Art. 3 Abs. 1 e AEUV, der der Union die ausschließliche Zuständigkeit im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik verleiht, i.V.m. Art. 2 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass es ihm zuwiderläuft, dass ein öffentlicher Auftraggeber eines Mitgliedstaats in Ermangelung eines Unionsrechtsakts, der den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands, das mit der Union keine internationale Übereinkunft i.S.v. Art. 25 der Richtlinie 2014/24/EU (…) geschlossen hat, zu Vergabeverfahren vorschreibt oder untersagt, einen Wirtschaftsteilnehmer eines solchen Drittlands auf der Grundlage eines Gesetzgebungsakts ausschließt, den dieser Mitgliedstaat erlassen hat, ohne von der Union dazu ermächtigt worden zu sein, wobei der Umstand, dass dieser Gesetzgebungsakt nach der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung in Kraft getreten ist, insoweit unerheblich ist.
EuGH, Urteil vom 13.03.2025 – Rs. C-266/22
vorhergehend:
Generalanwalt beim EuGH, 11.05.2023 – Rs. C-266/22
In der Rechtssache C 266/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Bucureti (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) mit Entscheidung vom 23. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 20. April 2022, in dem Verfahren CRRC Qingdao Sifang Co. Ltd, Astra Vagoane Cltori SA gegen Autoritatea pentru Reform Feroviar, Alstom Ferroviaria SpA
erlässt DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer) unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer C. Lycourgos (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, des Richters S. Rodin und der Richterin O. Spineanu-Matei,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens, unter Berücksichtigung der Erklärungen (…) nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Mai 2023 folgendes
Urteil
Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Nr. 13, Art. 18 Abs. 1, Art. 25 und Art. 49 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65) sowie der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes.
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem Konsortium, das aus der CRRC Qingdao Sifang Co. Ltd und der Astra Vagoane Cltori SA (im Folgenden zusammen: Konsortium) besteht, auf der einen Seite und der Autoritatea pentru Reform Feroviar (Behörde für die Eisenbahnreform, Rumänien) (im Folgenden: ARF) und der Alstom Ferroviaria SpA auf der anderen Seite über die Entscheidung der ARF, dieses Konsortium von einem Verfahren zur Vergabe eines Auftrags über die Lieferung von elektrischen Triebwagenzügen und die Erbringung von Wartungs- und Reparaturdienstleistungen für diese Triebwagenzüge mit der Begründung auszuschließen, dass CRRC Qingdao Sifang, das federführende Unternehmen des Konsortiums, eine in China ansässige Gesellschaft sei.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2014/24
In den Erwägungsgründen 1 und 17 der Richtlinie 2014/24 heißt es:
„(1) Die Vergabe öffentlicher Aufträge durch oder im Namen von Behörden der Mitgliedstaaten hat im Einklang mit den im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) niedergelegten Grundsätzen zu erfolgen, insbesondere den Grundsätzen des freien Warenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit sowie den sich daraus ableitenden Grundsätzen wie Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, gegenseitige Anerkennung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz. Für über einen bestimmten Wert hinausgehende öffentliche Aufträge sollten Vorschriften zur Koordinierung der nationalen Vergabeverfahren festgelegt werden, um zu gewährleisten, dass diese Grundsätze praktische Geltung erlangen und dass das öffentliche Auftragswesen für den Wettbewerb geöffnet wird.
