Ax Vergaberecht

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Wann ist eine produktspezifische Ausschreibung gerechtfertigt?

von Thomas Ax

Zur Sicherstellung eines breiten Wettbewerbs um Beschaffungen der öffentlichen Hand unterliegen die öffentlichen Auftraggeber dem Gebot der produktneutralen Ausschreibung. Das Gebot der Produktneutralität steht allerdings in einem Spannungsverhältnis zum Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers, dem grundsätzlich das Recht zukommt, selbst zu bestimmen, was er beschaffen möchte. Auch ein öffentlicher Auftraggeber ist entsprechend dem Grundsatz der Privatautonomie grundsätzlich frei, seinen Bedarf festzulegen und autonom zu definieren. Die Entscheidung darüber, ob und ggf. was zu beschaffen ist, wird erfahrungsgemäß von zahlreichen Faktoren beeinflusst, unter anderem von technischen, wirtschaftlichen, gestalterischen oder solchen der sozialen, ökologischen oder ökonomischen Nachhaltigkeit. Die Wahl unterliegt der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers, deren Ausübung dem Vergabeverfahren vorgelagert ist. Das Vergaberecht regelt demnach nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31. Mai 2017 – Verg 36/16, Drohnen, m. w. N.; OLG Celle, Beschluss vom 31.03.2020 – 13 Verg 13/19, Meldeempfänger), also das Verfahren, in welchen ein Vertragspartner für den unabhängig von vergaberechtlichen Bindungen festgelegten Beschaffungsbedarf ausgewählt wird. Allerdings ist bereits der Festlegung eines bestimmten Beschaffungsgegenstandes eine gewisse wettbewerbsbeschränkende Wirkung immanent, da die Entscheidung „für“ etwas gleichzeitig die Entscheidung „gegen“ etwas anderes beinhaltet, das vielleicht auch möglich gewesen wäre, um den zugrundeliegenden Bedarf zu decken. Deshalb ist auch das Bestimmungsrecht des Auftraggebers nicht grenzenlos und gilt das Gebot der produktneutralen Ausschreibung als konkrete Ausformung des allgemeine Wettbewerbsgrundsatzes nach § 97 Abs. 1 GWB (vgl. VK Bund, Beschluss vom 09.05.2014 – VK 2-33/14). Der öffentliche Auftraggeber hat in Konsequenz dessen nach § 31 Abs. 1 VgV die Leistungsbeschreibung in einer Weise zu fassen, dass sie allen Unternehmen den gleichen Zugang zum Vergabeverfahren gewährt. In Ergänzung bestimmt § 31 Abs. 6 Satz 1 VgV, dass in der Leistungsbeschreibung nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die Erzeugnisse oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens kennzeichnet, oder auf gewerbliche Schutzrechte, Typen oder einen bestimmten Ursprung verwiesen werden darf, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn, dieser Verweis ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt (§ 31 Abs. 6 Satz 1 letzter Halbsatz VgV) oder der Auftragsgegenstand kann nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden (§ 31 Abs. 6 Satz 2 VgV).
Eine produktspezifische Ausschreibung ist deshalb nur dann gerechtfertigt, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019 – Verg 66/18; Beschluss vom 13.04.2016 – Verg 46/15; Beschluss vom 01.08.2012 – Verg 10/12, Warnsystem; OLG München, Beschluss vom 26.03.2020 – Verg 22/19; OLG Jena, Beschluss vom 25.06.2014 – 2 Verg 1/14; OLG Celle Beschluss vom 31.03.2020 – 13 Verg 13/19; teils zur Vorgängervorschrift des § 7 VOB/A). Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Einschätzung, ob die Vorgabe eines bestimmten Herstellers gerechtfertigt ist, ein Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung muss aber nachvollziehbar begründet und dokumentiert sein; wenngleich eine vorherige Markterkundung nicht erforderlich ist. Die Darlegungslast für die Notwendigkeit einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung liegt beim öffentlichen Auftraggeber (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019 – Verg 66/18 Rn 52; OLG Celle, Beschluss vom 31.03.2020 – 13 Verg 13/19).

OLG Brandenburg, Beschluss vom 08.07.2021 – 19 Verg 2/21