Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt

Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb grundsätzlich mit angemessenem Bieterwettbewerb

Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb grundsätzlich mit angemessenem Bieterwettbewerb

von Thomas Ax

Die Durchführung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gem § 14 Abs. 3 VgV erfordert eine Ermessensentscheidung, die sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen muss (OLG Rostock, Beschluss vom 11.11.2021, 17 Verg 4/21). Daraus folgt insbesondere die Durchführung eines angemessenen Bieterwettbewerbs, um dem Wettbewerbsprinzip gem. § 97 Abs. 1 S. 1 GWB Rechnung zu tragen (OLG Karlsruhe, B. v. 04.12.2020, 15 Verg 8/20; OLG Rostock 17 Verg 4/21; OLG Rostock 17 Verg 4/20; vgl. Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV/VgVO, § 14 VgV Rn. 77; Willweber in juris PK-Vergaberecht, § 14 VgV Rn. 138). Der öffentliche Auftraggeber hat gem. § 51 Abs. 2 S. 1 VgV grundsätzlich mehrere Bieter zur Angebotsabgabe aufzufordern. Gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 VgV gilt dies für alle Verfahrensarten. Der Umstand, dass lediglich § 17 Abs. 4 S. 2 VgV auf § 51 VgV verweist, bedeutet nicht, dass in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb § 51 Absatz 2 VgV nicht anzuwenden ist (OLG Karlsruhe, B. v.04.12.2020, 15 Verg 8/20). § 51 Abs. I VgV bestimmt, dass die  Vorschrift auf alle Verfahrensarten anzuwenden ist. Hinzu kommt, dass § 17 Abs. 4 VgV eine Regelung zum Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb trifft, in dem der öffentliche Auftraggeber eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Teilnahmeanträgen auffordert. Dann macht die Möglichkeit der Beschränkung Sinn. Dagegen werden in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vom öffentlichen Auftraggeber ausgewählte und damit eine von vornherein begrenzte Anzahl von Unternehmen unmittelbar zur Abgabe von Erstangeboten aufgefordert (§ 17 Absatz 5 VgV).

VG Düsseldorf zur Frage der Zweckmäßigkeit der teilfunktionalen Leistungsbeschreibung und der Anforderungen an die Ordnungsgemäßheit der Leistungsbeschreibung

VG Düsseldorf zur Frage der Zweckmäßigkeit der teilfunktionalen Leistungsbeschreibung und der Anforderungen an die Ordnungsgemäßheit der Leistungsbeschreibung

vorgestellt von Thomas Ax

Voraussetzung dafür, dass der Auftraggeber eine Leistung teilfunktional beschreibt, mithin den Entwurf selbst erstellt und den Auftragnehmer mit der Ausführungsplanung bis zur schlüsselfertigen Errichtung beauftragt, ist, dass diese Art der Ausschreibung nach Abwägung aller Umstände zweckmäßig erscheint. Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2014 – VI-2 Kart 2/13 (V) -, juris Rn. 131; VK Münster, Beschluss vom 17. Juli 2013 – VK 6/13 -, juris; Lampert, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar Band 2 (3. Aufl. 2019), § 7c VOB/A-EU Rn. 5.

Auch wenn an die Zweckmäßigkeitsgründe keine überhöhten Anforderungen gestellt werden, vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Juni 2017 – VII-Verg 2/17 -, juris; OLG München, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – Verg 16/09 -, juris; VK Münster, Beschluss vom 17. Juli 2013 – VK 6/13 -, juris; Zimmermann, jurisPR-VergR 12/2017 Anm. 2, stellt die Wahl einer Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm einen Ausnahmefall dar, der vom Auftraggeber zu begründen und zu dokumentieren ist. Da die Ausschreibung keine dem Wettbewerb unterstellten Planungsleistungen enthielt, war sie an den Anforderungen an eine konstruktive Leistungsbeschreibung zu messen, § 9 Nr. 1 und Nr. 6 VOB/A 2002. Danach ist die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. Diesen Anforderungen genügte die Leistungsbeschreibung nicht. Das Gebot der eindeutigen Leistungsbeschreibung betrifft die Art und Weise, wie der Auftraggeber die Leistungsanforderungen äußern muss. Vgl. zu der gleichlautenden Vorschrift § 7 VOB/A 2019: von dem Knesebeck, in: BeckOK Vergaberecht (34. Edition, Stand: 1. Februar 2023), § 7 Rn. 1 mit Verweis auf die Kommentierung zu § 7 EU VOB/A Rn. 5. Eine Leistungsbeschreibung ist eindeutig, wenn aus Sicht eines durchschnittlichen und mit der Art der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Bieters klar ersichtlich ist, welche Leistung der Auftragnehmer zu welcher Zeit, in welchem Umfang und in welcher Qualität zu erbringen hat und welche Anforderungen und Bedingungen an die vom Auftraggeber geforderte Leistung gestellt werden. Vgl. Bay. OLG, Beschluss vom 1. August 2024 – Verg 19/23 e -, juris Rn. 124 m.w.N. Das Gebot der erschöpfenden Leistungsbeschreibung zielt auf inhaltliche Vorgaben ab: Der Auftraggeber muss alle Leistungsmerkmale, Bedingungen, Umstände und technischen Anforderungen, deren Kenntnis für die Erstellung des Angebots erforderlich sind, in der Leistungsbeschreibung vollständig und inhaltlich richtig angeben. Vgl. zu der gleichlautenden Vorschrift § 7 VOB/A 2019: von dem Knesebeck, in: BeckOK Vergaberecht (34. Edition, Stand: 1. Februar 2023), § 7 Rn. 1 mit Verweis auf die Kommentierung zu § 7 EU VOB/A Rn. 6. Eine eindeutige und erschöpfende Beschreibung der Leistung hat sowohl für die Schaffung einer transparenten Wettbewerbsgrundlage bis zum Zuschlag als auch für die Bestimmung des Umfangs der späteren Leistungspflicht des Auftragnehmers grundlegende Bedeutung. Die Beschreibung der Leistung erfordert dabei einen klaren, vollständigen und für jeden in Betracht kommenden fachkundigen Bieter eindeutigen Inhalt. Das bedeutet, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen. Hierfür muss sich der Auftraggeber in den Einzelangaben so klar ausdrücken, dass die fachkundigen Bieter sie objektiv im gleichen Sinne verstehen müssen. Vgl. Kratzenberg, in: Ingenstau/Korbion, VOB Teile A und B (15. Aufl. 2004), § 9 Rn. 8, 15 f.; vgl. zu der gleichlautenden Vorschrift § 7 VOB/A 2019: Markus, in: Kapellmann/Messerschmidt VOB-Kommentar, Teil A/B (8. Aufl. 2022), § 7 Rn. 16. Die Bieter sollen ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten ermitteln können, sodass die Vergleichbarkeit der Angebote sichergestellt ist. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass der Wettbewerb im Bieterverfahren auf sicheren Grundlagen fußt. Hierfür muss der Auftraggeber im ersten Schritt zunächst alle Umstände feststellen, die die geplante bauliche Anlage beeinflussen. Der Auftraggeber muss sich hinreichend über die Einzelheiten der beabsichtigten Bauerstellung im Klaren sein. Bevor er mit der Ausschreibung beginnt, müssen die ihm grundsätzlich obliegenden planerischen Vorarbeiten abgeschlossen sein. Hierzu zählt insbesondere eine abgeschlossene Ausführungsplanung mit Mengenermittlung; im zweiten Schritt müssen die festgestellten, die Preise beeinflussenden Umstände in der Beschreibung der Leistung angegeben werden. Vgl. Kratzenberg, in: Ingenstau/Korbion, VOB Teile A und B (15. Aufl. 2004), § 9 Rn. 39, 41. Des Weiteren muss die Leistung so beschrieben sein, dass der Bieter das von ihm Verlangte nicht nur klar und unmissverständlich sieht, sondern er auch anhand der Leistungsangaben in die Lage versetzt wird, die Preise sowohl im Einzelnen als auch im Ganzen ordnungsgemäß zu kalkulieren. Alle tatsächlichen Umstände, die wesentliche Aspekte für eine sachgerechte, vollständige Kalkulation nach allgemeinen baubetrieblichen und bautechnischen Regeln ergeben, müssen in der Leistungsbeschreibung angegeben sein. Hierzu zählt beispielsweise die Mitteilung der näheren Verhältnisse, wie das Vorhandensein von Versorgungsleitungen und die Beschaffenheit des Baugrundes, wenn diese für die Preisbildung bei dem betreffenden Bauvorhaben von Einfluss sind. Auch ist der Auftraggeber gehalten, für die von ihm genannten Positionen zumindest eine ungefähre, angenäherte Größenordnung der geforderten Leistungen als kalkulationsrelevante Grundlage zu ermitteln und anzugeben.

VG Düsseldorf, Urteil vom 10.04.2025 – 6 K 4798/21

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen Widerrufs- und Erstattungsbescheid des Beklagten betreffend eine ihr gewährte Subvention.

Am 26. Mai 2003 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten Fördermittel für das Vorhaben “Wegweisungsbeschilderung im Stadtgebiet S.” aus dem Programm “Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden nach den Förderrichtlinien Stadtverkehr – FöRi-Sta – (SMBl. NW. 910) – Kommunaler Straßenbau”. Mit Zuwendungsbescheid Nr. 8 der Bezirksregierung G. vom 8. November 2012 zum Zuwendungsbescheid Nr. 1 vom 31. Dezember 2005 und den danach ergangenen Bescheiden wurde der Klägerin für den Bewilligungszeitraum 31. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2022 eine Zuwendung in Höhe von 1.138.900,00 Euro unter dem Ordnungsmerkmal 2003 08 50 bewilligt. In diesem Bescheid wird unter Ziffer 2. bezüglich der Nebenbestimmungen auf den Zuwendungsbescheid Nr. 1 verwiesen, wonach unter anderem die ANBest-G Bestandteil des Bescheides sind. Diese sehen unter anderem vor, dass die Zuwendung nur zur Erfüllung des im Zuwendungsbescheid bestimmten Zwecks sowie wirtschaftlich und sparsam verwendet werden darf (Ziffer 1.1) und bei der Vergabe von Aufträgen zur Erfüllung des Zuwendungszwecks die nach dem Gemeindehaushaltsrecht anzuwendenden Vergabegrundsätze zu beachten sind (Ziffer 3.1).

Die Klägerin schrieb die Wegweisungsbeschilderungen öffentlich aus und beauftragte am 20. März 2006 das Unternehmen “C.”. Am 3. April 2007 erweiterte die Klägerin den Auftrag. Nach Vorlage des Schlussverwendungsnachweises am 10. September 2012 überprüften der Landesrechnungshof NRW und die Bezirksregierung G. die ordnungsgemäße Mittelverwendung und beanstandeten in diesem Kontext verschiedene Aspekte. Mit Schreiben vom 31. August 2017 nahm die Klägerin erstmalig zu den Prüfungsbeanstandungen des Landesrechnungshofes NRW, auch hinsichtlich der Prüfungsmitteilung (PM) 4.2.4 (Ausschreibungsgenauigkeit), Stellung. Wegen der Einzelheiten der Prüfungsbeanstandungen und der Erwiderungen der Klägerin wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Synopse (Bl. 14 ff.) Bezug genommen. Mit Bescheid vom 27. August 2018 widerrief der Beklagte sodann den im Förderverfahren OM 03 08 50 erteilten letzten Zuwendungsbescheid Nr. 8 mit Wirkung auch für die Vergangenheit hinsichtlich bisher anerkannter zuwendungsfähiger Ausgaben in Höhe von 36.357,00 Euro und machte einen Erstattungsanspruch in Höhe von 29.100,00 Euro geltend. In diesem Bescheid wies der Beklagte darauf hin, dass die abschließende Bewertung der Prüfungsbeanstandung zu PM 4.2.4 hinsichtlich des Vorwurfes der Ungenauigkeit des Leistungsverzeichnisses bis zur Entscheidung des Verkehrsministeriums NRW zurückgestellt und daher in diesem Rahmen noch nicht berücksichtigt worden sei.

Mit Schreiben vom 17. Juni 2020 teilte der Beklagte der Klägerin das Ergebnis der abschließenden Prüfungen mit, vertrat die Ansicht, dass die Klägerin wegen fehlender Ausschreibungsgenauigkeit (PM 4.2.4) gegen das Vergaberecht und damit gegen die Zuwendungsbedingungen verstoßen habe und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Hiervon machte die Klägerin am 31. August 2020 Gebrauch, indem sie mitteilte, dass eine Ausschreibungsungenauigkeit nicht vorliege, weil die Leistungen teilfunktional ausgeschrieben worden seien und es gerade zum Wesen einer funktionalen Ausschreibung gehöre, nur ein Leistungsprogramm und nicht konkrete Einzelheiten, wie in einem Leistungsverzeichnis, vorzugeben.

Mit Bescheid vom 30. Juni 2021 – der Klägerin am 5. Juli 2021 zugestellt – widerrief der Beklagte unter Ziffer 1. auch für die Vergangenheit den Zuwendungsbescheid Nr. 8 vom 8. November 2012 zum Zuwendungsbescheid Nr. 1 vom 31. Dezember 2005 und den danach ergangenen Bescheiden im Förderverfahren OM 03 08 50 – unter Berücksichtigung der sich bei der Abrechnung ergebenden auflösenden Bedingung nach Ziffer 2 ANBest-G und des weiteren Ergebnisses der Schlussrechnung – aufgrund der Prüfbeanstandungen des Landesrechnungshofes NRW teilweise zum 4. März 2013 hinsichtlich der bisher anerkannten zuwendungsfähigen Ausgaben in Höhe von 280.504,48 Euro. Unter Ziffer 2. machte der Beklagte einen Erstattungsanspruch in Höhe von 253.497,17 Euro geltend. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid legte der Beklagte die Zinspflicht ausdrücklich dem Grunde nach fest (Ziffer 3.). Schließlich kündigte der Beklagte einen gesonderten Zinsbescheid hinsichtlich der konkreten Höhe der zu beanspruchenden Zinsen nach Eingang des Erstattungsbetrags an (Ziffern 4. und 5.). Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass der Landesrechnungshof NRW verschiedene Beanstandungen festgestellt habe, von denen – bis auf die nunmehr abzuwickelnde PM 4.2.4 (Ausschreibungsgenauigkeit) – alle bereits mit Widerrufs- und Erstattungsbescheid vom 27. August 2018 hätten ausgeräumt werden können. Rechtsgrundlage für den Widerruf sei § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 VwVfG NRW. Die Klägerin habe die genehmigten Fördermittel auch für Ausgaben eingesetzt, die aufgrund des Prüfberichts des Landesrechnungshofes NRW teilweise von der Förderung auszuschließen seien. Die Klägerin habe gegen Grundsätze der für die Bewirtschaftung der Haushaltsmittel des Landes geltenden Vergabevorschriften verstoßen, insbesondere gegen § 9 VOB/A 2006, da sie keine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung vorgenommen habe. Nach Ziffer 3.1 des Runderlasses des Finanzministeriums vom 18. Dezember 2003 – I 1 – 0044 – 3/8 – liege bei fehlender eindeutiger und erschöpfender Leistungsbeschreibung ein schwerer Vergabeverstoß vor, der grundsätzlich einen Widerruf des Zuwendungsbescheides und die Neufestsetzung der Zuwendung zur Folge habe. Insgesamt würden nur 30 % des vom Landesrechnungshof NRW beanstandeten Betrags in Höhe von 806.047,30 Euro abgesetzt werden, mithin 280.504,46 Euro. Da bereits 745.800,00 Euro ausgezahlt worden seien, ergebe sich ein Rückforderungsbetrag in Höhe von 253.497,17 Euro. Die Jahresfrist nach §§ 48 Abs. 4, 49 Abs. 2 VwVfG NRW sei gewahrt, da die Mitteilung im Widerrufs- und Erstattungsbescheid vom 27. August 2018, dass eine abschließende Bewertung dieser Prüfungsbeanstandung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen solle, den Lauf der Jahresfrist hemme. Zur Herstellung der Entscheidungsreife, nach deren Eintritt die Entscheidungsfrist erst beginnen könne, gehöre regelmäßig das Anhörungsverfahren, unabhängig von dessen Ergebnis. Daher habe die Jahresfrist erst am 1. September 2020 zu laufen begonnen.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 9. Juli 2021 Klage erhoben. Noch vor ihrer Klagebegründung hat sie den zurückgeforderten Geldbetrag vorsorglich überwiesen, um im Fall eines Unterliegens eine etwaige Zinszahlungspflicht zu verringern. Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, die Voraussetzungen für einen Widerruf lägen nicht vor. Zum einen habe der Beklagte die Aufhebungsfrist nicht eingehalten, da diesem zum Zeitpunkt der Anhörung am 17. Juni 2020 der Sachverhalt vollständig bekannt gewesen sei und mit ihrer eigenen Stellungnahme vom 31. August 2020 lediglich unterschiedliche Rechtsansichten ausgetauscht worden seien. Zum anderen liege kein Widerrufsgrund vor. Die Klägerin habe nicht gegen Ziffer 3.1 ANBest-G verstoßen, da sie das Vergaberecht eingehalten habe. Aus § 126 Abs. 1 Satz 2 GWB ergebe sich, dass der öffentliche Auftraggeber ein Wahlrecht habe, ob er eine konstruktive Leistungsbeschreibung (Leistungsverzeichnis) oder eine funktionale Leistungsbeschreibung (Leistungsbeschreibung) vorgebe. Gerade Letzteres eröffne erhebliche Gestaltungsspielräume, indem die Bieter nach Lösungskonzepten gefragt würden. Ihrem Wesen nach schließe die funktionale Leistungsbeschreibung nicht aus, dass nicht kalkulierbare und damit riskante Leistungen ausgeschrieben würden. Dass hier bei den Planungsleistungen Risiken auf den Bieter verlagert würden, sei vielmehr typisch für die funktionale Leistungsbeschreibung. Vorliegend habe die Klägerin von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und eine teilfunktionale Ausschreibung gewählt, auch vor dem Hintergrund, die Kosten möglichst niedrig zu halten. Denn wenn sie zu jeder einzelnen Wegweisungsbeschilderung ein entsprechendes kleinteiliges Leistungsverzeichnis erstellt hätte, wäre der Aufwand viel höher gewesen und die Förderung hätte sich insgesamt nicht mehr gerechnet. Weil demnach der Widerruf rechtswidrig sei, lägen auch die Voraussetzungen für eine Rückforderung einschließlich Verzinsung nicht vor.

