Ax Vergaberecht

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Bieter müssen der Ausschreibung klar entnehmen können, welche Voraussetzungen an ihre Eignung gestellt werden (und den Anforderungen entsprechen)

Bieter müssen der Ausschreibung klar entnehmen können, welche Voraussetzungen an ihre Eignung gestellt werden (und den Anforderungen entsprechen)

von Thomas Ax 

Welcher Erklärungswert Angebotsunterlagen zukommt, ist anhand der für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln (ständige Rechtsprechung: vgl. nur BGH, Urteil vom 10.06.2008, X ZR 78/07, Juris Rn. 10 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.05.2005, VII-Verg 19/05, Juris Rn. 20 ff.). Bieter müssen der Ausschreibung wegen gebotener Transparenz und der bei Nichtbeachtung von Ausschreibungsbedingungen drohenden Gefahr eines Angebotsausschlusses klar entnehmen können, welche Voraussetzungen an ihre Eignung gestellt werden und welche Erklärungen/Nachweise von ihnen in diesem Zusammenhang verlangt werden. Für das Verständnis maßgeblich ist der objektive Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, also eines abstrakt bestimmten Adressatenkreises (BGH, Urteil vom 03.04.2012, X ZR 130/10, Juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 1.06.2008, X ZR 78/07, Juris Rn. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.11.2014 – VII-Verg 21/14 -, Rn. 37, Juris).
Gemäß § 122 GWB ist der Auftraggeber außerdem verpflichtet, vorab festzulegen, welche inhaltlichen Eignungskriterien er bestimmen möchte. § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB verlangt, dass hinsichtlich dieser Eignungskriterien bereits aus der Bekanntmachung alle Angaben ersichtlich sein müssen, die für Bieter für eine Entscheidung zur Teilnahme am Vergabeverfahren oder zur Angebotsabgabe von Bedeutung sind (vgl. Burgi, Vergaberecht, § 16, Rn. 7; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Marks/Portz/Prieß, a.a.O., § 122, Rn. 42; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.11.2014 – VII-Verg 21/14 -, Rn. 32, Juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.09.2012 – VII-Verg 108/11; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.03.2012 – VII-Verg 4/12; OLG München, Beschluss vom 12.11.2010 – Verg-21/10 -, Rn. 20, Juris).
Die Vergabestelle ist an die mit der Bekanntmachung festgelegten Eignungsanforderung gebunden und kann diese im Hinblick auf das Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot in der Folge nicht aufgeben, nur weil ein ggf. in tatsächlicher Hinsicht geeigneter Bieter nunmehr den gewünschten Vertragspartner darstellt. Eine Abweichung von den selbst aufgestellten Eignungskriterien würde vielmehr eine wesentliche Änderung des öffentlichen Auftrages beinhalten, welche nach § 132 GWB im laufenden Vergabeverfahren nicht möglich wäre.
Wenn in der Bekanntmachung und den sonstigen Unterlagen deutlich gemacht worden ist, dass die entsprechenden Nachweise “mit dem Angebot” vorzulegen sind, legt dies nicht nur der Zeitpunkt für die Vorlage entsprechender Nachweise fest, sondern regelt auch, dass der Bieter zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe über den Nachweis verfügen muss.
Darüber hinaus würde die Zulassung eines später erlangten Eignungsnachweises zu einer mit dem Vergaberecht unvereinbaren Wettbewerbsverzerrung führen und gegen die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung verstoßen. Es wäre dem Vergaberecht fremd, wenn es einem Bieter durch bloßen Zeitablauf ermöglicht werden würde, sich in die Eignung zu “retten”, obwohl er die geforderten Qualifikationsmerkmale bei Angebotsabgabe und der Eignungsprüfung gar nicht besaß.
Eine Aufklärung im Sinne des § 15 EU VOB/A oder eine Nachforderung von Unterlagen im Sinne des § 16a EU VOB/A kommt nicht in Betracht bzw. würde ins Leere gelaufen.
Gemäß § 6d EU VOB/A kann sich ein Bieter zur Erfüllung des Auftrages grundsätzlich auf andere Unternehmen stützen, d. h. sich zum Nachweis der Eignungsanforderung der Eigenschaften und Fähigkeiten anderer Unternehmen bedienen. Die Leistungserfüllung durch Dritte ist nach § 6d EU Abs. 1 VOB/A dabei nicht auf den Einsatz von Nachunternehmern beschränkt, sondern erfasst werden alle Zugriffe auf Dritte zu dem Zweck, die ordnungsgemäße Erfüllung der zur Vergabe anstehenden Leistung zu ermöglichen und sicherzustellen, wenn das sich bewerbende oder bietende Unternehmen dazu allein nicht in der Lage ist oder wenn es die vom Auftraggeber in zulässiger Weise gestellten Anforderungen an die Eignung selbst nicht erfüllen kann (Schranner in Ingenstau/Korbion, a.a.O., § 6 d, Rn. 3).
Die Vergabestelle kann und darf auch nicht im Wege einer Aufklärung nach § 15 EU VOB/A oder einer Nachforderung nach § 16a EU VOB/A eine Abänderung des Eignungsnachweises in die Wege leiten.
Eine Aufklärung des Angebotes dient nur dem Zweck, etwaige Unklarheiten desselben auszuräumen, darf aber nicht zu einer inhaltlichen Änderung des vom Bieter bisher im Angebot zum Ausdruck gebrachten Willens führen, weil sonst der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gewahrt werden würde (OLG München, Beschluss vom 15.03.2012, Verg 2/12, Juris Rn. 69; von Wietersheim, Ingenstau/Korbion, a.a.O., § 15 VOB/A, Rn. 4).
Auch eine Nachforderung von Unterlagen nach § 16a EU VOB/A – ggf. in Form vollständiger Angaben zur Eignungsleihe in den Formblättern – überwindet dieses Manko nicht. Es geht nicht um das Nachreichen fehlender Unterlagen, sondern es müsste ein Austausch des Angebotsinhalts erfolgen welcher eine Umgehung des sich aus § 15 EU Abs. 3 VOB/A ergebenden Nachverhandlungsgebotes mit sich bringen würde (von Wietersheim, § 16a EU VOB/A, Rn. 2; vgl. hierzu auch Burgi, a.a.O., § 18, Rn. 4).

