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Inkrafttreten der Ersten Änderungsverordnung zur Landesverordnung über die Nachprüfung von Vergabeverfahren durch Vergabeprüfstellen (NachprV) – wir machen Sie fit für die Praxis

Inkrafttreten der Ersten Änderungsverordnung zur Landesverordnung über die Nachprüfung von Vergabeverfahren durch Vergabeprüfstellen (NachprV) – wir machen Sie fit für die Praxis

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit der Bitte um Kenntnisnahme und Prüfung nachfolgend ein ausgereifter Vorschlag für den möglichen Inhalt einer topaktuellen Inhouse-Schulung für Sie und Ihre Leute bzw. Kolleg:innen zu einem topaktuellen Thema/ Themenkomplex.

Inkrafttreten der Ersten Änderungsverordnung zur Landesverordnung über die Nachprüfung von Vergabeverfahren durch Vergabeprüfstellen (NachprV) – wir machen Sie fit für die Praxis

Wir bringen Ihre Kenntnisse kurz und bündig und kompakt auf den neuesten Stand und machen Sie so richtig fit für Ihre aktuell anstehenden Auftragsvergaben. Wir vermitteln eingängig und ohne langes Geschwafel, was Sie wissen müssen. Mit Fällen und Beispielen aus der Praxis munitionieren wir Sie für jede Stufe des Vergabeverfahrens. Mögliche Fehlerquellen werden schonungslos aufgedeckt und kluge Vermeidungsstrategien (an)trainiert. WIR MACHEN SIE RICHTIG FIT. Sie müssen nicht Volljurist:in sein. Grundkenntnisse und Motivation genügen. Kommen Sie mit uns in die PUSCHEN.
Schulungsleiter ist der Unterzeichner.

Termine können im April 25 geplant werden. Terminvorschläge sind bspw 7./8.4.25..
Dauer jeweils 90 min, plus 30 min Diskussion.

Gut geeignet für zwischendurch als Powershot.
Als Teams oder in Präsenz.

Mit anspruchsvoller PowerPoint, die reingeht.
Teilnehmerzahl (Gruppe) bis 10 Personen.
Preis 400 Euro zzgl MWSt.. für die Gruppe als Teams/ in Präsenz. In Präsenz zzgl Reisekosten.

Haben Sie Interesse?

Sprechen Sie uns gerne an.

Ihre Hotline zum Schulungsleiter und zur Anmeldung: t.ax@ax-vergaberecht.de

Zum Inhalt:

Inkrafttreten der Ersten Änderungsverordnung am 21. Juni 2024

Seit Inkrafttreten der Landesverordnung über die Nachprüfung von Vergabeverfahren durch Vergabeprüfstellen (NachprV) vom 26. Februar 2021 (GVBI. S. 123) am 1. Juni 2021 ist eine wirksame Nachprüfung von Vergabeverfahren unterhalb des EU-Schwellenwertes in Rheinland-Pfalz möglich. Grundlage der Landesverordnung ist § 7a Mittelstandsförderungsgesetz vom 26. November 2019 (GVBI. S. 333).

Vergabeverfahren von wirtschaftlich bedeutsamen öffentlichen Aufträgen über Liefer-, Dienst- und Bauleistungen können seitdem vor der beim Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau (MWVLW) eingerichteten Vergabeprüfstelle im Rahmen eines strukturierten Nachprüfungsverfahrens überprüft werden. Die Grundzüge für die strukturierte Nachprüfung von unterschwelligen Vergabeverfahren sind im Einführungsschreiben des MWVLW vom 31. März 2021 erläutert. Dieses Schreiben ist auch weiterhin auf der Homepage des MWVLW abrufbar.
Rheinland-Pfalz hatte mit diesem Nachprüfungsverfahren Neuland betreten und daher die Bestimmungen der vorbezeichneten Landesverordnung zunächst bis 30. Juni 2024 befristet. Vor einer Fortführung des Nachprüfungsverfahrens in Rheinland-Pfalz sollten die Bestimmungen der Landesverordnung und ihre Auswirkungen auf die Vergabepraxis evaluiert werden. Dies erfolgte im Lauf des Jahres 2023 auf der Grundlage interner Erkenntnisse der Vergabeprüfstelle und durch eine externe Befragung von an Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen und öffentlichen Auftraggebern.

Die Ergebnisse der Evaluation zeigten deutlich, dass sich die Bestimmungen über die Nachprüfung von Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich grundsätzlich bewährt haben. So hält eine deutliche Mehrheit der teilnehmenden Auftraggeber und Unternehmen die Möglichkeit der Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens im Unterschwellenbereich für sinnvoll und sachgerecht. Neben der grundsätzlichen Akzeptanz wurden auch einige wenige Anregungen für eine Weiterentwicklung der Nachprüfungsregelungen gegeben. Der Bericht über die Evaluation ist auf der Homepage unseres Hauses ab ruf bar (https://mwvlw.rlp.de/themen/oeffentiiche-auftrmabe/nachpruefungsverfahren).
Beigefügt erhalten Sie nun die Erste Landesverordnung zur Änderung der Landesverordnung über die Nachprüfung von Vergabeverfahren durch Vergabeprüfstellen vom 12. Juni 2024 (GVBI. S. 188), die am 21. Juni 2024 in Kraft getreten ist. Nachfolgend werden die Änderungen und Ergänzungen der Landesverordnung kurz erläutert; zudem werden Ihnen zu den neuen Regelungen verschiedene Musterschreiben zur Verfügung gestellt, die über die Homepage des MWVLW abrufbar sind.

1. Nachprüfungsverfahren vor Ablauf der Angebotsfrist
(§ 5 Abs. 3 NachprV neu)
Der neue Absatz 3 des § 5 NachprV ermöglicht es, dass ein Bieter oder Bewerber nunauch vor Ablauf der Angebotsfrist ein Nachprüfungsverfahren anstoßen kann. Voraussetzung ist, dass ein Bieter oder Bewerber die Nichteinhaltung von Vergabevorschriften beanstandet, nachdem seiner zuvor erhobenen Rüge durch den Auftraggeber nicht ab geholfen wurde. Bisher musste sich das Unternehmen zunächst mit einem Angebot an dem Vergabeverfahren beteiligen, die Angebotsfrist und schließlich die Vorabinformation abwarten, bevor es mit einer Beanstandung Klärung durch die Vergabeprüfstelle herbeiführen konnte. Die neue Bestimmung führt somit zu einer zeitlich deutlich früheren Klärung von möglichen Vergaberechtsverletzungen und damit zur Beschleunigung des Vergabeverfahrens. Damit kann zudem unnötiger administrativer Aufwand sowohl bei dem Unternehmen als auch bei dem Auftraggeber vermieden werden.

Die Beanstandung muss innerhalb von sieben Kalendertagen nach Absendung der Mitteilung des Auftraggebers, der Rüge nicht abhelfen zu wollen, gegenüber dem Auftraggeber geltend gemacht werden. In der Mitteilung über die Nichtabhilfe sind der Bieter oder Bewerber über die Beanstandungsfrist von sieben Kalendertagen und das weitere Verfahren im Sinne des § 4 Abs. 3 zu informieren. Der weitere Verfahrensablauf nach Eingang der Beanstandung bei dem Auftraggeber wird durch den Hinweis auf § 5 Abs. 1 NachprV vorgegeben. Eine Mitteilung an das Unternehmen über die Nichtabhilfe der Beanstandung durch den Auftraggeber ist in dem Fall, in dem die Rüge kurz zuvor zu rückgewiesen wurde nicht erforderlich. Ansonsten würde dies zu einer unnötigen Doppelung führen.

Praxishinweis:
Muster für ein Nichtabhilfeschreiben zu § 5 Abs. 3 NachprV

2. Neuer Präklusionstatbestand nach § 10 Abs. 3 Nr. 4 NachprV
Im unmittelbaren Zusammenhang mit der neuen Beanstandungsmöglichkeit nach § 5 Abs. 3 NachprV steht die Ergänzung in § 10 Abs. 3 NachprV. Hat der öffentliche Auftraggeber einer Rüge im laufenden Vergabeverfahren nicht abgeholfen und sind auf die Nichtabhilfemitteilung sieben Kalendertage verstrichen, kann der Bieter oder Bewerber in einem späteren Nachprüfungsverfahren mit diesem Einwand nicht mehr gehört wer den. Mit § 10 Abs. 3 Nr. 4 NachprV wurde also ein weiterer Präklusionstatbestand auf genommen.

Diese Regelung ist § 160 Abs. 3 Nr. 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 12. Juni 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 190) für das Kartellvergaberecht nachgebildet. Es sei darauf hingewiesen, dass für die Fristberechnung der sie ben Kalendertage auf die Absendung der Nichtabhilfemitteilung durch den Auftraggeber und nicht auf den Eingang der Mitteilung beim Bieter oder Bewerber abzustellen ist. Im Zusammenwirken mit § 5 Abs. 3 (neu) dient § 10 Abs. 3 Nr. 4 NachprV dazu, Vergabeverfahren zu beschleunigen.

3. Nachprüfungsverfahren nach Aufhebung eines Vergabeverfahrens
(§ 5 Abs. 4 NachprV neu)
Im neuen § 5 Abs. 4 NachprV ist nun ausdrücklich die Möglichkeit einer Nachprüfung im Falle der Aufhebung eines Vergabeverfahrens durch den öffentlichen Auftraggeber vorgesehen. Die Vergabeprüfstelle hatte in der Vergangenheit-wie im Oberschwellenbereich – auch über die Rechtmäßigkeit von aufgehobenen Vergabeverfahren entschieden. Wurde ein Vergabeverfahren aufgehoben, stellte sich jedoch die Frage, innerhalb welcher Frist eine mögliche Beanstandung gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber einzureichen war. Denn weder die Mitteilung über die Aufhebung nach § 17 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil A (BAnz. AI 19.02.2019 B2, 3) noch § 48 der Unterschwellenvergabeordnung (BAnz. AI 07.02.2017 B1; 08.02.2017 B1) sehen eine Belehrung über die Beanstandungsfrist oder weitere Informationen vor. Künftig sind daher im Aufhebungsschreiben die Bieter oder Bewerber über die Beanstandungsfrist von sieben Kalendertagen und das weitere Verfahren im Sinne des § 4 Abs. 3 NachprV zu informieren. Der weitere Verfahrensablauf im Falle einer Beanstandung richtet sich ebenfalls nach § 5 Abs. 1 NachprV.

Praxishinweis:
• Muster für ein Aufhebungsschreiben mit Belehrung nach § 5 Abs. 4 NachprV
• Muster für eine Nichtabhilfemitteilung nach § 5 Abs. 4 NachprV

4. Frist für die Entscheidung der Vergabeprüfstelle (§ 9 Abs. 1 Satz NachprV)
Die in § 9 Abs. 1 Satz 1 geregelte Entscheidungsfrist wurde von zwei auf drei Wochen verlängert. Dies ist eine Reaktion auf das Ergebnis der Evaluation. Mehr als 80% der überprüften Vergabeverfahren machten öffentliche Aufträge über umfangreiche und komplexe Bauleistungen aus. So musste festgestellt werden, dass die bisherige Entscheidungsfrist nach Vorlage der vollständigen Vergabeakte sehr häufig nicht einzuhalten war. Zur Gewährleistung einer sachgerechten Entscheidungsfindung wurde die Regelfrist für die Entscheidung daher auf drei Wochen festgesetzt. Die für Ausnahmefälle vorgesehene Verlängerungsmöglichkeit nach § 9 Abs. 1 Satz 2 beträgt nun höchstens zwei Wochen.

5. Zu den Schlussbestimmungen (§§ 12 und 13 NachprV)
Durch die erste Änderungsverordnung wurde die Möglichkeit der Nachprüfung von Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich für weitere drei Jahre bis 30. Juni 2027etabliert. Die Übergangsregelung wurde entsprechend angepasst.
Die Anwendung und die Auswirkungen der Bestimmungen über das Nachprüfungsverfahren sind durch das für die Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens zuständige Ministerium bis zum 30. Juni 2026 erneut zu evaluieren.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass für die Entscheidung im Einzelfall der Text der Landesverordnung maßgebend ist.

Inkrafttreten der Ersten Änderungsverordnung am 21. Juni 2024

Nachrichten - Inkrafttreten der Ersten Änderungsverordnung am 21. Juni 2024

Seit Inkrafttreten der Landesverordnung über die Nachprüfung von Vergabeverfahren durch Vergabeprüfstellen (NachprV) vom 26. Februar 2021 (GVBI. S. 123) am 1. Juni 2021 ist eine wirksame Nachprüfung von Vergabeverfahren unterhalb des EU-Schwellenwertes in Rheinland-Pfalz möglich. Grundlage der Landesverordnung ist § 7a Mittelstandsförderungsgesetz vom 26. November 2019 (GVBI. S. 333).

Vergabeverfahren von wirtschaftlich bedeutsamen öffentlichen Aufträgen über Liefer-, Dienst- und Bauleistungen können seitdem vor der beim Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau (MWVLW) eingerichteten Vergabeprüfstelle im Rahmen eines strukturierten Nachprüfungsverfahrens überprüft werden. Die Grundzüge für die strukturierte Nachprüfung von unterschwelligen Vergabeverfahren sind im Einführungsschreiben des MWVLW vom 31. März 2021 erläutert. Dieses Schreiben ist auch weiterhin auf der Homepage des MWVLW abrufbar.
Rheinland-Pfalz hatte mit diesem Nachprüfungsverfahren Neuland betreten und daher die Bestimmungen der vorbezeichneten Landesverordnung zunächst bis 30. Juni 2024 befristet. Vor einer Fortführung des Nachprüfungsverfahrens in Rheinland-Pfalz sollten die Bestimmungen der Landesverordnung und ihre Auswirkungen auf die Vergabepraxis evaluiert werden. Dies erfolgte im Lauf des Jahres 2023 auf der Grundlage interner Erkenntnisse der Vergabeprüfstelle und durch eine externe Befragung von an Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen und öffentlichen Auftraggebern.

Die Ergebnisse der Evaluation zeigten deutlich, dass sich die Bestimmungen über die Nachprüfung von Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich grundsätzlich bewährt haben. So hält eine deutliche Mehrheit der teilnehmenden Auftraggeber und Unternehmen die Möglichkeit der Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens im Unterschwellenbereich für sinnvoll und sachgerecht. Neben der grundsätzlichen Akzeptanz wurden auch einige wenige Anregungen für eine Weiterentwicklung der Nachprüfungsregelungen gegeben. Der Bericht über die Evaluation ist auf der Homepage unseres Hauses ab ruf bar (https://mwvlw.rlp.de/themen/oeffentiiche-auftrmabe/nachpruefungsverfahren).
Beigefügt erhalten Sie nun die Erste Landesverordnung zur Änderung der Landesverordnung über die Nachprüfung von Vergabeverfahren durch Vergabeprüfstellen vom 12. Juni 2024 (GVBI. S. 188), die am 21. Juni 2024 in Kraft getreten ist. Nachfolgend werden die Änderungen und Ergänzungen der Landesverordnung kurz erläutert; zudem werden Ihnen zu den neuen Regelungen verschiedene Musterschreiben zur Verfügung gestellt, die über die Homepage des MWVLW abrufbar sind.

1. Nachprüfungsverfahren vor Ablauf der Angebotsfrist
(§ 5 Abs. 3 NachprV neu)
Der neue Absatz 3 des § 5 NachprV ermöglicht es, dass ein Bieter oder Bewerber nunauch vor Ablauf der Angebotsfrist ein Nachprüfungsverfahren anstoßen kann. Voraussetzung ist, dass ein Bieter oder Bewerber die Nichteinhaltung von Vergabevorschriften beanstandet, nachdem seiner zuvor erhobenen Rüge durch den Auftraggeber nicht ab geholfen wurde. Bisher musste sich das Unternehmen zunächst mit einem Angebot an dem Vergabeverfahren beteiligen, die Angebotsfrist und schließlich die Vorabinformation abwarten, bevor es mit einer Beanstandung Klärung durch die Vergabeprüfstelle herbeiführen konnte. Die neue Bestimmung führt somit zu einer zeitlich deutlich früheren Klärung von möglichen Vergaberechtsverletzungen und damit zur Beschleunigung des Vergabeverfahrens. Damit kann zudem unnötiger administrativer Aufwand sowohl bei dem Unternehmen als auch bei dem Auftraggeber vermieden werden.

Die Beanstandung muss innerhalb von sieben Kalendertagen nach Absendung der Mitteilung des Auftraggebers, der Rüge nicht abhelfen zu wollen, gegenüber dem Auftraggeber geltend gemacht werden. In der Mitteilung über die Nichtabhilfe sind der Bieter oder Bewerber über die Beanstandungsfrist von sieben Kalendertagen und das weitere Verfahren im Sinne des § 4 Abs. 3 zu informieren. Der weitere Verfahrensablauf nach Eingang der Beanstandung bei dem Auftraggeber wird durch den Hinweis auf § 5 Abs. 1 NachprV vorgegeben. Eine Mitteilung an das Unternehmen über die Nichtabhilfe der Beanstandung durch den Auftraggeber ist in dem Fall, in dem die Rüge kurz zuvor zu rückgewiesen wurde nicht erforderlich. Ansonsten würde dies zu einer unnötigen Doppelung führen.

Praxishinweis:
Muster für ein Nichtabhilfeschreiben zu § 5 Abs. 3 NachprV

2. Neuer Präklusionstatbestand nach § 10 Abs. 3 Nr. 4 NachprV
Im unmittelbaren Zusammenhang mit der neuen Beanstandungsmöglichkeit nach § 5 Abs. 3 NachprV steht die Ergänzung in § 10 Abs. 3 NachprV. Hat der öffentliche Auftraggeber einer Rüge im laufenden Vergabeverfahren nicht abgeholfen und sind auf die Nichtabhilfemitteilung sieben Kalendertage verstrichen, kann der Bieter oder Bewerber in einem späteren Nachprüfungsverfahren mit diesem Einwand nicht mehr gehört wer den. Mit § 10 Abs. 3 Nr. 4 NachprV wurde also ein weiterer Präklusionstatbestand auf genommen.

Diese Regelung ist § 160 Abs. 3 Nr. 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 12. Juni 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 190) für das Kartellvergaberecht nachgebildet. Es sei darauf hingewiesen, dass für die Fristberechnung der sie ben Kalendertage auf die Absendung der Nichtabhilfemitteilung durch den Auftraggeber und nicht auf den Eingang der Mitteilung beim Bieter oder Bewerber abzustellen ist. Im Zusammenwirken mit § 5 Abs. 3 (neu) dient § 10 Abs. 3 Nr. 4 NachprV dazu, Vergabeverfahren zu beschleunigen.

3. Nachprüfungsverfahren nach Aufhebung eines Vergabeverfahrens
(§ 5 Abs. 4 NachprV neu)
Im neuen § 5 Abs. 4 NachprV ist nun ausdrücklich die Möglichkeit einer Nachprüfung im Falle der Aufhebung eines Vergabeverfahrens durch den öffentlichen Auftraggeber vorgesehen. Die Vergabeprüfstelle hatte in der Vergangenheit-wie im Oberschwellenbereich – auch über die Rechtmäßigkeit von aufgehobenen Vergabeverfahren entschieden. Wurde ein Vergabeverfahren aufgehoben, stellte sich jedoch die Frage, innerhalb welcher Frist eine mögliche Beanstandung gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber einzureichen war. Denn weder die Mitteilung über die Aufhebung nach § 17 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil A (BAnz. AI 19.02.2019 B2, 3) noch § 48 der Unterschwellenvergabeordnung (BAnz. AI 07.02.2017 B1; 08.02.2017 B1) sehen eine Belehrung über die Beanstandungsfrist oder weitere Informationen vor. Künftig sind daher im Aufhebungsschreiben die Bieter oder Bewerber über die Beanstandungsfrist von sieben Kalendertagen und das weitere Verfahren im Sinne des § 4 Abs. 3 NachprV zu informieren. Der weitere Verfahrensablauf im Falle einer Beanstandung richtet sich ebenfalls nach § 5 Abs. 1 NachprV.