…
(17) Mit dem Beschluss 94/800/EG des Rates [vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. 1994, L 336, S. 1)] wurde insbesondere das Übereinkommen der Welthandelsorganisation über das öffentliche Beschaffungswesen (‚Agreement on Government Procurement‘, im Folgenden ‚GPA‘) genehmigt. Ziel des GPA ist es, einen multilateralen Rahmen ausgewogener Rechte und Pflichten in Bezug auf öffentliche Aufträge zu schaffen, um den Welthandel zu liberalisieren und auszuweiten. Bei Aufträgen, die unter die Anhänge 1, 2, 4 und 5 sowie die Allgemeinen Anmerkungen zur Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie andere einschlägige, für die Union bindende internationale Übereinkommen fallen, sollten die öffentlichen Auftraggeber die Verpflichtungen aus den betreffenden Übereinkommen erfüllen, indem sie diese Richtlinie auf Wirtschaftsteilnehmer von Drittländern anwenden, die Unterzeichner der Übereinkommen sind.“
Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
10. ‚Wirtschaftsteilnehmer‘ eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, die beziehungsweise der auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren beziehungsweise die Erbringung von Dienstleistungen anbietet;
…
13. ‚Auftragsunterlagen‘ sämtliche Unterlagen, die vom öffentlichen Auftraggeber erstellt werden oder auf die er sich bezieht, um Bestandteile der Auftragsvergabe oder des Verfahrens zu beschreiben oder festzulegen; dazu zählen die Bekanntmachung, die Vorinformationen, sofern sie als Aufruf zum Wettbewerb dienen, die technischen Spezifikationen, die Beschreibung, die vorgeschlagenen Auftragsbedingungen, Formate für die Einreichung von Unterlagen seitens der Bewerber und Bieter, Informationen über allgemeingültige Verpflichtungen sowie sonstige zusätzliche Unterlagen; …“
In Art. 7 („Aufträge im Bereich der Wasser , Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste“) der Richtlinie heißt es:
„Diese Richtlinie gilt [nicht] für öffentliche Aufträge und Wettbewerbe, die gemäß der Richtlinie 2014/25/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser , Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. 2014, L 94, S. 243)] von öffentlichen Auftraggebern, die eine oder mehrere Tätigkeiten gemäß den Artikeln 8 bis 14 der genannten Richtlinie ausüben, vergeben oder durchgeführt werden und der Durchführung dieser Tätigkeiten dienen …“
Art. 18 („Grundsätze der Auftragsvergabe“) der Richtlinie 2014/24 bestimmt in seinem Abs. 1 Unterabs. 1, dass die öffentlichen Auftraggeber alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nicht diskriminierender Weise behandeln und transparent und verhältnismäßig handeln.
Art. 25 („Bedingungen betreffend das GPA und andere internationale Übereinkommen“) dieser Richtlinie lautet wie folgt:
„Sofern durch die Anhänge 1, 2, 4 und 5 sowie die Allgemeinen Anmerkungen zur Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie die anderen internationalen für die Union rechtsverbindlichen Übereinkommen abgedeckt, wenden die öffentlichen Auftraggeber auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus den Unterzeichnerstaaten dieser Übereinkommen keine ungünstigeren Bedingungen an als auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus der Europäischen Union.“
Art. 27 („Offenes Verfahren“) Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Bei einem offenen Verfahren kann jeder interessierte Wirtschaftsteilnehmer auf einen Aufruf zum Wettbewerb hin ein Angebot abgeben. …“
Art. 49 („Auftragsbekanntmachungen“) der Richtlinie sieht vor:
„Auftragsbekanntmachungen werden unbeschadet des Artikels 26 Absatz 5 Unterabsatz 2 und des Artikels 32 als Mittel für den Aufruf zum Wettbewerb für alle Verfahren verwendet. Auftragsbekanntmachungen enthalten die Informationen nach Anhang V Teil C und werden gemäß Artikel 51 veröffentlicht.“
Richtlinie 2014/25
In den Erwägungsgründen 2 und 27 der Richtlinie 2014/25 heißt es:
„(2) Um zu gewährleisten, dass die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser , Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste für den Wettbewerb geöffnet wird, sollten Bestimmungen für eine Koordinierung von Aufträgen, die über einen bestimmten Wert hinausgehen, festgelegt werden. Eine solche Koordinierung ist erforderlich, um den im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) niedergelegten Grundsätzen Geltung zu verschaffen, insbesondere den Grundsätzen des freien Warenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit sowie den sich daraus ableitenden Grundsätzen wie Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, gegenseitige Anerkennung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz. …
…
(27) Mit dem Beschluss [94/800] wurde insbesondere das [GPA] genehmigt. Ziel des GPA ist es, einen multilateralen Rahmen ausgewogener Rechte und Pflichten in Bezug auf öffentliche Aufträge zu schaffen, um den Welthandel zu liberalisieren und auszuweiten. Bei Aufträgen, die unter die Anhänge 3, 4 und 5 sowie die Allgemeinen Anmerkungen [zu] Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie andere einschlägige, für die Union bindende internationale Übereinkommen fallen, sollten die Auftraggeber die Verpflichtungen aus den betreffenden Übereinkommen erfüllen, indem sie diese Richtlinie auf Wirtschaftsteilnehmer von Drittländern anwenden, die Unterzeichner der Übereinkommen sind.“
Art. 11 („Verkehrsleistungen“) dieser Richtlinie sieht vor:
„Unter diese Richtlinie fallen die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Eisenbahn, automatischen Systemen, Straßenbahn, Trolleybus, Bus oder Seilbahn.