Die Klägerin beantragt,

den Widerrufs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 30. Juni 2021 (Az.: N01) aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sich der Beklagte auf seinen Widerrufsbescheid und führt ergänzend und vertiefend aus: Es liege ein Widerrufsgrund nach § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 VwVfG NRW vor. In § 3 GVFG sei festgelegt, dass die zu fördernden Vorhaben bau- und verkehrstechnisch einwandfrei und unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit geplant und durchgeführt werden müssten. § 9 Nr. 6 VOB/A 2002, der Anwendung finde, sehe vor, dass die Leistung in der Regel durch eine allgemeine Darstellung der Bauaufgabe (Baubeschreibung) und ein in Teilleistungen gegliedertes Leistungsverzeichnis beschrieben werden solle, mithin eine konstruktive Leistungsbeschreibung stattfinden solle. Im Leistungsverzeichnis sei die Leistung nach § 9 Nr. 9 VOB/A 2002 derart aufzugliedern, dass unter einer Ordnungszahl nur solche Leistungen aufgenommen würden, die nach ihrer technischen Beschaffenheit und für die Preisbildung als in sich gleichartig anzusehen seien. Neben einer hinreichenden Übersicht über die gewünschte Bauleistung im Allgemeinen gelte als weiterer Bestandteil der Leistungsbeschreibung ein in Teilleistungen gegliedertes Leistungsverzeichnis. Gerade Letzteres müsse den Anforderungen des § 9 Nr. 9 VOB/A 2002 genügen, es müsse also eine eindeutige und erschöpfende Beschreibung enthalten, die für alle Bewerber gleichermaßen verständlich sei, insbesondere im Hinblick auf die Preisberechnung, die für die Angebotsbearbeitung wesentlicher, wenn nicht ausschlaggebender Bestandteil sei. Grundlegend wichtig dabei sei, dass das Leistungsverzeichnis in Teilleistungen im Bereich des jeweiligen Ausschreibungsrahmens aufzugliedern sei. Der Grundsatz, dass die Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis die Regel bilden solle, gelte vor allem für den öffentlichen Auftraggeber, wie sich aus Nr. 1.3 VHB 2002 ergebe. Nach § 9 Nr. 10 VOB/A 2002 könne abweichend von Nr. 6, wenn es nach Abwägung aller Umstände zweckmäßig sei, auch den Entwurf für die Leistung dem Wettbewerb zu unterstellen, die Leistung durch ein Leistungsprogramm dargestellt werden (funktionale Leistungsbeschreibung). Bei der funktionalen Ausschreibung handele es sich um eine besondere Form der Leistungsbeschreibung als Ausnahmetyp. Sie komme dann in Betracht, wenn die Leistung oder Teile derselben durch verkehrsübliche Bezeichnungen nach Art, Beschaffenheit und Umfang nicht hinreichend beschreibbar seien, sodass dabei auf eine Darstellung ihres Zwecks, ihrer Funktion sowie der an sie gestellten sonstigen Anforderungen zurückgegriffen werden könne. Da hierbei von Anfang an die Transparenz vermindert sei, stelle die Wahl einer Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm nach der VOB/A einen Ausnahmefall dar, der vom Auftraggeber zu begründen und zu dokumentieren sei. Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit stehe zwar im Ermessen der ausschreibenden Stelle, könne aber auf eine fehlerfreie Ermessensausübung überprüft werden. Vorliegend habe die Klägerin für die Baumaßnahme “Erneuerung der wegweisenden Beschilderung im Stadtgebiet S.” Angebote für das Entfernen der alten und die Lieferung und das Aufstellen der neuen wegweisenden Beschilderung im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung angefordert; bereits alleine aufgrund dieser Bauaufgabenart sei die Zweckmäßigkeit der in Rede stehenden besonderen Leistungsbeschreibungsform durchgreifenden Zweifeln unterworfen. Wie dem Aktenvorgang des Landesrechnungshofes NRW entnommen werden könne, habe die Klägerin die Bauleistung beschrieben und die Teilleistungen detailliert, das heißt mit Positionsnummer, Mengeneinheitsangabe, Einheits- und Gesamtpreis in einem Leistungsverzeichnis aufgeführt. Somit handele es sich eindeutig um eine Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis und zu keinem Zeitpunkt sei eine andere Form der Leistungsbeschreibung erkennbar gewesen. Selbst wenn man der Klägerin eine teilfunktionale Beschreibung zuspräche, würde es an der von der VOB/A vorgesehenen Abwägung aller Umstände seitens der Klägerin in Form eines dokumentierten Abwägungsprozesses zur Zweckmäßigkeit einer funktionalen Leistungsbeschreibung fehlen. Die von der Klägerin in ihrer Klageschrift nachgereichte alleinige Kostenbegründung für die Wahl einer teilfunktionalen Leistungsbeschreibung sei an dieser Stelle weder ausreichend noch zweckmäßig. Die Klägerin habe – entgegen § 9 Nr. 10 VOB/A 2002 – keine eingehenden und pflichtgemäßen Überlegungen darüber angestellt, ob die hier erörterte Art der Leistungsbeschreibung in Betracht gezogen werden könne. Nach Ziffer 3.2 des Runderlasses des Finanzministeriums NRW vom 18. Dezember 2003 – I 1 – 0044 – 3/8 – zur Rückforderung von Zuwendungen wegen Nichtbeachtung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) und der Verdingungsordnung für Leistungen – ausgenommen Bauleistungen – (VOL/A) liege bei fehlender eindeutiger und erschöpfender Leistungsbeschreibung ein schwerer Vergabeverstoß vor, der grundsätzlich einen Widerruf des Zuwendungsbescheides und die Neufestsetzung (Kürzung) der Zuwendung zur Folge habe.

Die Klägerin repliziert hierauf, dass es im Ermessen des Auftraggebers liege, wie er seine Leistungen ausschreibe, das heißt ob er sich eines klassischen Leistungsverzeichnisses, eines Leistungsprogramms oder einer funktionalen sowie einer teilfunktionalen Ausschreibung bediene. Die Ausführungen zu § 9 Nr. 6 und Nr. 9 VOB/A 2002 würden nicht greifen, denn sie würden sich nur auf die Leistungsbeschreibung mit einem Leistungsverzeichnis beziehen. Vorliegend seien die Leistungen jedoch gerade teilfunktional ausgeschrieben worden. Einziger Maßstab sei folglich, dass die Leistung gemäß § 9 Nr. 1 VOB/A 2002 so eindeutig und erschöpfend beschrieben werde, dass alle sachkundigen Wettbewerber sie unter Zuhilfenahme ihres Fachwissens gleichermaßen verstehen würden und ihnen ohne unnötige bieterseitige Vorermittlungen eine Angebotsabgabe ermögliche. Dies sei hier gegeben. Es hätten sich im Vergabeverfahren weder Bieterfragen noch Unklarheiten ergeben. Es sei zu keinerlei Rückfragen, Aufklärungsansinnen oder gar “Rügen” hinsichtlich der Qualität und Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung gekommen. Schließlich hätten sich alle Bieter in die Lage versetzt gesehen, eine valide Kalkulation zur Preisermittlung und Angebotslegung zu erarbeiten. Es seien durch die Klägerin alle notwendigen Maßnahmen ergriffen worden, um die Leistung so eindeutig und erschöpfend wie möglich und nötig, verkehrsüblich und kalkulierbar zu beschreiben. Hierzu sei neben dem eigenen Sachverstand auch die Unterstützung eines auf diesem Sektor besonders spezialisierten Planungsbüros eingeworben worden und es sei der intensive Austausch mit anderen Baulastträgern gesucht worden, um die Leistungsbeschreibung zu optimieren und an die gegebenen Rahmenbedingungen anzupassen. In der Leistungsbeschreibung seien alle für die Preisbildung wesentlichen Umstände und Angaben in der möglichen und erforderlichen Klarheit formuliert und angegeben worden, um eine individuelle Preisberechnung für alle potentiellen Bieter zu gewährleisten. So seien zentral vor den eigentlichen Leistungstexten u.a. für die Schilder wie auch die Aufstellvorrichtungen die Materialarten und Materialgüten (z.B. Zugfestigkeiten), Konstruktionsvorgaben/-hilfen (Aussteifungen, Windlasten) Farbgebung, Folieneigenschaften (Reflektionsanforderungen, Foliengüte), Standortangaben im Stadtgebiet mit entsprechenden Richtzeichnungen etc. angegeben worden. Die Klägerin sei nach § 9 Nr. 10 VOB/A 2002 berechtigt gewesen, die Leistungen teilfunktional auszuschreiben. Die Zweckmäßigkeit sei hier gegeben, denn es habe sich um ca. 700 Kleinstbaumaßnahmen gehandelt, die über das ganze Stadtgebiet S. verteilt gewesen seien. Eine umfassende Baugrunduntersuchung oder Einmessung mit einer dezidierten Leistungsbeschreibung je Standort wäre nicht zielführend gewesen. Zudem entstünden während einer knapp dreijährigen Umsetzungsphase unabweisbare Änderungs- und Anpassungsbedarfe. Auch würde eine Baugrunduntersuchung bei den oftmals sehr kleinen “Punktbaustellen”, wie z.B. Schildermasten, für den Bieter keinen weiteren Erkenntnisgewinn liefern, da das vorhandene Fundament (bei einer Größe von ca. 1 m² und 1 m Gründungstiefe) quasi abgebrochen werden müsste, um eine aussagekräftige Zustandsbeschreibung zu erhalten. Wenn die Klägerin unter diesen Rahmenbedingungen dezidierte, kleinteilige Untersuchungen zur Fertigung von über 700 individuellen Leistungsbeschreibungen für kleinste Punktbaustellen anfertigen müsste, widerspräche dies im Übrigen auch dem Grundsatz einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung. Die Sichtweise des Beklagten verkenne insbesondere auch, dass der Umstand, dass es im Baubereich – gerade bei mehrjährigen Laufzeiten – zu Nachträgen komme, kein Indiz für einen Verstoß gegen das Vergaberecht sei, sondern im Bauvergabe- und Bauvertragsrecht so vorgesehen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der angefochtene Widerrufs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 30. Juni 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Beklagte hat die Förderung zu Recht um die streitige Summe gekürzt.

Ermächtigungsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid ist § 49 Abs. 3 Satz 1 VwVfG NRW. Hiernach kann ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der – wie hier – eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird (Nr. 1) oder wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat (Nr. 2).

Diese Voraussetzungen sind gegeben.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Zuwendungsbescheid Nr. 8 vom 8. November 2012 zum Zuwendungsbescheid Nr. 1 vom 31. Dezember 2005 und den danach ergangenen Bescheiden für den Bewilligungszeitraum 31. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2022 eine Zuwendung in Höhe von 1.138.900,00 Euro unter dem Ordnungsmerkmal 2003 08 50 für das Vorhaben “Wegweisungsbeschilderung im Stadtgebiet S.” aus dem Programm “Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden nach den Förderrichtlinien Stadtverkehr – FöRi-Sta – (SMBl. NW. 910) – Kommunaler Straßenbau”.

Die Klägerin hat eine Auflage zu diesem Bescheid nicht erfüllt.

Der im Hinblick auf die Fördermaßnahme (teil-)widerrufene Zuwendungsbescheid vom 8. November 2012 ist – ebenso wie die vorhergehenden Zuwendungsbescheide – mit der Auflage der Ziffer 3.1 ANBest-G versehen. Danach sind bei der Vergabe von Aufträgen zur Erfüllung des Zuwendungszwecks die nach dem Gemeindehaushaltsrecht anzuwendenden Vergabegrundsätze zu beachten.

Bei der mit dem Zuwendungsbescheid verbundenen Bestimmung der Ziffer 3 ANBest-G handelt es sich um eine Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW. Eine Auflage ist gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW eine Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird. Die Auflage ist von bloßen erläuternden Hinweisen auf ohnehin bestehende gesetzliche Verhaltenspflichten abzugrenzen. Auch eine bereits bestehende Pflicht kann jedoch zum Gegenstand einer Auflage gemacht werden, sei es auch nur, um der für die Subventionsvergabe zuständigen Behörde die Reaktionsmöglichkeiten des § 49 VwVfG NRW zu eröffnen.

Im vorliegenden Fall ist der Klägerin die Beachtung der Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen für Projektförderungen an Gemeinden (ANBest-G) und der sich aus ihnen ergebenden weiteren Verhaltensanforderungen als bestandskräftige Auflage des Bewilligungsbescheides auferlegt worden. Denn die ANBest-G sind in den Nebenbestimmungen des Bescheides zu dessen Bestandteil erklärt worden. Nach Ziffer 3 ANBest-G sind bei der Vergabe von Aufträgen zur Erfüllung des Zuwendungszwecks die nach dem Gemeindehaushaltsrecht anzuwendenden Vergabegrundsätze zu beachten. Aus dem Vorwort zur ANBest-G ergibt sich, dass diese “Nebenbestimmungen (Bedingungen und Auflagen) im Sinne des § 36 VwVfG NRW sowie notwendige Erläuterungen” enthalten. Um Auflagen handelt es sich bei den ANBest-G allerdings nur, soweit sie erkennbar Handlungspflichten begründen und nicht lediglich Erläuterungen für die Abwicklung der Mittelvergabe enthalten.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 22. Februar 2005 – 15 A 1065/04 -, juris Rn. 58 ff., und vom 9. April 1990 – 4 A 2771/88 -; VG Arnsberg, Urteil vom 18. Dezember 2022 – 1 K 1392/01 -, juris Rn. 21.