Praxishinweis:
• Muster für ein Aufhebungsschreiben mit Belehrung nach § 5 Abs. 4 NachprV
• Muster für eine Nichtabhilfemitteilung nach § 5 Abs. 4 NachprV

4. Frist für die Entscheidung der Vergabeprüfstelle (§ 9 Abs. 1 Satz NachprV)
Die in § 9 Abs. 1 Satz 1 geregelte Entscheidungsfrist wurde von zwei auf drei Wochen verlängert. Dies ist eine Reaktion auf das Ergebnis der Evaluation. Mehr als 80% der überprüften Vergabeverfahren machten öffentliche Aufträge über umfangreiche und komplexe Bauleistungen aus. So musste festgestellt werden, dass die bisherige Entscheidungsfrist nach Vorlage der vollständigen Vergabeakte sehr häufig nicht einzuhalten war. Zur Gewährleistung einer sachgerechten Entscheidungsfindung wurde die Regelfrist für die Entscheidung daher auf drei Wochen festgesetzt. Die für Ausnahmefälle vorgesehene Verlängerungsmöglichkeit nach § 9 Abs. 1 Satz 2 beträgt nun höchstens zwei Wochen.

5. Zu den Schlussbestimmungen (§§ 12 und 13 NachprV)
Durch die erste Änderungsverordnung wurde die Möglichkeit der Nachprüfung von Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich für weitere drei Jahre bis 30. Juni 2027etabliert. Die Übergangsregelung wurde entsprechend angepasst.
Die Anwendung und die Auswirkungen der Bestimmungen über das Nachprüfungsverfahren sind durch das für die Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens zuständige Ministerium bis zum 30. Juni 2026 erneut zu evaluieren.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass für die Entscheidung im Einzelfall der Text der Landesverordnung maßgebend ist.

Ich bitte die Ressorts, die Vergabestellen sowie die Bewilligungsbehörden ihres Geschäftsbereichs entsprechend zu informieren. Die Rundschreiben zur Nachprüfung von Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich sind gemeinsam mit den Rechtsgrundlagen und den Mustervorlagen auf der Internetseite des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau (https://mwvlw.rlp.de/thernen/oeff&fitlicheauftraeqeundverqabe/nachpruefungsverfahren) abrufbar.

Mit freundlichen Grüßen

Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb in Ausnahmefällen – Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb setzt systematische Markterkundung voraus

Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb in Ausnahmefällen - Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb setzt systematische Markterkundung voraus

Die Vorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 2 b VgV, wonach der öffentliche Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben kann, wenn der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden kann, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist, ist als Ausnahmetatbestand eng auszulegen. Es muss auch ausgeschlossen sein, dass für die Auftragsdurchführung weitere Unternehmen in Frage kommen, die die für den Auftrag notwendigen Fähigkeiten und Ausstattungen zwar noch nicht haben, aber rechtzeitig erwerben können.
OLG Celle, Beschluss vom 09.11.2021 – 13 Verg 9/21

Ein öffentlicher Auftraggeber kann Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb (also ohne Bekanntmachung) vergeben, wenn zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist.

Voraussetzung für eine Auftragsvergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb ist, dass es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsparameter ist.

Die Verkürzung des Wettbewerbs auf ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb setzt eine systematische Markterkundung als Faktenbasis der Wettbewerbsbeschränkung voraus.
VK Lüneburg, Beschluss vom 20.09.2021 – VgK-33/2021

Der Nichteintritt der Unwirksamkeit eines ohne Bekanntmachung vergebenen Auftrags nach § 135 Abs. 3 GWB setzt voraus, dass der öffentliche Auftraggeber der Ansicht ist, dass die Auftragsvergabe ohne vorherige Bekanntmachung zulässig ist (Satz 1 Nr.1 der Vorschrift). Der Auftraggeber muss bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen dafür tatsächlich erfüllt sind, sorgfältig gehandelt haben. Dies kann in der Regel nur dann festgestellt werden, wenn entsprechende nach außen erkennbare Tatsachen vorliegen.
OLG Celle, Beschluss vom 09.11.2021 – 13 Verg 9/21

Lieferauftrag über ballistische Helme: Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zulässig

Lieferauftrag über ballistische Helme: Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zulässig

Die Frist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Vertrags endet 30 Kalendertage nach Veröffentlichung der Bekanntmachung der Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union. Notwendige Voraussetzung für diesen Fristbeginn ist das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Bekanntmachung. Fehlt es in der Bekanntmachung an notwendigen Bestandteilen oder sind diese fehlerhaft, beginnt die Frist nicht zu laufen.
Die 30-Tages-Frist beginnt zudem nur dann zu laufen, wenn in der Bekanntmachung begründet wird, warum der Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben hat.

Wenn sich ein Auftraggeber auf die Verfristung des Vergabenachprüfungsantrags berufen will, indem er sich die Publizität des EU-Amtsblattes zu Nutze macht, muss er Sorge dafür tragen, dass der in die Bekanntmachung aufzunehmende Hinweis in Bezug auf die Fristen für die Einlegung von Rechtsbehelfen richtig und die Rechtsbehelfsinstanz zutreffend bezeichnet ist.

Im Bereich der Gefahrenabwehr ist der Ausnahmetatbestand, der eine Vergabe von Aufträgen aus dringlichen zwingenden Gründen im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zulässt, mit größerer Toleranz zu betrachten, da hier eine Vorhersehbarkeit in der Regel nicht gegeben ist. Bei einer akuten oder jedenfalls möglicherweise bevorstehenden Gefährdung von Menschen und der Abwehr bevorstehender terroristischer Angriffe handelt es sich regelmäßig um Umstände, bei denen ein Abwarten des Auftraggebers nicht erlaubt ist. In einem solchen (Ausnahme-)Fall ist die Auftragsvergabe dringlich und dem Auftraggeber ist es auch nicht zuzumuten, die (verkürzten) Fristen für das Nichtoffene Verfahren bzw. Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb einzuhalten.

Im Rahmen der Beurteilung einer (allgemeinen) Gefährdungslage haben Auftraggeber eine Einschätzungsprärogative mit der Folge, dass ihre Beurteilung der Sicherheitslage von den Betroffenen hingenommen werden muss und nur einer eingeschränkten Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen unterworfen werden kann.
VK Sachsen, Beschluss vom 17.06.2016 – 1/SVK/011-16

Auch wenn die Erwägungen für eine Direktvergabe weder Eingang in die Vergabeakte gefunden haben noch in der Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union angesprochen worden sind, ist es dem Auftraggeber nicht verwehrt, sich im Vergabenachprüfungsverfahren darauf zu berufen.
OLG Dresden, Beschluss vom 21.09.2016 – Verg 5/16

Maximalprinzip

Maximalprinzip

vorgestellt von Thomas Ax 

Eine Ausschreibung kann nach dem Maximalprinzip erfolgen. Dies bedeutet, dass unter Berücksichtigung des vom Auftraggeber gewünschten vollständigen Abflusses der finanziellen Mittel ein Mehr an Leistung im angebotenen Programm gewünscht wird. Dementsprechend ist das wirtschaftlichste Angebot dasjenige, das unter Einhaltung des vorgegebenen Budgets die meisten Wertungspunkte erhält. Eine Bewertung des Angebotspreises innerhalb der Zuschlagskriterien erfolgt aufgrund des Maximalprinzips nicht. Die Lieferbedingungen sind zwingend einzuhalten.

Verfügbare Mittel
Aufgrund der Vorgaben des Bewilligungsverfahrens sind die maximal zur Verfügung stehenden Finanzmittel begrenzt und enden bei … € (einschließlich Mehrwertsteuer oder vergleichbar, Zoll und etwaigen Skonti). Angebote, die diesen Grenzwert überschreiten, können nicht berücksichtigt werden. Kalkulatorisch anzugebende Mehrwertsteuer und Zollgebühren sind Bestandteil des Grenzwerts.
Zuschlagskriterien

Der Zuschlag wird nach Maßgabe des § 127 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Die Ermittlung des wirtschaftlichen Angebots ergibt sich aus dem Dokument Abfrage zur Funktionalität und Punktevergabe.

Maximalprinzip:
Es gilt die Bewilligungssumme in Höhe von … € (einschließlich Mehrwertsteuer oder vergleichbar, Zoll und etwaigen Skonti
Die Ausschreibung erfolgt nach dem Maximalprinzip. Dies bedeutet, dass unter Berücksichtigung des vom Auftraggeber gewünschten vollständigen Abflusses der finanziellen Mittel ein Mehr an Leistung im angebotenen Geräteprogramm gewünscht wird. Dementsprechend ist das wirtschaftlichste Angebot dasjenige, das unter Einhaltung des vorgegebenen Budgets die meisten Wertungspunkte erhält. Eine Bewertung des Angebotspreises innerhalb der Zuschlagskriterien erfolgt aufgrund des Maximalprinzips nicht. Die Lieferbedingungen sind zwingend einzuhalten.

1

80 % Technische Funktionalität siehe Anlage: Abfrage zur Funktionalität und Punktevergabe
• Alle wertbaren Angebote werden in Bezug auf die genannten Bedingungen aus- bzw. bewertet.
• Für jede Mehrleistung der in diesem Vergabeverfahren zu Grunde gelegten Mindestbedingungen bzw. der hier genannten Bewertungskriterien werden Punkte innerhalb der genannten Bandbreite vergeben.
• Anschließend wird die Gesamtpunktzahl durch Addition der in den Bewertungskriterien vergebenen Punkte ermittelt. Die erhaltenen Punkte werden entsprechend dem Wert des Zuschlagskriteriums gewichtet.

2

20 % Energieeffizienz siehe Anlage: Abfrage zur Funktionalität und Punktevergabe2 Die erhaltenen Punkte werden entsprechend dem Wert des Zuschlagskriteriums gewichtet.

ERLÄUTERUNGEN ZUR BEWERTUNG

Die Berechnung der Gesamtpunktzahl erfolgt bis eine Stelle im Nachkommabereich, z. B. Kriterium 1: 80,9 Punkte + Kriterium 2: 49,0 Punkte = 129,9 Gesamtpunkte

• Innerhalb der Bewertungsmatrix kann für das beste Angebot eine maximale Punktzahl von 100 erreicht werden. Im Fall, dass ein Angebot auf Grund einer Mehrleistung oder Mehrwertes die maximal zu vergebenden Punkte übertrifft, erfolgt eine Kappung, d. h. der Bieter erhält trotz allem maximal 100. Eine Mehrleistung bzw. ein Mehrwert über 100 wird nicht gewertet.
• Für den Fall, dass innerhalb der Zuschlagskriterien bereits eine Punktevergabe bei Erreichen der Mindestbedingung festgelegt wurde, wird das Verhältnis zwischen diesen bereits festgelegten Punkten und der maximal erreichbaren Punkte ermittelt.
• Im Fall, dass nach Auswertung der Zuschlagskriterien mehrere Angebote gleich platziert sind bzw. den gleichen Punktestand aufweisen und somit kein eindeutiger Gewinner in diesem Vergabeverfahren festgestellt werden kann, wird zur Entscheidung das Zuschlagskriterium mit der höchsten Gewichtung herangezogen. Das Angebot der gleichbewerteten „Gewinner-Angebote“ mit dem besten Ergebnis aus diesem Zuschlagskriterium erhält dann den Zuschlag. Sollte im Anschluss weiterhin kein eindeutiger Gewinner der Ausschreibung feststehen, wird die nächsthöchste Gewichtung zur Entscheidung herangezogen. Diese Vorgehensweise wird bis zu einer Ergebnisfindung angewendet. Sollte es nach Berücksichtigung aller Zuschlagskriterien weiterhin zu einer Pattsituation kommen, entscheidet das Los.

Vergabeverstoß wegen Verletzung der Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung durch verdeckte Vorgabe eines bestimmten Produkts?

Vergabeverstoß wegen Verletzung der Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung durch verdeckte Vorgabe eines bestimmten Produkts?

von Thomas Ax

Die Entscheidung, welcher Gegenstand mit welcher Beschaffenheit und welchen Eigenschaften beschafft werden soll, obliegt zwar dem öffentlichen Auftraggeber. Begrenzt wird das Bestimmungsrecht aber durch die Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung, von der nur unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden darf. Nach § 31 Abs. 6 VgV darf auf ein bestimmtes Produkt nicht verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn dieser Verweis ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt. Gegen diese Verpflichtung wird nicht nur dann verstoßen, wenn ein Leitfabrikat offen in der Leistungsbeschreibung genannt wird, sondern auch dann, wenn durch die Vielzahl der Vorgaben verdeckt ein bestimmtes Produkt vorgegeben wird und nur mit diesem die Anforderungen der Leistungsbeschreibung erfüllt werden können. Die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers sind eingehalten, sofern die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist, vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.
Das OLG München hat dazu ausgeführt OLG München, Beschluss v. 26.03.2020 – Verg 22/19:
Gründe
I.
1
Der Antragsgegner schrieb mit EUweiter Bekanntmachung vom 13.6.2019 die Lieferung der Medienausstattung für das L.-Gymnasium in A. im Offenen Verfahren aus. Eine Vorinformation des Lieferauftrags erfolgte am 14.5.2019. Schlusstermin für den Eingang der Angebote war der 4.7.2019 und wurde rechtzeitig auf den 9.7.2019 verlängert. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Nebenangebote waren nach Ziffer 11.2.10 der Bekanntmachung nicht zugelassen.
2
Leistungsgegenstand war gemäß Ziffer 11.2.4 der EU-Bekanntmachung die Lieferung und Montage folgender Geräte:
– 30 Stück interaktive Multi-Touch Display 86 auf Pylonentafel mit Klappflügel
– 1 Stück Dokumentenkamera
– 1 Stück Bildschirme
– 6 Stück Mikro PC
– 6 Stück Beamer
– 6 Stück Drucker-Kopierer
3
In der Leistungsbeschreibung waren in den Positionen 1.1.10 und 1.2.60 folgende technische Vorgaben enthalten:
1.1.10 interaktives Multi-Touch Display 86“ Ultra HD interaktives Multi-Touch Display 86 ” Ultra HD, inklusive Montage an gesondert beschriebene Pylone.
Abmessungen mindestens: Breite: ca. 205 cm, Höhe: ca. 125 cm Aktive Fläche mindestens: Breite: ca. 190 cm, Höhe: ca. 105 cm Diagonale: 86“/217 cm
Technologie:
weiterentwickelte Infrarot-Technologie für präzises punktgenaues Arbeiten.
Bildseitenverhältnis: 16:9
Auflösung: mindestens Ultra-HD, 2160 p (3840 x 2160)
Bildwiederholrate: mindestens 60 Hz
Kontrastverhältnis: mindestens 4000:1
Helligkeit: mindestens 400 cd/m2 Panel ausgelegt für Dauereinsatz Touch-Auflösung: 0,4 mm mindestens Positionierungsgenauigkeit: 1 mm

Eingabemöglichkeit: mindestens 20 Touches gleichzeitig möglich
… Ablageschale unterhalb des Displays für die Stifte Inklusive mindestens der folgenden Anschlussmöglichkeiten: HDMI 2.0 4x, HDMI Out 1x, USB Touch 4x, VGA In, VGA Audio In, SPDIF Out 1/ x, Mic In 3,5 mm, Kopfhörer, USB 2.0 2x, USB 3.0 1x, RS232, SD-Kartenleser Mikro 1x, RJ-45 Ethernet In (10/100, 1000 Mbps) sowie RJ-45Ethemet out davon mindestens jeweils 1 x USB-A sowie USB-B und HDMI – Anschluss.. von Peripheriegeräten Erweiterbarkeit: mindestens 1 x Open Pluggable Specification (OPS)-Schacht sowie Montage von NUC (Mini-PC) muss vorhanden/möglich sein.
Inklusive Hotspot-Funktionalität Display inklusive Whiteboardfunktion in weniger als 1 Minute einsatzbereit.
Android mit mindestens folgenden Anschlüssen: HDMIin, 2x USB-A 2.0, 1x Mikro-SD Kartenleser.
Integriertes Sound-System: mindestens 2x 15 W, nach vorne abstrahlend Stromverbrauch des Displays: maximal 350 W; im Standby Modus kleiner 0,5 W.
1.2.60 Drucker
SW-Laserdrucker als kompaktes Multifunktionsgerät mit den Funktionen drucken, scannen, kopieren, als Tischgerät, für Papierformat DIN A 4, Duplex-Funktion für beidseitigen Druck, mehrzeilige LCD Bedienfeldanzeige, hintergrundbeleuchtet, CPU Speicher 512 MB, RAM, integriertes Kostenstellenmanagement mit bis zu 100 Kostenstellen, reduzierte Geräuschemission, Drucken und Kopieren maximal 47,5 dB (A), 250 Blatt Papierkassette und Einzelblatteinzug, vorinstallierte Tonerbox.
Schnittstellen: USB 2.0, LAN/Netzwerkanschluss, WLAN, Steckplatz für SD/SDHC-Karten.
Geschwindigkeit Drucken/Kopieren von 35 Seiten pro Minute Aufwärmzeit nach dem Einschalten maximal 20 Sekunden,
Leistungsaufnahme: Ruhemodus maximal 1 W, bereit maximal 21 W Drucken Auflösung 1200 x 1200 dpi Scannen
Auflösung 600, 400, 300, 200 dpi Kopieren
4
Auflösung 600 x 600 dpi Zoom-Funktion, feste Zoomfaktoren mit 7 Verkleinerungen,
5. Vergrößerungen, elektronisches Sortieren
5
Der Antragsgegner teilte bzgl. der Vorgaben in der Position 1.1.10 den Bietern am 24.6.2019 unter anderem mit:
… aufgrund von Bieternachfragen wurde die Mindestanforderung geändert. „Die Mindestanforderung gemäß LV für die Helligkeit der Multi-Touch-Displays wird geändert von mindestens 400 CD/m² auf mindestens 350 CD/m²“.
6
Am 2.7.2019 erläuterte der Antragsgegner den Bietern unter anderem:
7
Der Display Port als digitaler Anschluss wird als gleichwertig zu einem HDMI-Anschluss gewertet.
8
Es können Displays mit 4 HDMI Anschlüssen oder 3 HDMI Anschlüssen und einem Display Port angeboten werden.
9
Mit Schreiben vom 3.7.2019 erfolgte an die Bieter die Mitteilung:
die beiden Sätze: „Des Weiteren wird eine weiterentwickelte Infrarot-Technologie benötigt, die um ein Vielfaches präziser ist und punktgenaues Arbeiten bei deutlich höherem Schreibkomfort ermöglicht. Aufgrund der weiterentwickelten Infrarot-Technologie ist kein Nachziehen des Stiftes zu erkennen,“ werden aus der Position gestrichen und sind nicht mehr Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen.

10
Die Abmessungen waren mit ca. versehen, die exakten Gehäuseabmessungen sind unerheblich, entscheidend ist die aktive Fläche des 86“ Displays.
… Es werden auch alternative Formen der Stiftaufbewahrung am Display zugelassen.

11
Der SD-Kartenleser muss nicht im Display verbaut sein.
„ Mit Schreiben vom 3.7.2019 rügte die Antragstellerin das Leistungsverzeichnis und die darin enthaltenen technischen Vorgaben als verdeckte Produktvorgabe und begehrte Abhilfe. Weiterhin fragte die Antragstellerin bezüglich der Position 1.1.10 der Leistungsbeschreibung an, was das Wort „Dauereinsatz“ bedeute und wie das geforderte Kontrastverhältnis von 4000:1 zu berechnen sei.
12
Der Antragsgegner wies mit Schreiben vom 5.7.2019 die Rüge zurück und beantwortete die Fragen der Antragstellerin wie folgt:
„1. Spezifikationen“
Display Pos. 1.1.10: Dauereinsatz/Dauerbetrieb Display.
Dauereinsatz als Qualitätsmerkmal bedeutet 24 Stunden 7 Tage die Woche. Im Schulbetrieb muss das Display einen arbeitstäglichen ununterbrochenen Einsatz von 9 Stunden (ca. 8:00 Uhr bis 17.00 Uhr) gewährleisten.

