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Kurz belichtet: Direktauftrag

Kurz belichtet: Direktauftrag

Für Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge muss bis zu einem definierten Auftragswert kein Vergabeverfahren durchgeführt werden.

Es kann dann auf allgemein zum Beispiel im Internet zugängliche Angebote zurückgegriffen werden. Für die Bedarfsfeststellung und die Beschaffungsentscheidung gelten die haushaltsrechtlichen Bestimmungen.

Zum Nachweis der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Direktauftrags besteht eine Mindestdokumentationspflicht, das heißt, dass zumindest die Ermittlung von Vergleichspreisen zu erfassen ist (formlose Preisermittlung). Ist dies nicht möglich oder unzweckmäßig, ist die Wirtschaftlichkeit der Beschaffungsmaßnahme in anderer geeigneter Weise darzulegen.

VGH Baden-Württemberg zu der Frage der Einsicht in eine Sitzungsniederschrift

VGH Baden-Württemberg zu der Frage der Einsicht in eine Sitzungsniederschrift

vorgestellt von Thomas Ax

§ 38 Abs. 2 Satz 4 GemO gewährt Gemeindeeinwohnern nur dann Einsicht in eine Sitzungsniederschrift, wenn die betroffene Gemeinderatssitzung tatsächlich öffentlich stattgefunden hat. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO ist im Sinne des § 1 Abs. 3 LIFG eine Rechtsvorschrift, die den Zugang zu amtlichen Informationen vorrangig und abschließend regelt. Anspruchsberechtigung, Anspruchsverpflichtung und Anspruchsgegenstand kennzeichnen § 38 Abs. 2 Abs. 4 GemO als eine “Teilmenge” des allgemeinen Informationszugangsrechts nach § 1 Abs. 2 LIFG speziell und abschließend geregelt ist im § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO auch die Art des Informationszugangs (Einsichtnahme in Sitzungsniederschrift). Selbst wenn § 1 Abs. 2 LIFG entgegen § 1 Abs. 3 LIFG neben § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO anwendbar wäre, stünde die gemeinderechtliche Bestimmung gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 LIFG als Ablehnungsgrund einem LIFG (juris: InfFrG BW)-Begehren auf Zugang zu der Niederschrift einer nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung entgegen. Was nach fachgesetzlichen Vorschriften geheim gehalten werden muss, bleibt auch unter der Geltung des Landesinformationsfreiheitsgesetzes geheim.

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.02.2020 – 10 S 1229/19

Tatbestand

Der Kläger ist Einwohner der Beklagten. Mit Antrag vom 04.01.2017 hat er unter Berufung auf das Landesinformationsfreiheitsgesetz (LIFG)

“Einsicht in das Protokoll der nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung vom 01.12.2016 zu dem TOP, dessen Gegenstand die Abwassergebührennachkalkulation 1994-1996 vom Dezember 2016 war”

beantragt. Die Beklagte hat den Antrag abgelehnt, der Widerspruch ist zurückgewiesen worden. Mit der am 14.07.2017 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Die Klage wurde abgewiesen. Der Senat macht sich die Feststellungen des Verwaltungsgerichts in vollem Umfang zu eigen und nimmt deshalb Bezug auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (§ 130b Satz 1 VwGO).

Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der Kläger habe nach § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO keinen Anspruch auf Einsicht in die Niederschrift der nichtöffentlichen Sitzung des Gemeinderats der Beklagten vom 01.12.2016. Der Kläger sei zwar Einwohner der Beklagten, ein Anspruch auf Einsichtnahme in Niederschriften nichtöffentlicher Gemeinderatssitzungen stehe jedoch ausschließlich Gemeinderäten zu; der Kläger sei indes kein Mitglied des Gemeinderates der Beklagten. Ein Anspruch bestehe auch dann nicht, wenn der Gemeinderat unter Verstoß gegen § 35 Abs. 1 GemO nichtöffentlich verhandelt habe; denn § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO stelle nach Wortlaut, Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck darauf ab, dass die Sitzung tatsächlich “öffentlich” gewesen sei. Der Kläger habe auch keinen Anspruch nach § 1 Abs. 2 LIFG; gemäß § 1 Abs. 3 LIFG gehe § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO dem allgemeinen Informationsanspruch aus § 1 Abs. 2 LIFG vor und regele die Einsicht in die Sitzungsniederschriften des Gemeinderates abschließend. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO und § 1 Abs. 2 LIFG stimmten in der Zielsetzung, nämlich der Stärkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes sowie der Teilhabe der Bürger an der demokratischen Meinungs- und Willensbildung, überein. Die Gesetzesmaterialien zum LIFG dokumentierten, dass § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO gegenüber § 1 Abs. 2 LIFG eine abschließende Spezialregelung sei. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO schließe eine Einsichtnahme in Niederschriften nichtöffentlicher Gemeinderatssitzungen für Einwohner abschließend aus.

Mit Schriftsatz vom 02.05.2019, eingegangen am 06.05.2019, hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung gegen das Urteil vom 27.03.2019, zugestellt am 09.04.2019, eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft der Kläger seinen erstinstanzlichen Vortrag. Der Kläger rügt die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO und moniert die Untätigkeit der Rechtsaufsichtsbehörde. Im Schriftsatz vom 03.12.2019 hebt der Kläger die aus seiner Sicht entscheidungserhebliche Frage nochmals hervor, ob der Ausschluss des Informationsbegehrens auf der Grundlage des LIFG auch dann greife, wenn die nichtöffentliche Vorberatung eines Satzungsbeschlusses rechtswidrig gewesen sei und diese Rechtswidrigkeit zur Nichtigkeit des Satzungsbeschlusses führe. Es gehe darum, ein Fehlverhalten der Verwaltung bezüglich der Abwassergebührennachkalkulation aufzudecken; das Verwaltungsgericht habe über den Verstoß gegen § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO befinden müssen. Im Verhältnis der beiden Anspruchsgrundlagen sei eine Deckungsgleichheit in den Zielsetzungen zwischen § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO und § 1 Abs. 2 LIFG entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht gegeben. Schon nach dem Kreis der jeweils Berechtigten würden unterschiedliche Zielgruppen erfasst. Sodann normiere § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO nur ein eingeschränktes Informationsrecht mit eingeschränkter Kontrolle der Arbeit des Gemeinderates, während § 1 LIFG im Interesse einer modernen Informationsgesellschaft ein voraussetzungsloses umfassendes Informationsrecht normiere, dessen Ziel es nicht sei, Mängel der Verwaltung der Beklagten zu schützen; vielmehr werde die Transparenz der Verwaltung vergrößert. Sei demnach der Anspruch gemäß § 1 Abs. 2 LIFG gegeben, könne dem Begehren allenfalls ein Ablehnungsgrund nach § 4 Abs. 1 Nr. 6 LIFG entgegenstehen; ein besonderer öffentlicher Belang, der den beantragten Informationszugang hindere, sei jedoch nicht ersichtlich.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27.03.2019 – 1 K 5856/17 – zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 27.01.2017 und den Widerspruchsbescheid des Landratsamts Schwarzwald-Baar-Kreis vom 07.07.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die vom Kläger beantragte Einsicht in die Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung des Gemeinderates am 01.12.2016 in Sachen Abwassergebührennachkalkulation 1994-1996 vom Dezember 2016 zu gewähren, hilfsweise über den Antrag des Klägers unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden;

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für erforderlich zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hebt die Beklagte hervor, das Verwaltungsgericht habe zutreffend entschieden. Ferner verweist die Beklagte auf ihren erstinstanzlichen schriftsätzlichen Vortrag. Ergänzend betont die Beklagte, zum Schutz nichtöffentlicher Gemeinderatssitzungen könne der Gesetzgeber, wie in § 38 Abs. 2 GemO erfolgt, regeln, dass die Beratung und Willensbildung in nichtöffentlichen Sitzungen auch dadurch Schutz erfahre, dass den Einwohnern nur die Einsichtnahme in die Niederschriften über die öffentlichen Sitzungen gestattet sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Senat vorliegenden Akten des Verwaltungsverfahrens und des Verwaltungsgerichts Freiburg sowie auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. § 1 Abs. 2 LIFG ist nicht anwendbar, sondern wird angesichts der bestehenden Normenkonkurrenz (II.) durch die abschließende Spezialbestimmung des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO verdrängt (III.). Es gilt danach der Vorrang des Fachrechts gegenüber dem allgemeinen Informationszugangsrecht (IV.). Die Voraussetzungen des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO liegen indessen nicht vor (I.).

I.

Nach § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO ist den Einwohnern der Gemeinde die Einsichtnahme in die Niederschriften über die öffentlichen Sitzungen des Gemeinderates gestattet. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind nicht erfüllt. Der Kläger ist zwar Einwohner der Beklagten, er begehrt jedoch nicht eine Einsichtnahme in die Niederschrift über eine öffentliche Sitzung. Die Sitzung vom 01.12.2016, um die es hier geht, ist eine nichtöffentliche Sitzung gewesen; das bestreitet auch der Kläger nicht. Er meint allerdings, die betreffende Sitzung hätte nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO öffentlich stattfinden müssen und die Niederschrift einer zu Unrecht nichtöffentlich abgehaltenen Gemeinderatssitzung stehe einer Niederschrift im Sinne des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO gleich, sodass ihm die Einsichtnahme zu gestatten sei. Wie das Verwaltungsgericht richtig erkannt hat, spricht allerdings gegen die vom Kläger postulierte Gleichstellung schon der Wortlaut von § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO. Die Vorschrift knüpft tatbestandsmäßig allein an die Tatsache an, ob es sich um “Niederschriften über die öffentlichen Sitzungen” handelt, also ob tatsächlich öffentlich verhandelt worden ist. Hätte der Gesetzgeber etwas Anderes gewollt, hätte er dies unschwer zum Ausdruck bringen können (Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 52). Die normative Anknüpfung an die Faktizität der Öffentlichkeit der Sitzung zeigt sich auch darin, dass § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO selbst dann keine Einsicht in die Niederschriften nichtöffentlicher Sitzungen gestattet, wenn die Gründe für die Nichtöffentlichkeit der Sitzung inzwischen weggefallen sind (Aker in Aker/Hafner/Notheis, GemO BW, 2. Aufl., § 38 Rn. 13) oder wenn die Schweigepflicht der Gemeinderäte mittlerweile aufgehoben worden ist (Bock in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, EL September 2016, § 38 Rn. 8). Dafür, dass für das Recht auf Einsichtnahme aus § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO entscheidend ist, ob eine öffentliche Sitzung des Gemeinderates stattgefunden hat, sprechen auch gewichtige Gründe der Verwaltungspraktikabilität und der kommunalverfassungsrechtlichen Ordnung. Da das den Einwohnern von § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO eingeräumte Recht, Einsicht in die Niederschriften öffentlicher Sitzungen zu nehmen, in zeitlicher Hinsicht nicht begrenzt worden ist, wäre der Bürgermeister als Leiter der Gemeindeverwaltung und Vertreter der Gemeinde (§ 42 Abs. 1 GemO) auf ein entsprechendes Einsichtsgesuch hin genötigt, auch bei Vorgängen, die unter Umständen schon Jahrzehnte zurückliegen, im Einzelfall zu prüfen, ob seinerzeit zu Recht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz GemO ausgegangen worden ist. Dies würde nicht nur an faktische Grenzen stoßen, sondern auch das für die Entscheidung über den Ausschluss der Sitzungsöffentlichkeit kommunalverfassungsrechtlich vorgesehene Organisationsgefüge in Frage stellen (hierzu vgl. Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 52 f.). Eine inzidente Prüfung zur Einhaltung bzw. Nichteinhaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes für Gemeinderatssitzungen im Rahmen des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO scheidet daher aus. Offenlassen, da nicht (mehr) entscheidungserheblich, kann der Senat die – vom Verwaltungsgericht wohl verneinte – Frage, ob aus dem Öffentlichkeitsgrundsatz in § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO ein gerichtlich einklagbares subjektives Recht Interessierter auf Zutritt zu Sitzungen der Gemeindevertretung, von denen die Öffentlichkeit nicht rechtmäßig ausgeschlossen worden ist, folgt (bejahend z. B. Gern/Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl., Rn. 626; Lange, Kommunalrecht, 2. Aufl., Kap. 7 Rn. 90; verneinend z. B. BayVGH, Beschluss vom 04.02.2016 – 4 ZB 15.2506 – juris; Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 53).

Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe zu § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO sieht der Senat ab, da im Übrigen die Berufung insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen ist (§ 130b Satz 2 VwGO).

II.