In diesem Sinne stellt Ziffer 3 ANBest-G eine (echte) Auflage dar, weil sie eine Handlungspflicht begründet. Insoweit handelt es sich bei der Vorschrift nicht um einen bloßen Hinweis auf eine bestehende gesetzliche Rechtslage oder Erläuterungen für die Abwicklung der Mittelvergabe. Die Auflage nimmt damit Bezug auf § 31 Abs. 2 der damals geltenden Gemeindehaushaltsverordnung vom 14. Mai 1995, wonach bei der Vergabe von Aufträgen die Vergabegrundsätze anzuwenden sind, die das Innenministerium bekanntgibt. Diese Vergabegrundsätze sind im Runderlass des Innenministeriums vom 15. Juni 1993 (MBl. NRW 1993 S. 1187) niedergelegt. Dieser bestimmt unter Nr. 2 lit. a, dass als Vergabegrundsätze auch die Teile A und B der Verdingungsordnung für Bauleistungen in der Fassung der Anlagen 1 und 2 des Runderlasses des Ministeriums für Bauen und Wohnen vom 15. März 1993 (VOB) gelten. Indem über Ziffer 3 ANBest-G und die Vergabegrundsätze nach Gemeindehaushaltsrecht die VOB/A zwingend anzuwenden sind, ist die Gemeinde, die eine Zuwendung für ein noch zu vergebendes Projekt empfängt, zugleich verpflichtet, im gesamten Verfahren der Projektvergabe nach den Vorgaben der VOB/A zu handeln. Denn nur dadurch, dass die Vorschriften der VOB/A im konkreten Verfahren auch angewandt werden, werden sie zugleich beachtet. Nach diesen rechtlichen Maßstäben ist die Bestimmung der Beachtung der VOB/A jedenfalls zur Auflage des Zuwendungsbescheides geworden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Juni 2007 – 15 A 1243/05 -, juris Rn. 26 ff., VG Arnsberg, Urteil vom 18. Dezember 2022 – 1 K 1392/01 -, juris Rn. 23 ff.; VG Gießen, Urteil vom 20. November 1997 – 10 E 1395/95 -, juris.

Ob ein Vergabe- und damit ein Auflagenverstoß im Sinne von § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG NRW in Verbindung mit Ziffer 3.1 ANBest-G gegeben ist, richtet sich dabei nach der im Zeitpunkt der Auftragsvergabe geltenden objektiven Rechtslage. (Gegebenenfalls divergierende) Rechtsmeinungen über diese Rechtslage können sich nicht auf der Tatbestandsebene des Vorliegens eines Widerrufsgrundes, sondern allenfalls auf Ermessensseite bei der Bewertung des Schweregrades des Vergabeverstoßes auswirken.

OVG NRW, Beschluss vom 15. August 2019 – 15 A 2792/18 -, juris Rn. 37; vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 20. Oktober 2006 – 1 K 3293/05 -, juris Rn. 29 ff.

Danach hat die Klägerin die hiermit gegebene Auflage, die Bestimmungen der VOB/A in der Ende 2005 bzw. Februar 2006, dem Ausschreibungszeitpunkt, geltenden Fassung zu beachten, unter dem Aspekt des § 9 VOB/A 2002 nicht erfüllt.

§ 9 Nr. 1 VOB/A 2002 schreibt vor, dass die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben ist, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. Nach § 9 Nr. 6 VOB/A 2002 soll die Leistung in der Regel durch eine allgemeine Darstellung der Bauaufgabe (Baubeschreibung) und ein in Teilleistungen gegliedertes Leistungsverzeichnis beschrieben werden, sogenannte Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis bzw. konstruktive Leistungsbeschreibung. § 9 Nr. 10 VOB/A 2002 sieht vor, dass die Leistung auch durch ein Leistungsprogramm dargestellt werden kann, wenn es nach Abwägen aller Umstände zweckmäßig ist, abweichend von Nr. 6 zusammen mit der Bauausführung auch den Entwurf für die Leistung dem Wettbewerb zu unterstellen, um die technisch, wirtschaftlich und gestalterisch beste sowie funktionsgerechte Lösung der Bauaufgabe zu ermitteln, sogenannte Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm bzw. funktionale Leistungsbeschreibung.

I Die Leistungsbeschreibung der Klägerin war zu unbestimmt. Sie erfüllte weder die Voraussetzungen einer nur (teil-)funktionalen Leistungsbeschreibung (Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm, § 9 Nr. 10-12 VOB/A 2002) noch die einer konstruktiven Leistungsbeschreibung (Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis, § 9 Nr. 6 VOB/A 2002). Ihr fehlte deswegen sowohl bei der Ausschreibung als auch bei der Vergabe die erforderliche Reife (§ 16 Nr. 1 VOB/A 2002).

1. a) Die Klägerin hat die Leistungen nicht (teil-)funktional ausgeschrieben, wie sie im Nachhinein anführt. Im Gegensatz zu einer konstruktiven Leistungsbeschreibung ist eine funktionale Leistungsbeschreibung dadurch gekennzeichnet, dass nur Rahmenbedingungen für das Ziel zur Beschaffung etablierter Lösungen vorgegeben werden und der Auftraggeber bestimmte Planungsaufgaben, aber auch Risiken, auf den Bieter verlagert. Typischerweise kombiniert die funktionale Leistungsbeschreibung einen Wettbewerb, der eine Konzeptionierung und Planung der Leistung zum Gegenstand hat, mit der Vergabe der Leistung als solcher und unterscheidet sich dadurch vom reinen Wettbewerb um einen klar umrissenen und beschriebenen Auftrag. Dass die Bieter dabei, und zwar unter anderem bei der Konzeptionierung und Planung der Leistung, Aufgaben übernehmen sollen, die an sich dem Auftraggeber obliegen, lässt die funktionale Ausschreibung nicht per se unzulässig werden. Deren Wesen liegt nämlich gerade darin, dass der Auftraggeber im Planungsbereich auf Bieterseite vorhandenes Knowhow abschöpfen will und dies grundsätzlich auch tun darf. Ihrem Wesen entsprechend schließt die funktionale Ausschreibung ebenso wenig aus, dass nicht oder nicht genau kalkulierbare und damit riskante Leistungen ausgeschrieben werden. Denn es gibt keinen Rechtssatz, der Bietern oder Auftragnehmern eine Übernahme riskanter Leistungen verbietet. Dass bei funktionaler Ausschreibung von Planungsleistungen Risiken auf den Auftragnehmer übertragen werden, ist für diese Art der Ausschreibung vielmehr typisch und für die Bieter auch zu erkennen.

Vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 11. Dezember 2013 – VII-Verg 22/13 -, juris Rn. 25 und vom 19. Juni 2013, VII-Verg 7/13 -, juris Rn. 42; VK Niedersachsen, Beschluss vom 7. Oktober 2015 – VgK-31/2015 -, juris Rn. 101.

Gleiches gilt für eine Ausschreibung, die nur teilweise funktionale Elemente enthält. Denn auch bei einer nur teilfunktionalen Ausschreibung überträgt der Auftraggeber wesentliche Planungsaufgaben, insbesondere die Ausführungsplanung des Architekten und/oder des Ingenieurs, ganz oder größtenteils auf den Bieter und übernimmt nur planerische Vorarbeiten wie die Erstellung von Entwürfen selbst. Gegen eine teilfunktionale Ausschreibung bestehen bei verständiger Interpretation des § 9 Nr. 1 und Nr. 6 VOB/A 2002 vergaberechtlich keine Bedenken, weil ein in allen Details ausgearbeitetes Leistungsverzeichnis nach § 9 Nr. 6 VOB/A 2002 zwar den Regelfall der Leistungsbeschreibung darstellt, andere Formen, das heißt funktionale Leistungsmerkmale, jedoch nicht ausgeschlossen sind.

Vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 11. Dezember 2013 – VII-Verg 22/13 -, juris Rn. 25 und vom 19. Juni 2013 – VII-Verg 7/13 -, juris Rn. 44; Prieß, in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOB/A, § 7 Rn. 191; vgl. auch § 121 Abs. 1 Satz 2 GWB.

Voraussetzung dafür, dass der Auftraggeber eine Leistung teilfunktional beschreibt, mithin den Entwurf selbst erstellt und den Auftragnehmer mit der Ausführungsplanung bis zur schlüsselfertigen Errichtung beauftragt, ist, dass diese Art der Ausschreibung nach Abwägung aller Umstände zweckmäßig erscheint.

Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2014 – VI-2 Kart 2/13 (V) -, juris Rn. 131; VK Münster, Beschluss vom 17. Juli 2013 – VK 6/13 -, juris; Lampert, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar Band 2 (3. Aufl. 2019), § 7c VOB/A-EU Rn. 5.

Nach den vorstehenden Maßstäben hat die Klägerin eine konstruktive Leistungsbeschreibung (Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis) und keine teilfunktionale Leistungsbeschreibung (Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm) verfasst.

Dies steht zunächst im Einklang mit dem in § 9 Nr. 6 und Nr. 10 VOB/A 2002 geregelten Vorrangverhältnis der Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis gegenüber der Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm sowie mit dem vor allem für öffentliche Auftraggeber geltenden Grundsatz, dass die Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis die Regel bilden soll,

vgl. Kratzenberg, in: Ingenstau/Korbion, VOB Teile A und B (15. Aufl. 2004), § 9 Rn. 86; Nr. 1.3 VHB 2002 zu § 9 VOB/A.

Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zitierten Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 16. Januar 2025 – C-424/23. Soweit der EuGH unter Rn. 29 zu Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG klarstellt, dass keine Hierarchie zwischen den in dieser Bestimmung unter lit. a bis d aufgezählten Methoden der Formulierung technischer Spezifikationen bestehe, ist schon fragwürdig, ob sich dies ohne Weiteres auf die hier zur Anwendung gelangende deutsche Rechtslage zum Ausschreibungszeitpunkt – VOB/A 2002 – übertragen lässt. Im Ergebnis mag dies aber dahinstehen, da nach den eingangs erläuterten Maßstäben auch ohne ein etwaiges Vorrangverhältnis vorliegend von einer konstruktiven Leistungsbeschreibung auszugehen ist.

Die Klägerin hat ihrer Ausschreibung eine ausführliche Übersicht, ausdrücklich überschrieben mit “Leistungsverzeichnis” (vgl. Bl. 1374-1456 des Verwaltungsvorgangs), beigefügt sowie in der Anlage “Tiefbau” zu Nr. 6 der Besonderen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen mehrfach explizit auf ihr Leistungsverzeichnis Bezug genommen (vgl. Bl. 1476, 1485 des Verwaltungsvorgangs). Aber auch abgesehen davon, dass die Klägerin selbst von “Leistungsverzeichnis” spricht, sind die inhaltlichen Kriterien einer konstruktiven Leistungsbeschreibung erfüllt. Die Bauaufgabe wurde tatsächlich mittels einer Baubeschreibung beschrieben und Teilleistungen wurden mit Positionen detailliert in einem Leistungsverzeichnis aufgegliedert. Danach war eindeutig beschrieben, welche Schilder inklusive der jeweiligen Aufstellvorrichtung abgebaut und welche Maste inklusive Fundament sodann geliefert und aufgestellt werden sollten. Auch wurde die jeweilige Art detailliert beschrieben, die Schildgröße und Mastlänge angegeben sowie die Stückanzahl benannt. Gegen die Annahme einer teilfunktionalen Ausschreibung spricht darüber hinaus, dass der Vorgang des Entfernens und Aufstellens von Verkehrsschildern keine verschiedenen technischen Systeme oder Lösungsansätze bedingt, sodass die Konzeptionierung ein besonderes Knowhow von Fachfirmen erfordern würde. Auch ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin in zulässiger Weise wesentliche Planungsaufgaben auf den Bieter verlagert und hierüber einen Wettbewerb eröffnet hat, was jedoch Voraussetzung für eine (teil-)funktionale Ausschreibung wäre. “Verdeckte” Planungsleistungen, also bewusst ungenau abgefasste Leistungspositionen, genügen den Anforderungen nicht. Der Ausschreibung ging weder eine Beschreibung der Bauaufgabe noch eine Erläuterung, welche Planungsleistung die Klägerin von den Bietern erwartet, voraus. Anders als dies bei einer (teil-)funktionalen Ausschreibung der Fall ist, blieb vorliegend bei einer Gesamtbetrachtung nicht offen, welche Baustoffe und Materialien verwendet werden sollten; so sollte beispielsweise das Fundament aus Beton C25/30 hergestellt werden (vgl. Bl. 1452 des Verwaltungsvorgangs), der Rohrrahmen aus feuerverzinktem Stahl (vgl. Bl. 1453 des Verwaltungsvorgangs), die Gittermastkonstruktion ebenfalls aus feuerverzinktem Stahl (vgl. Bl. 1449 des Verwaltungsvorgangs) und das Verkehrsschild sollte aus Aluminium sein und mit einer retroreflektierenden Folie Typ 3 DIN 67520 versehen werden (vgl. Bl. 1444 des Verwaltungsvorgangs).

Die Klägerin behauptet lediglich, sie habe die Erneuerung der Wegweisungsbeschilderung teilfunktional ausgeschrieben. Sie führt aber keine Gründe für diese Ansicht an. Entgegen allen Erwartungen leitet sie nicht anhand ihrer Ausschreibungsunterlagen ab, wo und warum diese ihre Einordnung als teilfunktionale Leistungsbeschreibung stützen. Solche Gründe hat auch das Gericht nicht feststellen können. Insbesondere lassen sich den Ausschreibungsunterlagen keine bloßen Zielvorgaben entnehmen. Im Gegensatz zu einer Leistungsbeschreibung ist für eine funktionale Ausschreibung aber wesensbestimmend, dass der Auftraggeber nur das erwartete Ergebnis oder die Funktion der Leistung beschreibt, also das “Was”; das “Wie” – die einzelnen Teilleistungen – sind dabei dem Auftragnehmer überlassen.

Angesichts der Beschreibung der Bauleistung seitens der Klägerin und der detaillierten Aufführung der Teilleistungen mit Positionsnummer, Mengeneinheitsangabe, Einheits- und Gesamtpreis in einem Leistungsverzeichnis und mangels Übertragung von wesentlichen Planungsleistungen auf den Auftragnehmer handelt es sich um eine Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis.

b) Selbst wenn man mit der Klägerin eine teilfunktionale Beschreibung annehmen wollte, fehlt es an der von der VOB/A vorgesehenen Abwägung aller Umstände seitens der Klägerin in Form eines dokumentierten Abwägungsprozesses zur Zweckmäßigkeit einer (teil-)funktionalen Leistungsbeschreibung.

Voraussetzung dafür, dass der Auftraggeber eine Leistung teilfunktional beschreibt, mithin den Entwurf selbst erstellt und den Auftragnehmer mit der Ausführungsplanung bis zur schlüsselfertigen Errichtung beauftragt, ist, dass diese Art der Ausschreibung nach Abwägung aller Umstände zweckmäßig erscheint.

Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2014 – VI-2 Kart 2/13 (V) -, juris Rn. 131; VK Münster, Beschluss vom 17. Juli 2013 – VK 6/13 -, juris; Lampert, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar Band 2 (3. Aufl. 2019), § 7c VOB/A-EU Rn. 5.

Auch wenn an die Zweckmäßigkeitsgründe keine überhöhten Anforderungen gestellt werden,

vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Juni 2017 – VII-Verg 2/17 -, juris; OLG München, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – Verg 16/09 -, juris; VK Münster, Beschluss vom 17. Juli 2013 – VK 6/13 -, juris; Zimmermann, jurisPR-VergR 12/2017 Anm. 2,

stellt die Wahl einer Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm einen Ausnahmefall dar, der vom Auftraggeber zu begründen und zu dokumentieren ist.

Vgl. VK Niedersachsen, Beschluss vom 7. Oktober 2015 – VgK-31/2015 -, juris Rn. 71, 99; Krohn, in: Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch Vergaberecht (3. Aufl. 2021), § 19 Rn. 15; Lampert, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar Band 2 (3. Aufl. 2019), § 7c VOB/A-EU Rn. 22; Kratzenberg, in: Ingenstau/Korbion, VOB Teile A und B (15. Aufl. 2004), § 9 Rn. 125; Markus, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar Teil A/B (8. Aufl. 2022), § 7c Rn. 38.

Weder den Akten noch dem Vortrag der Klägerin ist zu entnehmen, dass die Klägerin überhaupt Überlegungen darüber angestellt hat, ob die von ihr behauptete (teil-) funktionale Leistungsbeschreibung in Betracht gezogen wurde, geschweige denn eingehende und pflichtgemäße Überlegungen im Sinne des § 9 Nr. 10 VOB/A 2002 angestellt wurden. Ihren Ausschreibungsunterlagen lässt sich nicht ansatzweise eine Dokumentation des Abwägungsprozesses mit Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten entnehmen. Die von der Klägerin in ihrer Klageschrift nachgereichte alleinige Kostenbegründung für die Wahl einer teilfunktionalen Leistungsbeschreibung ist an dieser Stelle weder ausreichend noch zweckmäßig.