Aufhebung von Vergabeverfahren

Aufhebung von Vergabeverfahren

von Thomas Ax

• Darstellung der Rechtsgrundlagen nach der VgV und der UVgO
• Schadensersatzanspruch – Wann entsteht ein Schadensersatzanspruch? Wie wird der Schadensersatzanspruch geltend gemacht und durchgesetzt?
• Aufhebung der Aufhebung im Nachprüfungsverfahren

Rechtsgrundlagen

§ 63 VgV
Aufhebung von Vergabeverfahren
(1) Der öffentliche Auftraggeber ist berechtigt, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn
1kein Angebot eingegangen ist, das den Bedingungen entspricht,
2sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat,
3kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde oder
4andere schwerwiegende Gründe bestehen.
Im Übrigen ist der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Zuschlag zu erteilen.
(2) Der öffentliche Auftraggeber teilt den Bewerbern oder Bietern nach Aufhebung des Vergabeverfahrens unverzüglich die Gründe für seine Entscheidung mit, auf die Vergabe eines Auftrages zu verzichten oder das Verfahren erneut einzuleiten. Auf Antrag teilt er ihnen dies in Textform nach § 126b des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit.

§ 48 UVgO
Aufhebung von Vergabeverfahren
(1) Der Auftraggeber ist berechtigt, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn
1kein Teilnahmeantrag oder Angebot eingegangen ist, das den Bedingungen entspricht,
2sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat,
3kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde oder
4andere schwerwiegende Gründe bestehen.
(2) Im Übrigen ist der Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Zuschlag zu erteilen.

Amtliche Erläuterung
zu § 48 UVgO
Zu § 48 Aufhebung von Vergabeverfahren
§ 48 entspricht im Wesentlichen § 63 VgV und § 17 VOL/A. Von Nummer 1 erfasst sind einerseits Fälle, in denen alle eingereichten Teilnahmeanträge und Angebote nicht den inhaltlichen und formalen Anforderungen des Auftraggebers entsprechen, obwohl sie von an sich geeigneten und nicht ausgeschlossenen Bewerbern oder Bietern stammen. Erfasst sind aber auch solche Fälle, in denen die eingereichten Teilnahmeanträge und Angebote zwar den inhaltlichen und formalen Anforderungen des Auftraggebers genügen, aber ausschließlich von Unternehmen eingereicht wurden, die ungeeignet oder ausgeschlossen worden sind.

