von Thomas Ax
Es sprechen von Ausnahmen abgesehen gewichtige Gründe dafür, Anträge, die sich als vorbeugende Unterlassungsanträge darstellen, nicht der Sonderzuständigkeit der VK zu unterwerfen. Dies gilt jedenfalls für die Fälle, in denen nicht einmal ein bestimmter Beschaffungsbedarf feststeht. Die Zuweisung der ausschließlichen Zuständigkeit für die Nachprüfung in Vergabesachen beschränkt sich auf Fälle, denen ein konkretes Vergabeverfahren zugrunde liegt. Ohne Bezug auf ein konkretes Vergabeverfahren stellt sich ein Nachprüfungsantrag nicht als Antrag auf Nachprüfung dar, sondern bezieht sich auf das zukünftige Beschaffungsverhalten der VSt. Ein Vergabenachprüfungsverfahren ist nur zulässig, wenn der Antragsteller die Verletzung subjektiver Rechte in einem bereits begonnenen Vergabeverfahren geltend macht. Die Vorschriften der §§ 156 ff GWB gewähren keinen vorbeugenden Rechtsschutz gegen mögliche Vergaberechtsverstöße in einem künftigen Vergabeverfahren. Jedwede vorbeugende, nicht in einem Vergabeverfahren ergehende und auf ein künftiges Beschaffungsverhalten des Auftraggebers gerichtete Entscheidung ist der Vergabekammer (sowie dem Beschwerdegericht) untersagt. Ein Vergabeverfahren beginnt erst, wenn der Auftraggeber eine nach außen gerichtete Maßnahme ergreift, die der Umsetzung einer internen Beschaffungsentscheidung durch Vertragsschluss mit einem externen Unternehmen dient. Wenn der ASt für den Fall der weiteren Bedarfsdeckung der VSt zukünftigen Vergabeverstößen in Form von verweigerten Ausschreibungen entgegenwirken will, begehrt er damit vorbeugenden Rechtsschutz. Ein derartiger Anspruch, den die Verwaltungsgerichte aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB (in analoger Anwendung) hergeleitet haben und der Rechtsschutz gegen drohende rechtswidrige Eingriffe in geschützte Rechtsgüter bzw. Rechtspositionen gewährt, kann sich auch gegen öffentliche Auftraggeber richten, die sich im Wiederholungsfall nachdrücklich weigern, ihrer Verpflichtung zur Vergabe nach den Regeln des Vergaberechts nachzukommen. Der Anspruch auf Unterlassung von Vergaberechtsverstößen bei zukünftigen -noch nicht als Beschaffungsvorgang zu kennzeichnenden- Vergaben ist aus der Zuständigkeit der VK herauszunehmen und den ordentlichen Gerichten zuzuordnen. Dann entsteht wegen § 13 GVG auch keine konkurrierende Gerichtsbarkeit.
Für den Beginn eines materiellen Vergabeverfahrens und den Beginn der Zuständigkeit der VK ist es aber umgekehrt dann schon ausreichend, dass sich der öffentliche Auftraggeber zur Deckung eines bestimmten Bedarfs intern entschlossen und mit dem Ziel eines Vertragsschlusses mit organisatorischen oder planerischen Schritten zur Durchführung des Beschaffungsvorgangs begonnen hat. Dies ist dann der Fall, wenn ein Auftraggeber beispielsweise Angebote einholt, Bietergespräche geführt oder sogar bereits gewertet und sich für ein Angebot entschieden hat. Dabei trifft den Antragsteller die Darlegungs- und Beweislast. Denn er beruft sich auf ihn günstige Tatsachen, wobei im Rahmen der Zulässigkeit die Anforderungen an die Darlegung auch nicht überspannt werden dürfen. Nicht erforderlich ist insbesondere, dass der Antragsteller positive Kenntnis von den als Tatsachen behaupteten Umständen hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Bieter von Sachverhalten, die sich in der Sphäre der Vergabestelle abspielen, keine Kenntnis hat. Er darf deshalb auch das behaupten, was er aus seiner Sicht für wahrscheinlich oder möglich hält. Die Sachverhaltsdarstellung hat aber doch so konkret zu sein, dass sich hieraus substantiiert und schlüssig die Verletzung von Vergabevorschriften ergibt. Hierbei muss der Antragsteller zumindest in laienhafter Darstellung die Indizien und tatsächlichen Anhaltspunkte aufzeigen. Die alleinige Bezugnahme auf „vorprozessuale“ Schriftsätze oder Anlagen ist unzulässig. Es ist nicht Aufgabe der Vergabekammer, einen relevanten Sachvortrag aus Anlagen zu ermitteln. Dabei unterliegen die Beteiligten auch der Mitwirkungs- und Verfahrensförderungspflicht nach § 167 Abs. 2 S. 1 GWB. Rechte aus § 97 Abs. 6 sowie sonstige Ansprüche gegen öffentliche Auftraggeber, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind, können nur vor den Vergabekammern und dem Beschwerdegericht geltend gemacht werden, § 156 Abs. 2 GWB. Fraglich ist, ob diese Vorschrift auch den hier in Rede stehenden vorbeugenden Unterlassungsanspruch erfasst. In der Kommentarliteratur ist diese Rechtsfrage umstritten. Einerseits wird die Einbeziehung vorbeugenden Rechtsschutzes mit unterschiedlicher Begründung befürwortet.
