von Thomas Ax
Der öffentliche Auftraggeber darf gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV den Zuschlag auf ein Angebot ablehnen, wenn er nach der Prüfung gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 GWB die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären kann.
Die Feststellung, dass ein Preis ungewöhnlich niedrig ist, kann sich aus dem Preis- und Kostenabstand zu den Konkurrenzangeboten ergeben, aus Erfahrungswerten, die der öffentliche Auftraggeber beispielsweise aus vorangegangenen vergleichbaren Ausschreibungen gewonnen hat, oder aus dem Abstand zur Auftragswertschätzung. Dem Auftraggeber ist für das Einleiten einer Überprüfung ein Entscheidungsspielraum zuzuerkennen. In der Rechtsprechung sind insoweit Aufgreifschwellen anerkannt, bei deren Erreichen eine Verpflichtung des Auftraggebers angenommen wird, in eine nähere Prüfung der Preisbildung des fraglichen Angebots einzutreten. Diese Aufgreifschwelle ist nach der Rechtsprechung in der Regel bei einem Preisabstand von 20 % zum nächsthöheren Angebot erreicht. Im Bereich zwischen 10 % und 20 % kann eine Nachforschung im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers stehen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. April 2023 – Verg 26/22 m.w.N.).
Die Aufklärung der Angemessenheit der Preise ist im Wege elektronischer Kommunikation gemäß § 9 Abs. 1 VgV durchzuführen. Eine mündliche Kommunikation ist nicht zulässig, soweit sie die Angebote – wie hier bei der Preisaufklärung – betrifft, § 9 Abs. 2 VgV (vgl. Steck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 60 Rn. 6). Dem Bieter kann dabei eine zumutbare Frist zur Beantwortung gesetzt werden (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. September 2010, 13 Verg 10/10). Die Zumutbarkeit der Frist richtet sich im Einzelfall einerseits nach dem Beschleunigungsgebot für das Vergabeverfahren, andererseits nach der Zeit, die der Bieter zur ordnungsgemäßen Beantwortung der Fragen benötigt.
Die im Rahmen einer Aufklärung zur Auskömmlichkeit abgefragten Unterlagen und Nachweise müssen anhand geeigneter Belege objektiv nachprüfbar sein (vgl. Dicks in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/ Prieß, Kommentar zur VgV, 2. Aufl. 2022, S 22 Rn. 19). Der Bieter darf dem Auftraggeber Auskünfte nicht unter Hinweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verweigern. Im Vergabeverfahren gilt der Grundsatz der Vertraulichkeit (§ 5 VgV). Lehnt der Bieter eine Aufklärung ab oder versteht er sich lediglich zu formelhaften, substanzlosen Erklärungen, ist der Auftraggeber berechtigt, das Angebot auszuschließen (vgl. Dicks aaO.).
Kann der öffentliche Auftraggeber die geringe Höhe des angebotenen Preises nicht zufriedenstellend aufklären, darf er den Zuschlag auf dieses Angebot gemäß § 60 Abs. 3 VgV ablehnen. Die Berechtigung des Auftraggebers, den Zuschlag auf solche Angebote abzulehnen, soll den Risiken Rechnung tragen, die sich in vielfältiger Weise bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten verwirklichen können. Der Auftragnehmer kann infolge der zu geringen Vergütung in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und den Auftrag deshalb nicht vollständig ausführen. Der betreffende Anbieter könnte in Anbetracht des zu niedrigen Preises versuchen, sich des Auftrags so unaufwändig wie möglich und insoweit nicht vertragsgerecht zu entledigen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16).
Die Entscheidung darüber, ob der Angebotspreis angemessen und der Bieter in der Lage ist, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen, prognostiziert der öffentliche Auftraggeber aufgrund gesicherter tatsächlicher Erkenntnisse, wobei ihm – wie bei der Prüfung der Eignung – ein dem Beurteilungsspielraum rechtsähnlicher und von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbarer Wertungsspielraum zukommt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. April 2023 – Verg 26/22). Dem Auftraggeber ist ein rechtlich gebundenes Ermessen eingeräumt.
Die Formulierung “dürfen” in § 60 Abs. 3 VgV ist nicht so zu verstehen, dass es im Belieben des Auftraggebers stünde, den Auftrag trotz weiterbestehender Ungereimtheiten doch an den betreffenden Bieter zu vergeben.
Die Ablehnung des Zuschlags ist vielmehr grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären kann. Dabei geht die Beweislast auf den Bieter über (vgl. Steck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 60 VgV, Rn. 9).
Der Bieter muss konkrete Gründe darlegen, die den Anschein widerlegen, dass sein Angebot nicht seriös ist. Dazu muss er seine Kalkulation und deren Grundlagen erläutern. Die Erläuterungen des Bieters müssen umfassend, in sich schlüssig und nachvollziehbar sowie gegebenenfalls durch geeignete Nachweise objektiv überprüfbar sein. Verbleibende Ungewissheiten gehen zu seinen Lasten (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. April 2023 – Verg 26/22).