Im Verkehrsbereich gilt ein Netz als vorhanden, wenn die Verkehrsleistung gemäß den von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats festgelegten Bedingungen erbracht wird; dazu gehören die Festlegung der Strecken, die Transportkapazitäten und die Fahrpläne.“
Art. 43 („Bedingungen betreffend das GPA und andere internationale Übereinkommen“) der Richtlinie lautet:
„Soweit sie durch die Anhänge 3, 4 und 5 sowie die Allgemeinen Anmerkungen [zu] Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie die anderen internationalen für die Union rechtsverbindlichen Übereinkommen erfasst sind, wenden die Auftraggeber im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe a auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus den Unterzeichnerstaaten dieser Übereinkommen keine ungünstigeren Bedingungen an als auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus der Europäischen Union.“
Art. 45 („Offenes Verfahren“) Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Bei einem offenen Verfahren können alle interessierten Wirtschaftsteilnehmer auf einen Aufruf zum Wettbewerb hin ein Angebot abgeben. …“
Rumänisches Recht
Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj der Legea nr. 98/2016 privind achiziiile publice (Gesetz Nr. 98/2016 über das öffentliche Auftragswesen) vom 19. Mai 2016 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 390 vom 23. Mai 2016) in der am 3. April 2020 geltenden Fassung (im Folgenden: Gesetz über das öffentliche Auftragswesen) definierte den Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ als
“ jede natürliche oder juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts oder Gruppe oder Vereinigung solcher Personen, die auf dem Markt rechtmäßig die Ausführung von Bauleistungen und/oder die Errichtung eines Bauwerks, die Lieferung von Waren bzw. die Erbringung von Dienstleistungen anbietet, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses zweier oder mehrerer solcher Einheiten“.
15 Art. 236 des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen sieht vor:
„(1) Dieses Gesetz findet auf Vergabeverfahren Anwendung, die nach seinem Inkrafttreten eingeleitet werden.
(2) Auf bei Inkrafttreten dieses Gesetzes laufende Vergabeverfahren findet das Gesetz Anwendung, das zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens gilt.
(3) Dieses Gesetz findet auf öffentliche Aufträge/Rahmenvereinbarungen Anwendung, die nach seinem Inkrafttreten geschlossen werden.
(4) Öffentliche Aufträge/Rahmenvereinbarungen, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossen wurden, unterliegen in Bezug auf ihren Abschluss sowie ihre Änderung, Auslegung, Wirkungen, Ausführung und Beendigung den Bestimmungen des zum Zeitpunkt ihres Abschlusses geltenden Gesetzes.“
Mit der Ordonana de urgen a Guvernului nr. 25/2021 privind modificarea i completarea unor acte normative în domeniul achiziiilor publice (Dringlichkeitsverordnung Nr. 25/2021 der Regierung zur Änderung und Ergänzung bestimmter normativer Rechtsakte im Bereich des öffentlichen Auftragswesens) vom 31. März 2021 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 346 vom 5. April 2021) (im Folgenden: OUG Nr. 25/2021), die am 5. April 2021 in Kraft trat, wurden mehrere Vorschriften des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen geändert.
Art. V der OUG Nr. 25/2021 lautet:
„Vergabeverfahren, bei denen Wirtschaftsteilnehmer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser [Dringlichkeitsverordnung der Regierung] Angebote abgegeben haben, unterliegen den Rechtsvorschriften, die zu dem Zeitpunkt galten, als diese Verfahren begannen.“
Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung definiert den Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ als “ jede natürliche oder juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts oder Gruppe oder Vereinigung solcher Personen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses zweier oder mehrerer solcher Einheiten, die bzw. der auf dem Markt rechtmäßig die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren bzw. die Erbringung von Dienstleistungen anbietet, und ansässig ist in
i) einem Mitgliedstaat der [Union];
ii) einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR);
iii) Drittländern, die das [GPA] ratifiziert haben, soweit der vergebene öffentliche Auftrag in den Anwendungsbereich der Anhänge 1, 2, 4 und 5, 6 und 7 der Anlage I der [Union] [zum GPA] fällt;
iv) Drittländern, die sich im Stadium des Beitritts zur [Union] befinden;
v) Drittländern, die nicht in den Anwendungsbereich von Ziffer iii fallen, aber Unterzeichner anderer internationaler Übereinkommen sind, die die [Union] verpflichten, freien Zugang zum Markt für öffentliche Aufträge zu gewähren“.
Art. 49 des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung bestimmt:
„(1) Die öffentlichen Auftraggeber sind verpflichtet, alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nicht diskriminierender Weise zu behandeln und transparent und verhältnismäßig zu handeln.