Erdl (Der neue Vergaberechtsschutz, Baurechtl. Schriften, Bd. 49, 1999, Rdnr. 486)
weist daraufhin, dass wegen des Zusammenfallens von Zuschlag und Vertragsschluss Rechtsschutz vor drohenden Schädigungen nur lückenlos gewährt werden kann, wenn vorbeugende Unterlassungsansprüche bestehen. § 97 Abs. 7 GWB sei daher richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass damit auch vorbeugende Unterlassungsansprüche begründet werden.
Boesen (Vergaberecht, 1. Aufl. 2000, § 104 Rdnr. 11 u. 14)
vertritt die Ansicht, dass mit der Regelung eine Umgehung der ausschließlichen Rechtswegzuweisung und ein paralleler primärer Rechtsschutz durch die Zivilgerichte verhindert werden soll. In concreto soll damit der Fall ausgeschlossen werden, dass ein Bieter vor den Zivilgerichten im Wege der einstweiligen Verfügung vorbeugenden und vorläufigen Rechtsschutz gegen die drohende Zuschlagserteilung geltend macht.
Nach
Kus (in: Niebuhr/Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum Vergaberecht, 2000, Rdnr. 6 zu § 102)
ist Schadensersatz auch in Form eines vorbeugenden Unterlassungsanspruchs denkbar, so dass auf diesem Weg letztlich wieder Primärrechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten bei einem einstweiligen Verfügungsanspruch auf Unterlassung, z.B. der Zuschlagserteilung begehrt werden könnte. Diese Möglichkeit sollte nach dem Willen des Gesetzgebers ausgeschlossen werden, so dass vorbeugender Rechtsschutz ausschließlich vor den Vergabekammern zu erheben ist.
Demgegenüber stellt allerdings
Portz (an gleicher Stelle zu § 107, Rdnr. 19)
darauf ab, inwieweit der Antragsteller ein konkretes Interesse am Auftrage geltend machen kann. Die Befürworter haben dabei grundsätzlich das Problem, dass wegen der Formulierung des § 107 Abs. 2 GWB aF auch die Voraussetzungen für die Antragsbefugnis „nachgebessert“ werden müssten
(vgl. z.B. Erdl a.a.O. Rdnr. 510).
Andererseits weisen einige Autoren unter Hinweis auf das Erfordernis des konkreten Vergabeverfahrens die Geltendmachung von vorbeugendem Rechtsschutz den Zivilgerichten zu. So ist nach
Korbion (VergaberechtsänderungsG, 1. Aufl. 1999 § 104 Rdnr. 3)
die Zuständigkeit der Vergabekammern ausschließlich für Ansprüche gegeben, die mit laufenden oder vorzeitig abgebrochenen Vergabeverfahren zusammenhängen.
Leinemann (Leinemann/Weihrauch, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, 1999, Rdnr. 516)
vertritt die Ansicht, dass zwar in der Gesetzesbegründung ausdrücklich
(BT-Drucks.13/9340, S. 17, zu § 117)
hervorgehoben sei, dass die Vergabekammer auch dann angerufen werden kann, wenn der Auftraggeber gar kein Vergabeverfahren durchgeführt hat, obwohl eine Ausschreibung hätte erfolgen müssen. Allerdings würde dieser Fall nach dem Willen des Gesetzgebers
(zu § 117, Abs. 2 S. 3)
nur dann greifen, wenn die Vergabe noch nicht abgeschlossen ist.