Kontrastverhältnis:
wie im Votum 2018 vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus angegeben, wird als Mindestanforderung ein Kontrastverhältnis von 4000:1 gefordert.
13
Bis zum 9.7.2019 reichten neben der Antragstellerin vier weitere Bieter Angebote ein. Ausweislich des am gleichen Tag an die Antragstellerin versandten Eröffnungsprotokolls (wobei die Angebote der Mietbieter nicht geschwärzt worden waren) lag das Angebot der Antragstellerin preislich an fünfter Stelle. Mit Schreiben vom 17.7.2019 rügte die Antragstellerin erneut eine verdeckte Produktvergabe und beanstandete eine unzulässige Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen.
14
Der Antragsgegner half mit Schreiben vom 19.7.2019 den vorgebrachten Rügen nicht ab.
15
Ein Informationsschreiben nach § 134 Abs. 1 GWB ist bisher nicht abgesendet worden.
16
Die Antragstellerin reichte am 22.7.2019 einen Nachprüfungsantrag mit dem Begehren, dass dem Antragsgegner untersagt wird, einen Zuschlag im streitgegenständlichen Vergabeverfahren zu erteilen, und ihm aufgegeben wird, das streitgegenständliche Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen und ein Leistungsverzeichnis zur Verfügung zu stellen, welches den Grundsatz der Produktneutralität wahrt und die Leistung so eindeutig und erschöpfend wie möglich beschreibt.
17
Zur Begründung führte die Antragstellerin aus:
18
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig. Die Rüge sei rechtzeitig, und zwar unverzüglich nach Kenntniserlangung und vor Ablauf der Angebotsfrist erfolgt. Der Nachprüfungsantrag sei rechtzeitig eingereicht worden. Der Antragsgegner habe sich nach Informationen der Antragstellerin von der Firma D. GmbH & Co. KG beraten lassen, die ausweislich ihres Internetauftritts Medientafeln des Herstellers Pr. vertreibe. Die Antragstellerin vermute, dass auch andere Bieter für den Antragsgegner im Vorfeld beratend tätig gewesen seien.
19
Das L. Gymnasium habe zur Vorbereitung der Beschaffung der Medientafeln verschiedene Anbieter ins Haus geholt, worunter sich nach Informationen der Antragstellerin zwei an dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren beteiligte Bieter befunden hätten, die ausweislich ihres Internetauftritts Medienboards des Herstellers Pr. vertrieben. Die Antragstellerin sei vom Antragsgegner nicht um eine Präsentation ihrer Medientafeln gebeten worden. Da der Antragsgegner Schulträger sei, müsse er sich Handlungen der Schule zurechnen lassen.
20
Die LV Position 1.1.10 und die Position 1.2.60 würden eine Vielzahl von Mindestkriterien aufstellen, die, wie aus den als Anlagen AST 12 und 13 vorgelegten Tabellen hervorgehe, in ihrer Gesamtheit dazu führten, dass die Position 1.1.10 lediglich durch die Medienboards des Herstellers Pr. und die Position 1.2.60 lediglich durch den Drucker Ky. M …dn erfüllt werden könne. § 31 Abs. 6 VgV schütze den Bieter vor einer Einengung des Wettbewerbs und vor Diskriminierung und sei daher bieterschützend. Sofern eine Vergabestelle von der Ausnahme des § 31 Abs. 6 VgV Gebrauch machen wolle, so müsse dies ausdrücklich und nicht verdeckt geschehen. Die hilfsweisen Ausführungen des Antragsgegners zur Rechtfertigung der Produktvorgabe seien daher unbeachtlich, weil sie die hier vorliegende verdeckte Produktvorgabe ohnehin nicht rechtfertigen könnten.
21
Das Leistungsverzeichnis verstoße gegen das Gebot, die Leistung so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben (§ 121 Abs. 1 Satz 1 GWB). Auch nach Mitteilung des Antragsgegners vom 5.7.2019 sei unklar, ob das Display für den Dauereinsatz (24/7) oder für den Schulbetrieb (9/5) ausgelegt sein solle. Ebenso sei unklar geblieben, wie der verlangte Kontrast von 4000:1 zu berechnen sei.
22
Der Antragsgegner habe den Bietern das (ungeschwärzte) Submissionsprotokoll bekannt gegeben und damit den Vertraulichkeitsgrundsatz gemäß § 55 Abs. 2 VgV verletzt.
23
Durch die Nichtberücksichtigung ihres Angebotes drohe der Antragstellerin ein Schaden. Die Bekanntgabe des Submissionsergebnisses ermögliche den Konkurrenten Rückschlüsse auf ihre Kalkulation. Hierin liege ein künftiger Schaden.
24
Der Antragsgegner trat den Anträgen der Antragstellerin entgegen und trug vor:
25
Der Antrag sei weder zulässig noch begründet.
26
Der Nachprüfungsantrag sei verspätet nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB. Die Rüge der Antragstellerin wegen der Verletzung des Gebots der produktneutralen Ausschreibung und einer ungenauen Leistungsbeschreibung und der Verletzung des Vertraulichkeitsgebot sei gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB präkludiert.
27
Die Vergabestelle werde im Rahmen des Vergabeverfahrens von einem Ingenieurbüro und einem Architekturbüro fachtechnisch bzw. sachverständig unterstützt. Keiner der Bieter sei bei der Vorbereitung der Ausschreibung beteiligt gewesen. Keiner der Bieter habe die Gelegenheit zu einer Präsentation ihrer Medientafeln gehabt. Allenfalls das Gymnasium selbst habe den Markt erkundet. Dies sei vergaberechtlich nach § 28 Abs. 1 VgV zulässig. Die Antragstellerin habe ein Angebot abgegeben. Auch andere Bieter hätten ein Angebot abgegeben. Dies belege, dass nicht nur ein Produkt eines Herstellers angeboten werden könne.
28
Es liege keine vergaberechtswidrige hersteller-/produktbezogene Leistungsbeschreibung vor, die gegen § 31 Abs. 6 VgV verstoße. Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft nachgewiesen, dass die von der Vergabestelle im Leistungsverzeichnis aufgeführten Produkte „Drucker“ und “interaktives Multi-Touch Display“ nur von einem einzigen, bestimmten Hersteller am Markt angeboten werden. Die Vergabestelle habe in ihren Vergabeunterlagen keinen Typ namentlich benannt. Selbst wenn die einzelnen Leistungs- und Funktionsanforderungen im Leistungsverzeichnis der Vergabestelle einen bestimmten Hersteller bzw. ein bestimmtes Produkt kennzeichnen würden, so wäre dies durch den Auftragsgegenstand im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz1 VgV gerechtfertigt.
29
Der schulische Bedarfsträger habe sich im Zuge des Neubaus der Schule intensiv mit der Medienausstattung beschäftigt und ein eigenes Medienausstattungskonzept ausgearbeitet. Zahlreiche Leistungs- und Funktionsanforderungen des verfahrensgegenständlichen Leistungsverzeichnisses folgten zudem den Vorgaben der sogenannten Voten 2018 und 2019 des Freistaates Bayern. Auch der Lehrplan erfordere bestimmte Anforderungen an die Displays.
30
Eine detaillierte Begründung bzw. Festlegung der konkreten technischen Vorgaben, wie sie die Antragstellerin fordere, sei im Rahmen der Leistungsbestimmung gerade nicht erforderlich und zudem praxisfern. Es handele sich darüber hinaus bei zahlreichen Leistungs- und Funktionsvorgaben um übliche Standardeigenschaften. Die Ausschreibung bewege sich zudem auf der Grundlage und im Rahmen der Empfehlung zur IT-Ausstattung von Schulen des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, dem Votum 2019.
31
Die Weitergabe des Submissionsergebnisses an die Bieter verletze die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Diese sei nach Angebotsöffnung erfolgt und könne daher keine Auswirkungen auf das Vergabeverfahren haben.
32
Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 10.9.2019 als unbegründet zurück und führte zu Begründung aus:
33
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig, aber unbegründet. Die Durchführung des Vergabeverfahrens verletze die Antragstellerin nicht in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB.
34
Die Leistungsbeschreibung der Vergabestelle verstoße nicht gegen § 31 Abs. 6 VgV.
35
Die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers seien vorliegend eingehalten. Dem Auftraggeber stehe hierbei ein Beurteilungsspielraum zu. Die Vergabekammer kontrolliere dieses Ermessen nur dahingehend, ob die Entscheidung des Auftraggebers sachlich vertretbar sei. Der Ermessensspielraum werde eingehalten, wenn der Auftraggeber für seine Vorgabe einen auftragsbezogenen, objektiv vorliegenden und nachvollziehbaren Grund habe. In den Vergabeunterlagen sei dokumentiert, welche Funktionen das Multi-Touch Display für den Gebrauch an der Schule u.a. erfüllen müsse. Die Schule habe sich im Vorfeld mit verschiedenen technischen Lösungen für eine Medienausstattung befasst und schriftlich die für sie unverzichtbaren Anforderungskriterien für die Neubeschaffung festgehalten.
36
Die Vergabestelle habe im Hinblick auf die Erklärung der Schule ein Leistungsverzeichnis erstellt, welches diese Anforderungen weitestgehend als technische Vorgaben für das Multi-Touch-Display umsetze. Mit Schriftsatz vom 4.9.2019 habe die Vergabestelle das Erfordernis der im LV gemachten technischen Vorgaben im Einzelnen begründet. Es handele sich insgesamt um objektive, auftragsbezogene und nachvollziehbare Gründe, die sich auf die Erfordernisse der Schule bezögen und daher nicht diskriminierend seien.
37
Eine Wiederholung des Vergabeverfahrens scheide vorliegend aus. Es widerspräche dem vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatz, eine Wiederholung anzuordnen, nur um die bestehenden objektiv nachvollziehbaren Gründe, noch einmal zu dokumentieren. Eine Manipulationsmöglichkeit der Vergabestelle sei vorliegend weder vorgetragen noch ersichtlich.
38
Hinsichtlich des geforderten Druckers seien in den Vergabeunterlagen keine Gründe dokumentiert. Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens berufe sich die Vergabestelle hinsichtlich der technischen Vorgaben im Leistungsverzeichnis wiederum auf das Votum 2018 des Freistaates Bayern, das die technischen Vorgaben für zu beschaffende Drucker in Schulen beschreibe. In ihrem Schreiben vom 4.9.2018 trage die Vergabestelle vor, dass es sich bei den technischen Vorgaben zum Drucker weitestgehend um Standardvorgaben handele und begründe ihre technischen Vorgaben im Einzelnen. Es handele sich hier ebenfalls um objektive, auftragsbezogene und nachvollziehbare Gründe, die sich auf die Erfordernisse der Schule bezögen und daher nicht diskriminierend seien. Die nachgeholte Dokumentation könne hier ebenfalls berücksichtigt werden.
39
Das Leistungsverzeichnis sei ausreichend eindeutig und bestimmt.
40
Ein Verstoß gegen § 55 Abs. 2 VgV liege nicht vor. § 55 Abs. 2 VgV regele die Öffnung der Angebote. Der Vortrag der Antragstellerin zur unberechtigten Versendung der Submissionsergebnisse durch die Vergabestelle liege zeitlich nach der Öffnung der Angebote. Einen Antrag auf Feststellung einer Rechtsverletzung durch die Bekanntmachung der Submissionsergebnisse habe die Antragstellerin im Übrigen nicht gestellt.
41
Die Antragstellerin legte gegen die Entscheidung der Vergabekammer form- und fristgerecht Beschwerde ein und begehrte neben der Aufhebung der Entscheidung und der Stattgabe des Nachprüfungsantrages die aufschiebende Wirkung der Beschwerde bis zur Entscheidung über dieselbe zu verlängern.
42
Die Antragstellerin führte zur Begründung an, dass der Nachprüfungsantrag begründet sei, weil die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt sei und diese Verletzung aus einer Verletzung des Gebots der produktneutralen Ausschreibung, einer ungenauen Leistungsbeschreibung und einem Verstoß gegen das Vertraulichkeitsgebot resultiere.
43
Eine Produktvorgabe liege vor, weil die Anforderung des Leistungsverzeichnisses an die Medientafel jeweils nur von Produkten eines Herstellers erfüllt werden könne. Dies stehe aufgrund des substantiierten Vortrags der Antragstellerin und der Vorlage der Aufstellungen gemäß Anlagen AST 12 und 13 sowie der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Listen fest. Die von dem Antragsgegner nach der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 14.2.2020 genannten Tafeln der Hersteller würden den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses nicht gerecht.
44
Die versteckte Produktvorgabe führe zu einem europarechtswidrigen Ausschluss des Wettbewerbs. Die versteckte Produktausschreibung habe zu einer Diskriminierung der Antragstellerin geführt. Die Diskriminierung ergebe sich aus dem Umstand, dass die Antragstellerin die Medientafel nicht zu vergleichbaren Marktbedingungen wie andere Bieter erwerben könne. Die Firma Pr. gewähre einigen Händlern einen sogenannten Projektpreis. Angesichts der bekannten Angebotspreise dränge sich auf, dass diejenigen Bieter, welche Pr.-Geräte angeboten hätten, in den Genuss eines Projektpreises gekommen seien. Dieser Unterschied im Einkaufspreis sei nicht auf das normale Risiko zurückzuführen, dem jeder Bieter am Markt ausgesetzt sei. Der Ausschluss des Wettbewerbs auf dem Herstellermarkt durch die versteckte Produktvorgabe führe demnach im Ergebnis dazu, dass auf dem Händlermarkt der vom EU-Vergaberecht gewünschte Wettbewerb nicht stattfinde und damit ein diskriminierungsfreier Wettbewerb um das wirtschaftlichste Angebot nicht mehr möglich sei.
45
Eine versteckte Produktvorgabe könne entgegen der Auffassung der Vergabekammer nie gerechtfertigt werden auch nicht durch ein legitimes sachliches Interesse. Hinsichtlich der Position 1.1.10 könne der Dokumentation in der Vergabeakte nichts entnommen werden. Dort fänden sich im Ergebnis lediglich die Vorgaben, welche die Schulleitung mit ihren Schreiben vom 14.3.2019 und 31.5.2019 aufgestellt habe. Zur Position 1.2.60 Drucker finde sich in der Vergabeakte überhaupt keine Dokumentation.
46
Darüber hinaus läge der Sachverhalt nahe, dass ein typischer Fall der verdeckten Produktvorgabe vorliege, bei dem das Leistungsverzeichnis aus dem Produktdatenblatt des Wunschproduktes entwickelt worden sei. So sei zu berücksichtigen, dass die Schule im Rahmen der an sich zulässige Markterkundung, insbesondere mit den Firmen D. und XX, die beide Pr. Geräte vertrieben, Kontakte gehabt hätten, in der Schule sich bereits ein Pr. Gerät befände, mit denen sich die Lehrkräfte vertraut gemacht hätten und der Antragsgegner nach Bieteranfrage die Ausrüstung mit einem Mini PC zugelassen habe jedoch gleichzeitig an der dann überflüssigen Leistungsverzeichnisanforderung eines OPS Slots festgehalten habe.
47
Das Nachschieben von Gründen im Nachprüfungsverfahren sei unzulässig.
48
Im Übrigen rechtfertigten die nachgeschoben Gründe keine produktspezifische Ausschreibung. Die Ausschreibung gehe über die in dem Votum 2018 aufgestellten Anforderungen als Mindestkriterien hinaus. Bei der gerügten Anforderung, dass die Medientafel eine integrierte OPS Schnittstelle haben müsse, handele es sich nicht um ein Mindestkriterium nach dem Votum 2018. Die Funktionalität bei Ausfall des Internets könne nicht durch den OPS Slot gewährt werden.
49
Die Antragstellerin beantragt,
1.
Der Beschluss der Vergabekammer Nordbayern vom 10.09.2019, RMF-SG 21 – 3194 – 4 – 36 wird aufgehoben.
2.