(2) Sofern durch die Anhänge 1, 2, 4 und 5, 6 und 7 der Anlage I … zum GPA sowie die anderen internationalen für die [Union] rechtsverbindlichen Übereinkommen abgedeckt, wenden die öffentlichen Auftraggeber auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus den Unterzeichnerstaaten dieser Übereinkommen gleiche Bedingungen an wie auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus der [Union].“
Art. 53 Abs. 11 des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung bestimmt:
„Der öffentliche Auftraggeber schließt vom Vergabeverfahren natürliche oder juristische Personen aus, die die Eigenschaft eines Einzelbieters/bietenden Gesellschafters/Bewerbers/Drittunterstützers/Unterauftragnehmers haben und nicht der Definition in Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj entsprechen …“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Am 3. April 2020 leitete die ARF im Wege einer offenen Ausschreibung ein Vergabeverfahren für den „Erwerb von 20 neuen überregionalen elektrischen Triebwagenzügen mit der Bezeichnung RE IR und den Erwerb der für den Betrieb der betreffenden Züge erforderlichen Wartungs- und Reparaturdienstleistungen“ ein.
Am 19. April 2021 gaben zwei Wirtschaftsteilnehmer, nämlich das Konsortium und Alstom Ferroviaria, Angebote ab.
Am 2. November 2021 veröffentlichte die ARF den endgültigen Bericht über das fragliche Vergabeverfahren, mit dem sie das Konsortium ausschloss und den Auftrag an Alstom Ferroviaria vergab. Als Grund für den Ausschluss wurde angeführt, dass das federführende Unternehmen des Konsortiums, CRRC Qingdao Sifang, nicht unter den Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung falle, da sich ihr satzungsmäßiger Sitz in China befinde.
Am 11. November 2021 legte das Konsortium beim Consiliul Naional de Soluionare a Contestaiilor (Nationaler Rat für Beschwerdeentscheidungen, Rumänien, im Folgenden: CNSC) gegen seinen Ausschluss Beschwerde ein. Im Rahmen dieser Beschwerde machte das Konsortium geltend, der auf der rückwirkenden Anwendung der OUG Nr. 25/2021 beruhende Ausschluss verstoße gegen die rumänische Verfassung und gegen das Unionsrecht.
Mit Entscheidung vom 31. Januar 2022 wies der CNSC die Beschwerde aus den folgenden Gründen zurück.
Erstens wies dieses Gremium darauf hin, dass die Volksrepublik China keine der in Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj Ziff. i bis v des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung genannten Voraussetzungen erfülle.
Zweitens stellte der CNSC fest, dass das Konsortium sein Angebot am 19. April 2021, also nach Inkrafttreten der OUG Nr. 25/2021 am 5. April 2021, abgegeben habe.
Drittens wies dieses Gremium darauf hin, dass nach Art. V der OUG Nr. 25/2021 nur Vergabeverfahren, bei denen Wirtschaftsteilnehmer vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Dringlichkeitsverordnung der Regierung Angebote abgegeben hätten, den Rechtsvorschriften unterlägen, die zu dem Zeitpunkt gegolten hätten, als diese Verfahren eingeleitet worden seien. Hingegen unterlägen Vergabeverfahren, bei denen bis zum 5. April 2021, dem Tag des Inkrafttretens der OUG Nr. 25/2021, kein Angebot abgegeben worden sei, dieser OUG.
Am 14. Februar 2022 erhob das Konsortium bei der Curtea de Apel Bucureti (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien), dem vorlegenden Gericht, Klage gegen die Entscheidung des CNSC.
Im Rahmen seiner Klage macht das Konsortium geltend, die Änderung der Vorschriften eines Vergabeverfahrens während dieses Verfahrens stelle einen Verstoß gegen mehrere Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, des Rückwirkungsverbots, der Transparenz und der Gleichbehandlung, dar.
Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass mit der OUG Nr. 25/2021 der Rechtsrahmen für öffentliche Aufträge geändert und bestimmte allgemeine Regeln für die Teilnahme an Vergabeverfahren gemäß Art. 25 der Richtlinie 2014/24 neu festgelegt worden seien, der vorsehe, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Gleichbehandlung mit Wirtschaftsteilnehmern der Mitgliedstaaten sicherzustellen, nur für Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern gelte, die in dieser Vorschrift genannte Übereinkommen unterzeichnet hätten.
In der Präambel der OUG Nr. 25/2021 habe die rumänische Regierung darauf hingewiesen, dass in den letzten Jahren die Zahl der an Vergabeverfahren teilnehmenden Bieter aus Drittländern, die geringere Garantien für die Einhaltung bestimmter Anforderungen wie zertifizierte Qualitätsstandards, Standards für Umwelt und nachhaltige Entwicklung, Anforderungen an die Arbeitsbedingungen und Sozialschutz sowie Wettbewerbspolitik böten, tendenziell gestiegen sei.