Sofern der Zugang zu amtlichen Informationen in anderen Rechtsvorschriften abschließend geregelt ist, gehen diese – mit Ausnahme der hier nicht relevanten §§ 29 VwVfG, 25 SGB X – gemäß § 1 Abs. 3 LIFG dem Informationszugangsanspruch nach § 1 Abs. 2 LIFG, auf den sich der Kläger stützt, vor. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO stellt im Sinne des § 1 Abs. 3 LIFG eine abschließende Informationszugangsregelung dar. Das LIFG ist in seiner Grundstruktur dem IFG des Bundes nachgebildet (LT-Drs. 15/7720, S. 25). Das gilt insbesondere auch für § 1 Abs. 3 LIFG (Sicko in Debus, Informationszugangsrecht Baden-Württemberg, 2017, § 1 LIFG Rn. 20). Deshalb können die zu § 1 Abs. 3 IFG Bund gewonnenen Erkenntnisse im vorliegenden Zusammenhang herangezogen werden.

1. § 1 Abs. 3 LIFG setzt eine Normenkonkurrenz voraus und löst die dadurch bewirkte Normenkollision dergestalt auf, dass der Anspruch nach § 1 Abs. 2 LIFG zurücktritt, “soweit besondere Rechtsvorschriften den Zugang zu amtlichen Informationen abschließend regeln” (so LT-Drs. 15/7720, S. 58). “Rechtsvorschriften” im Sinne des § 1 Abs. 3 LIFG sind Rechtsnormen mit Außenwirkung (Beyerbach in BeckOK, Informations- und Medienrecht, 23. Edition 01.02.2019, § 1 LIFG Rn. 11; Sicko a. a. O. Rn. 24, 25). § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO erfüllt diese Voraussetzung offensichtlich.

Bei § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO handelt es sich auch um eine “Rechtsvorschrift”, die den “Zugang zu amtlichen Informationen” regelt. Gefordert ist insoweit eine Rechtsnorm, die einen mit § 1 Abs. 2 LIFG abstrakt identischen sachlichen Regelungsgehalt aufweist (Sicko a. a. O. Rn. 24; zu § 1 Abs. 1 IFG Bund BVerwG Urteil vom 29.06.2017 – 7 C 24.15 – E 159, 194 Rn. 16; BVerwG Urteil vom 22.03.2018 – 7 C 30.15NVwZ 2018, 1401 Tz. 16). Der Regelungsgehalt wird durch den Tatbestand der jeweiligen Norm geprägt, also durch die Antrags- bzw. Anspruchsberechtigung, die Informationsverpflichtung und den Gegenstand des Informationszugangs (Sicko a. a. O. Rn. 26); ergänzend tritt hier die Art des Informationszugangs hinzu. Bestehen bezüglich jener Strukturmerkmale Überschneidungen zwischen der fachgesetzlichen Bestimmung und § 1 Abs. 2 LIFG, liegt eine Normenkonkurrenz im Sinne des § 1 Abs. 3 LIFG vor (Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 54).

2. Der Vergleich zwischen § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO und § 1 Abs. 2 LIFG zeigt, dass bei allen vier Elementen Überschneidungen zwischen dem fachgesetzlichen Informationszugangsrecht und dem allgemeinen Informationszugangsanspruch bestehen. Im Ergebnis stellt § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO eine “Teilmenge” des § 1 Abs. 2 LIFG dar.

a) Anspruchsberechtigt sind nach § 1 Abs. 2 LIFG “Antragsberechtigte”. Das sind nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 1 LIFG unter anderem alle natürlichen Personen. Das Recht auf Einsichtnahme in Sitzungsniederschriften steht gemäß § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO den “Einwohnern” zu; das ist jede Person, die in der Gemeinde wohnt (§ 10 Abs. 1 GemO). Danach repräsentiert der durch § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO berechtigte Personenkreis eine “Teilmenge” der nach § 1 Abs. 2 LIFG anspruchsberechtigten natürlichen Personen.

Ob die “andere Rechtsvorschrift” im Sinne des § 1 Abs. 3 LIFG eine Deckungsgleichheit mit dem nach § 1 Abs. 2 LIFG berechtigten Personenkreis aufweist, ist für die Normenkonkurrenz unerheblich (Sicko a. a. O. Rn. 26; zum Bundesrecht Debus in BeckOK, Informations- und Medienrecht, 23. Edition 01.02.2019, § 1 IFG Rn. 182). Mehr noch, ist fachgesetzlich lediglich ein nach bestimmten Kriterien festgelegter engerer Personenkreis als nach dem allgemeinen Informationsfreiheitsgesetz berechtigt, so ist dies ein starkes Indiz dafür, dass eine spezielle Regelung des Fachrechts vorliegt, die das LIFG verdrängt (BfDI, 4. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit für die Jahre 2012 und 2013, BT-Drs. 18/1200, S. 93, zum IFG des Bundes).

b) Anspruchsverpflichtet sind nach § 1 Abs. 2 LIFG die “informationspflichtigen Stellen”. Das sind gemäß § 3 Nr. 2 LIFG alle Stellen im Anwendungsbereich des § 2 LIFG. Darunter befinden sich auch die Gemeinden (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 LIFG). Das Recht der Einwohner auf Einsichtnahme im Sinne des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO richtet sich an die Gemeinde. Demnach besteht eine Deckungsgleichheit beim informationspflichtigen Rechtssubjekt. Folglich ist auch diese wesentliche Voraussetzung für die Normenkonkurrenz (vgl. Debus a. a. O. Rn. 182) erfüllt.

c) Gegenstand des Informationszugangs sind nach § 1 Abs. 2 LIFG “amtliche Informationen”. Erfasst ist gemäß § 3 Nr. 3 LIFG jede bei einer informationspflichtigen Stelle bereits vorhandene, amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO vermittelt einen Zugang zu den “Niederschriften” über die öffentlichen Sitzungen des Gemeinderates. Diese “Niederschriften” erfüllen nicht nur die Anforderungen an “amtliche Informationen”, eine Niederschrift ist sogar eine öffentliche Urkunde mit der erhöhten Beweiskraft nach §§ 415 ZPO (BGH, Urteil vom 23.04.2015 – III ZR 195/14NVwZ-RR 2015, 630 Tz. 18; Aker a. a. O. Rn. 9; Bock a. a. O. Rn. 1; Gern/Brüning a. a. O. Rn. 690; Lange a. a. O. Kap. 7 Rn. 209). Auch in Bezug auf den Gegenstand des Informationszugangs deckt sich § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO mit § 1 Abs. 2 LIFG und erfasst einen spezifischen Teil von “amtlichen Informationen” im Sinne des allgemeinen Informationsfreiheitsrechts.

d) Nach den jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen sind § 1 Abs. 2 LIFG und § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO somit durch einen abstrakt identischen sachlichen Regelungsgegenstand gekennzeichnet; eine Normenkonkurrenz liegt daher vor. Hinzu tritt eine Überschneidung im Sinne einer partiellen Deckungsgleichheit bei der Art des Informationszugangs. Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 LIFG kann Auskunft erteilt, Akteneinsicht gewährt oder die begehrte Information in sonstiger Weise zur Verfügung gestellt werden. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO sieht die “Einsichtnahme” in die Sitzungsniederschriften vor. Auch in diesem Punkt erfasst das Fachrecht eine “Teilmenge” des allgemeinen Informationsfreiheitsrechts.

III.

Der Informationszugang nach § 1 Abs. 2 LIFG wird gemäß § 1 Abs. 3 LIFG von der anderen, d. h. speziellen Rechtsvorschrift verdrängt, sofern der Zugang zu amtlichen Informationen spezialgesetzlich “abschließend geregelt ist”. Ob dies der Fall ist, kann nur auf Grund einer bereichsspezifischen Analyse des einschlägigen Fachrechts beantwortet werden. Die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 LIFG weist zwar darauf hin, spezielle und abschließende Regelungen existierten für öffentliche Sitzungen kommunaler Gremien, betont dann aber, ob und inwieweit “eine andere Regelung abschließend ist, ist eine Frage des Einzelfalles” (so LT-Drs.15/7720, S. 58).

1. Der Kläger könnte sein Informationsbegehren allenfalls dann auf § 1 Abs. 2 LIFG stützen, wenn das zeitlich ältere Gesetz (hier: § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO) deshalb keinen Vorrang hätte, weil das LIFG einen Mindeststandard im Informationsfreiheitsrecht statuierte, der von älterem Fachrecht nicht unterschritten werden darf. Dazu wird im Schrifttum unter Hinweis auf den älteren § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO in der Tat die Auffassung vertreten, diese Vorschrift solle “wohl eher ein Mindestmaß an Transparenz gewährleisten”; eine Beschränkung des Informationszugangs unter die durch das LIFG geschaffenen allgemein gültigen Standards “dürfte damit nicht bezweckt sein” (so Sicko a. a. O. Rn. 35).

Diese spekulativen Überlegungen finden im geltenden Recht keine Grundlage. Dem Vorschlag (zum IFG des Bundes), in einem modernen Informationsfreiheitsgesetz Mindeststandards zu statuieren (Schoch/Kloepfer, Informationsfreiheitsgesetz, IFG-ProfE, 2002, § 2 Rn. 27 ff.), ist der Gesetzgeber mit § 1 Abs. 3 IFG Bund bewusst nicht nachgekommen (Schmitz/Jastrow NVwZ 2005, 984, 989); folgerichtig erklärt die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 IFG Bund, die vorrangigen Spezialgesetze könnten enger, aber auch weiter als das IFG sein (BT-Drs. 15/4493, S. 8), und konsequenterweise ist es für § 1 Abs. 3 IFG Bund unerheblich, ob fachgesetzliche Informationszugangsrechte vor oder nach dem Inkrafttreten des IFG erlassen worden sind (Debus a. a. O. Rn. 185). Exakt diesem Konzept folgt § 1 Abs. 3 LIFG. Das LIFG bildet keinen Mindeststandard ab, sondern kann durch restriktivere Spezialgesetze verdrängt werden (Beyerbach a. a. O. Rn. 6); dabei kommt es nicht darauf an, ob das Fachrecht älter oder jünger als das LIFG ist (vgl. Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 55).

2. Die sonach angezeigte Einzelanalyse zeigt, dass es sich bei § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO um eine gegenüber § 1 Abs. 2 LIFG vorrangige und abschließende Spezialbestimmung handelt. Die fachgesetzliche Regelung schließt den Informationszugang von “Jedermann” zu “jedweder” Niederschrift über Sitzungen des Gemeinderates in “beliebiger” Art gerade aus und normiert signifikante Restriktionen. Diese verbindlichen Vorgaben des Gesetzes stehen der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 LIFG zwingend entgegen.

a) Es ist eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung, dass nur die “Einwohner” einer Gemeinde das Recht auf Einsichtnahme in die Niederschriften über Gemeinderatssitzungen haben sollen. Ursprünglich war dieses Recht sogar nur “den Bürgern” (vgl. dazu § 12 GemO) eingeräumt worden (§ 38 Abs. 2 Satz 4 GemO i. d. F. vom 03.10.1983, GBl S. 578). Erst das Gesetz zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts vom 16.07.1998 (GBl S. 418) hat durch seinen Art. 1 Nr. 9 “den Einwohnern” das Einsichtsrecht nach § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO zuerkannt; Ziel der Gesetzesänderung ist eine Stärkung der Einwohnerrechte gewesen (LT-Drs. 12/2870, S. 18). Fachgesetzlich ist damit entschieden, dass ortsfremden Personen die Einsichtnahme in Niederschriften über Gemeinderatssitzungen nicht gestattet ist (Aker a. a. O. Rn. 13).

Es liegt auf der Hand, dass mit der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 LIFG dieses erste Strukturmerkmal des Informationszugangsrechts zu Niederschriften über Gemeinderatssitzungen unterlaufen würde. Eine gezielt herbeigeführte fachgesetzliche Bestimmung kann indessen nach der lex specialis-Regel nicht durch eine allgemeine Informationszugangsregelung “ausgehebelt” werden. Das Normierungspotential des Fachgesetzgebers zeigt zudem der innerdeutsche Rechtsvergleich. So können “auswärts wohnende Personen hinsichtlich ihres Grundbesitzes oder ihrer gewerblichen Niederlassungen im Gemeindegebiet” nach Art. 54 Abs. 3 Satz 2 BayGO ebenso wie alle Gemeindebürger “Einsicht in die Niederschriften über öffentliche Sitzungen” des Gemeinderates nehmen. Derartige spezifische Zuordnungen von Informationsrechten zu einem bestimmten Personenkreis behalten ihre fachgesetzlich normierte Substanz nur, wenn sie gegenüber dem allgemeinen Informationszugangsrecht als abschließende Spezialregelungen verstanden werden. Die bereits angestellte Strukturüberlegung bestätigt, dass die bereichsspezifische Berechtigung eines gegenüber dem LIFG engeren Personenkreises nachdrücklich für die Annahme einer nicht nur vorrangigen, sondern auch abschließenden Informationszugangsregelung im Fachgesetz spricht (s. o. II. 2. a).

b) Gegenstand des Informationszugangs sind gemäß § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO “Niederschriften über die öffentlichen Sitzungen” des Gemeinderates. Damit ist fachgesetzlich definitiv entschieden, dass die Einsichtnahme in die Niederschriften über nichtöffentliche Sitzungen des Gemeinderates den Einwohnern nicht gestattet ist. Diese eindeutige gesetzliche Bestimmung ist keiner Relativierung zugänglich (vgl. zur Parallelregelung in Art. 54 Abs. 3 Satz 2 BayGO VG Würzburg Beschluss vom 19.04.2005 – W 5 E 05.307 – juris Rn. 7 f.). Doch genau dies bewirkte die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 LIFG neben § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO (Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 56); denn auch Niederschriften über nichtöffentliche Sitzungen des Gemeinderates enthalten “amtliche Informationen” (§ 3 Nr. 3 LIFG) und unterfielen damit dem allgemeinen Informationszugangsrecht. Im Einzelfall könnte zwar ein Ablehnungsgrund dem Informationszugang entgegenstehen (z. B. § 4 Abs. 1 Nr. 6 LIFG), doch gerade diese Verlagerung von Schutzstandards ist Ausdruck der – unzulässigen – Relativierung der durch § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO getroffenen strikten gesetzlichen Entscheidung zur Nichtzugänglichkeit von Niederschriften über nichtöffentliche Gemeinderatssitzungen für die Einwohner.

