Umfasst das Anordnungsrecht des Auftraggebers bauzeitliche Anordnungen?
von Thomas Ax
Ob das Anordnungsrecht des Auftraggebers bauzeitliche Anordnungen umfasst, ist ungeklärt. Der Bundesgerichtshof hat zwar in einigen Entscheidungen in obiter dicta ausgeführt, eine bauzeitändernde Anordnung könne Ansprüche nach § 2 Abs. 5 VOB/B auslösen (Urteil vom 21.03.1968 – VII ZR 84/67; Urteil vom 21.12.1970 – VII ZR 184/69; Urteil vom 27.06.1985 – VII ZR 23/84), doch existiert wohl keine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, in welchen Fällen eine wirksame bauzeitändernde Anordnung anzunehmen ist. Kniffka (Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., Teil 4 Rn. 167) hat zuletzt seine noch in der Vorauflage vertretene Auffassung, das Anordnungsrecht erfasse auch die zeitliche Komponente von Planungsänderungen, nunmehr geändert und verneint ein Anordnungsrecht des Auftraggebers im Hinblick auf die Bauzeit. Diese sei vielmehr bei geänderten Verhältnissen in ergänzender Vertragsauslegung anzupassen.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings mehrfach angenommen worden, dass ein Anspruch auf Anpassung der Vergütung nach § 2 Abs. 5 VOB/B gegeben ist, wenn der Auftraggeber die Verschiebung der vorgegebenen Bauzeit, insbesondere des Baubeginns, anordnet (KG, Urteil vom 29.01.2019 – 21 U 122/18; OLG Hamm, Urteil vom 14.04.2005 – 21 U 133/04; OLG Brandenburg, Urteil vom 25.06.2020 – 12 U 59/19). Eine Anordnung i.S.v. § 2 Abs. 5 VOB/B ist schon in der Mitteilung des Bestellers an den Unternehmer gesehen worden, dieser könne erst zu einer späteren Zeit auf der Baustelle arbeiten (KG, Urteil vom 29.01.2019 – 21 U 122/18). Teilweise wird als Voraussetzung gefordert, dass die Gründe für diese Anordnung im Risikobereich des Auftraggebers liegen (KG, Urteil vom 22.06.2018 – 7 U 111/17; OLG Braunschweig, Urteil vom 02.11.2000 – 8 U 201/99). Das OLG Hamm (Urteil vom 12.04.2011 – 24 U 29/09) hat ausgeführt, von einer leistungsbestimmenden Anordnung könne nur dann ausgegangen werden, wenn ein entsprechender rechtsgeschäftlicher Wille des Auftraggebers feststellbar ist, die vertraglichen Grundlagen insoweit zu ändern. Ein solcher Wille komme dann nicht in Betracht, wenn der Vertrag aufgrund von Leistungsstörungen notwendigerweise anders ausgeführt werden müsse. Entscheidend sei bei jedem einzelnen Eingriff in den Bauablauf, inwieweit ein Wille des Auftraggebers bestehe, infolge geänderter Umstände Änderungen im zeitlichen Ablauf als neuen Gegenstand der vertraglichen Leistung anzuordnen. Hierbei komme es entscheidend darauf an, in welchem Maß der Auftraggeber Einfluss auf die verändernden Umstände gehabt habe. Soweit ändernde Umstände nicht der Sphäre des Auftraggebers zuzurechnen seien, sei ein für eine vertragsändernde Anordnung erforderlicher rechtsgeschäftlicher Wille nicht erkennbar. Von einem rechtsgeschäftlichen Anordnungswillen könne allenfalls dann ausgegangen werden, wenn der Auftraggeber mit neuen Bauzeitenplänen auf Störungen reagiert habe, die er selbst zu vertreten habe.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt jedoch als Anordnung i.S.v. § 2 Abs. 5 VOB/B nur eine Erklärung in Frage, die die vertragliche Leistungspflicht erweitert, die also eine neue Verbindlichkeit des Auftragnehmers begründen soll. § 2 Abs. 5 VOB/B ist deshalb nicht anzuwenden, wenn eine Leistungsänderung bereits vom vertraglichen Leistungsumfang umfasst ist, etwa weil ein bestimmter vertraglicher Erfolg auf ein erkennbar nicht vollständiges Leistungsverzeichnis angeboten worden ist (BGH, Urteil vom 09.04.1992 – VII ZR 129/91). Zudem kann allein der Umstand, dass eine Störung des Vertrags wegen der Verzögerung der Bauausführung vorliegt, nicht als Anordnung gewertet werden und daher nicht zu Ansprüchen nach § 2 Abs. 5 VOB/B führen (BGH, Versäumnisurteil vom 26.10.2017 – VII ZR 16/17; Urteil vom 20.04.2017 – VII ZR 194/13).