Das vorlegende Gericht stellt fest, dass Art. 25 der Richtlinie 2014/24 bei der Behandlung der von dieser Vorschrift betroffenen Wirtschaftsteilnehmer nicht danach unterscheide, wann sie ihre Angebote in den öffentlichen Vergabeverfahren, an denen sie teilnähmen, abgegeben hätten.
Diesem Gericht stellt sich die Frage, inwieweit die Einhaltung zum einen der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, wie sie im Unionsrecht verankert sind, sowie zum anderen der in Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 und Art. 49 der Richtlinie 2014/24 verankerten Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit gewährleistet ist, wenn ein Bieter aufgrund eines normativen Rechtsakts mit Gesetzeskraft, der die Definition des Begriffs „Wirtschaftsteilnehmer“ im nationalen Recht nach Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung ändert, ausgeschlossen wird.
Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel Bucureti (Berufungsgericht Bukarest) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Stehen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer nationalen Regelung entgegen, mit der Art. 25 der Richtlinie 2014/24 mit Wirkung vom 5. April 2021 umgesetzt wurde und die vorsieht, dass Wirtschaftsteilnehmer, die diesen Unionsvorschriften nicht unterliegen, nur dann weiterhin an öffentlichen Vergabeverfahren teilnehmen können, wenn sie bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Gesetzesänderung Angebote abgegeben haben?
2. Stehen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit nach Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 und Art. 49 der Richtlinie 2014/24 dem Ausschluss eines Bieters auf der Grundlage eines von der Regierung des Mitgliedstaats erlassenen normativen Rechtsakts mit Gesetzeskraft entgegen, der nach Veröffentlichung der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens, an dem der Wirtschaftsteilnehmer teilnimmt, eine neue Regelung zur Änderung der Definition des Wirtschaftsteilnehmers festlegt?
Verfahren vor dem Gerichtshof
Mit Entscheidung des Präsidenten der Vierten Kammer vom 28. September 2023 ist das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache gemäß Art. 55 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs bis zur Verkündung des Urteils in der Rechtssache C 652/22, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, ausgesetzt worden.
Am 23. Oktober 2024 ist das Verfahren im Anschluss an das Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret (C 652/22, EU:C:2024:910), wieder aufgenommen worden.
Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs
Die ARF und Alstom Ferroviaria machen geltend, der Gerichtshof sei für die Prüfung der Vorlagefragen nicht zuständig, da diese in Wirklichkeit nicht die Auslegung des Unionsrechts beträfen, sondern die Auslegung nationaler Rechtsvorschriften und die Würdigung des Sachverhalts, was in die ausschließliche Zuständigkeit des nationalen Gerichts falle.
Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Art. 19 Abs. 3 Buchst. b EUV und Art. 267 Abs. 1 AEUV im Wege der Vorabentscheidung u. a. über die Auslegung des Unionsrechts entscheidet.
Im vorliegenden Fall ist unbestreitbar, dass die Vorlagefragen die Auslegung von Bestimmungen und Grundsätzen des Unionsrechts betreffen.
Daher ist der Gerichtshof für die Beantwortung dieser Fragen zuständig.
Zur Zulässigkeit der Vorlagefragen
Die ARF und Alstom Ferroviaria machen geltend, die Vorlagefragen seien unzulässig, da sie für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits unerheblich seien. Hierzu weist die ARF darauf hin, dass CRRC Qingdao Sifang, die von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergabeverfahren ausgeschlossen worden sei, im Hoheitsgebiet der Volksrepublik China ansässig sei, die keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen habe. Daraus ergebe sich, dass dieses Unternehmen nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 2014/24 falle.
Nach ständiger Rechtsprechung hat im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Entscheidungserheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung des Unionsrechts betreffen. Infolgedessen spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 16. Januar 2025, Banco de Santander [Vertretung einzelner Verbraucher], C 346/23, EU:C:2025:13, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen, die den Gerichtshof veranlassen können, eine Entscheidung über die Vorlagefragen abzulehnen, nicht erfüllt.
Das vorlegende Gericht möchte nämlich wissen, ob das Unionsrecht dem Ausschluss des Konsortiums von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergabeverfahren in Anwendung nationaler Rechtsvorschriften entgegensteht, mit denen der Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ geändert wurde, um Art. 25 der Richtlinie 2014/24 umzusetzen. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder dass das aufgeworfene Problem hypothetischer Natur ist.