§ 14 VgV Wahl der Verfahrensart
(3) Der öffentliche Auftraggeber kann Aufträge im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb oder im wettbewerblichen Dialog vergeben, wenn 5. im Rahmen eines offenen oder nicht offenen Verfahrens keine ordnungsgemäßen oder nur unannehmbare Angebote eingereicht wurden;
nicht ordnungsgemäß sind insbesondere Angebote, die nicht den Vergabeunterlagen entsprechen, nicht fristgerecht eingereicht wurden, nachweislich auf kollusiven Absprachen oder Korruption beruhen oder nach Einschätzung des öffentlichen Auftraggebers ungewöhnlich niedrig sind;
unannehmbar sind insbesondere Angebote von Bietern, die nicht über die erforderlichen Qualifikationen verfügen, und Angebote, deren Preis die vor Einleitung des Vergabeverfahrens festgelegten und dokumentierten eingeplanten Haushaltsmittel des öffentlichen Auftraggebers übersteigt;
der öffentliche Auftraggeber kann in diesen Fällen von einem Teilnahmewettbewerb absehen, wenn er in das Verhandlungsverfahren alle geeigneten Unternehmen einbezieht, die form- und fristgerechte Angebote abgegeben haben.
(4) Der öffentliche Auftraggeber kann Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben,
1. wenn in einem offenen oder einem nicht offenen Verfahren keine oder keine geeigneten Angebote oder keine geeigneten Teilnahmeanträge abgegeben worden sind, sofern die ursprünglichen Bedingungen des Auftrags nicht grundlegend geändert werden;
ein Angebot gilt als ungeeignet, wenn es ohne Abänderung den in den Vergabeunterlagen genannten Bedürfnissen und Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers offensichtlich nicht entsprechen kann;
ein Teilnahmeantrag gilt als ungeeignet, wenn das Unternehmen aufgrund eines zwingenden oder fakultativen Ausschlussgrunds nach den §§ 123 und 124 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auszuschließen ist oder ausgeschlossen werden kann oder wenn es die Eignungskriterien nicht erfüllt,

Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert
Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV ist der öffentliche Auftraggeber berechtigt, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat. Anerkannt ist, dass die Änderung erst nach Einleitung des Vergabeverfahrens, d. h. nach Bekanntmachung, eingetreten sein darf. Zudem ist anerkannt, dass die Änderungen zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens nicht vorhersehbar gewesen sein durften. Dies gilt insbesondere für die Änderung des definierten Beschaffungsbedarfs. VK Nordbayern, Beschluss vom 06.07.2022 – RMF-SG21-3194-7-16

Tatsachen, die erst nach Versendung der Verdingungsunterlagen eingetreten sind
Soweit eine Ausschreibung aufgehoben werden kann, wenn die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssen, kann dieser Aufhebungsgrund nur auf Tatsachen gestützt werden, die erst nach Versendung der Verdingungsunterlagen eingetreten oder dem Auftraggeber bekannt geworden sind, ohne dass eine vorherige Unkenntnis auf mangelhafter Vorbereitung beruht. Bei der Aufhebungsentscheidung ist die Heranziehung von Gründen, die dem Auftraggeber bekannt waren und/oder mit deren Vorliegen oder Eintritt er bei der Vergabeentscheidung rechnen musste, ausgeschlossen. Auch darf der öffentliche Auftraggeber den Aufhebungsgrund nicht selbst schuldhaft herbeigeführt haben. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.08.2023 – Verg 3/23
Eine wesentliche Änderung der Grundlage des Vergabeverfahrens liegt vor, wenn sich die Rahmenbedingungen für bzw. die Anforderungen an die Leistungserbringung für Auftraggeber bzw. Bieter unvorhergesehen erheblich verändern und eine Fortführung des Vergabeverfahrens daher nicht mehr möglich bzw. zumutbar ist. VK Bund, Beschluss vom 07.05.2020 – VK 2-31/20. Die pandemische Verbreitung des neuartigen Coronavirus ab Januar 2020 ist ein weder dem öffentlichen Auftraggeber zurechenbares noch vorhersehbares Ereignis. VK Bund, Beschluss vom 07.05.2020 – VK 2-31/20