2. Da die Ausschreibung keine dem Wettbewerb unterstellten Planungsleistungen enthielt, war sie an den Anforderungen an eine konstruktive Leistungsbeschreibung zu messen, § 9 Nr. 1 und Nr. 6 VOB/A 2002. Danach ist die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. Diesen Anforderungen genügte die Leistungsbeschreibung nicht.

Das Gebot der eindeutigen Leistungsbeschreibung betrifft die Art und Weise, wie der Auftraggeber die Leistungsanforderungen äußern muss.

Vgl. zu der gleichlautenden Vorschrift § 7 VOB/A 2019: von dem Knesebeck, in: BeckOK Vergaberecht (34. Edition, Stand: 1. Februar 2023), § 7 Rn. 1 mit Verweis auf die Kommentierung zu § 7 EU VOB/A Rn. 5.

Eine Leistungsbeschreibung ist eindeutig, wenn aus Sicht eines durchschnittlichen und mit der Art der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Bieters klar ersichtlich ist, welche Leistung der Auftragnehmer zu welcher Zeit, in welchem Umfang und in welcher Qualität zu erbringen hat und welche Anforderungen und Bedingungen an die vom Auftraggeber geforderte Leistung gestellt werden.

Vgl. Bay. OLG, Beschluss vom 1. August 2024 – Verg 19/23 e -, juris Rn. 124 m.w.N.

Das Gebot der erschöpfenden Leistungsbeschreibung zielt auf inhaltliche Vorgaben ab: Der Auftraggeber muss alle Leistungsmerkmale, Bedingungen, Umstände und technischen Anforderungen, deren Kenntnis für die Erstellung des Angebots erforderlich sind, in der Leistungsbeschreibung vollständig und inhaltlich richtig angeben.

Vgl. zu der gleichlautenden Vorschrift § 7 VOB/A 2019: von dem Knesebeck, in: BeckOK Vergaberecht (34. Edition, Stand: 1. Februar 2023), § 7 Rn. 1 mit Verweis auf die Kommentierung zu § 7 EU VOB/A Rn. 6.

Eine eindeutige und erschöpfende Beschreibung der Leistung hat sowohl für die Schaffung einer transparenten Wettbewerbsgrundlage bis zum Zuschlag als auch für die Bestimmung des Umfangs der späteren Leistungspflicht des Auftragnehmers grundlegende Bedeutung. Die Beschreibung der Leistung erfordert dabei einen klaren, vollständigen und für jeden in Betracht kommenden fachkundigen Bieter eindeutigen Inhalt. Das bedeutet, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen. Hierfür muss sich der Auftraggeber in den Einzelangaben so klar ausdrücken, dass die fachkundigen Bieter sie objektiv im gleichen Sinne verstehen müssen.

Vgl. Kratzenberg, in: Ingenstau/Korbion, VOB Teile A und B (15. Aufl. 2004), § 9 Rn. 8, 15 f.; vgl. zu der gleichlautenden Vorschrift § 7 VOB/A 2019: Markus, in: Kapellmann/Messerschmidt VOB-Kommentar, Teil A/B (8. Aufl. 2022), § 7 Rn. 16.

Die Bieter sollen ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten ermitteln können, sodass die Vergleichbarkeit der Angebote sichergestellt ist. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass der Wettbewerb im Bieterverfahren auf sicheren Grundlagen fußt. Hierfür muss der Auftraggeber im ersten Schritt zunächst alle Umstände feststellen, die die geplante bauliche Anlage beeinflussen. Der Auftraggeber muss sich hinreichend über die Einzelheiten der beabsichtigten Bauerstellung im Klaren sein. Bevor er mit der Ausschreibung beginnt, müssen die ihm grundsätzlich obliegenden planerischen Vorarbeiten abgeschlossen sein. Hierzu zählt insbesondere eine abgeschlossene Ausführungsplanung mit Mengenermittlung; im zweiten Schritt müssen die festgestellten, die Preise beeinflussenden Umstände in der Beschreibung der Leistung angegeben werden.

Vgl. Kratzenberg, in: Ingenstau/Korbion, VOB Teile A und B (15. Aufl. 2004), § 9 Rn. 39, 41.

Des Weiteren muss die Leistung so beschrieben sein, dass der Bieter das von ihm Verlangte nicht nur klar und unmissverständlich sieht, sondern er auch anhand der Leistungsangaben in die Lage versetzt wird, die Preise sowohl im Einzelnen als auch im Ganzen ordnungsgemäß zu kalkulieren. Alle tatsächlichen Umstände, die wesentliche Aspekte für eine sachgerechte, vollständige Kalkulation nach allgemeinen baubetrieblichen und bautechnischen Regeln ergeben, müssen in der Leistungsbeschreibung angegeben sein. Hierzu zählt beispielsweise die Mitteilung der näheren Verhältnisse, wie das Vorhandensein von Versorgungsleitungen und die Beschaffenheit des Baugrundes, wenn diese für die Preisbildung bei dem betreffenden Bauvorhaben von Einfluss sind. Auch ist der Auftraggeber gehalten, für die von ihm genannten Positionen zumindest eine ungefähre, angenäherte Größenordnung der geforderten Leistungen als kalkulationsrelevante Grundlage zu ermitteln und anzugeben.

Vgl. VergK Thüringen, Gerichtsbescheid vom 23. April 2015 – 250-4002-1768/2015-003-J -, juris Rn. 59 ff.; Kratzenberg, in: Ingenstau/Korbion, VOB Teile A und B (15. Aufl. 2004), § 9 Rn. 23 f.

Dies vorangestellt hat die Klägerin vorliegend aufgrund einer unvollständigen Planungsgrundlage keine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung vorgenommen.

Bei einer Gesamtbetrachtung hat die Klägerin selbst eingeräumt, dass sie ungenau ausgeschrieben hat, indem sie anführt, der Aufwand einer vollständigen Untersuchung aller 600 Standorte vor der Ausschreibung und deren detaillierten Beschreibung hätte in keinerlei Relation zu der erwarteten Ersparnis gestanden. Vor diesem Hintergrund und angesichts dessen, dass der Beklagte zahlreiche Verstöße gegen § 9 Nr. 1 und Nr. 6 VOB/A 2002 festgestellt und die Klägerin im Klageverfahren hierzu wenig vorgetragen hat, konnte sich das Gericht auf eine exemplarische Prüfung beschränken:

Die Klägerin hat selbst konzediert, dass das Bauprojekt einem “selbstverständlich erforderlichen, stetigen Veränderungsprozess” im Zeitraum der Bauausführung unterlag, was bereits einen Rückschluss darauf zulässt, dass sie sich zum Zeitpunkt der Erstellung und Veröffentlichung der Ausschreibung nicht hinreichend genau über den Umfang und die Ausführung der Baumaßnahme im Klaren war. Denn die von der Klägerin für die Anpassung angeführten Umstände sind nicht als unvorhersehbar einzustufen, sondern ihrem Verantwortungsbereich zuzuordnen. So hatte die Klägerin beispielsweise einen direkten Einfluss auf die zukünftige Gestaltung des Straßenraumes und hätte dies bei der Planung der wegweisenden Beschilderung berücksichtigen können.

Auch die Beschreibung der konkreten Leistung an den jeweiligen Standorten der Beschilderung erweist sich als unvollständig. Für die einzelnen Standorte wurden Standortdatenblätter erstellt, die allerdings neben detaillierten Angaben und Maßen zu den eigentlichen Wegweisern nur einen Auszug aus einem Katasterplan im Maßstab 1:1500 mit einer Standortmarkierung und eine Bezeichnung der Kreuzung und der Zufahrt enthielten. Aufgrund des gewählten Maßstabs und der knappen Beschreibung wurde lediglich ein Grobstandort angegeben, aus dem nicht ersichtlich wurde, an welcher Position genau der Wegweiser oder das Verkehrsschild errichtet werden sollte. § 9 Nr. 3 VOB/A 2002 konkretisiert die Anforderungen an eine eindeutige Leistungsbeschreibung dahingehend, dass die für die Ausführung der Leistung wesentlichen Verhältnisse der Baustelle, z.B. Boden- und Wasserverhältnisse, so zu beschreiben sind, dass der Bewerber ihre Auswirkungen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen kann. Vorliegend fehlten indes zu den einzelnen Standorten Angaben über die Beschaffenheit des Untergrundes der Nachbarbebauung bzw. weiterer Zwangspunkte für die Bauausführung.

Auch die jeweiligen genauen Ausführungen der Aufstellvorrichtungen, die aus den bestehenden örtlichen Gegebenheiten resultierten, waren nicht in den Standortdatenblättern angegeben. Soweit die Klägerin hierzu vorträgt, es hätten aufgrund der hohen Zahl der zu erfassenden Orte nicht alle Standorte in Gänze untersucht und dezidiert beschrieben werden können, ist dem entgegenzuhalten, dass die VOB/A hierfür keine Grundlage bietet. Die genaue Erfassung der räumlichen Gegebenheiten sowie sonstiger Zwangspunkte jedes einzelnen Standorts hätte nicht allein aus dem Grund entfallen dürfen, dass es sich um eine hohe Zahl von Standorten handelte. Die Klägerin hätte der hohen Zahl mit entsprechendem personellen Einsatz bzw. einer umfangreicheren Leistung des von ihr beauftragten Ingenieurbüros Rechnung tragen müssen.

Zudem beinhaltete das Leistungsverzeichnis 39 Positionen für Mehr- und Minderlängen von unterschiedlichen Masten mit der Anmerkung, dass die Mehr- und Minderlängen nach dem Erfordernis aus den örtlichen Gegebenheiten berechnet werden sollten (vgl. z.B. Bl. 1415, 1445, 1447 des Verwaltungsvorgangs). Für eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung fordert die VOB/A jedoch, dass die wesentlichen Verhältnisse auf der Baustelle ausreichend genau und vollständig in der Leitungsbeschreibung beschrieben werden. Diesen Mangel der Planung konnte die Klägerin nicht zulässigerweise dadurch ausgleichen, dass sie die Bieter im Anschreiben zu der Ausschreibung aufforderte, zu bestätigen, dass sie sich über die örtlichen Verhältnisse der Baustelle unterrichtet haben. Die Forderung nach Ortskenntnis kann (nichtortsansässige) Bieter diskriminieren und damit gegen vergaberechtliche Grundsätze verstoßen, vgl. § 97 Abs. 2 GWB; § 2 Nr. 2, § 8 Nr. 1 VOB/A 2002. Ein objektives Gleichverständnis der Leistungsbeschreibung und dadurch der abgegebenen Angebote war mithin auch hier nicht gegeben.

Die im Zuge der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen nicht erfolgte detaillierte Festlegung der Einzelstandorte unter der Berücksichtigung aller örtlichen Umstände hatte nach der – von der Klägerin unwidersprochen gebliebenen – Auffassung des Beklagten zur Folge, dass durch räumliche Gegebenheiten, Hindernisse im Baugrund oder Einwände von Anwohnern die geplanten Aufstellorte vielfach nicht realisierbar waren. Durch die mangelhafte Festlegung von geeigneten Standorten vor Ort änderten sich häufig auch die Anzahl und der Aufbau der Wegweiser. Diese Änderungen wurden über geeignete, bestehende Positionen im Leistungsverzeichnis abgerechnet, was unter anderem zu entsprechenden Verschiebungen in den Ausführungsmengen führte und eine Abweichung in Höhe von rund 79 % verursachte.

Die Abweichungen der abgerechneten Leistungen von den ausgeschriebenen Leistungen lassen insgesamt die Schlussfolgerung zu, dass das der Ausschreibung zugrunde gelegte Leistungsverzeichnis unvollständig und ungenau war. Zahlreiche Positionen weichen um mehr als 10 % von den ausgeschriebenen Vordersätzen ab bzw. wurden nicht ausgeführt, darüber hinaus wurden etliche Nachträge vergeben: Von 233 ausgeschriebenen Positionen (Anteil der Leistungen von Straßen NRW separiert, da keine zuwendungsfähigen Ausgaben) wichen rund 79 % der Positionen bei der Gegenüberstellung von ausgeschriebener Menge zu abgerechneter Menge um mehr als 10 % ab. Bei einer absoluten finanziellen Abweichung in Höhe von 223.361,00 Euro ergibt sich eine relative finanzielle Abweichung von rund 28 %. Die Nachträge für zusätzliche Leistungen umfassen 53 Positionen und wurden in Höhe von 80.411,38 Euro abgerechnet.

Zwar kommen Nachträge in einem gewissen Umfang üblicherweise vor und können auch bei kleineren, punktuellen Baumaßnahmen kaum gänzlich vermieden werden, doch hier wurden teilweise Nachträge gebildet, die bei sorgfältiger Planung im Vorhinein hätten vermieden werden können. Beispielsweise mussten zusätzlich 620 unbeleuchtete Schilder demontiert werden (Position 04.01.01080.N) und 13 Nachtragspositionen beinhalten die Demontage von 1.059 unterschiedlich großen Masten, Schildern und Verkehrszeichen; hier ist nicht nachvollziehbar, wieso die Klägerin das Vorhandensein einer so hohen Anzahl an Masten, Schildern und Verkehrszeichen, die für jedermann in der Örtlichkeit erkennbar waren, nicht vor der Ausschreibung feststellen konnte.

Die Abweichung zwischen den tatsächlich abgerechneten Mengen und den ausgeschriebenen Mengen ist bei der Ausschreibung nicht unerheblich: Es handelt sich hier im Wesentlichen um Mengenabweichungen der beauftragten Leistungen, sodass für diese ausgeschriebenen und ausgeführten Leistungen vom Bieter gegebenenfalls ein abweichender Einheitspreis kalkuliert worden wäre. Die Bedeutung für die kalkulatorische Berechnung zeigt sich daran, dass bei Mengenüber- bzw. Mengenunterschreitungen von mehr als 10 % nach § 2 Nr. 3 Abs. 2, 3 VOB/B 2002 neue Einheitspreise verlangt werden können. Außerdem steht dem Unternehmer im Fall von nicht auszuführenden Leistungen grundsätzlich Entschädigung gemäß § 8 Nr. 1 VOB/B 2002 zu. Angesichts dessen muss davon ausgegangen werden, dass die Bieter in Kenntnis des tatsächlichen Leistungsumfangs ihre Einheitspreise anders kalkuliert hätten, wodurch es möglicherweise zu einem anderen Ausschreibungsergebnis gekommen wäre.

Die Ungenauigkeit der ausgeschriebenen Leistungsbeschreibung kann die Klägerin auch nicht durch ihren Hinweis in den Vormerkungen des Leistungsverzeichnisses auf mögliche Verschiebungen in den Mengenansätzen infolge von Projekt- und Bestandsänderungen ausgleichen. Diese nicht eindeutige Aussage hatte zur Konsequenz, dass jeder Bieter selbst einschätzen musste, inwieweit Mengenänderungen wirklich eintreten könnten, wie sie sich auf die Preisbildung auswirken könnten und ob Risikozuschläge einkalkuliert werden müssen. Die einzelnen Bieter konnten somit die Beschreibung der Leistung objektiv nicht gleich verstehen, was dazu führte, dass auch ihre Angebote nicht vergleichbar waren.

Allein aus dem von der Klägerin angeführten Umstand, es habe keine Beschwerden oder Rügen seitens der Wettbewerbsteilnehmer gegeben, lässt sich nicht der Rückschluss ziehen, die Leistungsbeschreibung sei eindeutig und erschöpfend gewesen; maßgeblich ist vielmehr, ob objektiv ein Verstoß gegen vergaberechtliche und wettbewerbsrechtliche Grundsätze gegeben ist, was hier – wie zuvor erläutert – der Fall ist.

II. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat der Beklagte die Widerrufsfrist des § 49 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG NRW gewahrt.

Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche den Widerruf rechtfertigen, so ist der Widerruf danach nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Bei der Jahresfrist handelt es sich nicht um eine Bearbeitungs-, sondern um eine Entscheidungsfrist. Der zuständigen Behörde wird ein Jahr Zeit eingeräumt, um die Entscheidung über die Rücknahme bzw. den Widerruf des Verwaltungsakts zu treffen. Daraus folgt, dass die Frist erst bei vollständiger behördlicher Kenntnis der für die Entscheidung maßgebenden Sach- und Rechtslage zu laufen beginnt. Erst wenn die Behörde auf der Grundlage aller entscheidungserheblichen Tatsachen den zutreffenden rechtlichen Schluss gezogen hat, dass ihr die Aufhebungsbefugnis zusteht, muss sie innerhalb eines Jahres entscheiden, ob sie davon Gebrauch macht. Sie muss zu der Erkenntnis gelangt sein, dass die weiteren Voraussetzungen des § 48 VwVfG NRW oder des § 49 VwVfG NRW zweifelsfrei gegeben sind. Dies ist anzunehmen, wenn die Behörde ohne weitere Sachaufklärung imstande ist, diese gesetzlichen Voraussetzungen zutreffend zu beurteilen, und daraus die richtigen Schlüsse zieht.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Januar 2019 – 10 C 5.17 -, juris Rn. 30 f., vom 28. Juni 2012 – 2 C 13.11 -, juris Rn. 27 ff., vom 20. September 2001 – 7 C 6.01 -, juris Rn. 12 und vom 24. Januar 2001 – 8 C 8.00 -, juris Rn. 10 ff.; OVG NRW, Beschlüsse vom 15. August 2019 – 15 A 2792/18 -, juris Rn. 12, vom 9. Oktober 2018 – 4 A 2093/16 -, juris Rn. 8, und vom 29. Mai 2017 – 4 A 516/15 -, juris Rn. 9 ff.

Daraus folgt, dass jede Form der Nichtkenntnisnahme entscheidungserheblicher Umstände den Fristlauf hindert, weil es im Rahmen des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW auf ein “(qualifiziertes) Kennenmüssen” der die Rücknahme bzw. den Widerruf rechtfertigenden Gründe nicht ankommt.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. August 2014 – 4 B 1.14 -, juris Rn. 8 und vom 12. September 1997 – 3 B 66.97 -, juris Rn. 3; OVG NRW, Beschluss vom 15. August 2019 – 15 A 2792/18 -, juris Rn. 14.

Zur Herstellung der Entscheidungsreife, nach deren Eintritt die Entscheidungsfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW erst beginnen kann, gehört regelmäßig das Anhörungsverfahren, und zwar unabhängig von dessen Ergebnis. Denn die Einwände des Anzuhörenden können nur dann ernstlich zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden, wenn sich die Behörde ihre Entscheidung bis zum Abschluss des Anhörungsverfahrens offenhält. Dies gilt auch und gerade, wenn es sich bei der zu treffenden Entscheidung um eine Ermessensentscheidung handelt, bei der zudem die für die Ermessensbetätigung maßgeblichen Umstände auch in der Sphäre des anzuhörenden Betroffenen liegen. Unterlässt die Behörde die Anhörung, so läuft die Frist nicht. Verzögert sie sie, so läuft die Frist gleichwohl nicht früher.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 – 10 C 5.17 -, juris Rn. 32, Beschluss vom 4. Dezember 2008 – 2 B 60.08 -, juris Rn. 7, Urteile vom 20. September 2001 – 7 C 6.01 -, juris Rn. 13 und vom 24. Januar 2001 – 8 C 8.00 -, juris Rn. 13, Beschluss vom 7. November 2000 – 8 B 137.00 -, juris Rn. 5; OVG NRW, Beschlüsse vom 15. August 2019 – 15 A 2792/18 -, juris Rn. 16 und vom 29. Mai 2017 – 4 A 516/15 -, juris Rn. 17, Urteil vom 20. April 2012 – 4 A 2005/10 -, juris Rn. 58.

Ist die Sache allerdings bei Anlegung eines objektiven Maßstabs zur Entscheidung reif, so beginnt die Jahresfrist auch dann zu laufen, wenn die Behörde weitere Schritte zur Sachaufklärung unternimmt, die objektiv nicht mehr erforderlich sind. So liegt es insbesondere, wenn das Ermessen der Behörde auf Null reduziert oder doch im Sinne eines intendierten Ermessens regelhaft gebunden ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 – 10 C 5.17 -, juris Rn. 31; OVG NRW, Beschluss vom 15. August 2019 – 15 A 2792/18 -, juris Rn. 19.

Bei der Aufhebung öffentlicher Zuwendungsbescheide ist das Widerrufsermessen regelmäßig intendiert. Dies folgt aus den haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis von selbst und bedarf keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Juni 2002 – 8 C 30.01 -, juris Rn. 37 und vom 16. Juni 1997 – 3 C 22.96 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 9. Dezember 2015 – 15 A 121/15 -, juris Rn. 12, Urteile vom 20. April 2012 – 4 A 1055/09 -, juris Rn. 109 ff. und vom 22. Februar 2005 – 15 A 1065/04 -, juris Rn. 90.

Damit ist indes nicht gesagt, dass in diesen Fallkonstellationen jede weitere Sachaufklärung entbehrlich und die Entscheidungsreife eingetreten ist, sobald die Behörde die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Widerruf festgestellt hat. Denn auch bei einem intendierten Ermessen ist zu verlangen, dass die Behörde den ihr verbleibenden Ermessensspielraum erkennt und prüft, ob ausnahmsweise eine andere Entscheidung als der Widerruf des Zuwendungsbescheids in Betracht kommt. Diesem Erfordernis wird die Behörde grundsätzlich nur dann gerecht werden können, wenn dem beabsichtigten Widerruf eine ordnungsgemäße Anhörung vorangeht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. August 2019 – 15 A 2792/18 -, juris Rn. 22.

Gemessen an diesen Maßstäben ist der streitgegenständliche Widerrufsbescheid vom 30. Juni 2021 innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW ergangen. Für deren Beginn war der Abschluss des Anhörungsverfahrens maßgeblich. Der Beklagte hat die Klägerin zu dem beabsichtigten Widerruf mit Schreiben vom 17. Juni 2020 angehört. Mit Schreiben vom 31. August 2020 machte die Klägerin von der ihr eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme Gebrauch, sodass zu diesem Zeitpunkt das Anhörungsverfahren abgeschlossen war. Anhaltspunkte für einen (Ausnahme-) Fall der Entscheidungsreife vor Abschluss des Anhörungsverfahrens sind nicht ersichtlich. Insbesondere wirkt sich vorliegend nicht aus, dass die Klägerin in ihrem Anhörungsschreiben lediglich Rechtsansichten, nicht aber neue tatsächliche Umstände, mitteilte. Denn zur Herstellung der Entscheidungsreife, nach deren Eintritt die Entscheidungsfrist erst beginnen kann, gehört – wie bereits dargestellt – das Anhörungsverfahren unabhängig von dessen Ergebnis. Die Behörde kann vor Abschluss des Anhörungsverfahrens nicht wissen, ob und wie der Anzuhörende von dem ihm eingeräumten Instrument zur Geltendmachung seiner Rechte Gebrauch macht. Die Stellungnahmefrist kann auch völlig ungenutzt verstrichen werden lassen, woraus indes ein weiterer Erkenntnisgewinn für die Anhörungsbehörde folgt, namentlich, dass der Anzuhörende offenbar dem Sachverhalt nichts mehr hinzufügen möchte. Ebenso wenig wurde die Jahresfrist durch die Stellungnahme der Klägerin zum Anhörungsschreiben des Beklagten vom 24. Juli 2018 in Gang gesetzt, da das Anhörungsschreiben vom 18. Juni 2018 explizit den Aspekt der Ausschreibungsgenauigkeit ausließ, da insofern zunächst eine Stellungnahme des Verkehrsministeriums NRW abgewartet werden sollte.

Auch der Umstand, dass das Widerrufsermessen im öffentlichen Zuwendungsrecht mit Blick auf die haushaltsrechtlichen Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei Vorliegen von Widerrufsgründen im Regelfall intendiert ist, führt nach Lage der Dinge nicht zum vorzeitigen Eintritt der Entscheidungsreife nebst Ingangsetzung der Jahresfrist. Bevor der Beklagte die Klägerin nicht in den förmlichen, ausdrücklich als solchen gekennzeichneten Anhörungsschreiben mit der konkreten Erstattungsforderung konfrontiert hatte, war seine Entscheidungsgrundlage noch nicht vollständig. Dies erfasst die Frage der Berechtigung der einzelnen, in diversen Prüfungsmitteilungen verkörperten Widerrufsgründe ebenso wie die damit – auf Rechtsfolgenseite – verknüpfte Klärung, in welcher Höhe die Rückforderung letzten Endes gerechtfertigt ist.

III. Von der damit gegebenen Widerrufsmöglichkeit des § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG NRW hat der Beklagte rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht. Insbesondere sind keine Ermessensfehler gegeben. Die Ausübung des in § 49 Abs. 3 Satz 1 VwVfG eingeräumten Ermessens war vorliegend nicht entbehrlich. Zwar zwingen – wie eingangs erläutert – die haushaltsrechtlichen Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei Vorliegen von Widerrufsgründen im Regelfall zum Widerruf einer Zuwendung, sofern nicht außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen. Fehlt es an derartigen Umständen, so bedarf es grundsätzlich keiner besonderen Ermessenserwägungen. In Fällen der vorliegenden Art ist jedoch zu bedenken, dass ein Widerruf auch länger zurückliegende Zeiträume erfassen und damit entsprechend höhere Zahlungspflichten auslösen kann. Deshalb kann der Widerruf – etwa bei Pflichtverletzungen von geringem Gewicht oder im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation des Zuwendungsempfängers – aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf bestimmte Zeiträume oder in anderer Weise zu beschränken sein.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – 3 C 22.02 -, juris Rn. 36; OVG NRW, Urteil vom 22. Februar 2005 – 15 A 1065/04 -, juris Rn. 90.

Dieser Vorgabe trägt der Runderlass des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2003 – I 1 – 0044 – 3/8 – Rechnung, der ermessensbindenden Charakter hat und deshalb bei der Prüfung, ob die Behörde ermessensfehlerhaft gehandelt hat, zu berücksichtigen ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Februar 2005 – 15 A 1065/04 -, juris Rn. 92, und Beschluss vom 11. Dezember 2000 – 4 A 5182/99 -, n.v.

Nach diesem Erlass, den der Beklagte seiner Ermessensausübung zutreffend zugrunde gelegt hat, ist ein Widerruf des Zuwendungsbescheides grundsätzlich bei Vorliegen eines schweren Verstoßes gegen die VOB angezeigt (vgl. Ziffer 2 des Erlasses). Ein derartiger Verstoß liegt nach Ziffer 3.2 des Erlasses vor bei fehlender eindeutiger und erschöpfender Leistungsbeschreibung. Die Bewertung eines derartigen Verstoßes gegen die Bestimmungen der VOB als schwer ist nicht zu beanstanden, weil eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung, die sowohl für die Schaffung einer transparenten Wettbewerbsgrundlage bis zum Zuschlag als auch für die Bestimmung des Umfangs der späteren Leistungspflicht des Auftragnehmers von grundlegender Bedeutung ist, zu den Grundsätzen des Vergaberechts zählt. Vom Vorliegen der genannten Voraussetzungen ist der Beklagte nach den vorstehenden Ausführungen zutreffend ausgegangen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen keine Umstände vor, die den von ihr begangenen konkreten Rechtsverstoß ausnahmsweise nicht als schwer erscheinen lassen könnten. Die Ermessensausübung des Beklagten ist auch hinsichtlich des Umfangs des Widerrufs nicht zu beanstanden. Insbesondere hat er mildernde Umstände berücksichtigt, die ihn letztlich dazu bewogen haben, lediglich 30 % der gewährten Zuwendung zurückzufordern.

So hat der Beklagte im Rahmen der ihm eröffneten Ermessensausübung berücksichtigt, dass es im Kontext der Bauausführung durchaus zu Veränderungen kommen kann, welche Nachtragsleistungen zur Folge haben, sodass solche in einem gewissen Umfang zu tolerieren sind. Auch hat er in seine Ermessenserwägungen einbezogen, dass die zu erbringende Leistung vorliegend das gesamte Stadtgebiet der Klägerin betraf und sich über zahlreiche Standorte erstreckte. Dass der Beklagte dies für planerisch anders zu bewerten hält als eine einzelne, konkrete Baumaßnahme, die sich auf einen bestimmten, überschaubaren Streckenabschnitt bezieht, ist nicht zu beanstanden. Weiterhin hat er mildernd berücksichtigt, dass die Art der Leistung bei der Beurteilung der Mengenabweichung zu betrachten ist: Wenn nur geringe Stückzahlen im Leistungsverzeichnis abgefragt werden, führt eine geringe Stückzahlabweichung schnell zu einer erheblichen Mengenabweichung. Somit hat die Mengenabweichung im vorliegenden Fall ein geringeres Gewicht, als dies bei Straßenbauarbeiten der Fall wäre. Den Massen im Leistungsverzeichnis im Vergleich zu der Eindeutigkeit und Vollständigkeit der Beschreibung der Einzelleistungen kann nach der in der VOB/B vorgesehenen Ausgleichsregelung in § 3 Nr. 3 VOB/B daher nur eine untergeordnete Rolle zugewiesen werden.

Ermächtigungsgrundlage für die Erstattungsaufforderung in Höhe von 253.497,17 Euro ist § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW. Nach dieser Bestimmung sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt – wie hier – mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen worden ist. Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Für den Umfang der Erstattung – mit Ausnahme der Verzinsung – gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung entsprechend. Danach hat die Klägerin dem Beklagten den ausgezahlten Zuwendungsbetrag im Umfang des Teilwiderrufs und mithin in der geforderten Höhe zu erstatten (§ 818 Abs. 2 BGB).

Der von dem Beklagten unter Ziffer 3. des angefochtenen Bescheides geltend gemachte Zinsanspruch rechtfertigt sich nach § 49a Abs. 3 VwVfG NRW.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung

Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.

Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf

253.497,17 Euro

festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 GKG. Der festgesetzte Wert entspricht der beantragten Geldleistung.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der genannten Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.

Kurz belichtet – Vermeidung von Maschinenumstürzen – insbesondere öffentliche Auftraggeber in der Pflicht

Kurz belichtet - Vermeidung von Maschinenumstürzen - insbesondere öffentliche Auftraggeber in der Pflicht

Maschinen des Spezialtiefbaus haben in der Regel ein hohes Eigengewicht und einen hoch liegenden Systemschwerpunkt. Außerdem tragen sie durch ihre Fahr- und Arbeitsbewegungen häufig zyklische und dynamische Lasten in den Untergrund ein. Sie unterliegen deshalb im Baustelleneinsatz dem Risiko umzustürzen. Der Vermeidung von Maschinenumstürzen kommt aus Gründen des Arbeitsschutzes und aus wirtschaftlicher Sicht eine herausragende Bedeutung zu, denn Umstürze von Großgeräten gehören zu den folgenreichsten Unfällen im Baugeschehen. Neben der Gefahr von schweren oder tödlichen Verletzungen bei Mitarbeitern, besteht auch ein hohes Risiko für unbeteiligte Dritte. Unfälle und „Beinahe-Unfälle“ führen außerdem zu einer hohen psychischen Belastung des Baustellenpersonals, die zu einer zeitweiligen oder vollständigen Arbeitsunfähigkeit führen kann. Oftmals ist dies verbunden mit massiven Produktionsausfällen und Mehrkosten durch Projektverzögerung. Nicht zuletzt kann es zu einem erheblichen Imageverlust für die Baubeteiligten und das Bauprojekt kommen.

Allen Baubeteiligten kommen mit Blick auf die Gesetze und Regelwerke auf Grund ihrer rechtlichen Stellung innerhalb des Bauprojektes und ihrer fachlichen Kompetenz unterschiedliche Aufgaben im Zusammenhang mit der Unfallvermeidung zu.
Eine klare Regelung der Verantwortlichkeiten bei der Planung, Herstellung, Unterhaltung und Kontrolle der Arbeitsplattform ist hierfür unerlässlich. Neben den Pflichten der Auftragnehmer im Zuge der Vorbereitung und Ausführung der Bauarbeiten haben auch die Auftraggeber/Bauherren sowie die unterstützenden Fachplaner (Tragwerksplaner, Steuerer, Bodengutachter, Bauüberwachung) eine besondere Verantwortung für die Sicherheit der von ihnen veranlassten Bauarbeiten.