Der abschließende rechtsnormative Gehalt des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO würde nicht etwa dadurch in Frage gestellt, falls die Sitzung vom 01.12.2016 – wie der Kläger meint – nichtöffentlich habe gar nicht stattfinden dürfen. Der Kläger behauptet einen Verstoß der Beklagten gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz des § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO und zieht daraus die Schlussfolgerung, auf Grund des – behaupteten – rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten müsse die Niederschrift über die Sitzung vom 01.12.2016 zugänglich sein. Die “Rechtmäßigkeit” oder die “Rechtswidrigkeit” des einer amtlichen Information zu Grunde liegenden Verhaltens von Amtsträgern ist indessen keine Kategorie des allgemeinen Informationsfreiheitsrechts (Senatsurteil vom 16.05.2017 – 10 S 1478/16NVwZ 2018, 750 Tz. 33; bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 28.02.2019 – 7 C 23.17NVwZ 2019, 978 Tz. 18). Darin weicht das besondere Informationszugangsrecht, wie etwa § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG zeigt, mitunter ab. Ein entsprechender gesetzlicher Anhaltspunkt fehlt im vorliegenden Zusammenhang. Deshalb kommt es hier nicht darauf an, ob die fragliche Gemeinderatssitzung möglicherweise unter Verstoß gegen § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO als nichtöffentliche Sitzung stattgefunden hat oder als nichtöffentliche Sitzung durch § 35 Abs. 1 Satz 2 GemO gedeckt gewesen ist.

c) § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO gestattet den Informationszugang zu den Niederschriften nur in Gestalt der “Einsichtnahme”. Ein Recht auf Mehrfertigungen oder Ablichtungen von Niederschriften steht den Einwohnern nicht zu; darüber befindet die Gemeinde nach pflichtgemäßem Ermessen (Brenndörfer in BeckOK, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 7. Edition 01.08.2019, § 38 GemO Rn. 15; Krebs, Der kommunale Öffentlichkeitsgrundsatz, 2016, S. 212; Engel/Heilshorn, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 11. Aufl., § 14 Rn. 189). Das Recht auf “Einsichtnahme” ist eine definitive Festlegung des Gesetzgebers und schließt andere Arten des Informationszugangs als Folge eines Anspruchs aus. Das hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs schon vor geraumer Zeit geklärt und betont, § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO stehe einer Herleitung sonstiger Arten des Informationszugangs auf Grund “anderer gesetzlicher Regelungen” entgegen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.01.1976 – I 1494/75 – Entscheidungsabdruck S. 4).

Auch diese fachgesetzliche Bestimmung könnte unterlaufen werden, wäre § 1 Abs. 2 LIFG neben § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO anwendbar. Denn ein allgemeines Informationszugangsrecht hat nicht nur die in § 7 Abs. 5 Satz 1 LIFG vorgesehenen Arten des Informationszugangs zur Folge, sondern gibt der antragstellenden Person zudem ein Recht auf die Wahl einer bestimmten Art des Informationszugangs, wovon seitens der informationspflichtigen Stelle nur aus wichtigem Grund abgewichen werden kann (§ 7 Abs. 5 Satz 2 LIFG). Es liegt auf der Hand, dass auch diese Regelung des LIFG weit über das spezifische Zugangsrecht gemäß § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO hinausgeht. Dies zeigt ebenfalls, dass dem Fachrecht gegenüber dem LIFG eine abschließende Wirkung zu attestieren ist.

3. Unabhängig davon hätte der Kläger selbst im Fall der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 LIFG keinen Anspruch auf Zugang zu der begehrten Information. Die durch Rechtsvorschriften geregelten Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitspflichten im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 LIFG stehen dem Informationszugang entgegen (Debus in ders., Informationszugangsrecht Baden-Württemberg, 2017, § 4 LIFG Rn. 118 f., 124). Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass auch unter der Geltung des Informationsfreiheitsgesetzes geheim bleibt, was nach anderen Vorschriften geheim gehalten werden muss (BVerwG, Urteil vom 29.10.2009 – 7 C 22.08NVwZ 2010, 321 Tz. 46 zur Parallelbestimmung in § 3 Nr. 4 Var. 1 IFG Bund).

Zum Geheimnisschutz in diesem Sinne können auch Bestimmungen der Gemeindeordnung gehören (LT-Drs. 15/7720, S. 68). Auf § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO trifft dies in Bezug auf Niederschriften über nichtöffentliche Gemeinderatssitzungen bei Informationszugangsbegehren von Einwohnern zu. Derartige Niederschriften sind gegenüber Transparenzforderungen von Einwohnern gesetzlich geschützt. Dabei handelt es sich ausweislich der in § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO getroffenen Regelung nicht nur um einen relativen – etwa durch einen Abwägungsvorbehalt eingeschränkten – Schutz, vielmehr ist der gesetzliche Schutz umfassend ausgestaltet. Demnach statuiert § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 LIFG eine Rechtsvorschrift mit einer Geheimhaltungspflicht, soweit – wie im vorliegenden Fall – die Einsichtnahme in die Niederschrift über eine nichtöffentliche Sitzung des Gemeinderates begehrt wird.

IV.

Die abschließende Regelung der Einsichtnahme in die Niederschriften über Gemeinderatssitzungen durch Einwohner gemäß § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO führt nach der Rechtsfolgeanordnung des § 1 Abs. 3 LIFG zu einer Sperrwirkung, die den Rückgriff auf § 1 Abs. 2 LIFG ausschließt. Der Informationszugang bestimmt sich ausschließlich nach der fachgesetzlichen Regelung. Dass die Voraussetzungen des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO im vorliegenden Fall allerdings nicht erfüllt sind, ist bereits dargelegt worden (s. o. I.).

Umfänglich wird das LIFG durch das Fachgesetz im Rahmen der sachlichen Reichweite der speziellen Informationszugangsregelung verdrängt; außerhalb des Regelungsgehalts einer fachgesetzlichen Bestimmung bleibt das LIFG anwendbar. Diese differenzierte Rechtsfolgeanordnung des § 1 Abs. 3 LIFG missversteht der Kläger, wenn er unter Heranziehung einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen meint, jedenfalls die Rechtsfolge des § 1 Abs. 3 LIFG erlaube ungeachtet des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO den Rückgriff auf § 1 Abs. 2 LIFG. In jener Entscheidung (Urteil vom 17.05.2006 – 8 A 1642/05NWVBl 2006, 292, 294) ist u. a. ausgeführt:

“Die Nichtöffentlichkeit der Rats- und Ausschusssitzungen soll die Vertraulichkeit der Beratung gewährleisten. Dieser Schutz erstreckt sich aber nicht auf das Beratungsergebnis und die Beratungsgrundlagen. Soweit die Beratungsgrundlagen lediglich Fakten darstellen und keinen Rückschluss auf den Beratungsverlauf und den Prozess der Willensbildung geben, greift die Schutzfunktion der Nichtöffentlichkeit der Sitzung nicht ein.”

Aus diesen Ausführungen wird im Schrifttum der Schluss gezogen, nach allgemeinen Informationszugangsregelungen bleibe für jedermann “die Einsicht in Grundlagen und Niederschriften dieser Beratungen, die den Verhandlungsgang nicht widerspiegeln, […] möglich” (so Sicko a. a. O. Rn. 35; zustimmend Beyerbach a. a. O. Rn. 12; kritisch dazu Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 55).

Der Senat kann unentschieden lassen, ob die Annahmen zum nordrhein-westfälischen Landesrecht auf das hiesige Landesrecht übertragbar sind. Dahinstehen kann ferner, dass es dort um die Reichweite des Schutzes einer nichtöffentlichen Sitzung ging, während hier die Niederschrift über eine nichtöffentliche Sitzung in Rede steht. Entscheidend ist, dass der Kläger nicht etwa – was gar nicht Regelungsgegenstand des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO ist – Zugang zu Unterlagen (Beratungsgrundlagen) einer nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung beantragt, sondern Einsicht in die Niederschrift als solche über die nichtöffentliche Sitzung vom 01.12.2016 begehrt. Deshalb kann hier offenbleiben, ob Schutzgut einer nichtöffentlichen Sitzung nur der Beratungsprozess ist oder ob auch Beratungsunterlagen (Beratungsgrundlagen) und das Beratungsergebnis erfasst werden; dazu verhält sich § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO nicht. Wohl aber schließt diese Bestimmung, wie dargelegt, die Einsichtnahme eines Einwohners in die Niederschrift über eine nichtöffentliche Sitzung des Gemeinderates aus. Allein darum geht es im vorliegenden Zusammenhang, sodass dem auf § 1 Abs. 2 LIFG gestützten Anspruch § 1 Abs. 3 LIFG i. V. m. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO entgegensteht (ebenso zur parallelen Rechtslage gemäß § 3 IZG SH i. V. m. § 41 Abs. 3 GO SH, Dehn in Bülow u. a., Kommunalverfassungsrecht Schleswig-Holstein, EL 64 August 2018, § 41 GO Rn. 18). Unverändert Bestand hat demnach die Feststellung, § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO enthalte eine “abschließende spezialgesetzliche Regelung über die Einsichtnahme in Niederschriften über öffentliche Sitzungen” des Gemeinderates (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.01.1976 – I 1494/75 – Entscheidungsabdruck S. 4).

Zu der Frage der Aussetzung des Zivilverfahrens im Hinblick auf ein laufendes Strafverfahren

Zu der Frage der Aussetzung des Zivilverfahrens im Hinblick auf ein laufendes Strafverfahren

vorgestellt von Thomas Ax

Der Zweck der Regelung des § 149 ZPO besteht u.a. darin, eine einheitliche Tatsachengrundlage für die im Zivil- und Strafverfahren zu treffenden Entscheidungen zu schaffen. Dabei liegt eine Straftat, deren Ermittlung gem. § 149 ZPO „auf die Entscheidung von Einfluss“ ist, vor, wenn durch die Aufklärung des Sachverhalts mit den Mitteln des Strafrechts, insbesondere im Rahmen durchzuführender Beweisaufnahmen, für das Zivilverfahren eine breitere Tatsachengrundlage geschaffen wird, wobei die Verzögerung des Zivilprozesses gegen den möglichen Erkenntnisgewinn abzuwägen ist. (Rn. 19)

OLG München, Beschluss vom 27.01.2022 – 8 W 1818/21

Gemäß § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist.

Aufgrund einer solchen gerichtlichen Ermessensentscheidung soll der Ausgang eines Strafverfahrens abgewartet werden können, um dessen bessere Erkenntnismöglichkeiten, die die Amtsermittlung im Strafprozess gegenüber dem Zivilprozess mit seinem Beibringungsgrundsatz bietet, nutzbar zu machen und widersprechende Entscheidungen zu vermeiden.

Der Zweck der gesetzlichen Regelung besteht u.a. darin, eine einheitliche Tatsachengrundlage für die im Zivil- und Strafverfahren zu treffenden Entscheidungen zu schaffen. Dabei liegt eine Straftat, deren Ermittlung gemäß § 149 ZPO „auf die Entscheidung von Einfluss“ ist, vor, wenn durch die Aufklärung des Sachverhalts mit den Mitteln des Strafrechts, insbesondere im Rahmen durchzuführender Beweisaufnahmen, für das Zivilverfahren eine breitere Tatsachengrundlage geschaffen wird. Das Gericht muss die Verzögerung des Zivilprozesses gegen den möglichen Erkenntnisgewinn abwägen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 149 ZPO Rn. 1 ff.).

Zwar sind auch nach Abschluss eines die Aussetzung rechtfertigenden Strafverfahrens weder eine doppelte Beweisaufnahme noch sich widersprechende Entscheidungen völlig ausgeschlossen, da das Zivilgericht an die im Ermittlungs- bzw. Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse nicht gebunden ist.