Änderungen der Finanzierungsgrundlagen
Änderungen der Finanzierungsgrundlagen stellen einen rechtmäßigen Aufhebungsgrund im Vergabeverfahren dar, wenn Haushaltsmittel durch unvorhergesehene Ereignisse überraschend gekürzt oder ganz zurückgezogen werden. VK Bund, Beschluss vom 07.05.2020 – VK 2-31/20

Kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt
Ein Vergabeverfahren kann aufgehoben werden, wenn kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde. VK Rheinland, Beschluss vom 23.04.2019 – VK 6/19 Voraussetzung für die Aufhebung ist, dass auch das wirtschaftlichste Angebot erheblich über dem Preis liegt, der nach einer ordnungsgemäßen Schätzung des Auftragswerts ermittelt worden ist. VK Bund, Beschluss vom 05.03.2021 – VK 1-124/20 Voraussetzung ist, dass der Auftraggeber eine Kostenschätzung vorgenommen hat, anhand derer er die Wirtschaftlichkeit der eingegangenen Angebote prüfen kann. VK Rheinland, Beschluss vom 23.04.2019 – VK 6/19 Die Kostenschätzung muss auf ordnungsgemäß und sorgfältig ermittelten Grundlagen beruhen. Es sind Methoden zu wählen, die ein wirklichkeitsnahes Schätzergebnis ernsthaft erwarten lassen. VK Rheinland, Beschluss vom 23.04.2019 – VK 6/19 Den geschätzten Kosten muss ein ganz beträchtlicher Aufschlag (“Puffer”) hinzugefügt werden, da es sich bei der Kostenschätzung um einen Vorgang mit hohem Prognoseanteil handelt. In welcher Höhe dieser Aufschlag angesetzt wird, ist vom Einzelfall abhängig. VK Rheinland, Beschluss vom 23.04.2019 – VK 6/19 Wann ein vertretbar geschätzter Auftragswert so “deutlich” überschritten ist, dass eine sanktionslose Aufhebung der Ausschreibung gerechtfertigt ist, lässt sich nicht durch allgemein verbindliche Werte nach Höhe oder Prozentsätzen festlegen. Vielmehr ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. VK Rheinland, Beschluss vom 23.04.2019 – VK 6/19 Die Überschreitung der Kostenschätzung um das Doppelte ist grundsätzlich geeignet eine erhebliche Überschreitung anzunehmen. VK Bund, Beschluss vom 05.03.2021 – VK 1-124/20

Aufhebung eines einzelnen Loses eines auf mehrere Lose aufgeteilten Gesamtauftrags
Die Aufhebung eines einzelnen Loses eines auf mehrere Lose aufgeteilten Gesamtauftrags aus wirtschaftlichen Gründen ist grundsätzlich möglich. Dabei kann eine Unwirtschaftlichkeit i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 3 VgV auch dann bejaht werden, wenn lediglich das aufgehobene/aufzuhebende Einzellos ein unwirtschaftliches Ergebnis ausweist. Nicht erforderlich ist, dass das Gesamtergebnis den geschätzten Gesamtauftragswert für die Leistung deutlich übersteigt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine losspezifische Kostenschätzung vorliegt. Für eine gesamtbetrachtende Sichtweise gibt die Gesetzessystematik des § 63 Abs. 1 Satz 1 VgV insgesamt keinen Anlass. VK Sachsen, Beschluss vom 21.08.2018 – 1/SVK/016-18

Bisherige Vergabeabsicht des Auftraggebers entscheidend beeinflusst
Ein schwer wiegender Grund besteht nur dann, wenn er die bisherige Vergabeabsicht des Auftraggebers entscheidend beeinflusst. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.09.2022 – Verg 55/21 Berücksichtigungsfähig sind grundsätzlich nur solche Mängel, die die Durchführung des Verfahrens und die Vergabe des Auftrags selbst ausschließen. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.09.2022 – Verg 55/21