Nach dieser Maßgabe liegt in dem Aufstellen eines Bauablaufplans, bei dessen Einhaltung die Leistung nach dem vertraglich bestimmten Endtermin fertigzustellen ist, keine Anordnung nach § 2 Abs. 5 VOB/B. Der vertragliche Leistungsumfang, der zu erbringen ist, liegt in der vollständigen Herstellung des Werks. Diese wird auch dann geschuldet, wenn der vereinbarte Fertigstellungstermin nicht eingehalten werden kann, egal worauf die Verzögerung beruhte. Daneben sind die Regelungen zu beachten, die nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B zum Zusammenwirken der verschiedenen Unternehmen getroffen werden. Hierzu gehören insbesondere Bauzeitenpläne (Ingenstau/ Korbion/Oppler, VOB, 22. Aufl., B § 4 Abs. 1, Rn. 13). Deren Erstellen oder Anpassen nach Vertragsabschluss im Verlauf der Bauausführung führt nicht zu einer Erweiterung, sondern nur zu einer Konkretisierung der vertraglichen Leistungspflicht des Auftragnehmers. Wenn gleichzeitig eine Verlängerung der Ausführungsfrist nach § 6 Abs. 2 VOB/B gewährt wird, ist nicht ersichtlich, dass eine Anordnung getroffen wird, die die Leistungspflicht erweitern soll.
Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung schon in der Mitteilung des Bestellers, der Unternehmer könne nicht zur vereinbarten Zeit leisten, eine Anordnung im Sinne von § 2 Abs. 5 VOB/B liegen soll (KG, Urteil vom 29.01.2019 – 21 U 122/18, m.w.N.), steht dies im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Kann allein der Umstand, dass eine Störung des Vertrags wegen der Verzögerung der Bauausführung vorliegt, nicht als Anordnung gewertet werden und daher nicht zu Ansprüchen nach § 2 Abs. 5 VOB/B führen (BGH, Versäumnisurteil vom 26.10.2017 – VII ZR 16/17), kann sich die Rechtslage nicht dadurch verändern, dass der Auftraggeber dem Auftragnehmer die Störung des Vertrags mitteilt.
Der Ansicht des OLG Hamm (Urteil vom 12.04.2011 – 24 U 29/09), das die Auslegung als Anordnung davon abhängig machen will, ob der Auftraggeber mit neuen Bauzeitenplänen auf Störungen reagiert, die er selbst zu vertreten hat, ist nicht zu folgen. Die nach dem Empfängerhorizont vorzunehmende Auslegung eines Verhaltens als Willenserklärung kann nicht maßgeblich davon abhängen, wer objektiv den Anlass für das Verhalten zu vertreten hat, da häufig auch hierüber Streit bestehen wird. Zudem ist für den Auftragnehmer als Erklärungsempfänger gar nicht ohne Weiteres erkennbar, ob die ändernden Umstände der Sphäre des Auftraggebers zuzurechnen sind. Schließlich ist für die Willensbildung des Auftraggebers auch aus der Sicht des Auftragnehmers regelmäßig nicht relevant, ob er die Ursache für die Verschiebung der Bauzeit selbst zu verantworten hat oder nicht.
Die im Zusammenhang mit Bauzeitenänderungen häufig zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur verzögerten Vergabe vermag die Annahme, Bauzeitenpläne enthielten eine Anordnung i.S.v. § 2 Abs. 5 VOB/B und begründeten daher einen Anspruch auf eine Anpassung der Vergütung, nicht zu rechtfertigen. Der Bundesgerichtshof stützt den Anspruch des Auftragnehmers auf eine Mehrvergütung bei verzögerter Vergabe nicht auf eine unmittelbare oder entsprechende Anwendung von § 2 Abs. 5 VOB/B. Vielmehr nimmt er in diesen Fällen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass schon bei Vertragsabschluss die im Vertrag genannten Ausführungsfristen aus tatsächlichen Gründen gegenstandslos sind, eine ergänzende Vertragsauslegung vor, um die bestehende Vertragslücke zu füllen. In diesem von den Besonderheiten des Vergabeverfahrens geprägten Rahmen zieht er für die Anpassung des Vergütungsanspruchs die Grundsätze des § 2 Abs. 5 VOB/B heran (BGH, Urteil vom 11.05.2009 – VII ZR 11/08).
Vgl dazu auch OLG Dresden, Urteil vom 13.12.2023 – 13 U 378/23