Dennoch ist die im Strafverfahren vorzunehmende Beweisaufnahme etwa durch Sicherstellung von Unterlagen oder Korrespondenz zu Geschäftsabläufen und zu Kontakten zwischen den beteiligten Personen, durch Vernehmung von Zeugen hierzu und zur Geschäftspraxis sämtlicher involvierter, z.T. ausländischer Gesellschaften sowie durch Überprüfung von Geldflüssen anhand von Kontounterlagen, die nach der Strafprozessordnung sichergestellt werden können – geeignet, einen Erkenntnisgewinn zu verschaffen, der die zivilgerichtlichen Möglichkeiten bei weitem übersteigt. Insbesondere können Unterlagen, deren Beschaffung dem Zivilgericht oder den Parteien des Zivilverfahrens außerhalb des Ermittlungs-/Strafverfahrens nicht möglich wäre, auch im Zivilprozess Gegenstand der Beweiswürdigung sein.

Im Rahmen der gebotenen Abwägung berücksichtigt das Gericht, dass sowohl die Klagepartei als auch die Beklagten ein achtenswertes Interesse an einem möglichst zügigen Abschluss des Zivilverfahrens haben. Andererseits ist das Gericht bestrebt, den Zivilrechtsstreit möglichst prozessökonomisch zu führen und doppelte Ermittlungsarbeit sowie zusätzliche Kosten zu ersparen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17.11.2009 – VI ZB 58/08).

Hinzu kommt, dass umso wertvollere Ergebnisse für das Zivilverfahren zu erwarten sind, je aufwendiger sich die strafrechtliche Aufklärung gestaltet.

Wahrscheinlich ist zu erwarten, dass die zwischen den Parteien streitigen Fragen – insbesondere die Rolle der Beteiligten und deren Kenntnisse – auf deren Feststellung es im Zivilverfahren maßgeblich ankommt, im Ermittlungs- und ggf. Strafverfahren geklärt werden, so dass eine nochmalige oder gar parallele Klärung dieser Umstände in den beim Landgericht in hoher Anzahl anhängigen Zivilverfahren erspart wird.

Insoweit wird der Nachteil der Verzögerung einer Entscheidung im Zivilprozess im Rahmen einer Abwägung durch den Vorteil einer gründlicheren Klärung im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz im Ermittlungs- und ggf. Strafverfahren aufgehoben.

Im Ergebnis wird im Rahmen der vorzunehmenden Ermessensabwägung der Vorteil einer gründlicheren Klärung im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz im Strafverfahren den Nachteil der Verzögerung einer Entscheidung im Zivilprozess überwiegen.

Dies gilt nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Vermeidung widerstreitender Entscheidungen.

Thema: Sicherheit in der Vergabe: Möglichkeiten des Angebotsausschlusses wegen früherer Schlechtleistung

Thema: Sicherheit in der Vergabe: Möglichkeiten des Angebotsausschlusses wegen früherer Schlechtleistung

von Thomas Ax

Im Streitfall über die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB muss die Vergabestelle den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrunds führen, nämlich dass eine erhebliche oder fortdauernde Schlechtleistung zur Kündigung oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Es genügt nicht, dass der Auftraggeber gekündigt hat, es muss vielmehr mit hinreichender Sicherheit feststehen, dass dies auch zu Recht erfolgt ist. Im Nachprüfungsverfahren gilt der insbesondere in § 167 GWB verankerte Beschleunigungsgrundsatz. Die Vergabekammer bzw. der -senat ist daher nicht gehalten, die Rechtmäßigkeit der streitigen Kündigung selbst im Wege einer vollumfänglichen Inzidentprüfung mit unter Umständen langwieriger Beweisaufnahme wie in einem Bauprozess zu klären. Vielmehr hat die Vergabekammer anhand des Vorbringens der Beteiligten und der eingereichten Unterlagen zu prüfen, ob der öffentliche Auftraggeber den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrunds auch mit hinreichender Sicherheit führen kann. Einem Unternehmen kann sein Verhalten bei Erfüllung eines öffentlichen Auftrags als Mitglied einer Bietergemeinschaft, an die ein Auftrag vergeben wurde, im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zugerechnet werden, wenn ihm ein individueller Beitrag zu den während der Vertragsausführung auftretenden Mängeln zugerechnet werden kann und dieses individuelle Verhalten fehlerhaft oder fahrlässig war. Hat ein Auftragnehmer mit rechtlichen Schritten gedroht oder solche unternommen, die er zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer noch ungeklärten Rechtslage für zulässig halten konnte, so ist bei der Prognoseentscheidung im Rahmen einer Ausschlussentscheidung vom öffentlichen Auftraggeber zu Gunsten des Auftragnehmers zu prüfen und zu berücksichtigen, ob dieser einer vertretbaren Rechtsauffassung folgte.

Nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB können öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme eines Vergabeverfahrens ausschließen, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.

Im Streitfall muss die Vergabestelle den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrundes führen, nämlich dass eine erhebliche oder fortdauernde Schlechtleistung zur Kündigung oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Es genügt nicht, dass der Auftraggeber gekündigt hat, es muss vielmehr feststehen, dass dies auch zu Recht erfolgt ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2017 – 13 Verg 9/16; VK Südbayern, Beschluss vom 08.04.2019 – Z3-3-3194-1-46-12/18).

In der Rechtsprechung werden unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, welche Anforderungen an den Nachweis der Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zu stellen sind, wenn wie im vorliegenden Fall ein Unternehmen die behauptete Schlechtleistung bestreitet und die Kündigung des öffentlichen Auftraggebers lediglich als freie Auftraggeberkündigung akzeptiert. Einigkeit besteht nur insoweit, als die Tatsachen, auf die die Ausschlussentscheidung nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB gestützt wird, nicht unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sein müssen (vgl. OLG München, Beschluss vom 05.10.2012 – Verg 15/12; OLG Koblenz, Beschluss vom 25.02.2015 – 1 Verg 5/14).

Das OLG Düsseldorf hat in dieser Frage noch nicht abschließend entschieden, tendiert allerdings dazu, dass der öffentliche Auftraggeber bezüglich der von der Vorschrift verlangten Schlechterfüllung Gewissheit erlangt haben muss, also eine Überzeugung gewonnen hat, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.03.2018 – VII-Verg 49/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2018 – Verg 7/18). Nach Auffassung des OLG Celle liegt das Beweismaß für die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zwischen einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit gemäß § 287 ZPO und dem Vollbeweis gemäß § 286 ZPO. Es reiche aus, wenn der öffentliche Auftraggeber Indiztatsachen vorbringe, die von einigem Gewicht seien, auf gesicherten Erkenntnissen aus seriösen Quellen basierten und die die Entscheidung des Auftraggebers zum Ausschluss des Bieters nachvollziehbar erscheinen ließen (OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2017 – 13 Verg 9/16).

Gerade wenn es um die Frage geht, ob die für § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB erforderliche qualifizierte Rechtsfolge – die Kündigung des Auftrags durch den Auftraggeber – zu Recht erfolgt ist, kann dies nicht zur Folge haben, dass nunmehr die Vergabekammer bzw. der -senat auf eine rechtskräftige Entscheidung der Zivilgerichte warten bzw. die Rechtmäßigkeit der streitigen Kündigung selbst im Wege einer vollumfänglichen Inzidentprüfung mit unter Umständen langwieriger Beweisaufnahme wie in einem Bauprozess klären muss (OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2017 – 13 Verg 9/16). Im Nachprüfungsverfahren gilt der insbesondere in § 167 GWB verankerte Beschleunigungsgrundsatz. Diesem Grundsatz würde es eklatant zuwiderlaufen, einen monate- oder gar jahrelangen (Bau-)Zivilprozess abzuwarten bzw. ihn selbst inzident durchzuführen. Unter diesen Umständen wäre bei der Prüfung des Ausschlusses eines Bauunternehmers nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB regelmäßig die Frist des § 167 Abs. 1 GWB nicht zu wahren. Im Vergabenachprüfungsverfahren kann daher regelmäßig nur darüber entschieden werden, ob der öffentliche Auftraggeber die Anforderungen an den im Streitfall zu erbringenden Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrundes, hier also der zu Unrecht erfolgten Arbeitseinstellung als Kündigungsgrund, führen kann (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2017 – 13 Verg 9/16).

Da § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB den Art. 57 Abs. 4 g der Richtlinie 2014/24/EU umsetzt und nah am Wortlaut und dem Regelungsgehalt der Richtlinie bleibt, kann zur Auslegung des vergaberechtlichen Begriffs des Unternehmens auf die Richtlinie selbst und die zu ihr und insbesondere zu dem Artikel ergangene Rechtsprechung des EuGH zurückgegriffen werden. Die Richtlinie verwendet statt des Begriff des Unternehmens den Begriff des Wirtschaftsteilnehmers. Dieser ist definiert in Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 der Richtlinie 2014/24/EU. Danach ist ein Wirtschaftsteilnehmer eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, die bzw. der auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen anbietet. Dabei ist zudem zu unterscheiden, dass eine Gruppe von Personen oder Einrichtungen, die als ein Wirtschaftsteilnehmer zählen können von einer Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern wie in Vorbemerkung 15 zu unterscheiden ist (VK Südbayern vom 06.07.2022 – 3194.Z3-3_01-21-72).

Bieter- und Bewerbergemeinschaften sind damit laut Vorbemerkung 15 und Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 der Richtlinie 2014/24/EU eine Gruppe von einzelnen Wirtschaftsteilnehmern, welche sich durchaus für die Erfüllung eines Auftrags auch so verbinden können, dass ein neuer, weiterer und eigenständiger Wirtschaftsteilnehmer entsteht. Dennoch bleiben die einzelnen Bieter als Unternehmen und als Wirtschaftsteilnehmer daneben bestehen. Damit kann und muss einer Gruppe von Unternehmen im Sinne des GWB bzw. von Wirtschaftsteilnehmern im Sinne der Richtlinie 2014/24/EU, an die ein Auftrag vergeben wurde, der jeweilige Beitrag des einzelnen Unternehmens bzw. Wirtschaftsteilnehmers an während der Vertragsausführung auftretenden Mängeln bei der Erfüllung und an etwaige Anstrengungen, um diese Mängel zu beheben, auch individuell zugerechnet werden. Unabhängig von der gesamtschuldnerischen Haftung der Mitglieder einer Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern muss die Anwendung des in Art. 57 Abs. 4 g der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen fakultativen Ausschlussgrundes, der dem § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB entspricht, nämlich darauf gestützt werden, dass dieses individuelle Verhalten fehlerhaft oder fahrlässig ist (vgl. EuGH, Urteil vom 26.01.2023 – Rs. C-682/21, Rz. 49).

Der Ausschluss eines Bieters nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB liegt im Ermessen des Auftraggebers. Die Ermessensentscheidung ist von den Nachprüfungsinstanzen allerdings nur daraufhin zu überprüfen, ob das Ermessen überhaupt ausgeübt wurde (Ermessensausfall), ob eine Maßnahme getroffen wurde, die sich nicht mehr in dem durch die Ermächtigungsnorm abgesteckten Rahmen hält (Ermessensüberschreitung) und ob ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt. Dies ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber relevante Aspekte nicht berücksichtigt, sich auf sachfremde Erwägungen stützt oder Aspekten ein Gewicht beimisst, das ihnen nicht zukommt (OLG München, Beschluss vom 29.01.2021 – Verg 11/20).

Meinungsverschiedenheiten oder das Androhen rechtlich zulässiger Schritte reichen für einen Ausschluss vom Vergabeverfahren nicht aus (BGH, Urteil vom 17.02.1999 – X ZR 101/97).

Thema: Sicherheit in der Vergabe: Das 1×1 der Angebotsbewertung

Thema: Sicherheit in der Vergabe: Das 1x1 der Angebotsbewertung

von Thomas Ax

Ein Bieter ist auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn zwar die Bewertung seines eigenen Angebots vom Beurteilungsspielraum des Auftraggebers gedeckt ist, die Bewertung des Angebots des zum Zuschlag vorgesehenen Bieters aber derart fehlerhaft ist, dass sich eine andere Bieterreihenfolge ergeben könnte. Bei der Umrechnung von Preisen in Bewertungspunkte muss der Auftraggeber eine mathematisch nachvollziehbare Methode vor Kenntnis der Angebote festgelegt haben und diese auch anwenden. Eine Preisbewertungsmethode darf wegen der hohen Manipulationsgefahr nicht nachträglich in Kenntnis der Angebote festgelegt werden. Auch bei der Preisbewertung von Honorarangeboten von Architekten und Ingenieuren, die in Anlehnung an die Vorschriften der HOAI erstellt werden, dürfen nur solche Methoden eingesetzt werden, die zum einen rechnerisch nachvollziehbar sind und zum anderen die relativen Preisabstände zwischen den Angeboten widerspiegeln können. Die Angebotswertung ist ureigene Aufgabe des Auftraggebers und darf nicht vollständig an einen Verfahrensbetreuer delegiert werden. Aus diesem Grund darf der Verfahrensbetreuer auch nicht nach Befassung des zuständigen Gremiums des Auftraggebers die diesem vorgelegte Benotung eines Angebots eigenmächtig ändern.