Feststellung eines schwerwiegenden Grunds erfordert Interessenabwägung
Die Feststellung eines schwerwiegenden Grunds erfordert eine Interessenabwägung, für die die jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalls maßgeblich sind. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.09.2022 – Verg 55/21

Entscheidung über die Aufhebung des Vergabeverfahrens ist Ermessensentscheidung
Die Entscheidung über die Aufhebung des Vergabeverfahrens ist eine Ermessensentscheidung. Die Bieter haben daher Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch den Auftraggeber. VK Südbayern, Beschluss vom 29.05.2024 – 3194.Z3-3_01-24-8 Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung, die nachvollziehbar dokumentiert sein muss, sind die betroffenen Interessen in eine Abwägung einzustellen. Neben den Interessen des Auftraggebers sind daher insbesondere auch die Interessen der Bieter in die Abwägung mit einzubeziehen. VK Nordbayern, Beschluss vom 06.07.2022 – RMF-SG21-3194-7-16

Öffentlicher Auftraggeber ist grundsätzlich nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet
Ein öffentlicher Auftraggeber ist aufgrund eines einmal eingeleiteten Vergabeverfahrens grundsätzlich nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet. Auch dann, wenn kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt, kann ein öffentlicher Auftraggeber von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen. VK Berlin, Beschluss vom 09.09.2024 – VK B 1-39/23
Anders als die Zuschlagsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers wirkt seine Aufhebungsentscheidung nicht als absolute, den Primärrechtsschutz ausschließende Zäsur, so dass die Aufhebungsentscheidung einer Kontrolle im Nachprüfungsverfahren unterzogen werden kann. VK Nordbayern, Beschluss vom 06.07.2022 – RMF-SG21-3194-7-16

Bereits erfolgte Submission schließt eine Fehlerkorrektur nicht aus
Stellt ein öffentlicher Auftraggeber vor Zuschlagserteilung einen erheblichen Fehler in den Vergabeunterlagen fest, ist er zu einer Fehlerkorrektur berechtigt. Eine bereits erfolgte Submission schließt eine Fehlerkorrektur nicht aus. VK Lüneburg, Beschluss vom 15.12.2020 – VgK-46/2020
Eine Zurückversetzung kann nicht voraussetzungslos ohne nachteilige Rechtsfolgen erfolgen. Zumindest orientieren sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Wirksamkeit und die Rechtmäßigkeit einer Zurückversetzung an den Vorgaben zur Aufhebung. VK Lüneburg, Beschluss vom 15.12.2020 – VgK-46/2020

Bei Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist zwischen der Wirksamkeit und der Rechtmäßigkeit der (Teil-)Aufhebungsentscheidung öffentlicher Auftraggeber zu unterscheiden
Bei der rechtlichen Überprüfung einer vollständigen oder auch nur teilweisen Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist zwischen der Wirksamkeit und der Rechtmäßigkeit der (Teil-)Aufhebungsentscheidung öffentlicher Auftraggeber zu unterscheiden. VK Berlin, Beschluss vom 09.09.2024 – VK B 1-39/23 Nur in Ausnahmefällen kann ein Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens angenommen werden. Das ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung keinen sachlichen Grund vorweisen kann und sie deshalb willkürlich ist oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zu dem Zweck erfolgt, Bieter zu diskriminieren. VK Berlin, Beschluss vom 09.09.2024 – VK B 1-39/23 Die Aufhebung einer Aufhebungsentscheidung kann dann veranlasst sein, wenn ein sachlich gerechtfertigter Grund fehlt und die Entscheidung sich daher als willkürlich darstellt oder der öffentliche Auftraggeber das ihm hinsichtlich der Entscheidung über die Verfahrensaufhebung zustehende Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt hat. VK Südbayern, Beschluss vom 29.05.2024 – 3194.Z3-3_01-24-8 Willkürlich ist ein Verwaltungshandeln dann, wenn es unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht. Willkür liegt vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in eklatanter Weise missdeutet wird. VK Südbayern, Beschluss vom 29.05.2024 – 3194.Z3-3_01-24-8 Unabhängig davon, ob ein Aufhebungsgrund vorliegt, kann ein öffentlicher Auftraggeber von einem Vergabeverfahren grundsätzlich Abstand nehmen. VK Bund, Beschluss vom 13.06.2022 – VK 2-52/22 Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Aufhebung der Ausschreibung aufgrund Fehlens eines sachlich gerechtfertigten Grunds willkürlich ist oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zum Schein und tatsächlich zu dem Zweck erfolgt, einen Bieter gezielt zu diskriminieren. VK Bund, Beschluss vom 13.06.2022 – VK 2-52/22 Die Korrektur von Vergaberechtsfehlern ist ein sachlicher Aufhebungsgrund, wenn eine Manipulation des Vergabeverfahrens hierdurch ausgeschlossen ist. Das gilt insbesondere auch für Aufhebungen, die nach unzureichender Bekanntmachung der Eignungskriterien eine regelrechte Eignungsprüfung der Bieter ermöglichen sollen. VK Bund, Beschluss vom 13.06.2022 – VK 2-52/22.

