Ax Vergaberecht

VK Niedersachsen: Lärmschutzwände sind als Fachlos auszuschreiben

VK Niedersachsen: Lärmschutzwände sind als Fachlos auszuschreiben

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Errichtung von Lärmschutzwänden stellt bei Straßen- und Brückenbauarbeiten ein marktübliches, abgrenzbares Gewerk und somit ein Fachlos dar.
2. Das gesetzliche Regel- und Ausnahmeverhältnis zwischen Los- und Gesamtvergabe bedeutet nicht, dass eine Gesamtvergabe überhaupt nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen darf. Erforderlich ist jedoch, dass nach einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Belange die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und/oder wirtschaftlichen Gründe überwiegen.
3. Ein Abwägungs- und Dokumentationsmangel ist anzunehmen, wenn weder Vergabevermerk noch die Dokumentation im Übrigen erkennen lassen, dass eine Abwägung mit den für eine Fachlosbildung sprechenden Gründen stattgefunden hat (sog. Abwägungsausfall).
4. Eine nachträgliche Heilung von Dokumentationsmängeln ist nur dann möglich, wenn die Vergabestelle ihre Erwägungen im Laufe des Nachprüfungsverfahrens lediglich ergänzt und präzisiert.
5. Die besonderen technischen Anforderungen bei der Errichtung von Lärmschutzwänden bei einem Brückenbauwerk rechtfertigen regelmäßig keine Gesamtvergabe.

VK Niedersachsen, Beschluss vom 29.11.2024 – VgK-29/2024

Gründe:

I.

Der Antragsgegner hat mit EU-Bekanntmachung vom ….2024 den Neubau einer Brücke … im Zuge der Verlegung der Bundesstraße … von … bis … im offenen Verfahren ausgeschrieben.

Nach Ziffer 5.1.10 der Bekanntmachung ist der Preis das einzige Zuschlagkriterium.

Eine Losteilung ist nach Ziffer 4 der Aufforderung zur Angebotsabgabe nicht vorgesehen.

Gemäß Ziffer C) sind Angaben zu Unteraufträgen/Nachunternehmerleistungen, Bietergemeinschaften und/oder eine Eignungsleihe jeweils mittels der zur Verfügung gestellten Standardvordrucke aus dem Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau (HVA B-StB) mit dem Angebot einzureichen.

Nach Ziffer 1.1.3.8 der Leistungsbeschreibung (Seite 14) gilt:

[…]

Die Verankerung der Lärmschutzwände ist bereits im Zuge der Herstellung der Kappen nach RiZ-ING LS 1 Blatt 1 bis 4 mit Betonankern und Gewindehülsen herzustellen. […] Die Lärmschutzanlagen auf dem Bauwerk (einschließlich Gesimse) sind Gegenstand dieser Ausschreibung, für den weiteren Streckenverlauf werden die Lärmschutzwände gesondert vergeben.

[…]

Die Teilleistung “Lärmschutzwand” wird im Leistungsverzeichnis unter den Positionsnummern 00.15.0006 bis 00.15.0011 beschrieben (Seite 149 ff). Für das Herstellen der Lärmschutzwand gilt: “Lärmschutzwand nach Unterlagen des AG. Gründung bzw. Tragkonstruktion wird gesondert vergütet.” Die Aufstellung des Standsicherheitsnachweises und die Herstellung der Ausführungszeichnungen für das Bauwerk einschließlich der Brückenausstattungen ist Teil der zu vergebenden Leistung und durch den Auftragnehmer zu erbringen (siehe Pos. 00.02.0003 und 00.02.0004; Seite 92/93).

Nach den Entwurfszeichnungen der Ausschreibungsunterlagen wird die Konstruktion der Lärmschutzwand jeweils in den Schnitten (Dateien: … und …) und in der Regel-Ansicht der Brückenpfeiler (Datei: …) nur nachrichtlich dargestellt:

[Detailzeichnung nicht dargestellt]

Gemäß Ziffer C und D der Aufforderung zur Angebotsabgabe könnten Teile der Leistung durch Nachunternehmen ausgeführt werden (Unteraufträge), der Auftraggeber kann sich auch der erforderlichen wirtschaftlichen, finanziellen, technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen bedienen (Eignungsleihe). Gemäß Ziffer 6 der Teilnahmebedingungen sind die dafür vorgesehenen Teilleistungen/Kapazitäten in den Angeboten zu benennen.

Die Antragstellerin ist ein mittelständisches, auf die Errichtung von Schutzwänden spezialisiertes Bauunternehmen. Mit Schreiben vom 04.10.2024 rügte die Antragstellerin die vorgesehene Vergabe, weil die Lärmschutzwände nicht als eigenständiges Fachlos ausgeschrieben worden sind. Durch die Anfrage mehrerer Generalunternehmer sei der Antragstellerin bekannt, dass eine Vergabe aller Fachlose an nur einen Generalunternehmer beabsichtigt sei. Das Anbieten einzelner Fachlose, zum Beispiel des Fachloses Lärmschutzwände, sei nicht vorgesehen. Nach § 4 Absatz 3 Satz 1 VOB/A sind Bauleistungen nach Fachgebieten getrennt zu vergeben. Technische oder wirtschaftliche Gründe, die eine Ausnahme von der Regelvergabe erlauben, seien bei diesem Bauvorhaben nicht erkennbar.

Mit Schreiben vom 10.10.2024 teilte der Antragsgegner mit, dass er der Rüge nicht abhilft. Auf die Fachlosvergabe könne verzichtet werden, wenn zwingende wirtschaftliche und technische Gründe dies erfordern. Die vorgesehene Lärmschutzwand (LSW) hänge sowohl technisch als auch wirtschaftlich so eng mit dem Brückenbau zusammen, dass eine losweise Vergabe nicht möglich sei. Das Bauwerk sei eine in sich geschlossene Einheit. Daher müssten zur Qualitätssicherung und auch für die Gewährleistungsansprüche z.B. die LSW und die Schutzplankenkonstruktionen (SPK) mit den jeweiligen dafür erforderlichen Verankerungskörben in den Brückenkappen zwingend in einer Ausschreibung erfolgen. Gleiches gelte auch für die statische Berechnung. Gegen die Teillosvergabe spreche zudem, dass wichtige konstruktive Arbeitsschritte nicht eigenständig vergeben werden könnten. Bei der LSW seien die Verankerungskörbe mit in die Betonkappen und mit der Bewehrung zu montieren. Zudem könne die Verkehrssicherheit während der Bauausführung der Gesamtbaumaßnahme (Baustellenverkehre über das Bauwerk und damit Entlastung in der Ortsdurchfahrt …) nur gewährleistet werden, wenn das Bauwerk vollständig errichtet und in Funktion genommen werde. Eine Fachlosvergabe der Lärmschutzwand werde in den Streckenbereichen außerhalb der Bauwerke durchgeführt. Dort könne die notwendige Gründung ohne Eingriff in ein konstruktives Vorgewerk mit ausgeschrieben werden.

Daraufhin reichte die Antragstellerin am 21.10.2024 einen Nachprüfungsantrag ein. Der Nachprüfungsantrag sei sowohl zulässig als auch begründet. Die unterbliebene Bildung eines Fachloses für Arbeiten an den Lärmschutzwänden verletze die Antragstellerin in ihren Rechten. Die besagten Arbeiten seien separat als Fachlos auszubilden und auszuschreiben. Bei Arbeiten an Lärmschutzwänden, deren Planung, Konstruktion und Einbau, handele es sich um ein seit Jahrzehnten anerkanntes Fachlos, für die ein eigener Markt existiere. Die benötigten Bauleistungen könnten auch in Gestalt eines Fachloses erbracht werden. Zudem sei die Aufteilung von Aufträgen in Fach- und Teillose als gesetzlicher Regelfall festgeschrieben, von dem nur im Ausnahmefall abgewichen werden dürfe. Im Interesse des Wettbewerbs seien bei der Vergabe mittelständische Interessen durch Fach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen. Technische Gründe für eine zusammengefasste Vergabe seien nicht gegeben und wirtschaftliche würden nicht geltend gemacht.

Die Arbeit an Lärmschutzwänden könnten von den Decken- und Erdbauarbeiten des Straßenbaus und von den Brückenbauarbeiten fachlich strikt getrennt werden. Die mit diesen Leistungsteilen angesprochenen Wettbewerbsunternehmen würden auch regelmäßig keine Fachlosarbeiten auf dem Gebiet der Planung und Errichtung von Lärmschutzwänden erbringen und sich des Einsatzes von fachkundigen Nachunternehmen bedienen müssen. Auf die Planung und den Bau komplexer Lärmschutzsysteme spezialisierte Unternehmen, wie die Antragstellerin, seien auch dazu in der Lage und darauf eingerichtet, dies stets im Verbund und in enger Zusammenarbeit mit den Bauarbeiten der baulichen Hauptgewerke zu tun.

Dass das Bauwerk eine “geschlossene Einheit” sei, stelle eine Binsenwahrheit dar und hätte zur Folge, dass für nahezu jedes Bauvorhaben Verträge über Bauleistungen nie in Lose aufzuteilen wären. Das wiederum würde zum genauen Gegenteil der gesetzlichen Vorgaben führen. Dass getrennt vergeben und erfolgreich gebaut werden könne, würden die beispielhaft genannten Vorhaben belegen. Ferner seien die “Qualitätssicherung und Gewährleistung” keine anerkannten Gründe für eine Gesamtvergabe. Es handele sich dabei um allgemeine Gesichtspunkte einer jeden ordnungsgemäßen Bauausführung.

Es mache auch keinen Unterschied, ob der spätere Aufbau der Lärmschutzwand von einem Nachunternehmer des Brückenbauers oder einem Fachlosunternehmer ausgeführt werde. Denn die Herstellung der Verankerung, also das Einarbeiten der späteren Aufnahmen für die Pfosten der LSW in der Brücke, erfolge immer durch den Hauptunternehmer Brückenbau. Zudem sei es üblich, dass der Hauptunternehmer mit dem Fachlosunternehmer die Verankerung und Ausbildung der Lärmschutzwand gemeinsam plane. Bei der Planung und Bemessung der Verankerungen gebe es keine großen Spielräume; denn diese seien streng nach gültigen Normen und Vorschriften auszuführen.

Auch das Argument der Verkehrssicherheit erschließe sich nicht. Soweit damit gemeint sein könnte, dass ggf. mehrere Verkehrssicherungen aufzubauen wären, sei diese Annahme jedenfalls falsch. Bei all den beispielhaften Projekten seien das Bauwerk selbst (Brücke) sowie die Lärmschutzwand im Schutze einer einzigen einheitlichen Verkehrssicherung – einem weiteren Fachlos, an dem es hier fehle – errichtet worden. Ein Auf- und Abbau derselben, weil das Gewerk wechsele, finde nie statt.

Mit Schreiben vom 15.11.2024 trägt die Antragstellerin ergänzend und vertiefend vor, dass die angedeuteten Zulässigkeitszweifel unbegründet seien. Sie habe erst am 30.09.2024 über eine Preisanfrage von dem Vergabeverfahren erfahren.

Die Wiedergabe allgemeiner rechtlicher Obersätze würden nicht den konkreten Fall- und Auftragsbezug ersetzen, den der Auftraggeber bei seiner Entscheidung für eine Gesamtvergabe schulde. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung komme es darauf an, dass nach einer vollständigen Zusammenstellung des Tatsachenmaterials eine Abwägung sämtlicher für und gegen eine Losaufteilung sprechenden Gesichtspunkte vorzunehmen ist, als deren Ergebnis die Gründe für eine Gesamtvergabe eindeutig überwiegen müssen (“erfordern”).

Daran fehle es hier fast vollständig. Der Vergabevermerk befasse sich mit keinem Wort mit den Interessen und Belangen der Fachlosanbieter. Bei jedem Bauwerk würden einzelne Bereiche ineinandergreifen und Gewährleistungsansprüche zu berücksichtigen sein. Um Verkehrssicherung und Schutzplankenkonstruktionen (SPK) würde es im vorliegenden Fall nicht gehen. Der Antragsgegner habe keine technischen Gründe dokumentiert, die belastbar für eine Gesamtvergabe sprechen könnten. Zudem seien keine Punkte in die Abwägung eingestellt worden, die für eine Losaufteilung und damit gegen die Gesamtvergabe sprechen könnten. Es würden nur einseitig vermeintliche Vorteile einer Gesamtvergabe aufgelistet. Dabei würden die Ausführungen in der Antragserwiderung nicht über den Inhalt des Vergabevermerks hinausgehen.

Es entspreche der Baupraxis, dass der Brückenbauunternehmer nach Maßgabe einer auftraggeberseitig beigestellten oder von ihm selbst gefertigten Planung die Verankerungskörbe für die Lärmschutzwände einbaue.

Bei den Leistungspositionen zum Lärmschutz handele sich um sogenannte Standardleistungstexte (STL-Nr. 21127/16253011193), die dem Standardleistungskatalog des Bundes für den Straßen und Brückenbau entnommen seien und sich in nichts von der Vergabe von Lärmschutzwänden als Fachlos unterscheiden würden. Nach der Leistungsbeschreibung und der vorgenannten Preisanfrage sei davon auszugehen, dass der Antragsgegner in den Vergabeunterlagen selbst alles Erforderliche angeordnet habe, um eine ordnungsgemäße Verankerung der LSW auf dem Brückenbauwerk sicherzustellen. Dabei sei es Aufgabe des Brückenbauers, die baulichen Voraussetzungen für die spätere Errichtung der Lärmschutzwand, die sogenannten Ankerkörbe, zu schaffen und diese Verankerungen für die spätere LSW baulich im Brückenbauwerk nach Maßgabe der dafür geltenden technischen Regelwerke vorzubereiten. Technisch sei dies am besten anhand der Richtzeichnung (RZ) “LS1” der Bundesanstalt für Straßenwesen, auf die sich auch die Antragserwiderung beziehe, zu erläutern. Wobei die Bemessung der Ankerkörbe jeweils nach den Vorgaben der genannten Richtzeichnung erfolge. Die Ankerkörbe würden in der Regel durch die beauftragte Brückenbaufirma bestellt oder nach deren Bemessungsgrundlagen beschafft. Vor dem Einbau würde immer eine Bewährungsabnahme durch den Auftraggeber erfolgen.

Soweit technische Gründe für die Gesamtvergabe angeführt werden, sei diesen entgegen zu halten, dass

– eine Lärmschutzwand immer integraler Ausstattungsbestandteil einer Brücke sei,

– die Ausführung immer in Abhängigkeit vom jeweiligen Bauwerk zu planen sei,

– die Verankerung der Pfosten immer durch den Brückenbauer nach den maßgeblichen technischen Normen eingebaut werde.

Es mache im Ergebnis keinen Unterschied, ob die Lärmschutzwand später von einem Nachunternehmer des Brückenbauers oder einem Fachlosunternehmer ausgeführt werde, so dass eine Gesamtvergabe nicht erforderlich sei. Vorliegend handele es sich gerade um eine Brückenbaumaßnahme ohne jede bauliche Besonderheit.

Bei den benannten Referenzen teilweise umfangreicher Brückenbaumaßnahmen sei es um den Bau von Lärmschutzwänden auf Ingenieurbauwerken gegangen, bei denen die Ankerkörbe von einem anderen Auftragnehmer eingebaut worden seien bzw. werden. Sämtliche vom Antragsgegner geschilderten Problemstellungen seien bislang nicht aufgetreten. Es bleibe der Eindruck, dass es dem Antragsgegner im Ergebnis vor allem um die Entledigung der Bauaufsicht und/oder den mit dem Einsatz mehrerer Fachlosunternehmen verbundenen Koordinierungsaufwand gehe.

Die Antragstellerin beantragt, dem Antragsgegner aufzugeben,

1. bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die im Zuge der Herstellung des Bauwerks “Brücke …” zu errichtenden Lärmschutzwände nach Ziffer 1.1.3.8. der Baubeschreibung aus der bestehenden Generalunternehmerausschreibung nach EU-Bekanntmachung Nr. … vom ….2024 herauszulösen und gesondert als Fachlos auszuschreiben;

2. hilfsweise sonstige geeignete Maßnahmen anzuordnen, um eine Rechtsverletzung auf Seiten der Antragstellerin zu verhindern;

3. dem Antragsgegner die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der notwendigen Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen

4. und auszusprechen, dass für die Antragstellerin die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren erforderlich ist.

Zudem wird um Einsicht in die beizuziehenden Vergabeakten ersucht.

Der Antragsgegner beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückzuweisen;

2. die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen.

Der Antrag sei zulässig, aber unbegründet. Die Vergabestelle habe nicht in unzulässiger Weise gegen das Gebot der Fachlosvergabe verstoßen.

Dass öffentliche Aufträge grundsätzlich in Teil- und Fachlose aufzuteilen seien, gelte nicht ausnahmslos. Öffentliche Auftragnehmer dürften von dem Gebot der losweisen Vergabe abweichen, wenn technische oder wirtschaftliche Gründe dies erfordern. Technische Gründe seien dabei solche, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen würden, wenn sonst das Risiko bestehe, dass Teilleistungen nicht zusammenpassen und in ihrer Gesamtheit nicht geeignet seien, die angestrebte Qualität zu erreichen. Dies sei der Fall, wenn für ein Bauwerk spezifische Bauteile oder eine besondere Abstimmung der Errichtungsschritte aufeinander erforderlich seien, die bereits während des Erstellungsprozesses besondere Maßnahmen aus einer Hand erfordern würden. Vorliegend handele es sich bei dem zu vergebenen Auftrag um die Herstellung eines Brückenbauwerkes inklusive einer Lärmschutzwand mit Handlauf. Die Erstellung der Ausführungsplanung sei Inhalt dieses Auftrages und müsse durch den Auftragnehmer Brückenbau aufgestellt werden. Dafür seien alle Angaben, also auch die zur Lärmschutzwand, erforderlich. Dies insbesondere deshalb, da es sich bei dem aufzubringenden Gewicht durch die Lärmschutzwand um statisch relevante Gewichte handele. Ohne Angaben zu den Lasten könnten keine Ausführungspläne erstellt werden. Zudem müssten die Lasten der Lärmschutzwand in die Planung der Pfosten und Verankerungen einfließen.

Hinzu komme, dass im Bereich der Lärmschutzwände unterschiedliche Möglichkeiten der Detailausbildung möglich seien. Dabei könne es verschiedene Durchmesser der Gewindestangen geben, und es seien für die meisten Lastenbereiche mehrere Verankerungen geeignet. Hiervon abhängig seien wiederum die Fußplatten der Lärmschutzwandpfosten in ihrer Dicke und Breite. Da die Ausführungsplanung vor Baubeginn erstellt und statisch geprüft werden müsste, sei es falsch, dass ein Auftragnehmer Brückenbau die Verankerung und Ausbildung der Lärmschutzwand mit einem Auftragnehmer Lärmschutzwand gemeinsam plane.

Es würde sich vorliegend um ein spezifisches Bauteil handeln, für das bereits während der Planung eine besondere Abstimmung notwendig sei, so dass hinreichend technische Gründe für den Verzicht auf die Fachlosvergabe bestanden hätten. Zudem seien die von der Antragstellerin genannten Bauvorhaben und eingeführten Entscheidungen mit dem hiesigen Fall nicht vergleichbar, da es sich bei den dort zugrunde liegenden Sachverhalten um Bauvorhaben im Streckenbau, nicht aber um Ingenieurbauwerke gehandelt habe.

Mit Schriftsatz vom 19.11.2024 trägt der Antragsgegner ergänzend und vertiefend vor, dass durchaus erklärt werde, welche technischen Gründe des Ausnahmetatbestandes des § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB vorliegen würden. Sollte keine hinreichende Abwägung erfolgt sein, könne dies im laufenden Nachprüfungsverfahren nachgeholt werden, da es sich um einen heilbaren Dokumentationsmangel handele. Denn grundsätzlich seien die erforderlichen Angaben ordnungsgemäß dokumentiert worden und eine Begründung für den Verzicht auf die Fachlosvergabe ausreichend niedergelegt worden. Daher werde den Ausführungen, dass schon ein Dokumentationsmangel den Nachprüfungsantrag begründe, widersprochen.

Es handele sich zwar bei der Leistung für die Herstellung von Lärmschutzwänden um ein eigenständiges Gewerk, das bei der Bildung von Fachlosen zu berücksichtigen sei. Jedoch könne dieses Gewerk bei der Gesamtmaßnahme nicht in Gänze unbeachtet bleiben. Den Interessen der Mittelstandsförderung stehen hier die bereits dargestellten technischen und wirtschaftlichen Gründe entgegen. Gleichwohl finde das Gewerk im Bereich des Streckenbaus ausreichend Berücksichtigung, so dass die Losaufteilung in der Gesamtmaßnahme Berücksichtigung finde.

Die Beigeladene stellt keine eigenen Anträge.

Sie hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass es keine pauschale oder etwa eine einzige Lösung gibt, Ingenieurbauwerke unter Berücksichtigung einer Lärmschutzwand herzustellen. Sie geht davon aus, dass es einfach sinnvoll ist, bei der Entscheidung über die Gesamtvergabe oder Losvergabe die Dimension des jeweiligen Bauwerks zu berücksichtigen, insbesondere ob die Lärmschutzwand selbst ein gewisses bedeutendes Volumen einnimmt oder ob sie als nachrangig einzustufen ist. Sie selbst habe Erfahrungen damit, dass sowohl Gesamtvergaben für Brücken in diesem Fall ausgeschrieben werden als auch, dass eine losweise Unterteilung der jeweiligen Baumaßnahmen vorgenommen wird. Sie bestätigt aber die Auffassung des Antragsgegners, dass die Schnittstellenproblematik bei Ingenieurbauwerken gegenüber dem Bau einer freien Strecke maßgeblich sein kann. Diese Aspekte müsse ein öffentlicher Auftraggeber bei der Abwägung berücksichtigen.

Die Beigeladene hat erklärt, dass sie im Zuschlagsfalle auch nach ihrem Angebot die konkrete Errichtung der Lärmschutzwand durch einen Nachunternehmer, ein Fachunternehmen, ausführen lässt.

Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 19.11.2024 gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist hinaus bis zum 04.12.2024 verlängert.

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.11.2024 Bezug genommen.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung des Antragsgegners, die im Zuge der Herstellung des verfahrensgegenständlichen Bauwerks zu errichtenden Lärmschutzwände nicht gesondert als Fachlos auszuschreiben, sondern zusammen mit dem Brückenbauwerk im Wege einer Generalunternehmerausschreibung zu beauftragen, in ihren Rechten verletzt. Der Antragsgegner hat in der Vergabeakte zwar Aspekte und Gründe aufgeführt, die seiner Auffassung nach für eine Gesamtvergabe sprechen. Er hat jedoch versäumt, auch die Gründe für die nach § 97 Abs. 4 S. 2 GWB ausdrücklich vorrangige Möglichkeit der Fachlosvergabe zu berücksichtigen und eine Abwägungsentscheidung zu treffen. Die Entscheidung für die Gesamtvergabe genügt daher bereits weder den Anforderungen des § 97 Abs. 4 S. 2 und 3 GWB noch den Anforderungen an die Dokumentation einer solchen Abweichung vom gesetzlichen Regel-Ausnahme-Prinzip gemäß § 20 EU VOB/A i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 11 VgV (im Folgenden 2 a). Unabhängig davon hat der Antragsgegner sowohl im Vergabevermerk wie auch schriftsätzlich und mündlich im Zuge des Nachprüfungsverfahrens zwar technische Gründe für seine Entscheidung aufgeführt. Diese genügen jedoch nicht den Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit einer Gesamtvergabe gemäß § 97 Abs. 4 S. 3 GWB (im Folgenden 2 b).

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

Bei dem Antragsgegner handelt es sich um das … und damit um einen öffentlichen Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweiligen Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, die nach den EU-Richtlinien festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Bauauftrag i.S. des § 1 EU VOB/A, für den gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in der seit 01.01.2024 und damit zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens geltenden Fassung ein Schwellenwert von 5.538.000 Euro gilt. Die geschätzten Kosten für die verfahrensgegenständliche Gesamtmaßnahme überschreiten diesen Schwellenwert deutlich. Ausweislich Nr. 2.1.3 der europaweiten Bekanntmachung beträgt der geschätzte Wert insgesamt … Euro. Der geschätzte Wert des unterlassenen streitbefangenen Fachloses “Lärmschutzwände” beträgt nach den vom Antragsgegner unwidersprochenen Angaben der Antragstellerin … bis … Euro netto und überschreitet damit den gemäß § 3 Abs. 9 VgV für Bauleistungen geltenden Teilschwellenwert von 1 Mio. Euro deutlich.

Die Antragstellerin ist auch gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Sie ein hat ein Interesse am Auftrag dargelegt und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht, indem sie beanstandet, dass der Antragsgegner entschieden hat, die im Zuge der Herstellung des verfahrensgegenständlichen Bauwerks zu errichtenden Lärmschutzwände nicht gesondert als Fachlos auszuschreiben, sondern zusammen mit dem Brückenbauwerk im Wege einer Generalunternehmerausschreibung zu beauftragen, obwohl eine Gesamtvergabe vorliegend nicht erforderlich sei. Dies verstoße gegen § 97 Abs. 4 S. 2 und 3 GWB. Dadurch werde sie gehindert, sich mit einem aussichtsreichen Angebot für ein zu bildendes Fachlos “Lärmschutzwände” an der Ausschreibung zu beteiligen. Sieht sich ein Bieterunternehmen wie vorliegend durch die Gestaltung der Ausschreibung an einer Teilnahme am Vergabeverfahren gehindert, genügt eine Interessenbekundung und die substanziierte Darlegung, an der Angebotseinreichung gerade durch ein vergaberechtswidriges Verhalten des Antragsgegners gehindert worden zu sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 14.01.2009, VII-Verg 59/08, NZBau 2009, 398, und vom 30.09.2022, VII-Verg 40/21, NZBau 2023, 804 Rn. 23; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.02.2022, 367 Rn. 34; Dicks/Schnabel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 160, Rn. 12).

Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Beck VergabeR/Hom/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB, § 160, Rn. 23, Boesen, Vergaberecht, § 107 GWB, Rn. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzungen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 – 2 BvR 2248/04; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB, § 160, Rn. 43; vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160, Rn. 34; Schäfer in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 160, Rn. 30 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 – X ZB 14/06, zitiert nach VERIS). Die Antragstellerin hat eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Chancen auf den Zuschlag und damit einen möglichen Schaden schlüssig dargelegt.

Die Antragstellerin hat auch ihrer Pflicht genügt, den geltend gemachten, aus der Bekanntmachung vom ….2024 und den Vergabeunterlagen erkennbaren Verstoß gegen die grundsätzliche Verpflichtung zur Fachlosbildung gegen die Vergaberechtsvorschriften gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber der Auftraggeberin zu rügen. Die Frist für den Eingang der Angebote hatte der Antragsgegner gemäß Nr. 5.1.12. der Bekanntmachung auf den ….2024 festgelegt. Mit Schreiben vom 04.10.2024 rügte die Antragstellerin die unterbliebene Fachlosausschreibung. Auch eine Präklusion gemäß § 160 Abs. 3. Satz 1 Nr. 1 GWB liegt entgegen der Vermutung des Antragsgegners nicht vor. Die Antragstellerin hat belegt, dass sie durch eine Preisanfrage 30.09.2024 (Anlage KK 6 der Antragstellerin) Kenntnis davon erhalten hat, dass für die Baumaßnahme … kein Fachlos für die Lärmschutzwände gebildet wurde. Die Rüge vom 04.10.2024 erfolgte somit auch innerhalb der Frist von 10 Kalendertagen ab positiver Kenntniserlangung vom geltend gemachten Vergaberechtsverstoß.

Der Nachprüfungsantrag ist daher zulässig.

2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung des Antragsgegners, die im Zuge der Herstellung des verfahrensgegenständlichen Bauwerks zu errichtenden Lärmschutzwände nicht gesondert als Fachlos auszuschreiben, sondern zusammen mit dem Brückenbauwerk im Wege einer Generalunternehmerausschreibung zu beauftragen, in ihren Rechten verletzt:

a. Der Antragsgegner hat in der Vergabeakte zwar Aspekte und Gründe aufgeführt, die seiner Auffassung nach für eine Gesamtvergabe sprechen. Er hat jedoch versäumt, auch die Gründe für die nach § 97 Abs. 4 S. 2 GWB ausdrücklich vorrangige Möglichkeit der Fachlosvergabe zu berücksichtigen und eine Abwägungsentscheidung zu treffen. Die Entscheidung für die Gesamtvergabe genügt daher bereits deshalb weder den Anforderungen des § 97 Abs. 4 S. 2 und 3 GWB noch den Anforderungen an die Dokumentation einer solchen Abweichung vom gesetzlichen Regel-Ausnahme-Prinzip gemäß § 20 EU VOB/A i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 11 VgV.

Gemäß § 97 Abs. 4 GWB sind mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art und Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen danach (nur dann) zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. § 97 Abs. 4 GWB enthält keinen bloß allgemein gehaltenen Programmsatz, sondern ein konkretes Gebot an den Auftraggeber mit einem korrespondierenden, subjektiven Bieterrecht auf Beachtung der Losvergabe (vgl. Kus in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 97 GWB, 5. Aufl., Rn. 171). Der Begriff der Fachlose und Teillose kommt originär aus dem Bereich der Bauvergaben und nicht aus dem Dienstleistungsbereich. Lose sind Gewerke bzw. Bauleistungen verschiedener Handwerks- und Gewerbezweige. § 5 EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 bis 3 VOB/A wiederholt insoweit die identische, mittelstandsfördernde Regelung des § 97 Ab. 3 GWB. Welche Leistungen zu einem Fachlos gehören, bestimmt sich nach den gewerberechtlichen Vorschriften und der allgemein oder regional üblichen Abgrenzung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2000, Verg 10/07). Dabei ist stets auch zu untersuchen, ob sich für spezielle Arbeiten ein eigener Markt herausgebildet hat (vgl. Kus, a.a.O., § 97 GWB, Rn. 197). Allein die tatsächlich-technische Möglichkeit, dass mehrere Abschnitte einer Leistung auch von verschiedenen Personen oder Unternehmen erbracht werden können, begründet noch nicht das Vorliegen eines Fachloses (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 16.09.2013 – 1 Verg 5/13, zitiert nach VERIS). Unter einem Fachlos versteht man eine Teilleistung, die marktüblich von einem Unternehmen ausgeführt wird, das zu einem bestimmten Handwerks- oder Gewerbezweig gehört. Die Abgrenzung bestimmt sich zunächst nach den gewerberechtlichen Vorschriften unter Berücksichtigung der allgemein oder regional üblichen Arbeitsteilung. Dies schließt ein, dass es auch innerhalb einer Branche eine weitere fachliche Aufgliederung geben kann. Die Losvergabe ist allerdings kein Selbstzweck, sondern soll möglichst vielen Unternehmen die Teilnahme an einem Vergabeverfahren ermöglichen. Von wesentlicher Bedeutung ist deshalb, ob ein Anbietermarkt mit Fachunternehmen existiert, die sich auf eine bestimmte Tätigkeit spezialisiert haben und ohne eine Losvergabe keinen Zugang zu öffentlichen Aufträgen hätten. Die bloße Existenz derartiger spezialisierter Fachunternehmen allein genügt jedoch nicht. Es muss vielmehr eine hinreichend große Anzahl von Fachunternehmen geben, damit jeder öffentliche Auftraggeber, der Lose bildet, diese auch jederzeit im Wettbewerb vergeben kann (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 16.09.2013 – 1 Verg 5/13; OLG München, Beschluss vom 09.04.2015 – Verg 1/15).

Vorliegend ist unstreitig, dass sich für die Errichtung von Lärmschutzwänden ein eigener Markt gebildet hat und sich außer der Antragstellerin auch weitere Unternehmen darauf spezialisiert haben, so dass in der Regel eine entsprechende Fachlosvergabe möglich ist, schon weil sie bei Straßenbauarbeiten ein abgrenzbares Gewerk bilden (dazu auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2007 – Verg 10/07 – und Beschluss vom 25.11.2009 – Verg 27/09-; OLG München, Beschluss vom 09.04.2015 – Verg 1/15).

Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs für die seinerzeitige GWB-Novellierung 2009 bezweckte die Bundesregierung mit der Neufassung der Mittelstandsklausel eine Stärkung des Mittelstandsschutzes (vgl. BT-Drucksache 16/10117 vom 13.08.2008, zu Nr. 2 (§ 97) a; vgl. Kus in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 97 GWB, Rn. 128). In der bis zum 23.04.2009 geltenden Fassung war im seinerzeitigen § 97 Abs. 3 GWB lediglich geregelt, dass mittelständische Interessen vornehmlich durch Teilung der Aufträge in Sach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen sind. Ausweislich der Begründung der Bundesregierung beklagten trotz dieser Regelung in der Altfassung mittelständische Unternehmen die vielfach wenig mittelstandsgerechte Ausgestaltung der Auftragsvergabe. Die Bündelung von Nachfragemacht und die Zusammenfassung teilbarer Leistungen seien zunehmende Praxis. Die Mittelstandsklausel sollte daher lt. Begründung des Gesetzesentwurfs vom 13.08.2008 in ihrer Wirkung verstärkt werden. Dies sollte dadurch verwirklicht werden, dass eine Losvergabe grundsätzlich stattzufinden hat. Nur in begründeten Ausnahmefällen könne davon abgewichen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Sofern öffentliche Auftraggeber nach dieser Vorschrift verfahren, haben sie aktenkundig zu begründen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. BT-Drucksache 16/10117 vom 13.08.2008, zu Nr. 2 (§ 97) a).

Dieses klare Regel-/Ausnahmeverhältnis bedeutet allerdings entgegen einer teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung (Antweiler in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 97 Abs. 4 GWB, Rn. 51; Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 97 GWB, Rn. 95) nicht, dass eine Gesamtvergabe überhaupt nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen darf. § 97 Abs. 4 GWB ist im Kontext der primären Ziele des Vergaberechts auszulegen, zu denen insbesondere auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung gehört (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 18.07.2024 – 17 Verg 1/24, zitiert nach ibr-online). Dabei sind auch die weiteren Grundsätze des Vergaberechts (Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit) sowie die vom Gesetzgeber in § 97 Abs. 3 GWB normierten strategischen Ziele (Qualität, Innovation, soziale und umweltbezogene Aspekte) im Blick zu behalten.

Allerdings ergibt sich aus der klaren Wertung des Gesetzgebers, dass es nicht ausreicht, wenn der Auftraggeber anerkennenswerte Gründe für die Gesamtvergabe vorbringen kann; auch vermag die Entlastung des Auftraggebers von typischerweise mit einer losweisen Vergabe verbundenen Koordinierungsaufgaben oder sonstigem organisatorischem Mehraufwand für sich allein ein Absehen von einer Losvergabe nicht zu rechtfertigen.

Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinandersetzt und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange trifft, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und/oder wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018 – 11 Verg 4/18; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019 – Verg 10/18; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.08.2024 – VII – Verg 7/24, Beschluss vom 13.03.2020 – Verg 10/20, Beschluss vom 25.05.2022 – Verg 33/21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.04.2022 – 15 Verg 2/22).

Bei der Prognose der Vor- und Nachteile der Losvergabe, deren Gewichtung und der Abwägung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. jeweils zur Fachlosaufteilung OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018 – 11 Verg 4/18; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019 – Verg 10/18; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2020 – Verg 10/20, Beschluss vom 25.05.2022 – Verg 33/21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.04.2022 – 15 Verg 2/22). Die Entscheidung des Auftraggebers über die Gesamtvergabe ist deshalb von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur darauf zu überprüfen, ob sie auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruht (OLG Rostock, a.a.O.).

Unter technischen und wirtschaftlichen Gründen im Sinne des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB sind solche zu verstehen, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen.

Vorliegend hat der Antragsgegner die Gesamtvergabe und damit das Absehen von der Fachlosbildung ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte und dem Schreiben vom 10.10.2024 zur Zurückweisung der Rüge der Antragstellerin nicht mit wirtschaftlichen, sondern mit technischen Aspekten und Erwägungen begründet. Technische Gründe i.S.d. § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB sind alle Aspekte, die zu einem vom Auftraggeber vorgegebenen Leistungsprofil in einem unauflöslichen Zusammenhang stehen. Dies kann auch bei komplexen, miteinander verflochtenen Dienstleistungen der Fall sein oder wenn die Aufteilung in Fachlose unverhältnismäßige Kostennachteile mit sich bringen oder zu einer starken Verzögerung des Vorhabens führen würde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.05.2022 – VII Verg 33/21).

Im Vergabevermerk des Antragsgegners heißt unter 1.11 zur Begründung für das Abweichen von der Fachlosvergabe:

“Das Bauwerk als solches ist in sich eine geschlossene Einheit, bei der die einzelnen Bereiche ineinandergreifen. Deshalb müssen zur Qualitätssicherung und auch für die Gewährleistungsansprüche z.B. die LSW und die SPK, mit den jeweiligen dafür erforderlichen Verankerungskörbe in den Brückenkappen, zwingend in einer Ausschreibung erfolgen. Gleiches gilt auch für die statische Berechnung dazu. Gegen die Teillosvergabe (Anm. der Vergabekammer: Gemeint ist offenbar die Fachlosvergabe.) spricht auch, dass diese nicht vollständig und somit eigenständig vergeben werden können, da wichtige konstruktive Arbeitsschritte immer ineinandergreifen. Bei der LSW sind gemäß RiZ-Ing LS 1 (Blatt 1 bis 4) die Verankerungskörbe mit in die Betonkappen und damit der Bewehrung zu montieren. Diese Leistung muss vom AN Brücken – Betonbau erfolgen. Die Verankerung ist dabei maßgeblich für die vertraglich geschuldete Gesamtleistung der LSW und ist deshalb in einem Vertrag auszuführen. Bei der SPK sind ebenfalls die Verankerungen in der Bewehrung der Brückenkappe zu berücksichtigen. Des Weiteren kann die Verkehrssicherheit während der Bauausführung der Gesamtbaumaßnahme (Baustellenverkehre über das Bauwerk und damit Entlastung in der Ortsdurchfahrt …) nur gewährleistet werden, wenn das Bauwerk vollständig errichtet und in Funktion genommen wird.

Eine Fachlosvergabe der Lärmschutzwand wird in den Streckenbereichen außerhalb der Bauwerke durchgeführt. Die dort notwendige Gründung kann ohne Eingriff in ein konstruktives Vorgewerk bei der Lärmschutzwand mit ausgeschrieben werden.”

Weder der Vergabevermerk noch die Dokumentation im Übrigen lassen irgendeine Berücksichtigung oder gar Abwägung dieser technischen Belange mit Aspekten und Gründen erkennen, die für eine Fachlosbildung sprechen. Der öffentliche Auftraggeber hat eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden Gründen nicht nur anerkennenswert sein, sondern überwiegen müssen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.08.2024 – VII – Verg 7/24 – und Beschluss vom 13.03.2020, Verg 10/20, juris, Rn. 27 m. w. Nachw.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018, 11 Verg 4/18, juris, Rn. 72).

Eine Heilung des aufgezeigten Abwägungs- und Dokumentationsmangels scheidet im vorliegenden Fall aus. Eine nachträgliche Heilung ist nur dann möglich, wenn die Vergabestelle ihre Erwägungen im Laufe des Nachprüfungsverfahrens lediglich ergänzt und präzisiert (OLG Celle, Beschluss vom 13.01.2011 – 13 Verg 15/10, BeckRS 2011, 2421, Rn. 35, beck-online OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 10.02.2021, VII – Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn. 47, und vom 23.03.2011, VII – Verg 63/10, NZBau 2011, 369, 371). Denn nach dieser Rechtsprechung können zwar Gründe bzw. Ermessenerwägungen auch im Vergabenachprüfungsverfahren nachgeschoben werden, wobei der Dokumentationspflicht genügt ist, wenn dies in anwaltlichen Schriftsätzen erfolgt. Die Nachholung der Dokumentationspflicht im Nachprüfungsverfahren ist aber nur zulässig, soweit die ergänzenden Erwägungen oder Erläuterungen sich auf Begründungen beziehen, die im Kern bereits im Vergabevermerk angelegt sind (vgl. Beck VergabeR/Dörr, 4. Aufl. 2022, GWB § 97 Abs. 1, Rn. 50). Darin fehlt es im vorliegenden Fall aber, da die Dokumentation in der Vergabeakte überhaupt keine Ausführungen zu der erforderlichen Abwägung enthält.

Unabhängig davon hat der Antragsgegner im Zuge des Nachprüfungsverfahrens weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung diese Abwägung “nachgeholt”, sondern ausschließlich die Argumente vertieft, die aus seiner Sicht für eine Gesamtvergabe sprechen.

Bereits dieser Abwägungsausfall macht es erforderlich, den Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen, um gemäß § 168 Abs. 1 GWB die Verletzung der Rechte der Antragstellerin zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern.

b. Darüber hinaus sind die vom Antragsgegner sowohl im Vergabevermerk wie auch schriftsätzlich und mündlich im Zuge des Nachprüfungsverfahrens angeführten technischen Gründe pro Gesamtvergabe zwar nachvollziehbar. Sie überwiegen jedoch nicht das Interesse der Antragstellerin an einer Fachlosausschreibung und vermögen nach Auffassung der Vergabekammer eine Abweichung vom gesetzlichen Regel-Ausnahme-Prinzip gemäß § 97 Abs. 4 S. 2 und 3 GWB nicht zu begründen. Die vorgetragenen Aspekte genügen nicht den Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit einer Gesamtvergabe gemäß § 97 Abs. 4 S. 3 GWB.

Der Antragsgegner hat die Gesamtvergabe im Vergabevermerk damit begründet, dass das Bauwerk als solches eine in sich geschlossene Einheit sei, bei der die einzelnen Bereiche ineinandergreifen. Deshalb müssten zur Qualitätssicherung und auch für die Gewährleistungsansprüche z.B. die LSW und die SPK, mit den jeweiligen dafür erforderlichen Verankerungskörben in den Brückenkappen, zwingend in einer Ausschreibung erfolgen. Gleiches gelte auch für die statische Berechnung dazu. Gegen die Fachlosvergabe spreche auch, dass diese nicht vollständig und somit eigenständig vergeben werden könnten, da wichtige konstruktive Arbeitsschritte immer ineinandergreifen. Der Antragsgegner weist darauf hin, dass bei der LSW gemäß RiZ-Ing LS 1 (Blatt 1 bis 4) die Verankerungskörbe mit in die Betonkappen und damit der Bewehrung zu montieren sind, was zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig ist. Diese Leistung muss vom Auftragnehmer des Brücken-Betonbau erfolgen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Antragsgegner seine Beweggründe für die Gesamtvergabe vertieft und erläuternd darauf hingewiesen, dass die streitbefangene Vergabe für das Ingenieurbauwerk nicht etwa mit der Errichtung einer Lärmschutzwand entlang einer Strecke zu vergleichen sei, wo für die Ausschreibung der Lärmschutzwand regelmäßig eine Fachlosvergabe gewählt wird. Bei der Strecke sei es so, dass das Straßenbauwerk komplett abgeschlossen ist, wenn die Errichtung der Lärmschutzwand erfolgt. Die Errichtung der Lärmschutzwand sei dort ein eigenständiges Bauwerk inklusive der notwendigen Gründungs-/Verankerungsarbeiten. Demgegenüber sei bei der hier streitbefangenen Vergabe zu berücksichtigen, dass die Lärmschutzwand integraler Bestandteil des Gesamtbauwerks sei. Hier sei es nötig, im Rahmen der Ausführungsplanung eben gleichfalls nicht nur die Betonbauarbeiten, sondern auch die Errichtung der Lärmschutzwand zu berücksichtigen. Deshalb sei es aus seiner Sicht erforderlich – insbesondere unter Berücksichtigung der Verankerung – hier von Anfang an sicherzustellen, dass die Berücksichtigung der Lärmschutzwand Hand in Hand im Rahmen der Ausführungsplanung berücksichtigt werde. Insbesondere sei bei dem vorliegenden Brückenbauwerk eine Gründung unter Verwendung von Ankerkörben erforderlich, was auf der Strecke regelmäßig nicht der Fall sei.

Die Vergabekammer bewertet die Darlegungen des Antragsgegners als überzeugend, soweit er dargelegt hat, dass unterschiedliche Anforderungen an die Errichtung einer Lärmschutzwand an einem Brückenbauwerk im Vergleich zu einer Lärmschutzwand entlang einem normalen Straßenbauwerk auf einer Strecke bestehen. Das Brückenbauunternehmen als führendes Gewerk muss nicht nur die Verankerungskörbe für die Lärmschutzwand mit in die Betonkappen und damit der Bewehrung montieren. Es muss auch im Übrigen die möglichen statischen Belastungen des Brückenbauwerks, die insbesondere durch den Winddruck auf die Lärmschutzwände entstehen, bei der Statik und der Bauausführung berücksichtigen.

Aus diesen Technischen Anforderungen folgt jedoch nicht, dass diese eine Gesamtvergabe von Brückenbauwerk und Lärmschutzwand i.S.d. § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB erfordern. Die Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens wie auch der fachkundige ehrenamtliche Beisitzer der Vergabekammer, seinerseits selbst als Brückenbauingenieur im Hauptamt mit der Ausschreibung und Koordinierung vergleichbarer Baumaßnahmen befasst, haben übereinstimmend erklärt, dass die Berücksichtigung der Verankerung und der besonderen statischen Anforderungen für die Errichtung von Lärmschutzwänden zum einen durch den Antragsgegner selbst mit seinen vorgegebenen Planungen, zum anderen in der Ausführungsplanung des Brücken-Betonbauunternehmens genau vorgegeben und gewährleistet wird.

An diese Ausführungsplanung des führenden Gewerks Brückenbau ist im Falle einer Fachlosbildung das Unternehmen, das die Lärmschutzwand errichtet, nachvollziehbar gebunden.

Das gilt jedoch ebenso, wenn das Fachunternehmen mit Errichtung der Lärmschutzwand vom Brückenbauunternehmen als Nachunternehmer beauftragt wird.

Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung aus einem anderen Projekt, wo sie als Subunternehmerin der Beigeladenen fungiert, beispielhaft eine Richtzeichnung LS 1 vorgelegt, aus der ersichtlich ist, was dort ursprünglich Teil des Grundentwurfs ist und was im Rahmen der Ausführungsplanung vom Hauptunternehmer der Antragstellerin als Errichter der Lärmschutzwand vorgegeben wurde. Die Beigeladene, die ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte das wirtschaftlichste Angebot im vorliegenden Vergabeverfahren abgegeben hat, hat auf Nachfrage der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie im Zuschlagsfalle nach ihrem Angebot auch im vorliegenden Fall die konkrete Errichtung der Lärmschutzwand durch einen Nachunternehmer, ein Fachunternehmen, ausführen lässt.

Ein bei der Abwägung Fachlos- oder Gesamtvergabe berücksichtigungsfähiger bauvorhabenspezifischer Synergieeffekt (OLG Rostock, a.a.O.) läge somit nur dann vor, wenn dessen Eintritt bei Einsatz eines Nachunternehmers sichergestellt wäre, bei gesonderter Beauftragung als Fachlos demgegenüber nicht. Nachteile und Risiken der Fachlosvergabe, die bei Einsatz eines Nachunternehmers in gleicher Weise bestehen, heben sich insoweit im Rahmen der Abwägung auf und können deshalb keine Berücksichtigung finden. Vorliegend verbleiben allein die möglichen Vorteile einer Verlagerung des Koordinierungsaufwands vom Auftraggeber auf den Generalunternehmer als typische Folge des Absehens von der Losvergabe. Diese sind bei der Abwägung jedoch nicht berücksichtigungsfähig. Denn der Gesetzgeber hat mit dem Regel-Ausnahme-Prinzip des § 97 Abs. 4 GWB ausdrücklich einen erhöhten Koordinierungsaufwand des öffentlichen Auftraggebers durch den Primat der Losbildung zugunsten der Berücksichtigung mittelständischer Interessen bewusst in Kauf genommen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2012 – 1 Verg 2/11 = NZBau 2012, S. 598 ff., 599; Antweiler in Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 4. Aufl., § 97 Abs. 4 GWB, Rn. 52; Frenz in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 5. Aufl., § 97 GWB, Rn. 112, m.w.N.).

Schließlich führt auch eine Gesamtschau des Bauvorhabens “Verlegung der Bundesstraße …” oder gar aller Bauvorhaben des Antragsgegners zu keiner abweichenden Bewertung. Der Antragsgegner hat zwar darauf hingewiesen, dass er im Zuge der Gesamtbaumaßnahme durchaus Teil- und Fachlose vergibt. Das allein rechtfertigt indes nicht, hinsichtlich der Lärmschutzwandarbeiten ohne weitere Gründe von der Fachlosvergabe abzusehen.

Die streitbefangene Errichtung der Lärmschutzwände stellt sich vielmehr auch im Zusammenhang mit dem verfahrensgegenständlichen Brückenbau als Bauleistung dar, die typischerweise für eine Fachlosbildung geeignet ist.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist daher in vollem Umfang begründet.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB in der seit dem 18.04.2016 geltenden Fassung (Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) vom 17.02.2016 (BGBl. I, S. 203), in Kraft getreten gemäß dessen Art. 3 am 18.04.2016).

Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 Euro, die Höchstgebühr 50.000 Euro und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 Euro.

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung aus Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 Euro (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 Euro zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 Euro (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. Euro (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

Der zugrunde zu legende Auftragswert wird auf … Euro (brutto) festgesetzt. Dieser Betrag berücksichtigt in Ermangelung eines Angebotes der Antragstellerin ihren mit Antrags-schriftsatz mitgeteilten, von ihr auf … bis … Euro (netto) geschätzten Wert (Mittelwert zzgl. 19 % Mehrwertsteuer) des unterbliebenen Fachloses und damit ihrem Interesse am Auftrag.

Bei einer Gesamtsumme von … Euro ergibt sich eine Gebühr in Höhe von … Euro. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein.

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin in der Hauptsache Erfolg hatte.

Der Antragsgegner ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung der auf ihn entfallenden Kosten gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 BVerwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2005, Az.: WVerg 0014/04). Zwar ist das BVerwKostG mit Wirkung vom 15.08.2013 aufgehoben worden, jedoch ist es aufgrund der starren Verweisung aus § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB auf das BVerwKostG in der Fassung vom 14.08.2013 hier weiter anzuwenden. Inhaltlich entspricht die dortige Regelung § 8 BGebG.

Die Beigeladene hat vorliegend keinen Antrag zur Hauptsache gestellt. Sie war daher nicht anteilig an den Kosten zu beteiligen.

Kosten der Antragstellerin:

Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat der Antragsgegner der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten. Gemäß § 182 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf den Antrag der Antragstellerin gemäß Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren für die Antragstellerin notwendig war. Ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, bedurfte die Antragstellerin gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung.

Angesichts der Tatsache, dass der Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren in der Hauptsache unterlegen ist, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.