Reidt (in Reidt, Stickler, Glahs, Kommentar zum Vergaberecht, § 104 Rdnr. 17)
verneint die ausschließliche Zuständigkeit der Vergabekammern damit, dass Rechtsschutz durch die Vergabekammer nur im oder im Vorfeld eines konkreten Vergabeverfahrens gewährt werde, nicht jedoch außerhalb eines solchen, z.B. nach einem Zuschlag oder nach einem vollständig unterlassenen Vergabeverfahren.
Nach Auffassung von
Gronstedt (in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 104 Rdnr. 577)
ist für einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch im Hinblick auf zukünftige Vergabeverfahren zunächst der ordentliche Rechtsweg gegeben. Denn der Unterlassungsantrag sei nicht auf eine Handlung im laufenden Vergabeverfahren gerichtet, und somit würde die abdrängende Sonderzuweisung nicht eingreifen.
Byok (in: Byok/Jaeger, § 107 Rdnr. 676)
vertritt die Auffassung, dass nicht ausdrücklich ausgeschlossen sei, auch einen Nachprüfungsantrag schon vor Beginn eines Vergabeverfahrens zu stellen. Das Gesetz treffe dazu keine klare Regelung. Vorbeugender Rechtsschutz sei (nur) in den Fällen denkbar, in denen ein bestimmter Beschaffungsbedarf eines Auftraggebers feststehe und schon im Vorfeld zu einem Vergabeverfahren die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften befürchtet werden müsse. Soweit die Unvereinbarkeit des Vergabeverhaltens mit den Verdingungsverordnungen einen Verstoß gegen § 1 UWG begründe, sei der Anspruch schon wegen der Formulierung des § 107 Abs. 2 GWB aF dem Verfahren vor den Vergabekammern entzogen
(Byok, Rechtsweg bei wettbewerbsrechtlichen Verstößen durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften, WRP 1999, S. 402ff. (403)).
Auch der vorbeugende Unterlassungsanspruch, da er sich nicht auf die Unterlassung in einem konkreten Verfahren richte, gehöre mit Blick auf Sinn und Zweck des Nachprüfungsverfahrens vor die Zivilgerichte
(Byok a.a.O. S. 404).
Es sprechen aus unserer Sicht von Ausnahmen abgesehen gewichtige Gründe dafür, Anträge, die sich als vorbeugende Unterlassungsanträge darstellen, nicht der Sonderzuständigkeit der VK zu unterwerfen.
Dies gilt jedenfalls für die Fälle, in denen nicht einmal ein bestimmter Beschaffungsbedarf feststeht.
Die Rechtsprechung kommt zu demselben Ergebnis mit den folgenden Überlegungen:
Eine Rügeobliegenheit könne beim Bieter wegen des ausgeschlossenen vorbeugenden Rechtsschutzes frühestens mit dem Begehen des Vergabeverstoßes entstehen. Interne Vorüberlegungen, interne alternative Konzepte oder vergleichende Betrachtungen usw., stellten noch keinen Vergaberechtsverstoß dar. Gerügt werden könne ein Verhalten des öffentlichen Auftraggebers erst dann, wenn dadurch ein Wille geäußert werde, der Rechtswirkungen entfalten könne.
VK Münster, VK 5/06
Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens seien Handlungen und Entscheidungen eines öffentlichen Auftraggebers in einem laufenden Vergabeverfahren. Vorbeugender Rechtsschutz gegen vermutete Vergaberechtsverstöße in einem künftigen Vergabeverfahren werde nicht gewährt. Die bloße Absichtsbekundung gegenüber dem derzeitigen Leistungserbringer, den nach Ablauf bestehender Verträge weiterhin gegebenen Bedarf – möglicherweise anders als früher – in einem förmlichen Vergabeverfahren decken zu wollen, sei noch keine Einleitung eines der Nachprüfung zugänglichen Vergabeverfahrens (im materiellen Sinne).