3.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist.
4.
Dem Antragsgegner wird aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das streitgegenständliche Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, ein Leistungsverzeichnis zur Verfügung zu stellen, welches den Grundsatz der Produktneutralität wahrt und die Leistung so eindeutig und erschöpfend wie möglich beschreibt.
5.
Hilfsweise zu Ziffer 4: dem Antragsgegner wird aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das streitgegenständliche Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen und die Vergabeunterlagen nach Rechtsauffassung des Vergabesenates anzupassen sowie den Bietern Gelegenheit zur Abgabe eines neuen Angebots zu geben
6.
Hilfsweise zu 5: die Vergabekammer wird verpflichtet, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Sache zu entscheiden.
7.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt.
50
Der Antragsgegner tritt der sofortigen Beschwerde entgegen und beantragt,
die sofortige Beschwerde vom 27.09.2019 zurückzuweisen.
51
Zur Begründung der Antragsgegner aus:
52
Die sofortige Beschwerde sei unbegründet, da der Nachprüfungsantrag zu Recht als unbegründet zurückgewiesen worden sei und im Übrigen sei er auch nicht zulässig gewesen.
53
Es liege keine produktbezogene Ausschreibung vor. Die Beweislast liege insoweit bei der Antragstellerin. Die als Anlage AST 12 und 13 vorgelegten Tabellen belegten die Behauptung der Antragstellerin nicht. Die Antragstellerin habe darin lediglich eine subjektiv ausgewählte Anzahl an Produkten aufgeführt, keinesfalls aber eine europaweite, objektive Marktanalyse vorgenommen.
54
Das Wettbewerbsergebnis zeige, dass die streitbetroffene Leistungsbeschreibung keineswegs geeignet sei, bestimmte Unternehmen zu bevorzugen. Eine Diskriminierung wegen der vorherrschenden Marktbedingungen für Multi-Touch Displays bestehe nicht. Der Antragsgegner trage keine Verantwortung dafür, auf welche Weise und zu welchen Konditionen der Hersteller Pr. seine Produkte vermarkte. Die Entscheidung, wem der Hersteller einen Projektpreis anbiete, liege allein in dessen Verantwortungsbereich. Es sei reine Spekulation, dass diejenigen Bieter, welche Pr.- Geräte angeboten hätten, in den Genuss eines Projektpreises gekommen seien.
55
Die Leistungsbeschreibung sei nicht auf ein einziges Produkt zugeschnitten, weil der Antragsgegner davon ausgehe, dass auch andere Hersteller als die Firma Pr. ein dem Leistungsverzeichnis konformes Produkt anbieten könnten. Der Antragsgegner habe bei einer Marktüberprüfung insgesamt drei Multi-Touch Displays eruiert, die die von der Antragstellerin in Bezug genommenen Merkmale erfüllen würden.
56
Im Übrigen sei sowohl für eine offene als auch für eine verdeckte Produktvorgabe eine Rechtfertigung durch ein legitimes sachliches Interesse möglich. Eine verdeckte Vorgabe sei nicht automatisch unzulässig.
57
Die Anforderungen, welche die Schulleitung in ihren Schreiben vom 14.3.2019 und 31.5.2019 getroffen hätten, spiegele sich in der Leistungsbeschreibung wieder. Die technischen Vorgaben seien auf Basis dieser Dokumentation gerechtfertigt. Die weiteren schriftlichen Ausführungen des Antragsgegners im Rahmen des Nachprüfungsverfahren hätten die bereits vorhandene Dokumentation zulässigerweise lediglich ergänzt.
58
Die konkreten technischen Vorgaben des Leistungsverzeichnisses seien aus den Vorgaben der Schulleitung entwickelt worden und lägen damit in dessen Anforderung begründet. Da die Schulleitung selbst kein eigenes Fachpersonal für Medienprodukte unterhalte, habe sie in den der Vergabeakte beiliegenden Schreiben aus technischer Laiensicht erläutert, welche Eigenschaft die künftigen Medientafeln erfüllen müssten. Das Leistungsverzeichnis habe lediglich diese Anforderungen in eine vergaberechtskonforme technische Leistungsbeschreibung übersetzt. Das Vergabeverfahren sei deshalb sowohl transparent als auch fair.
59
Die technischen Anforderungen an die Drucker habe der Antragsgegner aus dem Votum 2018 abgeleitet. Eine darüberhinausgehende Dokumentation sei nicht erforderlich gewesen.
60
Der Senat hat den Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 30.10.2019 zurückgewiesen.
61
In der mündlichen Verhandlung vom 24.1.2020 wurden Hinweise erteilt und die Beteiligten angehört. Aufgrund gewährter Schriftsatzfristen wurden die Ausführungen in den Schriftsätzen des Antragsgegners vom 14.2.2020 und 13.3.2020 sowie der Schriftsatz der Antragstellerin vom 21.2.2020 berücksichtigt, der Schriftsatz der Antragstellerin vom 24.3.2020 blieb dagegen unberücksichtigt.
II.
62
Die zulässige Beschwerde erwies sich als begründet.
63
Dem zulässigen Nachprüfungsantrag der Antragstellerin war stattzugeben, da die Vorgaben zu den ausgeschriebenen interaktiven Multi-Touch Displays gegen den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung verstoßen haben, die Verengung auf ein bestimmtes Produkt nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt war (§ 31 Abs. 6 VgV) und die Antragstellerin durch den Vergabeverstoß in ihren Rechten verletzt ist (§ 97 Abs. 2 GWB).
64
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, da er innerhalb der in § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB bestimmten Frist eingereicht wurde und die Antragstellerin hinreichend eine mögliche Rechtsverletzung dargelegt hat. Es kann insoweit auf die zutreffenden Ausführungen der Vergabekammer auf Seite 20 des angefochtenen Beschlusses verwiesen werden. Nicht gefolgt werden kann insoweit der Argumentation des Antragsgegners, dass die Antragstellerin durch die Abgabe eines Angebots (dessen Konformität mit der Leistungsbeschreibung nicht geklärt wurde) dokumentiert habe, sie könne sich trotz der Vorgaben an der Ausschreibung beteiligen. Ebenso wenig entfällt die mögliche Rechtsverletzung dadurch, dass das Angebot der Antragstellerin, das sie ggf. gar nicht hätte abgeben müssen, auf dem letzten Platz liegt.
65
2. Die Leistungsbeschreibung des Antragsgegners enthält nicht gerechtfertigte produktspezifische Vorgaben.
66
Die Entscheidung, welcher Gegenstand mit welcher Beschaffenheit und welchen Eigenschaften beschafft werden soll, obliegt zwar dem öffentlichen Auftraggeber, begrenzt wird das Bestimmungsrecht aber durch die Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung, von der nur unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden darf. Nach § 31 Abs. 6 VgV darf auf ein bestimmtes Produkt nicht verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn dieser Verweis ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt. Gegen diese Verpflichtung wird nicht nur dann verstoßen, wenn ein Leitfabrikat offen in der Leistungsbeschreibung genannt wird, sondern auch dann, wenn durch die Vielzahl der Vorgaben verdeckt ein bestimmtes Produkt vorgegeben wird und nur mit diesem die Anforderungen der Leistungsbeschreibung erfüllt werden können. Die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers sind eingehalten, sofern die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist, vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert. Gegen diese Grundsätze hat der Antragsgegner bei der Ausschreibung der Displays verstoßen.
67
a) Der Senat ist unter Berücksichtigung der Vergabeunterlagen und des Vortrages der Parteien davon überzeugt, dass die Ausschreibung nicht produktneutral war und bestimmte Produkte der Firma Pr. begünstigt hat.
68
aa) Die Antragstellerin hat durch die Vorlage einer Aufstellung von zunächst 16 Displays hinreichend substantiiert dargelegt, dass nur die Produkte Pr. V6 (Auslaufmodelle) und Pr. API Titanium (Nachfolger) den Vorgaben des abgeänderten Leistungsverzeichnisses entsprechen. Die Antragstellerin hat diese Aufstellung durch die in der mündlichen Verhandlung übergebene Auswertung mit insgesamt nunmehr 41 Produkten nochmals vertieft. Es wird insoweit auf die dem Protokoll der mündlichen Verhandlung beigefügte Auflistung verwiesen. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung den Antragsgegner darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner dem Vortrag nicht substantiiert entgegen getreten ist, insbesondere dass er bisher keine konkreten Produkte genannt hat, die erfüllungstauglich wären. Es kann nicht von der Antragstellerin verlangt werden, noch mehrere Produkte aufzulisten, die die Anforderungen der Leistungsbeschreibung nicht erfüllen, während sich der Antragsgegner darauf zurückzieht, dass damit nicht feststehe, dass es auf dem gesamten Markt keine Alternative zu den Produkten der Firma Pr. gebe. Dem Antragsgegner, der die Vorgaben gemacht hat und der auch die Konformität der Angebote prüfen und beurteilen muss, ist es bei dieser Sachlage möglich und zumutbar, konkrete Alternativen zu benennen und nachvollziehbar darzutun, dass diese Produkte alle Vorgaben der Leistungsbeschreibung erfüllen.
69
bb) Der Antragsgegner hat daraufhin mit Schriftsatz vom 14.2.2020 die Displays Touch AT 86 EC und C. T. Impakt plus unter Beifügung von Datenblättern als Produkte benannt, die nach seiner Auffassung sämtlichen Anforderungen des Leistungsverzeichnisses gerecht werden und meint, damit den Vorwurf einer produktspezifischen Ausschreibung zu widerlegen.
70
Zu dem Gerät Display Touch AT 86 EC ist zu bemerken, dass die schriftsätzliche Behauptung des Antragsgegners, dass die in dieses Gerät integrierten Lautsprecher eine Wattleistung von 2 × 15 aufweisen, den Angaben in dem vorgelegten Datenblatt widerspricht. Dort ist die Leistung der Lautsprecher mit 2 × 12 W angegeben. Damit sind aber die Vorgaben des Leistungsverzeichnisses, das eine Wattleistung von 2 × 15 W fordert, nicht erfüllt. Der Senat vermag insoweit nicht der Auffassung des Antragsgegners zu folgen, dass es sich bei den Wattangaben entgegen der Wortwahl nicht um eine technische Mindestvoraussetzung sondern um eine „technische Orientierungshilfe“ handelt. Gerade wenn die angegebene Wattleistung der integrierten Lautsprecher für eine ausreichende Beschallung eines Klassenzimmers nicht erforderlich ist, ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Antragsgegner dies zwingend vorgibt und nicht klarstellt, dass dies nur als Orientierungshilfe (wofür der Wortlaut nicht die geringsten Anhaltspunkte bietet) gemeint sei.
71
Auch das Display c. T. Impakt plus kann gemäß den technischen Daten des mit Schriftsatz vom 14.2.2020 vorgelegten Datenblatts als Alternative keine Berücksichtigung finden, da trotz entsprechenden Hinweises des Senats der Antragsgegner nicht hinreichend dargetan hat, dass das Gerät zu dem maßgeblichen Zeitpunkt (Auftragsbekanntmachung) bereits auf dem Markt verfügbar war, d. h. von den Bietern bezogen werden konnte bzw. mit Preisangaben angekündigt war.
72
Die Antragstellerin hat eine E-Mail eines Mitarbeiters der Firma c. T. vom 17.2.2020 vorgelegt, wonach die Serie impact + „erst jetzt gelauncht worden und seit kurzem verfügbar“ sei. Der Senat hat mit Beschluss vom 5.3.2020 den Antragsgegner darauf hingewiesen, dass der Vortrag der Antragstellerin insoweit als plausibel gewertet wird und hat darüber hinaus bemerkt, dass die Ausführungen im Schriftsatz vom 14.2.2020, dass ein Bieter dieses Gerät angeboten habe, anhand der Vergabeunterlagen nicht nachvollzogen werden können. Die als Anlage A 12 vorgelegte E-Mail vom 3.2.2020 eines Mitbieters findet sich inhaltlich so in den Vergabeunterlagen nicht wieder. Mit dem Schreiben Anlage A 12 ist daher nicht klargestellt, dass schon im Zeitpunkt der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens ein anderes leistungsverzeichniskonformes Produkt angeboten werden konnte und auch wurde. Auch die Ausführungen des Antragsgegners, dass in der Vergabedokumentation ein Schreiben des Mitbieters vom 18.7.2019 enthalten sei, das ein leistungskonformes Produkt benenne, kann nicht nachvollzogen werden. Der Senat konnte in den Vergabeunterlagen ein entsprechendes Schreiben nicht auffinden. Vielmehr befindet sich in Vergabeunterlagen ein Schreiben des Antragsgegners an den Mitbieter vom 22.7.2019, wonach sich aus den Unterlagen nicht erkennen lasse, welches Gerät bei der Position 1.1.10 angeboten worden sei. Weiter kam bei der Auswertung der eingegangenen Angebote am 30.7.2019 das beratende Architekturbüro des Antragsgegners zu dem Ergebnis, dass das von dem Mitbieter angebotene Display c. T. Impakt nicht dem Leistungsverzeichnis entspreche und daher ausgeschlossen werden müsse. Die Vergabeunterlagen, insbesondere das Angebot des Mitbieters ist daher nicht geeignet zu belegen, dass der substantiierte Vortrag der Antragstellerin unzutreffend ist. Nach dem Hinweis des Senates wäre zu erwarten gewesen, dass der Antragsgegner – vorzugsweise durch Vorlage einer Hersteller-Auskunft – dem Senat stichhaltige Dokumente vorlegt, die belegen, dass ein Bieter das Gerät entsprechend dem Datenblatt, das dem Schriftsatz vom 14.2.2020 beigelegt war, bei seiner Kalkulation und Angebotsabgabe als geeignetes Produkt anbieten kann. Insoweit ist – anders als bei der Frage des Ausschlusses eines Bieters mangels Leistungsfähigkeit – auf diesen Zeitraum abzustellen, mithin darauf ob im Zeitpunkt der Veröffentlichung nur ein oder mehrere Produkte auf dem Markt verfügbar sind. Allenfalls akzeptabel wäre, dass ein oder mehrere Alternativprodukte schon so konkret mit Ausstattung und Preis von Herstellern avisiert sind, dass ein Bieter hierauf sein Angebot aufbauen kann. Dies hat der Antragsgegner nicht dargetan. Der Hinweis auf die Vergabeunterlagen ist, wie dargelegt nicht ausreichend, sodass der Senat dem substantiierten Vortrag der Antragstellerin folgt, dass ein Display aus der Serie Impakt plus, das den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses entsprochen hätte, zum Zeitpunkt der Durchführung des Vergabeverfahrens noch nicht auf dem Markt war.
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Es kommt damit nicht mehr darauf an, wie sich die Begriffe Positionierungsgenauigkeit (Leistungsverzeichnis) und der Begriff Touchgenauigkeit zueinander verhalten und ob einen Touchgenauigkeit von 1,5 mm eine Positionsgenauigkeit von 1,0 mm ermöglicht, wobei diese Aspekte im Falle einer erneuten Vergabe klargestellt werden könnten und sollten. Im Übrigen ist seitens des Antragsgegners auch nicht dargelegt, dass von dem Gerät Display clever Touch plus die Voraussetzung Positionsgenauigkeit von 1,0 mm erfüllt wird.
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3. Die Antragsgegner kann sich nicht darauf berufen, dass die verdeckte produktspezifische Ausschreibung durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, da er keine hinreichend nachvollziehbaren sachlichen Gründe dargetan hat, dass nur die Tafeln der Firma Pr. die Anforderung an ein für den Schulbetrieb geeignetes Display erfüllen können. Es ist daher entscheidungsunerheblich, ob eine verdeckte produktspezifische Ausschreibung grundsätzlich sachlich nicht gerechtfertigt werden kann, was umstritten sein dürfte. Da die Ausschreibung grundsätzlich produktneutral zu erfolgen hat und die produktspezifische Ausschreibung einen Ausnahmefall darstellt, sind jedenfalls strenge Anforderungen an die Nachvollziehbarkeit und die Begründung zu stellen, insbesondere wenn die Begründung erst nachträglich erfolgt.
75
Es ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner auf Bieteranfragen einige, auch wenig nachvollziehbare, Vorgaben des Leistungsverzeichnisses abgeändert hat, beispielsweise hinsichtlich der Ablagefläche für Stifte, der Lokalisation, des Kartenlesers, der Helligkeit und der Gerätemaße. Bei diesen erfolgten Abänderungen im Leistungsverzeichnis handelt es sich um Punkte und Vorgaben, die alleine durch den Auftragsgegenstand keine Rechtfertigung finden können, da sie Einsatzmöglichkeiten der Tafel im Unterricht nicht berühren.
76
Der Hinweis des Antragsgegners, auf die Schreiben der Schulleiterin und des stellvertretenden Schulleiters des Gymnasiums vom 14.3.2019 und 31.5.2019 rechtfertigen inhaltlich nicht die produktspezifische Ausschreibung. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob diesen Schreiben vor dem Hintergrund, dass in der Schule bereits eine Tafel der Firma Pr. im Einsatz war, überhaupt eine maßgebliche Bedeutung zukommen kann. In dem Schreiben der Schulleiterin vom 14.3.2019 werden keine speziellen technischen Vorgaben wie Schnittstellen, Stromverbrauch, Wattstärke der Lautsprecher formuliert. Das weitere Schreiben vom 31.5.2020 betrifft die Voraussetzung der Tafel für einen geometrischen Mathematikunterricht.
77
Eine Rechtfertigung, nur das Produkt der Firma Pr. zu verwenden, kann sich auch nicht aus den für die Verwendung von interaktiven Großbildmonitoren vorgeschlagenen Mindestbedingungen des Beraterkreis zur IT-Ausstattung von Schulen des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (Votum 2018) ergeben. Dieses Votum beinhaltet eine Beschreibung der Eigenschaften von Displaytafeln, Mindestbedingungen und Empfehlungen, aber keine so speziellen technischen Vorgaben, als dass nur die Tafel eines Herstellers zur Erfüllung der dort genannten Bedingungen infrage kommen kann. Gefordert wird unter anderem, dass ein PC an den interaktiven Großbildmonitor (Touchdisplay) angeschlossen werden kann und die erforderliche Übertragung von Bild, Ton und Mausfunktionalität alternativ über die Schnittstellen HDMI und USB, OPS und VGA erfolgen kann. Hinsichtlich eines in die Tafel integrierten PCs wird keine Empfehlung ausgesprochen, sondern nur angemerkt, dass einige Hersteller integrierte PCs anbieten, die als Einschubmodul über eine OPS Schnittstelle angeboten werden und diese über die OPS angebundenen PCs vergleichsweise teuer sind. Dem Votum kann entnommen werden, dass von einer OPS Schnittstelle eher abgeraten wird, da sie eine teure Lösung darstellt.
78
Das Nichtabhilfeschreiben des Antragsgegners vom 5.7.2019 rechtfertigt ebenfalls die produktspezifische Ausschreibung nicht. Es wird dort unzutreffend dargelegt, dass das Votum 2018 eine OPS-Schnittstelle fordert. Des weiteren wird nur pauschal auf das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers verwiesen. Ein sachlicher Grund eine OPS-Schnittstelle zum Einschub eines PC zu fordern, ist nicht erkennbar, zumal über die vorgegebenen anderweitigen Schnittstellen auch externe mobile Computer angeschlossen werden können, die dann ebenfalls einen Betrieb der Tafel bei Ausfall des Internets ermöglichen.
79
Auch die Ausführungen des beratenden Architekten in der mündlichen Verhandlung zu den Besprechungen mit den Lehrern (zur Ermittlung des Beschaffungsbedarfs) im Vorfeld der Erstellung des Leistungsverzeichnisses waren nicht geeignet, die – nicht dokumentierten – Erwägungen zu ersetzen, die erforderlich wären, um die Verengung des Wettbewerbs auf einen Hersteller nachvollziehbar zu begründen. Es mag durchaus sein, dass man sich dort umfangreiche Gedanken gemacht hat und sich eingehend mit einzelnen Produkten befasst hat, um dann – zugestandendermaßen anhand der Datenblätter der Firma Pr. – die Vorgaben in der Leistungsbeschreibung zu erstellen. Es mag für einzelne Aspekte nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe (gerade auch für die schulische Nutzung der Tafeln) geben, dass gerade die Erfüllung aller – zur Festlegung auf ein bestimmtes Produkt führenden – Anforderungen aus objektiven, auftragsbezogenen Gründen notwendig ist, kann allerdings nicht festgestellt werden.
80
4. Die Antragstellerin wird durch den Verstoß gegen § 31 Abs. 6 VgV in ihren Rechten verletzt, da die produktspezifische Ausschreibung gegen das Diskriminierungsverbot sowie gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 97 Abs. 2 und 6 GWB) verstößt.
81
Die Antragstellerin hat geltend gemacht, dass sie durch den Verstoß gegen das Gebot des § 31 Abs. 6 VgV benachteiligt werde sei, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass Mitbietern von dem Hersteller der Tafel günstigere Einkaufskonditionen eingeräumt worden seien. Dem Senat reicht die Möglichkeit aus, dass der Hersteller der Tafeln Händlern unterschiedliche Einkaufskonditionen gewährt aus, um eine Rechtsverletzung der Antragstellerin anzunehmen. Durch vergaberechtswidrige Verengung auf ein Herstellerprodukt war die Antragstellerin in der Auswahl der von ihr anzubietenden Displays eingeschränkt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie bei einer produktneutralen Ausschreibung ein anderes und günstigeres Angebot abgegeben hätte. Der Vortrag der Antragstellerin, dass die Firma Pr. unterschiedliche Einkaufskonditionen gewährt und die Möglichkeit, dass die Antragstellerin bei einer erneuten vergaberechtskonformen Ausschreibung grundsätzlich in der Lage ist, ein günstigeres Angebot abzugeben, genügt, um eine Rechtsverletzung der Antragstellerin zu bejahen und festzustellen.
82
Der Antragsgegner hat weiter die Rechte der Antragstellerin dadurch verletzt, dass er das Submissionsergebnis ungeschwärzt an alle Bieter weitergegeben hat. Die Weitergabe verletzt das Recht des Bieters auf Vertraulichkeit seines Angebots. Nach § 55 Abs. 2 VgV sind Bieter bei der Angebotsöffnung aus Gründen des Geheimwettbewerbs und der Vertraulichkeit der Angebote nicht zum Submissionstermin zugelassen. Hierdurch soll verhindert werden, dass Bieter vom Inhalt der Angebote ihrer Konkurrenten Kenntnis nehmen und die so gewonnenen Informationen im Zusammenhang mit zukünftigen Vergabeverfahren nutzen (vgl. Beck VOB/B/Koch, 3. Aufl. 2019, VgV § 55 Rn.12). Aus Sinn und Zweck dieser Regelung folgt, dass grundsätzlich eine Weitergabe des Submissionsergebnisses an Anbieter unzulässig ist. Es war daher auch insoweit eine Rechtsverletzung der Antragstellerin festzustellen.
83
5. Die Verletzung des Gebotes der produktneutralen Ausschreibung führt dazu, dass eine Zuschlagsentscheidung auf die erholten Angebote nicht in Betracht kommt. Vielmehr hat der Antragsgegner bei fortgesetztem Beschaffungsbedarf zu überprüfen, welche Detailanforderungen er aus schulischen und funktionalen Gründen für die fraglichen Geräte vorgibt, um dann neue Angebote zu erholen. Dass der Antragsgegner dabei den Grundsatz der Produktneutralität und das Gebot der eindeutigen erschöpfenden Leistungsbeschreibung zu beachten hat, ergibt sich bereits aus § 31 VgV und bedarf daher auch keiner Tenorierung.
84
6. Der Senat musste nicht entscheiden, ob auch hinsichtlich der Drucker der Grundsatz einer produktneutralen Ausschreibung verletzt worden ist und dadurch eine Rechtsverletzung der Klägerin der Antragstellerin entstanden sein kann. Auch hier gilt, dass der Antragsgegner bei einer erneuten Vergabe § 31 VgV zu beachten hat.
III.

Vertragsbedingungen Besondere Vertragsbedingungen nach dem LTMG

Vertragsbedingungen Besondere Vertragsbedingungen nach dem LTMG

vorgestellt von Thomas Ax

Mit dem Tariftreue- und Mindestlohngesetz für öffentliche Aufträge in Baden-Württemberg (Landestariftreue und Mindestlohngesetz – LTMG) sollen Wettbewerbsverzerrungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge unterbunden werden. Das Gebot der Wirtschaftlichkeit zwingt den öffentlichen Auftraggeber, den Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot zu erteilen. Erzielt dieses Angebot seine Position dadurch, dass das anbietende Unternehmen untertariflich entlohnte Beschäftigte einsetzt, führt dies zu einer Wettbewerbsverzerrung. Sie schadet Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Tariflöhne bezahlen. Das Gesetz schafft faire Voraussetzungen für alle Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge bewerben.