Thema: Vereinfachung in der Vergabe: Das Absehen von der Losaufteilung kommt gut in Betracht

Thema: Vereinfachung in der Vergabe: Das Absehen von der Losaufteilung kommt gut in Betracht

von Thomas Ax

Das Absehen von der Losaufteilung kommt in Betracht, wenn sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinandersetzt und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange trifft, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen. Objektiv zwingender Gründe für die zusammenfassende Vergabe bedarf es demgegenüber nicht. Bei der Prognose der Vor- und Nachteile der Losvergabe, deren Gewichtung und der Abwägung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu. Bei der Abwägung der für und gegen die Losaufteilung sprechenden Gründe sind die typischen Vor- und Nachteile mit der vom Gesetzgeber vorgegebenen Gewichtung zu berücksichtigen und um die im Einzelfall bestehenden Besonderheiten zu ergänzen.

Nach § 97 Abs. 4 S. 1 bis 3 GWB – dessen Inhalt von § 5 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 bis 3 EU VOB/A wiederholt wird – sind Leistungen in Losen zu vergeben und kann hiervon nur dann abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Bereits vor Inkrafttreten war zum Schutz des Mittelstands die Aufteilung von Aufträgen in Teil- und Fachlose vorgesehen. Es sollten die Nachteile der mittelständischen Wirtschaft gerade bei der Vergabe großer Aufträge mit einem Volumen, das die Kapazitäten mittelständischer Unternehmen überfordern könnte, ausgeglichen werden. Mit der 2009 eingeführten Regelung des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB sollten der aus Sicht des Mittelstands zunehmenden Praxis der Bündelung von Auftragsvergaben entgegengewirkt und die Mittelstandsklausel in ihrer Wirkung verstärkt werden. Deshalb sollte von dem Gebot der Losvergabe nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden können (BT-Drucksache 16/10117, S. 15). Dieses klare Regel-/Ausnahmeverhältnis bedeutet allerdings entgegen einer teilweise in der Literatur vertretenen, hier von der Antragstellerin zitierten Auffassung (Antweiler in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 97 Abs. 4 GWB Rn. 51; wohl auch Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 97 GWB Rn. 95) nicht, dass eine Gesamtvergabe überhaupt nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen darf. § 97 Abs. 4 GWB ist im Kontext der primären Ziele des Vergaberechts auszulegen, zu denen insbesondere auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung gehört. Dabei sind auch die weiteren Grundsätze des Vergaberechts (Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit) sowie die vom Gesetzgeber in § 97 Abs. 3 GWB normierten strategischen Ziele (Qualität, Innovation, soziale und umweltbezogene Aspekte) im Blick zu behalten. Allerdings ergibt sich aus der klaren Wertung des Gesetzgebers, dass es nicht ausreicht, wenn der Auftraggeber anerkennenswerte Gründe für die Gesamtvergabe vorbringen kann; auch vermag die Entlastung des Auftraggebers von typischerweise mit einer losweisen Vergabe verbundenen Koordinierungsaufgaben oder sonstigem organisatorischem Mehraufwand für sich allein ein Absehen von einer Losvergabe nicht zu rechtfertigen. Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinandersetzt und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange trifft, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 11 Verg 4/18 -; OLG München, Beschluss vom 25. März 2019 – Verg 10/18 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 – Verg 10/20 -, Beschluss vom 25. Mai 2022 – Verg 33/21 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. April 2022 – 15 Verg 2/22 -). Wortlaut, Systematik und Zweck des Gesetzes gebieten kein abweichendes Verständnis des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB. Auch den Materialien zum Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009 (BGBl. I, S. 790) ist hierfür nichts zu entnehmen. Der Gesetzgeber wollte der – empfundenen – Praxis der Auftragsbündelung entgegenwirken, also die tatsächliche Wirkung der Mittelstandsklausel verstärken und Auftraggeber zur Dokumentation der Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen verpflichten (vgl. BT-Drucksache 16/10117, S. 15). Die Rechtsprechung hatte demgegenüber bereits unter Geltung des § 97 Abs. 3 GWB a.F. strenge Maßstäbe angelegt und ist von dem Regel-/Ausnahmeverhältnis ausgegangen. Dass der Gesetzgeber auch diese Maßstäbe ändern wollte, ist weder dem Wortlaut noch der Begründung der Gesetzesänderung zu entnehmen. Dementsprechend hat die vergaberechtliche Rechtsprechung auch unter Geltung des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB hieran festgehalten.

Ein anderer Maßstab folgt nicht daraus, dass der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 BwBBG eine Gesamtvergabe in Abweichung von § 97 Abs. 4 GWB bereits dann zulässt, wenn wirtschaftliche, technische oder zeitliche Gründe dies (nur) “rechtfertigen”. Zwar ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, es handele sich um einen niedrigeren Maßstab als das “Erfordern” nach § 97 Abs. 4 S. 3 GWB (BT-Drucksache 20/2353, S. 15). Dies lässt aber nicht den Rückschluss zu, ein Erfordern könne nur bei objektiv zwingenden Gründen – also dem maximalen Grad – bejaht werden. Ohnehin könnte eine entsprechende Annahme des aktuellen Gesetzgebers das Verständnis des § 97 Abs. 4 GWB nicht ändern. Angesichts der gefestigten Rechtsprechung hätte der Gesetzgeber es vielmehr in der Hand gehabt, den Maßstab durch Änderung des § 97 Abs. 4 GWB anzupassen. Macht er das nicht, war dies offenbar nicht gewollt und besteht kein Anlass, die einheitliche Linie der Rechtsprechung zu ändern.
Ist die Entscheidung somit Ergebnis einer Abwägung, ist die von der Antragstellerin aufgeworfene Frage, ob der öffentliche Auftraggeber im Hinblick auf die Zielerreichung keine Wagnisse und Risiken eingehen muss und einen sicheren Weg wählen darf (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 – Verg 10/20 -) oder die Gesamtvergabe – wie sie meint – nicht mit einem sicheren Weg begründet werden darf (so auch Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl., § 97 GWB Rn. 94 a.E.), in dieser Allgemeinheit im erstgenannten Sinn zu beantworten. Eigenständige Bedeutung kommt dem indes nicht zu. Jedenfalls bei konkreten und erheblichen Risiken der Fachlosvergabe kann der Auftraggeber nicht gezwungen sein, sehenden Auges diesen Weg zu beschreiten. Andererseits ist der Antragstellerin zuzugeben, dass die Gesamtvergabe nicht mit jeglichen, ggf. fernliegenden Risiken begründet werden kann (“sicherster Weg”). Das Gewicht des einzelnen Risikos ist nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß – nach den oben dargestellten Grundsätzen – im Einzelfall zu bestimmen.

Bei der Prognose der Vor- und Nachteile der Losvergabe, deren Gewichtung und der Abwägung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. jeweils zur Fachlosaufteilung OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 11 Verg 4/18 -; OLG München, Beschluss vom 25. März 2019 – Verg 10/18 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 – Verg 10/20 -, Beschluss vom 25. Mai 2022 – Verg 33/21 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. April 2022 – 15 Verg 2/22 -). Die Entscheidung des Auftraggebers über die Gesamtvergabe ist deshalb von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur darauf zu überprüfen, ob sie auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruht. Den Nachprüfungsinstanzen ist es im Umkehrschluss verwehrt, die Entscheidung des Auftraggebers durch eine eigene Beurteilung zu ersetzen, solange sie nicht auf eine einzige Entscheidungsmöglichkeit verdichtet ist. Soweit das Kammergericht (Beschluss vom 26. März 2019 – Verg 16/16 -) – worauf die Antragstellerin verweist – in einem obiter dictum (a.a.O.) und damit nicht im Sinn des § 179 Abs. 2 GWB zur Vorlage veranlassend die Auffassung vertreten hat, anders als bei Teillosen bestehe bei Fachlosen kein Beurteilungsspielraum und sei die Entscheidung des Auftraggebers uneingeschränkt nachprüfbar, folgt der Senat dem nicht. Gründe für die Unterscheidung zwischen Teil- und Fachlosen sind nicht zu erkennen. Vielmehr ist an der bereits zuvor begründeten Rechtsprechung festzuhalten.

Unter technischen und wirtschaftlichen Gründen im Sinne des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB sind solche zu verstehen, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen. Dabei sind technische Gründe alle Aspekte, die zu einem vom Auftraggeber vorgegebenen Leistungsprofil in einem unauflöslichen Zusammenhang stehen. Dies kann auch bei komplexen, miteinander verflochtenen Dienstleistungen der Fall sein oder wenn die Aufteilung in Fachlose unverhältnismäßige Kostennachteile mit sich bringen oder zu einer starken Verzögerung des Vorhabens führen würde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Mai 2022 – Verg 33/21 -). Wirtschaftliche Gründe können auch darin liegen, dass es sich um ein eilbedürftiges Vorhaben wie die Fertigstellung eines Bauabschnitts einer vielbefahrenen Autobahn handelt. Weil es sich um auftragsbezogene Besonderheiten handelt, kann die mit einer Gesamtvergabe verbundene Straffung und Beschleunigung der Abläufe das Vorliegen der Voraussetzungen des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB begründen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 – Verg 10/20 -, dort naheliegende Verzögerung um mehrere Jahre und Folgekosten in Millionenhöhe, in anderen Entscheidungen auch weniger; Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 97 GWB Rn. 90).

Im Rahmen der Abwägung können die typischen Vor- und Nachteile einer losweisen Aufteilung eines Auftrags – insbesondere der typische Ausschreibungs-, Prüfungs- und Koordinierungsaufwand sowie ein höherer Aufwand bei Gewährleistungen – lediglich mit der vom Gesetzgeber vorgezeichneten Gewichtung Berücksichtigung finden und insoweit für sich genommen die zusammenfassende Vergabe nicht begründen. Hierfür kommt es deshalb darauf an, in welchem Umfang vorhabenspezifische Vor- und Nachteile hinzutreten, deren Gewichtung im Einzelfall vorzunehmen ist.

Informationsgewinnung in Bezug auf Versäumnisse bei früheren Vergaben auf Basis des Hessischen Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetzes (HDSIG) vom 3. Mai 2018

Informationsgewinnung in Bezug auf Versäumnisse bei früheren Vergaben auf Basis des Hessischen Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetzes (HDSIG) vom 3. Mai 2018

von Thomas Ax

Sie wollen in Erfahrung bringen, ob ein an sich ausschreibungspflichtiger Auftrag unzulässig an einen Mitbewerber vergeben worden ist? Sie wissen nicht, was wie gelaufen ist? Stelle Sie die auftragsvergebende Stelle auf die Probe. Reklamieren Sie Informationsfreiheit! Informationsfreiheit bedeutet, dass jedem Bürger ein Anspruch auf Zugang zu den bei öffentlichen Stellen vorhandenen amtlichen Informationen zusteht. Hierdurch wird die Verwaltung dem Anspruch an eine transparente und nachvollziehbare Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben gerecht und stärkt das Vertrauen der Bürger in den Staat. Mit Inkrafttreten des HDSIG hat das Land Hessen diesen Anspruch für hessische Bürger in § 80 Abs. 1 HDSIG normiert. Innerhalb des gesetzlichen Rahmens wird dadurch der freie Zugang zu amtlichen Informationen der öffentlichen Stellen des Landes Hessen gewährt. Außer den Ländern Bayern, Niedersachsen und Sachsen haben die anderen Bundesländer und der Bund ähnliche Regelungen getroffen. Für den Informationszugang in den anderen Ländern greifen die dortigen Landesgesetze. Zugang zu den amtlichen Informationen der öffentlichen Stellen des Bundes regelt das Informationsfreiheitsgesetz (IFG).

Sie haben einen Anspruch auf Informationszugang, § 80: (1) Jeder hat nach Maßgabe des Vierten Teils gegenüber öffentlichen Stellen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen (Informationszugang). Amtliche Informationen sind alle amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnungen, unabhängig von der Art ihrer Speicherung.

Dem steht aber uU entgegen der Schutz besonderer öffentlicher und privater Belange, § 82: Ein Anspruch auf Informationszugang besteht nicht bei zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnissen oder Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, sofern die betroffene Person nicht eingewilligt hat oder soweit ein rein wirtschaftliches Interesse an den Informationen besteht.

Sie können es mit einem Antrag probieren: § 85 Antrag (1) Ein Informationszugang wird auf Antrag bei der Stelle, die über die begehrten Informationen verfügt (informationspflichtige Stelle) gewährt. Ist die angerufene Stelle nicht die informationspflichtige Stelle, soll sie der antragstellenden Person die informationspflichtige Stelle benennen. (2) Im Antrag sollen die begehrten Informationen möglichst genau umschrieben werden. Ein Antrag, der auf allgemeines Behördenhandeln gerichtet ist und sich auf Informationen bezieht, die aus einer Vielzahl von Aktenvorgängen oder Informationsträgern zusammengetragen werden müssen, kann abgelehnt werden, wenn der Informationszugang nur mit unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand möglich wäre. Sofern der antragstellenden Person Angaben zur Umschreibung der begehrten Informationen fehlen, ist die angerufene informationspflichtige Stelle zur Beratung verpflichtet.