VK Nordbayern: Wertungsentscheidung kann nicht vom Auftraggeber auf Dritte delegiert werden

VK Nordbayern: Wertungsentscheidung kann nicht vom Auftraggeber auf Dritte delegiert werden

vorgestellt von Thomas Ax

Eine Amtsermittlung durch die Vergabekammer ist – unabhängig von einer Begrenzung durch die Rügeobliegenheit – zulässig, wenn ein so schwerwiegender Fehler vorliegt, dass eine tragfähige Zuschlagsentscheidung bei einer Fortsetzung des Verfahrens praktisch nicht möglich ist, etwa weil nur willkürliche oder sachfremde Zuschlagskriterien verbleiben oder das vorgegebene Wertungssystem so unbrauchbar ist, dass es jede beliebige Zuschlagsentscheidung ermöglicht (hier bejaht). Sehen die Vergabeunterlagen vor, dass eine “Fachkommission aus Bauherr, Nutzer und Planer” die Prüfung und Wertung vornimmt, ist diese Zusammensetzung vergaberechtswidrig, da die Wertungsentscheidung nicht vom Auftraggeber auf Dritte delegiert werden kann.

VK Nordbayern, Beschluss vom 28.01.2025 – RMF-SG21-3194-9-39

Sachverhalt:

1. Die VSt schrieb mit Auftragsbekanntmachung vom xxxxxx (TED: xxxx) europaweit die Lieferung von Stühlen für eine Reihenbestuhlung aus.

2. Die Zuschlagskriterien sind der Angebotspreis zu 50 Prozent und die Bewertungskriterien zu 50 Prozent. Es gibt 142 Wertungspunkte. 100 Wertungspunkte für den niedrigsten Wertungspreis (50 Prozent = 50 Punkte) und 42 Wertungspunkte für die Gestaltung / Konstruktion (50 Prozent = 21 Punkte):

Laut Leistungsbeschreibung ist für die Angebotsprüfung ein Stuhl zur Bemusterung bereitzustellen.

3. Die ASt, die BGl und drei weitere Bieter reichten jeweils Angebote ein.

Laut Vergabeunterlagen werden die Angebote durch eine Fachkommission aus Bauherr, Nutzer und Planer gewertet:

“Prüfung und Wertung der Ausstattung:

Die Ausstattung wird durch eine Fachkommision aus Bauherr, Nutzer und Planer anhand der Wertungskriterien überprüft. Hinsichtlich der Bewertung akzeptiert jeder Bieter mit Abgabe seines Angebot die Beurteilungs- und Entscheidungskompetenz der Fachkommission und die daraus resultierende Gesamtpunktvergabe.”

Der Vergabevermerk datiert vom 28.08.2024 und wurde vom externen Dienstleister B….. erstellt. Der Vergabevermerk enthält den Vergabevorschlag, dass der Auftrag an die BGl erteilt werden soll. Zur Begründung wurde auf die Bewertungsmatrix verwiesen.

Die (von der Vergabekammer geschwärzte) Bewertungsmatrix (ohne Bieter 4 u. 5) sieht wie folgt aus:

Die Bewertungsmatrix selbst enthält weder ein Datum noch Informationen zur Fachkommission oder sonstige Vermerke zur Wertung.

Am 12.11.2024 und erneut am 28.11.2024 forderte daher die Vergabekammer die VSt auf alle Vergabevermerke, insbesondere zur Wertung, zu übersenden. Am 04.12.2024 übersandte die VSt eine pdf-Datei “Vergabevorschlag”, in der u.a. die oben genannte Bewertungsmatrix und der Vergabevermerk enthalten sind und teilte mit, dass keine weiteren Unterlagen zur Wertung vorliegen würden.

4. Der Vergabeakte ist zu entnehmen, dass B. mit E-Mail vom 28.08.2024,
10:43 Uhr, mitteilte, dass formal alle Dokumente der BGl vorliegen würden. Es seien noch die Produktdatenblätter digitale Sitzplatznummerierung und manuelle Reihennummerierung sowie das GS-Zertifikat nachzufordern.

B. übersandte am 28.08.2024, 18:51 Uhr, eine weitere E-Mail mit Betreff Vergabeempfehlung an den Projektsteuerer D., mit der Bitte um Plausibilisierung und Weiterleitung an den Bauherrn für den Bauausschuss am 17.09.2024. Als Anlagen waren der Vergabevermerk vom 28.08.2024 und die undatierte Bewertungsmatrix beigefügt. Laut E-Mail werde die BGl noch einen Stuhl nach … liefern zur Bemusterung der Stapelung und Verkettung durch den Nutzer. Dieser sollte bis Anfang nächster Woche eintreffen. Eine Bewertung der ASt in allen Kriterien mit 0 würde an der Reihenfolge nichts ändern.

B. übermittelte am 28.08.2024, 19:11 Uhr, in einer weiteren inhaltsgleichen E-Mail das Ergebnis der Bewertungsmatrix an die VSt.

Am 02.09.2024 forderte die VSt bei der BGl noch einen weiteren Stuhl für eine Bemusterung der Verkettung und der Stapelung nach. Am gleichen Tag antwortete die BGl der VSt, dass bereits mit B. besprochen worden sei, dass ein zweites Muster kurzfristig hergestellt werden könne. Um dieses exakt und analog zum bereits gefertigten Sondermuster anfertigen zu können, würde die BGl das bereits gelieferte Muster abholen und zusammen mit dem neuen (zweiten) Muster bis spätestens Ende dieser Woche wieder zurück nach ….. liefern.

5. Mit Auftragsschreiben vom 22.10.2024 erteilte die VSt den Zuschlag auf das Angebot der BGl.

6. Mit Bieterinformationsschreiben nach § 134 GWB vom 24.10.2024 teilte die VSt der ASt erstmals mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der BGl am 05.11.2024 zu erteilen. Der Zuschlag auf das Angebot der ASt könne nicht erteilt werden, weil ein niedrigeres Hauptangebot vorliege.

7. Mit Schreiben vom 29.10.2024 rügte die ASt den Beschluss der VSt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die BGl ein ungewöhnlich niedriges Angebot abgegeben habe und auch wegen unzulässiger Nachbemusterung auszuschließen sei. Zudem wurde um Klärung gebeten, ob bei der BGl die geforderten GS-Zertifikate vorliegen würden. Andernfalls würde dies ebenfalls einen Ausschlussgrund darstellen.

8. Am 04.11.2024 teilte die VSt mit, dass kein ungewöhnlich niedriges Angebot vorliege und dass die GS-Zeichen Zertifizierung schon vor der Submission bestanden habe.

Bei der BGl sei erst nach Vollendung der Bewertung ein zweiter Musterstuhl angefordert worden. Der zusätzlich abgefragte Musterstuhl habe keine Einflussnahme auf die Zuschlagsentscheidung gehabt, da dieser außerhalb des Bewertungszeitraums im Anschluss an die Bewertung durch ein Fachgremium zur Verfügung gestellt worden sei. Am 26.08.2024 habe der Bemusterungstermin im Fachgremium stattgefunden und die Anfrage für die Bereitstellung sei am 02.09.2024 erfolgt. Die Vergabeempfehlung seitens des Innenarchitekten sei mit Grundlage der Bewertungsmatrix am 28.08.2024 an den Projektsteuerer erfolgt.

Ein zweiter Stuhl sei bei den anderen Bietern nicht nachgefordert worden, da durch diese bereits mehrere Muster bereitgestellt worden seien. Diese seien durch die Bieter zur Verfügung gestellt worden, welches einen Wettbewerbsvorteil darstelle. Im Sinne des Gleichbehandlungsgesetztes sei ein zweiter Musterstuhl von der BGl nachgefordert worden.

9. Mit Schriftsatz vom 04.11.2024 stellte die ASt einen Antrag auf Nachprüfung und beantragt:

1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, den beabsichtigten Zuschlag auf das Angebot der Mitbewerberin ….. zu unterlassen

2. der Vergabestelle aufzugeben, das Vergabeverfahren aufzuheben und gegebenenfalls neu durchzuführen

3. dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen

4. den Antragsgegner gem. § 169 Abs. 1 GWB – aufgrund der Dringlichkeit unverzüglich – über den Nachprüfungsantrag zu informieren.

Die BGl habe nach Fristablauf weitere Muster eingereicht. Die nachträgliche Einreichung weiterer Muster stelle eine unzulässige Änderung des Angebots dar. Die BGl sei von der Wertung auszuschließen.

10. Mit einem neuen Bieterinformationsschreiben nach § 134 GWB vom 07.11.2024 teilte der Verfahrensbevollmächtigte der VSt der ASt mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag an die BGl am 18.11.2024 zu erteilen. Die BGl habe in den Kriterien Preis, Sitzkomfort, generelle Verarbeitung und Optik ein besseres Ergebnis als die ASt erzielen können. Die ASt habe in den Kriterien mechanische Funktion, sichtbare Metallteile, Stoff und Maße ein besseres Ergebnis als die BGl erzielen können. Die BGl hätte insgesamt eine höhere Gesamtpunktzahl als die ASt in der Wertung erreicht.

11. Mit Schriftsatz vom 11.11.2024 erwiderten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt und beantragen:

1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

2. Der Antragstellerin werden die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Gebühren und Auslagen der Antragsgegnerin auferlegt.

3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war erforderlich.

Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet. Die Anforderung eines zweiten Stuhls bei der BGl sei nach Abschluss des Wertungsvorgangs erfolgt und habe keinerlei Relevanz auf den Wertungsprozess gehabt.

Die Angebotswertung sei am 26.08.2024 erfolgt. Dieses Ergebnis sei von dem externen Dienstleister, der zur Angebotsprüfung eingeschaltet worden sei, als Vergabeempfehlung am 28.08.2024 an die VSt übermittelt worden. Der Zuschlag solle auf das Angebot der BGl erteilt werden. Der Entscheidungsprozess sei damit abgeschlossen gewesen.

Da die Nutzerin, die Betreiberin der ….., die Stühle im Hinblick auf Verkettung und Stapelmöglichkeit habe ausprobieren wollen, sei die BGl am 02.09.2024 gebeten worden, einen zweiten Stuhl zur Verfügung zu stellen.

Nach Zustellung des Nachprüfungsantrages sei offenbar geworden, dass die Vorabinformation vom 24.10.2024 nicht wie in § 134 GWB gefordert, alle Gründe für die Nichtberücksichtigung der anderen Angebote enthalten habe. Daher sei am 07.11.2024 die Vorabinformation wiederholt worden. Zudem sei festgestellt worden, dass die Zuschlagserteilung versehentlich bereits vor Versendung der Vorabinformation erfolgt sei.

12. Mit Schriftsatz vom 18.11.2024 wiederholte und ergänzte die ASt ihre bisherige Rechtsauffassung.

Das Vergabeverfahren leide an schwerwiegenden Verfahrensmängeln. Die ursprüngliche Vorabinformation gemäß § 134 GWB sei unvollständig gewesen, wodurch die Rechte der Bieter erheblich beeinträchtigt worden seien. Zudem sei der Zuschlag vor Ablauf der Wartefrist erfolgt. Auch habe nach Auffassung der ASt der zweite Musterstuhl die Angebotswertung beeinflusst. Zudem begründe eine frühere Zusammenarbeit des externen Dienstleisters B. mit der BGl den Anschein eines Interessenkonflikts. Auch bestünden Zweifel am Vorliegen eines gültigen GS Zeichens der BGl. Eine faire und transparente Vergabe sei nur durch eine Neuausschreibung zu gewährleisten. Dies müsse unter Ausschluss von B. erfolgen.

13. Mit Schriftsatz vom 22.11.2024 wiederholten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt ihre Rechtsauffassung. Der zweite Stuhl habe keinen Einfluss auf die bereits abgeschlossene Angebotsauswertung gehabt. Das Angebot der BGl erfülle alle Anforderungen. Der VSt sei keine Geschäftsbeziehung zwischen dem externen Dienstleister und der BGl bekannt.

14. Mit Schriftsatz vom 28.11.2024 wiederholte und vertiefte die ASt ihre bisherige Rechtsauffassung.

15. Am 02.12.2024 wurde die Fa. ….. zum Verfahren beigeladen. Am 04.12.2024 wurde der BGl Akteneinsicht gewährt.

16. Mit Schriftsatz vom 06.12.2024 nahmen die Verfahrensbevollmächtigten der BGl Stellung.

Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da der ASt die Antragsbefugnis fehle. Der ASt könne kein Schaden entstanden sein, denn das Angebot der ASt belege nach der Wertung nicht den zweiten Rang. Zudem seien die Rügen unsubstantiiert. Die ASt spekuliere ins Blaue hinein, dass das Angebot der BGl die Ausschreibungsanforderungen nicht erfülle und dass die BGl vermeintliche Geschäftsbeziehungen zur Firma B. unterhalte.

Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet. Die Vorführung eines zweiten Stuhls sei zulässig gewesen. Die BGl habe durch die Vorführung des zweiten Stuhls lediglich die Eigenschaften der angebotenen Stühle hinsichtlich Stapelbarkeit und Verkettung verdeutlicht. Die anderen Bieter hätten im Rahmen der Bemusterung bereits mehrere Muster bereitgestellt gehabt. Dadurch, dass der BGl eine Bemusterung unter Verwendung von mehr als einem Stuhl ermöglicht worden sei, sei eine Gleichbehandlung der Angebote erfolgt. Die Vorführung des zweiten Stuhls sei jedenfalls nach Abschluss der Angebotswertung erfolgt und habe somit keinen Einfluss gehabt. Aus den Vergabeunterlagen gehe hervor, dass sich die Reihenfolge der Angebote selbst dann nicht geändert hätte, wenn das Angebot der BGl in allen Kriterien mit “0” bewertet worden wäre.

Im Übrigen erfülle das Angebot der BGl die Anforderungen und es bestehe keine Geschäftsbeziehung der BGl zur Firma B.. Das seitens der ASt genannte Projekt sei 2011 durchgeführt worden. Die BGl habe in dem Projekt Stühle geliefert, während die Firma B. das Projekt auf Seiten des Auftraggebers begleitet habe.

17. Die Verfahrensbeteiligten haben am 12.12.2024, 13.12.2024 und 16.12.2024 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

18. Die Fünf-Wochen-Frist des § 167 Abs. 1 Satz 1 GWB wurde wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten rechtzeitig verlängert.

19. Im Übrigen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die Verfahrensakte der Vergabekammer und die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, Bezug genommen.

Begründung

Die erkennende Vergabekammer konnte gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB nach Lage der Akten entscheiden, weil die Verfahrensbeteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben.

Gemäß § 168 Abs. 1 Satz 2 GWB ist die Vergabekammer nicht an die Anträge gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Der Nachprüfungsantrag der nicht anwaltlich vertretenen ASt wird anhand ihrer schriftsätzlichen Ausführungen laiengünstig dahingehend ausgelegt, dass die ASt die Feststellung der Unwirksamkeit des bereits geschlossenen öffentlichen Auftrags und die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Auftragsbekanntmachung begehrt.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet.

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfungsverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.

b) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB.

c) Bei dem ausgeschriebenen Lieferauftrag handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 2 GWB.

d) Der maßgebliche Schwellenwert nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB ist überschritten.

e) Die ASt ist antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB, denn sie hat ihr Interesse an dem öffentlichen Auftrag mit der Abgabe eines Angebotes nachgewiesen und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht. Die ASt hat auch dargelegt, dass ihr ein Schaden zu entstehen droht. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes kann die Antragsbefugnis nur einem Antragsteller abgesprochen werden, bei dem eine Rechtsbeeinträchtigung offensichtlich nicht gegeben ist. Für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ist insoweit die schlüssige Behauptung der Rechtsverletzung erforderlich, aber regelmäßig auch ausreichend (vgl. BGH, B. v. 18.05.2004 – X ZB 7/04). Ob der Rechtsverstoß tatsächlich vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit. Die ASt trägt neben dem Verstoß gegen § 134 GWB insbesondere schwerwiegende Verfahrensmängel vor und beanstandet die Angebotswertung. Sie belegt laut Wertungsergebnis der VSt zwar lediglich den dritten Rang. Entgegen der Rechtsauffassung der BGl sind vorliegend jedoch durchaus Umstände ersichtlich, aus denen sich eine Verschlechterung der Zuschlagschancen für die ASt ergeben. Nach Auffassung der Vergabekammer erfolgte der Wertungsvorgang durch die VSt vergaberechtswidrig (siehe unten Ziffer 2.). Die Vergabeverstöße wirken sich damit auf die Rangfolge der Angebote aus und es ist nicht ausgeschlossen, dass das Angebot der ASt auf eine aussichtsreiche Rangstelle vorrückt. Im Rahmen der Zulässigkeit sind an die Antragsbefugnis keine allzu hohen Anforderungen geknüpft.

f) Die ASt hat nicht gegen Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 GWB verstoßen.

aa) Bezüglich der Zuschlagserteilung an die BGl am 22.10.2024 unter Verstoß gegen die Wartepflicht traf die ASt keine Rügepflicht. Der Zweck der Rüge, auf ein vergaberechtskonformes Vergabeverfahren hinzuwirken, konnte nach Zuschlagserteilung nicht mehr erreicht werden. Mit dem Zuschlag wurde das Vergabeverfahren vorläufig beendet (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 12.06.2019 – VII-Verg 54/18).

Bezüglich der Fehlerhaftigkeit des Informationsschreibens vom 24.10.2024, in dem nicht ausreichend über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung des Angebots der ASt informiert wurde, ist ein Verstoß der ASt gegen die Rügeobliegenheit aus § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht festzustellen. Die Rügeobliegenheit wird nur ausgelöst, wenn der Antragsteller eine feststellbare und im Streitfall vom öffentlichen Auftraggeber nachzuweisende positive Kenntnis von den einen Vergaberechtsverstoß begründenden tatsächlichen Umständen hat. Darüber hinaus muss er aufgrund laienhafter, vernünftiger Bewertung zugleich die positive Vorstellung von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften gewonnen haben (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 12.06.2019 – VII-Verg 54/18). Nach den vorgenannten Maßstäben kann weder eine positive Kenntnis der ASt von dem Fehler des Informationsschreibens noch ein mutwilliges Sich-der-Erkenntnis-Verschließen festgestellt werden. Auch der Umstand, dass sich die ASt spätestens im Zuge ihrer Rüge mit dem Informationsschreiben befasste, reicht nicht aus um zu belegen, dass die ASt den Fehler tatsächlich bemerkt hat. Wäre das der Fall, hätte es nahe gelegen, dass die ASt auch dies gegen die von ihr beanstandete Auftragserteilung an die BGl angeführt hätte.

Im Übrigen hat die ASt die Entscheidung der VSt, den Zuschlag auf das Angebot der BGl am 05.11.2024 zu erteilen, innerhalb von zehn Kalendertagen nach Erhalt des Informationsschreibens gerügt, § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB.

bb) Soweit die BGl vorbringt, dass die Rügen hinsichtlich der seitens der ASt bezweifelten Ausschreibungskonformität des Angebots der BGl sowie bezüglich eines vermeintlichen Interessenskonfliktes nach § 6 VgV nicht hinreichend substantiiert seien, so gehen diese Ausführungen vorliegend fehl. Die genannten Vorwürfe wurden von der ASt erst nach Einreichung des Nachprüfungsantrags erhoben.

Die ASt hat insoweit auch nicht gegen eine Rügepflicht verstoßen. Denn Umstände, aus denen sich derartige Verstöße gegen das Vergaberecht ergeben könnten, sind ihr erst im Nachprüfungsverfahren bekannt geworden. Erst dann hat die ASt von weiteren Details über das Angebot der BGl und den Gründen der VSt für die Nachforderungen bei der BGl sowie der Zusammenarbeit der VSt mit dem externen Dienstleister B. erfahren.

Nach Stellung des Nachprüfungsantrags müssen neu erkannte Verstöße gegen das Vergaberecht nicht mehr gerügt werden. Die Rügeobliegenheit des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB bezieht sich ausdrücklich nur auf vor Einreichung des Nachprüfungsantrags erkannte Verstöße. Zudem kann danach der Zweck der Rügeobliegenheit, ein Nachprüfungsverfahren zu vermeiden, nicht mehr erreicht werden (vgl. OLG Schleswig-Holstein, B. v. 27.10.2022 – 54 Verg 7/22).

g) Die Fristen des § 135 Abs. 2 GWB zur Anbringung des Nachprüfungsantrags – 30 Kalendertage nach der Information der Bieter durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrags und nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss – sind durch den Nachprüfungsantrag vom 04.11.2024 gewahrt.

h) Der bereits erteilte Zuschlag vom 22.10.2024 steht der Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens nicht entgegen im Sinne von § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB, da der Nachprüfungsantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des öffentlichen Auftrags gemäß § 135 GWB gerichtet ist (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 12.06.2019 – VII-Verg 54/18).

2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.

Die ASt ist durch den Zuschlag auf das Angebot der BGl in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Der an die BGl erteilte Zuschlag ist von Anfang unwirksam, § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB.

Gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB ist ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber gegen die aus § 134 GWB folgende Informations- und Wartepflicht verstoßen hat und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist.

Die VSt hat gegen § 134 GWB verstoßen (siehe a) und hat darüber hinaus im Vergabeverfahren weitere Vergabeverstöße begangen (siehe b).

a) Der Zuschlag auf das Angebot der BGl verstößt gegen § 134 GWB, da die VSt sowohl die Informationspflicht als auch die Wartepflicht nicht eingehalten hat.

Zum einen entspricht das Informationsschreiben vom 24.10.2024 nicht den inhaltlichen Anforderungen des § 134 GWB. Der im Schreiben angegebene Grund für die vorgesehene Nichtberücksichtigung des Angebots der ASt – es liege ein niedrigeres Hauptangebot vor – war fehlerhaft. Die VSt hätte stattdessen Angaben zur Wertung mitteilen müssen.

Zum anderen hat die VSt die Wartepflicht nicht eingehalten, denn die Zuschlagserteilung erfolgte bereits vor Versendung der Vorabinformation.

b) Die Zuschlagserteilung unter Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht verletzt die ASt darüber hinaus in ihren Rechten und beeinträchtigt ihre Zuschlagschancen.

Das Vergabeverfahren leidet an derart schwerwiegenden Verfahrensmängeln, dass das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückversetzt werden muss (siehe aa). Überdies beanstandete die ASt zu Recht die durchgeführte Angebotswertung als vergaberechtswidrig (siehe bb). Im Übrigen ist über die weiteren Beanstandungen seitens der ASt nicht mehr zu entscheiden (siehe cc).

aa) Die Vergabekammer ist der Auffassung, dass nicht nur die beanstandete Angebotswertung, sondern bereits deren Grundlage, nämlich die Wertungsmatrix und deren Wertungskriterien, sowie die Zusammensetzung der Fachkommission fehlerhaft sind.

Dies hat die ASt zwar weder ausdrücklich gerügt noch im Nachprüfungsantrag geltend gemacht, allerdings ist die Vergabekammer der Ansicht, dass dieser Umstand von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Die Vergabekammer erforscht den Sachverhalt von Amts wegen, § 163 Abs. 1 GWB, wobei die Nachprüfungsinstanzen zu einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle nicht verpflichtet sind.

Es ist umstritten, wie weitgehend der Amtsermittlungsgrundsatz des § 163 Abs. 1 GWB durch die Rügeobliegenheit begrenzt wird. Im Allgemeinen wird die Auffassung vertreten, dass Vergaberechtsfehler dann nicht von Amts wegen berücksichtigt werden dürfen, wenn eine entsprechende Rüge nach § 160 Abs. 3 GWB präkludiert wäre oder ist, da eine Rügepräklusion ihren Sinn verlöre, wenn der Mangel dennoch von Amts wegen eingeführt werden könnte (vgl. OLG Düsseldorf B. v. 23.06.2010 – Verg 18/10; OLG Schleswig B. v. 15.04.2011 – Verg 10/10). Im vorliegenden Fall ist schon fraglich, ob die von Amts wegen zu berücksichtigenden Verstöße (Wertungsmatrix und deren Wertungskriterien sowie die
Zusammensetzung der Fachkommission) für die ASt überhaupt erkennbar im Sinne des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB waren. Die Erkennbarkeit muss sich dabei sowohl auf die den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen. Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem durchschnittlich erfahrenen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebotes auffallen muss. So können von einem durchschnittlich fachkundigen Bieter vertiefte Rechtskenntnisse, die es erlauben, die Vergaberechtskonformität eines Bewertungssystems zu beurteilen, nicht erwartet werden (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 28.09.2022 – VII-Verg 2/22). Es bedarf hier jedoch keiner Entscheidung, ob eine Rügepräklusion hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Fehler eingetreten ist. Denn eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird in ganz besonders gelagerten Fällen für gerechtfertigt gehalten, nämlich dann, wenn ein so schwerwiegender Fehler vorliegt, dass eine tragfähige Zuschlagsentscheidung bei einer Fortsetzung des Verfahrens praktisch nicht möglich ist, etwa weil nur willkürliche oder sachfremde Zuschlagskriterien verbleiben oder das vorgegebene Wertungssystem so unbrauchbar ist, dass es jede beliebige Zuschlagsentscheidung ermöglicht (vgl. OLG München, B. v. 10.08.2017 – Verg 3/17). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegend Fall machen die Vergaberechtsfehler die Fortsetzung des Vergabeverfahrens unmöglich, weil eine vergaberechtskonforme Wertung der vorliegenden Angebote und ein entsprechender Zuschlag auf der Grundlage der vorliegenden Ausschreibung nicht möglich ist (vgl. OLG Celle, B. v. 02.02.2021 – 13 Verg 8/20).

i. Die Formel zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots ist in sich widersprüchlich und für die Angebotsbewertung ungeeignet.

Laut Vergabeunterlagen sind Zuschlagskriterien der Angebotspreis zu 50 % und die Bewertungskriterien zu 50 %. Laut Formel werden 142 Wertungspunkte vergeben. Maximal 100 Wertungspunkte für den niedrigsten Wertungspreis (50 % = 50 Punkte) und maximal 42 Wertungspunkte für die Gestaltung/Konstruktion (50 % = 21 Punkte).

Eine zu erreichende maximale Punktzahl von 50 Punkten für den Angebotspreis und 21 Punkten für die Bewertungskriterien entspricht allerdings nicht der Vorgabe, dass die Zuschlagskriterien jeweils mit 50 % gewertet werden sollen.

ii. Die Wertungsmatrix zur Bewertung der Musterstühle ist vergaberechtswidrig.