OLG Koblenz, Vergabesenat, 1 Verg 7/14
Nach den Vorschriften der §§ 156 ff. GWB gebe es keinen vorbeugenden Rechtsschutz gegen möglicher Vergaberechtsverstöße in einem künftigen Vergabeverfahren. Wolle sich der Antragsteller darauf berufen, dass eine de-facto-Vergabe drohe, müsse er dies substantiiert darlegen. Eine Entscheidung der Vergabekammer, dem Auftraggeber Vorgaben für ein in der Zukunft liegendes Verhalten zu machen, würde einen schwerwiegenden Fehler beinhalten, der zur Nichtigkeit der Entscheidung führte.
VK Baden-Württemberg, 1 VK 35 / 17
Für den Beginn eines materiellen Vergabeverfahrens sei es daher dann schon ausreichend, dass sich der öffentliche Auftraggeber zur Deckung eines bestimmten Bedarfs intern entschlossen und mit dem Ziel eines Vertragsschlusses mit organisatorischen oder planerischen Schritten zur Durchführung des Beschaffungsvorgangs begonnen habe.
VK Lüneburg, Beschluss vom 18.07.2014 – VgK-19/2014 mwN
Die Zuweisung der ausschließlichen Zuständigkeit für die Nachprüfung in Vergabesachen beschränkt sich auf Fälle, denen ein konkretes Vergabeverfahren zugrunde liegt. Die Formulierung in dem Relativsatz „die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind“ spricht für den Bezug zu einem konkreten bereits begonnenen Verfahren:
„Der Antrag war als unzulässig zurückzuweisen. Der Antragstellerin fehlt es an der Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB. Denn der Antrag der Antragstellerin zielt darauf ab, der Antragsgegnerin bereits jetzt für den Fall der Ausschreibung der restlichen Leistungen des Loses 8 ein bestimmtes Verhalten nur unter der Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer vorzugeben. Einen solches Rechtsschutzziel ist aber durch den Vierten Teil des GWB nicht vorgesehen. Denn ein Vergabenachprüfungsverfahren ist nur zulässig, wenn der Antragsteller die Verletzung subjektiver Rechte in einem bereits begonnenen Vergabeverfahren geltend macht. Die Vorschriften der §§ 156 ff GWB gewähren keinen vorbeugenden Rechtsschutz gegen mögliche Vergaberechtsverstöße in einem künftigen Vergabeverfahren (VK Lüneburg, Beschluss vom 18.07.2014 – VgK-19/2014). Jedwede vorbeugende, nicht in einem Vergabeverfahren ergehende und auf ein künftiges Beschaffungsverhalten des Auftraggebers gerichtete Entscheidung ist der Vergabekammer (sowie dem Beschwerdegericht) untersagt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.03.2014, Verg 11/14). Ein Vergabeverfahren beginnt erst, wenn der Auftraggeber eine nach außen gerichtete Maßnahme ergreift, die der Umsetzung einer internen Beschaffungsentscheidung durch Vertragsschluss mit einem externen Unternehmen dient (VK Lüneburg aaO, Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 155, Rn. 19). Das Rechtschutzbedürfnis ist ebenfalls in den Fällen anzunehmen, in denen ein Auftraggeber zu Unrecht kein Vergabeverfahren durchführt. Wenn stattdessen dennoch eine Auftragserteilung erfolgen soll oder eingeleitet worden ist, führt dies aufgrund von § 135 Abs. 2 GWB zur Zulässigkeit des Antrags. Anderenfalls bestünde für einen potentiellen Bieter kein Primärrechtsschutz gegen Direktvergaben. Für den Beginn eines materiellen Vergabeverfahrens ist es daher dann schon ausreichend, dass sich der öffentliche Auftraggeber zur Deckung eines bestimmten Bedarfs intern entschlossen und mit dem Ziel eines Vertragsschlusses mit organisatorischen oder planerischen Schritten zur Durchführung des Beschaffungsvorgangs begonnen hat (VK Lüneburg, Beschluss vom 18.07.2014 – VgK-19/2014 mwN). Dies ist dann der Fall, wenn ein Auftraggeber beispielsweise Angebote einholt, Bietergespräche geführt oder sogar bereits gewertet und sich für ein Angebot entschieden hat (VK Lüneburg aaO). Dabei trifft den Antragsteller die Darlegungs- und Beweislast. Denn er beruft sich auf ihn günstige Tatsachen, wobei im Rahmen der Zulässigkeit die Anforderungen an die Darlegung auch nicht überspannt werden dürfen. Nicht erforderlich ist insbesondere, dass der Antragsteller positive Kenntnis von den als Tatsachen behaupteten Umständen hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Bieter von Sachverhalten, die sich in der Sphäre der Vergabestelle abspielen, keine Kenntnis hat. Er darf deshalb auch das behaupten, was er aus seiner Sicht für wahrscheinlich oder möglich hält (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.08.2016, 1 VK 29/16).
