Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt

Aktuelle Rechtsprechung zum Vergaberecht (2)

Aktuelle Rechtsprechung zum Vergaberecht (2)

„Muss”-Kriterien = Mindestanforderungen?

Grundsätzlich darf auch in Verhandlungsverfahren nicht über die bekannt gemachten Zuschlagskriterien verhandelt werden, diese sollten während des gesamten Verfahrens stabil bleiben. Indessen besteht kein Anspruch auf die Aufstellung oder Festlegung von Mindestanforderungen vor der Durchführung von Verhandlungsrunden in einem Verhandlungsverfahren.

Muss”-Kriterien sind nicht zwingend als Mindestanforderungen zu qualifizieren.

VK Berlin, Beschluss vom 29.11.2024 – VK B 1-13/24

Aktuelle Rechtsprechung zum Vergaberecht (1)

Aktuelle Rechtsprechung zum Vergaberecht (1)

Verkehrsüblicher Preis = betriebssubjektiver Preis

1. Ein auf Naturalrestitution gerichteter Schadensersatzanspruch kann aus Gründen des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots ausgeschlossen sein und sich in einen reinen (einseitigen) Geldanspruch umwandeln, der der Höhe nach auf den entgangenen Gewinn beschränkt ist, wenn der Anspruch des Gläubigers dieses grundsätzlich im Austauschverhältnis stehenden Schadensersatzanspruchs ohnehin schon auf eine Geldleistung gerichtet war und die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) dem nicht entgegen stehen. In diesem Fall verliert der Gläubiger des Schadenersatzanspruchs das Recht, die von ihm geschuldete Gegenleistung zu erbringen.

2. Die PreisV 30/53 in der bis zum 31.03.2022 geltenden Fassung gilt grundsätzlich auch für öffentliche Aufträge, die auf der Grundlage eines Open-House-Verfahrens zustande gekommen sind, wenn nicht von der Befreiungsmöglichkeit nach § 2 Abs. 2 PreisV 30/53 a.F. Gebrauch gemacht worden ist.

3. Bei der Bestimmung des verkehrsüblichen Preises nach § 4 Abs. 1 PreisV 30/53 a.F. ist – sofern kein einheitlicher, objektiver Marktpreis feststellbar ist, grundsätzlich der sog. betriebssubjektive Preis maßgeblich, also der Preis, den der jeweilige Anbieter unter Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt auch anderweitig für die gegenständliche Leistung erzielt. Ein Vergleich mit der Verkehrsüblichkeit von Preisen anderer Anbieter findet nicht statt.

4. Von diesen Grundsätzen ist auch angesichts des im Open-House-Verfahren zu beachtenden Gleichheitsgrundsatzes nicht abzuweichen, da hierfür angesichts der Möglichkeit des § 2 Abs. 2 PreisV 30/53 a.F. keine Notwendigkeit besteht und der öffentliche Auftraggeber die Geltung der PreisV 30/53 a.F. nicht durch bloße Wahl des Open-House-Verfahrens außer Kraft setzen kann.

5. Ist ein Vertrag aufgrund eines Verstoßes gegen die preisrechtlichen Vorschriften hinsichtlich des vereinbarten Preises gem. § 1 Abs. 3 PreisV 30/53 a.F. teilnichtig, ist es dem öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich auch dann nicht gem. § 242 BGB nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf diese Teilnichtigkeit zu berufen, wenn er ursprünglich – irrtümlich – davon ausgegangen ist, der von ihm im Open-House-Verfahren einseitig vorgegebene und nicht verhandelbare Preis verstoße nicht gegen die preisrechtlichen Vorschriften. Dies ergibt sich daraus, dass die preisrechtlichen Vorschriften nicht in erster Linie den öffentlichen Auftraggeber als Rechtssubjekt schützen, sondern den Fiskus und die Gemeinschaft der Steuerzahler.
OLG Köln, Urteil vom 15.05.2025 – 18 U 97/23

Zu der Frage der (Nicht-)Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten beim AG

Zu der Frage der (Nicht-)Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten beim AG

von Thomas Ax

Nach § 182 Abs. 4 S. 4 GWB gelten § 80 Abs. 1, 2 und 3 S. 2 VwVfG sowie die entsprechenden Vorschriften der Länder entsprechend. Nach dem demnach hier entsprechend anwendbaren § 80 Abs. 2 VwVfG (im Folgenden kurz: VwVfG) sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren, in entsprechender Anwendung also im Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Die damit grundsätzlich bestehende Erstattungsfähigkeit solcher Aufwendungen hängt nach § 80 Abs. 1 S. 1 VwVfG im Einklang mit § 182 Abs. 4 S. 1 GWB davon ab, ob es sich insoweit um Aufwendungen handelt, die zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren.