Der Auftraggeber/Bauherr und ihn unterstützende Fachleute sind in die gesamtheitliche Verantwortung für sicheres Arbeiten im Spezialtiefbau eingebunden.

Die gesetzlichen Regelungen (z. B. im Arbeitsrecht, Bauvertragsrecht, Strafrecht) fordern ein konsequentes und ernsthaftes Befassen mit der ordnungsgemäßen Erkundung, Planung und Herstellung sowie dem Unterhalt adäquater und hinreichend sicherer Arbeitsplattformen. Der Thematik standsicherer Arbeitsplattformen muss in besonderem Maße Rechnung getragen werden, denn viele der oben genannten Unfallursachen lassen sich durch eine vorausschauende, fachgerechte Planung und Steuerung des Baugeschehens vermeiden.

Der Bauherr/Auftraggeber ist verantwortlich für die Bereitstellung eines geeigneten Grundstücks sowie einer geeigneten und tragfähigen Arbeitsplattform (§ 4 Abs. 3 VOB/B in Verbindung mit u. a. DIN 18299 Abschnitte 0.1.9, 0.1.10, 0.1.15 und 0.1.16 sowie Abschnitt 2.1.3).

Der Bauherr ist weiterhin verpflichtet, vor Baubeginn im Zuge der Vorbereitung der Baumaßnahme eine entsprechende regelgerechte Untersuchung des Baufeldes, auch hinsichtlich der Belastbarkeit des Baugrunds für ein späteres Befahren mit schwerem Gerät zu veranlassen (gem. DIN EN 1997-2, DIN 4020). Hierzu zählt u. a. zwingend die Berücksichtigung der Thematik „Arbeitsplattform“ im Baugrundgutachten bzw. dem geotechnischen Bericht. Die sich hieraus ergebenden Erkenntnisse sind bei der Planung zu berücksichtigen. Die Arbeitsplattformen und alle damit im Zusammenhang stehenden Leistungen (z. B. Unterhalt und Rückbau) sind detailliert auszuschreiben.

Die Übertragung der Pflicht zur Bereitstellung eines geeigneten Grundstücks und einer geeigneten Arbeitsplattform auf seine Planer oder andere Erfüllungsgehilfen sollte zu Beweiszwecken schriftlich festgehalten werden. Die sehr frühzeitige Freigabe der Arbeitsplattformen ist schriftlich zu dokumentieren und rechtzeitig an die Baubeteiligten als Voraussetzung für den Baubeginn zu übergeben.
Anderenfalls können Verzögerungen beim Baubeginn oder Arbeitsunterbrechungen drohen.
Die Kosten für die Bereitstellung der Arbeitsplattformen sowie die damit verknüpften Untersuchungen und Planungsleistungen trägt im Regelfall der Bauherr/Auftraggeber. Hier ist eine frühzeitige Abklärung unter Herbeiführung notwendiger Erkenntnisse für die Belastbarkeit des Bodens zu empfehlen (vgl. ATV DIN 18299, Abschnitt 0.1.9 und 0.1.10).

Die Kostentragung für eine etwaige Beseitigung von vorhandenen oder aufgefundenen Störkörpern oder schädlichen Inhomogenitäten im Untergrund oder ähnlichen Umständen, welche die Belastbarkeit des Bodens und der darauf zu errichtenden Arbeitsplattform gefährden könnten, sind grundsätzlich ebenfalls Aufgabe des Auftraggebers/Bauherrn (vgl. ATV DIN 18299 Abschnitte 4.2.15, DIN 18300 Abschnitte 3.1.5, 3.1.6, 4.2.1; DIN 18301, Abschnitte 3.1.7, 3.1.8, 4.2.1).

Werden im Zuge der Baumaßnahmen Störkörper oder Inhomogenitäten im Untergrund (z. B. alte Kabel, Schächte, Hohlräume, Weichstellen und dergleichen) angetroffen bzw. besteht der Verdacht, dass solche das sichere Befahren der Arbeitsplattform gefährden könnten, ist unverzüglich eine schriftliche Anordnung zur Baueinstellung zu treffen. Sind danach entsprechende Sicherungsmaßnahmen zu veranlassen, trägt grundsätzlich der Auftraggeber die sich daraus ergebenden Kosten (vgl. ATV DIN 18299 Abschnitte 4.2.15, DIN 18300 Abschnitte 3.1.5, 3.1.6, 4.2.1; DIN 18301, Abschnitte 3.1.7, 3.1.8, 4.2.1).
Der Vereinbarung realistischer Bauzeiten (Beachtung der Witterung, Zusammenwirken verschiedener Gewerke etc.) – die eine fachgerechte Herstellung der Arbeitsplattformen berücksichtigt – kommt eine wesentliche Bedeutung zu.

Der Bauherr/Auftraggeber ist bei den von ihm veranlassten Bauarbeiten für die zeitliche und örtliche Koordination der Gewerke auf der Baustelle (u. a. durch SiGeKo) verantwortlich. Hierzu zählen auch klare Regelungen zu den spezifischen Verantwortlichkeiten der Baubeteiligten bzgl. der Thematik Arbeitsplattformen.

Die vorstehenden Verpflichtungen gelten grundsätzlich für öffentliche wie für private Auftraggeber, da die zugrunde liegenden Vorschriften anerkannte Regeln der Technik darstellen. Diese sind allgemein verbindlich. Bei privaten Auftraggebern ist eine abweichende Vereinbarung im Einzelfall möglich, setzt aber eine konkrete Risikozuweisung voraus.

Geotechnischer Bericht bzw. geotechnisches Gutachten

Unabdingbare Grundlage der Planung zur Herstellung einer tragfähigen Arbeitsplattform ist ein geotechnischer Bericht bzw. geotechnisches Gutachten entsprechend den Anforderungen der DIN EN 1997-2:2010-10 (Ec) und DIN 4020: 2010-12.

Geotechnische Untersuchungen nach dieser Norm sind die Voraussetzung für Standsicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau nach DIN EN 1997-1: 2014-03 (Ec 7-1) und DIN 1054:2010-12.

Der geotechnische Bericht bzw. das geotechnische Gutachten dürfen sich deshalb nicht nur ausschließlich auf die Gründungssituation des zukünftigen Bauwerks beziehen. Vielmehr müssen auch alle Bereiche der erforderlichen Arbeitsplattformen hinsichtlich der Tragfähigkeit normgerecht untersucht und eventuell vorhandene Hohlräume, verfüllte Keller, ehemalige Wasserläufe, Torflinsen, Weichstellen, Leitungen oder Schürfgräben dokumentiert und berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang sind auch die Erkundungsleistungen für die i.d.R. erforderlichen Maßnahmen zur Wasserableitung, Wasserhaltung/Drainage vorzunehmen.

Im Sinne eines wirtschaftlichen Arbeitens kann es je nach Baustellensituation sinnvoll sein, die Arbeitsplattformen je nach geplanter Nutzung in verschiedene Bemessungsszenarien zu unterteilen.

Hier könnte z. B. unterschieden werden in:
• reine Fahrwege
• Zufahrten und Rampen
• Arbeitsplattform „Typ A“ mit max. Bodenpressungen, z. B. für die Herstellung von vertikalen Standardpfählen
• Arbeitsplattform „Typ B“ mit zeitweise erhöhten max. Bodenpressungen (z. B. Sonderpfähle in Eckbereichen mit lokal sehr hohen max. Bodenpressungen)

In allen Fällen ist sicherzustellen, dass das Baustellenpersonal informiert ist und die Bereiche unterschiedlicher Tragfähigkeit eindeutig erkennbar und dauerhaft gekennzeichnet sind.

Eine Ausschreibung sollte auf Grundlage einer fachgerechten Planung mindestens nachfolgend aufgeführte Sachverhalte in detaillierten Leistungspositionen enthalten:
• Sicherstellung der Kontaminations- und Kampfmittelfreiheit
• Baufeld-Beräumung, Abschieben von ungeeignetem Oberboden – bei Bedarf.
• Endgültige Bemessung der Arbeitsplattformen, Zufahrten, Rampen etc. für den Einsatz von Geräten des Spezialtiefbaus durch den Sachverständigen für Geotechnik auf Grundlage des Baugrundgutachtens bzw. des geotechnischen Berichts. (Hinweis: Als Grundlage für die endgültige Bemessung dienen die Maschinen-Kenndaten gemäß DIN 16228-1 Anhang F der tatsächlich auf der Baustelle eingesetzten, maßgeblichen Geräte. Die entsprechenden Kenndaten sind dem Auftraggeber/Bauherrn für die endgültige Planung der Arbeitsplattformen vom Auftragnehmer spätestens im Zuge der Auftragsvergabe auf Verlangen zu übergeben.)
• Erstellung des Einbaukonzeptes für die vorgesehenen Materialien einschl. zeichnerischer Darstellung in Grundriss und Schnitten. Hierbei ist die Lage von Böschungskanten, Rampen und unterirdischen Einbauten besonders zu berücksichtigen. Die Arbeitsplattformen sind vor Ort eindeutig erkennbar und dauerhaft zu markieren.
• Herstellung der Arbeitsplattform nach den Vorgaben des Fachplaners: u. a. Materialanforderungen, Angabe von ggf. erforderlichen Geokunststoffen und dem Einsatz von (hydraulischen) Bindemitteln, Schichtstärken, Zulageund Alternativpositionen für ggf. notwendige Änderungen/Anpassungen an die tatsächliche Baustellensituation, Festlegung der Einbau- und Verdichtungsanforderungen sowie der spezifischen Prüfanforderungen.
• Unterhaltung der Arbeitsplattform im Zuge der Bauarbeiten mit Sicherstellung der Gebrauchstauglichkeit (inkl. Materialien/Gerätschaften für Nacharbeiten, inkl. Leistungen zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Entwässerungs- und Drainagesystems, inkl. Beseitigung Bohrschlamm, Stundenlohnleistungen, Zuordnung der Verantwortlichkeiten) – sofern es sich bei diesen Arbeiten nicht ganz oder teilweise um eine Nebenleistung gemäß VOB/c handelt.
• Rückbau und Entsorgung der Arbeitsplattform unter Berücksichtigung der Verschmutzung im Zuge der Bauarbeiten und ggf. eingebauter Geokunststoffe o. ä.

Es sei in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hingewiesen, dass die Leistungen zum „Herstellen, Befestigen, Ertüchtigen und Entfernen des Arbeitsplanums, von Stell- und Lagerflächen, Zufahrtswegen …“ u. a. gemäß ATV DIN 18304 Ramm-, Rüttel- und Pressarbeiten „Besondere Leistungen“ darstellen.

Quelle
MERKBLATT ZUR VERMEIDUNG VON MASCHINENUMSTÜRZEN IM SPEZiALTIEFBAU
Herausgegeben vom Verein zur Förderung fairer Bedingungen am Bau e.V. in Zusammenarbeit mit dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V.
(Bundesfachabteilung Spezialtiefbau)

Vergabereform NRW: Mehr Freiraum für Kommunen

Vergabereform NRW: Mehr Freiraum für Kommunen

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit der Bitte um Kenntnisnahme und Prüfung nachfolgend ein ausgereifter Vorschlag für den möglichen Inhalt einer topaktuellen Inhouse-Schulung für Sie und Ihre Leute bzw Kolleg:innen zu einem topaktuellen Thema/ Themenkomplex.

Vergabereform NRW: Mehr Freiraum für Kommunen

Am 11. Februar 2025 hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalens einen Gesetzesentwurf zur grundlegenden Reform des kommunalen Vergaberechts vorgestellt. Ziel ist es, Kommunen mehr Flexibilität zu geben, bürokratische Hürden abzubauen und die Eigenverantwortung bei Vergaben zu stärken. Mit einer Verabschiedung des Gesetzes ist – je nach Verlauf des parlamentarischen Verfahrens – im Herbst oder Winter 2025 zu rechnen. Herzstück der geplanten Reform ist die Aufhebung von § 26 KomHVO NRW, der bislang die Anwendung der UVgO bzw. VOB/A bei Unterschwellenvergaben vorschrieb. Zukünftig soll ein neuer § 75a in die Gemeindeordnung NRW aufgenommen werden. Dieser verpflichtet Kommunen lediglich zur Einhaltung von allgemeinen Grundsätzen wie Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Effizienz, Gleichbehandlung und Transparenz – weitergehende Vorgaben können, müssen aber nicht, per Satzung definiert werden.

Das bedeutet: Öffentliche Auftraggeber erhalten deutlich mehr Handlungsspielraum unterhalb der EU-Schwellenwerte – aber auch mehr Verantwortung für die rechtssichere Gestaltung ihrer Verfahren.

Ein zentrales Prinzip der geplanten Reform ist die Einführung des sogenannten „Schweizer Modells“: Nicht mehr automatisch das günstigste Angebot erhält den Zuschlag, sondern das wirtschaftlichste. Das erlaubt Kommunen, Kriterien wie Qualität, Nachhaltigkeit, Lebenszykluskosten und Zweckmäßigkeit stärker in die Wertung einzubeziehen – ein wichtiger Schritt hin zu strategischer, zukunftsorientierter Beschaffung.

Trotz der angestrebten Deregulierung bleiben bestimmte Vorgaben bestehen – vor allem bei der Vergabe im Rahmen von Zuwendungen. Die Allgemeinen Nebenbestimmungen (ANBest-I) verlangen weiterhin eine strukturierte und nachvollziehbare Vergabe:

  • Ab 100.000: Mindestens drei Angebote erforderlich.
  • Ab 500.000: Anwendung der UVgO bzw. VOB/A verpflichtend.
  • Bis 5.000: Direktvergabe ohne formelles Verfahren möglich.

Hier ist auch in Zukunft auf eine sorgfältige Dokumentation zu achten.

Die erste Lesung zur Änderung des Vergaberechts (§ 75a GO NRW) hat inzwischen stattgefunden. Der Gesetzentwurf – Drucksache 18/13836 – wurde mit den Stimmen aller Fraktionen an den Ausschuss für Heimat und Kommunales überwiesen. Die zweite Lesung ist für Juni 2025 vorgesehen. Gemäß Artikel 13 Absatz 2 sollen die Änderungen zum Vergaberecht in § 75a der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen sowie die damit verbundenen Anpassungen in den Verordnungen (Artikel 10 und 11) am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Die aktuell geltenden „Kommunalen Vergabegrundsätze“ bleiben noch bis zum 31. Dezember 2025 in Kraft, sodass eine angemessene Übergangsfrist zur Umsetzung der neuen Rechtslage besteht.

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OLG Frankfurt zu der Frage, dass Mehraufwendungen, die auf falschen Angaben des Auftraggebers in der Leistungsbeschreibung beruhen, durch den vereinbarten Preis nicht abgegolten sind

OLG Frankfurt zu der Frage, dass Mehraufwendungen, die auf falschen Angaben des Auftraggebers in der Leistungsbeschreibung beruhen, durch den vereinbarten Preis nicht abgegolten sind

vorgestellt von Thomas Ax

Auch wenn es keinen Erfahrungssatz dahingehend gibt, dass ein Unternehmer nur kalkulierbare Verpflichtungen eingeht und nicht auch einmal riskante Leistungen übernimmt, sind doch Mehraufwendungen, die auf falschen Angaben des Auftraggebers in der Leistungsbeschreibung beruhen, durch den vereinbarten Preis nicht abgegolten (vgl. BGH VII ZR 59/95, Urteil vom 27.06.1996, “Kammerschleuse”, zitiert nach juris, Rdn. 13 f, 21). Die Formulierung in einem Werkvertrag, die AN habe “als Fachunternehmen durch eigene Besichtigungen und Untersuchungen ausreichend Gelegenheit … (gehabt), den erforderlichen Leistungsumfang zu ermitteln”, kann daher bei verständiger Auslegung nur so verstanden werden, dass dies Offenliegendes betraf – beispielsweise die Angaben zu Flächen oder sichtbaren Materialien. Eine mit einer entsprechenden Risikoübernahme verbundene Obliegenheit, Dinge zu “ermitteln”, die ohne Bauteilöffnungen nicht sichtbar waren, kann der Klausel bei verständiger Würdigung nicht entnommen werden.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 29.03.2018 – 22 U 104/16

Gründe

I.

