vorgestellt von Thomas Ax
Eine Tat nach § 298 StGB (wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen) ist grundsätzlich in dem Zeitpunkt beendet und beginnt zu verjähren, in dem die wesentlichen Merkmale des Auftrags und insbes. der als Gegenleistung für die Arbeiten zu zahlende Gesamtpreis vorbehaltlich etwaiger Nachträge endgültig durch Zuschlag oder Vertragsschluss bestimmt worden sind. Auf die Abwicklung des Vertrags durch Erstellen der Schlussrechnung kommt es nicht an.
Das Saarländische Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 13. Oktober 2023 die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichtzulassung der Anklage im Strafverfahren gegen ein ehemaliges Mitglied des Vorstands der Dillinger Hütte AG wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen verworfen.
Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken wirft dem Angeschuldigten vor, sich als ehemaliges Mitglied des Vorstands der Dillinger Hütte AG in drei Fällen wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen (§ 298 StGB) strafbar gemacht zu haben. Bei der Dillinger Hütte AG soll in den Jahren 2013 bis 2015 bei der Vergabe von Bauaufträgen ein System rechtswidriger Preisabsprachen bestanden haben. Leitende Angestellte der Neubauabteilung der Dillinger Hütte AG hätten, so die Anklage, gemeinsam mit mehreren Bauunternehmen Vergabeverfahren durch Preisverrat so manipuliert, dass die beteiligten Bauunternehmen ausgeschriebene Bauaufträge der Dillinger Hütte AG unter Ausschluss sonstiger Wettbewerber unter sich aufteilen konnten. Der Angeschuldigte habe in Kenntnis und Billigung dieses Systems darauf hingewirkt, dass im Juni und Juli 2013 eines der beteiligten Fremdunternehmen aufgrund wettbewerbsbeschränkender Absprachen die Zuschläge für drei Bauvorhaben der Dillinger Hütte AG erhalten habe. Im Gegenzug habe unter anderem ein Familienmitglied des Angeschuldigten bei dem begünstigten Bauunternehmen eine Vollzeitanstellung erhalten.
Das Landgericht Saarbrücken hat die Zulassung der Anklage aus Rechtsgründen abgelehnt, weil die dem Angeschuldigten zur Last gelegten Taten verjährt seien.
Der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts hat die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 13. Oktober 2023 als unbegründet verworfen und die Rechtsauffassung des Landgerichts bestätigt.
Ungeachtet der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten des Angeschuldigten aufgezeigt habe, sei die Verfolgung der angeklagten Taten gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB wegen Verjährung ausgeschlossen.
Die Verjährungsfrist für die Verfolgung wettbewerbsbeschränkender Absprachen nach § 298 StGB betrage gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 StGB fünf Jahre. Diese Frist beginne gemäß § 78a Satz 1 StGB mit der Beendigung der Tat zu laufen und sei hinsichtlich der angeklagten Taten abgelaufen.
Im Lichte europarechtlicher Rechtsprechung sei, so der Senat, anzunehmen, dass eine Tat nach § 298 StGB spätestens mit Erteilung des Zuschlags bzw. mit Vertragsschluss beendet sei. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs seien grenzüberschreitende wettbewerbsbeschränkende Absprachen nach Art. 101 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise zur Europäischen Union (AEUV) in dem Zeitpunkt beendet, in dem die Parteien den Vertrag schließen. Ab diesem Zeitpunkt sei dem Auftraggeber endgültig die Möglichkeit genommen, die in Rede stehenden Güter, Bau- oder Dienstleistungen frei von unlauteren Einflüssen und unter normalen Marktbedingungen zu erhalten (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Januar 2021 – C-450/19 – Rn. 35, abzurufen unter https://curia.europa.eu). Nichts Anderes könne für den nationalen Straftatbestand des § 298 StGB gelten. Ebenso wie Art. 101 AEUV schütze auch § 298 StGB vorrangig die Freiheit des Wettbewerbs vor unlauteren Einflüssen. Dabei sie die Vorschrift nicht auf den innerdeutschen Wettbewerb beschränkt, sondern erfasse auch Ausschreibungen, die in den Anwendungsbereich des EU-Rechts fielen. Um Widersprüche zwischen der europarechtlichen und der nationalen Rechtsordnung zu vermeiden, sei der Zeitpunkt der Beendigung wettbewerbsbeschränkender Absprachen daher gleich zu bestimmen.
Danach habe die fünfjährige Verjährungsfrist hinsichtlich der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Taten mit Erteilung der Zuschläge im Juni und Juli 2013 zu laufen begonnen. Sie sei deshalb bereits abgelaufen gewesen, als die Staatsanwaltschaft am 8. Januar 2019 aufgrund bekanntgewordener Verdachtsmomente die Ermittlungen gegen den Angeschuldigten eingeleitet habe.
OLG Saarbrücken, Beschluss vom 13.10.2023 – 1 Ws 55/23