Die Sachverhaltsdarstellung hat aber doch so konkret zu sein, dass sich hieraus substantiiert und schlüssig die Verletzung von Vergabevorschriften ergibt (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.07.2013, 1 VK 25/13). Hierbei muss der Antragsteller zumindest in laienhafter Darstellung die Indizien und tatsächlichen Anhaltspunkte aufzeigen. Die alleinige Bezugnahme auf „vorprozessuale“ Schriftsätze oder Anlagen ist unzulässig. Es ist nicht Aufgabe der Vergabekammer, einen relevanten Sachvortrag aus Anlagen zu ermitteln (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.08.2016, 1 VK 29/16 mwN). Dabei unterliegen die Beteiligten auch der Mitwirkungs- und Verfahrensförderungspflicht nach § 167 Abs. 2 S. 1 GWB. Diesen Anforderungen an die Sachverhaltsdarstellung genügt der Nachprüfungsantrag vom 13.07.2017 nicht.“
VK Baden-Württemberg, 1 VK 35 / 17
Vielfach oder meistens geht es gerade nicht um das Problem, dass konkurrierende Ansprüche nebeneinander bestehen, deren Geltendmachung vor verschiedenen Gerichten zu vermeiden wären. Vielmehr geht es um die Frage, ob ein Anspruch -der vorbeugende Unterlassungsanspruch- der Zuständigkeit der Vergabekammern unterfällt. Nimmt man den Anspruch auf Unterlassung von Vergaberechtsverstößen bei zukünftigen -noch nicht als Beschaffungsvorgang zu kennzeichnenden- Vergaben aus der Zuständigkeit der VK heraus, entsteht wegen § 13 GVG auch keine konkurrierende Gerichtsbarkeit.
Schließlich folgt auch aus Sinn und Zweck der Vergabevorschriften, dass die Vergabekammer nicht für den geltend gemachten vorbeugenden Unterlassungsanspruch zuständig ist. Die konkrete Ausgestaltung des Nachprüfungsverfahrens unterstreicht, dass Sinn und Zweck des Verfahrens vorrangig darin bestehen, korrigierend in ein laufendes Vergabeverfahren einzugreifen. Um wegen des Zusammenfallens von Zuschlag und Vertragsschluss einem Bieter überhaupt die Durchsetzung seines Anspruchs auf Einhaltung von Vergabevorschriften zu ermöglichen, ist erstes Anliegen des Gesetzes, während der Dauer des Nachprüfungsverfahrens den Zuschlag (in einem bestimmten Verfahren) zu verhindern. So folgt aus das Zuschlagsverbot durch Zustellung der Antragsschrift. Auch die von der Vergabekammer zu treffenden Maßnahmen beziehen sich auf ein bestimmtes Vergabeverfahren, z. B. die Anweisung, Verfahren aufzuheben, neu zu werten etc.. Dies ergibt sich aus dem GWB, wonach die Vergabekammer unabhängig von Anträgen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrenseinwirken kann. Selbst wenn ausnahmsweise ein Feststellungsantrag nach Erledigung des Verfahrens zugelassen wird, ist dieser nur in Bezug auf das bei Antragstellung noch betriebene Verfahren möglich. Schließlich sind die einstweiligen Maßnahmen auf die Frage der Gestattung des Zuschlags ausgerichtet. Soweit Rechte des Antragstellers auf andere Weise als durch den drohenden Zuschlag gefährdet sind, kann die Kammer „mit weiteren vorläufigen Maßnahmen in das Vergabeverfahren eingreifen“.