Die Klägerin, ein Erdbau- und Industrieabbruchunternehmen, führte im Auftrag der Beklagten Abbrucharbeiten auf dem “Campus Stadt1”, dem Gelände der früheren D-Hochschule in Stadt1, durch.

Bereits seit 2005 wurden die abzureißenden Baulichkeiten durch die A GmbH, ein Sachverständigenbüro, begutachtet. Es wurden ein Schadstoffkataster (Anlagen K 14 b und K 14 c) sowie eine funktionale Bau- und Leistungsbeschreibung (CD Anlage K 13) erstellt. Auf die darin enthaltene Beschreibung der Position 02.02.36 bezüglich der Fensterelemente, die im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils wörtlich zitiert ist, wird verwiesen.

Nachdem ein am 26.04.2011 mit der Streithelferin der Beklagten, vertreten durch die B GmbH, abgeschlossener Werkvertrag (Anlage K 5) über die Abbrucharbeiten nicht zur Durchführung gekommen war, traten die Prozessparteien miteinander in Verhandlungen und schlossen am 05.03.2012 in Kenntnis aller vorhandenen Unterlagen einen Werkvertrag (Anlage K 11), auf den – insgesamt und insbesondere im Hinblick auf die im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils wörtlich zitierte Regelung des § 3.1 – Bezug genommen wird.

Als die Klägerin ab März 2012 die Abbrucharbeiten ausführte, stellte sich heraus, dass in den Fensterlaibungen außer den dort nach der Leistungsbeschreibung zu erwartenden KMF-Stopfmassen auch asbesthaltige Stopfmasse, sog. Blauasbest, als Füllmaterial vorhanden war. Die Klägerin änderte daraufhin ihr Arbeitskonzept teilweise, weil sie Schwarzbereiche nunmehr ohne die als Abgrenzung vorgesehenen Fenster schaffen und das asbesthaltige Material gesondert entsorgen musste. Sie kündigte mit Nachtragsangeboten vom 08.05.2012 (Anlage K 19) und 30.05.2012 (Anlagen K 19a und K 19b) Mehrkosten an. Die Beklagte lehnte die Nachtragsangebote mit Schreiben vom 06.06.2012 (Anlage K 20) ab, woraufhin die Klägerin die erforderlichen Leistungen unter dem Vorbehalt der Nachforderung (Schreiben vom 25.06.2012, Anlage K 21) ausführte. Unter dem 09.11.2012 (Anlage K 22) und 08.11.2013 (Anlagen K 30 ff) stellte die Klägerin der Beklagten Mehrkosten in Höhe der Klageforderung in Rechnung.

Die Parteien vertreten unterschiedliche Ansichten zur Auslegung der vertraglichen Regelungen, insbesondere zu der Frage, wer das Kostenrisiko bezüglich des unvorhergesehen aufgetretenen asbesthaltigen Materials zu tragen habe.

Das Landgericht hat die Geschäftsführer der Parteien persönlich angehört und den Zeugen C gemäß dem Beweisbeschluss vom 16.12.2015 vernommen. Auf die Sitzungsprotokolle vom 30.09.2015 und 16.03.2016 wird verwiesen. Nach der Beweisaufnahme hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch auf Mehrvergütung sei durch die individualvertragliche Regelung in § 3.1 des zwischen den Parteien bestehenden Werkvertrags ausgeschlossen. Die Klägerin habe das Risiko, dass Mehrkosten entstehen könnten, übernommen.

Wegen der Einzelheiten der Begründung und des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien sowie wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen das ihr am 21.06.2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21.07.2016 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21.09.2016 mit an diesem Tag eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Klägerin trägt vor, die Leistungsbeschreibung bezüglich der auszubauenden Fensterelemente sei falsch gewesen. Sie ist der Auffassung, sie habe das Risiko der zusätzlichen Kosten durch Ausbau und Entsorgung des Blauasbests nicht übernommen, sondern sich auf die Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen verlassen dürfen. Das Landgericht habe die vertraglichen Regelungen nicht zutreffend ausgelegt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 213.264,– € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 % über dem jeweiligen Basiszins der EZB seit dem 21.11.2013 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von netto 2.534,20 € zu zahlen.

Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte und ihre Streithelferin verteidigen das angefochtene Urteil. Sie meinen, aus der Formulierung der Leistungsbeschreibung zu den Fensterelementen ergebe sich nicht, dass dort nur KMF-Stopfmasse (und nicht auch asbesthaltige Stopfmasse) Verwendung gefunden hätte. Die Auslegung des gesamten Vertragswerks und die Würdigung der Aussage des Zeugen C ergäben, dass die Klägerin durch ein funktionales Pauschalpreisangebot das für sie erkennbare Risiko, dass nach der stichprobenartigen Untersuchung des Sachverständigen noch weitere Leistungen zur Erreichung des versprochenen Ziels erforderlich werden könnten, übernommen habe.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 01.02.2018 verwiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist im Hinblick auf den Grund des geltend gemachten Anspruchs auch begründet, während zur Höhe des Zahlungsanspruchs noch weitere Erörterungen erforderlich sind. Der Senat übt sein ihm durch § 304 ZPO eingeräumtes Ermessen dahingehend aus, dass er durch Grundurteil entscheidet und Feststellungen zur Höhe des Anspruchs dem später durchzuführenden Betragsverfahren überlässt.

Der Anspruch der Klägerin auf Mehrvergütung ergibt sich aus dem zwischen den Parteien bestehenden Werkvertrag vom 05.03.2012 in Verbindung mit § 2 VI, VII VOB/B.

Dieser Werkvertrag ist als Individualvertrag anzusehen. Der – vorrangig erstinstanzlich gehaltene – Vortrag der für die Anwendung der ihrem Schutz dienenden Vorschriften des AGB-Rechts darlegungsbelasteten Klägerin zum Vorliegen eines den AGB-Regeln unterliegenden Vertragsverhältnisses ist nicht geeignet, den individualvertraglichen Charakter der Parteivereinbarung in Zweifel zu ziehen: Die beklagte ARGE war speziell für das Projekt “Campus Stadt1” gebildet worden und hatte nur einen Unternehmer mit Abbrucharbeiten beauftragt. Es gab Überarbeitungen und Ergänzungen des ursprünglich mit einem anderen Vertragspartner auf Auftraggeberseite ins Auge gefassten Vertragswerks. Dies zeigt, dass es sich bei dem Werkvertrag um eine ausführlich vorbereitete Individualabrede handelte, die nicht dem § 305 BGB unterfiel.

Die Parteien haben einen Detail-Pauschalvertrag abgeschlossen. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass die Parteien den Umfang der geschuldeten Leistungen durch Angaben in einem Leistungsverzeichnis und anderen Vertragsunterlagen (z.B. den Raumbüchern) näher, also detailliert, festgelegt haben (vgl. Werner/Pastor, 16. Auflage, Rdn.1528).

Einen Global-Pauschalvertrag, wie ihn die Beklagte nach den Äußerungen ihres Geschäftsführers in der Berufungsverhandlung eigentlich abschließen wollte (“ein leeres Loch nach einem Jahr für 2 Millionen Euro”), haben die Parteien dagegen bei verständiger Auslegung des Vertragswerks nicht abgeschlossen.

Hiergegen sprechen die Umstände des Einzelfalls: Die dem Vertrag zugrundeliegenden Unterlagen waren in langer Arbeit mit Hilfe eines Sachverständigenbüros erstellt worden. Es gab Raumbücher, Schadstoffkataster und eine funktionale Bau- und Leistungsbeschreibung. Auf der Grundlage dieser Vorbereitungen und für die so beschriebene Leistung war ein Pauschalpreis vereinbart worden. Die Pauschalierung betraf also die Vergütung, nicht aber die auszuführenden Leistungen.

Diese Betrachtungsweise entspricht der Rechtsprechung des BGH, der sich der Senat anschließt:

Im Verfahren VII ZR 13/10 (Urteil vom 30.06.2011, “Klinikabbruch”, zitiert nach juris) wird zwar zunächst betont, dass ein Unternehmer grundsätzlich das Risiko einer unauskömmlichen Kalkulation trägt (Rdn. 23), dass sich jedoch aus den Umständen ergeben kann, dass bestimmte vorgegebene Punkte einer Pauschalpreisvereinbarung zugrunde gelegt wurden. Detaillierte Angaben zu Mengen oder anderen Faktoren, die erhebliche Bedeutung für die Kalkulation des Pauschalpreises haben, sind “häufig nach Treu und Glauben dahin zu verstehen” (Rdn. 24), dass die Angaben zur Geschäftsgrundlage des Vertrags erhoben werden sollen. Eine detaillierte Leistungsbeschreibung erweckt dabei Vertrauen in ihre Angaben (Rdn. 28), so dass eine Aussage dahingehend, dass Positionen vor Angebotsübernahme zu überprüfen sind, nicht die Bedeutung hat, dass das Risiko einer Abweichung vollständig vom Auftragnehmer übernommen werden soll (Rdn. 29). Wenn eine realistische Möglichkeit zur Überprüfung von Angaben (dort: der Estrichstärke, hier: des Stopfmaterials) nicht gegeben ist, sondern Probebohrungen (hier: Bauteilöffnungen) erforderlich wären, kann dies nach Treu und Glauben nicht vom Auftragnehmer erwartet werden (Rdn. 29). Auch wenn es keinen Erfahrungssatz dahingehend gibt, dass ein Unternehmer nur kalkulierbare Verpflichtungen eingeht und nicht auch einmal riskante Leistungen übernimmt, sind doch Mehraufwendungen, die auf falschen Angaben des Auftraggebers in der Leistungsbeschreibung beruhen, durch den vereinbarten Preis nicht abgegolten (vgl. BGH VII ZR 59/95, Urteil vom 27.06.1996, “Kammerschleuse”, zitiert nach juris, Rdn. 13 f, 21).

Anders als in den Verfahren VII ZR 129/91 (Urteil vom 09.04.1992, “Wasserhaltung I”, zitiert nach juris), VII ZR 47/93 (Urteil vom 11.11.1993, “Wasserhaltung II”, zitiert nach juris) und VII ZR 310/86 (Urteil vom 25.02.1988, “frivole Kalkulation”, zitiert nach juris) lagen im hier zu entscheidenden Fall detaillierte Planungsunterlagen vor und die Klägerin hatte nicht bei erkennbar lückenhaftem Leistungsverzeichnis mehr oder weniger ins Blaue hinein, wenn nicht sogar spekulativ, kalkuliert (so in VII ZR 310/86, a.a.O., Rdn. 20) und den Erfolg ohne Planungsunterlagen pauschal versprochen (so in VII ZR 129/91, a.a.O., Rdn. 14).

Die Klägerin hat ihr hinsichtlich der Vergütung pauschaliertes Angebot auf der Grundlage der langjährigen Vorbereitungen, die von den Rechtsvorgängern der ARGE durchgeführt wurden, getroffen. Es war also im vorliegenden Fall nicht etwa so, wie die Beklagte es darstellen möchte, dass der Klägerin als renommiertem Fachunternehmen die beklagte ARGE als Quereinsteiger und Laie gegenüberstand; vielmehr standen der Beklagten bei Aufstellung der Leistungsbeschreibung die von ihren Vorgängern eingeholten sachverständigen Angaben zur Verfügung. Die Klägerin hatte – auch als Fachfirma – nicht die Untersuchungsmöglichkeiten eines Sachverständigenbüros, das in monatelanger Arbeit eine Bestandsaufnahme durchgeführt hatte. In der der Angebotsabgabe vorausgehenden Phase konnte von der Klägerin nicht erwartet werden, dass sie die Arbeiten des Sachverständigenbüros – ohne eine dafür vorgesehene Vergütung – quasi wiederholte, um sie zu verifizieren. Die Formulierung in § 3.1 des Werkvertrags, die Klägerin habe “als Fachunternehmen durch eigene Besichtigungen und Untersuchungen ausreichend Gelegenheit … (gehabt), den erforderlichen Leistungsumfang zu ermitteln”, kann daher bei verständiger Auslegung nur so verstanden werden, dass dies Offenliegendes betraf – beispielsweise die Angaben zu Flächen oder sichtbaren Materialien. Eine mit einer entsprechenden Risikoübernahme verbundene Obliegenheit, Dinge zu “ermitteln”, die ohne Bauteilöffnungen nicht sichtbar waren, kann der Senat der Klausel bei verständiger Würdigung nicht entnehmen (ähnlich hat der Senat bereits in 22 U 141/13, Urteil vom 28.05.2015, zitiert nach juris, Rdn. 32, entschieden, dass Mehrkosten auch beim Detail-Pauschalvertrag verlangt werden können, wenn ein bestimmter Planungsstand der Kalkulation zugrunde gelegt worden ist).

In § 5.4 des Werkvertrags vom 05.03.2012 verpflichtet sich die Klägerin, ihre Leistungen “unabhängig von der Richtigkeit etwaiger Leitmengen bzw. Massenangaben in den Leistungsbeschreibungen (zu) erbringen”. Nach dieser Vorschrift sind “Massenüberschreitungen … im vereinbarten Pauschalpreis bereits berücksichtigt und führen nicht zu einer Änderung des Pauschalfestpreises”. Die Parteien haben also ganz deutlich vereinbart, dass falsche Massenangaben in den Sachverständigengutachten unerheblich für die Höhe des Vergütungsanspruchs sind. Hieraus kann als argumentum e contrario gefolgert werden, dass falsche Angaben zu nicht ohne Bauteilöffnung sichtbaren Materialien gerade nicht unerheblich für den vereinbarten Pauschalpreis sind.

An dieser Würdigung der Vertragsbestimmung des § 3.1 des Werkvertrags ändert auch die Aussage des Zeugen C, die Klägerin habe sich “pauschalpreismäßig binden” können, weil die “Unterlagen so detailliert waren, sodass wir das Risiko eingehen konnten” nichts. Der Zeuge C war an den Vertragsverhandlungen selbst nicht beteiligt, sondern hörte nur einige Gespräche zwischen den Geschäftsführern und wirtschaftlich Verantwortlichen mit, da er als Bauleiter vorgesehen war und “in das Projekt hineinkommen” sollte. Dass mit den Aussagen zur Risikoübernahme auch ausgesprochen und gemeint war, dass der Pauschalpreis unabhängig von der Richtigkeit der vorgelegten Unterlagen gelten sollte, hat der Zeuge nicht bekundet. Eine Klarstellung hierzu hätten die Parteien ohne weiteres in den Vertrag aufnehmen können. Im Sinne der Klägerin hätte eingefügt werden können, dass die Richtigkeit der von der Beklagten vorgelegten sachverständigen Äußerungen unterstellt werde; die Beklagte hätte eine Formulierung, dass ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der vorgelegten Unterlagen das Pauschalangebot der Klägerin gelten solle, in die Verhandlung einbringen können. Beides ist nicht geschehen, so dass die Vertragsauslegung durch den Senat – wie geschehen – notwendig wurde.

Die Formulierung in § 3.1 des Werkvertrags, dass die Klägerin ohne zusätzlichen Vergütungsanspruch als Auftragnehmerin “in Ergänzung des beschriebenen Leistungsumfangs verpflichtet ist, alle Lieferungen und Leistungen zu erbringen, die zu der für den vorgesehenen Zweck funktionstüchtigen Herstellung der beauftragten Leistung entsprechend der im Übrigen ausdrücklich vereinbarten Ausführungsstandards erforderlich sind”, wenn der “Leistungsumfang nicht abschließend oder nicht zweifelsfrei bestimmt sein sollte”, trifft nicht den hier vorliegenden Fall, dass der Leistungsumfang in den den Vertragsverhandlungen zugrunde liegenden Unterlagen falsch beschrieben ist. Die CD in Anlage K 13 ist ausweislich Nr. 1.6 des Verhandlungsprotokolls vom 02./03.02.2012 (Anlage K 6) Gegenstand des Vertrags.