Demnach wird ein Musterstuhl mit 3 Punkten gewertet, wenn die Anforderungen bestmöglich erfüllt sind, mit 2 Punkten, wenn die Anforderungen überdurchschnittlich erfüllt sind, mit
1 Punkt, wenn die Mindestanforderungen erfüllt sind und mit 0 Punkten, wenn die Anforderungen nicht erfüllt sind.

Die Beschreibung bei der Kriteriengruppe “Stoff” lautet: “Der angebotene Stoff entspricht der Ausschreibung in Material, Strapazierfähigkeit und Design”.

Die Beschreibung bei der Kriteriengruppe “Optik” lautet: “Der Stuhl entspricht dem ausgeschriebenen Design in Form, Proportion und Größe”.

Die Beschreibung bei der Kriteriengruppe “Maße” lautet: “Sind die Maße des Stuhls eingehalten? (…)”.

Die Auslegung der Vergabeunterlagen erfolgt nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters (vgl. BayObLG, B. v. 13.06.2022 – Verg 6/22). Aus Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters sind die Vergabeunterlagen dahingehend zu verstehen, dass der Begriff “Anforderungen” als “Mindestanforderungen” zu verstehen ist. Dies ergibt sich für die Vergabekammer aus einer Gesamtschau der Wertungsmatrix und der Beschreibung der Kriterien.

Eine Punkteabstufung hinsichtlich des Erfüllens von Mindestanforderungen ist allerdings nicht zulässig. Ein Angebot das die Mindestanforderungen nicht erfüllt, ist zwingend auszuschließen. Eine Bewertung lediglich mit 0 Punkten genügt nicht.

iii. Die Vergabeunterlagen leiden ferner daran, dass die Angebotswertung durch eine Fachkommission erfolgt, deren Zusammensetzung unzulässig ist.

Laut Vergabeunterlagen wird die Ausstattung durch eine Fachkommission aus “Bauherr, Nutzer und Planer” geprüft und gewertet.

Eine derartige Zusammensetzung ist vergaberechtswidrig. Es ist zwar grundsätzlich zulässig, dass der Auftraggeber externen Sachverstand bei der Angebotsbewertung hinzuzieht, die Wertungsentscheidung muss jedoch vom Auftraggeber selbst getragen werden. Die Wertungsentscheidung kann nicht vom Auftraggeber auf Dritte delegiert werden, weil es sich um eine eigenverantwortlich zu treffende Entscheidung des Auftraggebers handelt (vgl. VK Bund, B. v. 07.12.2022 – VK 1 – 95/22). Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht lediglich um eine Vorbereitung der Angebotsauswertung durch einen externen Dienstleister, dessen Ergebnis sich der Auftraggeber zu eigen machen kann. Vielmehr sollen Externe gemeinsam mit der VSt die Wertungsentscheidung treffen.

bb) Im Übrigen kommt es auf etwaige weitere Fehler der Angebotsprüfung bzw. -wertung nicht mehr an, da wie ausgeführt die Vorgaben des Vergabeverfahrens keine geeignete Basis darstellen für einen korrekten Vergabewettbewerb.

Die Vergabekammer weist die VSt in diesem Zusammenhang dennoch auf weitere festgestellte Vergabeverstöße hin.

i. Die Berechnung der Preispunkte und damit auch der Gesamtpunktzahl erfolgte fehlerhaft.

Laut Vergabeunterlagen werden maximal 100 Wertungspunkte für den niedrigsten Angebotspreis vergeben. Die Gewichtung beträgt 50 %, sodass ein Bieter maximal 50 Preispunkte erhalten kann.

Die Vorgehensweise der VSt bei der Angebotswertung entspricht jedoch nicht den genannten Vorgaben. Die Angebotswertung ergibt, dass die erreichten Preispunkte – anders als die Wertungspunkte für die Gestaltung/Konstruktion – nicht mit 50 % sondern zu 100 % gewertet worden sind. So erhielt ein Bieter 100 Preispunkte für den niedrigsten Angebotspreis, obwohl nur maximal 50 Preispunkte vergeben werden durften. Entsprechend wirkte sich dies auch auf die vergebene Gesamtpunkzahl aus. So erhielt ein Bieter 115 Gesamtpunkte, obwohl nur maximal 71 Gesamtpunkte (50 Preispunkte und 21
Wertungspunkte für Gestaltung/Konstruktion) erreichbar waren.

ii. Laut Leistungsbeschreibung ist für die Angebotsprüfung ein Stuhl zur Bemusterung bereitzustellen. Das Kriterium “Mechanische Funktion: Verkettung und Stapelbarkeit” wurde laut Angaben der VSt anhand eines Musterstuhls geprüft und gewertet.

Für die Vergabekammer ist insoweit nicht nachvollziehbar, wie die Fachkommission in der Lage gewesen sein soll, die Verkettung und Stapelbarkeit mithilfe nur eines Musterstuhls zu prüfen und zu bewerten. Die Vergabedokumentation enthält hierzu keine Informationen.

iii. Die Vergabekammer beanstandet auch die ungenügende Vergabedokumentation zur Angebotswertung.

Die Wertungsmatrix enthält kein Datum und es ist nicht erkennbar, welche Personen Teil der Fachkommission waren. Weitere Unterlagen zur Wertung gibt es laut VSt nicht.

Die Vergabekammer ist dadurch nicht in der Lage zu überprüfen, ob die seitens der ASt beanstandete Nachforderung eines zweiten Musterstuhls bei der BGl auf die Angebotswertung Einfluss genommen hat oder nicht. Die schriftsätzlichen Ausführungen der VSt waren vorliegend nicht geeignet, die Dokumentationsmängel auszugleichen.

cc) Nachdem das Vergabeverfahren an den unter Ziffer 2. b) aa) festgestellten grundlegenden Fehlern leidet, die eine vergaberechtskonforme Zuschlagserteilung ausschließen, ist es nicht mehr erforderlich, dass die Vergabekammer über weiteren seitens der ASt behaupteten Vergabeverstöße entscheidet.

Die Vergabekammer merkt allerdings an, dass nach Aktenlage entgegen der Auffassung der ASt ein vermeintlicher Interessenskonflikt nach § 6 VgV im Zusammenhang mit dem externen Dienstleister B. nicht erkannt werden kann.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.

a) Die VSt und die BGl tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte, weil sie jeweils mit ihren Anträgen unterlegen sind (§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB).

Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der ASt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.

Es entspricht der Billigkeit die BGl an den Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der ASt zu beteiligen, da sie sich mit anwaltlicher Hilfe schriftsätzlich aktiv im Verfahren vor der Vergabekammer mit umfangreichen Ausführungen wesentlich beteiligt hat (vgl. OLG München, B.v. 08.03.2016, Verg 1/16). Durch ihre Mitwirkung versuchte die BGl den Verfahrensausgang zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die BGl hat in ihrem 9-seitigen Schriftsatz vom 06.12.2024 vertieft ausgeführt, dass der Nachprüfungsantrag sowohl unzulässig als auch unbegründet sei. Durch diese aktive Mitwirkung am Verfahren hat sie sich einem Kostenrisiko ausgesetzt. Im Fall des Obsiegens hätte sie auch ihre Aufwendungen erstattet bekommen. Einer aktiven Beteiligung des Beigeladenen am Vergabenachprüfungsverfahren in Form einer eigenen Antragstellung bedarf es für eine Pflicht zur Kostentragung hingegen nicht (vgl. OLG Rostock, B.v. 21.07.2017, 17 Verg 2/17).

b) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und Abs. 3 GWB festzusetzen. Unter Berücksichtigung der Bruttoangebotssumme der ASt und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamts eine Gebühr in Höhe von xxxx,- Euro.

Da ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, wird die Gebühr um xxx,- Euro auf xxxx,- Euro reduziert.

c) Die VSt ist gemäß § 182 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (in der am 14.08.2013 geltenden Fassung) von der Zahlung der Gebühr befreit.

Sofern der Kostenvorschuss in Höhe von 2.500,- Euro von der ASt einbezahlt wurde, wird dieser nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die ASt zurücküberwiesen.

[Rechtsmittelbelehrung]

VK Nordbayern bestätigt unsere HOAI-Vergabestrategie

VK Nordbayern bestätigt unsere HOAI-Vergabestrategie

von Thomas Ax

Wir geben abgefragte Honorarparameter frei an:
* Honorarzone
* Honorarsatz
* Ggf. Nachlass in % auf Gesamthonorar
* Leistungsphasen (1-9) und Bewertung
* Abrechnungsmodus für mehrere Objekte § 11 Abs. 1+2 HOA1 (Angabe, ob eine getrennte oder zusammengefasste Honorarermittlung für die Objekte Schule / Turnhalle angeboten wird)
* Umbauzuschlag in % gern. § 36 HOAI (Kalkulationsvorgabe: nur für den Umbauanteil, ermittelt im prozentualen Verhältnis der anrechenbaren Kosten)
* Angaben zur Ermittlung des Umfangs der mitzuverarbeitenden Bausubstanz § 4 Absatz 3 HOAI – Oder alternativ: Angabe, ob berücksichtigt im Umbauzuschlag
* Abrechnungsmodus bzgl. Bauabschnittsbildung 1 zeitlich getrennter Ausführung (Angabe, ob und wie eine Zusammenfassung oder Trennung der anrechenbaren Kosten angeboten wird)
* Abrechnungsmodus für die Abbruchplanung (Angabe, ob und wie eine Trennung oder Zusammenfassung der anrechenbaren Kosten mit denen von Neubau/Umbau angeboten wird)

 Mögliche besondere Leistungen:
* LPH 2 – Anfertigen von 5 Stk. Präsentationsmodellen/ 3D-Animationen
* LPH 2+3, 5-8 – Planung KGR 600 (lose Ausstattung, Neu+Bestand) – (Angabe, ob und wie eine Trennung oder Zusammenfassung der anrechenbaren Kosten mit den der KG 300/400 angeboten wird)
* LPH 2-8 – Aufstellung, Fortschreibung und Koordination eines detaillierten Bauabwicklungskonzepts inkl. Interimsmaßnahmen und Baustelleneinrichtungsplanung
* LPH 5 – Erstellung von mit allen Fachplanern koordinierten Wandansichten/Raumblätter für 10 noch zu definierende Muster- Räume (M1:25)
* LPH 7 – Mitwirken bei Prüfung von bauwirtschaftlich begründeten Nachtragsangeboten
* LPH 8 – Fotodokumentation
* LPH 9 – Überwachen der Mängelbeseitigung LPH 9

 Zeithonorar:
* Auftragnehmer
* Dipl.-Ing.
* Sonstige Mitarbeiter

Weiter wird vermerkt, dass mit dem Angebotsformular auch eine Musterhonorarberechnung einzureichen sei.

Die Möglichkeit, die abgefragten Honorarparameter frei anzugeben, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Nachdem die HOAI 2021 nach § 7 Honorarvereinbarungen zulässt und somit keine zwingenden preisrechtlichen Vorgaben mehr vorsieht, ist es auch zulässig, Vereinbarungen über einzelne Parameter der HOAI zu treffen; es ist auch zulässig, sich grundsätzlich an der Systematik der HOAI zu orientieren, jedoch Vereinbarungen über Honorarparameter zu treffen wie etwa hinsichtlich der Honorarzone, die nach alter Rechtslage objektiv bestimmt wurde. Dem steht auch nicht entgegen, dass nach einem in den Vergabeunterlagen befindlichen Architektenvertragsmuster grundsätzlich die Vergütung nach der HOAI vorgesehen ist. Die Vereinbarung über die Honorarberechnung im Wege des von den Bietern angeforderten Honorarangebots ist nämlich als speziellere Regelung anzusehen. Für die Zumutbarkeit der Angebotskalkulation bzw. der Möglichkeit einer betriebswirtschaftlich vernünftigen Kalkulation (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 21.04.2021, VII-Verg 1/20) spricht: Die Bieter sind in der Lage, wertbare Angebote zu kalkulieren (VK Bund, B. v. 28.05.2020, VK 1-34/20). Mögliche Risiken bei der Kalkulation können kompensiert werden (zu diesem Aspekt Beck`scher Vergaberechtskommentar, § 121 GWB, Rn. 95), beispielsweise durch die Möglichkeit der freien Angabe des Honorarsatzes oder die Möglichkeit des Verzichts auf einen Nachlass. Hinzutreten kann, dass der Auftragsgegenstand auf Grundlage der Vergabeunterlagen hinreichend konkret ist. Damit ist nicht davon auszugehen, dass die spätere Planung als Grundlage für die spätere Honorarberechnung sich unzumutbar von den vorherigen Annahmen der Bieter entfernt.
VK Nordbayern, Beschluss vom 03.02.2025 – RMF-SG21-3194-9-37

Praxistipp: Bieterfragen dürfen nicht nur selektiv beantwortet werden

Praxistipp: Bieterfragen dürfen nicht nur selektiv beantwortet werden

von Thomas Ax

Der Grundsatz der Gleichbehandlung erfordert, dass ein öffentlicher Auftraggeber regelmäßig jede Auskunft, die er einem anfragenden Bieter gibt, auch allen anderen Bietern erteilt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Auftraggeber gegen das Gebot der Gleichbehandlung und Chancengleichheit aller Bieter verstößt.

Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz erhebt einen umfassenden und unmittelbaren Geltungsanspruch. Im Hinblick auf die Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen bei der Abgabe der Angebote sind die Bieter gleichmäßig über nachträgliche Ergänzungen oder Erläuterungen zu den Vergabeunterlagen zu informieren. Das bedeutet, dass wettbewerbsrelevante Fragen eines Bieters nicht ausschließlich individuell gegenüber diesem beantwortet werden dürfen, sondern die Antworten und, soweit es zwecks Nachvollziehbarkeit ihres Inhalts und ihrer Relevanz erforderlich ist, auch die gestellten Fragen allen Bietern mitzuteilen sind (VK Bund, Beschluss vom 27. Januar 2017 – VK 2-131/16).

Die unterlassene Weiterleitung von Bieterfragen und -antworten begründet einen schwerwiegenden Verfahrensfehler (VK Bund, Beschluss vom 10. März 2020 – VK 2 – 9/20).

Werden nur einem Unternehmen wettbewerbs- und preisrelevante Informationen zur Verfügung gestellt, kann diese Ungleichbehandlung die Vergleichbarkeit der Angebote aufheben und zur Rückversetzung oder im Ausnahmefall zur Aufhebung des Vergabeverfahrens führen. Dabei reicht es aus, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die unterbliebene Bieteröffentlichkeit auf die Angebotserstellung Auswirkungen hatte (BayObLG, Beschluss vom 1. August 2024 – Verg 19/23).

Ein Auftraggeber kann allenfalls im Einzelfall eine Bieterfrage individuell beantworten, wenn es sich nicht um eine zusätzliche sachdienliche Auskunft handelt. Der Begriff der zusätzlichen Auskunft ist dabei weit auszulegen. Sachdienlich sind Auskünfte, wenn sie objektiv mit der Sache zu tun haben und Missverständnisse ausräumen oder Verständnisfragen zu den Vergabeunterlagen beantworten (VK Thüringen, Beschluss vom 25. April 2019 – 250-4002-11352/2019-N-006-EF). Ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn offensichtlich ein individuelles Missverständnis des Bieters betroffen ist und die allseitige Beantwortung der Frage Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verletzen oder die Identität des Bieters preisgeben würde (VK Sachsen, Beschluss vom 24. August 2016 – 1/SVK/017-16 m. w. N.).

Die weite Auslegung des Begriffs der sachdienlichen zusätzlichen Auskunft ist geboten, weil die Bieter einen Anspruch haben, sich selbst eine Meinung über die Relevanz von zusätzlich erteilten Auskünften zu bilden und selbst einzuschätzen, inwieweit sie diesen Bedeutung für die eigene Angebotserstellung beimessen. Anderes gilt allenfalls für solche Fragen, deren Beantwortung sich in bloßen Wiederholungen von ohnehin bekannten und zweifelsfrei transparenten Vorgaben erschöpfen und die damit die Schwelle zur Auskunft oder Zusatzinformation nicht überschreiten, sondern die lediglich einem rein subjektiven, redundanten Informationsbedürfnis des Fragestellers entspringen. Nur in solchen Fällen kann es vorstellbar sein, dass eine bloße Wiederholung nicht allen Bietern zur Verfügung gestellt werden muss (VK Bund, Beschluss vom 28. Januar 2017 – VK 2 – 129/16). Die Weiterleitung der Antwort darf deshalb nicht von einer qualitativen Überprüfung des Frageinhaltes abhängig gemacht werden (Franzius in: Pünder/Schellenberg, § 12a VOB/A Rn. 13).
Es reicht daher für einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die unterbliebene Bieteröffentlichkeit auf die Angebotserstellung Auswirkungen haben könnte (VK Bund, Beschluss vom 27. Januar 2017 – VK 2 -131/16; Völlink in: Ziekow/Völlink, § 12a VOB/A, Rn. 15 und § 20 VgV Rn. 15).

Im Ergebnis müssen alle interessierten Unternehmen die gleichen Informationen erhalten, damit sie die gleichen Erfolgschancen haben (VK Bund, Beschluss vom 10. März 2020 – VK 2-5/20).

Praxistipp: Restarbeiten müssen auch nach der Kündigung des ursprünglichen Auftragnehmers erneut öffentlich ausgeschrieben werden

Praxistipp: Restarbeiten müssen auch nach der Kündigung des ursprünglichen Auftragnehmers erneut öffentlich ausgeschrieben werden

von Thomas Ax

Trotz erfolgter Kündigung des Altauftrags handelt es sich um einen Fall der Ersetzung des Auftragnehmers während der Vertragslaufzeit (vgl. BayObLG, B. v. 21.02.2024, Verg 5/12). Gemäß § 132 Abs. 1 Satz 1 GWB erfordern wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit ein neues Vergabeverfahren. Nach § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB liegt eine wesentliche Änderung insbesondere vor, wenn ein neuer Auftragnehmer den Auftragnehmer in anderen als den in § 132 Absatz 2 Satz 1 Nr. 4 GWB vorgesehenen Fällen ersetzt.

Nach der Systematik des § 132 GWB kann in einem solchen Fall der Auftragnehmer ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens nur unter den Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GWB ersetzt werden. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GWB liegen hier jedoch nicht vor.
Damit ist § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB nicht anwendbar (vgl. BayObLG, B. v. 21.02.2024, Verg 5/12). Ebenso ist § 132 Abs. 3 GWB nicht einschlägig. Die Beauftragung des Drittunternehmens im Wege von Nachträgen mit Nachunternehmereinsatz stellt eine Änderung des Gesamtcharakters des Auftrags dar (vgl. VK Südbayern, B. v. 28.02.2023, 3194.Z3-3_0122-41). Im Übrigen kommt insbesondere § 3a Abs. 3 Nr. 4 EU VOB/A nicht in Betracht. Ungeachtet dessen, dass diese Vorschrift lediglich die Wahl der Verfahrensart betrifft, liegen deren Voraussetzungen nicht vor.

Eine äußerste Dringlichkeit der Leistung aus zwingenden Gründen infolge von Ereignissen, die die VSt nicht verursacht hat und nicht voraussehen konnte, so dass selbst die Fristen in § 10a EU, § 10b EU, § 10c EU VOB/A nicht eingehalten werden können, ist nicht gegeben.
Eine zügige Weiterführung der Arbeiten sowie eine sparsame und wirtschaftliche Mittelverwendung gemäß dem Haushaltsrecht genügen hierfür nicht.

Praxistipp: Wie weitgehend der Amtsermittlungsgrundsatz des § 163 Abs. 1 GWB durch die Rügeobliegenheit begrenzt?

Praxistipp: Wie weitgehend der Amtsermittlungsgrundsatz des § 163 Abs. 1 GWB durch die Rügeobliegenheit begrenzt?

von Thomas Ax

Es ist umstritten, wie weitgehend der Amtsermittlungsgrundsatz des § 163 Abs. 1 GWB durch die Rügeobliegenheit begrenzt wird. Im Allgemeinen wird die Auffassung vertreten, dass Vergaberechtsfehler dann nicht von Amts wegen berücksichtigt werden dürfen, wenn eine entsprechende Rüge nach § 160 Abs. 3 GWB präkludiert wäre oder ist, da eine Rügepräklusion ihren Sinn verlöre, wenn der Mangel dennoch von Amts wegen eingeführt werden könnte (vgl. OLG Düsseldorf B. v. 23.06.2010 – Verg 18/10; OLG Schleswig B. v. 15.04.2011 – Verg 10/10).

Vielfach ist schon fraglich, ob die von Amts wegen zu berücksichtigenden Verstöße für die ASt überhaupt erkennbar im Sinne des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB waren. Die Erkennbarkeit muss sich dabei sowohl auf die den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen. Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem durchschnittlich erfahrenen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebotes auffallen muss.
So können von einem durchschnittlich fachkundigen Bieter vertiefte Rechtskenntnisse, die es erlauben, die Vergaberechtskonformität eines Bewertungssystems zu beurteilen, nicht erwartet werden (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 28.09.2022 – VII-Verg 2/22).

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird in ganz besonders gelagerten Fällen für gerechtfertigt gehalten, nämlich dann, wenn ein so schwerwiegender Fehler vorliegt, dass eine tragfähige Zuschlagsentscheidung bei einer Fortsetzung des Verfahrens praktisch nicht möglich ist, etwa weil nur willkürliche oder sachfremde Zuschlagskriterien verbleiben oder das vorgegebene Wertungssystem so unbrauchbar ist, dass es jede beliebige Zuschlagsentscheidung ermöglicht (vgl. OLG München, B. v. 10.08.2017 – Verg 3/17).

Diese Voraussetzungen sind gegeben, wenn die Vergaberechtsfehler die Fortsetzung des Vergabeverfahrens unmöglich machen, weil eine vergaberechtskonforme Wertung der vorliegenden Angebote und ein entsprechender Zuschlag auf der Grundlage der vorliegenden Ausschreibung nicht möglich ist (vgl. OLG Celle, B. v. 02.02.2021 – 13 Verg 8/20).

BGH zu der Frage der strafrechtlich relevanten Pflichtwidrigkeit, wenn der Bürgermeister nicht das sparsamste im Sinne des niedrigsten Angebots wählt

BGH zu der Frage der strafrechtlich relevanten Pflichtwidrigkeit, wenn der Bürgermeister nicht das sparsamste im Sinne des niedrigsten Angebots wählt

vorgestellt von Thomas Ax

Ein Entscheidungsträger handelt im Bereich der öffentlichen Verwaltung pflichtwidrig, wenn er nicht das sparsamste im Sinne des niedrigsten Angebots wählt. Beim Unterlassen eines Preisvergleichs oder einer Ausschreibung kommt eine Strafbarkeit bei evidenten und schwerwiegenden Pflichtverstößen in Betracht. Ein Vermögensnachteil kann bei der Haushaltsuntreue auch nach den Grundsätzen des persönlichen Schadenseinschlags eintreten.
BGH, Beschluss vom 08.01.2020 – 5 StR 366/19

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten ist mit der Sachrüge – wie aus der Beschlussformel ersichtlich – überwiegend erfolgreich, im Übrigen aber im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts).

I.

1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:

a) Der Angeklagte war seit 1. Oktober 2014 verbeamteter Oberbürgermeister der Kreisstadt H. . Diese beschäftigt etwa 450 Mitarbeiter und verwaltet einen Haushalt in Höhe von 90 bis 100 Millionen Euro. Nach der Geschäftsordnung des Stadtrats der Stadt H. war der Angeklagte zur eigenständigen Vergabe von Aufträgen bis zu einer Höhe von 25.000 Euro berechtigt. Höhere Ausgaben hatten der Stadtrat oder ein Ausschuss zu beschließen.

Seit mehreren Jahren gab es Hinweise darauf, dass Mitarbeiter des städtischen Baubetriebshofs während der Arbeitszeit private Tätigkeiten verrichteten, insbesondere im Staatsforst Holz fällten und auf eigene Rechnung verkauften. In seinem Wahlkampf 2014 hatte der Angeklagte versprochen, diese Missstände als Oberbürgermeister zu beseitigen; er wurde gewählt und trat am 1. Oktober 2014 sein Amt an.

Im Jahr 2015 verdichteten sich die Hinweise auf straf- und arbeitsrechtliches Fehlverhalten. Der Angeklagte bat den Leiter des Rechtsamts J. um Prüfung, ob die Überwachung von Mitarbeitern durch eine Detektei rechtmäßig sei, was dieser nach Recherche bejahte. In einer Fachbereichsleiterbesprechung Anfang September 2015 kamen die Beteiligten (Leiter der Kämmerei W. , Hauptamtsleiter M. , Leiter des Rechtsamts J. und der Angeklagte) überein, eine Detektei zu suchen und die Beauftragung geheim zu halten; die Kosten sollten aus dem Haushaltstitel “Personalbudget” bezahlt werden. Aufgrund einer Anzeige in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW) vereinbarte der Zeuge J. mit der in D. ansässigen Detektei K. C. einen Termin mit deren Geschäftsführer L. und dem Angeklagten am 1. Oktober 2015.

Bei diesem Termin erteilte der Angeklagte der Detektei den Überwachungsauftrag. Als Nettopreise wurden für jeden eingesetzten Detektiv 100 Euro pro Stunde zwischen 8 und 18 Uhr an Werktagen sowie 150 Euro pro Stunde für die sonstige Zeit und an Samstagen und Sonntagen, die Übernahme von Sachkosten und Übernachtungskosten nach Aufwand sowie 15 Euro “Bereitstellungspauschale” für jeden eingesetzten Pkw pro Stunde zuzüglich einer Kilometerpauschale von 1,30 Euro vereinbart. Zusätzlich waren für die Abwicklung des Auftrags 25 % des Rechnungsnettobetrages als “Besondere Verwaltungs- und Bearbeitungskosten” vorgesehen. Der Vertrag konnte ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist jederzeit beendet werden. Eine Überprüfung der Marktüblichkeit dieser Preise erfolgte nicht.