Da das Gesetz insoweit keine Regel vorgibt, kann die Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht schematisch beantwortet werden. Es ist – wie auch sonst, wenn es um die Notwendigkeit verursachter Kosten geht – eine Entscheidung geboten, die den Umständen des Einzelfalls gerecht wird. Hierzu ist die Frage zu beantworten, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen, der im Hinblick auf eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen. Hierfür können neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände bestimmend sein wie etwa die sachliche und personelle Ausstattung des Beteiligten, also beispielsweise, ob er über eine Rechtsabteilung oder andere Mitarbeiter verfügt, von denen erwartet werden kann, dass sie gerade oder auch Fragen des Vergaberechts sachgerecht bearbeiten können, oder ob allein der kaufmännisch gebildete Geschäftsinhaber sich des Falls annehmen muss (BGH, Beschluss vom 26. September 2006 – X ZB 14/06 -, Rn. 61; Senat, Beschluss vom 14. Dezember 2022 – Verg 10/22).

Auch wenn das Gesetz keine Regel vorgibt, führen doch die für die Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung typischerweise maßgeblichen Umstände dazu, dass im Regelfall die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes für die am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen notwendig ist, wenn sie nicht auf tatsächlich vorhandene Rechtskenntnisse, die ihnen etwa durch eine eigene Rechtsabteilung vermittelt werden, zurückgreifen können (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Dezember 2022 – Verg 10/22 m.w.N.), während sie für den öffentlichen Auftraggeber im Regelfall nur dann notwendig ist, wenn die sich im Vergabenachprüfungsverfahren stellenden Rechtsfragen nicht mit den Rechtskenntnissen, die von ihm als Betreiber des Vergabeverfahrens zu erwarten sind, angemessen zu bewältigen sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. März 2020 – VII-Verg 38/18; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. November 2024 – 11 Verg 6/24). Denn der öffentliche Auftraggeber kann sich wegen seiner aus dem Kartellvergaberecht und gegebenenfalls auch seiner Stellung als Hoheitsträger erwachsenen Pflicht zur rechtmäßigen Führung des Vergabeverfahrens nicht darauf berufen, über keine vergaberechtlichen Rechtskenntnisse zu verfügen. So wie jeder Amtsträger die zur Führung seines Amtes notwendigen Rechtskenntnisse haben oder sich verschaffen muss, ist von einem öffentlichen Auftraggeber zu erwarten, dass die von ihm eingesetzten Mitarbeiter die dafür maßgeblichen Rechtsvorschriften kennen (OLG Koblenz, Beschluss vom 26. August 2020 – Verg 5/20; Radu, in: Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage 2023, § 182 GWB § 182 Rn. 146 m.w.N.). Deswegen kann und muss von jedem ein Vergabeverfahren betreibenden öffentlichen Auftraggeber erwartet werden, dass er über hinreichende Kenntnisse zu den auftragsbezogenen Sach- und Rechtsfragen des von ihm geführten Vergabeverfahrens verfügt und sich diese nötigenfalls in eigener Zuständigkeit sowie auf eigene Kosten beschafft und im Vergabenachprüfungsverfahren dann auch tatsächlich einsetzt (OLG Celle, Beschluss vom 5. November 2020 – 13 Verg 7/20; Radu, in: Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage 2023, § 182 GWB § 182 Rn. 146 m.w.N.).