Es ergibt sich zwar aus den Rn. 45, 51 und 67 des Urteils vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret (C 652/22, EU:C:2024:910), dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands, das mit der Union keine internationale Übereinkunft über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, wenn er an einem Vergabeverfahren in der Union teilnimmt, nicht auf die in den Unionsrechtsvorschriften, etwa in Art. 18 der Richtlinie 2014/24, enthaltenen Regeln über die Vergabe öffentlicher Aufträge berufen kann. Da die in diesen Richtlinien enthaltenen Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht auf das Angebot eines Wirtschaftsteilnehmers eines solchen Drittlands anwendbar sind, kann ihre Auslegung für die Entscheidung eines Rechtsstreits, den dieser Wirtschaftsteilnehmer angestrengt hat, um die Art und Weise zu beanstanden, in der diese Vorschriften im fraglichen Vergabeverfahren angewandt worden seien, nicht relevant sein. Daher ist im Rahmen eines solchen Rechtsstreits ein Vorabentscheidungsersuchen, mit dem das vorlegende Gericht um eine solche Auslegung ersucht, unzulässig.
Betrifft der Rechtsstreit jedoch, wie im vorliegenden Fall, die Frage, nach welchen Modalitäten ein Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das mit der Union keine internationale Übereinkunft über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags in der Union ausgeschlossen werden kann, kann die Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens zur Auslegung von Bestimmungen oder Grundsätzen des Unionsrechts, die nach Ansicht des vorlegenden Gerichts diese Frage regeln könnten, für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erheblich sein.
Daraus folgt, dass die in der vorliegenden Rechtssache gestellten Fragen zulässig sind.
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit sowie Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 und Art. 49 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen sind, dass es ihnen zuwiderläuft, dass ein Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands, das mit der Union kein internationales Übereinkommen im Sinne von Art. 25 dieser Richtlinie geschlossen hat, von einem in einem Mitgliedstaat durchgeführten Vergabeverfahren auf der Grundlage nationaler Rechtsvorschriften ausgeschlossen wird, die nach Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung, aber bevor dieser Wirtschaftsteilnehmer sein Angebot abgegeben hat, in Kraft getreten sind.
Einleitende Bemerkungen
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das Verfahren zur Vergabe des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden öffentlichen Auftrags in Anbetracht seines Gegenstands, nämlich der Beschaffung von Triebwagenzügen für den Schienenverkehr sowie Wartungs- und Reparaturdienstleistungen, möglichweise nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24, auf die sich das Vorabentscheidungsersuchen bezieht, sondern in jenen der Richtlinie 2014/25 fällt.
Die Richtlinie 2014/24 gilt nämlich nach ihrem Art. 7 nicht für öffentliche Aufträge im Bereich der Verkehrsleistungen im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2014/25 (Urteil vom 1. August 2022, Roma Multiservizi und Rekeep, C 332/20, EU:C:2022:610, Rn. 64).
Art. 11 („Verkehrsleistungen“) der Richtlinie 2014/25 bestimmt in Abs. 1, dass unter diese Richtlinie die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen u. a. per Eisenbahn fällt. Nach Abs. 2 dieses Artikels ist ein Netz vorhanden, wenn die Verkehrsleistung gemäß den von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats festgelegten Bedingungen erbracht wird; dazu gehören die Festlegung der Strecken, die Transportkapazitäten und die Fahrpläne.
Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob das Verfahren zur Vergabe des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden öffentlichen Auftrags nach Art. 11 der Richtlinie 2014/25 in deren Anwendungsbereich fällt; in diesem Fall fiele dieses Verfahren gemäß Art. 7 der Richtlinie 2014/24 nicht in deren Anwendungsbereich.
Allerdings hat Art. 25 der Richtlinie 2014/24 einen dem Wortlaut von Art. 43 der Richtlinie 2014/25 entsprechenden Wortlaut.
Daher kann sich der Umstand, dass dieses Verfahren möglicherweise nicht unter die Richtlinie 2014/24, sondern unter die Richtlinie 2014/25 fällt, nicht auf die Prüfung der Vorlagefragen auswirken. Diese Prüfung, die anhand von Art. 25 der Richtlinie 2014/24 vorzunehmen ist, muss nämlich als auch im Hinblick auf Art. 43 der Richtlinie 2014/25 erfolgt angesehen werden, wenn das vorlegende Gericht entscheidet, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vergabeverfahren unter letztere Richtlinie fällt.