Der zZt gebundene AN wird dazu im Zweifel gehört: § 86 Verfahren bei Beteiligung Dritter Die informationspflichtige Stelle gibt einem Dritten, dessen Belange durch den Antrag auf Informationszugang berührt sind, schriftlich Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb eines Monats, sofern Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er ein schutzwürdiges Interesse am Ausschluss des Informationszugangs haben kann. Die Einwilligung des Dritten zum Informationszugang der antragstellenden Person gilt als verweigert, wenn sie nicht innerhalb eines Monats nach Anfrage durch die zuständige Stelle vorliegt.

Es ergeht dann innerhalb von 3 Monaten eine Entscheidung: § 87 Entscheidung (1) Die informationspflichtige Stelle hat unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats, in den Fällen des § 86 spätestens innerhalb von drei Monaten nach Eingang des hinreichend bestimmten Antrags zu entscheiden. In den Fällen des § 86 ist die Entscheidung auch dem Dritten bekannt zu geben. (2) Soweit dem Antrag stattgegeben wird, sind die Informationen innerhalb der in Abs. 1 Satz 1 genannten Frist zugänglich zu machen. In den Fällen des § 86 darf der Informationszugang erst gewährt werden, wenn die Entscheidung dem Dritten gegenüber bestandskräftig ist oder die sofortige Vollstreckung angeordnet wurde und seit der Bekanntgabe der Anordnung an den Dritten zwei Wochen verstrichen sind. (3) Die Ablehnung oder teilweise Ablehnung des beantragten Informationszugangs ist innerhalb der in Abs. 1 Satz 1 genannten Frist schriftlich bekannt zu geben und zu begründen. Darüber hinaus ist mitzuteilen, ob und wann ein Informationszugang ganz oder teilweise zu einem späteren Zeitpunkt voraussichtlich möglich sein könnte. (4) Können die Informationen nicht oder nicht vollständig innerhalb der in Abs. 1 Satz 1 genannten Fristen zugänglich gemacht werden oder erfordern Umfang oder Komplexität eine intensive Prüfung, so kann die informationspflichtige Stelle die Frist um einen Monat verlängern. Die antragstellende Person ist über die Fristverlängerung unter Angabe der maßgeblichen Gründe schriftlich zu informieren.

Bekommen Sie die Informationen nicht, ist der Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten: (5) Für Streitigkeiten nach diesem Teil des Gesetzes ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Ein Vorverfahren nach § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung findet nicht statt.

Kommunalaufsicht in Brandenburg über das kommunale Auftragswesen

Kommunalaufsicht in Brandenburg über das kommunale Auftragswesen

vorgestellt von Thomas Ax

Sie sind Bieter in einem Vergabeverfahren und es geht nicht mit rechten Dingen zu? Dann wenden Sie sich bei Vergabeverstößen der für das Vergabeverfahren verantwortlichen Vergabestelle mit einer Aufsichtsbeschwerde an die Kommunalaufsicht! Im Falle einer Aufsichtsbeschwerde, die nicht offensichtlich gegenstandslos ist, wird zunächst – ggf. durch Nachfrage bei der Vergabestelle – geprüft, ob der Zuschlag erteilt wurde und ob es sich um eine Vergabe oberhalb oder unterhalb der EG-Schwellenwerte handelt. Aufsichtsverfahren vor Zuschlagerteilung sind, soweit möglich, vorrangig und zügig zu behandeln. Bei Vergaben unterhalb der Schwellenwerte vor Zuschlagerteilung wird die Vergabestelle kurzfristig um Stellungnahme gebeten, wenn nicht von vornherein ein öffentliches Interesse zu verneinen ist. Die Rechtsschutzmöglichkeiten vor den (Zivil-)Gerichten sprechen nicht gegen die Bejahung eines öffentlichen Interesses. Die Kommunalaufsicht teilt dem Beschwerdeführer mit, ob sie kommunalaufsichtliche Maßnahme gegen die Kommunen eingeleitet hat. Sie kann dem Beschwerdeführer ihre Entscheidung begründen. Möglich ist eine Beanstandung als Maßnahme gegenüber der Vergabestelle: Der Beanstandung unterliegen grundsätzlich alle rechtswidrigen Maßnahmen der Gemeinde im Vergabeverfahren. Eine Beanstandung erfolgt nur dann nicht, wenn die Maßnahme nicht mehr rückabgewickelt werden kann. Dies gilt insbesondere, wenn der Zuschlag zivilrechtlich verbindlich erteilt wurde. Hier ist also schnelles Handeln erforderlich. Etwas anderes kann gelten, wenn gravierende Rechtsverstöße vorliegen, insbesondere, wenn zudem eine Wiederholungsgefahr zu besorgen ist. In diesen Fällen wird vorab geprüft, ob der Zuschlag überhaupt wirksam erteilt wurde oder ob beispielsweise wegen Verstoßes gegen die guten Sitten ein nach § 138 BGB nichtiges Rechtsgeschäft vorliegt. Leider ist die Aussetzung von Vergabeverfahren kein selbständiges Rechtsinstrument der Kommunalaufsicht. Eine auf die Aussetzung eines Vergabeverfahrens gerichtete Anordnung darf nicht ergehen. Davon unberührt bleibt aber das Recht zur einstweiligen Beanstandung von Maßnahmen unter den dafür allgemein geltenden kommunalaufsichtsrechtlichen Voraussetzungen. Gerade im Bereich unterhalb der Schwellenwerte ist damit eine Aufsichtsbeschwerde im Bereich der Auftragsvergabe ein Instrument zur Durchsetzung von Bieterinteressen in fehlerhaften Vergabeverfahren. 

1. Allgemeines

Vergabeaufsicht als allgemeine Rechtsaufsicht

Die Vergabe von Aufträgen unterfällt der kommunalen Selbstverwaltung. Die staatliche Aufsicht beschränkt sich daher auf eine Rechtsaufsicht, sofern nicht besondere Vorschriften ausdrücklich eine Sonder- oder Fachaufsicht anordnen. Auch wenn der Kommune bestimmte Aufgaben als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung oder als Auftragsangelegenheiten zugewiesen sind, ist die Beschaffung der Lieferungen und Leistungen zur Wahrnehmung dieser Aufgabe grundsätzlich Selbstverwaltungsangelegenheit. Insbesondere Fehler im Vergabeverfahren fallen daher in die Zuständigkeit der Rechtsaufsicht. Fach- oder sonder-aufsichtliche Maßnahmen können sich hingegen insbesondere auf den Inhalt der Ausschreibung beziehen. Die Rechtsaufsicht wird nach den §§ 108 ff. BbgKVerf von den Kommunalaufsichtsbehörden wahrgenommen, sofern besondere Vorschriften nicht ausnahmsweise die Rechtsaufsicht anderen Behörden zuweisen. Die Aufsicht erstreckt sich sowohl auf das nach außen gerichtete privatrechtliche Verfahren als auch auf das interne öffentlich-rechtliche Verfahren (z. B. das Beschlussverfahren in der Gemeindevertretung).

Vgl Runderlass Nr. 2/2019 “Kommunalaufsicht im kommunalen Auftragswesen” (Rderl. 2/2019) vom 26. August 2019

2. Zuständigkeiten

2.1. Allgemeine Zuständigkeitsverteilung

Es gelten die allgemeinen Zuständigkeiten. Zuständig für den kreisangehörigen Bereich sind die Landräte als allgemeine untere Landesbehörden, im Übrigen das Ministerium des Innern.

2.2. Aufsicht gegenüber juristischen Personen des Privatrechts

(1) Juristische Personen des Privatrechts unterliegen nicht der Kommunalaufsicht, auch wenn sie sich in ausschließlich kommunaler Trägerschaft befinden.

(2) Die Kommunen haben durch Ausübung ihrer Gesellschafterrechte auf ein rechtmäßiges Handeln der Privatrechtsgesellschaften hinzuwirken. Diese Ausübung der Gesellschafterrechte unterliegt der Kommunalaufsicht, so dass insoweit Vergaben von juristischen Personen des Privatrechts mit kommunalen Anteilseignern mittelbar der kommunalaufsichtlichen Kontrolle unterfallen.

2.3. Nachprüfstellen

Die Kommunalaufsichtsbehörden sind keine Prüfstellen nach § 21 VOB/A. Zur Einrichtung solcher Stellen und zur Angabe in den Ausschreibungsunterlagen vgl. Rundschreiben zum Kommunalen Auftragswesen im Land Brandenburg vom 26.08.2019; Gesch.Z.: 31-313-35.

2.4. Schlichtungsstellen

(1) Die Kommunalaufsichtsbehörden sind nicht die der auftraggebenden Stelle unmittelbar vorgesetzte Stelle im Sinne von § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 VOB/B.

(2) Vor der Kommunalaufsichtsbehörde finden Schlichtungsverfahren grundsätzlich nicht statt. Bei Anrufung zur Streitschlichtung sind dabei übermittelte Unterlagen unter Mitteilung der Unzuständigkeit an das Unternehmen zurückzureichen. Ist eine örtlich und sachlich zuständige Schlichtungsstelle eingerichtet, ist das Unternehmen an diese zu verweisen. 

2.5. Rechnungsprüfung

Die Ausübung der Kommunalaufsicht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens ist organisatorisch und personell sowohl von den Tätigkeiten im Prüfungswesen nach § 102 Abs. 1 Nr. 4 BbgKVerf als auch von der Tätigkeit der für die überörtliche Prüfung zuständigen Rechnungsprüfungsbehörden nach § 105 BbgKVerf zu trennen. Die Rechnungsprüfungsämter dürfen mit der Ausübung von Kommunalaufsicht nicht beauftragt werden.

Vgl Runderlass Nr. 2/2019 “Kommunalaufsicht im kommunalen Auftragswesen” (Rderl. 2/2019) vom 26. August 2019

3. Beratung

3.1. Beratung kommunaler Vergabestellen

(1) Die Kommunalaufsicht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens ist in erster Linie auf eine vorbeugende Beratung der kommunalen Vergabestellen auszurichten. Dies erfolgt insbesondere durch die Weitergabe bereichsspezifischer Informationen und Regelungen der obersten Kommunalaufsichtsbehörde.

(2) Die Beratung durch die Kommunalaufsichtsbehörde ist auf eine rechtsfehlerfreie Anwendung der bereichspezifischen Rechtsvorschriften gerichtet, d.h. sie ist Rechtsberatung. Die Zweckmäßigkeit rechtmäßiger Maßnahmen der Vergabestellen wird nicht beurteilt.

(3) Die Beratung beschränkt sich so weit wie möglich auf die Erteilung allgemeiner Rechtsauskünfte zur Anwendung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren. Eine konkrete rechtliche Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts im Einzelfall darf von der Kommunalaufsichtsbehörde nur dann vorgenommen werden, wenn sie den beurteilungserheblichen Sachverhalt zuvor aktenkundig festgestellt hat. Die verfahrensbezogene Beratung einer Vergabestelle darf nicht dazu führen, dass die Kommunalaufsichtsbehörde praktisch die Vorbereitung oder Durchführung des Vergabeverfahrens in ihre eigene Verantwortung übernimmt.

(4) Ist die Rechtslage – etwa wegen fehlender oder uneinheitlicher Rechtsprechung – nicht eindeutig oder sind die aufgeworfenen Rechtsfragen für die Kommunalaufsicht nicht oder nur mit unangemessenem Aufwand zu beantworten, kann die Kommunalaufsichtsbehörde die Vergabestelle auf eine Entscheidung in eigener Verantwortung verweisen; sie kann zudem die Vergabestelle darüber informieren, wenn aufgrund des gegenwärtigen Erkenntnisstandes kommunalaufsichtliche Maßnahmen nicht ergriffen werden sollen.

(5) Verbindliche Rechtsauskünfte werden von der Kommunalaufsichtsbehörde nur schriftlich erteilt. Bezieht sich eine Auskunft auf einen Sachverhalt, der von der Kommunalaufsichtsbehörde nicht selbst festgestellt wurde, sondern für den lediglich ein Vortrag der Vergabestelle zu Grunde gelegt wurde, ist dies in der Mitteilung deutlich zu machen. Gleiches gilt für die Beantwortung von Fragen, die losgelöst vom Einzelfall gestellt werden.

(6) Von der Kommunalaufsichtsbehörde werden ausschließlich Rechtsfragen beurteilt. Kommt es für die rechtliche Beurteilung auf eine Klärung anderer Fachfragen an, ist die Vergabestelle aufzufordern, sich zur Vorbereitung oder Durchführung des Vergabeverfahrens eines geeigneten Experten zu bedienen.