Vergabekammer kann nicht das Ermessen über die Aufhebung eines Vergabeverfahrens anstelle des Auftraggebers ausüben
Die Vergabekammer kann das Ermessen über die Aufhebung eines Vergabeverfahrens nicht anstelle des Auftraggebers ausüben und demzufolge auch keine möglicherweise bestehenden anderen Begründungsansätze für eine zumindest wirksame Aufhebung des Verfahrens heranziehen. Dies ist Aufgabe des öffentlichen Auftraggebers. VK Südbayern, Beschluss vom 29.05.2024 – 3194.Z3-3_01-24-8

BGH, Urteil vom 08.12.2020, XIII ZR 19/19
Das Nichtvorliegen eines in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannten Aufhebungsgrunds führt zu auf das negative Interesse gerichteten Schadensersatzansprüchen der Bieter, die möglicherweise infolge der Aufhebung oder Zurückversetzung vergeblich ein Angebot erstellt haben oder ein vollständig neues und erneut kostenaufwändiges Angebot erstellen müssen. Eine vergaberechtswidrige Aufhebung begründet einen Anspruch des Klägers auf Ersatz des negativen Interesses, d.h. der Angebotsbearbeitungskosten. Hier fallen im wesentlichen Personalkosten bei Angebotserstellung an. Solche Kosten kann der leer ausgegangene Bieter ohne Weiteres ersetzt verlangen. Er muss dazu nicht nachweisen, dass er seine Mitarbeiter anderweitig hätte einsetzen können und dadurch Einnahmen erwirtschaftet hätte, die ihm nun entgangen sind. Die vom Bieter eingesetzte Arbeitskraft hat typischerweise einen Marktwert und ist daher bei wertender Betrachtung vom Schadensersatz nicht auszugrenzen. Entgangenen Gewinn kann ein Bieter aber nur beanspruchen, wenn der Zuschlag im laufenden Vergabeverfahren an den falschen Bieter erteilt wird. Dasselbe gilt, wenn der AG die Ausschreibung grundlos aufhebt und denselben Auftrag danach an einen anderen Bieter vergibt, obwohl dieser ihn im aufgehobenen Verfahren nicht hätte erhalten können. Der AG muss nach Ansicht des BGH die Ausschreibung in der Absicht aufgehoben haben, den Auftrag an einen anderen Bieter vergeben zu können.

… selbst wenn man als AG ein Vergabeverfahren rechtswidrig aufhebt, kann man praktisch immer den Schadensersatz des Bestbieters auf das positive Interesse vermeiden, solange nicht belegt werden kann, dass die Aufhebung nur dazu diente, diesen Bestbieter nicht beauftragen zu müssen?

Praxistipp – Wann ist eine Referenz “vergleichbar”?

VergMan ® für Bewerber und Bieter - Praxistipp - Wann ist eine Referenz "vergleichbar"?

von Thomas Ax

Bei dem Begriff “vergleichbare Leistung” handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der anhand des Wortlauts der Vergabeunterlagen und von Sinn und Zweck der geforderten Angaben unter Berücksichtigung des Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatzes auszulegen ist. Dabei bedeutet die Formulierung “vergleichbar” nicht “gleich” oder gar “identisch”, sondern, dass die Leistungen im technischen oder organisatorischen Bereich einen gleich hohen oder höheren Schwierigkeitsgrad hatten.