In Umsetzung des Vertrages begann am 1. November 2015 die Überwachung von drei Mitarbeitern des Baubetriebshofs durch zunächst zwei Detektive. Am 4. November 2015 wurde sie durch den Angeklagten auf Anraten des Zeugen L. auf drei Detektive erweitert. Dieser informierte den Angeklagten telefonisch regelmäßig über den Sachstand. Am 3. Dezember 2015 kam es auf Wunsch von L. zu einer Besprechung zwischen ihm, dem Angeklagten und den Zeugen M. und W. . Dabei wurden als Ergebnis der bisherigen Überwachung Videosequenzen gezeigt, auf denen Mitarbeiter der Stadt dabei waren, im Wald Holz zu sammeln und zu verladen. Eine Abschlagszahlung für die bisherigen Leistungen in Höhe von 100.000 Euro wurde vereinbart und am 6. Dezember 2015 nebst Umsatzsteuer gezahlt.

Der Angeklagte ließ die Überwachung bis 18. Dezember 2015 fortführen. Anschließend stellte die Detektei eine Rechnung über 276.762,43 Euro netto (328.157,29 Euro brutto), die der Angeklagte im Januar 2016 als sachlich und rechnerisch richtig abzeichnete und zur Zahlung freigab. Die Stadt H. zahlte in der Folgezeit darauf lediglich weitere 140.004,26 Euro, einschließlich der Abschlagzahlung also insgesamt 259.004,26 Euro brutto. Bezüglich des Restbetrages in Höhe von knapp 70.000 Euro berief sich der Zeuge J. darauf, dass die Vereinbarung des pauschalen Aufschlags in Höhe von 25 % unwirksam, die erbrachte Leistung teilweise mangelhaft und der Einsatz der Detektive nicht wirtschaftlich erfolgt sei. Die Detektei macht den Restbetrag klageweise gegen die Stadt H. geltend.

b) Zum Vorsatz des Angeklagten hat das Landgericht festgestellt, die Überwachung habe nach seiner Vorstellung von vornherein mindestens bis zum 18. Dezember 2015 erfolgen sollen. Er sei sich bei der Beauftragung bewusst gewesen, dass er damit den ihm eingeräumten Verfügungsrahmen von 25.000 Euro überschreite. Zudem habe er bei Abschluss des Vertrages billigend in Kauf genommen, dass die Preise der Detektei über dem üblichen Marktpreis lägen, die Stadt H. deshalb mit unnötig hohen Kosten belastet würde und ihr in Höhe der Differenz zwischen der vereinbarten Vergütung und dem Marktpreis ein Schaden entstehe.

c) Nach Auffassung der Strafkammer ist der Stadt H. ein “Vermögens(gefährdungs)schaden” in Höhe von mindestens 133.633,95 Euro entstanden. In diesem Umfang lägen die von der Detektei verlangten Preise über dem von einem Sachverständigen durch verdeckte Befragung von Marktteilnehmern ermittelten durchschnittlichen Marktpreis. Da die Stadt bislang nur einen Teil der Schlussrechnung bezahlt habe, habe sich der Schaden bislang lediglich in Höhe von 64.480,92 Euro realisiert.

II.

Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur überwiegenden Aufhebung des Urteils. Das Landgericht ist für die Frage einer Untreuestrafbarkeit teils von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen, teils sind die Feststellungen nicht durch eine tragfähige Beweiswürdigung belegt.

1. Dem Angeklagten kam, wie die Strafkammer zutreffend festgestellt hat, als vertretungsberechtigtem Oberbürgermeister (vgl. § 59 des saarländischen Kommunalselbstverwaltungsgesetzes, KSVG) eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Stadt H. zu (vgl. zur Treupflicht von Bürgermeistern nur BGH, Urteile vom 8. April 2003 – 5 StR 448/02, NStZ 2003, 541; vom 8. Mai 2003 – 4 StR 550/02, NStZ 2003, 540; vom 9. Dezember 2004 – 4 StR 294/04, NStZ-RR 2005, 83; vom 29. August 2007 – 5 StR 103/07, NStZ 2008, 87, und vom 24. Mai 2016 – 4 StR 440/15, NStZ 2016, 600; Beschlüsse vom 25. April 2006 – 1 StR 539/05, wistra 2006, 306; vom 13. Februar 2007 – 5 StR 400/06, NStZ 2007, 579; vom 13. April 2011 – 1 StR 592/10, NStZ 2011, 520, und vom 19. September 2018 – 1 StR 194/18, NJW 2019, 378; vgl. zu Untreuehandlungen im Rahmen kommunaler Tätigkeit auch BGH, Beschluss vom 25. April 2019 – 1 StR 427/18, ZWH 2019, 282; Saliger/Schweiger, ZG 2018, 16; AnwK-StGB/Esser, 2. Aufl., § 266 Rn. 271 ff.; Meyer, KommJur 2010, 81; Mandsörfer, DVBl 2010, 479; Kiethe, NStZ 2005, 529; Allgaier, DÖD 2003, 121; Fabricius, NStZ 1993, 414; Neye, NStZ 1981, 369, je mwN).

2. Der Inhalt der Treupflicht des Angeklagten wurde durch die rechtlichen Rahmenbedingungen seiner Tätigkeit als Oberbürgermeister bestimmt. Zum einen durfte er nach der Geschäftsordnung des H. er Stadtrats eigenständig nur Aufträge bis zu einer Höhe von 25.000 Euro vergeben. Zum anderen musste er bei der eigenen Auftragsvergabe die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit beachten. Beide Pflichten, die das Landgericht jeweils als verletzt ansieht, galten unabhängig voneinander.

3. Ein nach § 266 StGB strafbarer Pflichtverstoß durch die Beauftragung der Detektei zu überhöhten Preisen wird durch die Feststellungen nicht getragen (a), während andererseits die Feststellung, der Angeklagte habe von vornherein einen Auftrag im Wert von über 25.000 Euro vergeben wollen und deshalb seine Treupflicht verletzt, nicht durch eine tragfähige Beweiswürdigung belegt ist (b).

a) Soweit das Landgericht von einer strafbaren Treupflichtverletzung des Angeklagten durch die ungeprüfte Erteilung des Auftrags zu marktunüblich hohen Preisen ausgegangen ist, hat es jedenfalls teilweise einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt.

aa) Rechtsfehlerfrei ist allerdings der Ausgangspunkt der Strafkammer, dass der Angeklagte bei der Auftragsvergabe an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (vgl. § 7 LHO, § 82 2 KSVG) gebunden war. Es ist anerkannt, dass ein Verstoß gegen das haushaltsrechtliche Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit eine untreuerelevante Pflichtwidrigkeit darstellen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2015 – 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48, 70 mwN). Dieses Gebot soll die bestmögliche Nutzung der öffentlichen Ressourcen sicherstellen und bezweckt, dass die günstigste Relation zwischen dem verfolgten Zweck und den einzusetzenden Mitteln angestrebt wird. Seine Ausprägungen sind das Maximalprinzip, wonach mit einem bestimmten Mitteleinsatz das bestmögliche Ergebnis erzielt werden soll, und das Minimalprinzip (auch Sparsamkeitsprinzip), wonach das Ziel mit möglichst geringem Mitteleinsatz zu erreichen ist. Es stellt dabei nur einen äußeren Begrenzungsrahmen des bestehenden Entfaltungs- und Gestaltungsspielraums dar und verhindert nur solche Maßnahmen, die mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens schlicht unvereinbar sind (vgl. zu alledem BGH, aaO, S. 70 f. mwN).

Der Sparsamkeitsgrundsatz verpflichtet deshalb nicht zur Kostensenkung um jeden Preis (vgl. BGH, Urteile vom 29. August 2007 – 5 StR 103/07, NStZ 2008, 87, und vom 24. Mai 2016 – 4 StR 440/15, NStZ 2016, 600). Der Entscheidungsträger handelt auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung nicht etwa stets pflichtwidrig, wenn er nicht das sparsamste im Sinne des niedrigsten Angebots wählt (BGH, Urteil vom 29. August 2007 – 5 StR 103/07 aaO; AnwK-StGB/Esser, 2. Aufl., § 266 Rn. 272). Eine Untreue kommt bei derartigen Ermessensentscheidungen vielmehr nur bei einem evidenten und schwerwiegenden Pflichtverstoß, also dann in Betracht, wenn die Pflichtverletzung gravierend ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Oktober 2016 – 5 StR 134/15, NJW 2017, 578; BVerfGE 126, 170, 217 f.; zusammenfassend Wegner, ZStW 2019, 319, je mwN).

Gerade bei der Beauftragung einer Detektei durch die öffentliche Hand wird der Auftraggeber angesichts der Ungeregeltheit des Berufsbildes (es gibt weder einen anerkannten Ausbildungsgang noch eine Berufsordnung noch eine gesetzlich geschützte Berufsbezeichnung) und der vom Landgericht geschilderten großen Unterschiede zwischen den Detekteien ganz wesentlich auf Faktoren wie Seriosität, Auftreten am Markt, Größe, Dauer des Bestehens, Empfehlungen, Bewertungen und den persönlichen Eindruck abstellen dürfen. Gibt der öffentliche Auftraggeber diesen Faktoren gegenüber dem Preis den Vorrang, liegt ein evidenter und schwerwiegender Pflichtverstoß fern.

bb) Dafür, dass es dem Angeklagten und den übrigen Beteiligten vorliegend vor allen Dingen um die Auftragsvergabe an einen seriösen und am Markt anerkannten Anbieter ging, spricht die Feststellung des Landgerichts, der Zeuge J. sei aufgrund einer in der NJW geschalteten Anzeige auf die Detektei aufmerksam geworden und nach Recherche im Internet zu dem Schluss gekommen, dass sie seriös und geeignet sei. Auf dieser Grundlage habe er einen Termin mit dem Zeugen L. und dem Angeklagten für den 1. Oktober 2015 in H. vereinbart. Die vereinbarten Preise waren nach dem eingeholten Sachverständigengutachten angesichts des pauschalen Aufschlags von 25 % zwar höher als die Preise anderer Detekteien (tagsüber anfallende Stundensätze dort zwischen 49 und 98 Euro gegenüber 125 Euro bei K. C. ), aber nicht derart überhöht, dass sie wirtschaftlich völlig aus dem Rahmen fielen.

Dass der Angeklagte vor der Auftragsvergabe gleichwohl nicht mehrere Angebote vergleichbar seriöser Detekteien eingeholt, sondern sich auf die Recherche des Zeugen J. verlassen hat, lässt sein Handeln – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – zwar pflichtwidrig erscheinen (vgl. zum Grundsatz der Wirtschaftlichkeit bei der Vergabe öffentlicher Aufträge auch Art. 97 Abs. 1 GWB; vgl. zur möglichen Untreuestrafbarkeit bei Verstößen gegen das Vergaberecht Simonis, CCZ 2016, 70, 74 f.; Kretschmer, ZWH 2013, 355). Ein evidenter und schwerwiegender Pflichtverstoß im Sinne einer gravierenden Pflichtverletzung ist damit aber angesichts der Besonderheiten der beauftragten Dienstleistung (noch) nicht belegt.

b) Dass der Angeklagte seine Vermögensbetreuungspflicht dadurch verletzt hat, dass er schon bei der Vertragsunterzeichnung am 1. Oktober 2015 bewusst die 25.000-Euro-Grenze für eigene Auftragsvergaben überschritt, wird nicht durch eine tragfähige Beweiswürdigung belegt (vgl. zum Maßstab der revisionsgerichtlichen Kontrolle nur BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – 5 StR 46/18 mwN).

Die Beweiswürdigung zu der Feststellung, dass der Angeklagte entgegen seiner Einlassung nicht von einer Überwachungsdauer von etwa zwei Wochen, sondern bereits bei Unterzeichnung des jederzeit mit sofortiger Wirkung kündbaren Vertrages von einem Überwachungszeitraum “mindestens bis 18. Dezember 2015” und deshalb angesichts der ihm bekannten Stundensätze von einem größeren Auftragsvolumen als 25.000 Euro ausgegangen ist, erweist sich als lückenhaft.

Das Landgericht hat seine Überzeugungsbildung damit begründet, dass der Vertrag auf unbestimmte Zeit abgeschlossen worden sei, keine Wiedervorlagefrist habe gefunden werden können, der Vertrag schließlich bis zum 18. Dezember 2015 durchgeführt worden sei, ohne dass der Angeklagte Maßnahmen zur Beendigung der Überwachung getroffen habe, der Termin am 3. Dezember 2015 auf Betreiben des Zeugen L. zustande gekommen sei, der Angeklagte trotz fast täglicher Telefonate mit der Detektei nicht über die Kosten des Einsatzes gesprochen, sondern gesagt habe, man solle weitermachen, und er erst im Laufe des Novembers 2015 dem Zeugen L. mitgeteilt habe, dass die Überwachung wegen der anstehenden Weihnachtsferien am 18. Dezember 2015 enden solle.

Bei dieser Würdigung hat das Landgericht gegenläufige Argumente nicht in seine Überzeugungsbildung eingestellt. So hat es nicht erkennbar bedacht, dass das Erreichen des Ziels des Vertrages – die beweiskräftige Überführung mehrerer Mitarbeiter – auch weit vor dem 18. Dezember 2015 möglich war. Überdies hat die Strafkammer nicht erörtert, dass der Angeklagte bei Vertragsschluss gerade nicht mit dem Zeugen L. vereinbart hatte, dass die Überwachung von vornherein bis 18. Dezember 2015 durchgeführt werden sollte. Zudem ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar, weshalb die – angesichts des Auftragsinhalts naheliegende – unbestimmte Dauer des Vertrages mit jederzeitiger Kündigungsmöglichkeit, die tägliche Kontaktaufnahme mit der Detektei und schließlich die Mitteilung an den Zeugen L. erst im Laufe des November 2015, die Überwachung solle am 18. Dezember 2015 enden, dafür sprechen sollen, dass der Angeklagte bereits am 1. Oktober 2015 vorhatte, den Vertrag erst zum 18. Dezember 2015 enden zu lassen.

4. Dem Senat ist es verwehrt, den Schuldspruch auf durch Unterlassen begangene Untreue umzustellen.

a) Zwar sind die Voraussetzungen einer vorsätzlichen Treupflichtverletzung durch Unterlassen nach den Feststellungen jedenfalls ab 3. Dezember 2015 belegt. Aufgrund der internen Begrenzung seiner Vergabemöglichkeit auf Aufträge bis 25.000 Euro hätte der Angeklagte entweder den Vertrag von vornherein bis zum Erreichen dieser Summe begrenzen oder durch fortlaufende Nachfrage bei der Detektei sicherstellen müssen, dass die Summe nicht überschritten würde. Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts erkannte der Angeklagte spätestens in der Besprechung am 3. Dezember 2015 durch die Forderung einer Abschlagszahlung in Höhe von 100.000 Euro, dass der Rahmen eigenständiger Auftragsvergabe weit überschritten worden war. Die ihm obliegende und durch die Geschäftsordnung des Stadtrats der Stadt H. konkretisierte Treupflicht hätte spätestens in diesem Zeitpunkt gefordert, dass er den Vertrag mit sofortiger Wirkung gekündigt und die Frage einer weitergehenden Beauftragung dem Stadtrat oder dem zuständigen Ausschuss überlassen hätte. Dass der Angeklagte angesichts des seit Jahren bestehenden Verdachts gegen städtische Mitarbeiter insoweit keine Eilkompetenz (vgl. auch § 61 KSVG) in Anspruch nehmen konnte, hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei festgestellt. Eine Kündigung mit sofortiger Wirkung war nach dem Vertrag rechtlich möglich und dem Angeklagten auch ohne weiteres zumutbar.

b) Es liegt nicht fern, dass durch diese – auch von der Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift angenommene – durch Unterlassen begangene gravierende Treupflichtverletzung ein Schaden in voller Höhe der ab 3. Dezember 2015 angefallenen Kosten entstanden ist. In diesem Fall käme es auf die Frage, ob der Angeklagte eine vergleichbar seriöse Detektei zu günstigeren Bedingungen hätte beauftragen können, nicht an.

aa) Hätte der Angeklagte pflichtgemäß spätestens am 3. Dezember 2015 den Vertrag mit der Detektei mit sofortiger Wirkung gekündigt, wären weitere Kosten vermieden worden (hypothetische Kausalität). Anders wäre es nur, wenn der Stadtrat oder der zuständige Ausschuss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Vertrag zu den vereinbarten Bedingungen bis mindestens 18. Dezember 2015 (oder einen ähnlich langen Zeitraum) fortgeführt hätte, die Kosten also ohnehin angefallen wären. Dazu hat das Landgericht bislang – von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent – keine Feststellungen getroffen.

bb) Die als Gegenleistung für die Zahlungsverpflichtung ab 4. Dezember 2015 erbrachten Dienstleistungen der Detektei könnten für die Stadt H. unter dem Gesichtspunkt des – auch bei der Haushaltsuntreue relevanten (vgl. BVerfG, NJW 2013, 365, 367 mwN) – persönlichen Schadenseinschlags dann ohne kompensierbaren Wert gewesen sein, wenn sie aus Sicht der Stadt aufgrund der konkreten Situation subjektiv wertlos gewesen wären (vgl. zur Problematik ausführlich auch Schünemann, Leipziger Praxiskommentar Untreue, § 266 Rn. 293 ff. mwN). Dafür könnte etwa sprechen, dass – wie die Ahndung des Geschehens durch den saarländischen Datenschutzbeauftragten mittels Bußgeldbescheides nahelegt – die Grenzen zulässiger Mitarbeiterüberwachung dadurch überschritten worden sein könnten (vgl. zur arbeitsrechtlichen Zulässigkeit von Observationen BAG, NJW 2015, 2749 mwN; vgl. auch BAGE 157, 69 und BAGE 156, 370 sowie zur Rechtsprechung des EGMR Hembach NJW 2020, 128). Rechtswidrige Ermittlungshandlungen sind für eine an Recht und Gesetz gebundene Kommune regelmäßig subjektiv ohne Wert. Dies könnte der Angeklagte womöglich spätestens ab 3. Dezember 2015 auch erkannt haben (vgl. Anklageschrift). Eine anderweitige – hier angesichts der Dienstleistung allerdings nicht naheliegende – Kompensation der Ausgaben durch verwertbare Vermögenszuwächse ist bislang nicht geprüft worden.

5. Die aufgezeigten Rechtsfehler nötigen somit zur Aufhebung der getroffenen Feststellungen, soweit es den Untreueschaden und den Vorsatz des Angeklagten betrifft (§ 353 Abs. 2 StPO). Die sonstigen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben, weil sie rechtsfehlerfrei getroffen sind. Sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

III.

Die weitergehende Revision ist unbegründet.

1. Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

a) Entgegen der Auffassung der Revision fehlt es nicht an der Identität der abgeurteilten mit der angeklagten Tat.

aa) Gegenstand der Urteilsfindung ist gemäß § 264 1 StPO die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Tat im Sinne dieser Vorschrift ist ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Die Tat als Prozessgegenstand ist dabei nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet. Die prozessuale Tat wird in der Regel durch Tatort, Tatzeit und das Tatbild umgrenzt und insbesondere durch das Täterverhalten sowie die ihm innewohnende Angriffsrichtung sowie durch das Tatopfer bestimmt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 4 StR 555/18, NStZ 2019, 428 mwN).

bb) Gemessen hieran ist die abgeurteilte Untreue Gegenstand der zugelassenen Anklage. Diese legt dem Angeklagten zwar eine Untreue (durch Unterlassen) erst durch Fortführung des Detektivauftrags ab der Besprechung am 3. Dezember 2015 zur Last. Der in der Anklage ebenfalls geschilderte Vertragsschluss am 1. Oktober 2015 ist damit aber derart eng verknüpft, dass er mit der Fortführung des Vertrages nach der Auffassung des Lebens einen untrennbaren Zusammenhang bildet, dessen getrennte Aburteilung als unnatürliche Abspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 4. Juni 1970 – 4 StR 80/70, BGHSt 23, 270, 273 mwN).

b) Es ist auch kein Strafklageverbrauch dadurch eingetreten, dass der Saarländische Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit am 3. Januar 2017 gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs eines Verstoßes gegen das saarländische Datenschutzgesetz durch Überwachung städtischer Mitarbeiter in der Zeit vom 2. November bis 18. Dezember 2015 einen Bußgeldbescheid erlassen und ein Bußgeld in Höhe von 1.500 Euro verhängt hat.

aa) Zwar handelt es sich bei den Vorwürfen im Bußgeldbescheid und im vorliegenden Verfahren um eine Tat im Sinne von § 264 Denn die Beauftragung der Detektei mit der Überwachung der Bauamtsmitarbeiter ist der einheitliche geschichtliche Vorgang, an den sowohl der Vorwurf der Untreue als auch der Bußgeldbescheid anknüpfen.

bb) Es ist aber durch das Bußgeldverfahren kein Strafklageverbrauch eingetreten. Nach § 84 2 OWiG stehen lediglich ein rechtskräftiges Urteil im Bußgeldverfahren, der Beschluss nach § 72 OWiG oder Beschlüsse des Beschwerdegerichts (§ 79 Abs. 5 Satz 1, Abs. 6 OWiG) der Verfolgung einer durch Bußgeldbescheid geahndeten Tat als Straftat entgegen. Im vorliegenden Fall hat der Angeklagte gegen den Bußgeldbescheid zwar Einspruch eingelegt. Anschließend hat die Staatsanwaltschaft aber das Verfahren zutreffend nach § 40 OWiG an sich gezogen, weil sie die prozessuale Tat auch als Straftat verfolgt hat.

2. Die Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

a) Die Rüge nach § 338 1 und 5 StPO wegen Überschreitung zulässiger Dienstzeiten aufgrund der Durchführung einer Hauptverhandlung von 9:08 Uhr bis 22:18 Uhr ist unbegründet. Der Senat teilt schon nicht den Ausgangspunkt der Revision, ein überobligatorischer zeitlicher Einsatz des ursprünglich zutreffend bestimmten gesetzlichen Richters könne zu einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG führen. Es kann dahinstehen, ob der Senat der Auffassung des 2. Strafsenats folgen könnte, wonach dies bei dem absoluten Dienstleistungsverbot des Mutterschutzes anders sein soll (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2016 – 2 StR 9/15, BGHSt 61, 296). Denn die vorliegende Konstellation einer möglichen Überschreitung der zulässigen Tagesarbeitszeit von Richtern, Staatsanwälten und Urkundsbeamten ist damit nicht vergleichbar.

Die Arbeitszeitvorschriften dienen zudem nicht dem Schutz des Beschuldigten, sondern dem der in der Justiz tätigen Personen. Der Angeklagte kann sich demnach auf ihre Verletzung nicht berufen, weil sein Rechtskreis dadurch nicht berührt ist. Dass er aufgrund der Dauer der Verhandlung selbst nicht in der Lage gewesen wäre, ihr zu folgen, trägt er nicht vor.

b) Ein Verstoß gegen § 243 4 Satz 1 StPO liegt nicht vor. Zwar dürften auch Gespräche über eine vollständige Einstellung des Verfahrens nach § 153a Abs. 2 StPO der Mitteilungspflicht unterfallen (vgl. BVerfG, NStZ 2016, 422, 424; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2016 – 1 StR 571/15, NStZ 2016, 743, 744). Im vorliegenden Fall handelte es sich aber lediglich um ein Ansinnen des Verteidigers, das ausweislich des Gesprächsinhalts nicht auf Zustimmung stieß. Einseitige Wünsche und Anregungen stellen noch keine verständigungsbezogenen Erörterungen dar, sondern sollen solche lediglich vorbereiten (näher KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 243 Rn. 42 f. mwN). Der Rüge steht auch entgegen, dass die Verfahrensbeteiligten nach der Mitteilung des Vorsitzenden gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, es habe bislang keine Erörterungen mit dem Ziel der Verständigung gegeben, erklärt haben, dass dieser Hinweis zutreffend sei und keiner Ergänzung bedürfe.

c) Die Rüge nach § 74 StPO (Befangenheit des Sachverständigen) ist unbegründet. Das Landgericht hat sich in seinem ablehnenden Beschluss mit den wesentlichen Ablehnungsgründen beschäftigt und diese in rechtlich zutreffender Weise beschieden. Gegen die Methode der Marktpreisermittlung durch eine simulierte Ausschreibung (verdeckte Befragung von Marktteilnehmern unter Vorgabe einer “Legende”) ist aus Rechtsgründen nichts einzuwenden. Etwaige Rechtsverstöße gegenüber den befragten Unternehmen betreffen den Rechtskreis des Angeklagten ohnehin nicht. Dass das Gericht den Sachverständigen bei seiner Tätigkeit anzuleiten und mit ihm deshalb Kontakt aufzunehmen hat, kann die Besorgnis der Befangenheit ohnehin nicht begründen, denn dazu ist das Gericht verpflichtet (§ 78 StPO).

Totalunternehmervergabe ist möglich

Totalunternehmervergabe ist möglich

von Thomas Ax

Nach § 97 Abs. 4 S. 1 bis 3 GWB – dessen Inhalt von § 5 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 bis 3 EU VOB/A wiederholt wird – sind Leistungen in Losen zu vergeben und kann hiervon nur dann abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Bereits vor Inkrafttreten war zum Schutz des Mittelstands die Aufteilung von Aufträgen in Teil- und Fachlose vorgesehen. Es sollten die Nachteile der mittelständischen Wirtschaft gerade bei der Vergabe großer Aufträge mit einem Volumen, das die Kapazitäten mittelständischer Unternehmen überfordern könnte, ausgeglichen werden. Mit der 2009 eingeführten Regelung des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB sollten der aus Sicht des Mittelstands zunehmenden Praxis der Bündelung von Auftragsvergaben entgegengewirkt und die Mittelstandsklausel in ihrer Wirkung verstärkt werden. Deshalb sollte von dem Gebot der Losvergabe nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden können (BT-Drucksache 16/10117, S. 15).