Das entspricht im Übrigen auch der Rechtslage zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten nach § 80 Abs. 2 VwVfG im verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahren. Auch dort ist eine Hinzuziehung von Rechtsanwälten der Ausgangsbehörde nur in besonders gelagerten Einzelfällen als notwendig anzusehen. In der Regel muss die Ausgangsbehörde mit eigenem Fachpersonal so ausgestattet sein, dass sie ihre Verwaltungstätigkeit, zu der ihre Mitwirkung im Vorverfahren gehört, ohne fremde Unterstützung ausführen kann und für diese Ausstattung auch selbst sorgen. Dies gilt auch für die Bearbeitung schwieriger Rechtsfälle, sofern sie nur zu ihrem Aufgabenbereich gehören (vgl. statt aller Kallerhoff/Keller in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Auflage 2023, § 80 Rn. 85 m.w.N.; Baer in: Schoch/Schneider Verwaltungsrecht, Werkstand: 5. EL Juli 2024, § 80 VwVfG Rn. 66 m.w.N.). All dies hat aufgrund der Verweisung des § 182 Abs. 4 S. 4 GWB auf § 80 VwVfG auch im Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer zu gelten, zumal Gründe für eine andere Handhabung der Vorschrift nicht ersichtlich sind. Die insoweit erörterten Kriterien wie etwa die Komplexität des Sachverhalts, die Bedeutung des Auftrags, das Beschleunigungsgebot, die Komplexität des Vergaberechts, eine Waffengleichheit mit dem Antragsteller sind ohne Hinzutreten besonderer Umstände des Einzelfalls ungeeignet, um jedenfalls für den öffentlichen Auftraggeber eine abweichende Würdigung zu erlauben (vgl. eingehend Radu in: Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage 2023, § 182 GWB § 182 Rn. 147 ff. m.w.N.).

Vielfach gehören die insoweit maßgeblichen Rechtsfragen zum vergaberechtlichen Basiswissen, das bei jedem öffentlichen Auftraggeber vorhanden sein muss, der ein kartellvergaberechtliches Vergabeverfahren betreibt. Würde er nicht über die entsprechenden Kenntnisse verfügen, würde er den ihn treffenden Pflichten als Verantwortlichen für das Vergabeverfahren schon im Ausgangspunkt nicht gerecht werden können. Folglich ist ihm auch zuzumuten, dass er seine Kenntnisse im Vergabenachprüfungsverfahren einsetzt. Bedient er sich hierzu der Unterstützung von Rechtsanwälten, was ihm selbstverständlich freisteht, ist eine solche Hinzuziehung kostenrechtlich nicht notwendig. Mit anderen Worten liegt es in zwar seiner autonomen Entscheidung, ob er die für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Haushaltsmittel zur Vorhaltung eigener Sachkunde durch entsprechend ausgebildete und geschulte Mitarbeiter oder zur Finanzierung von Rechtsanwälten einsetzt; daran, dass er diese Kosten seiner Aufgabenerfüllung selbst zu tragen hat, vermag aber ein etwaiges Qutsourcing durch die Inanspruchnahme rechtsanwaltlicher Hilfe nichts ändern.

Gehören die sich stellenden Fragen zum unabdingbaren von jedem öffentlichen Auftraggeber zu erwartenden vergaberechtlichen Basiswissen, war und ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts kostenrechtlich nicht notwendig.

Zu der Frage der Zulässigkeit von Bedarfspositionen

Zu der Frage der Zulässigkeit von Bedarfspositionen

von Thomas Ax

Die Vergabe von Bedarfspositionen bzw. Eventualpositionen ist nicht generell ausgeschlossen, unterliegt jedoch umfassenden Anforderungen, da diese dem Gebot der Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung aus § 121 Abs. 1 GWB entgegenstehen sowie die Transparenz des Vergabeverfahrens und der Vergabeentscheidung aus § 97 Abs. 1 GWB beeinträchtigen können. Sie eröffnen dem öffentlichen Auftraggeber zudem eine Steuerungsmöglichkeit bei der Wertung und machen damit “willfährige Vergabeentscheidungen” möglich (Burgi/Dreher/Opitz/Lampert GWB § 121 Rn. 53). Bedarfspositionen sind vergaberechtlich lediglich ausnahmsweise zugelassen und dann auch nur, wenn spezifische Anforderungen bei den Ausschreibungsbedingungen und bei der Angebotswertung beachtet werden.