Mit dem Landestariftreue- und Mindestlohngesetz soll sichergestellt werden, dass öffentliche Aufträge des Landes Baden-Württemberg und der Kommunen sowie sonstiger öffentlicher Auftraggeber, die in Baden-Württemberg Aufträge vergeben, nur an Unternehmen vergeben werden, die ihren Beschäftigten bei der Ausführung des Auftrags ein Mindestentgelt bezahlen und sich tariftreu verhalten.

Unternehmen müssen sich bei Abgabe von Angeboten über Bau- und Dienstleistungen ab einem geschätzten Auftragswert von 20.000 Euro (ohne Umsatzsteuer),

  • die vom Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG)
  • oder vom Mindestarbeitsbedingungengesetz (MiArbG) erfasst werden,
  • oder den Verkehr betreffen

schriftlich verpflichten, dass sie sich tariftreu verhalten. Das gilt auch für Nach- und Verleihunternehmen.

Das LTMG findet keine Anwendung auf Lieferleistungen.

Tariftreuepflicht kann bei öffentlichen Aufträgen über Bau- und Dienstleistungen eingefordert werden, wenn die betroffenen Unternehmen durch einen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag gebunden sind. Tariftreuepflicht kann ebenfalls verlangt werden, wenn Unternehmen unter den Geltungsbereich einer Rechtsverordnung nach § 4 Absatz 3 Mindestarbeitsbedingungengesetz fallen.

Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge über Verkehrsdienstleistungen bewerben, müssen ihren Beschäftigen bei der Ausführung der Leistung mindestens das in einem einschlägigen und repräsentativen Tarifvertrag festgelegten Entgelt zahlen.

Soweit Tariftreue nicht gefordert werden kann, werden öffentliche Aufträge in Baden-Württemberg nur an Unternehmen vergeben, die ihren Beschäftigten bei der Ausführung der Leistung den bundesgesetzlichen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz zahlen. Dies gilt auch, wenn Tariftreue gefordert werden kann, jedoch die Mindestentgeltregelungen für die Beschäftigten günstiger sind.

Schwerpunkt Vergaberecht und PPP

Schwerpunkt Vergaberecht und PPP

OLG Naumburg zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen der spätere Gesellschafterwechsel einer beauftragten gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft eine Ausschreibungspflicht begründet

vorgestellt von Thomas Ax

Hat eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft einen Auftrag ihres öffentlichrechtlichen Gesellschafters erhalten und verkauft später dieser seine Geschäftsanteilen an eine private Gesellschaft, so ist dies als reiner Gesellschafterwechsel vergaberechtsneutral (Bestätigung von 1 Verg 2/10). War der Auftrag fehlerhaft ohne Ausschreibung wie bei einem In-house-Geschäft vergeben worden, so war diese Auftragsvergabe angreifbar. Ist sie nicht angegriffen worden, so kann dieser Umstand nicht dazu führen, dass der spätere Gesellschafterwechsel eine Ausschreibungspflicht begründet, weil die Gesellschaft sich so behandeln lassen müsste, als sei ursprünglich berechtigt In-house vergeben worden. Für einen solchen Erst-Recht-Schluss, derjenige, der zu Unrecht ein In-house-Geschäft angenommen habe, könne nicht besser gestellt werden, als der, welcher es zu Recht angenommen habe, ist in dem für Beschaffungsvorhaben im Sinne des § 99 GWB eröffneten, formalisierten und justizförmlich ausgestalteten Nachprüfungsverfahren nach §§ 102 ff GWB kein Raum.
OLG Naumburg, Beschluss vom 29.04.2010 – 1 Verg 3/10

Gründe

A.
Die Antragstellerin, ein Unternehmen der privaten Entsorgungswirtschaft, das einem bundesweit agierenden Entsorgungskonzern angehört, begehrt im Wege des Nachprüfungsverfahrens die Feststellung der Nichtigkeit des zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen am 29. November 2002 abgeschlossenen Entsorgungsvertrages.
Der Antragsgegner ist eine entsorgungspflichtige kommunale Körperschaft für die in ihrem Gebiet anfallenden, überlassungspflichtigen Abfälle. Er ist gemäß § 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Kreisgebietsneuregelung im Zuge der Kreisgebietsreform vom 01. Juli 2007 aus der Zusammenlegung der Landkreise M. L. und S. hervor gegangen und nach § 9 des Gesetzes zur Kreisgebietsneuregelung Rechtsnachfolger dieser Altkreise geworden.
Mit Vertrag über die Teilübertragung der Abfallentsorgung vom 29. November 2002 hatte der Altkreis S. die Verwertung und Beseitigung der in seinem Gebiet anfallenden Abfälle ohne vorherige Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens der Beigeladenen (W. GmbH , im Folgenden: W.) übertragen. Gemäß § 5 Abs. 1 des Vertrages ist eine Vertragslaufzeit bis zum 31. Dezember 2015 vorgesehen mit einer Verlängerungsoption um fünf Jahre.
Die Beigeladene war durch Gesellschaftsvertrag vom 29. Mai 2002 von der E. GmbH S. (im Folgenden: E.), einer 100%-gen Tochtergesellschaft des Antragsgegners, und der N. GmbH (im Folgenden: N. gegründet worden. Während die E. als Mehrheitsgesellschafterin 51 % der Geschäftsanteile am Stammkapital hielt, hatte die N. 49 % der Anteile inne. An der Mitgesellschafterin N. waren neben der E. , die 51 % der Geschäftsanteile hielt, als weitere Gesellschafterin die Rn. GmbH und Co KG, eine Rechtsvorgängerin der Antragstellerin, mit einem Anteil von 49 % an dem Gesellschaftskapital beteiligt. Mit Vertrag vom 31. Dezember 2006 übertrug die Antragstellerin die von ihr bis dahin gehaltenen Geschäftsanteile an der N. innerhalb des eigenen Konzerns an die K. GmbH (im Folgenden: K.), deren alleinige Gesellschafterin wiederum die Antragstellerin ist. Über das Vermögen der N. hat das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – Halle mit Beschluss vom 04. Juni 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die E. befindet sich seit 27.10.2009 in Insolvenz.
Gegenstand des Unternehmens der Beigeladenen ist die Erfüllung von Entsorgungsaufgaben in Bezug auf andienungspflichtige Haus- und Gewerbeabfälle, deren Aufbereitung durch mechanische Behandlung zu Ersatzbrennstoffen und die anschließende Zuführung zur Verbrennung in Kraftwerken. Der mit dem Antragsgegner abgeschlossene Entsorgungsvertrag macht dabei einen allenfalls untergeordneten Teil der Entsorgungstätigkeit der W. aus. Rund 21 % der Gesamtkapazität der Beigeladenen entfallen auf die für den Antragsgegner auf der Grundlage der Kommunalaufträge vom 29. November 2002 (Altkreis S.) und vom 25. Mai 2005 (Altkreis M. L.) entsorgten Abfallmengen. Im übrigen erzielt die Beigeladene ihre Umsatzerlöse durch Drittaufträge.
In der Sitzung des Kreistages vom 24. Juni 2009 beschloss der Antragsgegner die Veräußerung der über seine Tochtergesellschaft E. gehaltenen Geschäftsanteile von 51 % an der Beigeladenen. Die E. übertrug darauf hin mit dem vor dem Notar U. B. zur Urkundenrollennummer 900/2009 am 04.Juli 2009 beurkundeten Anteilskauf- und -Abtretungsvertrag ihre Anteile an der Beigeladenen auf die R. – GmbH (i. F. R.) als Käuferin.
Da die Antragstellerin die Ansicht vertrat, dass die Anteilsveräußerung an die R. – GmbH dem Vergaberechtsregime nach §§ 97 ff GWB unterliegt, rügte sie das beabsichtigte Vorgehen des Antragsgegners mit Schreiben vom 23. Juni 2009 als vergaberechtswidrig und bekundete zugleich Interesse an dem Erwerb der Beteiligung sowie an einem Auftrag über die Erbringung von Entsorgungsleistungen.
Unter dem 10. Juli 2009 strengte die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren (Geschäftszeichen 1 VK LVwA 48/09) gegen die E. vor der Vergabekammer an, das darauf abzielte, die E. zu verpflichten, die von ihr gehaltenen Geschäftsanteile an der W. nur nach Durchführung eines vorherigen förmlichen Vergabeverfahrens zu verkaufen und hilfsweise festzustellen, dass der zwischen der E. und der R. am 04. Juli 2009 geschlossene Geschäftsanteilskauf-und Abtretungsvertrag unwirksam sei.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 29. September 2009 erweiterte die Antragstellerin das Nachprüfungsverfahren auf den Antragsgegner und hat wegen des zwischenzeitlich bei der W. eingetretenen Gesellschafterwechsels nunmehr auch die Nichtigkeit des Entsorgungsvertrages vom 29. November 2002 geltend gemacht.
Sie hat die Ansicht vertreten, dass der zwischen der W. und dem Antragsgegner am 29. November 2002 zustande gekommenen Entsorgungsvertrag aufgrund des notariell- beurkundeten Geschäftsanteilskaufs- und Übertragungsvertrages vom 04. Juli 2009 und des damit bei der W. einher gehenden Gesellschafterwechsels hätte neu ausgeschrieben werden müssen. Denn die Tatsache, dass innerhalb der Geltungsdauer des ursprünglichen Entsorgungsvertrages privates Kapital, nämlich hier die R. , zur Beteiligung am gemischtwirtschaftlichen Grundkapital der W. zugelassen worden sei, sei als eine eine Neuausschreibung gebietende wesentliche Änderung einer grundlegenden Bedingung des Auftrages zu werten. Auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Auftragsvergabe und der Anteilsveräußerung komme es dabei nicht an. Alleinige Voraussetzung für das Entstehen einer Ausschreibungspflicht sei vielmehr die innerhalb der Vertragslaufzeit vorgenommene Öffnung des vornehmlich von der öffentlichen Hand gehaltenen Gesellschaftskapitals für privates Vermögen. Denn dies sei einem Vertragspartnerwechsel und insoweit einer Neuvergabe des Auftrages gleich zu erachten. Der Antragsgegner habe hier jedoch gleichwohl von der Einleitung eines offenen Vergabeverfahrens abgesehen. Die Fortsetzung des Entsorgungsverhältnisses zwischen der Beigeladenen und dem Antragsgegner ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens sei daher als unzulässige de facto – Vergabe anzusehen, deren Unwirksamkeit nach § 101 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB festzustellen sei.
Von dem Vergaberechtsverstoß habe die Antragstellerin erstmals aufgrund des am 10. September 2009 verkündeten Urteils des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache “Sea Srl” (Geschäftszeichen C-573/07) Kenntnis erlangt. Bis zu diesem Urteil des EuGH habe nämlich in der vergaberechtlichen Rechtsprechung und Rechtsliteratur die allgemeine Auffassung vorgeherrscht, dass Änderungen in der Gesellschafterzusammensetzung des Auftragnehmers während der Vertragslaufzeit keine vergaberechtlich relevante Leistungsänderung darstellen könnten. In Abweichung von der bislang herrschenden Meinung habe der EuGH in seiner Entscheidung vom 10. September 2009 nunmehr jedoch klargestellt, dass im Falle der Vergabe eines Auftrages ohne Ausschreibung an eine Gesellschaft, bei der das Grundkapital ausschließlich aus öffentlichen Kapital bestehe und kein konkreter Hinweis auf eine baldige Öffnung für private Teilnehmer vorliege (sog. In-house-Vergabe), die eine Ausschreibung erfordernde Änderung der grundlegenden Bedingungen des Auftrages anzunehmen sei, wenn innerhalb der Geltungsdauer des Vertrages privates Kapital zugelassen würde. Erst auf der Grundlage des Urteils des EuGH sei die bislang unsichere Rechtslage für die Antragstellerin so eindeutig geklärt worden, dass sie von einem Vergaberechtsverstoß des Antragsgegners habe ausgehen müssen und deshalb binnen der 30 Tage – Frist des § 101 b Abs.2 GWB den Nachprüfungsantrag angebracht habe.
Die Antragstellerin hat beantragt,
festzustellen, dass der zwischen dem Antragsgegner und der W. GmbH (W.) abgeschlossene Entsorgungsvertrag vom 29. November 2002 betreffend die Entsorgung der im Altkreis S. anfallenden Abfälle nichtig ist.
Der Antragsgegner ist dem Nachprüfungsantrag entgegen getreten.
Er ist der Meinung gewesen, dass der am 29. September 2009 anhängig gemachte Nachprüfungsantrag verfristet sei, weil die Antragstellerin versäumt habe, den Antrag binnen der 30-Tage-Frist des § 101 b Abs. 2 GWB bei der Vergabekammer anzubringen. Insoweit hat er vorgetragen, dass die Antragstellerin spätestens mit Zustellung des Erwiderungsschriftsatzes der E. vom 21. Juli 2009 in dem Parallelverfahren 1 VK LVwA 48/09 von der Beurkundung des Anteilskaufvertrages vom 04. Juli 2009 Kenntnis erlangt habe. Sie hätte daher bis spätestens 20. August 2009 in einem Nachprüfungsverfahren geltend machen müssen, dass sie hierin eine vergaberechtswidrige Änderung des Vertrages erblicke. Der Nachprüfungsantrag entbehre aber auch deshalb der Zulässigkeit, weil der bei der W. eingetretene Gesellschafterwechsel schon keinen vergaberechtsrelevanten Beschaffungsvorgang darstellen würde, der das Vergaberechtsregime der §§ 97 ff GWB eröffnen könnte. Denn im Unterschied zu dem vom EuGH in der Rechtssache SEA Srl entschiedenen Sachverhalt hätten die Voraussetzungen einer In-house-Vergabe im Streitfall von Anfang an wegen der Minderheitenbeteiligung der Antragstellerin bzw. deren Rechtsvorgängerin an der Beigeladenen nicht vorgelegen. Dementsprechend könne aber von einer wesentlichen Änderung einer grundlegenden Bedingung des zugrunde liegenden Auftrages im Sinne der zitierten Rechtsprechung des EuGH zur Rechtssache “Sea Srl” nicht ausgegangen werden.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag von dem Verfahren 1 VK LVwA 48/09 abgetrennt, unter dem Aktenzeichen 1 VK LVwA 54/09 geführt und mit Beschluss vom 23. Dezember 2009 als unzulässig verworfen.
Zur Begründung hat sie im wesentlichen ausgeführt, dass der Antrag verspätet, nämlich nicht innerhalb der Frist von 30 Tagen nach § 101 b Abs. 2 S. 1, Abs. 1 Nr. 2 GWB angebracht worden sei. Der Entsorgungsvertrag vom 29. November 2002 habe zwar aufgrund des bei der W. eingetretenen Gesellschafterwechsels seine Wirksamkeit verloren. Denn die Privilegierung eines “In-house-Geschäfts” sei mit dem teilweisen Wechsel der an der W. beteiligten Anteilseigner entfallen. Auch wenn die privilegierenden Voraussetzungen eines In-house-Geschäftes bei Vertragsabschluss am 29. November 2002 tatsächlich nicht vorgelegen hätten, müsse sich der Antragsgegner aber gleichwohl so behandeln lassen mit der Folge einer Neuausschreibungspflicht des Entsorgungsvertrages. Die Nichtigkeitsfolge aufgrund des Wegfalls der dem Vertragsabschluss zugrunde gelegten Privilegierung müsse nämlich erst Recht auch dann gelten, wenn sich der Auftraggeber seinerzeit lediglich rechtsirrig eines privilegierten Eingeschäfts berühmt habe. Der ursprünglich fälschlich eine Privilegierung annehmende öffentliche Auftraggeber dürfe nicht besser gestellt werden als derjenige, der sich mit Recht auf die Privilegierung eines In-house-Geschäftes berufen habe, die erst während der Vertragslaufzeit aufgrund eines Anteilsverkaufs entfallen sei. Im Fortgang des Leistungsaustausches über den 04. Juli 2009 hinaus liege daher hier eine im Wege eines Nachprüfungsverfahrens angreifbare de facto Vergabe. Spätestens mit Zugang des Schriftsatzes der Antragsgegnerseite (E.) vom 21. Juli 2009 am 23. Juli 2009 in dem Parallelverfahren 1 VK LVwA 48/09 habe die Antragstellerin von der Anteilsübertragung Kenntnis erlangt und zugleich über ein hinreichend gesichertes Wissen zu dem gerügten Vergaberechtsverstoß verfügt. Dass die Antragstellerin die Schlussfolgerung, dass eine vergaberechtskonforme Leistungserbringung nach dem Gesellschafterwechsel nicht mehr möglich sei, bereits vor Verkündung des Urteils des EuGH vom 10. September 2009 gezogen habe, gehe auch aus dem weiteren Schriftverkehr der Antragstellerin bzw. deren Tochtergesellschaft K. ohne weiteres hervor.
Gegen diesen, der Antragstellerin am 28. Dezember 2009 zugestellten Beschluss richtet sich ihre bei dem Oberlandesgericht am 30. Dezember 2009 eingegangene sofortige Beschwerde, mit der sie – unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens – ihren erstinstanzlichen Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Entsorgungsvertrages vom 29. November 2002 weiter verfolgt.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass der angefochtene Beschluss der Vergabekammer mit einem wesentlichen Verfahrensfehler behaftet sei, denn die Vergabekammer habe das hier streitgegenständliche Nachprüfungsbegehren zu Unrecht von dem Ursprungsverfahren 1 VK LVwA 48/09 abgetrennt und die Verfahrensgegenstände in mehrere Nachprüfungsverfahren aufgesplittet. Dies sei schon deshalb unzulässig, weil sie die von ihr angestrengten Nachprüfungsverfahren in ein Eventualverhältnis gestellt habe. Außerdem sei ihr das rechtliche Gehör zu der von der Vergabekammer beabsichtigten, sachlich nicht veranlassten Verfahrenstrennung versagt worden.
In der Sache meint sie, dass die Vergabekammer mit Recht die Statthaftigkeit des Nachprüfungsantrags bejaht habe, weil die Veräußerung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen zu einer wesentlichen Änderung einer grundlegenden Bedingung des bestehenden Entsorgungsvertrages geführt habe, die einer Neuvergabe gleich komme. Der den Bestimmungen des Vergaberechts zugrunde liegende Schutzzweck gebiete, dass die mit der Veräußerung der mehrheitlichen Beteiligung an der Beigeladenen verbundene Partizipation der R. an den der Beigeladenen vergebenen öffentlichen Aufträgen eine Neuausschreibungspflicht auslöse. Denn immer dann, wenn der öffentliche Auftraggeber seine Beteiligung an der rechtswidrig außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens beauftragten Gesellschaft veräußere, werde der Schutzzweck des Vergaberechts verletzt. Zwar sei der Auftrag seinerzeit nicht im Wege eines vergaberechtsfreien Eigengeschäfts erteilt worden, die von dem EuGH in der “Sea Srl”-Entscheidung zum Wegfall einer In-house-Privilegierung entwickelten Rechtsgrundsätze müssten hierauf bei einer schutzzweckbezogenen, funktionalen Betrachtung zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen jedoch erst Recht angewandt werden, denn auch hier führe der Gesellschafterwechsel letztlich dazu, dass ein privates Unternehmen durch seine Beteiligung am Kapital des vergabefrei beauftragten Auftragnehmers einen Vorteil im Hinblick auf die bestehenden öffentlichen Aufträge gegenüber seinen Konkurrenten erlange. Im übrigen dürfe der rechtskonform handelnde Auftraggeber nicht schlechter gestellt werden als derjenige, der schon von Anfang an, nämlich bei der Auftragsvergabe gegen das Vergaberecht verstoßen habe. Das zwischen dem Antragsgegner, der E. und der R. abgestimmte Verhalten im Zusammenhang mit der Veräußerung der Anteile an der W. habe letztlich darauf abgezielt, den Entsorgungsvertrag auf die Anteilserwerberin, die R. , faktisch überzuleiten, was im wirtschaftlichen Ergebnis einer vergabepflichtigen Vertragsübernahme gleich komme und ersichtlich allein der Umgehung vergaberechtlicher Bestimmungen gedient habe. Wie die Informationsvorlage des Antragsgegners vom 23. März 2009 belege, habe die Privatisierung der Beigeladenen einerseits über den Erwerb der Geschäftsanteile durch die R. und andererseits durch Einzug der bisher von der N. gehaltenen Geschäftsanteile nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens realisiert werden sollen.
Weiterhin rügt die Beschwerdeführerin, dass die Vergabekammer ihren Nachprüfungsantrag zu Unrecht als nach § 101 b Abs. 2 S. 1 GWB verfristet angesehen habe. Sie habe frühestens mit der Verkündung des Urteils des EuGH in der Rechtssache “Sea Srl” vom 10. September 2009 die für den Fristbeginn nach § 101 b Abs. 2 S. 1 GWB erforderliche positive Kenntnis von der nunmehr geklärten, vergaberechtlich relevanten Rechtslage erlangt. Sie ist zudem der Ansicht, dass sich die Regelung des § 101 b Abs. 2 GWB als gemeinschaftsrechtswidrig erweise, da sie entgegen der Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinie 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge, ABl. EU Nr. L 335 vom 20. Dezember 2007, 31 ff) den Lauf der 30-Tage-Frist nicht an die Bekanntgabe der Auftragsvergabe durch den öffentlichen Auftraggeber bzw. der Information der betroffenen Bieter und Bewerber über den Vertragsabschluss durch den öffentlichen Auftraggeber knüpft, sondern an die positive Kenntnis von dem Vergaberechtsverstoß. Im übrigen meint sie, dass die in das Vergaberecht neu eingeführte Fristenregelung des § 101 b Abs. 2 GWB auf das streitgegenständliche Vergabeverfahren gemäß der Überleitungsvorschrift des § 131 Abs. 8 GWB keine Anwendung finden könne, da die Vorbereitungen zu der Geschäftsanteilveräußerung im Streitfall schon weit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts am 24. April 2009 angesetzt hätten.
Die Antragstellerin beantragt zuletzt,
den Beschluss der 1. Vergabekammer des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 23. Dezember 2009 aufzuheben und festzustellen, dass der zwischen dem ehemaligen Landkreis S. , dessen Rechtsnachfolger der Antragsgegner ist, und der Beigeladenen abgeschlossene Vertrag zur Teilübertragung der Abfallentsorgung vom 29. November 2002 unwirksam ist;
hilfsweise,
die zwischen dem ehemaligen Landkreis S. , dessen Rechtsnachfolger der Antragsgegner ist, und der Beigeladenen abgeschlossene Vereinbarung zur Teilübertragung der Abfallentsorgung vom 29. November 2002 für unwirksam zu erklären.
Der Antragsgegner beantragt,
die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurück zu weisen.
Der Antragsgegner verteidigt den angefochtenen Beschluss der Vergabekammer und wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.
Er hält an seiner Ansicht fest, dass die Veräußerung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen schon keine wesentliche, eine Neuausschreibungspflicht begründende Vertragsänderung im Sinne der neueren Rechtsprechung des EuGH darstelle, die einer Neuvergabe eines öffentlichen Auftrages im Sinne des § 99 GWB gleich zu erachten sei. Die W. sei bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Entsorgungsvertrages ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen gewesen, das sowohl aus öffentlichem als auch aus privatem Kapital bestanden habe. Die privilegierenden Voraussetzungen eines In-house-Geschäftes hätten daher von Anfang an nicht vorgelegen, so dass durch die Anteilsveräußerung auch keine besondere Privilegierung habe entfallen können. Soweit die Vergabekammer die von dem EuGH in der Rechtssache Sea Srl entwickelten Rechtsgrundsätze dagegen auf den hier vorliegenden Fall einer vergaberechtswidrigen ad-hoc Vergabe eines öffentlichen Auftrages an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen im Wege eines Erst- Recht Schlusses übertragen habe und in diesem Zusammenhang davon ausgehe, dass bei Zulassung weiteren privaten Kapitals eine wesentliche Änderung der grundlegenden Bedingung des Auftrages selbst dann gegeben sei, wenn der Auftraggeber seinerzeit auch nur rechtsirrig die zur Direktvergabe berechtigende Privilegierung angenommen habe, könne ihr nicht gefolgt werden. Denn für die Frage einer der Neuvergabe gleich zu erachtenden Vertragsänderung dürfe nicht allein auf subjektive Vorstellungen und Erwägungen der Vergabestelle bei Vertragsschluss abgestellt werden. Der von der Vergabekammer vorgenommene Erst-Recht-Schluss sei auch nicht zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen geboten gewesen. Denn der vergaberechtswidrig erteilte Auftrag habe hier zunächst unter dem Vorbehalt der Anfechtbarkeit gestanden.
Im übrigen hält sie an ihrer Ansicht fest, dass der Nachprüfungsantrag jedenfalls verspätet angebracht worden sei. Die Vorschrift des § 101 b Abs. 2 S. 1 GWB verstoße auch keineswegs gegen Art. 2 lit. f Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG und sei daher nicht als gemeinschaftswidrig zu betrachten. Der deutsche Gesetzgeber habe sich mit der Ausgestaltung des § 101 b Abs.2 UWG vielmehr im Rahmen seines Umsetzungsspielraumes bewegt.
Er ist zudem der Ansicht, dass der angefochtene Beschluss nicht an einem Verfahrensfehler leide. Eine Verfahrenstrennung sei hier angezeigt gewesen, da sich die gewillkürte Parteierweiterung als unzulässig dargestellt habe.
Wegen des weitergehenden Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat das Gesuch der Antragstellerin, die sofortige Beschwerde mit dem unter dem Geschäftszeichen 1 Verg 11/09 geführten Beschwerdeverfahren zu verbinden, mit Beschluss vom 23. Februar 2010 abgelehnt. Die mit Beschluss vom gleichen Tage zu dem gerichtlichen Beschwerdeverfahren als weitere Beteiligte beigeladene Firma W. GmbH (W.) hat von einer eigenen Antragstellung abgesehen.