(7) Bei der Beratung dürfen die Ermessens- und Beurteilungsspielräume der kommunalen Auftraggeber nicht eingeschränkt werden. Zu einer bestimmten Maßnahme darf die Vergabestelle nur aufgefordert werden, wenn feststeht, dass jede andere Maßnahme rechtswidrig wäre.

(8) Die Beratung von Vergabestellen ist ein vertraulicher Vorgang zwischen der Kommunalaufsichtsbehörde und der Kommune. Die Kommunalaufsichtsbehörde ist zu gemeindefreundlichem Verhalten verpflichtet und erteilt daher Stellen und Personen außerhalb der öffentlichen Verwaltung grundsätzlich keine Auskünfte über den Gegenstand und die Inhalte der Beratung. Dabei kann der Vergabestelle gestattet werden, dass deren Beauftragte und Verfahrensbevollmächtigte an den Beratungen teilnehmen.

(9) Eine zusätzliche Beratung von Vergabestellen, die entgeltlich sachverständige Dritte mit der Vorbereitung bzw. Durchführung eines Vergabeverfahrens beauftragt haben, ist grundsätzlich nicht notwendig. Ebenso werden die Beauftragten der Vergabestelle nicht beraten.

(10) Erleidet die Gemeinde einen Schaden, kann die aufsichtliche Beratung auch Hinweise auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen umfassen.

3.2. Beratung Dritter

(1) Dritte, insbesondere private Unternehmen als Teilnehmer an Vergabeverfahren, werden von Kommunalaufsichtsbehörden nicht beraten.

(2) Auskünfte werden erteilt über Zuständigkeiten von Behörden des Landes, Zuständigkeiten der Gemeinden und Gemeindeverbände, Rechtsauffassungen der Kommunalaufsichtsbehörden, die von den Vergabestellen allgemein beachtet werden sollen.

(3) Für allgemeine Informationen und Beratungen zum öffentlichen Auftragswesen sind die Unternehmen an die Auftragsberatungsstelle Brandenburg e. V., – Mittelstraße 5, 12529 Schönefeld; Tel.: 030/3744607-0; Fax: 030/3744607-21; E-Mail: info@abst-brandenburg.de, zu verweisen.

(4) Die Beratung der ihrer Aufsicht unterliegenden Gesellschafter kommunaler Eigen- und Beteiligungsgesellschaften erfolgt nur insoweit, als Maßnahmen des kommunalen Gesellschafters zu treffen sind.

Vgl Runderlass Nr. 2/2019 “Kommunalaufsicht im kommunalen Auftragswesen” (Rderl. 2/2019) vom 26. August 2019

4. Kommunalaufsichtliche Maßnahmen

4.1. Öffentliches Interesse

(1) Jede Maßnahme der Kommunalaufsicht setzt ein öffentliches Interesse voraus. Dies wird in § 109 BbgKVerf ausdrücklich klargestellt. Ob ein öffentliches Interesse besteht, ist nach den Gesamtumständen des Einzelfalles zu beurteilen.

(2) Gegen ein öffentliches Interesse sprechen folgende Gesichtspunkte:

  • Rechtsschutzmöglichkeiten für einen unterlegenen Bieter
  • Zuschlag wurde erteilt und es stehen nur noch Haftungsansprüche im Raum
  • keine oder unwesentliche Auswirkungen auf den Gemeindehaushalt
  • mögliche Fehler können nicht mehr rückgängig gemacht werden

(3) Für ein öffentliches Interesse sprechen folgende Gesichtspunkte:

Verdacht einer strafbaren Handlung

  • wesentliche Auswirkungen auf den Gemeindehaushalt
  • Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht
  • vorsätzliche, offensichtliche, erhebliche oder wiederholte Rechtsverletzungen

(4) Ist ein öffentliches Interesse von vornherein auszuschließen, erfolgt eine Rechtmäßigkeitsprüfung nicht.

4.2. Unterrichtungsrecht

(1) Das Unterrichtungsrecht nach § 112 BbgKVerf gilt auch für Vergabeprüfungen. Die Kommunalaufsicht kann sich in jeder Phase des Vergabeverfahrens unterrichten lassen. Evtl. Geheimhaltungsverpflichtungen der Vergabestellen gelten nicht gegenüber der Aufsicht. Die Aufsicht unterliegt ihrerseits allen Geheimhaltungsverpflichtungen der Vergabestelle.

(2) Das Unterrichtungsbegehren erfolgt anlassbezogen, wenn die Möglichkeit einer rechtswidrigen Maßnahme besteht. Insbesondere eine allgemeine Unterrichtung über Vergaben der Kommunen oder stichprobenartige Prüfungen sind vom Unterrichtungsrecht nicht abgedeckt.

(3) Originalakten sind nur anzufordern, soweit dies für die Beurteilung des Sachverhaltes erforderlich ist. Würde durch die Übersendung das Vergabeverfahren unzumutbar verzögert, ist eine Einsichtnahme vor Ort zu empfehlen. In geeigneten Fällen können auch zunächst Kopien angefordert und die Originalakten nachgereicht werden.

4.3. Beanstandung

(1) Der Beanstandung nach § 113 BbgKVerf unterliegen grundsätzlich alle rechtswidrigen Maßnahmen der Gemeinde im Vergabeverfahren. Eine Beanstandung erfolgt in der Regel nicht, wenn die Maßnahme nicht mehr rückabgewickelt werden kann. Dies gilt insbesondere, wenn der Zuschlag zivilrechtlich verbindlich erteilt wurde. Etwas anderes kann gelten, wenn gravierende Rechtsverstöße vorliegen, insbesondere, wenn zudem eine Wiederholungsgefahr zu besorgen ist. In diesen Fällen ist vorab zu prüfen, ob der Zuschlag überhaupt wirksam erteilt wurde oder ob beispielsweise wegen Verstoßes gegen die guten Sitten ein nach § 138 BGB nichtiges Rechtsgeschäft vorliegt.

(2) Künftige Maßnahmen unterliegen grundsätzlich nicht der Beanstandung. Voraussetzung für eine ausnahmsweise ausgesprochene Beanstandung in diesen Fällen ist, dass die Maßnahme unmittelbar bevorsteht und eine nachträgliche Beanstandung zu nicht oder nur schwer wiedergutzumachenden Schäden führt. Um dem eigenverantwortlichen Handeln der Gemeinden im Vergabeverfahren Rechnung zu tragen, wird ein unmittelbar bevorstehender, zivilrechtlich wirksamer Zuschlag nur beanstandet oder nach § 113 Abs. 2 BbgKVerf einstweilig beanstandet, wenn ein unter 4.1 Abs. 3 genannter Gesichtspunkt vorliegt. Gleiches gilt für die Aufhebung einer Ausschreibung, wenn eindeutig ist, dass die Kommune die Vergabeabsicht aufgegeben hat.

4.4. Anordnung

(1) Die Zuschlagerteilung darf nicht angeordnet werden.

(2) Die Aussetzung von Vergabeverfahren ist kein selbständiges Rechtsinstrument der Kommunalaufsicht. Eine auf die Aussetzung eines Vergabeverfahrens gerichtete Anordnung nach § 115 BbgKVerf darf nicht ergehen. Davon unberührt bleibt das Recht zur einstweiligen Beanstandung von Maßnahmen (§ 113 Abs. 2 BbgKVerf) unter den dafür allgemein geltenden kommunalaufsichtsrechtlichen Voraussetzungen.

4.5. Ermessen

(1) Ob und welche Maßnahmen eingeleitet werden, steht im Ermessen der Kommunalaufsichtsbehörde. Zu erwägen ist insbesondere, ob eine aufsichtliche Beratung zur Bereinigung oder Vermeidung von Rechtsfehlern ausreicht. Zudem dürfen die Maßnahmen nicht außer Verhältnis zu den der Kommune dadurch entstehenden Nachteilen (z. B. Schadensersatzverpflichtungen, Fehlen benötigter Ausrüstung) stehen.

(2) Bei Verstößen gegen europäisches Gemeinschaftsrecht sind die Aufsichtsbehörden grundsätzlich zum Einschreiten verpflichtet. Dies gilt insbesondere, wenn die EU-Kommission bereits Schritte wegen einer möglichen Vertragsverletzung eingeleitet hat.

Vgl Runderlass Nr. 2/2019 “Kommunalaufsicht im kommunalen Auftragswesen” (Rderl. 2/2019) vom 26. August 2019

5. Behandlung von Aufsichtsbeschwerden

5.1. Vorgehensweise

(1) Bei Eingang einer Aufsichtsbeschwerde im Bereich der Auftragsvergabe, die nicht offensichtlich gegenstandslos ist, wird zunächst – ggf. durch Nachfrage bei der Vergabestelle – geprüft, ob der Zuschlag erteilt wurde und ob es sich um eine Vergabe oberhalb oder unterhalb der EG-Schwellenwerte handelt.

(2) Aufsichtsverfahren vor Zuschlagerteilung sind, soweit möglich, vorrangig und zügig zu behandeln.

(3) Bei Vergaben oberhalb der Schwellenwerte ist der Beschwerdeführer vor Zuschlagerteilung auf die Möglichkeit, die Vergabekammer anzurufen, hinzuweisen. Nimmt der Beschwerdeführer ein zulässiges Nachprüfungsverfahren nicht wahr oder ist der Antrag aus dem Beschwerdeführer zuzurechnenden Gründen unzulässig (z. B. Versäumung einer Frist oder einer Rügeobliegenheit), sind zur Durchführung einer kommunalaufsichtlichen Prüfung besondere Anforderungen an die Bejahung eines öffentlichen Interesses zu stellen.

(4) Bei Vergaben unterhalb der Schwellenwerte vor Zuschlagerteilung wird die Vergabestelle kurzfristig um Stellungnahme gebeten, wenn nicht von vornherein ein öffentliches Interesse zu verneinen ist. Die Rechtsschutzmöglichkeiten vor den (Zivil-)Gerichten sprechen nicht gegen die Bejahung eines öffentlichen Interesses. Die Kommunalaufsicht teilt dem Beschwerdeführer mit, ob sie kommunalaufsichtliche Maßnahme gegen die Kommunen eingeleitet hat. Sie kann dem Beschwerdeführer ihre Entscheidung begründen.

(5) Ist der Zuschlag erteilt und nach Einschätzung der Kommunalaufsicht eine zivilrechtliche Bindung der Kommune eingetreten, entfällt in der Regel das öffentliche Interesse. Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe der Kommunalaufsicht, private Schadensersatzansprüche gegen die Kommune zu prüfen und durchzusetzen. Der Beschwerdeführer wird in diesem Fall auf die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes verwiesen. Prüft die Kommunalaufsichtsbehörde die Beschwerde inhaltlich, weil Anhaltspunkte für eine Bejahung des öffentlichen Interesses nach 4.1.3 vorliegen, teilt sie dem Beschwerdeführer mit, ob sie kommunalaufsichtliche Maßnahme gegen die Kommunen eingeleitet hat. Sie kann dem Beschwerdeführer ihre Entscheidung begründen.

5.2. Akteneinsicht

(1) In den aufsichtsrechtlichen Verwaltungsverfahren der Kommunalaufsichtsbehörden haben beschwerdeführende Teilnehmer am Vergabeverfahren oder sonstige Dritte nicht die Stellung eines Beteiligten und können auch nicht als Beteiligte hinzugezogen werden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfGBbg i. V. m. § 13 Abs. 2 VwVfG). Ein Anspruch auf Akteneinsicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfGBbg i. V. m. § 29 VwVfG besteht daher nicht.

(2) Anträge auf Akteneinsicht nach dem AIG sind gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 5 AIG abzulehnen. Dies gilt sowohl für laufende, als auch für bereits abgeschlossene Verfahren.

Vgl Runderlass Nr. 2/2019 “Kommunalaufsicht im kommunalen Auftragswesen” (Rderl. 2/2019) vom 26. August 2019

6. Verhältnis zu anderen Verfahren

6.1. Aussetzung des Verfahrens

Die kommunalaufsichtliche Prüfung erfolgt grundsätzlich unabhängig von Prüfungen durch andere Institutionen. Ist in der gleichen Sache ein Gerichtsverfahren anhängig, wird das Kommunalaufsichtsverfahren in der Regel bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung ausgesetzt. Bei anderen Prüfungen, etwa im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission oder einer Rechnungsprüfung, kann das Verfahren ausgesetzt werden.

6.2. Einleitung anderer Verfahren

(1) Bei Verdacht einer strafbaren Handlung kann die Kommunalaufsicht Strafanzeige erstatten. Zu Maßnahmen bei Korruptionsverdacht siehe Ziff. 8.

(2) Liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, ist vom Dienstvorgesetzten ein Disziplinarverfahren einzuleiten, § 18 LDG.