Der öffentliche Auftraggeber muss unter Ausschöpfung ihm zumutbarer Erkenntnismöglichkeiten zuvor den Versuch einer eindeutigen Klärung der Leistungsbeschreibung unternehmen. Bedarfspositionen sind kein Hilfsmittel, die Unvollständigkeit einer Planung zu kompensieren.

Nur wenn die Aufklärung nicht gelingt und der Auftraggeber einen sachlich gerechtfertigten Grund, ein anzuerkennendes Bedürfnis oder objektives Interesse nachweisen kann, darf in der Leistungsbeschreibung im Unklaren gelassen werden, ob eine Bedarfsposition zur Ausführung kommen kann. Der Grund ist im Vergabevermerk zu dokumentieren. Im Leistungsverzeichnis sind die inhaltlichen Anforderungen an die Eventualleistung zu beschreiben. Bedarfspositionen sind ferner aus Gründen der Transparenz vom Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung unmissverständlich zu kennzeichnen. Zudem hat der Auftraggeber nachprüfbare Kriterien anzugeben, die für die Inanspruchnahme und die Wertung von Bedarfspositionen ausschlaggebend sind, und an denen die Bieter vorher erkennen können, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Maßstäben das einer Bedarfsposition geltende Angebot gewertet wird oder nicht (so OLG Düsseldorf, 28.02.2008, Verg 57/06). Auf den Umfang von Bedarfspositionen die in der Leistungsbeschreibung enthalten sind kommt es nicht an, da auch kleinere oder wenige Bedarfspositionen in der Gesamtschau geeignet sind, das Wertungsergebnis zu beeinflussen (OLG Düsseldorf, 24.03.2004, Verg 7/04). Bedarfsleistungen müssen jedoch nicht bereits in die Vergabebekanntmachung aufgenommen werden (OLG Düsseldorf, 10. 02. 2010, Verg 36/09).

Zu der Frage der (Einschränkung bei der) Gewährung von Akteneinsicht

Zu der Frage der (Einschränkung bei der) Gewährung von Akteneinsicht

von Thomas Ax

Das Recht auf Akteneinsicht ist von vornherein durch den Verfahrensgegenstand des Nachprüfungsverfahrens beschränkt (so die weit überwiegende Rechtsprechung und Auffassung in der Literatur; OLG Naumburg, Beschluss vom 01.06.2011, 2 Verg 3/11; OLG Brandenburg, Beschluss vom 18.02.2010, Verg W 2/10 und Beschluss vom 30.01.2014, Verg W 2/14 sowie OLG Thüringen, Beschluss vom 11.01.2007, 9 Verg 9/06 und Beschluss vom 06.12.2007, 9 Verg 8/06, Kus in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4 Auflage 2016, § 165 Rn 25 m.w.N.; a.A.: Glahs, Akteneinsichts- und Informationsfreiheitsansprüche im Vergabe- und Nachprüfungsverfahren”, NZBau 2/2014, S. 75 ff.). Den entscheidungsrelevanten Sachverhalt bestimmt die Antragstellerin selbst durch ihre auf die Behauptung einer konkreten Vergaberechtsverletzung bezogenen Rüge, d.h. es kommt auf die “Themen” an, die sie in ihrer Antragsschrift oder bei später erlangten Kenntnissen im Nachprüfungsverfahren benennt (OLG Thüringen, a.a.O.)..

Zu der Frage der (Nachprüfbarkeit der) Bewertung von Konzepten

Zu der Frage der (Nachprüfbarkeit der) Bewertung von Konzepten

von Thomas Ax
Bei der Wertung der Angebote und namentlich auch bei der Bewertung von Qualitätskriterien wie Konzepten genießt der öffentliche Auftraggeber einen Beurteilungsspielraum, der von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar ist, vgl. nur BGH, Urteil vom 04.04.2017, X ZB 3/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.03.2017, Verg 39/16 oder OLG München, Beschluss vom 17.09.2015, Verg 3/15; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.10.2020 – 15 Verg 10/20; VK Westfalen Beschl. v. 1.2 2023 – VK 1-49/22, BeckRS 2023, 1031, beck-online.

