Schadensersatz vergleichbar sein. Als vergleichbare Rechtsfolge kommt beispielsweise eine Ersatzvornahme in Betracht, aber auch das Verlangen nach umfangreichen Nachbesserungen kann unter Umständen eine vergleichbare Rechtsfolge sein (Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/6281, S. 107).
Damit ein Schadensersatzanspruch oder ein anderer aus einer Pflichtverletzung resultierender Anspruch des öffentlichen Auftraggebers mit der vorzeitigen Beendigung eines Vertrages vergleichbar ist, muss der jeweilige Anspruch demnach nicht nur entstanden, sondern auch geltend gemacht worden sein. Ein Ausschluss eines Unternehmens vom Vergabeverfahren aufgrund von § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB, bei dem sich der öffentliche Auftraggeber auf etwaige zurückliegende Vertragspflichtverletzungen des Unternehmens beruft, ohne dass Ansprüche durch den Auftraggeber geltend gemacht oder der Auftrag vorzeitig beendet wurde, erfüllt die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB somit nicht. Andererseits muss der öffentliche Auftraggeber jedoch nicht durch eine rechtskräftige Entscheidung einer Zivilkammer nachweisen, dass er Ansprüche geltend gemacht und durchgesetzt hat. Ausreichend ist vielmehr, dass er konkrete Indizien von einigem Gewicht für die Geltendmachung seiner Ansprüche vorweisen kann (vgl. dazu OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017 – 13 Verg 9/16).
2.1.1. Der zulässige Zeitraum für einen Ausschluss ist gemäß § 126 Nr. 2 GWB abgelaufen.
Aus der Mitteilung der Antragsgegnerin gemäß § 134 GWB vom 22.12.2023 geht hervor, dass die Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ausgeschlossen wurde. Konkret heißt es dort:
“aufgrund von Schlechtleistungen und weiteren Mängeln für die Dienstleistung Sicherheitsdienst bei Veranstaltungen im […] wurde Ihr Unternehmen teilgekündigt.”
Die Antragsgegnerin stützt den Ausschluss somit ausdrücklich auf die aus ihrer Sicht erfolgte “Teilkündigung”, die infolge der “Schlechtleistung zum […]” zum Jahresende 2019 vorgenommen wurde. Nur diese mangelhafte Erfüllung, die die Antragstellerin im Wesentlichen einräumt, zu Grunde gelegt, endete der Zeitraum für den Ausschluss von der Teilnahme an Vergabeverfahren im Sinne von § 126 Nr. 2 GWB spätestens mit Ablauf des Jahres 2022. Damit reicht dieses – isoliert betrachtet – einzelne Ereignis als Begründung für den Ausschluss im streitgegenständlichen Vergabeverfahren nicht (mehr) aus, da mehr als drei Jahre seit dem betreffenden Ereignis verstrichen sind. Mithin durfte die Antragsgegnerin den Ausschluss der Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB hierauf schon nicht stützen.
2.1.2. Es fehlt eine vorzeitige Beendigung, Schadensersatz oder eine vergleichbare Rechtsfolge im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB.
Ob hier überhaupt Schlechtleistungen in den Jahren 2021 und 2022 von der Antragstellerin erbracht wurden ist zwischen den Verfahrensbeteiligten bereits streitig. Selbst wenn die Kammer hier, wie von der Antragsgegnerin vorgetragenen, davon ausgeht, dass auch nach der Teilkündigung fortdauernde Schlechtleistungen der Antragstellerin bis ins Jahr 2022 erfolgt sind, fehlt es in jedem Fall an einer in § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB geforderten Rechtsfolge (vorzeitigen Beendigung, Schadensersatz oder vergleichbare Rechtsfolge). So führt die Antragsgegnerin selbst aus: “Eine vollständige Kündigung des Vertragsverhältnisses im Jahr 2022 ist nicht erfolgt, da der Vertrag praktisch mit dem Ende der Saison 2022 ausgelaufen ist.” In der mündlichen Verhandlung bestätigt die Antragsgegnerin darüber hinaus, dass weder eine Kündigung, eine Schadensersatzforderung noch eine vergleichbare Rechtsfolge gegenüber der Antragstellerin geltend gemacht wurde. Auch sie selbst ist der Ansicht, dass eine – tatbestandlich erforderliche – Rechtsfolgensetzung im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB unterblieben ist. Das bloße “Auslaufenlassen” des bestehenden Vertrages erfüllt die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB nicht.
Ob eine berücksichtigungsfähige Schlechtleistung nach der Teilkündigung Ende 2019 überhaupt vorliegt, ist damit ohne Belang, da es zumindest an der Setzung einer Rechtsfolge im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB fehlt.
Da zusammenfassend festzustellen ist, dass bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB nicht vorliegen, bedarf es einer Überprüfung der weiteren Tatbestandmerkmale und Ermessenserwägungen nicht.
2.2. Vorsorglich weist die Kammer auf die folgenden Aspekte hin, die die Antragsgegnerin bei fortbestehender Vergabeabsicht im Rahmen der erneuten Angebotswertung berücksichtigen sollte.
Gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV werden Angebote von der Wertung ausgeschlossen, die nicht die erforderlichen Preisangaben enthalten, es sei denn, es handelt sich um unwesentliche Einzelpositionen, deren Einzelpreise den Gesamtpreis nicht verändern oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigen.
Das OLG Düsseldorf führt in diesem Zusammenhang in einer jüngeren Entscheidung sinngemäß aus (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.03.2019 – Verg 42/18):
“Es werden unterschiedliche Ansichten dazu vertreten, ob und unter welchen Voraussetzungen ein versehentlich falsch angegebener Preis nach Angebotsöffnung korrigiert werden kann. Teilweise wird bei offensichtlichen preislichen Falschangaben eine Berichtigung für zulässig gehalten und ein Verstoß gegen das Nachverhandlungsverbot (§ 15 Abs. 5 VgV; Anmerkung der Kammer) verneint. Teilweise wird eine Berichtigung von “falschen” Preisen oder auch gemäß § 119 Abs. 1 BGB wegen Erklärungsirrtums anfechtbaren Preisen abgelehnt. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass eine Klarstellung des Angebotsinhalts zulässig, hingegen eine nachträgliche Änderung des Angebots durch das Einfügen eines neuen Preises unstatthaft ist. Von einer zulässigen Klarstellung des Angebotsinhalts ist auszugehen, wenn der tatsächlich gemeinte (richtige) Preis durch Auslegung des Angebotsinhalts gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln ist. Sind Nachforschungen über das wirklich Gewollte beim Bieter erforderlich, sind diese Anforderungen nicht erfüllt. Anderenfalls hätte es der Bieter in der Hand, den angebotenen Preis nachträglich gegen einen anderen auszutauschen. Bei der Auslegung ist dabei maßgeblich darauf abzustellen, wie der Empfänger das Angebot im Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung verstehen musste. Nachträgliches Verhalten oder Willensbekundungen einer Partei sind bei der Auslegung von Rechtsgeschäften nur insoweit berücksichtigungsfähig, als sie Rückschlüsse auf den tatsächlichen Willen und auf das Verständnis des Erklärungsempfängers im Zeitpunkt des Zugangs zulassen.”
Infolgedessen sieht die Kammer nach vorläufiger Prüfung die aus den Vergabeunterlagen ersichtlichen Änderungen in den zu einem Angebot eines Bieters eingereichten Kalkulationsdatenblättern der Stundenverrechnungssätze als unzulässig an, unabhängig davon, dass eine Entscheidung im vorliegenden Nachprüfungsverfahren entbehrlich ist.
2.3. Die Antragstellerin ist in ihren Rechten verletzt.
Nach § 168 Abs. 1 GWB entscheidet die Kammer darüber, ob die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Aufgrund des rechtswidrigen Ausschlusses des Angebots der Antragstellerin ist sie in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Indem ihr Angebot aus dem Wettbewerb entfernt wurde, vereitelte die Antragsgegnerin die Chancen der Antragstellerin, auf ihr Angebot den Zuschlag zu erhalten.
2.4. Gemäß § 168 Absatz 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei an die Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Die Anträge haben keine den Streitgegenstand umgrenzende Funktion (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.01.2019 – Verg 30/18). Unter mehreren möglichen Maßnahmen zur Beseitigung muss sich die Vergabekammer für diejenige entscheiden, die die Interessen der Beteiligten am wenigsten beeinträchtigen (vgl. statt vieler: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019 – Verg 13/19).
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall zu verpflichten, im Falle fortbestehender Vergabeabsicht das Verfahren in den Stand vor Angebotswertung zurückzuversetzen und diese unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut vorzunehmen.
III.
1. Die Kosten des Verfahrens werden auf ###,- EUR festgesetzt.
Gemäß § 182 Abs. 1 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammern Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Das Verwaltungskostengesetz vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung findet Anwendung. Für die Berechnung der Verfahrensgebühr zieht die Kammer die Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes und der Länder heran (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.01.2005, VII-Verg 30/05). Maßgeblich für die Berechnung der Gebühr ist grundsätzlich die streitbefangene Auftragssumme (vgl. BGH, Beschl. v. 25.10.2011, X ZB 5/10). Ausgehend von einer Auftragssumme von ###,- EUR wäre vorliegend ein Wert von ###,- EUR als Verfahrensgebühr zu Grunde zu legen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer Westfalen, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufgewandten Kosten der Antragstellerin zu tragen.
Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er die Kosten zu tragen, § 182 Abs. 3 S. 1 GWB. Hier unterliegt die Antragsgegnerin, womit ihr die Verfahrensgebühr aufzuerlegen war. Zudem hat der im Nachprüfungsverfahren Unterliegende auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu tragen, § 182 Abs. 4 S. 1 GWB. Über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten ist von der Kammer mangels Mandatierung eines solchen nicht zu entscheiden.
3. Die Beigeladene hat keine eigenen Anträge gestellt und bleibt bei der Kostenentscheidung unberücksichtigt.
4. Die Antragsgegnerin ist im vorliegenden Verfahren von der Zahlung der Gebühren gem. § 182 Abs. 1 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG befreit.
Rechtsmittelbelehrung
(…)