Im Übrigen macht auch die dem Beschleunigungsgebot folgende Fünf-Wochen-Frist nur Sinn im Zusammenhang mit einem konkreten Vergabeverfahren, das nicht wesentlich verzögert werden soll. Lediglich für den Fall des Fortsetzungsfeststellungsantrags soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Frist nicht laufen. Hätte der Gesetzgeber den vorbeugenden Unterlassungsanspruch sowie die sonstigen Ansprüche außerhalb eines konkreten Verfahrens der Zuständigkeit der Vergabekammer unterworfen, hätte er auch insoweit – da in diesen Fällen mangels Bedarfsdeckung der Vergabestelle keine Zeitnot besteht – einen entsprechenden Dispens von der Frist vorgesehen. Da Voraussetzung für einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch lediglich ist, dass weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind, m.a.W. dass Wiederholungsgefahr besteht
(Gursky in: Staudinger BGB § 1004 Rdn.153),
dies aber bei ähnlichen Fallkonstellationen regelmäßig geltend gemacht werden könnte, würde sich das Verfahren über den vorbeugenden Rechtschutz einer Popularklage annähern. Jeder Antragsteller könnte dann die Vergabekammern unter dem Gesichtspunkt der Wiederholung vergaberechtswidrigen Verhaltens in die Rolle eines „Gutachters“ drängen, um grundsätzliche Rechtsfragen außerhalb eines konkreten Verfahrens klären zu lassen. Diese Aufgabe hat der Gesetzgeber den Vergabekammern nicht zugewiesen. Die Entscheidung, vorbeugende Unterlassungsanträge außerhalb eines konkreten Verfahrens den Zivilgerichten zu unterwerfen, ist auch nicht systemfremd. Das Bundeskartellamt hat im Fall „Tariftreue“ die Unvereinbarkeit des Vergabeverhaltens mit dem Vergaberecht aus § 20 Abs. 1 GWB hergeleitet (WuW/E BkartA 2150); die Rechtsprechung sieht darin einen Verstoß gegen § 1 UWG (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 15. November 1999 – U (Kart) 15/99). Das GWB hat auch keine Exklusivität der Vergabekammern hinsichtlich der Entscheidung über alle vergaberechtliche Probleme begründet. Die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aus Vergaberecht bleibt ausdrücklich den Zivilgerichten zugewiesen, und auch den Kartellbehörden werden ihre Befugnisse uneingeschränkt belassen. Somit hat der Gesetzgeber die umfassende Prüfungskompetenz vergaberechtlicher Vorschriften auch bei diesen Institutionen beibehalten. Mit diesem Ergebnis erleidet die ASt auch keinen Nachteil. Würde man demgegenüber für den vorbeugenden Rechtsschutz die ausschließliche Zuständigkeit der Vergabekammern annehmen, verkürzte sich der Rechtsschutz in „vergaberechtlich gefärbten Wettbewerbsstreitigkeiten“ auf nur eine Gerichtsinstanz
(Byok a.a.O. WRP 1999, 403).
Diese Verkürzung, die unter dem Blickwinkel der Beschleunigung des Verfahrens eingeführt worden ist, macht gerade für Ansprüche, mit denen grundsätzliche Rechtsfragen außerhalb des konkreten Vergabeverfahrens geklärt werden sollen, keinen Sinn. Rechtsstaatlich gesehen ist damit dieser Lösungsansatz wegen des in der Zivilgerichtbarkeit zur Verfügung stehenden Instanzenzuges weniger einschneidend in die Rechte der Unternehmen
(Gronstedt a.a.O. Rdnr.575).
Die Entscheidung steht schließlich auch nicht im Gegensatz zu dem Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes in dem Verfahren
VK 1-7/99. Der Hinweis in der Literatur
(Byok, a.a.O. Rdnr. 741),
dass sich die Vergabekammer darin für die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes entschieden habe, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Zwar war die Verpflichtung der Vergabestelle zur Erteilung der Vorabinformation in die Zukunft gerichtet. Sie betraf aber dennoch ein konkretes, nämlich das laufende Vergabeverfahren, in dem nach Abschluss einer erneuten Qualitätsprüfung der Antragsteller (wie im übrigen die anderen Bieter) vor der Zuschlagserteilung über die beabsichtigte Vergabeentscheidung zu unterrichten war.