Zu den Vorlagefragen
Die Union ist gegenüber bestimmten Drittländern durch internationale Übereinkünfte, u. a. das GPA, gebunden, die den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer der Union zu öffentlichen Aufträgen in diesen Drittländern und den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer dieser Drittländer zu öffentlichen Aufträgen in der Union in wechselseitiger und gleicher Weise gewährleisten. Art. 25 der Richtlinie 2014/24 spiegelt diese internationalen Verpflichtungen der Union wider, indem er bestimmt, dass die Auftraggeber der Mitgliedstaaten, soweit sie durch das GPA oder andere internationale für die Union rechtsverbindliche Übereinkommen erfasst sind, auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die ein solches Übereinkommen unterzeichnet haben, keine ungünstigeren Bedingungen anwenden als auf Wirtschaftsteilnehmer aus der Europäischen Union (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C 652/22, EU:C:2024:910, Rn. 41 und 42).
Andere Drittländer haben mit der Union bislang keine solche internationale Übereinkunft geschlossen. Dazu zählt die Volksrepublik China.
Das durch Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 „jede[m] interessierte[n] Wirtschaftsteilnehmer“ eingeräumte Recht, bei einem offenen Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags in der Union auf einen Aufruf zum Wettbewerb hin ein Angebot abzugeben, erstreckt sich nicht auf Wirtschaftsteilnehmer aus diesen Drittländern, die keine derartige internationale Übereinkunft mit der Union geschlossen haben. Würde diese Bestimmung anders ausgelegt und damit der persönliche Anwendungsbereich dieser Richtlinie unbegrenzt ausgeweitet, liefe dies, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 65 bis 73 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, darauf hinaus, Wirtschaftsteilnehmern aus diesen Drittländern einen gleichen Zugang zu den Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der Union zu gewährleisten. Dies würde bewirken, dass ihnen unter Verstoß gegen Art. 25 dieser Richtlinie, der die Inanspruchnahme dieses Rechts auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die mit der Union eine internationale Übereinkunft wie jene im Sinne dieses Artikels geschlossen haben, beschränkt, ein Recht auf eine nicht ungünstigere Behandlung verliehen würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C 652/22, EU:C:2024:910, Rn. 46 und 47).
Daraus folgt, dass die Richtlinie 2014/24 dahin zu verstehen ist, dass der Zugang der Wirtschaftsteilnehmer der in Rn. 57 des vorliegenden Urteils genannten Drittländer zu Vergabeverfahren in der Union nicht gewährleistet ist. Dies bedeutet, dass diese Wirtschaftsteilnehmer entweder von diesen Verfahren ausgeschlossen oder dazu zugelassen werden können, dass sie sich dabei aber nicht auf diese Richtlinie berufen und nicht eine Gleichbehandlung ihres Angebots mit den Angeboten fordern können, die Bieter aus den Mitgliedstaaten und Bieter aus Drittländern im Sinne von Art. 25 dieser Richtlinie abgegeben haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C 652/22, EU:C:2024:910, Rn. 45 und 47).
Jeder Rechtsakt mit allgemeiner Geltung, der speziell den Zweck hat, für die Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands diese Ausschluss- oder Zugangsmodalitäten festzulegen, fällt nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der Union im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik. Dies ist bei Rechtsakten der Fall, die in Ermangelung einer Übereinkunft zwischen der Union und einem Drittland einseitig festlegen, ob und gegebenenfalls nach welchen Modalitäten die Wirtschaftsteilnehmer aus diesem Drittland an den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge in der Union teilnehmen können. Wie diese Übereinkünfte wirken sich diese einseitigen Rechtsakte nämlich direkt und sofort auf den Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen diesem Drittland und der Union aus (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C 652/22, EU:C:2024:910, Rn. 57).
Daher ist ausschließlich die Union zuständig, einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung zu erlassen, der den Zugang von Wirtschaftsteilnehmern eines Drittlands, das keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, zu den Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge betrifft, indem sie entweder eine Regelung einführt, die diesen Wirtschaftsteilnehmern den Zugang zu den betreffenden Verfahren gewährt, oder eine Regelung, die diese Wirtschaftsteilnehmer ausschließt oder die eine Bewertungsanpassung bei ihren Angeboten im Vergleich zu jenen, die andere Wirtschaftsteilnehmer abgegeben haben, vorsieht (Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C 652/22, EU:C:2024:910, Rn. 61).
Denn gemäß Art. 2 Abs. 1 AEUV kann in den Bereichen ihrer ausschließlichen Zuständigkeit nur die Union gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen; die Mitgliedstaaten dürfen in einem solchen Fall nur tätig werden, wenn sie von der Union hierzu ermächtigt werden oder um Rechtsakte der Union durchzuführen. Die Union hat die Mitgliedstaaten jedoch nicht ermächtigt, gesetzgeberisch tätig zu werden oder verbindliche Rechtsakte über den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das keine internationale Übereinkunft mit der Union geschlossen hat, zu den Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge zu erlassen. Die Union hat bisher auch keine derartigen Rechtsakte erlassen, die die Mitgliedstaaten durchführen könnten (Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C 652/22, EU:C:2024:910, Rn. 62).