B.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist nach §§ 116, 117 GWB zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht (§ 117 Abs. 1 bis 3 GWB) bei dem nach § 116 Abs. 3 S. 1 GWB zuständigen Gericht eingelegt und begründet worden.
Das Rechtsmittel der Antragstellerin bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

I.
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin beruht die Entscheidung der Vergabekammer nicht auf einem wesentlichen Verfahrensmangel.
Insbesondere ist die von der Vergabekammer entsprechend § 93 S. 2 VwGO angeordnete Verfahrenstrennung von dem Nachprüfungsverfahren 1 VK LVwA 48/09 nicht zu beanstanden und rechtfertigt keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Die Vergabekammer hat bei ihrer Entscheidung über die Trennung der Nachprüfungsverfahren das ihr nach § 93 S. 2 GWB eingeräumte Ermessen vielmehr pflichtgemäß gehandhabt.
Auf das Verfahren vor der Vergabekammer werden im wesentlichen – soweit der vierte Teil des GWB nichts anderes vorschreibt – die Vorschriften der VwGO analog angewendet (vgl. BGH VergabeR 2004, 201 f; OLG Düsseldorf NZBau 2008, 461 – 465 zitiert nach juris).
a)§ 64 VwGO in Verbindung mit § 60 ZPO lässt eine subjektive Klagehäufung zwar grundsätzlich zu, wenn auf im wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Gründen beruhende Ansprüche den Gegenstand des Rechtsstreites bilden, wobei diese Begriffe – wie die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde zutreffend ausführt – weit auszulegen sind(vgl. OLG Düsseldorf NZBau 2008, 461 – 465 zitiert nach juris).
b) Bedenken begegnet allerdings bereits, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klageänderung nach § 91 VwGO für die gewillkürte Parteierweiterung auf Antragsgegnerseite vorgelegen haben. Der Antragsgegner hat seine Zustimmung zur Parteierweiterung jedenfalls versagt. Ob die Klageänderung in Gestalt einer gewillkürten Parteierweiterung sich unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie als sachdienlich erwiesen hätte, erscheint zweifelhaft. Denn der Sachdienlichkeit könnte hier das dem Nachprüfungsverfahren nach §§ 102 ff GWB immanente Beschleunigungsbedürfnis entgegen stehen (vgl. hierzu: OLG Düsseldorf NZBau 2008, 461 – 465 zitiert nach juris), zumal das ursprünglich gegen die E. angestrengte Nachprüfungsverfahren 1 VK LVwA 48/09 bei Eingang der Antragserweiterung am 29. September 2009 bereits entscheidungsreif gewesen ist, was die Daten der jeweiligen Beschlüsse deutlich machen. Diese Frage kann der Senat im Ergebnis aber auch dahin gestellt sein lassen.
c) Es ist der Vergabekammer aus Gründen der Verfahrensökonomie und -beschleunigung unbenommen geblieben, das neu angestrengte Nachprüfungsverfahren entsprechend § 93 S. 2 VwGO von dem seinerzeit entscheidungsreifen Verfahren 1 VK LwVA 48/09 abzutrennen (vgl. OLG Düsseldorf NZBau 2008, 461 – 465 zitiert nach juris). Die mit Schriftsatz vom 29. September 2009 angebrachte Antragserweiterung hätte nämlich zu einer nicht unerheblichen weiteren Verfahrensverzögerung geführt, die gerade auch mit Blick auf den für das Nachprüfungsverfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatz nicht mehr hinzunehmen war.
Im übrigen hat die Verfahrenstrennung hier auch – als Mittel der materiellen Sachleitung – der Übersichtlichkeit der Verfahren gedient. Die Tatsache, dass sich eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung für die Antragstellerin als kostengünstiger dargestellt hätte, rechtfertigt im Rahmen des § 93 S. 2 VwGO keine abweichende Beurteilung. Denn anerkannt ist, dass die im pflichtgemäßen Ermessen der erkennenden Vergabekammer stehende Entscheidung über die Trennung der Verfahren selbst unter dem Gesichtspunkt eines mit der Trennung verbundenen erhöhten Kostenrisikos für die Antragstellerin nicht gegen das Fairnessgebot verstößt (vgl. BrandVerfG NVwZ-RR 2003, 469 zitiert nach juris; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 93 VwGO Rdn. 3).
Eine Trennung hätte sich nach der Natur der Sache nur dann verboten, wenn die Antragstellerin den nachträglich angebrachten Nachprüfungsantrag in ein Eventualverhältnis zu dem in der Hauptsache verfolgten Antrag gestellt hätte (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 93 VwGO Rdn. 3 m.w.N.). Dies ist hier jedoch – entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift – nicht der Fall gewesen. Die Antragstellerin hat das gegen den Antragsgegner gerichtete Nachprüfungsverfahren keineswegs in erster Instanz nur hilfsweise unter der prozessualen Bedingung angestrengt, dass sie mit ihrem Hauptantrag nicht durchzudringen vermag. Aus der Vergabeakte und insbesondere aus dem Erweiterungsschriftsatz vom 29. September 2009 geht eine Hilfsantragstellung jedenfalls nicht hervor. Die Antragstellerin hat ihren weiteren Nachprüfungsantrag vielmehr unbedingt in Form einer kumulativen Klagehäufung angebracht.
Dass die Vergabekammer davon abgesehen hat, die Verfahrensbeteiligten zu der beabsichtigten Verfahrenstrennung zuvor anzuhören, ist ebenfalls unschädlich gewesen. Der Trennungsbeschluss kann nämlich nach § 93 VwGO auch ohne vorherige Anhörung und mündliche Verhandlung ergehen. Selbst eine stillschweigende Trennung ist im allgemeinen grundsätzlich zulässig (vgl. Kopp / Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 93 VwGO Rdn. 3).
Nach alledem ist gegen das Vorgehen der Vergabekammer in verfahrensrechtlicher Hinsicht nichts einzuwenden.