Naturgemäß beruhen die Angaben des Sachverständigenbüros nicht auf einer 100 %igen Tatsachengrundlage. Der Sachverständige wird vielmehr, wie es die Beklagte vorträgt, nach dem Nehmen von Stichproben seine Gutachten erstellt haben. Wenn er jedoch auf der Grundlage dieser Stichproben, die er für eine tragfähige Begutachtung für ausreichend gehalten hat, unter Anwendung seines Sachverstands Aussagen zum Baukörper und seinen Bestandteilen trifft, ist das so gefundene Ergebnis maßgebend für die am Bau Beteiligten und muss sich einer Prüfung als “richtig” oder “falsch” stellen.

Die Fensterelemente sind in Position 02.02.36 der Anlage K 13 so beschrieben, dass “KMF-Stopfmassen an allen Wand- und Deckenanschlüssen, … asbesthaltiger Fensterkitt” vorhanden seien. Im Schadstoffkataster (Anlage K 14b, S. 19) findet sich zu den Stopfmassen im Fensterbereich der Hinweis, dass mit weiteren KMF-Massen zu rechnen sei. Von einer Asbestbelastung steht dort nichts. Der Hinweis auf S. 11 der Anlage K 14b auf weiteren Asbest bezieht sich ausdrücklich auf den Bodenaufbau sowie auf verkleidete oder verputzte Oberflächen. Zu diesen Bauteilen gehören die Fensterelemente nicht.

Für die Frage, wie Schwarzbereiche eingerichtet werden können, ist die Frage nach den Stopfmassen an den Fensteranschlüssen entscheidend. Ist dort asbesthaltiges Material vorhanden, muss der Schwarzbereich unter Einschluss des Fensterelements durch eine Abdichtung von außen errichtet werden. Findet sich das asbesthaltige Material nur im Innenbereich (z.B. Bodenaufbau und Oberflächen, s.o.), kann das Fensterelement zur Abgrenzung des Schwarzbereichs verwendet und anschließend insgesamt (einschließlich des asbesthaltigen Fensterkitts) abtransportiert werden. Die Aussage des Sachverständigen, die KMF-Stopfmasse sei an allen (Unterstreichung von den Unterzeichnenden) Wand- und Deckenanschlüssen verwendet worden, ist nach der Ansicht des Senats aus der Sicht eines sachkundigen und verständigen Baubeteiligten so zu verstehen, dass nur und ausschließlich KMF-Stopfmasse an den angegebenen Stellen Verwendung gefunden habe. Das Übersehen des asbesthaltigen Materials am unteren Teil der Fensterelemente war ein Fehler des Sachverständigen, der zu einer falschen Aussage bezüglich der im Fensterbereich verwendeten Stopfmassen führte.

Das § 2 V, VI VOB/B entsprechende Verfahren der Geltendmachung der Mehrkosten vor Ausführung der Arbeiten in § 7 des Werkvertrags vom 05.03.2012 hat die Klägerin mit den Schreiben und Angeboten in K 19 – K 19b eingehalten. Der Klageanspruch ist damit dem Grunde nach gerechtfertigt.

Eine Kostenentscheidung und eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit sind bei diesem Grundurteil nicht veranlasst. Die Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des § 543 II ZPO nicht gegeben sind. Der Senat hat im vorliegenden Einzelfall die Vertragsauslegung nach den in der BGH-Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen vorgenommen.

NRW plant Vergabereform: Mehr Freiraum für Kommunen

NRW plant Vergabereform: Mehr Freiraum für Kommunen

Am 11. Februar 2025 hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalens einen Gesetzesentwurf zur grundlegenden Reform des kommunalen Vergaberechts vorgestellt. Ziel ist es, Kommunen mehr Flexibilität zu geben, bürokratische Hürden abzubauen und die Eigenverantwortung bei Vergaben zu stärken. Mit einer Verabschiedung des Gesetzes ist – je nach Verlauf des parlamentarischen Verfahrens – im Herbst oder Winter 2025 zu rechnen.

Herzstück der geplanten Reform ist die Aufhebung von § 26 KomHVO NRW, der bislang die Anwendung der UVgO bzw. VOB/A bei Unterschwellenvergaben vorschrieb. Zukünftig soll ein neuer § 75a in die Gemeindeordnung NRW aufgenommen werden. Dieser verpflichtet Kommunen lediglich zur Einhaltung von allgemeinen Grundsätzen wie Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Effizienz, Gleichbehandlung und Transparenz – weitergehende Vorgaben können, müssen aber nicht, per Satzung definiert werden.

Das bedeutet: Öffentliche Auftraggeber erhalten deutlich mehr Handlungsspielraum unterhalb der EU-Schwellenwerte – aber auch mehr Verantwortung für die rechtssichere Gestaltung ihrer Verfahren.

Ein zentrales Prinzip der geplanten Reform ist die Einführung des sogenannten „Schweizer Modells“: Nicht mehr automatisch das günstigste Angebot erhält den Zuschlag, sondern das wirtschaftlichste. Das erlaubt Kommunen, Kriterien wie Qualität, Nachhaltigkeit, Lebenszykluskosten und Zweckmäßigkeit stärker in die Wertung einzubeziehen – ein wichtiger Schritt hin zu strategischer, zukunftsorientierter Beschaffung.

Was gilt weiterhin bei Fördermitteln?

Trotz der angestrebten Deregulierung bleiben bestimmte Vorgaben bestehen – vor allem bei der Vergabe im Rahmen von Zuwendungen. Die Allgemeinen Nebenbestimmungen (ANBest-I) verlangen weiterhin eine strukturierte und nachvollziehbare Vergabe:

  • Ab 100.000: Mindestens drei Angebote erforderlich.
  • Ab 500.000: Anwendung der UVgO bzw. VOB/A verpflichtend.
  • Bis 5.000: Direktvergabe ohne formelles Verfahren möglich.

Hier ist auch in Zukunft auf eine sorgfältige Dokumentation zu achten.

Die erste Lesung zur Änderung des Vergaberechts (§ 75a GO NRW) hat inzwischen stattgefunden. Der Gesetzentwurf – Drucksache 18/13836 – wurde mit den Stimmen aller Fraktionen an den Ausschuss für Heimat und Kommunales überwiesen. Die zweite Lesung ist für Juni 2025 vorgesehen.
Gemäß Artikel 13 Absatz 2 sollen die Änderungen zum Vergaberecht in § 75a der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen sowie die damit verbundenen Anpassungen in den Verordnungen (Artikel 10 und 11) am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Die aktuell geltenden „Kommunalen Vergabegrundsätze“ bleiben noch bis zum 31. Dezember 2025 in Kraft, sodass eine angemessene Übergangsfrist zur Umsetzung der neuen Rechtslage besteht.

Land Brandenburg: Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand wird vereinfacht und entbürokratisiert

Land Brandenburg: Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand wird vereinfacht und entbürokratisiert

Um die mittelständische Wirtschaft und vor allem das Handwerk zu stärken, wird das Land Brandenburg die Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand deutlich vereinfachen und entbürokratisieren. Wie Finanzminister Robert Crumbach mitteilt, werden dazu mehrere Wertgrenzen für Aufträge des Landes Brandenburg angehoben. Ab dem 17. Juni 2025 gelten entsprechend angepasste Verwaltungsvorschriften zu § 55 der Landeshaushaltsordnung. Damit wird ein Vorhaben umgesetzt, das bei der Vorstellung der 100-Tage-Bilanz am 18. März 2025 angekündigt worden war.

„Es ist ein zentrales Vorhaben der Landesregierung, in dieser Legislaturperiode beim Bürokratieabbau deutliche Fortschritte zu erzielen. Das setzen wir hier ganz konkret um, in dem wir gleich mehrere Wertgrenzen für Aufträge des Landes Brandenburg anheben. Das mindert nicht nur die Bürokratie. Sondern es hilft auch ganz konkret unserer vor allem mittelständisch geprägten Wirtschaft, da so Vergaben einfacher und schneller umgesetzt werden können. Ich denke da insbesondere an viele Handwerksbetriebe. Gerade jetzt, da der Wohnungsbau auf einem niedrigen Niveau verharrt, sind sie umso mehr auf Aufträge der öffentlichen Hand angewiesen“, erläutert Finanzminister Crumbach.

Die vom Finanzministerium mit allen Ressorts abgestimmten Verwaltungsvorschriften zu § 55 der Landeshaushaltsordnung sehen unter anderem vor:

  • Für die freihändige Vergabe von Bauleistungen wird die Wertgrenze von 100.000 Euro auf 1.000.000 Euro angehoben.
  • Die Wertgrenzen für die Beauftragung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen ohne Vergabeverfahren (Direktauftrag) werden von 1.000 Euro auf 100.000 Euro angehoben.
  • Bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen werden die Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb sowie eine beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb grundsätzlich zugelassen, solange der geschätzte Auftragswert den jeweiligen EU-Schwellenwert nach § 106 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (für klassische Auftragsvergabe aktuell 221.000 Euro für Liefer- und Dienstleistungen) nicht erreicht. Es erfolgt eine Dynamisierung des Bezuges zu den jeweils gültigen EU-Schwellenwerten.
  • Darüber hinaus wird die Wertgrenze für Veröffentlichungen auf dem Vergabemarktplatz von 10.000 Euro auf 100.000 Euro angehoben, um einen Gleichklang mit den angehobenen Wertgrenzen für Direktaufträge herzustellen.

Kommission verklagt DEUTSCHLAND vor dem Gerichtshof der Europäischen Union wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der EU-Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe

Kommission verklagt DEUTSCHLAND vor dem Gerichtshof der Europäischen Union wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der EU-Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe

Die Europäische Kommission hat beschlossen, Deutschland vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen, weil das Land die EU-Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe (Richtlinie 2014/24/EU und Richtlinie 2014/23/EU) nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat.

Zum einen ist die Kommission der Ansicht, dass öffentliche Auftraggeber nach deutschem Recht nicht verpflichtet sind, den Bietern nach Abschluss des Vertrags detaillierte Informationen zur Verfügung zu stellen, um die verkürzte Frist für den Zugang zu einer Überprüfung beginnen zu lassen. Den Bietern wird dadurch die Entscheidung erschwert, ob und bis zu welchem Zeitpunkt sie eine Überprüfung einleiten sollen. Zweitens ist der Begriff „Auftraggeber“ im deutschen Recht unklar definiert, was die Auswahl der geeigneten Vergabeverfahren erschwert. Drittens schreibt das deutsche Recht den Auftraggebern im Postsektor nicht die Anwendung von Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe vor.

Im Januar 2019 übermittelte die Kommission ein erstes Aufforderungsschreiben, im Juli 2019 ein ergänzendes Aufforderungsschreiben und im Juli 2021 eine mit Gründen versehene Stellungnahme. Auch wenn einige der festgestellten Missstände behoben wurden, sind die bisherigen Bemühungen der Behörden nach Ansicht der Kommission unzureichend, weshalb sie Deutschland vor dem Gerichtshof der Europäischen Union verklagt.

Hintergrund

Die Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe ermöglichen es Unternehmen, sich um Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu bewerben; Behörden werden wiederum in die Lage versetzt, das beste Preis-Leistungs-Verhältnis zu ermitteln, wenn sie sich für die Beschaffung von Waren, Dienstleistungen oder Bauleistungen entscheiden. Der Wettbewerb auf dem Markt ermöglicht eine verantwortungsvolle Verwendung öffentlicher Gelder. Mit der Bestimmung zu Postdiensten wird sichergestellt, dass Auftraggeber, die Postdienste erbringen, Vergabeverfahren durchführen, wenn auf sie die einschlägigen Bedingungen zutreffen. Im Juli 2021 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie mehrere Bestimmungen des deutschen Rechts benannte, die nicht im Einklang mit den Richtlinien stehen.

Die Kommission stand regelmäßig mit den deutschen Behörden in Kontakt. Auch wenn einige der Missstände, wie die Methode zur Berechnung des Werts von Dienstleistungsaufträgen für Architekturbüroleistungen, ausgeräumt wurden, bestehen doch weiterhin drei der acht in der mit Gründen versehenen Stellungnahme dargelegten Beanstandungen. Diese ungelösten Probleme schränken nach wie vor sowohl den Anwendungsbereich als auch den Zugang zu Nachprüfungsverfahren ein.

Weitere Informationen

EU-Vertragsverletzungsverfahren 

Datenbank über Vertragsverletzungsverfahren und Karte und Diagramme zu Vertragsverletzungsverfahren

Vertragsverletzungsverfahren im Juni 2025 

Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland (INFR(2018)2272)

Bundesregierung will Reform des Vergaberechts auf den Weg bringen

Bundesregierung will Reform des Vergaberechts auf den Weg bringen

Die neue schwarz-rote Bundesregierung hat in ihrem am 28. Mai 2025 beschlossenen Sofortprogramm weitreichende Reformen des deutschen Vergaberechts angekündigt. Das Sofortprogramm umfasst über 60 prioritäre Maßnahmen, die “bis zum Sommer” eine grundsätzliche Überarbeitung verschiedener Rechtsbereiche auf den Weg bringen sollen. Das Vergaberecht soll vereinfacht, beschleunigt und digitalisiert werden. Die Tariftreue soll im Rahmen des Bundestariftreuegesetzes gestärkt werden. Das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) soll abgeschafft werden und die Bundesregierung will sich dafür einsetzen, dass die Europäische Lieferkettenrichtlinie bürokratiearm und vollzugsfreundlich umgesetzt wird.

Quellen/Weitere Informationen: Tagesschau 28. Mai 2025

Der Koalitionsvertrag zum Vergaberecht

Der Koalitionsvertrag zum Vergaberecht

Am 9. April 2025 haben SPD und CDU/CSU ihren gemeinsamen Koalitionsvertrag “Verantwortung für Deutschland” für die 21. Legislaturperiode vorgestellt. Die Koalitionsparteien wollen sich dafür einsetzen, dass das Vergaberecht auf nationaler und europäischer Ebene für Lieferungen und Leistungen aller Art für Bund, Länder und Kommunen vereinfacht, beschleunigt und digitalisiert wird. Betont wird der Grundsatz der mittelstandsfreundlichen Vergabe. Das Vergaberecht soll auf sein Ziel einer wirtschaftlichen, diskriminierungs- und korruptionsfreien Beschaffung zurückgeführt werden.

Im Einzelnen wird insbesondere angestrebt:

  • Auf Bundesebene sollen die Wertgrenzen bei Direktaufträgen für Liefer- und Dienstleistungen auf 50.000 Euro und für Start-ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung auf 100.000 Euro erhöht werden. Auch auf europäischer Ebene will sich die Koalition für eine maßvolle Erhöhung der Schwellenwerte und für eine getrennte Betrachtung der Planungsleistungen einsetzen.
  • Angestrebt wird eine Vereinheitlichung der Wertgrenzen im nationalen Recht und die Heraufsetzung der Wertgrenzen für Direktvergaben und freihändige Vergaben.
  • Bieter sollen künftig ihre Eignung möglichst bürokratiearm, digital und mittelstandsfreundlich nachweisen können, etwa durch geprüfte Systeme oder Eigenerklärungen.
  • Die Bestellplattform Kaufhaus des Bundes soll zu einem digitalen Marktplatz für Bund, Länder und Kommunen gemacht werden. Die Vergabeplattformen sollen konsolidiert werden.
  • Die aufschiebende Wirkung der Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Vergabekammern zu den Oberlandesgerichten soll entfallen.
  • Es sollen sektorale Befreiungsmöglichkeiten vom Vergaberecht geschaffen werden, insbesondere in Fragen der nationalen Sicherheit,  für Leitmärkte für emissionsarme Produkte in der Grundstoffindustrie und in der Forschung.
  • Es sollen Leitmärkte für klimafreundliche beziehungsweise klimaneutrale Produkte geschaffen werden, zum Beispiel durch Quoten für die emissionsarme Herstellung von Stahl, eine Grüngasquote oder vergaberechtliche Vorgaben.

Darüber hinaus soll das Bundestariftreuegesetz weiterverfolgt werden. Es soll für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 Euro und für Start-ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000 Euro gelten. Bürokratie, Nachweispflichten und Kontrollen sollen auf ein absolutes Minimum begrenzt werden.

Quelle/Weitere Informationen: Koalitionsvertrag “Verantwortung für Deutschland” zwischen CDU, CSU und SPD für die 21. Legislaturperiode

Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt
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