Vgl Runderlass Nr. 2/2019 “Kommunalaufsicht im kommunalen Auftragswesen” (Rderl. 2/2019) vom 26. August 2019

7. Besondere Bestimmungen bei der Verwendung von Fördermitteln

Sind zur Finanzierung der zu vergebenden Leistung in einem Vergabeverfahren von der Vergabestelle Fördermittel beantragt und bewilligt worden, soll der Fördermittelgeber über Zweifel an der rechtmäßigen Durchführung des Vergabeverfahrens bzw. der unrechtmäßigen Verwendung der Fördermittel durch die zuständige Kommunalaufsichtsbehörde benachrichtigt werden. Weitere kommunalaufsichtsrechtliche Maßnahmen können solange unterbleiben, bis der Fördermittelgeber mitgeteilt hat, ob die Vergabestelle die mit dem Fördermittelbescheid verbundene Auflage zur Beachtung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren (§ 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfGBbg i. V. m. § 36 Abs. 2 Nr. 4 und 5 VwVfG) nach deren Feststellungen rechtsfehlerfrei erfüllt hat oder nicht.

Vgl Runderlass Nr. 2/2019 “Kommunalaufsicht im kommunalen Auftragswesen” (Rderl. 2/2019) vom 26. August 2019

8. Besondere Bestimmungen bei Korruptionsverdacht

(1) Als Korruption ist jede unrechtmäßige Einflussnahme auf die Entscheidungsabläufe der Verwaltung, d. h. deren Organe, Beschäftigte oder sonstige Beauftragte (auch Mitarbeiter mitwirkender Planungsbüros) anzusehen, die in der Absicht erfolgt, dadurch sich selbst oder einem Dritten eine bessere Position gegenüber anderen zu verschaffen. Einem Korruptionsverdacht ist immer nachzugehen. Verfestigt sich ein anfänglicher Verdacht, teilt die Kommunalaufsichtsbehörde ihre maßgeblichen Feststellungen dem Leiter der Verwaltung oder, soweit dieser selbst vom Verdacht betroffen ist, dessen Dienstvorgesetzten unverzüglich schriftlich mit. Der obersten Kommunalaufsichtsbehörde sowie der Antikorruptionsbeauftragten des Ministeriums des Innern ist eine Kopie zu übersenden.

(2) Richtet sich ein verfestigter Korruptionsverdacht gegen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, wirkt die Kommunalaufsichtsbehörde auf eine weitere Aufklärung durch den zuständigen Dienstvorgesetzten hin. Richtet sich der Verdacht gegen sonstige Beauftragte der Verwaltung oder deren Mitarbeiter, wirkt die Kommunalaufsichtsbehörde auf eine neuerliche Überprüfung der Zuverlässigkeit des Beauftragten durch den öffentlichen Auftraggeber hin, der bei festgestellter Unzuverlässigkeit das Vertragsverhältnis unverzüglich beendet, unbeschadet etwaiger strafrechtlicher Veranlassungen.

(3) Erhält die Kommunalaufsichtsbehörde Kenntnis eines Korruptionsverdachts im Verantwortungsbereich einer kommunalen Eigen- oder Beteiligungsgesellschaft, teilt sie dies dem ihrer Aufsicht unterliegenden Gesellschafter des Unternehmens mit der Bitte um Stellungnahme mit.

Vgl Runderlass Nr. 2/2019 “Kommunalaufsicht im kommunalen Auftragswesen” (Rderl. 2/2019) vom 26. August 2019

Kurz belichtet

Kurz belichtet

Kurz belichtet: Lädt der Auftraggeber zu Verhandlungsgesprächen ein, führt dies zu einer Verpflichtung des Auftraggebers zur Durchführung von Verhandlungen
Lädt der Auftraggeber zu Verhandlungsgesprächen ein, macht er damit aus Sicht eines verständigen Bieters deutlich, dass er von einem in der Bekanntmachung enthaltenen Vorbehalt nach § 17 Abs. 11 VgV keinen Gebrauch macht. Dies führt zu einer Verpflichtung des Auftraggebers zur Durchführung von Verhandlungen nach § 17 Abs. 10 VgV und zur Aufforderung zu einem finalen Angebot nach § 17 Abs. 14 VgV.
VK Südbayern, Beschluss vom 18.07.2024 – 3194.Z3-3_01-24-27

Kurz belichtet: Bieter ist in seinen Rechten verletzt, wenn zwar die Bewertung seines eigenen Angebots vom Beurteilungsspielraum des Auftraggebers gedeckt ist, die Bewertung des Angebots des zum Zuschlag vorgesehenen Bieters aber derart fehlerhaft ist, dass sich eine andere Bieterreihenfolge ergeben könnte
Ein Bieter ist auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn zwar die Bewertung seines eigenen Angebots vom Beurteilungsspielraum des Auftraggebers gedeckt ist, die Bewertung des Angebots des zum Zuschlag vorgesehenen Bieters aber derart fehlerhaft ist, dass sich eine andere Bieterreihenfolge ergeben könnte.
VK Südbayern, Beschluss vom 18.07.2024 – 3194.Z3-3_01-24-27

Kurz belichtet: Für Umrechnung von Preisen in Bewertungspunkte muss der Auftraggeber eine mathematisch nachvollziehbare Methode vor Kenntnis der Angebote festgelegt haben und diese auch anwenden
Bei der Umrechnung von Preisen in Bewertungspunkte muss der Auftraggeber eine mathematisch nachvollziehbare Methode vor Kenntnis der Angebote festgelegt haben und diese auch anwenden.
VK Südbayern, Beschluss vom 18.07.2024 – 3194.Z3-3_01-24-27

Kurz belichtet: Preisbewertungsmethode darf nicht nachträglich in Kenntnis der Angebote festgelegt werden
Eine Preisbewertungsmethode darf wegen der hohen Manipulationsgefahr nicht nachträglich in Kenntnis der Angebote festgelegt werden
VK Südbayern, Beschluss vom 18.07.2024 – 3194.Z3-3_01-24-27

Kurz belichtet: Methoden für Preisbewertung von Honorarangeboten von Architekten und Ingenieuren müssen rechnerisch nachvollziehbar sein
Auch bei der Preisbewertung von Honorarangeboten von Architekten und Ingenieuren, die in Anlehnung an die Vorschriften der HOAI erstellt werden, dürfen nur solche Methoden eingesetzt werden, die zum einen rechnerisch nachvollziehbar sind und zum anderen die relativen Preisabstände zwischen den Angeboten widerspiegeln können.
VK Südbayern, Beschluss vom 18.07.2024 – 3194.Z3-3_01-24-27

Kurz belichtet: Angebotswertung darf nicht vollständig an einen Verfahrensbetreuer delegiert werden
Die Angebotswertung ist ureigene Aufgabe des Auftraggebers und darf nicht vollständig an einen Verfahrensbetreuer delegiert werden. Aus diesem Grund darf der Verfahrensbetreuer auch nicht nach Befassung des zuständigen Gremiums des Auftraggebers die diesem vorgelegte Benotung eines Angebots eigenmächtig ändern.
VK Südbayern, Beschluss vom 18.07.2024 – 3194.Z3-3_01-24-27

Kurz belichtet: Wenn Bieter keine Ansprüche auf eine angemessene Vergütung für Lösungsvorschläge nach § 77 Abs. 2 VgV haben, kann Auftraggeber nicht erwarten, dass die Bieter überobligatorisch und ohne Vergütung fundierte Lösungsvorschläge i.S.d. § 77 Abs. 2 VgV einreichen
Nimmt der Auftraggeber bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen Formulierungen wie “es werden keine Planungsleistungen erwartet” in die Vergabeunterlagen auf, die dafür sorgen sollen, dass die Bieter keine Ansprüche auf eine angemessene Vergütung für Lösungsvorschläge nach § 77 Abs. 2 VgV geltend machen können, darf er nicht gleichzeitig für eine gute Bewertung des Angebots voraussetzen, dass die Bieter überobligatorisch und ohne Vergütung fundierte Lösungsvorschläge i.S.d. § 77 Abs. 2 VgV einreichen.
VK Südbayern, Beschluss vom 18.07.2024 – 3194.Z3-3_01-24-27

Kurz belichtet: AB 1.10.2024: Die neue Verwaltungsvorschrift der Landesregierung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VwV Beschaffung) Vom 23. Juli 2024, – Az.: WM17-02-134/171 –

Kurz belichtet: AB 1.10.2024: Die neue Verwaltungsvorschrift der Landesregierung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VwV Beschaffung) Vom 23. Juli 2024, - Az.: WM17-02-134/171 -

Hintergrund

Diese Verwaltungsvorschrift gilt für die entgeltliche Beschaffung von Liefer- und Dienstleistungen im Sinne der Definition des § 103 Absatz 1, 2 und 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der jeweils geltenden Fassung (öffentlicher Auftrag).

Diese Verwaltungsvorschrift findet keine Anwendung in den Fällen, die in §§ 102, 107, 108, 109, 116, 117 oder 145 GWB geregelt sind.

Diese Verwaltungsvorschrift ist von allen Behörden, Betrieben und Einrichtungen des Landes sowie den landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts anzuwenden, die § 55 LHO unmittelbar (öffentliche Auftraggeber) oder nach § 105 LHO (Auftraggeber) zu beachten haben, soweit sie Mittel des Landeshaushalts bewirtschaften. Für juristische Personen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes unterstehen, findet Nummer 3 der VV zu § 55 LHO Anwendung.

Diese Verwaltungsvorschrift ist anzuwenden, sofern der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer die Schwellenwerte gemäß § 106 GWB unterschreitet; die vorgenannte Einschränkung gilt nicht für die Gemeinsame Beschaffung nach Nummer 14.

Die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) ist in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden, sofern diese Verwaltungsvorschrift nichts Abweichendes bestimmt.

Neue Regeln zur angemessenen Beteiligung des Mittelstandes

Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sind mittelständische Interessen vornehmlich zu berücksichtigen. Entsprechend der Definition der Empfehlung 2003/361/EG in der jeweils geltenden Fassung, gehören zur mittelständischen Wirtschaft kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die weniger als 250 Beschäftigte haben und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Millionen Euro beläuft (4.1).

Pilotprojekt für innovationsfreundliche Vergabe an Start-ups

Abweichend von § 14 UVgO und Nummer 7.2 dieser Verwaltungsvorschrift können Liefer- und Dienstleistungen unter Berücksichtigung der Haushaltsgrundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 7 LHO ohne ein Vergabeverfahren an Start-ups vergeben werden, wenn der Auftragswert unterhalb des jeweiligen Schwellenwerts gemäß § 106 Absatz 2 GWB liegt.

Sofern in der UVgO nicht abweichend geregelt, sind Start-ups junge innovative Unternehmen mit Wachstumsambitionen. Sie zeichnen sich durch ein innovatives Geschäftsmodell, ein innovatives Produkt oder eine innovative Dienstleistung aus. Außerdem haben sie Skalierungspotenzial, das heißt das Potenzial zu wachsen und sich zu entwickeln. Es empfiehlt sich, eine Markterkundung vorab durchzuführen und zu dokumentieren. Die Vertragsbedingungen nach Nummer 12 sind zu nennen.

Diese Ausnahme gilt nicht für die Gegenstände, die der gemeinsamen Beschaffung unterliegen (siehe Nummer 14)

Das Pilotprojekt endet drei Jahre nach Inkrafttreten dieser Verwaltungsvorschrift.

Die Auswirkungen des Pilotprojekts werden zum Ende des Jahres 2026 evaluiert. Dabei ist darzustellen, inwieweit das Pilotprojekt Wirkung entfaltet und, soweit notwendig, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um die Beteiligung von Start-ups an der Vergabe öffentlicher Aufträge weiter zu stärken (4.2).

Neue Regel zur Kommunikation und Informationsübermittlung (6)

Die elektronische Kommunikation einschließlich Angebotsabgabe kann bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen per E-Mail erfolgen, wenn eine Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb oder eine Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt wird. § 7 Absatz 4, § 39 Satz 1 und § 40 UVgO finden hierauf keine Anwendung. Die Auftraggeber haben durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass Manipulationsmöglichkeiten verhindert werden (zum Beispiel durch Einrichtung einer Funktions-E-Mail Adresse für die Angebotseinreichung, auf die nur Beschäftigte Zugriff haben, die nicht der Bedarfsstelle angehören).

Neue Regel zur Zulässigkeit der Beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb und Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb (7.1)

Zusätzlich zu den in § 8 Absätze 3 und 4 UVgO geregelten Voraussetzungen dürfen Beschaffungen unterhalb des jeweiligen Schwellenwerts gemäß §106 Absatz 2 GWB auch im Wege einer Beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb oder einer Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden.

Neue Regel zum Direktauftrag (7.2)

§ 14 UVgO findet mit der Maßgabe Anwendung, dass ein Direktauftrag bis zu einem Betrag von 100 000 Euro ohne Umsatzsteuer zulässig ist. Dies gilt auch für die Beschaffung freiberuflicher Leistungen.