II.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist unzulässig.
Er ist nicht nach § 102 GWB in Verbindung mit §§ 101 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 99 GWB statthaft. Die Fortsetzung des Entsorgungsvertrages durch die W. nach Verkauf der Geschäftsanteile, die die E. an ihr hielt ohne Neuausschreibung der streitgegenständlichen Entsorgungsleistungen unterliegt nicht den Bestimmungen des Kartellvergaberechts nach §§ 97 ff GWB.
1. Wie die Vergabekammer in dem angefochtenen Beschluss zutreffend festgestellt hat, findet auf das vorliegende Nachprüfungsverfahren gemäß der Übergangsbestimmung des § 131 Abs. 8 GWB das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in seiner Neufassung gemäß dem mit Wirkung zum 24. April 2009 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. April 2009 (BGBl. I 2009, S. 790 ff) Anwendung.
Nach der Übergangsbestimmung des § 131 Abs. 8 GWB ist auf den Beginn eines Vergabeverfahrens, einschließlich der sich anschließenden Nachprüfungsverfahren, abzustellen. Liegt dieser vor dem 24. April 2009, ist die bis zum 23. April 2009 geltende alte Fassung des GWB anzuwenden.
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass die hier als Vergabe streitgegenständlichen Vorgänge schon vor dem insoweit für die Anwendung des Rechts maßgeblichen Stichtag am 24. April 2009 begonnen habe, so dass das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in seiner Neufassung durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 20. April 2009 zugrunde zu legen ist. Verfahrensgegen-stand bildet die Fortsetzung des ursprünglichen Entsorgungsvertragsverhältnisses trotz zwischenzeitlicher Geschäftsanteilsveräußerung. Die Beschwerdeführerin rügt also gewissermaßen eine Vergabe ohne förmliches Vergabeverfahren.
In so einem Fall ist die Ermittlung des Anfangszeitpunktes zwar mit größeren Schwierigkeiten verbunden als bei einem förmlichen Vergabeverfahren. Es ist eine materielle Betrachtung anzustellen und dabei an diejenigen Maßnahmen anzuknüpfen, mit der der erste Schritt zur Herbeiführung eines konkreten Vertragsabschlusses unternommen wird und die deshalb einer förmlichen Einleitung eines Vergabeverfahrens gleich zu erachten sind (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 08. Oktober 2010, 1 Verg9/09, VergR 2010, 219, 221).
Sofern in der Veräußerung der Geschäftsanteile an der Beigeladenen durch die E. eine zur Neuausschreibung verpflichtenden wesentliche Änderung einer grundlegenden Bedingung des Entsorgungsvertrages gesehen würde, würde der Anteilsverkauf auch den wesentlichen Zeitpunkt für die Feststellung des Beginns des nicht förmlichen Vergabevorgangs markieren. Der Antragstellerin kann zwar darin beigepflichtet werden, dass die Verhandlungen über den Abschluss des Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsvertrages vor der Beurkundung des Vertrages am 04. Juli 2009 aufgenommen worden sind. Bloße Vorbereitungen der Geschäftsanteilsveräußerung stellen allerdings noch nicht ohne weiteres den Beginn im o. a. Sinn dar.
Durch bloße Vorbereitungshandlungen, wie Maßnahmen zur Markterkundung, Machbarkeitsstudien, interne Beratungen einschließlich der Erstbefassung der späteren Entscheidungsgremien oder vergleichende Wirtschaftlichkeitsberechnungen wird ein Vergabeverfahren ebensowenig begonnen wie durch Selbstauskünfte der Vergabestelle über künftige Beschaffungsvorhaben oder etwaige Vorinformationen (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 08. Oktober 2010, 1 Verg9/09, VergR 2010, 219, 221). Dementsprechend vermag auch die hier in Rede stehende, interne Informationsvorlage vom 23. März 2009 noch nicht zu genügen, um hieran den Beginn eines de facto-Vergabevorgangs anzuknüpfen, zumal aus der Vorlage keineswegs hervorgeht, dass der Landrat seinerzeit bereits ermächtigt war, die bisher von dem Antragsgegner gehaltenen Geschäftsanteile an der Beigeladenen zu einem bestimmten Kaufpreis veräußern zu können. Denn in der Informationsvorlage ist ausdrücklich aufgeführt, dass es sich hierbei lediglich um einen Beschlussentwurf zur Vorlage an die zuständigen Entscheidungsgremien handelt, die hierüber zu befinden haben. Dementsprechend ist die Regelung über die Vollmachtserteilung auch lediglich als Beschlussentwurf gekennzeichnet.
Der Zeitpunkt für die Einleitung des Vergabeverfahrens liegt jedenfalls nicht vor der internen Entscheidung der maßgeblichen Entscheidungsgremien des Antragsgegners über eine Anteilsveräußerung unter gleichzeitiger Fortsetzung des Entsorgungsvertrages. Diese interne Entscheidung über die Veräußerung der Geschäftsanteile ist aber unstreitig erst in der Sitzung des Kreistages vom 24. Juni 2009 getroffen worden und damit zeitlich nach Inkrafttreten der Neuregelungen des GWB am 24. April 2009.
2. Der vergaberechtliche Primärrechtsschutz ist im Streitfall – entgegen der Ansicht der Antragstellerin – indessen nicht nach § 101 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB eröffnet.
Nach § 101 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB kann die Unwirksamkeit eines de facto Vertrages, bei dem eine Ausschreibung rechtswidrig unterblieben ist, innerhalb bestimmter Fristen in einem Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden.
a) Der Antragsgegner ist als kommunale Gebietskörperschaft Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB.
b) Es fehlt hier allerdings an einem selbständigen, vergaberechtsrelevanten Beschaffungsvorgang im Sinne des § 99 GWB. Vielmehr ist von einer vergaberechtsneutralen Fortsetzung des bereits seit dem Jahre 2002 bestehenden Entsorgungsverhältnisses auszugehen.
Der ursprüngliche Entsorgungsvertrag vom 29. November 2002 stellt unzweifelhaft einen öffentlichen Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB dar, da er auf die Beschaffung von Dienstleistungen gerichtet war. Der Vertragsabschluss vom 29. November 2002 über die Teilübertragung der Abfallentsorgung bildet allerdings nicht den Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens der Antragstellerin, diese wendet sich mit ihrem Nachprüfungsantrag vielmehr allein gegen die vergaberechtswidrige Fortsetzung des Vertrages nach Veräußerung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen mit Anteilskauf- und Abtretungsvertrag vom 04. Juli 2009.
aa) Ein Beschaffungsakt eines öffentlichen Auftraggebers kann zwar nicht nur in dem Abschluss eines neuen Vertrages liegen. Auch die Änderung des bestehenden Vertragsverhältnisses kann unter Umständen in wirtschaftlicher Hinsicht bei wertender Betrachtung den Wirkungen einer Neuvergabe gleichkommen und eine Neuausschreibungspflicht begründen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29. Oktober 2009, 13 Verg 8/09, IBR 2009, 732 zitiert nach juris; Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, Bearbeitung 2006, § 99 GWB Rdn. 67 ff; Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl., § 99 GWB Rdn. 35; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, Bearbeitung 2007, § 99 GWB Rdn. 47).
Der Europäische Gerichtshof hat in der “Pressetext Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich” – Entscheidung vom 19. Juni 2008 (C-454/06, NJW 2008, 3341 ff zitiert nach juris) hierzu ausgeführt, dass die Sicherstellung der Transparenz der Verfahren und die Gleichbehandlung der Bieter im Sinne der Richtlinie 92/50/EWG gebiete, dass Änderungen der Bestimmungen eines öffentlichen Auftrages während seiner Geltungsdauer stets dann als vergaberechtsrelevante Neuvergabe des Auftrages anzusehen seien, wenn sie wesentlich andere Merkmale aufweisen als der ursprüngliche Auftrag und damit den Willen der Parteien zur Neuverhandlung wesentlicher Bestimmungen dieses Vertrages erkennen lassen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2008, C-454/ 06 zitiert nach juris). Ausgehend von dem Ziel der Gemeinschaftsvorschriften, die Grundfreiheiten und einen unverfälschten Wettbewerb zu gewährleisten, ist – dem EuGH zufolge – eine Änderung eines öffentlichen Auftrages während seiner Laufzeit insbesondere dann als wesentlich anzusehen, wenn sie Bedingungen einführt, die die Zulassung anderer als der ursprünglich zugelassenen Bieter oder die Annahme eines anderen als des ursprünglich angenommenen Angebotes erlaubt hätten, sofern sie Gegenstand des ursprünglichen Vergabeverfahrens gewesen wären. Desgleichen kann eine Änderung des ursprünglichen Auftrags als wesentlich eingestuft werden, wenn sie den Auftrag in großem Umfang auf ursprünglich nicht vorgesehene Dienstleistungen erweitert oder das wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrages in einer im ursprünglichen Auftrag nicht vorgesehenen Weise zugunsten des Auftragnehmers ändert (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2008, C-454/06, Pressetext Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich, NJW 2008, 3341 ff, zitiert nach juris).
bb) Gemessen an diesen vom EuGH aufgestellten Kriterien ist hier von einer eine Neuausschreibung erfordernden wesentlichen Vertragsänderung aufgrund der Abtretung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen auf die R. auf der Grundlage des Anteilskauf- und Abtretungsvertrages vom 04. Juli 2009 indessen nicht auszugehen.
(1) Ein im Wege der Vertragsübernahme erfolgter Auftragnehmerwechsel hätte den zugrunde liegenden Vertrag im Sinne der Rechtsprechung des EuGH zwar wesentlich ändern können. Die Ersetzung des Vertragspartners, dem der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ursprünglich erteilt hat, durch einen neuen berührt die Grundlagen des betreffenden öffentlichen Dienstleistungsvertragsverhältnisses (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2008, C-454/06, Pressetext Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich, NJW 2008, 3341 ff, zitiert nach juris). Ein solcher Wechsel in der Person des Vertragspartners liegt hier indessen nicht vor. Die Beigeladene ist als Dienstleistungserbringerin vielmehr als solche erhalten geblieben. Durch den Anteilsverkauf hat sich lediglich an ihrem Gesellschafterbestand etwas verändert. Die Vertragspartner sind jedoch dieselben geblieben.
Der Verkauf von Geschäftsanteilen eines öffentlichen Auftraggebers an privatrechtlich organisierte Gesellschaften (materielle Privatisierung) stellt sich dagegen grundsätzlich als vergaberechtsneutral dar und vermag insbesondere noch keine wesentliche Änderung des zugrunde liegenden Auftrages herbei zu führen. Der Ansicht der Antragstellerin, Anteilsabtretungen der öffentlichen Hand seien stets beschaffungsrechtlich relevante Vorgänge, wenn das Unternehmen Dienstleistungen für einen öffentlichen Auftraggeber erbringe, vermag der Senat so nicht zu folgen.
(a) Einer Veränderung im Kreise der Anteilseigner an einer juristischen Person kann eine vergaberechtliche Bedeutung im allgemeinen nicht beigemessen werden. Es ist vielmehr grundsätzlich vergaberechtlich hinzunehmen, wenn sich die Beteiligungsverhältnisse an einem Auftragnehmer ändern, der einen öffentlichen Auftrag hält.
Der EuGH hat in der “Pressetext Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich” – Entscheidung vom 19.Juni 2008 (C-454/06, NJW 2008, 3341 ff zitiert nach juris) hierzu festgestellt, dass eine Änderung in der Mitgliederzusammensetzung des ursprünglich beauftragten Dienstleistungserbringers während der Vertragslaufzeit die Gültigkeit der Vergabe eines öffentlichen Auftrages an eine solche Gesellschaft nicht in Frage stellt und dementsprechend nicht grundsätzlich zu einer wesentlichen Änderung des an die Gesellschaft vergebenen Auftrages führt. Werde ein öffentlicher Auftrag – wie auch hier -an eine juristische Person vergeben, so ergebe sich schon aus deren Wesen selbst, dass sich die Besitzverhältnisse jederzeit ändern könnten. Etwas anderes könne nur in Ausnahmefällen wie etwa bei Manipulationen zur Umgehung vergaberechtlicher Gemeinschaftsvorschriften gelten (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2008, C-454/06 zitiert nach juris).
Die von dem EuGH im Hinblick auf die Beteiligungsverhältnisse an einer börsenorientierten Aktiengesellschaft und ebenso an einer registrierten Genossenschaft mit beschränkter Haftung entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze beanspruchen in gleicher Weise bei einer Änderung des Gesellschafterbestandes einer in der Rechtsform einer GmbH betriebenen Gesellschaft Geltung (vgl. Niestedt/Hölzl, NJW 2008, 3321, 3323). Es ist kein sachlich gerechtfertigter Grund ersichtlich, warum bei der Frage, ob eine Veränderung der Besitzverhältnisse an einer Gesellschaft zu einer Ausschreibungspflicht der von dieser gehaltenen Verträge führt, zwischen dem Wechsel eines Anteilseigners an einer börsenorientierten Aktiengesellschaft einerseits und der Zusammensetzung von Personen- oder Kapitalgesellschaften andererseits differenziert werden sollte. Eine börsenorientierte Aktiengesellschaft sowie eine eingetragene Genossenschaft, auf die sich die Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Pressetext Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich in erster Linie bezogen, mögen zwar nach ihrer Gesellschaftsstruktur stärker auf eine Veränderung im Bestand der Gesellschafter angelegt sein als dies bei einer GmbH der Fall ist. Die GmbH ist als Kapitalgesellschaft aber gleichfalls körperschaftlich organisiert und damit vom Mitgliederbestand grundsätzlich unabhängig, ihre Geschäftsanteile sind frei veräußerbar. Wollte man eine Veränderung in den Beteiligungsverhältnissen einer juristischen Person zum Anlass nehmen, ein neues Vergabeverfahren durchzuführen, würde dies die Fungibilität der Geschäftsanteile wesentlich einschränken und die Vergabe öffentlicher Aufträge an Kapitalgesellschaften nahezu unmöglich machen (vgl. Niestedt/Hölzl, NJW 2008, 3321, 3323). Es ließe sich – entgegen der Ansicht der Antragstellerin – mithin in vergaberechtlicher Hinsicht nicht darstellen, die Änderung der Zusammensetzung der Gesellschafter einer GmbH dem Vergaberechtsregime der §§ 97 ff GWG zu unterstellen, während der Wechsel eines Anteilseigners an einer börsenrechtlich orientierten Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft keine Ausschreibungspflicht auslöst.
(b) Der Antragstellerin ist zuzugeben, dass sich der Sachverhalt in der Entscheidung des EuGH vom 19. Juni 2008 in der Rechtssache “Pressetext Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich” von dem vorliegenden Fall darin unterscheidet, dass in dem vom EuGH entschiedenen Fall an dem ursprünglichen Dienstleistungserbringer, an dem der öffentliche Auftrag erteilt wurde, der öffentliche Auftraggeber nicht selbst mit eigenen Geschäftsanteilen mehrheitlich beteiligt war. Dass der Antragsgegner bislang in öffentlicher Hand gehaltene Geschäftsanteile an dem Dienstleistungserbringer an einen Privaten veräußert hat, der dadurch an der Gesellschaft beteiligt wird, die entgeltliche Leistungen für die öffentliche Hand erbringt, führt hier jedoch zu keiner abweichenden Beurteilung. Die Veräußerung von Geschäftsanteilen durch die öffentliche Hand an privatrechtlich organisierte Gesellschaften ist – isoliert gesehen – nicht ausschreibungspflichtig, so lange sie nicht mit der Vergabe eines hierin eingekapselten Beschaffungsverhältnis verbunden ist. Soweit sich die Anteilsveräußerung in einem bloßen Verkauf staatlichen Vermögens erschöpft, kein zeitlicher Zusammenhang mit einer Auftragsvergabe besteht, der Auftrag vielmehr – wie auch hier – vor Anteilsübertragung begonnen wurde und sich auch keine Indizien für eine künstliche Konstruktion ergeben, unterfallen Anteilsverkäufe der öffentlichen Hand nicht dem Vergaberecht. Es fehlt ihnen der Beschaffungscharakter, welcher aber Wesensmerkmal des öffentlichen Auftrages im Sinne von § 99 GWB ist (vgl. EuGH, Urteil vom 10. November 2005, C-29/04 – Stadt Mödling, zitiert nach juris; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, GWB, Bearbeitung 2006, § 99 GWB Rdn. 271; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 99 UWG Rdn. 82; Drügemöller/Conrad, VergabeR 2008, 651, 653; Jasper/Arnold, NZBau 2006, 24, 25).
Wenn der EuGH die Veräußerung von Geschäftsanteilen an einem Dienstleistungserbringer durch die öffentliche Hand schlechthin als eine vergaberechtsrelevante Vertragsänderung angesehen hätte, hätte er sein Urteil in der Rechtssache Stadt Mödling vom 10. November 2005 (C-29/ 04, Slg. 2005, I – 09705 zitiert nach juris) allein hierauf stützen können. So hat er seine Entscheidung aber nicht begründet. Er hat aber in dem Urteil gerade nicht festgestellt, dass Anteilsverkäufe der öffentlichen Hand stets vergabepflichtige Beschaffungsvorgänge darstellen, wenn dadurch private Unternehmen an Gesellschaften beteiligt werden, die entgeltliche Leistungen für öffentliche Auftraggeber erbringen. Er hat vielmehr eine Gesamtbetrachtung unterschiedlicher Indizien im konkreten Einzelfall vorgenommen, was aber darauf schließen lässt, dass Anteilsabtretungen der öffentlichen Hand, die nicht unmittelbar mit einer Auftragsvergabe zusammen hängen, aus Sicht des Vergaberechts nicht per se ausschreibungspflichtig sind (vgl. EuGH, Urteil vom 10. November 2005, Stadt Mödling, C-29/04, Slg. 2005, I-09705 zitiert nach juris; Jasper/Arnold, NZBau 2006, 24, 26; Drügemöller/Conrad, VergabeR 2008, 651, 653) und damit auch keine wesentliche Vertragsänderung für ein zugrunde liegendes Vertragsverhältnis begründen können.
Der Veräußerung von Geschäftsanteilen eines öffentlichen Auftraggebers an privatrechtlich organisierten Gesellschaften (materielle Privatisierung) kann danach aber im allgemeinen keine vergaberechtliche Bedeutung beigemessen werden.
(2) Eine andere vergaberechtliche Beurteilung ist allerdings dann geboten, wenn dem Auftrag eine In-house-Vergabe zugrunde lag.
Auch wenn die Anteilsveräußerung durch die öffentliche Hand nicht dazu führt, dass die zu erbringenden Dienstleistungen auf einen neuen Dienstleistungsträger übertragen werden, ließe sie aber jedenfalls die Voraussetzungen der Privilegierung des In-house-Geschäftes entfallen und führt damit – im Sinne der in der Pressetext-Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich -Entscheidung des EuGH vom 19. Juni 2008 (C-454/06) aufgestellten Grundsätze zu der einer Neuvergabe gleichgestellten wesentlichen Vertragsänderung – in das bestehende Vertragsverhältnis nachträglich neue Bedingungen ein, die zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe die Zulassung anderer als der ursprünglich zugelassenen Bieter oder die Annahme eines anderen als des ursprünglich angenommenen Angebots erlaubt und geboten hätten, wenn sie Gegenstand des ursprünglichen Vergabeverfahrens gewesen wären. Der Auftrag wäre unter diesen Bedingungen nämlich mangels Vorliegens eines In-house-Geschäftes ausschreibungspflichtig gewesen. Eine solche vertragswesentliche Änderung des bestehenden Auftrages muss aber zu einer Ausschreibungspflicht führen.
Der EuGH hat in der Rechtssache “Sea Srl/Comune di Ponte Nossa” mit Urteil vom 10. September 2009 (C-573/07) dementsprechend in einem obiter dictum festgestellt, dass im Falle einer In-house-Vergabe eines Auftrages an eine Gesellschaft mit öffentlichem Kapital, bei der das Grundkapital vollständig aus öffentlichen Mitteln besteht und kein konkreter Hinweis auf eine baldige Öffnung des Grundkapitals dieser Gesellschaft für private Teilhaber vorliegt, eine eine Ausschreibung erfordernde Änderung einer grundlegenden Bedingung dieses Auftrages dann anzunehmen ist, wenn zu einem späteren Zeitpunkt, aber immer noch innerhalb der Gültigkeitsdauer des Auftrages, Privatpersonen zur Beteiligung am Grundkapital der genannten Gesellschaft zugelassen werden.
Mit dem gesellschaftsrechtlichen Transfergeschäft wandelt sich das ursprüngliche Eigengeschäft in eine Fremdleistung um. Damit aber ist die vergaberechtliche Zulässigkeit der In-house-Vergabe, die allein im Falle einer Eigenleistung des öffentlichen Auftraggebers gerechtfertigt erscheint, entfallen. Die bei einer In-house-Vergabe vorliegende wirtschaftliche Identität zwischen Auftraggeber und Dienstleistungserbringer ist nach Anteilsabtretung aufgehoben, so dass es faktisch zu einer Neuvergabe des Auftrages kommt. Der öffentliche Auftraggeber und die durch Anteilsveräußerung entstandene gemischtwirtschaftliche Gesellschaft mit gemischt öffentlichem und privatem Kapital sind nämlich nunmehr rechtlich und wirtschaftlich zwei unterschiedliche Rechtsträger, und es hat sich im Hinblick auf die ursprünglich vorliegende In-house-Situation materiell gewissermaßen ein Vertragspartnerwechsel vollzogen (vgl. Shirvani, Vergaberechtliche Relevanz von öffentlich-privaten Partnerschaften nach der “pressetext Nachrichtenagentur”-Entscheidung des EuGH, VergabeR 2010, 21, 28; Bultmann/Hölzl, Rspr.-Anmerkung, VergabeR 2009, 893, 897; Klein, Veräußerung öffentlichen Anteils- und Grundstücksvermögens nach dem Vergaberecht, VergabeR 2005, 22, 28; Eilmannsberger, JurBl. 2001, 562, 574 ff). Wird die Gesellschaft privaten Anteilseignern geöffnet, so liegt hierin eine Wettbewerbsverfälschung und Diskriminierung potenzieller Bieter, die sich ursprünglich um den Auftrag wegen dessen In-house-Charakters nicht bewerben konnten (vgl. Shirvani, Vergaberechtliche Relevanz von öffentlich-privaten Partnerschaften nach der “pressetext Nachrichtenagentur”-Entscheidung des EuGH, VergabeR 2010, 21, 28).
Eine Teilprivatisierung einer auftragsausführenden Gesellschaft, deren Anteile bis dato vollständig von der öffentlichen Hand gehalten wurden, stellt sich danach in Bezug auf das vorausgehende In-house-Geschäft als eine wesentliche Vertragsänderung dar und löst die Pflicht zur Neuvergabe des betreffenden Auftrages aus.
(3) Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von der der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Sea Srl/Comune di Ponte Nossa vom 10. September 2009 zugrunde liegenden Sachverhaltskonstellation vielmehr dadurch, dass hier schon bei Abschluss des Entsorgungsvertrages am 29. November 2002 die Voraussetzungen einer In-house-Vergabe nicht vorgelegen haben, der Antragsgegner vielmehr zu Unrecht von einem vergaberechtsfreien Eigengeschäft ausgegangen ist, so dass von einer nachträglichen Änderung einer grundlegenden Bedingung des Auftrages im eigentlichen Sinne nicht die Rede sein kann.
Der öffentliche Auftrag vom 29. November 2002 hätte nicht ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens nach §§ 97 ff GWB an die gemischt wirtschaftlich geführte Beigeladene vergeben werden dürfen.
(a) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH setzt ein vergaberechtsfreies In-house-Geschäft, das bereits tatbestandlich nicht dem Anwendungsbereich des EG-Vergaberechts unterfällt, voraus, dass die den Auftrag erteilende Körperschaft der öffentlichen Hand über die betreffende Einrichtung eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt und die Einrichtung ihre Tätigkeit im wesentlichen für die öffentliche Stelle verrichtet, die ihre Anteile inne hat (vgl. EuGH, Urteil vom 18. November 1999, C-107/98, Teckal, Slg. 1999, I-8121; EuGH, Urteil vom 11. Januar 2005, C-26/03 – Stadt Halle und RPL Lochau – zitiert nach juris; EuGH, Urteil vom 10. November 20054, C-29/04, Stadt Modling, zitiert nach juris; EuGH, Urteil vom 10. September 2009, C-573/07, Sea-Srl und Comune di Ponte Nossa, zitiert nach juris). In der Rechtssache “Stadt Halle” und RPL Recyclingpark Lorchau GmbH vom 1. Januar 2005 (C-26/03) hat der EuGH überdies klar gestellt, dass die auch nur minderheitliche Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt ist, es auf jeden Fall ausschließt, dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass die Beziehung zwischen einer öffentlichen Stelle, die ein öffentlicher Auftraggeber ist, und ihren Dienststellen vornehmlich durch Überlegungen und Erfordernisse bestimmt wird, die mit der Verfolgung von allein im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammen hängen, während die Anlage von privatem Kapital in einem Unternehmen auf Überlegungen beruht, bei denen private Interessen vorherrschen und daher andere Ziele verfolgt. Im übrigen würde die Vergabe eines öffentlichen Auftrages an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen ohne Ausschreibung das Ziel eines freien und unverfälschten Wettbewerbs und den in der Richtlinie 92/50 genannten Grundsatz der Gleichbehandlung der Interessen beeinträchtigen, insbesondere weil ein solches Verfahren einem am Kapital dieses Unternehmen beteiligten privaten Unternehmen einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten verschaffen würde (EuGH, Urteil vom 11. Januar 2005, C-26/03, Stadt Halle, NZBau 2005, 111, 114 f, zitiert nach juris). Allein eine 100%-ige Beherrschung des Auftragnehmers durch den öffentlichen Auftraggeber kann danach die Annahme eines vergaberechtsfreien In-house-Geschäfts rechtfertigen.
(b) An dieser Voraussetzung fehlt es hier bereits. Das Kapital an der Beigeladenen stand zur Zeit der Auftragsvergabe keineswegs ausschließlich dem öffentlichen Auftraggeber allein bzw. zusammen mit weiteren öffentlichen Stellen zu. Die Beigeladene war vielmehr bereits im Jahre 2002 ein gemischt wirtschaftliches Unternehmen, an dem die öffentliche Hand als Mehrheitsgesellschafter einen Anteil hielt. An der Auftragnehmerin war daneben mittelbar über deren Mitgesellschafterin N. , die 49 % der Geschäftsanteile hielt, auch privates Kapital an der Gesellschaft beteiligt. Das Grundkapital der N. stand nämlich zu 49 % der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu. Diese mittelbare Beteiligung eines privaten Unternehmens hat es aber von Anfang an ausgeschlossen, dass der Antragsgegner über die W. eine ähnliche Kontrolle ausüben konnte, wie über eine seiner Dienststellen.
Auch die zweite Voraussetzung für die Annahme eines In-house-Geschäftes liegt hier nicht vor. Das Erfordernis, im wesentlichen nur für die öffentlichen Auftraggeber tätig zu sein, die sie kontrollieren, soll nach der Rechtsprechung des EuGH sicher stellen, dass die Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen anwendbar bleiben, wenn ein von einer oder mehreren Körperschaften kontrolliertes Unternehmen auf dem Markt tätig ist und daher mit anderen Unternehmen in den Wettbewerb treten kann. Ist das Unternehmen auf dem Markt tätig und erhielte es ohne Ausschreibung an sich dem Vergaberecht unterliegende Aufträge, träte eine Verfälschung des Wettbewerbs ein. Um dies zu verhindern, setzt ein vergaberechtsfreies Eigengeschäft des weiteren voraus, dass das Unternehmen hauptsächlich für die öffentliche Körperschaft, die seine Anteile innehaben, tätig wird und jede andere Tätigkeit allenfalls rein nebensächlich ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. April 2007, C-295/05 – Asemfo und Tragsa – zitiert nach juris; OLG Celle, Urteil vom 29. Oktober 2009, 13 Verg 8/ 09, IBR 2009, 732 zitiert nach juris).
Der Antragsgegner hat – unbestritten – vorgetragen, dass die öffentlichen Aufträge des Altkreises S. sowie des Altkreises M. L. tatsächlich nur einen untergeordneten Teil der Entsorgungstätigkeit der Beigeladenen ausmachen würden und diese im übrigen ihre Aufträge auf dem privatwirtschaftlichen Markt einholt. So habe sich der Anteil der von der Beigeladenen auf der Grundlage der mit dem Antragsgegner abgeschlossenen Entsorgungsverträge aus den Jahren 2002 und 2004 entsorgten Abfallmengen in den letzten drei Jahren auf lediglich durchschnittlich 21 % belaufen (Blatt 65 der Vergabeakte 1 VK LvwA 54/ 09); die Kommunalaufträge hätten in den vergangenen Jahren an den Umsätzen der Beigeladenen zwischen 18,1 % und 29,7 % beigetragen. Im übrigen erwirtschaftet die Beigeladene ihre Umsätze durch Drittaufträge. Danach aber kann nicht die Rede davon sein, dass die W. hauptsächlich für die öffentliche Körperschaft, die ihre Anteile hält, tätig wird und jede andere Tätigkeit nur rein nebensächlicher Natur sei(vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 19. April 2007, C-295/ 05 – Asemfo und Tragsa – zitiert nach juris; OLG Celle, Urteil vom 29. Oktober 2009, 13 Verg 8/09, IBR 2009, 732 zitiert nach juris).
Durch die Veräußerung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen konnte nach alledem eine In-house-Privilegierung nicht in Wegfall geraten, weil ein solcher Privilegierungstatbestand von Anbeginn an nicht vorgelegen hat. Die Anteilsübertragung hat den Anteil an privatem Kapital an der Beigeladenen vielmehr lediglich erhöht und damit den bereits bei Auftragsvergabe vorliegenden Zustand eines gemischt wirtschaftlichen Unternehmens perpetuiert, die Beschaffungsvoraussetzungen aber als solches nicht verändert.
(4) Soweit die Vergabekammer die hier in Rede stehende Fallkonstellation der Situation bei Vorliegen eines vergaberechtsfreien Eigengeschäftes, dessen Privilegierung durch die Anteilsveräußerung entfallen ist, aus allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen im Wege eines Erst-Recht- Schlusses gleich erachtet, weil sie dafür hält, dass der Antragsgegner, der die Vorzüge einer In-house-Privilegierung bei Vergabe der Entsorgungsleistungen im Jahre 2002 zunächst rechtsirrig für sich in Anspruch genommen hat, nicht besser gestellt werden dürfe als derjenige Auftraggeber, der die engen Voraussetzungen eines In-house- Geschäftes bei Vergabe des öffentlichen Auftrages tatsächlich erfüllt hat und sich damit rechtstreu verhalten hat, folgt der Senat dem nicht.
Für den von der Vergabekammer vollzogenen Erst-Recht-Schluss ist in dem für Beschaffungsvorhaben im Sinne des § 99 GWB eröffneten, formalisierten und justizförmlich ausgestalteten Nachprüfungsverfahren nach §§ 102 ff GWB auch aufgrund einer schutzzweckorientierten, funktionalen Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der gesetzlichen Schutzzwecke des Vergaberechts, nämlich der Gewährleistung eines freien Dienstleistungsverkehrs, dem Schutz eines freien und unverfälschten Wettbewerbs und der Gleichbehandlung, kein Raum. Mit der Anwendung des Erst-Recht-Schlusses ginge ein Verlust an Rechtssicherheit einher.
Für die Beurteilung einer eine Ausschreibungspflicht nach §§ 97 ff GWB auslösenden wesentlichen Änderung einer grundlegenden Bedingung des zugrunde legenden Auftrages muss im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit vielmehr grundsätzlich an objektive Kriterien angeknüpft werden. Ob ein ausschreibungspflichtiger Vorgang vorliegt, ist aus Gründen der Rechtssicherheit daher in der Regel anhand der objektiven Verhältnissen und Bedingungen zu prüfen, die zum Zeitpunkt der fraglichen Vergabe des öffentlichen Auftrages vorlagen (vgl. EuGH, Urteil vom 10. November 2005, C-29/ 04 – Stadt Mödling – Sgl. 2005, I – 09705 zitiert nach juris). Allein die rechtsirrige Vorstellung des Auftraggebers vom Vorliegen eines vergaberechtsfreien Eigengeschäftes kann einer auf objektive Gegebenheiten beruhenden, tatsächlichen Änderung der Vertragssituation durch Entfallen des Privilegierungstatbestandes bei erstmaliger Zulassung privater Investoren an einer Gesellschaft, deren gesamtes Grundkapital ursprünglich von dem öffentlichen Auftraggeber gehalten wurde, dagegen nicht gleich gestellt werden.
Die Eröffnung des Vergaberechtsweges darf nicht von den subjektiven Vorstellungen der Vergabestelle bei Auftragserteilung abhängen.
Deshalb kommt es für die Frage einer vertragswesentlichen Änderung des Auftrages durch Veräußerung der Geschäftsanteile an der Dienstleistungserbringerin nicht auf die seinerzeitigen subjektiven Erwägungen der Vergabestelle bei Vergabe des ursprünglichen Auftrages an.
Die Erforschung der subjektiven Motivlage der Vergabestelle bei Direktvergabe des Auftrages an ein gemischt wirtschaftliches Unternehmen durch die Nachprüfungsinstanz wird im übrigen allenfalls mit Schwierigkeiten möglich sein. Zudem handelt es sich bei den in § 97 GWB statuierten Zielen des Kartellvergaberechts um rein objektive Rechtsgewährleistungen, die mit einer Motiverforschung nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen sind (vgl. Klein, VergabeR 2005, 22, 27; Shirvani, VergabeR 2010, 21, 25 m.w.N.). Der Begriff des öffentlichen Auftrages darf über den gesetzlichen Wortlaut hinaus deshalb allenfalls mit großer Zurückhaltung ausgedehnt werden, was in jedem Fall sorgsam zu begründen wäre (vgl. Klein, VergabeR 2005, 22, 29).
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin gebietet eine an den gesetzlichen Schutzzwecken des Vergaberechts orientierte funktionale Betrachtung keine abweichende Beurteilung.
Zu Recht weist die Antragstellerin zwar darauf hin, dass die Vergabe eines öffentlichen Auftrages an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen ohne Ausschreibung mit den vergaberechtlichen Zielen eines freien und unverfälschten Wettbewerbs und den in der Richtlinie 92/ 50 genannten Grundsatz der Gleichbehandlung der Interessenten nicht vereinbar wäre, weil dem am Kapital dieses Unternehmens beteiligten privaten Unternehmen hierdurch ein Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten erwachsen würde (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Januar 2005, C-26/03 – Stadt Halle und RPL Recyclingpark Lorchau GmbH, Slg. 2005, I-00001 zitiert nach juris; Shirvani, VergabeR 2010, 21, 28).
Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz stand den an dem Auftrag ebenfalls interessierten Bietern aber seinerzeit durchaus offen. Der durch die Direktvergabe der Entsorgungsleistungen im Jahre 2002 an die als gemischt wirtschaftliches Unternehmen geführte Beigeladene insoweit begangene Vergaberechtsverstoß hätte nämlich ohne weiteres einer Nachprüfung nach Maßgabe der §§ 97 ff GWB unterzogen werden können. Der im Wege einer de facto-Vergabe erteilte öffentliche Auftrag vom 29. November 2002 war nach Maßgabe des § 13 VgV in der bis zum 23. April 2009 gültigen alten Fassung zweifellos ursprünglich angreifbar. Eine vergaberechtliche Nachprüfung der Vergabe des ursprünglichen Entsorgungsvertrages ist jedoch unterblieben, und deren Nachholung wäre nunmehr in jedem Fall unzulässig. Dabei kann der Senat dahin gestellt sein lassen, ob der Zulässigkeit eines nachgeholten Nachprüfungsbegehrens bereits die Präklusionsvorschrift des § 107 Abs. 3 GWB a.F. entgegen stehen würde oder ob bei einer de facto- Vergabe auch schon nach alter Rechtslage eine Rügepräklusion von vorneherein ausgeschlossen war, so wie es nunmehr die Neufassung des § 107 Abs. 3 GWB aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. April 2009 nunmehr ausdrücklich vorsieht (vgl. OLG Celle Urteil vom 29. Oktober 2009, 13 Verg 8/09, IBR 2009, 732 zitiert nach juris). Denn jedenfalls ist das Nachprüfungsrecht der Antragstellerin in jedem Fall wegen Zeitablaufs nach § 242 BGB verwirkt und der Entsorgungsvertrag aus dem Jahre 2002 damit letztlich “bestandskräftig” geworden.
Die Antragstellerin, die seinerzeit davon absah, ein Nachprüfungsverfahren wegen des Vergaberechtsverstoßes anzustrengen, obwohl sie von dem Fehlen einer In-house-Privilegierung damals unstreitig Kenntnis hatte und als Anteilseignerin an der N. von dem Eigengeschäft selbst profitierte, kann nun nicht aufgrund des als solchen ausschreibungsfreien Anteilsverkauf der E. an der Beigeladenen, der den Anteil privaten Kapitals an dem Dienstleistungserbringer lediglich weiter erhöht hat, den vergangenen Vergabefehler wieder aufgreifen und zumindest mittelbar im Wege eines Erst-Recht-Schlusses zum Gegenstand eines neuen Nachprüfungsverfahrens machen. Ist der ursprüngliche Auftrag – wie hier – vergaberechtswidrig ohne Ausschreibung und ohne gesetzliche Rechtfertigung durch eine In-house-Konstellation direkt an eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft vergeben worden, kann es nicht angehen, dass dieser Rechtsanwendungsfehler nun dadurch geheilt werden soll, dass eine sehr viel spätere Anteilsveräußerung als mittelbarer Beschaffungsakt gedeutet und damit dem Vergaberecht unterworfen wird (vgl. Klein, VergabeR 2005, 22, 29; Shirvani, VergabeR 2010, 21, 29).
Auch nach dem Sinn und Zweck des Vergaberechts, die Grundfreiheiten und den unverfälschten Wettbewerb im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu gewährleisten, ist eine erneute Ausschreibung nicht mehr erforderlich.
(5) Eine Ausschreibungspflicht kann sich hier schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der vergaberechtlichen Schutzbestimmungen ergeben.
Einen Umgehungstatbestand vermag der Senat nicht zu erkennen. Soweit die Antragstellerin meint, der Antragsgegner habe durch die Veräußerung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen die vollständige Privatisierung der Beigeladenen befördert und in wirtschaftlicher Hinsicht damit letztlich eine faktische Vertragsübernahme durch die R. – GmbH bewirkt, kann der Senat dem so nicht folgen. Für das Vorliegen einer entsprechenden Manipulation durch den Antragsgegner zur Umgehung vergaberechtlicher Bestimmungen bestehen – bei funktionaler Gesamtbetrachtung des der Anteilsveräußerung zugrunde liegenden Sachverhaltes – nach Lage der Akten keine hinreichenden Anhaltspunkte. Eine auf Umgehung der vergaberechtlichen Bestimmungen und Verschleierung einer tatsächlich bestehenden Ausschreibungspflicht abzielende künstliche Konstruktion, wie sie der EuGH in dem in der Rechtssache Stadt Mödling getroffenen Urteil vom 10. November 2005 (C-29/04, Sgl. 2005, I – 09705 zitiert nach juris) dargestellt hat, ist im Streitfall nicht feststellbar. Der zeitliche Abstand zwischen der Vergabe des öffentlichen Auftrages im Jahre 2002 und der hier in Rede stehenden Anteilsveräußerung vom 04. Juli 2009 spricht bei der insoweit gebotenen gesamtwirtschaftlichen Betrachtung vielmehr gegen die Annahme eines einheitlichen Vorgangs mit Umgehungsabsicht. Inzwischen hatte sich die Situation für alle Beteiligten nämlich nicht unwesentlich verändert. Die beiden Landkreise S. und M. L. waren zum Landkreis M. zusammen gelegt worden. Der neue Landkreis hatte die bislang unterschiedlichen Organisationsstrukturen der Abfallwirtschaft aus den beiden früheren Landkreisen neu auszurichten. Gleichzeitig veränderten sich die Rahmenbedingungen der Abfallwirtschaft insgesamt.
Dass der Veräußerungszweck allein darin bestand, der R. den Zugriff auf die öffentlichen Aufträge zu ermöglichen bzw. diese faktisch auf die R. überzuleiten, kann weder der zur Akte gereichten Beschlussvorlage des Antragsgegners vom 23. März 2009, noch dem Geschäftsanteilskaufvertrag vom 04. Juli 2009 selbst zweifelsfrei entnommen werden.
In der Beschlussvorlage des Landkreises M. vom 23.03.2009 für die Kreistagssitzung vom 01.04.2009 werden umfangreich die wirtschaftlichen Folgen einer Insolvenz der W. für den Landkreis unter verschiedenen Gesichtspunkten, z.B. auch hinsichtlich einer von der Sparkasse M. gestellten Bürgschaft und hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die E. dargestellt. Auch die Auswirkungen auf die R. Gruppe aufgrund der mit dieser bestehenden laufenden Geschäftsverbindung werden dargestellt. Anschließend wird die später vollzogene Lösung u.a. durch den Verkauf der Geschäftsanteile vorgeschlagen. Nachdem die vergaberechtlichen “Risiken” auch unter dem Gesichtspunkt dargestellt werden, dass von Seiten eines angerufenen Gerichtes ein Umgehungsgeschäft angenommen werden könnte, wird vorgeschlagen, für einen solchen Fall die einvernehmliche Aufhebung der bei der W. bestehenden Dienstleistungsverträge vorzusehen. Es heißt hierzu wörtlich: “”Für den Fall, dass ein Gericht feststellen sollte, dass der Kauf- und Abtretungsvertrag zwischen der E. GmbH und R. über die Geschäftsanteile der E. GmbH (51 %) an der W. GmbH, deshalb (vergabe)rechtswidrig ist, weil hiermit auch die Verträge des Landkreises M. zur “Teilübertragung der Abfallwirtschaft” vom 29.11.2002 und zur “Entsorgung der Restabfälle des Landkreises M. L. ab 01.06.2005″ vom 25.05.2004 übergegangen sind, verpflichten sich der Käufer und der Landkreis M. zur Sicherung des Anteilsverkaufs die vorgenannten Dienstleistungsverträge einvernehmlich aufzuheben. Der Landkreis M. wird die Verträge sodann unverzüglich neue ausschreiben, sodass auch der Käufer Gelegenheit erhält hierzu ein Angebot abzugeben.” Mit der Aufnahme einer solchen Klausel signalisieren die Vertragsparteien, dass nicht die Dienstleistungsverträge im Mittelpunkt des Kauf- und Abtretungsvertrages stehen, sondern die Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz der W. GmbH” Diese in der Informationsvorlage nieder gelegten Erwägungen machen deutlich, dass die Veräußerung der Geschäftsanteile keineswegs wirtschaftlich in eine Gesamtkonstruktion eingebettet ist, deren Z i e l die Umgehung des Vergaberechts ist. Dass der neue Gesellschafter nunmehr anstelle des alten an den vorhandenen längerfristigen Entsorgungsverträgen mitverdient, reicht für sich allein genommen für eine solche Annahme nicht aus. Die in der Beschlussvorlage angestellten Überlegungen zeigen vielmehr, dass man die Anteilsveräußerung auch ohne die vorhandenen o.a. Entsorgungsverträge gewollt hat. Der Formulierungsvorschlag hat zwar dann in den Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsvertrag vor dem Notar B. am 04. Juli 2009 keinen Eingang gefunden. Dieser Umstand kann aber nicht schon als Beleg dafür dienen, dass die gewählte Vertragskonstruktion – entgegen den in der Beschlussvorlage angestellten Erwägungen – nun doch auf Umgehung einer Neuausschreibung angelegt war.
Gemäß Abschnitt II) des notariell beurkundeten Anteilskaufvertrages waren sich die Vertragsparteien darüber einig, dass die Veräußerung der Geschäftsanteile der E. der Sanierung der Gesellschaft und damit der Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Beigeladenen dienen sollte.
Dass sich die R. als Anteilserwerberin nach Abschnitt XIII Ziffer 1 lit.a) des Vertrages ein Rücktrittsrecht für den Fall vorbehalten hat, dass der Antragsgegner die Entsorgungsverträge aus den Jahren 2002 und 2005 vorzeitig beendet, ist aus ihrer Sicht wirtschaftlich verständlich. Gleichwohl ist es kein Indiz dafür, dass es ihr in erster Linie um den Erwerb dieser Entsorgungsverträge ging. Dagegen spricht bereits, dass diese Kommunalaufträge unstreitig nur circa ein Viertel der durch die Beigeladene erwirtschafteten Umsätzen ausmachen und für deren Unternehmenserfolg dementsprechend nicht allein entscheidend sind.
Die R. hat zwar auch die Geschäftsanteile der N. vom Insolvenzverwalter erworben und diesen Erwerb und den der Geschäftsanteile der E. an der W. im Zusammenhang gesehen, was die in Abschnitt XIII Ziffer 1 lit.b) vereinbarte Rücktrittsklausel deutlich macht. Dabei ist jedoch wiederum zu bedenken, dass mit dem Erwerb der Geschäftsanteile der E. sowohl der Antragsgegner als auch die Käuferin verschiedene Interessen verfolgten und sich keineswegs allein auf das Schicksal der beiden Entsorgungsverträge fokussierten.
Der Senat vermag daher auch in der Gesamtschau der Verträge keine gezielte Umgehung der vergaberechtlichen Bestimmungen hinsichtlich der Entsorgungsverträge anzunehmen. werden.
Der vergaberechtliche Primärrechtsschutz ist nach alledem hier mangels eines entgeltlichen Beschaffungsvorganges im Sinne des § 99 GWB nicht eröffnet, denn in der Veräußerung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen liegt keine eine Ausschreibungspflicht auslösende, wesentliche Änderung des bestehenden Entsorgungsvertrages vom 29. November 2002.
Auf die von der Vergabekammer verneinte Frage, ob die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag gemäß § 101 b Abs. 2 S. 1 GWB rechtzeitig binnen 30 Tagen ab Kenntnis des Vergabeverstoßes angebracht hat, kommt es unter diesen Umständen nicht mehr streitentscheidend an.

