von Thomas Ax
Wann ist durch ein schuldhaftes Verhalten des Auftragnehmers der Vertragszweck so gefährdet, dass der vertragstreuen Partei die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann? Nachfolgend Antworten auf eine schwierige Frage.
Der Auftraggeber eines Werkvertrages ist berechtigt, den Vertrag fristlos aus wichtigem Grunde zu kündigen, wenn durch ein schuldhaftes Verhalten des Auftragnehmers der Vertragszweck so gefährdet ist, dass der vertragstreuen Partei die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann; dies gilt auch für einen VOB-Vertrag (BGH, Versäumnisurteil vom 24.06.2004, VII ZR 271/01, zitiert nach juris, Rn. 24). Eine vorherige Fristsetzung und Kündigungsandrohung ist in Fällen der schwerwiegenden Vertragsverletzung grundsätzlich nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 23.05.1996, VII ZR 140/95, zitiert nach juris, Rn. 24; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 15.01.2008, 11 U 98/07, zitiert nach juris, Rn. 32). Liegt ein sonstiger nicht unter die § 8 Nummer 2-4 VOB/B fallender wichtiger Grund zur fristlosen auftraggeberseitigen Kündigung vor, so richten sich beim VOB-Vertrag die Rechtsfolgen nach § 8 Nr. 3 VOB/B; so ist etwa die Bestimmung des § 8 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B entsprechend anzuwenden, wenn der Auftragnehmer sich einer so schweren positiven Vertragsverletzung schuldig gemacht hat, dass der Auftraggeber zu sofortiger Lossagung vom Vertrage befugt ist (BGH, Urteil vom 21.03.1974, VII ZR 139/71, zitiert nach juris, Rn. 19; Kapellmann-Lederer, VOB A und B, 4. A., § 8 VOB/B, Rn. 85). Für die Beurteilung des Kündigungsgrundes maßgebend ist dabei nicht der subjektive Vertrauensverlust des Auftraggebers. Abzustellen ist vielmehr darauf, ob dem Auftraggeber aus der Sicht eines objektiven Dritten bei verständiger Würdigung der Umstände des Falles eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zum Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr zumutbar war (OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.07.1994, 23 U 25/93, IBR 1995, 286). Die Neufassung des § 314 BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz steht der Anwendung dieser Rechtsprechung nicht entgegen. Die Neufassung sollte der bis dahin vorliegenden Rechtsprechung nicht entgegenstehen, sondern die bisherige Rechtslage in Bezug auf Dauerschuldverhältnisse aufrechterhalten (Palandt-Grüneberg, BGB, 75. A., § 314 BGB, Rn. 1).
Der Auftraggeber eines Werkvertrages ist auch ohne Rücksicht auf ein schuldhaftes Verhalten des Werkunternehmers entsprechend § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB zur fristlosen Kündigung des Vertrages berechtigt, wenn ihm unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Entsprechend § 314 Abs. 2 Satz 3 BGB ist es entbehrlich, vor der Kündigung eine Frist zur Abhilfe zu setzen, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen.
VOB-Bauverträge können nach § 314 BGB analog gekündigt werden, insbesondere schließen die weitergehenden Regelungen der VOB/B zur außerordentlichen Kündigung das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 BGB nicht aus. Ein wichtiger zur Kündigung berechtigender Grund liegt gemäß § 314 Abs. 1 S. 2 BGB vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Im Allgemeinen müssen die Umstände, auf die die Kündigung gestützt wird, dem Risikobereich des Kündigungsgegners entstammen, wobei zur Abgrenzung der Risikobereiche Vertrag und Vertragszweck heranzuziehen sind. Eine nach § 314 BGB gerechtfertigte Kündigung löst auch im VOB-Vertrag die Kündigungsfolgen einer nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B gerechtfertigten Kündigung aus (OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.03.2015, 21 U 136/14, zitiert nach juris, Rn. 92, 137).
Die fristlose Kündigung des Werkvertrages aus wichtigem Grunde ist daher nicht nur dann zulässig, wenn ein schuldhaftes Verhalten des Unternehmers gegeben ist. Die Kündigung aus wichtigem Grund ist auch dann zulässig, wenn infolge einer dem Auftragnehmer zuzurechnenden nachhaltigen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses der Auftraggeber berechtigterweise das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Unternehmers verloren hat und ihm unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Vertragsfortsetzung aus diesem Grunde unzumutbar geworden ist. In diesem Zusammenhang ist nicht das Verschulden im Sinne der §§ 276, 278 BGB entscheidend, sondern, ob die Ursache für die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses der Sphäre des Unternehmers zuzurechnen ist (vergleiche Hebel, Baurecht 2011, 330, 335; OLG Koblenz, Urteil vom 25. September 2013, 5 U 909/12, zitiert nach juris, Rn. 61; Thüringer OLG Jena, Urteil vom 1. November 2006, 7 U 50/06, zitiert nach juris, Rn. 41-45). Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Kündigungsempfängers ist insoweit weder erforderlich noch ausreichend. Eigenes Verschulden des Kündigenden schließt das Kündigungsrecht nicht notwendig aus, sondern nur, wenn der Kündigende die Störung des Vertrauensverhältnisses überwiegend verursacht hatte. Bei der notwendigen umfassenden Würdigung sind die Besonderheiten des jeweiligen Vertragstyps zu berücksichtigen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 31. Januar 2012, 23 U 20/11, zitiert nach juris, Rn. 38).
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen wichtiger Gründe, die sie zur Kündigung des Werkvertrages berechtigten, liegt grundsätzlich bei der Beklagten (BGH, Urteil vom 10.05.1990, VII ZR 45/89, zitiert nach juris, Rn. 21). Unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB gilt das aber nicht für das Verschulden; insofern hat sich die Klägerin zu entlasten, wenn der objektive Tatbestand eines wichtigen Grundes dargelegt ist (vgl. a. Ingenstau/Korbion, aaO, § 8 VOB/B, Rn. 84, 85; Heiermann-Kuffer, VOB, 13. A., § 8 VOB/B, Rn. 84).