Voraussetzung dafür, dass im Nachprüfungsverfahren festgestellt werden kann, dass der Auftraggeber seinen Beurteilungsspielraum nicht überschritten hat, ist, dass die Wertung anhand der aufgestellten Zuschlagskriterien vertretbar, in sich konsistent und – ganz wesentlich – nachvollziehbar sind (vgl. VK Bund, Beschluss vom 04.04.2022 – VK 2-24/22, VK Westfalen, Beschluss vom 01.02.2023 – VK 1-49/22). Nachvollziehbar ist eine Bewertung dann, wenn sich aus der Dokumentation über die Wertung ersehen lässt, warum das ausgewählte Angebot unter den weiteren Angeboten, die ebenfalls als wertbar angesehen werden, als das wirtschaftlichste bewertet wurde, vgl. VK Westfalen, a.a.O.

Zu der Frage der Unzulässigkeit von vergaberechtlichen Rügen “ins Blaue hinein”

Zu der Frage der Unzulässigkeit von vergaberechtlichen Rügen "ins Blaue hinein"

von Thomas Ax

Ins Blaue hinein gestellte Rügen sind unzulässig und unbeachtlich. Zwar ist an Rügen ein großzügiger Maßstab anzulegen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.2011 – VII-Verg 58/10, OLG München, Beschluss vom 07.08.2007 – Verg 8/07; OLG Dresden, Beschluss vom 06.02.2002 – Wverg 4/02). Da ein Bieter naturgemäß nur begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens hat, darf er im Vergabenachprüfungsverfahren behaupten, was er auf der Grundlage seines – oft nur beschränkten – Informationsstands redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf, etwa wenn es um Vergaberechtsverstöße geht, die sich ausschließlich in der Sphäre der Vergabestelle abspielen oder das Angebot eines Mitbewerbers betreffen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.2011, a a O.).

Ein Bieter kann aber nicht mit pauschalen und unsubstantiierten Behauptungen Nachprüfungsanträge stellen in der Erwartung, die Amtsermittlung werde zum Nachweis eines Verstoßes führen. Er hat zumindest Indizien oder tatsachliche Anhaltspunkte aufzuzeigen, die ihn zu dem Schluss bewögen haben, die Vergabestelle habe sich rechtswidrig verhalten (vgl. OLG München, Beschluss vom 11.06.2007 – Verg 6/07; VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.03.2018 – 1 VK 60/17).

Da die Rüge einerseits den öffentlichen Auftraggeber in die Lage versetzen soll, einen etwaigen Vergaberechtsverstoß zeitnah zu korrigieren (Beschleunigung des Vergabeverfahrens, Selbstkontrolle des öffentlichen Auftraggebers), und andererseits Zugangsvoraussetzung zum Nachprüfungsverfahren ist, ist es unabdingbar, dass der Antragsteller – um unnötige Verzögerungen des Vergabeverfahrens zu vermeiden und einem Missbrauch des Nachprüfungsverfahrens vorzubeugen – bereits frühzeitig diejenigen Umstände benennt, aufgrund derer er vom Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes ausgeht Aus Gründen der Beschleunigung wie auch zur Vorbeugung gegen den Missbrauch der Rüge bzw des Nachprüfungsverfahrens ist dem öffentlichen Auftraggeber in der Regel nicht zuzumuten, auf gänzlich unsubstantiierte Rügen hin in eine (ggf erneute) Tatsachenermittlung einzutreten. Ähnlich dem dem Untersuchungsgrundsatz des § 163 GWB zugrundeliegenden Gedanken kann er sich vielmehr auf das beschränken, was von den Bietern vorgebracht wird oder ihm sonst bekannt sein muss. So ist eine behauptete Marktkenntnis ohne tatsächliche Anknüpfungspunkte als Substantiierung für eine Rüge allein nicht ausreichend, zumal diese Kenntnis als innere Tatsache des Bieters nicht überprüfbar wäre. Damit könnte jeder denkbare theoretische Vergaberechtsverstoß behauptet werden, sodass das Erfordernis der Antragsbefugnis ins Leere laufen würde (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.01.2018 – 1 VK 57/17).

