von Thomas Ax
Nach § 182 Abs. 4 S. 4 GWB gelten § 80 Abs. 1, 2 und 3 S. 2 VwVfG sowie die entsprechenden Vorschriften der Länder entsprechend. Nach dem demnach hier entsprechend anwendbaren § 80 Abs. 2 VwVfG (im Folgenden kurz: VwVfG) sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren, in entsprechender Anwendung also im Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Die damit grundsätzlich bestehende Erstattungsfähigkeit solcher Aufwendungen hängt nach § 80 Abs. 1 S. 1 VwVfG im Einklang mit § 182 Abs. 4 S. 1 GWB davon ab, ob es sich insoweit um Aufwendungen handelt, die zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren.
Da das Gesetz insoweit keine Regel vorgibt, kann die Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht schematisch beantwortet werden. Es ist – wie auch sonst, wenn es um die Notwendigkeit verursachter Kosten geht – eine Entscheidung geboten, die den Umständen des Einzelfalls gerecht wird. Hierzu ist die Frage zu beantworten, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen, der im Hinblick auf eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen. Hierfür können neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände bestimmend sein wie etwa die sachliche und personelle Ausstattung des Beteiligten, also beispielsweise, ob er über eine Rechtsabteilung oder andere Mitarbeiter verfügt, von denen erwartet werden kann, dass sie gerade oder auch Fragen des Vergaberechts sachgerecht bearbeiten können, oder ob allein der kaufmännisch gebildete Geschäftsinhaber sich des Falls annehmen muss (BGH, Beschluss vom 26. September 2006 – X ZB 14/06 -, Rn. 61; Senat, Beschluss vom 14. Dezember 2022 – Verg 10/22).
Auch wenn das Gesetz keine Regel vorgibt, führen doch die für die Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung typischerweise maßgeblichen Umstände dazu, dass im Regelfall die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes für die am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen notwendig ist, wenn sie nicht auf tatsächlich vorhandene Rechtskenntnisse, die ihnen etwa durch eine eigene Rechtsabteilung vermittelt werden, zurückgreifen können (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Dezember 2022 – Verg 10/22 m.w.N.), während sie für den öffentlichen Auftraggeber im Regelfall nur dann notwendig ist, wenn die sich im Vergabenachprüfungsverfahren stellenden Rechtsfragen nicht mit den Rechtskenntnissen, die von ihm als Betreiber des Vergabeverfahrens zu erwarten sind, angemessen zu bewältigen sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. März 2020 – VII-Verg 38/18; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. November 2024 – 11 Verg 6/24). Denn der öffentliche Auftraggeber kann sich wegen seiner aus dem Kartellvergaberecht und gegebenenfalls auch seiner Stellung als Hoheitsträger erwachsenen Pflicht zur rechtmäßigen Führung des Vergabeverfahrens nicht darauf berufen, über keine vergaberechtlichen Rechtskenntnisse zu verfügen. So wie jeder Amtsträger die zur Führung seines Amtes notwendigen Rechtskenntnisse haben oder sich verschaffen muss, ist von einem öffentlichen Auftraggeber zu erwarten, dass die von ihm eingesetzten Mitarbeiter die dafür maßgeblichen Rechtsvorschriften kennen (OLG Koblenz, Beschluss vom 26. August 2020 – Verg 5/20; Radu, in: Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage 2023, § 182 GWB § 182 Rn. 146 m.w.N.). Deswegen kann und muss von jedem ein Vergabeverfahren betreibenden öffentlichen Auftraggeber erwartet werden, dass er über hinreichende Kenntnisse zu den auftragsbezogenen Sach- und Rechtsfragen des von ihm geführten Vergabeverfahrens verfügt und sich diese nötigenfalls in eigener Zuständigkeit sowie auf eigene Kosten beschafft und im Vergabenachprüfungsverfahren dann auch tatsächlich einsetzt (OLG Celle, Beschluss vom 5. November 2020 – 13 Verg 7/20; Radu, in: Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage 2023, § 182 GWB § 182 Rn. 146 m.w.N.).
Das entspricht im Übrigen auch der Rechtslage zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten nach § 80 Abs. 2 VwVfG im verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahren. Auch dort ist eine Hinzuziehung von Rechtsanwälten der Ausgangsbehörde nur in besonders gelagerten Einzelfällen als notwendig anzusehen. In der Regel muss die Ausgangsbehörde mit eigenem Fachpersonal so ausgestattet sein, dass sie ihre Verwaltungstätigkeit, zu der ihre Mitwirkung im Vorverfahren gehört, ohne fremde Unterstützung ausführen kann und für diese Ausstattung auch selbst sorgen. Dies gilt auch für die Bearbeitung schwieriger Rechtsfälle, sofern sie nur zu ihrem Aufgabenbereich gehören (vgl. statt aller Kallerhoff/Keller in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Auflage 2023, § 80 Rn. 85 m.w.N.; Baer in: Schoch/Schneider Verwaltungsrecht, Werkstand: 5. EL Juli 2024, § 80 VwVfG Rn. 66 m.w.N.). All dies hat aufgrund der Verweisung des § 182 Abs. 4 S. 4 GWB auf § 80 VwVfG auch im Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer zu gelten, zumal Gründe für eine andere Handhabung der Vorschrift nicht ersichtlich sind. Die insoweit erörterten Kriterien wie etwa die Komplexität des Sachverhalts, die Bedeutung des Auftrags, das Beschleunigungsgebot, die Komplexität des Vergaberechts, eine Waffengleichheit mit dem Antragsteller sind ohne Hinzutreten besonderer Umstände des Einzelfalls ungeeignet, um jedenfalls für den öffentlichen Auftraggeber eine abweichende Würdigung zu erlauben (vgl. eingehend Radu in: Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage 2023, § 182 GWB § 182 Rn. 147 ff. m.w.N.).
Vielfach gehören die insoweit maßgeblichen Rechtsfragen zum vergaberechtlichen Basiswissen, das bei jedem öffentlichen Auftraggeber vorhanden sein muss, der ein kartellvergaberechtliches Vergabeverfahren betreibt. Würde er nicht über die entsprechenden Kenntnisse verfügen, würde er den ihn treffenden Pflichten als Verantwortlichen für das Vergabeverfahren schon im Ausgangspunkt nicht gerecht werden können. Folglich ist ihm auch zuzumuten, dass er seine Kenntnisse im Vergabenachprüfungsverfahren einsetzt. Bedient er sich hierzu der Unterstützung von Rechtsanwälten, was ihm selbstverständlich freisteht, ist eine solche Hinzuziehung kostenrechtlich nicht notwendig. Mit anderen Worten liegt es in zwar seiner autonomen Entscheidung, ob er die für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Haushaltsmittel zur Vorhaltung eigener Sachkunde durch entsprechend ausgebildete und geschulte Mitarbeiter oder zur Finanzierung von Rechtsanwälten einsetzt; daran, dass er diese Kosten seiner Aufgabenerfüllung selbst zu tragen hat, vermag aber ein etwaiges Qutsourcing durch die Inanspruchnahme rechtsanwaltlicher Hilfe nichts ändern.
Gehören die sich stellenden Fragen zum unabdingbaren von jedem öffentlichen Auftraggeber zu erwartenden vergaberechtlichen Basiswissen, war und ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts kostenrechtlich nicht notwendig.