Dieses klare Regel-/Ausnahmeverhältnis bedeutet allerdings entgegen einer teilweise in der Literatur vertretenen, hier von der Antragstellerin zitierten Auffassung (Antweiler in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 97 Abs. 4 GWB Rn. 51; wohl auch Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 97 GWB Rn. 95) nicht, dass eine Gesamtvergabe überhaupt nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen darf. § 97 Abs. 4 GWB ist im Kontext der primären Ziele des Vergaberechts auszulegen, zu denen insbesondere auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung gehört. Dabei sind auch die weiteren Grundsätze des Vergaberechts (Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit) sowie die vom Gesetzgeber in § 97 Abs. 3 GWB normierten strategischen Ziele (Qualität, Innovation, soziale und umweltbezogene Aspekte) im Blick zu behalten. Allerdings ergibt sich aus der klaren Wertung des Gesetzgebers, dass es nicht ausreicht, wenn der Auftraggeber anerkennenswerte Gründe für die Gesamtvergabe vorbringen kann; auch vermag die Entlastung des Auftraggebers von typischerweise mit einer losweisen Vergabe verbundenen Koordinierungsaufgaben oder sonstigem organisatorischem Mehraufwand für sich allein ein Absehen von einer Losvergabe nicht zu rechtfertigen.
Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinandersetzt und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange trifft, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 11 Verg 4/18 -, Rn. 68-73, juris; OLG München, Beschluss vom 25. März 2019 – Verg 10/18 -, Rn. 55-62, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 – VII-Verg 10/20 -, Rn. 27-29, juris, Beschluss vom 25. Mai 2022 – VII-Verg 33/21 -, Rn. 99, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. April 2022 – 15 Verg 2/22 -, Rn. 57-58, juris).

Wortlaut, Systematik und Zweck des Gesetzes gebieten kein abweichendes Verständnis des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB. Auch den Materialien zum Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009 (BGBl. I, S. 790) ist hierfür nichts zu entnehmen. Der Gesetzgeber wollte der – empfundenen – Praxis der Auftragsbündelung entgegenwirken, also die tatsächliche Wirkung der Mittelstandsklausel verstärken und Auftraggeber zur Dokumentation der Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen verpflichten (vgl. BT-Drucksache 16/10117, S. 15). Die Rechtsprechung hatte demgegenüber bereits unter Geltung des § 97 Abs. 3 GWB a.F. strenge Maßstäbe angelegt und ist von dem Regel-/Ausnahmeverhältnis ausgegangen. Dass der Gesetzgeber auch diese Maßstäbe ändern wollte, ist weder dem Wortlaut noch der Begründung der Gesetzesänderung zu entnehmen. Dementsprechend hat die vergaberechtliche Rechtsprechung auch unter Geltung des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB hieran festgehalten.
Ist die Entscheidung somit Ergebnis einer Abwägung, ist die Frage, ob der öffentliche Auftraggeber im Hinblick auf die Zielerreichung keine Wagnisse und Risiken eingehen muss und einen sicheren Weg wählen darf (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 – VII-Verg 10/20 -, Rn. 29, juris) oder die Gesamtvergabe nicht mit einem sicheren Weg begründet werden darf (so auch Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl., § 97 GWB Rn. 94 a.E.), in dieser Allgemeinheit im erstgenannten Sinn zu beantworten.
Eigenständige Bedeutung kommt dem indes nicht zu. Jedenfalls bei konkreten und erheblichen Risiken der Fachlosvergabe kann der Auftraggeber nicht gezwungen sein, sehenden Auges diesen Weg zu beschreiten. Andererseits ist der Antragstellerin zuzugeben, dass die Gesamtvergabe nicht mit jeglichen, ggf. fernliegenden Risiken begründet werden kann („sicherster Weg“). Das Gewicht des einzelnen Risikos ist nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß – nach den oben dargestellten Grundsätzen – im Einzelfall zu bestimmen.
Bei der Prognose der Vor- und Nachteile der Losvergabe, deren Gewichtung und der Abwägung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. jeweils zur Fachlosaufteilung OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 11 Verg 4/18 -, Rn. 68-73, juris; OLG München, Beschluss vom 25. März 2019 – Verg 10/18 -, Rn. 55-62, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 – VII-Verg 10/20 -, Rn. 27-29, juris, Beschluss vom 25. Mai 2022 – VII-Verg 33/21 -, Rn. 99, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. April 2022 – 15 Verg 2/22 -, Rn. 57-58, juris).
Die Entscheidung des Auftraggebers über die Gesamtvergabe ist deshalb von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur darauf zu überprüfen, ob sie auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruht. Den Nachprüfungsinstanzen ist es im Umkehrschluss verwehrt, die Entscheidung des Auftraggebers durch eine eigene Beurteilung zu ersetzen, solange sie nicht auf eine einzige Entscheidungsmöglichkeit verdichtet ist.

Soweit das Kammergericht (Beschluss vom 26. März 2019 – Verg 16/16 -, Rn. 26, juris) in einem obiter dictum (a.a.O. Rn. 27 a.E.) und damit nicht im Sinn des § 179 Abs. 2 GWB zur Vorlage veranlassend die Auffassung vertreten hat, anders als bei Teillosen bestehe bei Fachlosen kein Beurteilungsspielraum und sei die Entscheidung des Auftraggebers uneingeschränkt nachprüfbar, ist dem nicht zu folgen. Gründe für die Unterscheidung zwischen Teil- und Fachlosen sind nicht zu erkennen. Vielmehr ist an der bereits zuvor begründeten Rechtsprechung festzuhalten.
Unter technischen und wirtschaftlichen Gründen im Sinne des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB sind solche zu verstehen, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen. Dabei sind technische Gründe alle Aspekte, die zu einem vom Auftraggeber vorgegebenen Leistungsprofil in einem unauflöslichen Zusammenhang stehen. Dies kann auch bei komplexen, miteinander verflochtenen Dienstleistungen der Fall sein oder wenn die Aufteilung in Fachlose unverhältnismäßige Kostennachteile mit sich bringen oder zu einer starken Verzögerung des Vorhabens führen würde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Mai 2022 – VII-Verg 33/21 -, Rn. 100, juris).
Wirtschaftliche Gründe können auch darin liegen, dass es sich um ein eilbedürftiges Vorhaben wie die Fertigstellung eines Bauabschnitts einer vielbefahrenen Autobahn handelt. Weil es sich um auftragsbezogene Besonderheiten handelt, kann die mit einer Gesamtvergabe verbundene Straffung und Beschleunigung der Abläufe das Vorliegen der Voraussetzungen des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB begründen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 – VII-Verg 10/20 -, Rn. 28, juris, dort naheliegende Verzögerung um mehrere Jahre und Folgekosten in Millionenhöhe, in anderen Entscheidungen auch weniger; Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 97 GWB Rn. 90).

Die Überprüfung der Einhaltung des Beurteilungsspielraums setzt dabei voraus, dass die Nachprüfungsinstanzen die Argumentation des Auftraggebers zumindest nachzuvollziehen vermögen, auch wenn sie sie nicht teilen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat seine ständige Rechtsprechung, die den vorstehenden Grundsätzen entspricht, zuletzt erneut bestätigt und eine intensive Auseinandersetzung mit dem Gebot der Fachlosvergabe und den dagegensprechenden Gründen verlangt (Beschluss vom 21. August 2024 – Verg 6/24, ZfBR 2024, 762, 765). Soweit der Entwurf eines Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts (Vergaberechtstransformationsgesetz – VergRTransfG) nun auch für § 97 Abs. 4 GWB eine Änderung von „erfordern“ zu „rechtfertigen“ vorschlägt (BR-Drucksache 591/24, S. 34, 55), bietet dies weiterhin keinen Anlass zu einem abweichenden Verständnis der geltenden Gesetzesfassung. Entsprechendes gilt für die vorgeschlagene Aufnahme zeitlicher Gründe und deren Abgrenzung zu technischen und wirtschaftlichen Gründen. Bereits nach derzeit geltender Fassung sind zeitliche Gründe insoweit relevant, als sie wirtschaftliche Auswirkungen haben (dazu Senat, Beschluss vom 18. Juli 2024 – 17 Verg 1/24 –, Rn. 71, juris).

BGH zu der Frage, dass der bei einer Aufhebung des Vergabeverfahrens auszugleichende Schaden regelmäßig auch bei demjenigen Bieter, der das annehmbarste Angebot gemacht hat, nicht in dem Gewinn besteht, den er bei Ausführung des Auftrags erzielt hätte und der ihm dadurch entgangen ist, dass auf sein Angebot kein Zuschlag erteilt worden ist

BGH zu der Frage, dass der bei einer Aufhebung des Vergabeverfahrens auszugleichende Schaden regelmäßig auch bei demjenigen Bieter, der das annehmbarste Angebot gemacht hat, nicht in dem Gewinn besteht, den er bei Ausführung des Auftrags erzielt hätte und der ihm dadurch entgangen ist, dass auf sein Angebot kein Zuschlag erteilt worden ist

vorgestellt von Thomas Ax

Verletzt die Vergabestelle ihre Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Aufhebung des Vergabeverfahrens, ohne dass ein Aufhebungsgrund nach § 17 Abs. 1 VOB/A vorliegt, kann dies regelmäßig einen Anspruch eines Bieters auf Erstattung des negativen Interesses begründen. Nur unter besonderen Voraussetzungen besteht hingegen ein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses (vgl. BGH, NZBau 2014, 310 Rn. 21 – Fahrbahnerneuerung I).
Der bei einer Aufhebung des Vergabeverfahrens auszugleichende Schaden besteht regelmäßig auch bei demjenigen Bieter, der das annehmbarste Angebot gemacht hat, nicht in dem Gewinn, den er bei Ausführung des Auftrags erzielt hätte und der ihm dadurch entgangen ist, dass auf sein Angebot kein Zuschlag erteilt worden ist. Auch wenn kein anerkannter Grund für die Aufhebung des Verfahrens vorliegt, ist der öffentliche Auftraggeber nicht zur Auftragsvergabe verpflichtet. Die Auftragsvergabe dient nicht dem Bieterinteresse, sondern allein der Befriedigung des öffentlichen Beschaffungsbedarfs (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2002 – X ZR 232/00, NZBau 2003, 168, 169 – Ziegelverblendung).
Will der öffentliche Auftraggeber diesen Bedarf – aus welchen Gründen auch immer – nicht weiterverfolgen und sieht er deshalb von der Erteilung eines Zuschlags ab, werden hierdurch keine Bieterrechte verletzt (BGH, NZBau 2014, 310 Rn. 20 – Fahrbahnerneuerung I). Die vergaberechtlichen Vorschriften mit bieterschützendem Charakter begründen kein Recht auf die Auftragserteilung, sondern nur das Recht eines jeden Bieters, der die Voraussetzungen hierfür erfüllt, auf Teilnahme am Wettbewerb unter fairen, transparenten und nichtdiskriminierenden Bedingungen und damit auf Wahrung der Chance auf einen Zuschlag. Die Bieter können demgemäß zwar die Beachtung aller für das Verfahren und die Zuschlagserteilung maßgeblichen Vorschriften erwarten, nicht aber die Auftragsvergabe selbst.

BGH, Urteil vom 08.12.2020 – XIII ZR 19/19

Tatbestand
Die Klägerin nahm an einer Ausschreibung der Beklagten teil und gab am 31. März 2016 mit 1.603.525,00 € das günstigste Angebot für die schlüsselfertige Errichtung eines Mehrfamilienhauses zur Unterbringung von Flüchtlingen ab. Die Parteien vereinbarten, die Angebotsbindefrist bis zum 13. Mai 2016 zu verlängern. Nachdem die Klägerin nicht bereit war, die Bindefrist nochmals zu verlängern, teilte ihr die Beklagte mit Schreiben vom 8. Juni 2016 mit, die Ausschreibung werde wegen Wegfalls des Beschaffungsbedarfs aufgehoben. Am 29. September 2016 forderte die Beklagte die Klägerin auf, ein Angebot zur schlüsselfertigen Errichtung eines Mehrfamilienhauses abzugeben. Der Aufforderung zugrunde lag ein Bauprojekt in derselben Lage und mit dem gleichen Leistungsverzeichnis wie bei der ersten Ausschreibung. Da die Klägerin dieses Mal nicht das günstigste Angebot abgegeben hatte, erhielt ein Dritter den Zuschlag.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von entgangenem Gewinn in Höhe von 53.900 €, der Kosten der Angebotserstellung von 2.630,17 € und des Entgelts für die Angebotsunterlagen von 150 € zuzüglich Zinsen und Rechtsanwaltskosten in Anspruch. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 150 € für die Angebotsunterlagen nebst Zinsen und anteiliger vorprozessualer Rechtsanwaltskosten verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 49.957,24 € verurteilt. Davon entfallen 48.600,24 € auf entgangenen Gewinn, 1.206,30 € auf Kosten für die Erstellung des Angebots und 150 € auf die bereits vom Landgericht zuerkannten Kosten für Angebotsunterlagen. Zudem hat das Berufungsgericht Zinsen und Rechtsanwaltskosten zuerkannt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision, mit der die Beklagte weiterhin die Klageabweisung erstrebt.
Gründe
Die Revision der Beklagten hat überwiegend Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 BGB zu, weil die Beklagte durch die Aufhebung der Ausschreibung ihre Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB schuldhaft verletzt habe. Durch die Teilnahme der Klägerin an der Ausschreibung der Beklagten sei zwischen den Parteien ein vorvertragliches Schuldverhältnis zustande gekommen. Zu den vorvertraglichen Pflichten der Beklagten habe die Einhaltung der Vorschriften der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil A (VOB/A) gehört. Die Beklagte habe diese vorvertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt, da sie die Ausschreibung ohne schwerwiegenden Grund gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A aufgehoben habe. Der behauptete Wegfall des Beschaffungsbedarfs wegen Änderung der politischen Verhältnisse habe tatsächlich nicht bestanden, da sich zum einen die Notwendigkeit für die Schaffung neuen Wohnraums gegenüber dem Beginn des Vergabeverfahrens nicht geändert habe und zum anderen der Gemeinderat am 9. Mai 2016 beschlossen habe, das Bauvorhaben voranzutreiben und nur die Auftragsvergabe vorläufig zurückzustellen. Am 8. Juni 2016, als die Beklagte der Klägerin die Aufhebung der Ausschreibung mitgeteilt habe, habe zwar kein annahmefähiges Angebot mehr vorgelegen, da die Klägerin nur bis 13. Mai 2016 an ihr Angebot gebunden gewesen sei. Allerdings habe der Gemeinderat bereits am 9. Mai 2016 beschlossen, das Vergabeverfahren nicht fortzuführen.
Die Klägerin habe neben der vom Landgericht zugesprochenen Erstattung der Gebühren für die Vergabeunterlagen von 150 € auch Anspruch auf Erstattung des entgangenen Gewinns in Höhe von 48.600,24 € und Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Erstellung des Angebots in Höhe von 1.206,30 € nebst Verzugszinsen und außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Die Personalkosten für die Angebotserstellung wären in die Kosten für die Errichtung des ausgeschriebenen Baus eingeflossen und hätten sich amortisiert, hätte die Beklagte der Klägerin den Auftrag erteilt und den vereinbarten Werklohn bezahlt. Durch die Möglichkeit der Klägerin, sich am zweiten Vergabeverfahren zu beteiligen, sei die Pflichtverletzung der Beklagten nicht kompensiert worden.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat allerdings zu Recht angenommen, dass der Klägerin ein Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB wegen schuldhafter Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht zusteht.
a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass durch die Teilnahme der Klägerin an der Ausschreibung der Beklagten ein vorvertragliches Schuldverhältnis begründet wurde (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 1998 – X ZR 48/97, BGHZ 139, 259, 261).
b) In diesem vorvertraglichen Schuldverhältnis hat die Beklagte eine Rücksichtnahmepflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB gegenüber der Klägerin verletzt, indem sie die Ausschreibung aufgehoben hat, ohne dass ein Grund nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A vorgelegen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2014 – X ZB 18/13, NZBau 2014, 310 Rn. 21 – Fahrbahnerneuerung I).
aa) Die Ausschreibung fand in der ersten Jahreshälfte 2016 statt und ihr Wert lag deutlich unter dem Schwellenwert des § 106 GWB, der im Jahr 2016 für Bauaufträge 5.225.000 € betrug. Die Beklagte unterlag daher bei der Vergabe des Auftrags gemäß § 31 Abs. 2 GemHVO BW in der bis 27. Februar 2019 geltenden Fassung in Verbindung mit Nr. 2.1.1 VwV des Innenministeriums über die Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich den Vorschriften der VOB/A in der hier maßgeblichen Fassung vom 28. Oktober 2011 (vgl. zur unmittelbaren Geltung der VOB/A auch BGH, Urteil vom 6. Oktober 2020 – XIII ZR 21/19, juris Rn. 6 mwN – Ortenau-Klinikum).
bb) Die Aufhebung eines solchen Ausschreibungsverfahrens ist nur dann rechtmäßig, wenn ein Aufhebungsgrund nach § 17 VOB/A vorliegt. Jeder Bieter muss zwar mit der Möglichkeit rechnen, dass sich die in den vergaberechtlichen Bestimmungen zugelassenen Möglichkeiten verwirklichen, nach denen das Verfahren ohne Vergabe eines Auftrags beendet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 1998 – X ZR 99/96, BGHZ 139, 280, 283). Ist dies aber nicht der Fall und wird das Vergabeverfahren gleichwohl aufgehoben, verletzt die Vergabestelle ihre Pflicht zur Beachtung der für das Verfahren maßgeblichen Vorschriften.
cc) Im Streitfall hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei die Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht durch die Vergabestelle bejaht.
(1) Nach § 17 Abs. 1 VOB/A kann eine Ausschreibung aufgehoben werden, wenn kein Angebot eingegangen ist, das den Ausschreibungsbedingungen entspricht, die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssen oder andere schwerwiegende Gründe bestehen. Der Aufhebungsgrund, der den Ausschreibenden nach § 17 Abs. 1 VOB/A zur Aufhebung der Ausschreibung berechtigt, muss nach Beginn der Ausschreibung eingetreten sein oder darf ihm jedenfalls vorher nicht bekannt gewesen sein (BGHZ 139, 280, 284; BGH, Urteil vom 6. Oktober 2020 – XIII ZR 21/19, juris Rn. 17 – Ortenau-Klinikum). Der Bieter darf erwarten, dass der Auftraggeber nicht leichtfertig ausschreibt, wie sich schon aus § 2 Abs. 6 VOB/A ergibt. Der Auftraggeber soll erst dann ausschreiben, wenn innerhalb der angegebenen Fristen mit der Ausführung begonnen werden kann (vgl. BGHZ 139, 259, 264).
(2) Die Beklagte hat sich in ihrem Schreiben vom 8. Juni 2016 zwar auf den Aufhebungsgrund des § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A berufen und angeführt, “mangels zwischenzeitlich aufgetretenem Beschaffungsbedarf” werde die Ausschreibung aufgehoben. Das Berufungsgericht ist aber zu Recht davon ausgegangen, dass der Aufhebungsgrund des § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nicht vorgelegen hat.
(a) An das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A sind als Ausnahmetatbestand strenge Anforderungen zu stellen. Berücksichtigungsfähig sind nur solche Gründe, die die Durchführung des Verfahrens und die Vergabe des Auftrags selbst ausschließen. Im Einzelnen bedarf es für die Feststellung des schwerwiegenden Grundes einer Interessenabwägung, für die die Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls maßgeblich sind (BGH, NZBau 2014, 310 Rn. 25 – Fahrbahnerneuerung I). Das Gewicht des schwerwiegenden Grundes muss so groß sein, dass eine Bindung des Auftraggebers an die Bedingungen der Ausschreibung mit Recht und Gesetz unvereinbar wäre und von den Bietern erwartet werden kann, dass sie auf die rechtlichen und tatsächlichen Bindungen des Ausschreibenden Rücksicht nehmen (BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 – X ZR 150/99, NZBau 2001, 637, 640).
(b) Der Wegfall des Beschaffungsbedarfs kommt als schwerwiegender Grund im Sinne des § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A in Betracht. Allerdings hat das Berufungsgericht aus dem Protokoll der nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung vom 9. Mai 2016, in dem es heißt, der Bau solle “vorangetrieben und umgesetzt werden”, rechtsfehlerfrei geschlossen, dass der von der Beklagten angegebene Grund nicht vorlag. Die Beklagte hat die Beschaffung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts entgegen den Mitteilungen an die Klägerin mit Schreiben vom 8. Juni 2016 und nochmals mit Rechtsanwaltsschreiben vom 28. September 2016 nie vollständig aufgegeben.
(3) Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass die zweckgebundene Förderung des Projekts ein wesentliches Kriterium für die Entscheidung der Beklagten gewesen sei und sich aus der Pflicht zur sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung ein Grund für die Aufhebung des Vergabeverfahrens ergebe, greift diese Rüge nicht durch. Denn die Beklagte hat sich in ihren Schreiben vom 3. Mai 2016 und vom 8. Juni 2016 gegenüber der Klägerin nicht darauf berufen, dass Fördervoraussetzungen weggefallen wären oder gefehlt hätten; sie hat auch in den Vorinstanzen keine Voraussetzungen einer Förderung oder Finanzierung vorgetragen, mit denen sich das Berufungsgericht hätte auseinandersetzen können.
c) Die Verletzung einer Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB im vorvertraglichen Schuldverhältnis durch den Ausschreibenden begründet einen Schadensersatzanspruch des Bieters (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 – X ZR 143/10, BGHZ 190, 89 Rn. 13 – Rettungsdienstleistungen II), der auf den Ersatz des Schadens gerichtet ist, der dem Bieter durch die mangelnde Beachtung der für das Verfahren und seine mögliche Aufhebung maßgeblichen Vorschriften entstanden ist. Zu Recht hat das Berufungsgericht der Klägerin auf dieser Grundlage einen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen zuerkannt, die sie zur Wahrnehmung ihrer Chance auf einen Zuschlag vorgenommen hat und für hierzu erforderlich halten durfte. Über die vom Landgericht bereits zuerkannten Kosten für die Angebotsunterlagen von 150 € hinaus stehen der Klägerin gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 249 Abs. 1 BGB die Kosten für die Angebotserstellung in der vom Berufungsgericht zugesprochenen Höhe von 1.206,30 € nebst anteiligen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 192,50 € und Zinsen zu.
aa) Verletzt die Vergabestelle ihre Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Aufhebung des Vergabeverfahrens, ohne dass ein Aufhebungsgrund nach § 17 Abs. 1 VOB/A vorliegt, kann dies regelmäßig einen Anspruch eines Bieters auf Erstattung des negativen Interesses begründen. Nur unter besonderen Voraussetzungen besteht hingegen ein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses (vgl. BGH, NZBau 2014, 310 Rn. 21 – Fahrbahnerneuerung I).
Der bei einer Aufhebung des Vergabeverfahrens auszugleichende Schaden besteht regelmäßig auch bei demjenigen Bieter, der das annehmbarste Angebot gemacht hat, nicht in dem Gewinn, den er bei Ausführung des Auftrags erzielt hätte und der ihm dadurch entgangen ist, dass auf sein Angebot kein Zuschlag erteilt worden ist. Auch wenn kein anerkannter Grund für die Aufhebung des Verfahrens vorliegt, ist der öffentliche Auftraggeber nicht zur Auftragsvergabe verpflichtet. Die Auftragsvergabe dient nicht dem Bieterinteresse, sondern allein der Befriedigung des öffentlichen Beschaffungsbedarfs (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2002 – X ZR 232/00, NZBau 2003, 168, 169 – Ziegelverblendung). Will der öffentliche Auftraggeber diesen Bedarf – aus welchen Gründen auch immer – nicht weiterverfolgen und sieht er deshalb von der Erteilung eines Zuschlags ab, werden hierdurch keine Bieterrechte verletzt (BGH, NZBau 2014, 310 Rn. 20 – Fahrbahnerneuerung I). Die vergaberechtlichen Vorschriften mit bieterschützendem Charakter begründen kein Recht auf die Auftragserteilung, sondern nur das Recht eines jeden Bieters, der die Voraussetzungen hierfür erfüllt, auf Teilnahme am Wettbewerb unter fairen, transparenten und nichtdiskriminierenden Bedingungen und damit auf Wahrung der Chance auf einen Zuschlag. Die Bieter können demgemäß zwar die Beachtung aller für das Verfahren und die Zuschlagserteilung maßgeblichen Vorschriften erwarten, nicht aber die Auftragsvergabe selbst.
bb) Dem Bieter, auf dessen Angebot bei Fortsetzung des Verfahrens und Vergabe des Auftrags allein ein Zuschlag hätte erteilt werden dürfen, steht deshalb grundsätzlich (nur) ein Anspruch auf Ersatz der mit der Teilnahme am Verfahren verbundenen Aufwendungen zu (BGH, Urteil vom 3. Juli 2020 – VII ZR 144/09, NZBau 2020, 570 Rn. 40; Urteil vom 6. Oktober 2020 – XIII ZR 21/19, juris Rn. 12 – Ortenau-Klinikum; Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., § 311 BGB Rn. 37; Rechtsgedanke des § 181 GWB). Denn er ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der öffentliche Auftraggeber alle vergaberechtlichen Vorschriften beachtet und demgemäß entweder von einer Ausschreibung abgesehen oder das Verfahren mit einem Zuschlag auf das beste Angebot abgeschlossen hätte. In jenem Fall hätte der betreffende Bieter die Aufwendungen unterlassen, in diesem hätte er sie durch die Auftragsausführung verdient.
cc) Entgegen der Ansicht des Landgerichts sind Personalkosten für die Angebotserstellung auch ohne konkreten Nachweis des Bieters, dass er seine Mitarbeiter anderweitig hätte einsetzen können und dadurch Einnahmen erwirtschaftet hätte, die ihm entgangen sind, ersatzfähig, da die eingesetzte Arbeitskraft typischerweise einen Marktwert hat und bei wertender Betrachtung vom Schadensersatz nicht auszugrenzen ist (hierzu BGH, Urteil vom 24. November 1995 – V ZR 88/95, BGHZ 131, 220, 225 f. unter teilweiser Aufgabe von BGH, Urteil vom 29. April 1977, BGHZ 69, 34, 36; Urteil vom 8. Januar 2010 – V ZR 208/08, juris Rn. 9; Urteil vom 7. März 2001 – X ZR 160/99, juris Rn. 22).
dd) Gegen die Bemessung des Anspruchs erhebt die Revision keine Rügen; Rechtsfehler sind insoweit nicht erkennbar.
2. Der revisionsrechtlichen Nachprüfung hält es hingegen nicht stand, dass das Berufungsgericht der Klägerin auch einen Anspruch auf Ersatz des Gewinns zugebilligt hat, den sie mit der Ausführung des Auftrags erzielt hätte.
a) Da das Vergaberecht, wie ausgeführt (Rn. 21), nur das Recht des Bieters auf Teilhabe am Vergabeverfahren und Wahrung seiner Chance bei der Auftragsvergabe schützt, kommt ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns regelmäßig dann in Betracht, wenn das Vergabeverfahren mit einem Zuschlag abgeschlossen wird, der Zuschlag jedoch nicht demjenigen Bieter erteilt wird, auf dessen Angebot er bei Beachtung der maßgeblichen vergaberechtlichen Vorschriften allein hätte erteilt werden dürfen. In diesem und grundsätzlich nur in diesem Fall verdichtet sich der bloße Teilhabeanspruch zu einem Anspruch auf Schadensersatz für den entgangenen, aber tatsächlich anderweitig erteilten Zuschlag. Der Bieter, der diesen Zuschlag hätte erhalten müssen, ist demgemäß wirtschaftlich so zu stellen, wie er gestanden hätte, wäre der Auftrag ihm und nicht dem Dritten zugeschlagen worden.
b) Dem Abschluss eines Vergabeverfahrens mit dem Zuschlag an den “falschen” Bieter ist es gleichzustellen, wenn der öffentliche Auftraggeber ein wirtschaftlich und wertungsmäßig entsprechendes Ergebnis dadurch herbeiführt, dass er die Ausschreibung aufhebt, ohne dass ein anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt, und den Auftrag außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens oder in einem weiteren Vergabeverfahren an einen Bieter vergibt, an den der Auftrag nach dem Ergebnis des aufgehobenen wettbewerblichen Verfahrens nicht hätte vergeben werden dürfen.
Dementsprechend besteht ein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses, wenn der später vergebene Auftrag bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise das gleiche Vorhaben und den gleichen Auftragsgegenstand betrifft und die Auftragsvergabe wertungsmäßig als Zuschlag im ersten Vergabeverfahren an einen in diesem Verfahren nicht zuschlagsberechtigten Bieter anzusehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 1998 – X ZR 99/96, juris Rn. 35). Dies ist namentlich der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber die Ausschreibung nicht aus – im Hinblick auf die in diesem Verfahren mögliche Vergabe an den Bieter mit dem annehmbarsten Angebot – sachlichen und willkürfreien Gründen aufhebt, sondern das Vergabeverfahren aufhebt, um den Auftrag außerhalb des eingeleiteten Vergabeverfahrens an einen anderen Bieter vergeben zu können (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 1998 – X ZR 99/96, juris Rn. 35; BGH, NZBau 2014, 310 Rn. 21 – Fahrbahnerneuerung I).
c) Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin auch als Bieterin mit dem annehmbarsten Angebot im ersten Vergabeverfahren keinen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses.
aa) Allerdings hätte die Klägerin in dem aufgehobenen Vergabeverfahren den Zuschlag erhalten können.
(1) Mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Voraussetzung erfüllt, dass das Angebot, das der Bieter im Vergabeverfahren abgegeben hat, in jeder Hinsicht den Anforderungen der Vergabeunterlagen entsprochen haben muss (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2010 – X ZR 86/08, NZBau 2010, 387 Rn. 16 – Abfallentsorgung; BGH, Urteil vom 5. Juni 2012 – X ZR 161/11, NZBau 2012, 652 Rn. 13 – Fachpersonalklausel).
(2) Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich ferner, dass die Klägerin im ersten Vergabeverfahren das annehmbarste Angebot abgegeben hat.
bb) Rechtsfehlerfrei als erfüllt angesehen hat das Berufungsgericht ferner die weitere Voraussetzung für einen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses, dass der öffentliche Auftraggeber den Auftrag tatsächlich erteilt hat.
Gegenstand der zweiten Ausschreibung war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts das gleiche Vorhaben, das bereits Gegenstand des ersten Ausschreibungsverfahrens war. Es ging um die Errichtung eines Bauprojekts in derselben Lage, es lag das gleiche Leistungsverzeichnis zugrunde, und die Vergabe stand in engem zeitlichem Zusammenhang mit der ersten Ausschreibung (vgl. hierzu BGH, NZBau 2020, 570 Rn. 41 mwN). Es lässt keinen Rechtsfehler erkennen, dass die Beklagte mit dem Vorbringen, es habe sich um ein anderes Bauvorhaben gehandelt, weil es – anders als das Bauprojekt, das Gegenstand der ersten Ausschreibung war – nicht mehr der Anschlussunterbringung von Flüchtlingen habe dienen sollen, sondern der langfristigen Unterbringung sozial schwacher Personen, beim Berufungsgericht nicht durchgedrungen ist.
cc) Die Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben jedoch nicht, dass auch die weitere Anspruchsvoraussetzung erfüllt ist, dass der dem anderen Unternehmen in dem zweiten Vergabeverfahren erteilte Zuschlag wertungsmäßig einem Abschluss des – rechtswidrig aufgehobenen – ersten Vergabeverfahrens mit dem Zuschlag an einen in diesem Verfahren nicht zuschlagsberechtigten Bieter gleichzustellen und damit als der Klägerin in diesem ersten Verfahren entgangener Zuschlag anzusehen ist.
(1) Das Berufungsgericht hat keine Tatsachen festgestellt, die die Annahme tragen könnten, dass die Beklagte die Ausschreibung aufgehoben hat, um den Auftrag an einen bestimmten Bieter oder in einem anderen Bieterkreis vergeben zu können.
(a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zweifelte die Beklagte nach der Eröffnung der Angebote im ersten Verfahren in der Erwartung eines Rückgangs der Anzahl unterzubringender Flüchtlinge, ob das ausgeschriebene Vorhaben realisiert werden müsse. Die Parteien vereinbarten deshalb zunächst eine Verlängerung der Angebotsbinde- und Zuschlagsfrist bis zum 13. Mai 2016. Am 9. Mai 2016 beschloss der Gemeinderat der Beklagten nach der im Berufungsurteil in Bezug genommenen Niederschrift seiner Sitzung einerseits, den Bau der Flüchtlingsunterkunft voranzutreiben, andererseits aber die Zurückstellung der Auftragserteilung und eine weitere Verlängerung der Zuschlagsfrist; die Verwaltung sollte in entsprechende Verhandlungen mit der günstigsten Bieterin (d.h. der Klägerin) eintreten. Die Beklagte trat demgemäß an die Klägerin mit der Bitte heran, die Bindefrist nochmals und nunmehr bis in den Herbst dieses Jahres zu verlängern. Als die Klägerin diese zweite Bitte um Fristverlängerung ablehnte, teilte die Beklagte mit, die Ausschreibung werde wegen Wegfalls des Beschaffungsbedarfs aufgehoben; im September 2016 forderte sie sodann die Klägerin erneut auf, ein Angebot für die Erstellung des Gebäudes abzugeben.
(b) Das Berufungsgericht hat zwar – rechtsfehlerfrei – angenommen, dass die Beklagte die Sachlage schuldhaft unzutreffend eingeschätzt habe, weil sich auch nach “Schließung der Balkanroute” im März 2016 die vom zuständigen Landratsamt für 2016 und 2017 prognostizierten Zahlen von der Gemeinde aufzunehmender Flüchtlinge nicht wesentlich geändert hätten und die Gemeinde unbeschadet des Umstands, dass das Landratsamt für 2018 keine Zahlen habe nennen wollen, erheblich mehr Personen habe unterbringen müssen, als ihr hierfür Räumlichkeiten zur Verfügung gestanden hätten. Es hat aber die Einschätzung der Beklagten nicht etwa als vorgeschoben angesehen, sondern die Erwartung eines geringeren Unterkunftsbedarfs vielmehr als “spekulativ bzw. unrealistisch” bezeichnet und ausdrücklich festgestellt, dass der Gemeinderat der beklagten Gemeinde eine erneute Lageeinschätzung des Landratsamts im September 2016 abwarten wollte. Das Berufungsgericht hat den festgestellten Sachverhalt dementsprechend dahin gewertet, dass der Gemeinderat die Entscheidung, ob gebaut wird oder nicht, lediglich habe aufschieben wollen.
(c) Diese Bewertung ist nicht zu beanstanden. Der Ablauf der Ereignisse und der Beschluss des Gemeinderats der Beklagten vom 9. Mai 2016 zeigen, dass sich die Beklagte im Mai 2016 nicht dazu entschließen konnte, wie ursprünglich vorgesehen mit dem Bau des Gebäudes zu beginnen. Sie wollte sich Zeit verschaffen. Nachdem dies durch eine weitere Verlängerung der Angebotsbinde- und Zuschlagsfrist nicht mehr möglich war, weil die Klägerin dieser nicht zustimmte, wich die Beklagte in die Aufhebung der Ausschreibung aus.
Dieser Aufhebung lagen danach zwar die von ihr hierfür angeführten Gründe, nämlich der Wegfall des Beschaffungsbedarfs durch Rückgang der Zahl der unterzubringenden Flüchtlinge, tatsächlich nicht zugrunde. Das Verhalten der Beklagten zielte aber nicht auf die Vergabe an einen in dem aufgehobenen Verfahren nicht zuschlagsberechtigten Auftragnehmer, sondern auf Zeitgewinn. In dem ausgeführten Sinne (Rn. 28) war dies im Hinblick auf die in dem aufgehobenen Verfahren mögliche Vergabe an die Klägerin als Bieterin mit dem annehmbarsten Angebot eine sachliche und willkürfreie Erwägung.
(2) Auch im Übrigen ergeben sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts keine Anhaltspunkte dafür, dass die Auftragsvergabe in dem zweiten Vergabeverfahren wertungsmäßig einem rechtswidrigen Zuschlag an einen anderen Bieter als die Klägerin im ersten, aufgehobenen Vergabeverfahren gleichzusetzen wäre.
d) Das Berufungsurteil ist hiernach aufzuheben, soweit das Berufungsgericht der Klägerin entgangenen Gewinn zuerkannt hat.
III. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden und die Berufung der Klägerin zurückweisen. Weitere Feststellungen sind weder erforderlich noch zu erwarten. Die Feststellungen des Berufungsgerichts entsprechen vielmehr dem Berufungsvorbringen der Klägerin, die Beklagte habe die Ausschreibung aufgehoben, weil sie den Bedarf falsch eingeschätzt und ihr Vorhaben habe zurückstellen wollen, um die Entwicklung abzuwarten.