Daher ist der Antragsteller gehalten, schon bei der Prüfung der Frage, ob ein Vergaberechtsverstoß zu rügen ist, Erkenntnisquellen auszuschöpfen, die ihm ohne großen Aufwand zur Verfügung stehen. Zudem muss er, um eine Überprüfung zu ermöglichen, angeben, woher seine Erkenntnisse stammen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.201, a.a.O.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.11.2012 – Verg W 10/12). Ein Mindestmaß an Substantiierung ist einzuhalten, reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstoßen reichen nicht aus (siehe OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.04.2020 – Verg 30/19, m w N.). Formulierungen wie “nach unserer Kenntnis” oder “nach unserer Informationslage” genügen in der Regel nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 16.08.2019 – Verg 56/18 sowie vom 12.06.2019 – VII-Verg 54/18) Gleiches muss auch für das Vorbringen von “Marktkenntnis” ohne weitere Anknüpfungspunkte gelten.

Zu der Frage der Erfüllung der Rügeobliegenheit

Zu der Frage der Erfüllung der Rügeobliegenheit

von Thomas Ax

Nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden.

Entscheidend ist in diesem Kontext eine sich aus der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen ergebende Erkennbarkeit des Vergaberechtsverstoßes, die sich sowohl auf die den Vergaberechtsverstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung bzw Bewertung bezieht, vgl. Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB § 160 Rn. 79 i.V.m. Rn. 73, beck-online. Nach allgemeiner Ansicht müssen die Anforderungen daran, wann ein Verstoß gegen Vergaberechtsvorschriften aufgrund der Bekanntmachung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht “erkennbar” ist, realistisch sein, übersteigerte tatsächliche und rechtliche Anforderungen dürfen in diesem Kontext also nicht an einen Bieter gestellt werden, vgl. Pünder/Schellenberg a.a.O..

Zu der Frage, wie Zuschlagskriterien bestimmt werden (dürfen)

Zu der Frage, wie Zuschlagskriterien bestimmt werden (dürfen)

von Thomas Ax

Nach § 127 Abs. 1 Satz 1 GWB wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Festlegung der Kriterien für die Zuschlagserteilung gemäß §§ 127 GWB, 58 VgV ein Entscheidungsspielraum innerhalb der von § 127 Abs. 3 und 4 GWB gezogenen Grenzen zu. Er kann festlegen, worauf es ihm bei dem zu vergebenden Auftrag ankommt und was er als wirtschaftlich ansieht. Dem Bestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers unterliegen sowohl die Kriterien, anhand derer die Angebote bewertet werden, als auch die Methode, wie ein Wertungsergebnis ermittelt wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Juni 2018 – Verg 59/17; Beschluss vom 8. Februar 2017 – Verg 30/16). Dabei steht dem Auftraggeber ein großer Ermessensspielraum zu (vgl. EuGH, Urteil v. 26. März 2015, C601/13).

Den Spielraum des öffentlichen Auftraggebers können die Nachprüfungsinstanzen nur auf die Einhaltung vergaberechtlicher Grenzen kontrollieren. Soll der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot ergehen, unterliegt der Kontrolle nicht nur die Beachtung des Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatzes durch den Auftraggeber, sondern auch, ob die Kriterien dem mit ihrer Bestimmung verfolgten Zweck, das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln, zuwiderlaufen, sachfremde Erwägungen angestellt werden oder der Auftraggeber bei der Festlegung von unzutreffenden tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Februar 2017 – Verg 30/16).

Zu den vergaberechtlichen Anforderungen an die Feststellung, dass ein Preis ungewöhnlich niedrig ist

Zu den vergaberechtlichen Anforderungen an die Feststellung, dass ein Preis ungewöhnlich niedrig ist

von Thomas Ax

Der öffentliche Auftraggeber darf gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV den Zuschlag auf ein Angebot ablehnen, wenn er nach der Prüfung gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 GWB die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären kann.

Die Feststellung, dass ein Preis ungewöhnlich niedrig ist, kann sich aus dem Preis- und Kostenabstand zu den Konkurrenzangeboten ergeben, aus Erfahrungswerten, die der öffentliche Auftraggeber beispielsweise aus vorangegangenen vergleichbaren Ausschreibungen gewonnen hat, oder aus dem Abstand zur Auftragswertschätzung. Dem Auftraggeber ist für das Einleiten einer Überprüfung ein Entscheidungsspielraum zuzuerkennen. In der Rechtsprechung sind insoweit Aufgreifschwellen anerkannt, bei deren Erreichen eine Verpflichtung des Auftraggebers angenommen wird, in eine nähere Prüfung der Preisbildung des fraglichen Angebots einzutreten. Diese Aufgreifschwelle ist nach der Rechtsprechung in der Regel bei einem Preisabstand von 20 % zum nächsthöheren Angebot erreicht. Im Bereich zwischen 10 % und 20 % kann eine Nachforschung im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers stehen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. April 2023 – Verg 26/22 m.w.N.).