III.

Kurz belichtet: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.12.2024 – Verg 24/24

Kurz belichtet: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.12.2024 - Verg 24/24

1. Die Teilnahme eines Unternehmens am Vergabeverfahren, das den Auftraggeber bereits in dessen Vorfeld beraten oder unterstützt hat, kann grundsätzlich als Gefährdung eines ordnungsgemäßen Wettbewerbs angesehen werden. Trotz dieser Gefahren ist die Teilnahme vorbefasster Unternehmen an dem Vergabeverfahren grundsätzlich zulässig. Dem Auftraggeber obliegt dabei die Verpflichtung, den Wissensvorsprung des einen Bieters durch Information aller anderen Bieter auszugleichen.

2. Es liegt grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des öffentlichen Auftraggebers, welche Maßnahmen er zur Herstellung eines fairen Wettbewerbs ergreift und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bewerten, ob bei einer Beteiligung des Projektanten der Grundsatz des fairen Wettbewerbs gewahrt wird. Da der öffentliche Auftraggeber dafür Sorge zu tragen hat, dass dem Projektanten im Vergleich zu seinen Wettbewerbern kein überlegenes Angebot ermöglicht wird, dürfen dem Projektanten aufgrund seines Wissensvorsprungs auch durch die festgelegten Eignungs- und Zuschlagskriterien keine Wertungsvorteile entstehen.

3. Der rügende Bieter als derjenige, die eine unzureichende Mitteilung gesammelter Informationen durch vorbefasste Personen geltend macht, hat darzulegen, welche Informationen dies sein sollen und jedenfalls im Ansatz darzutun, dass diese Informationen wettbewerbsrelevant sind.

Kurz belichtet: VK Südbayern, Beschluss vom 22.10.2024 – 3194.Z3-3_01-24-38

Kurz belichtet: VK Südbayern, Beschluss vom 22.10.2024 - 3194.Z3-3_01-24-38

Wird der Entwurf eines Nachprüfungsantrags kurz vor Einreichung des Nachprüfungsantrags an den öffentlichen Auftraggeber als Rüge übermittelt, so genügt dies der Rügeobliegenheit des § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB. Wird sofort nach der Rüge ein Nachprüfungsantrag gestellt, ohne dem Auftraggeber irgendeine Reaktionszeit einzuräumen, so ist dies über eine Kostentragungspflicht des Antragstellers zu lösen, wenn der Auftraggeber sofort einlenkt.