BGH zu der Frage, ob Nebenangebote grundsätzlich zugelassen und gewertet werden dürfen, wenn der Preis das alleinige Zuschlagskriterium bildet

BGH zu der Frage, ob Nebenangebote grundsätzlich zugelassen und gewertet werden dürfen, wenn der Preis das alleinige Zuschlagskriterium bildet

vorgestellt von Thomas Ax

Ist in einem in den Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallenden Vergabeverfahren der Preis das alleinige Zuschlagskriterium, dürfen Nebenangebote grundsätzlich nicht zugelassen und gewertet werden.

Nebenangebote sind in den Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A 2012 und in der Verordnung über die Vergabe von Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung (Sektorenverordnung – SektVO) über die Angebotswertung (§ 16 EG Abs. 6 bis 10 VOB/A; § 29 SektVO) nicht Gegenstand besonderer Regelungen und auch nicht besonders erwähnt. Soweit § 16 EG Abs. 9 VOB/A 2012 bestimmt, Angebote nach § 13 EG Abs. 2 VOB/A 2012 seien wie Hauptangebote zu werten, wird damit lediglich klargestellt, dass Angebote mit (gleichwertigen) abweichenden technischen Spezifikationen im Sinne von § 7 EG Abs. 3 VOB/A 2012 der Sache nach Haupt- und gerade keine Nebenangebote darstellen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. März 2011 – X ZR 92/09, VergabeR 2011, 709 – Ortbetonschacht).

Darüber hinaus ist in § 8 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b VOB/A 2012 (§ 16a Abs. 3 VOB/A 2009) und in § 8 Abs. 1 Satz 2 SektVO lediglich bestimmt, dass die öffentlichen Auftraggeber, wenn sie die Einreichung von Nebenangeboten zugelassen haben, in den Vergabeunterlagen Mindestanforderungen festlegen müssen, denen diese Nebenangebote zu genügen haben, um gewertet werden zu können. Mit diesen Regelungen sind unionsrechtliche Vorgaben umgesetzt worden (vgl. Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. Nr. L 199 vom 9. August 1993; Art. 24 Abs. 3 VKR; Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste – Sektorenverordnung [SKR], ABl. Nr. L 134 vom 30. April 2004, S. 1).

Verlangt das anzuwendende Recht, für Nebenangebote (lediglich) Mindestanforderungen vorzugeben, ohne Regelungen darüber zu treffen, wie Nebenangebote im Verhältnis zu der als Hauptangebot vorgesehenen Ausführung (“Amtsvorschlag”) zu werten sind, ist eine wettbewerbskonforme Wertung der Nebenangebote nicht gewährleistet, wenn für den Zuschlag allein der Preis maßgeblich sein soll. Ist beispielsweise ein den Mindestanforderungen genügendes Nebenangebot zwar geringfügig billiger als das günstigste Hauptangebot, bleibt es aber überproportional hinter dessen Qualität zurück und erweist es sich bei wirtschaftlicher Betrachtung deshalb gerade nicht als das günstigste Angebot, müsste es mangels geeigneter Zuschlagskriterien, mit denen diese Diskrepanz in der Wertung erfasst werden kann, dennoch den Zuschlag erhalten, wenn nur der Preis berücksichtigt werden darf (vgl. auch OLG Düsseldorf, VergabeR 2012, 185, 191).

Eine solche Wertungspraxis wäre unvereinbar mit dem vergaberechtlichen Wettbewerbsprinzip (§ 97 Abs. 2 GWB) und mit dem mit diesem in engem Zusammenhang stehenden, aus § 97 Abs. 5 GWB folgenden Gebot, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen.

Dieser Mangel kann durch ungeschriebene Wertungskriterien regelmäßig nicht behoben werden.

BGH, Beschluss vom 07.01.2014 – X ZB 15/13

Gründe

I. Das vorliegende Nachprüfungsverfahren bezieht sich auf den Umbau einer in Betrieb befindlichen Straßenbahntrasse unter eingleisigem Fahrbetrieb des Straßenbahnverkehrs in einem bestimmten örtlichen Bereich der Stadt Gera (“Stadtbahnprogramm Gera”) und dort auf die von der Antragsgegnerin (Vergabestelle) unionsweit im offenen Verfahren ausgeschriebene Vergabe des Loses 2 (Straßen- und Tiefbauarbeiten).

1. Die von der Vergabestelle veröffentlichte Vergabebekanntmachung war nach dem Gliederungsschema des Anhangs II der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 842/2011 der Kommission vom 19. August 2011 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen auf dem Gebiet der öffentlichen Aufträge und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1564/2005 (ABl. Nr. L 222 vom 27. August 2011, S. 1) gefertigt. Im Abschnitt III (rechtliche, wirtschaftliche und technische Angaben) hieß es 1 unter dem Gliederungspunkt III 1.4, dass besondere Bedingungen für die Ausführung des Auftrags gelten sollten, und zwar:

“- durchschnittlicher Jahresumsatz der letzten fünf Jahre mit komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich (Jahr mindestens 2,5 Mio. EUR netto)

– Gesamtumsatz …

– Nachweis mit Angebotsabgabe.”

Nach den Angaben in dem sich unmittelbar anschließenden, den Teilnahmebedingungen gewidmeten Abschnitt III 2 war die Eignung durch das Präqualifikationsverzeichnis oder durch Eigenangaben gemäß dem zu den Vergabeunterlagen gehörenden Formblatt 124 nachzuweisen.

Zu den Vergabeunterlagen gehörte auch die nach Formblatt 211 EU des Vergabehandbuchs des Bundes (VHB 2008 – Stand August 2012) gestaltete Aufforderung zur Abgabe eines Angebots. In diesem Vordruck ist unter dem die Nebenangebote betreffenden Gliederungspunkt vorgesehen, dass der Auftraggeber durch Ankreuzen einer der vorformulierten Varianten erklärt, ob und inwieweit Nebenangebote zugelassen sind. Im Streitfall konnten danach Nebenangebote für die gesamte Leistung in Verbindung mit einem Hauptangebot abgegeben werden. In dem im Formblatt 211 EU unmittelbar folgenden Gliederungspunkt “Angebotswertung” kann der Auftraggeber die Wertungskriterien festlegen, und zwar durch Ankreuzen einer der beiden Rubriken “Mehrere Wertungskriterien gemäß Formblatt Wertungskriterien” oder “Wertungskriterium Preis (Nebenangebote nicht zugelassen)”. Im Streitfall war Letzteres angekreuzt. In Anbetracht der daraus resultierenden Widersprüchlichkeit der Vergabeunterlagen bekräftigte die Vergabestelle gegenüber den Bietern, dass Nebenangebote abgegeben werden könnten und der Preis das alleinige Wertungskriterium sein solle.

An der Ausschreibung beteiligten sich vier Unternehmen, die auch alle Nebenangebote abgaben. Die Antragstellerin reichte mit ihrem Angebot mit Blick auf die unter III 1.4 der Bekanntmachung geforderten Umsatznachweise eine Referenzliste mit Angaben zu Bauvorhaben, Vergabestellen, Jahreszahlen und Nettoauftragssummen ein. Die Vergabestelle gelangte nach Prüfung dieser Unterlagen zu der Einschätzung, dass die Antragstellerin ungeeignet sei, weil sie in den Jahren 2008 bis 2012 nicht die in der Vergabebekanntmachung unter III 1.4 vorausgesetzten Umsätze erreicht hatte. Später vermerkte die Vergabestelle in den Vergabeakten:

“Nach weiteren Recherchen auf der Internetseite der Antragstellerin und Durchsicht der insgesamt vorhandenen Unterlagen kann jedoch eingeschätzt werden, dass die Antragstellerin in der Lage sein könnte, diese geforderten Leistungen zu erbringen. Insbesondere aufgrund des geführten Gesprächs am 28. Februar 2013 wurde durch den Geschäftsführer ausführlich dargelegt, warum die Antragstellerin geeignet ist, diese Leistungen auszuführen. Unter Abwägung aller Fakten wird entschieden, die Antragstellerin trotz Unterschreitung der explizit geforderten Referenzobjekte in die Wertung einzubeziehen. Ein Ausschluss wäre für die Bieterfirma unangemessen hart.”

Von den Hauptangeboten war dasjenige der Antragstellerin das preislich günstigste vor dem der Beigeladenen. Die Vergabestelle bewertete jedoch ein Nebenangebot der Beigeladenen als das günstigste Angebot und informierte darüber, dass darauf der Zuschlag erteilt werden solle. Die Antragstellerin machte daraufhin geltend, Nebenangebote dürften nicht gewertet werden, und hat, nachdem die Vergabestelle der Rüge nicht abhalf, Vergabenachprüfung beantragt. Zeitlich danach entschied die Vergabestelle, die Antragstellerin “wegen Unterschreitung der explizit geforderten Referenzobjekte nicht in die Wertung einzubeziehen.”

2. Die Vergabekammer hat ausgesprochen, dass die Antragstellerin im Vergabeverfahren in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt und die Vergabestelle verpflichtet sei, das Vergabeverfahren unter Beachtung ihrer Rechtsauffassung mit der Wertung beginnend zu wiederholen.

Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin erscheint dem vorlegenden Vergabesenat unbegründet. Er geht davon aus, dass die Abgabe von Nebenangeboten im Streitfall zwar zugelassen war, vertritt aber – wie das OLG Düsseldorf (VergabeR 2012, 185) – die Auffassung, Art. 24 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge (Vergabekoordinierungsrichtlinie – VKR) gestatte die Zulassung von Nebenangeboten nur, wenn der Zuschlag auf das – anhand einer Mehrzahl von Wertungskriterien zu ermittelnde – wirtschaftlichste Angebot erteilt werden solle, hingegen nicht, wenn, wie hier, alleiniges Zuschlagskriterium der Preis sei. So zu entscheiden hat sich der Vergabesenat durch eine Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts gehindert gesehen (Beschluss vom 15. April 2011 – 1 Verg 10/10, VergabeR 2011, 586) und die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

II. Die Vorlage ist zulässig.

Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB liegen nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn das vorlegende Oberlandesgericht seiner Entscheidung als tragende Begründung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der sich mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts tragenden Rechtssatz nicht in Einklang bringen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 – X ZB 4/10, BGHZ 188, 200 – S-Bahn-Verkehr Rhein/Ruhr). So verhält es sich hier, weil die vom vorlegenden Vergabesenat erwogene Entscheidung mit der dem Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 7 15. April 2011 zugrunde liegenden Rechtsauffassung nicht zu vereinbaren wäre.

III. Die Divergenzfrage ist dahin zu entscheiden (§ 124 Abs. 2 Satz 3 GWB), dass Nebenangebote grundsätzlich nicht zugelassen und gewertet werden dürfen, wenn in einem in den Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallenden Vergabeverfahren der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium vorgesehen ist.

1. Zutreffend hat der Vergabesenat angenommen, dass im Streitfall die Einreichung von Nebenangeboten zugelassen war. Soweit in dem Formblatt 211 EU die angekreuzte Variante des Preises als alleiniges Wertungskriterium den Klammerzusatz “Nebenangebote nicht zugelassen” aufwies, handelt es sich bei diesem Zusatz ersichtlich nicht um eine angebotsbezogene, für die Bieter bestimmte Erklärung, sondern um einen an die Verwender dieses Vordrucks gerichteten rechtlichen Hinweis oder eine Empfehlung, dass nicht gleichzeitig die Unterbreitung von Nebenangeboten zugelassen werden sollte, wenn sie den Preis als alleiniges Wertungskriterium bestimmen. Die Vergabestelle, die sich nach den Feststellungen der Vergabekammer darüber bewusst hinweggesetzt hat, hätte diesen Zusatz jedenfalls streichen oder einen entsprechend angepassten Vordruck verwenden müssen, um Irritationen bei den Adressaten der Vergabeunterlagen zu vermeiden. Sie hat ihren abweichenden Willen, nach dem Preis zu werten und Nebenangebote gleichwohl zuzulassen, gegenüber den Bietern aber nachträglich bekräftigt.

2. Der Vergabesenat hat auch zu Recht angenommen, dass die Antragstellerin mit ihrer auf die Zulassung von Nebenangeboten zielenden Rüge – anders als mit ihrer die Mindestbedingungen für Nebenangebote betreffenden Beanstandung – nicht nach § 107 Abs. 3 Nrn. 2 oder 3 GWB präkludiert ist. Er meint mit Recht auch, dass das Angebot der Antragstellerin nicht wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen auszuschließen ist. Auf die diese Punkte 11 behandelnden Ausführungen im Vorlagebeschluss (II 1 und 2 a der Gründe) wird Bezug genommen.

3. Es wäre vergaberechtswidrig, im Streitfall auf ein zugelassenes Nebenangebot den Zuschlag zu erteilen. Ist in einem in den Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallenden Vergabeverfahren, wie hier, der Preis das alleinige Zuschlagskriterium (vorstehend III 1), dürfen Nebenangebote bereits nach dem Inhalt des anzuwendenden nationalen Vergaberechts, unabhängig von sich aus den vergaberechtlichen Richtlinien des Unionsrechts ergebenden Schranken, nicht zugelassen werden. Ist dies, wie hier, doch geschehen, dürfen diese Nebenangebote jedenfalls nicht gewertet werden.

a) Nebenangebote sind in den Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A 2012 und in der Verordnung über die Vergabe von Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung (Sektorenverordnung – SektVO) über die Angebotswertung (§ 16 EG 6 bis 10 VOB/A; § 29 SektVO) nicht Gegenstand besonderer Regelungen und auch nicht besonders erwähnt. Soweit § 16 EG Abs. 9 VOB/A 2012 bestimmt, Angebote nach § 13 EG Abs. 2 VOB/A 2012 seien wie Hauptangebote zu werten, wird damit lediglich klargestellt, dass Angebote mit (gleichwertigen) abweichenden technischen Spezifikationen im Sinne von § 7 EG Abs. 3 VOB/A 2012 der Sache nach Haupt- und gerade keine Nebenangebote darstellen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. März 2011 – X ZR 92/09, VergabeR 2011, 709 – Ortbetonschacht).