Die Aufklärung der Angemessenheit der Preise ist im Wege elektronischer Kommunikation gemäß § 9 Abs. 1 VgV durchzuführen. Eine mündliche Kommunikation ist nicht zulässig, soweit sie die Angebote – wie hier bei der Preisaufklärung – betrifft, § 9 Abs. 2 VgV (vgl. Steck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 60 Rn. 6). Dem Bieter kann dabei eine zumutbare Frist zur Beantwortung gesetzt werden (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. September 2010, 13 Verg 10/10). Die Zumutbarkeit der Frist richtet sich im Einzelfall einerseits nach dem Beschleunigungsgebot für das Vergabeverfahren, andererseits nach der Zeit, die der Bieter zur ordnungsgemäßen Beantwortung der Fragen benötigt.

Die im Rahmen einer Aufklärung zur Auskömmlichkeit abgefragten Unterlagen und Nachweise müssen anhand geeigneter Belege objektiv nachprüfbar sein (vgl. Dicks in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/ Prieß, Kommentar zur VgV, 2. Aufl. 2022, S 22 Rn. 19). Der Bieter darf dem Auftraggeber Auskünfte nicht unter Hinweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verweigern. Im Vergabeverfahren gilt der Grundsatz der Vertraulichkeit (§ 5 VgV). Lehnt der Bieter eine Aufklärung ab oder versteht er sich lediglich zu formelhaften, substanzlosen Erklärungen, ist der Auftraggeber berechtigt, das Angebot auszuschließen (vgl. Dicks aaO.).

Kann der öffentliche Auftraggeber die geringe Höhe des angebotenen Preises nicht zufriedenstellend aufklären, darf er den Zuschlag auf dieses Angebot gemäß § 60 Abs. 3 VgV ablehnen. Die Berechtigung des Auftraggebers, den Zuschlag auf solche Angebote abzulehnen, soll den Risiken Rechnung tragen, die sich in vielfältiger Weise bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten verwirklichen können. Der Auftragnehmer kann infolge der zu geringen Vergütung in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und den Auftrag deshalb nicht vollständig ausführen. Der betreffende Anbieter könnte in Anbetracht des zu niedrigen Preises versuchen, sich des Auftrags so unaufwändig wie möglich und insoweit nicht vertragsgerecht zu entledigen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16).

Die Entscheidung darüber, ob der Angebotspreis angemessen und der Bieter in der Lage ist, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen, prognostiziert der öffentliche Auftraggeber aufgrund gesicherter tatsächlicher Erkenntnisse, wobei ihm – wie bei der Prüfung der Eignung – ein dem Beurteilungsspielraum rechtsähnlicher und von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbarer Wertungsspielraum zukommt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. April 2023 – Verg 26/22). Dem Auftraggeber ist ein rechtlich gebundenes Ermessen eingeräumt.

Die Formulierung “dürfen” in § 60 Abs. 3 VgV ist nicht so zu verstehen, dass es im Belieben des Auftraggebers stünde, den Auftrag trotz weiterbestehender Ungereimtheiten doch an den betreffenden Bieter zu vergeben.

Die Ablehnung des Zuschlags ist vielmehr grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären kann. Dabei geht die Beweislast auf den Bieter über (vgl. Steck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 60 VgV, Rn. 9).

Der Bieter muss konkrete Gründe darlegen, die den Anschein widerlegen, dass sein Angebot nicht seriös ist. Dazu muss er seine Kalkulation und deren Grundlagen erläutern. Die Erläuterungen des Bieters müssen umfassend, in sich schlüssig und nachvollziehbar sowie gegebenenfalls durch geeignete Nachweise objektiv überprüfbar sein. Verbleibende Ungewissheiten gehen zu seinen Lasten (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. April 2023 – Verg 26/22).

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