In Ermangelung von Rechtsakten der Union ist es Sache des öffentlichen Auftraggebers, zu beurteilen, ob Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, zu einem Verfahren für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags zuzulassen sind und, falls er dies bejaht, ob eine Bewertungsanpassung bei den Angeboten dieser Wirtschaftsteilnehmer im Vergleich zu jenen, die andere Wirtschaftsteilnehmer abgegeben haben, vorzusehen ist (Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C 652/22, EU:C:2024:910, Rn. 63).
Im vorliegenden Fall gab es keine unionsrechtliche Bestimmung, nach der Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das mit der Union keine internationale Übereinkunft über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, zu Vergabeverfahren zugelassen oder davon ausgeschlossen werden mussten. In Anbetracht der in den Rn. 60 bis 62 des vorliegenden Urteils genannten Regeln, wonach es den Mitgliedstaaten in Ermangelung einer Ermächtigung durch die Union oder eines Rechtsakts der Union, der durchgeführt werden kann, untersagt ist, im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik gesetzgeberisch tätig zu werden, durften die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften, die den öffentlichen Auftraggeber verpflichten, diese Wirtschaftsteilnehmer auszuschließen, nicht angewandt werden. Es war Sache des öffentlichen Auftraggebers, unter den in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen zu entscheiden, ob das Konsortium zuzulassen oder auszuschließen war.
Unter diesen Umständen ist es unerheblich, dass diese nationalen Rechtsvorschriften nach der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung, aber bevor der chinesische Wirtschaftsteilnehmer sein Angebot abgegeben hat, in Kraft getreten sind.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es, da Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen haben, kein Recht auf eine nicht ungünstigere Behandlung nach Art. 25 der Richtlinie 2014/24 genießen, dem öffentlichen Auftraggeber freisteht, in den Auftragsunterlagen Behandlungsmodalitäten aufzuführen, die den objektiven Unterschied zwischen der Rechtsstellung dieser Wirtschaftsteilnehmer einerseits und der Rechtsstellung der Wirtschaftsteilnehmer aus der Union und aus den Drittländern, die eine solche Übereinkunft im Sinne von Art. 25 der Richtlinie 2014/24 geschlossen haben, andererseits widerspiegeln sollen. Zwar ist denkbar, dass diese Behandlungsmodalitäten bestimmten Grundsätzen und Anforderungen, wie den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, entsprechen müssen, doch kann ein Rechtsbehelf, mit dem gerügt wird, dass der öffentliche Auftraggeber solche Grundsätze nicht beachtet habe, nur anhand des nationalen Rechts und nicht anhand des Unionsrechts geprüft werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C 652/22, EU:C:2024:910, Rn. 64 und 66).
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV, der der Union die ausschließliche Zuständigkeit im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik verleiht, in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass es ihm zuwiderläuft, dass ein öffentlicher Auftraggeber eines Mitgliedstaats in Ermangelung eines Unionsrechtsakts, der den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands, das mit der Union keine internationale Übereinkunft im Sinne von Art. 25 der Richtlinie 2014/24 geschlossen hat, zu Vergabeverfahren vorschreibt oder untersagt, einen Wirtschaftsteilnehmer eines solchen Drittlands auf der Grundlage eines Gesetzgebungsakts ausschließt, den dieser Mitgliedstaat erlassen hat, ohne von der Union dazu ermächtigt worden zu sein, wobei der Umstand, dass dieser Gesetzgebungsakt nach der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung in Kraft getreten ist, insoweit unerheblich ist.
Kosten
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV, der der Union die ausschließliche Zuständigkeit im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik verleiht, in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass es ihm zuwiderläuft, dass ein öffentlicher Auftraggeber eines Mitgliedstaats in Ermangelung eines Unionsrechtsakts, der den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands, das mit der Union keine internationale Übereinkunft im Sinne von Art. 25 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG geschlossen hat, zu Vergabeverfahren vorschreibt oder untersagt, einen Wirtschaftsteilnehmer eines solchen Drittlands auf der Grundlage eines Gesetzgebungsakts ausschließt, den dieser Mitgliedstaat erlassen hat, ohne von der Union dazu ermächtigt worden zu sein, wobei der Umstand, dass dieser Gesetzgebungsakt nach der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung in Kraft getreten ist, insoweit unerheblich ist.