Darüber hinaus ist in § 8 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b VOB/A 2012 (§ 16a Abs. 3 VOB/A 2009) und in § 8 Abs. 1 Satz 2 SektVO lediglich bestimmt, dass die öffentlichen Auftraggeber, wenn sie die Einreichung von Nebenangeboten zugelassen haben, in den Vergabeunterlagen Mindestanforderungen festlegen müssen, denen diese Nebenangebote zu genügen haben, um gewertet werden 14 zu können. Mit diesen Regelungen sind unionsrechtliche Vorgaben umgesetzt worden (vgl. Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. Nr. L 199 vom 9. August 1993; Art. 24 Abs. 3 VKR; Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste – Sektorenverordnung [SKR], ABl. Nr. L 134 vom 30. April 2004, S. 1).

b) Verlangt das anzuwendende Recht, für Nebenangebote (lediglich) Mindestanforderungen vorzugeben, ohne Regelungen darüber zu treffen, wie Nebenangebote im Verhältnis zu der als Hauptangebot vorgesehenen Ausführung (“Amtsvorschlag”) zu werten sind, ist eine wettbewerbskonforme Wertung der Nebenangebote nicht gewährleistet, wenn für den Zuschlag allein der Preis maßgeblich sein soll. Ist beispielsweise ein den Mindestanforderungen genügendes Nebenangebot zwar geringfügig billiger als das günstigste Hauptangebot, bleibt es aber überproportional hinter dessen Qualität zurück und erweist es sich bei wirtschaftlicher Betrachtung deshalb gerade nicht als das günstigste Angebot, müsste es mangels geeigneter Zuschlagskriterien, mit denen diese Diskrepanz in der Wertung erfasst werden kann, dennoch den Zuschlag erhalten, wenn nur der Preis berücksichtigt werden darf (vgl. auch OLG Düsseldorf, VergabeR 2012, 185, 191). Eine solche Wertungspraxis wäre unvereinbar mit dem vergaberechtlichen Wettbewerbsprinzip (§ 97 2 GWB) und mit dem mit diesem in engem Zusammenhang stehenden, aus § 97 Abs. 5 GWB folgenden Gebot, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen.

c) Dieser Mangel kann durch ungeschriebene Wertungskriterien regelmäßig nicht behoben werden. Soweit in der Rechtsprechung der Vergabesenate verlangt wird, dass zuschlagsfähige Nebenangebote über die Erfüllung der Mindestanforderungen hinaus mit dem Amtsvorschlag gleichwertig sein müssen 17

(vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, VergabeR 2011, 586, 591; OLG München, Beschluss vom 9. September 2010 – Verg 16/10; Brandenburgisches Oberlandesgericht, VergabeR 2009, 222; 2012, 124; OLG Frankfurt am Main, VergabeR 2012, 884, 894; vgl. auch Kues/Kirch, NZBau 2011, 335 ff.; Dittmann in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, VOB/A § 16 Rn. 293 ff.; vgl. auch Vavra in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl., § 16 VOB/A Rn. 62; zur Problematik insgesamt beispielsweise Bauer in: Heiermann/Riedl/Rusam, Handkomm. zur VOB, 13. Aufl., § 16 EG VOB/A Rn. 183f ff.), mögen solche ungeschriebenen Gleichwertigkeitsprüfungen, die ersichtlich auch die Vergabestelle im Streitfall vorgenommen hat, zwar im Einzelfall durchaus geeignet sein, den Wert von Nebenangeboten im Verhältnis zu den abgegebenen Hauptangeboten zu beurteilen. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung genügt eine Gleichwertigkeitsprüfung, für die es keine benannten Bezugspunkte gibt, weil der Preis das einzige Zuschlagskriterium sein soll, jedoch nicht den Anforderungen an transparente Wertungskriterien, da für die Bieter bei Angebotsabgabe nicht mehr mit angemessenem Sicherheitsgrad voraussehbar ist, welche Varianten die Vergabestelle bei der Wertung noch als gleichwertig anerkennen wird und welche nicht mehr. Zudem droht eine Gleichwertigkeitsprüfung mit den Mindestanforderungen in Konflikt zu geraten, deren Erfüllung in der Regel ohne Aussagekraft für die Berücksichtigungsfähigkeit des Nebenangebots wäre. Dies kann auch nicht dadurch vermieden werden, dass die Vergabestelle, wie im Streitfall geschehen, die Gleichwertigkeit als Mindestanforderung definiert. Denn bestimmte oder bestimmbare konkrete Anforderungen an die anzubietende Leistung werden damit nicht formuliert.

d) Daraus die Konsequenz zu ziehen, dass Mindestanforderungen so konkret definiert werden müssen, dass die Vergleichbarkeit mit dem Qualitätsstandard und den sonstigen Ausführungsmerkmalen des Amtsvorschlags gewährleistet ist, wäre weder mit Sinn und Zweck der Zulassung von Nebenange-19 boten vereinbar, noch ist es nach dem Schutzzweck des Gebots der Vorgabe von Mindestanforderungen erforderlich.

aa) Die Zulassung von Nebenangeboten soll das unternehmerische Potenzial der für die Deckung des Vergabebedarfs geeigneten Bieter dadurch erschließen, dass der Auftraggeber Alternativlösungen vorgeschlagen bekommt, die er selbst nicht hätte ausarbeiten können, weil seine Mitarbeiter naturgemäß nicht in allen Bereichen über so weitreichende Fachkunde wie die Bieter verfügen (BGH, Urteil vom 30. August 2011 – X ZR 55/10, VergabeR 2012, 26 – Regenentlastung). Die Bedeutung der Zulassung von Nebenangeboten für die Gewinnung innovativer Lösungen hebt auch die kurz vor der Verabschiedung stehende, an die Stelle der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG tretende Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe hervor (vgl. Dokument PE-CONS 74/13 – 2011/0438 (COD), Erwägungsgrund 17a).

bb) Das Gebot, für Nebenangebote Mindestanforderungen festzulegen, dient der Transparenz, die die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Bieter gewährleisten soll (EuGH, Urteil vom 16. Oktober 2003 – C-421/01, VergabeR 2004, 50 29 – Traunfellner). Öffentliche Auftraggeber sollen sich von vornherein auf bestimmte Vorgaben für Nebenangebote festlegen müssen, damit erschwert ist, Nebenangebote mit der vorgeschobenen Begründung zurückzuweisen, sie seien gegenüber Ausführungen nach dem Amtsvorschlag (Hauptangebot) minderwertig oder wichen davon unannehmbar ab.

cc) Je mehr diesem letzteren Regelungsziel durch die Anhebung der Mindestanforderungen Rechnung getragen wird, desto mehr bleiben die mit der Zulassung von Nebenangeboten verfolgten Zwecke unberücksichtigt. Die öffentlichen Auftraggeber müssten die zulässigen Alternativen weitgehend gedanklichplanerisch vorwegnehmen, und Nebenangebote könnten nur in dem dadurch vorgegebenen Rahmen ausgearbeitet werden. Dieser würde aber häu-20 fig hinter den Möglichkeiten der regelmäßig fachlich besser instruierten Anbieterseite zurückbleiben, so dass deren Potenzial zum Teil ungenutzt bliebe (vgl. BGH, VergabeR 2012, 26 19 – Regenentlastung). Dies wäre im Zweifel nicht nur zum wirtschaftlichen Schaden des Auftraggebers, sondern verfehlte auch gleichermaßen das Ziel, den Bietern die Möglichkeit zu geben, sich durch Nutzung ihres kreativen Potentials und eine dem Auftraggeber hierdurch eröffnete günstigere Alternative zu einem Zuschlag auf ein Hauptangebot einen Vorteil im Wettbewerb zu verschaffen. Im Interesse eines möglichst lebhaften Vergabewettbewerbs wäre es deshalb unzweckmäßig, wenn die Mindestanforderungen für Nebenangebote den Vergabegegenstand in allen seinen Aspekten und Details beschrieben (vgl. auch OLG Koblenz, NZBau 2011, 58 f.).

dd) Wie eingehend und detailliert die an Nebenangebote gestellten Anforderungen in den Vergabeunterlagen beschrieben sein müssen, lässt sich in Anbetracht der Anwendungsbreite der Bestimmung und der Vielfältigkeit der auszuschreibenden Leistungen nicht allgemein festlegen, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung und der jeweiligen Gesamtumstände, insbesondere der Komplexität des einzelnen Vergabegegenstands, bestimmen. Generell sind Mindestanforderungen zweckmäßig, die Spielraum für eine hinreichend große Variationsbreite in der Ausarbeitung von Alternativvorschlägen lassen. Erforderlich, aber im Interesse des Transparenzgebots auch ausreichend ist, dass den Bietern – neben technische Diversität zulassenden technischen Spezifikationen – als Mindestanforderungen in allgemeinerer Form der Standard und die wesentlichen Merkmale deutlich gemacht werden, die eine Alternativausführung aus Sicht der Vergabestelle aufweisen muss. Dadurch wird, soweit möglich, vermieden, dass den Bietern Aufwand aus der Erarbeitung von Alternativvorschlägen erwächst, die von vornherein keine Aussicht auf Berücksichtigung haben. Zugleich werden die Auftraggeber gebunden und daran gehindert, Nebenangebote zurückweisen zu 23 können, die den Mindestanforderungen genügen, auf die sie sich festgelegt haben.

e) Die dem Ziel der Erschließung des wettbewerblichen Potentials entsprechende und damit vergaberechtskonforme Wertung von Nebenangeboten, die den vorgegebenen Mindestanforderungen genügen, ist durch Festlegung aussagekräftiger, auf den jeweiligen Auftragsgegenstand und den mit ihm zu deckenden Bedarf zugeschnittener Zuschlagskriterien zu gewährleisten. Sie müssen ermöglichen, das Qualitätsniveau von Nebenangeboten und ihren technischenfunktionellen und sonstigen sachlichen Wert über die Mindestanforderungen hinaus nachvollziehbar und überprüfbar mit dem für die Hauptangebote nach dem Amtsvorschlag vorausgesetzten Standard zu vergleichen, so dass das wirtschaftlichste Angebot auf dieser Basis ermittelt und dabei gegebenenfalls auch eingeschätzt werden kann, ob ein preislich günstigeres Nebenangebot mit einem solchen Abstand hinter der Qualität eines dem Amtsvorschlag entsprechenden Hauptangebots zurückbleibt, dass es nicht als das wirtschaftlichste Angebot bewertet werden kann.

4. Die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist im Streitfall nicht erforderlich. Die Anwendung des nationalen Rechts steht offenkundig nicht in Widerspruch zu den vergaberechtlichen Bestimmungen und Vorgaben des Unionsrechts.

Soweit der Senat in einem früheren Fall zum Ausdruck gebracht hat, dass er ohne die dort übereinstimmend erklärte Erledigung des Nachprüfungsverfahrens in der Hauptsache die Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 24 Abs. 1 VKR eingeholt hätte (BGH, Beschluss vom 23. Januar 2013 – X ZB 8/11, VergabeR 2013, 547), beruhte dies auf den besonderen Umständen jenes Falles. Gegenstand des Vergabeverfahrens war dort mit der Abholung und Zustellung von auf eine bestimmte Art und Weise bereitgestellten (vorsortierten) Briefsendungen eine in massen-24 hafter Wiederkehr zu erbringende homogene Dienstleistung. Als alleiniges Wertungskriterium dafür den Preis heranzuziehen, war vergaberechtlich ebenso sachgerecht, wie das Interesse der Vergabestelle anerkennenswert, gleichwohl Varianten angeboten zu bekommen, die sich nach den Umständen im Übrigen vom Hauptangebot nur in der modifizierten Vorsortierung der abzuholenden Sendungen unterscheiden konnten. Die Zulassung von Varianten hätte dort zwar (auch) die Notwendigkeit mit sich gebracht, die Preiswürdigkeit von Nebenangeboten zu vergleichen und zu bewerten, die die vorgegebenen Mindestbedingungen (vgl. Art. 24 Abs. 3 VKR, § 8 EG Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b VOB/A) auf unterschiedliche Weise erfüllten. Infolge der Homogenität der nachgefragten Leistung und nach den Umständen erschien eine unverfälschte Wertung von Haupt- und Nebenangeboten nach dem Preis aber nicht von vornherein ausgeschlossen. Für die Entscheidung des dortigen Falls in der Hauptsache wäre es danach darauf angekommen, ob das Unionsrecht (Art. 24 Abs. 1 VKR) – etwa wie das nationale Recht durch das Institut der teleologischen Reduktion – eine Auslegung des nationalen Rechts erlaubt hätte, nach der Nebenangebote in einer solchen Konstellation zugelassen werden können, obwohl der Preis das einzige Zuschlagskriterium sein soll.

Der Streitfall ist damit nicht vergleichbar, und eine entsprechende Auslegung des nationalen Vergaberechts kommt mithin – wie ausgeführt – nicht in Betracht. Das ausgeschriebene Los umfasst zahlreiche Gewerke (Bauteilgruppen), namentlich den Gleisunterbau, Mastgründungen, Bahnstromanlagen, Haltestellen, Straßenbau, Gehwege, Parkmöglichkeiten, Lichtsignalanlagen, Markierungen und Beschilderungen, GVB-Koordinierungstrassen, Stützwände, Beleuchtung sowie diverse Versorgungsleitungen. Nebenangebote waren nach den Vergabeunterlagen zudem nur für die gesamte Leistung, nicht aber nur für eingegrenzte Bereiche zugelassen.

5. Im Streitfall ist es nach den vom Vergabesenat getroffenen Feststellungen zur Herstellung eines regulären Vergabewettbewerbs ausreichend, dass die vergaberechtswidrig zugelassenen Nebenangebote nicht gewertet werden. Eine Verzerrung des Wettbewerbs bei Wertung allein der Hauptangebote ist nicht zu besorgen, weil – anders als in dem vom Senat am 23. Januar 2013 entschiedenen Fall (BGH, VergabeR 2013, 547) – nicht geltend gemacht ist, dass ein Hauptangebot anders kalkuliert worden wäre, wenn Nebenangebote nicht zugelassen gewesen wären.

IV. Der Senat macht von der in § 124 Abs. 2 Satz 3 GWB eröffneten Möglichkeit Gebrauch, sich auf die Entscheidung der Divergenzfrage zu beschränken, weil es nach dem Sach- und Streitstand zweckmäßig ist, dem Vergabesenat die Entscheidung in der Hauptsache zu übertragen.

1. Die Annahme der Vergabekammer und des Vergabesenats, die Vergabestelle könne sich im Nachprüfungsverfahren nicht mehr auf fehlende Eignung der Antragstellerin berufen, nachdem sie die Eignung im Vergabeverfahren bejaht hat, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Entgegen der Ansicht der Vergabekammer ist die Anforderung umsatzbezogener Angaben nicht deshalb unbeachtlich, weil sie in der Vergabebekanntmachung nicht unter dem richtigen, sondern einem benachbarten Gliederungspunkt gestellt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Frage, welcher Erklärungswert dem Inhalt von Vergabeunterlagen zukommt, nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden und dabei auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter abzustellen (BGH, Urteil vom 20. November 2012 – X ZR 108/10, VergabeR 2013, 208 Rn. 9 – Friedhofserweiterung; Urteil vom 15. Januar 2013 – X ZR 155/10, VergabeR 2013, 434 Rn. 9 – Parkhaussanierung). Bei einer an diesen – auch für das Verständnis der Bekanntmachung nach § 12 EG Abs. 2 VOB/A geltenden – Grundsätzen orientierten Auslegung 28 besteht kein Zweifel daran, dass die potenziellen Bieter den Angaben unter III 1.4 der Bekanntmachung entnehmen konnten, mit dem Angebot jährliche Nettoumsätze von mindestens 2,5 Mio. € mit komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich in den letzten fünf Jahren nachweisen zu sollen, auch wenn diese Rubrik an sich der Information über Bedingungen oder Vorschriften gilt, die bei der Auftragsausführung zu beachten sein sollen.

2. Die Vergabestelle war entgegen der Ansicht der Vergabekammer und des Vergabesenats nicht daran gebunden, dass sie die Eignung der Antragstellerin in einem früheren Stadium des im offenen Verfahren durchgeführten Vergabewettbewerbs bejaht hat.

a) Aus der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen lässt sich nicht herleiten, dass der Auftraggeber im offenen Verfahren an seine erste Beurteilung der Eignung eines Bieters gebunden wäre. Die Regelung in § 16 EG 2 Nr. 2 VOB/A gilt nur für das nicht offene und das Verhandlungsverfahren sowie den wettbewerblichen Dialog. Dort dürfen im Rahmen der Angebotswertung nur noch solche die Eignung betreffenden Umstände berücksichtigt werden, die nach Aufforderung zur Angebotsabgabe Zweifel an der Eignung des Bieters begründen. Der Grund für diese Regelung ist darin zu sehen, dass der Auftraggeber bei diesen Vergabearten die Eignung der Bewerber prüft, bevor er sie in den Wettbewerb einbezieht (vgl. § 6 EG Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 VOB/A für das nicht offene Verfahren). Dadurch wird ein Vertrauenstatbestand für die Bieter dahin begründet, dass sie nicht damit rechnen müssen, der ihnen durch die Erstellung der Angebote und Teilnahme am Wettbewerb entstandene Aufwand könnte dadurch nachträglich nutzlos werden, dass der Auftraggeber die Eignung auf gleichbleibender tatsächlicher Grundlage abweichend beurteilt (vgl. zum Vertrauensschutz der Bieter BGH, Urteil vom 8. September 1998 – X ZR 99/96, BGHZ 139, 280, 283). Eine entsprechende Regelung für den Schutz des Vertrauens der Bieter auf den Bestand der Beurteilung ihrer Eig-32 nung durch die Vergabestelle im offenen Verfahren ist in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen nicht vorgesehen. Dafür besteht auch kein Bedürfnis, weil die Bieter den mit der Erstellung des Angebots verbundenen Aufwand zumindest im Wesentlichen bereits vor der Eignungsprüfung durch die Vergabestelle erbracht haben.

b) Eine Bindung ergibt sich auch nicht aus den Bestimmungen über die Prüfung und Wertung der Angebote in § 16 EG VOB/A (§§ 20, 27 SektVO). Diese erfolgt zwar schrittweise (Prüfung auf Ausschlussgründe und der Eignung der Bieter, Aussonderung unangemessen hoher oder niedriger Angebote, Auswahl des günstigsten Angebots aus den in die engere Wahl gelangten Offerten). Damit soll aber vor allem einer Vermischung der Prüfungsgegenstände vorgebeugt werden (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 2008 – X ZR 129/06, VergabeR 2008, 641 Rn. 13 – Sporthallenbau). Mit dieser sachlogischen Ordnungsprinzipien folgenden Aufgliederung wird der Wertungsprozess aber nicht in rechtlich unabhängige Abschnitte aufgeteilt, deren Durchlaufen dem betreffenden Bieter jeweils eine Rechtsposition verschaffte, die einer nachträglichen abweichenden Beurteilung eines vorangegangenen Abschnitts entgegenstünde. Für die Prüfung der Eignung gilt insoweit keine Ausnahme. Dass die Vergabestelle sie einmal bejaht hat, steht einer späteren abweichenden Einschätzung im offenen Verfahren nicht von vornherein entgegen. Revidiert eine Vergabestelle ihre Beurteilung der Eignung eines Bieters zu dessen Nachteil, insbesondere nachdem dieser einen Nachprüfungsantrag gestellt hat, kann das lediglich Anlass geben, besonders kritisch zu prüfen, ob diese Entscheidung die im Interesse eines verantwortungsvollen Einsatzes öffentlicher Mittel gebotene Korrektur einer Fehleinschätzung darstellt oder von sachfremden Erwägungen getragen sein könnte.

Abweichendes ergibt sich nicht aus § 19 EG Abs. 1 VOB/A. Danach sollen Bieter, deren Angebote nach § 16 EG Abs. 1 VOB/A ausgeschlossen wur-34 den oder die nicht in die engere Wahl kommen, unverzüglich unterrichtet werden. Daraus folgt nicht, dass nicht informierte Wettbewerbsteilnehmer darauf vertrauen dürfen, ein formgültiges Angebot abgegeben zu haben und jedenfalls auch für die Auftragsausführung geeignet zu sein.

V. Danach bedarf die im Verlauf des Nachprüfungsverfahrens ausgesprochene Verneinung der Eignung der Antragstellerin durch die Vergabestelle einer Überprüfung in der Sache, die zweckmäßigerweise dem Vergabesenat zu übertragen ist (§ 124 Abs. 2 Satz 3 GWB). Dafür weist der Senat auf Folgendes hin.

1. Die Vergabebekanntmachung enthält Anforderungen an den Nachweis der Eignung nicht nur unter dem Gliederungspunkt III 1.4, sondern auch in den dafür an sich vorgesehenen Rubriken unter III 2 In der Gesamtschau ergibt sich folgendes Bild: Die Vergabestelle wollte einerseits eine Auftragsvergabe davon abhängig machen, dass der betreffende Bieter in den letzten 5 Jahren mit komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich Jahresumsätze von 2.500.000 € erzielt hat (III 1.4 der Bekanntmachung). Andererseits hat sie für den Nachweis der Eignung unter anderem auf das zu den Vergabeunterlagen gehörende Formblatt 124 verwiesen (unter III 2 der Bekanntmachung). Dieses ist hinsichtlich der Umsatzangaben den Vorgaben der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen angepasst und verlangt die Angabe des Umsatzes in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren, soweit dieser Bauleistungen und andere Leistungen betrifft, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind (vgl. § 6 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a VOB/A).

Aus diesen Angaben konnten die Adressaten der Vergabeunterlagen insgesamt entnehmen (§§ 133, 157 BGB analog), dass die Vergabestelle die unter III 1.4 angeführten komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich als mit der zu vergebenden Leistung vergleichbare Leistungen 36 im Sinne von § 6 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a VOB/A verstanden wissen wollte und voraussetzte, dass damit ein jährlicher Umsatz von 2.500.000 € erzielt worden ist. Hinsichtlich des Auskunftszeitraums und der Gesamtumsätze waren die Angaben in der Bekanntmachung zu III 1.4 und III 2 widersprüchlich. Dass eine Vergabestelle weitergehende Eignungsnachweise verlangen kann (vgl. z.B. Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Nr. i) VKR), verleiht den unter III 1.4 gestellten Anforderungen keinen einseitigen Vorrang, sondern der Widerspruch ist im gegenwärtigen Verfahrensstadium dahin aufzulösen, dass die unter III 1.4 gestellten Anforderungen in dem Umfang gelten, in dem sie dem Formblatt 124 nicht widersprechen. Danach hätte die Antragstellerin Umsätze mit komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich von 2.500.000 € in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren nachweisen müssen.

2. Für die Frage, ob die nachträgliche Verneinung der Eignung sachfremd motiviert sein könnte, kann die ursprüngliche Beurteilung der Eignung von Aufschluss sein. Nach den dazu bisher getroffenen Feststellungen erscheint die jetzige Position der Vergabestelle jedenfalls nicht ohne Weiteres als vorgeschoben. Die Vergabestelle war zunächst zu dem Ergebnis gelangt, dass die Antragstellerin zwischen 2008 und 2012 nicht die vorgegebenen Jahresumsätze von 2.500.000 € erzielt hat und deshalb nicht geeignet war. Offenbar hat die Vergabestelle später an die Höhe der vorausgesetzten Jahresumsätze Konzessionen gemacht. Dies kann, muss aber nicht stets vergaberechtswidrig sein. Die Regelung in § 6 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a VOB/A beruht ersichtlich auf der Prämisse, dass die in der Vergangenheit erzielten Umsätze aussagekräftig für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Bieters hinsichtlich des zur Vergabe anstehenden Auftrags sind. Die Bestimmung dient somit dem Schutz der Auftraggeberseite und soll der Vergeudung öffentlicher Mittel vorbeugen. Eine Vergabestelle kann zwar nachträglich zu der Einschätzung gelangen, dass die ihr anvertrauten öffentlichen Interessen auch bei Vergabe des Auftrags an ein Unternehmen gewahrt bleiben, das die insoweit zunächst für notwendig erach-39 teten Umsätze nicht erzielt hat. Dies muss aber plausible Gründe haben. Außerdem ist aus Wettbewerbsgründen zu bedenken, ob sich der Kreis der Teilnehmer nicht anders zusammengesetzt hätte, wenn die jetzt als ausreichend erachteten Umsätze von vornherein vorgegeben worden wären.

Die Vergabestelle hat zwar nach dem oben mitgeteilten Vermerk in den Vergabeakten angegeben, die Eignung der Antragstellerin “unter Abwägung aller Fakten” bejaht zu haben, sie hat in diesem Zusammenhang aber als einzigen substanziellen Gesichtspunkt angeführt, dass ein Ausschluss für die Antragstellerin unangemessen hart wäre. Diese Erwägung steht außerhalb des einer Vergabestelle bei der Eignungsprüfung zustehenden Beurteilungsspielraums. Die Prüfung der Eignung soll im Vorfeld der Auftragsvergabe das Risiko minimieren, dass der Einsatz öffentlicher Mittel seinen Zweck verfehlt, weil ein Unternehmen beauftragt wird, das mit der Erbringung der zugesagten Leistung überfordert ist, und in der Folge Zeit verloren geht und Mehrkosten entstehen. Dabei entscheidend auf Belange der Bieterseite abzustellen, ist vom Zweck des Entscheidungsspielraums der Vergabestelle nicht mehr gedeckt. Ob hier ein Fehlgebrauch des Beurteilungsspielraums vorlag oder der entsprechende Vermerk in den Vergabeakten die Erwägungen der Vergabestelle nur missverständlich wiedergibt, kann beim gegebenen Sach- und Streitstand nicht abschließend beurteilt werden, weil die Vergabekammer und der Vergabesenat dazu, von ihrer Rechtsauffassung her folgerichtig, keine Feststellungen getroffen haben. 40 3. Die Vergabestelle wird die Prüfung der Eignung der Antragstellerin nunmehr unter Anpassung an die Prämisse, dass lediglich die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre berücksichtigt werden dürfen (oben V 1), und unter Berücksichtigung des vorstehend Ausgeführten im laufenden Nachprüfungsverfahren zu wiederholen und das Ergebnis vorzutragen haben.

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