Praxistipp – Reichweite des Gebots zur produktneutralen Ausschreibung

VergMan ® für öffentliche Auftraggeber - Praxistipp - Reichweite des Gebots zur produktneutralen Ausschreibung

von Thomas Ax

Die Entscheidung, welcher Gegenstand mit welcher Beschaffenheit und welchen Eigenschaften beschafft werden soll, obliegt dem öffentlichen Auftraggeber. Begrenzt wird das Bestimmungsrecht aber durch die Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung, von der nur unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden darf.

In der Leistungsbeschreibung darf nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die Erzeugnisse oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens kennzeichnet, oder auf gewerbliche Schutzrechte, Typen oder einen bestimmten Ursprung verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn, dieser Verweis ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt.

Gegen die Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung wird nicht nur dann verstoßen, wenn ein Leitfabrikat offen in der Leistungsbeschreibung genannt wird, sondern auch dann, wenn durch die Vielzahl der Vorgaben verdeckt ein bestimmtes Produkt vorgegeben wird und nur mit diesem die Anforderungen der Leistungsbeschreibung erfüllt werden können.

Die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers sind eingehalten, sofern die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist, vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.

An das Vorliegen eines Sachgrunds dürfen auch keine unverhältnismäßigen Anforderungen gestellt werden. Die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers muss „lediglich“ plausibel sein.

Praxistipp – Eignungskriterien müssen eindeutig und abschließend beschrieben sein

VergMan ® für öffentliche Auftraggeber - Praxistipp - Eignungskriterien müssen eindeutig und abschließend beschrieben sein

von Thomas Ax

Die Eignungskriterien und -nachweise sind in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen. Maßgeblich für die Eignungsprüfung sind allein die in der Auftragsbekanntmachung festgelegten Eignungskriterien und die dort für ihren Beleg geforderten Nachweise.

Die Eignungskriterien müssen eindeutig und abschließend beschrieben sein.

Der öffentliche Auftraggeber ist an die von ihm wirksam geforderten Eignungsnachweise gebunden. Er darf weder zusätzliche Nachweise fordern noch darf er auf einmal wirksam bekannt gegebene Nachweise verzichten.

Sind an sich zulässige und auftragsangemessene Eignungsanforderungen wirksam gefordert worden, wird ein Bieter, wenn er diese Anforderungen nicht erfüllt, wegen fehlender Eignung ausgeschlossen.

Praxistipp – Nachlass unter Bedingung gestellt: Änderung der Vergabeunterlagen führt zum Ausschluss des Angebotes

VergMan ® für Bewerber und Bieter - Praxistipp - Nachlass unter Bedingung gestellt: Änderung der Vergabeunterlagen führt zum Ausschluss des Angebotes

von Thomas Ax

Angebote, die Änderungen der Vergabeunterlagen beinhalten, sind auszuschließen. Das gilt auch im Verhandlungsverfahren, wenn sich der Auftraggeber die Zuschlagerteilung ohne weitere Verhandlungen vorbehält.

Eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen liegt vor, wenn der Bieter den unbedingt anzubietenden Nachlass unter verschiedene Bedingungen stellt. Dies ist zB der Fall bei HOAI-konformer Ermittlung verschiedener Honorarparameter, obwohl der Vertrag von der HOAI abweichende Regelungen enthält.

Eine Aufklärung des von den Vergabeunterlagen abweichenden Angebots ist unzulässig, wenn sich der Auftraggeber die Zuschlagerteilung ohne weitere Verhandlungen vorbehalten hat und das Hinwegdenken der Abweichungen zu einer Änderung des Angebots führen würde.

Praxistipp – Aufhebung geht immer, kann aber Schadensersatzansprüche der Bieter auslösen

VergMan ® für öffentliche Auftraggeber - Praxistipp - Aufhebung geht immer, kann aber Schadensersatzansprüche der Bieter auslösen

von Thomas Ax

Ein öffentlicher Auftraggeber ist aufgrund eines einmal eingeleiteten Vergabeverfahrens grundsätzlich nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet. Auch dann, wenn kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt, kann ein öffentlicher Auftraggeber von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen.

Nur in Ausnahmefällen kann ein Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens angenommen werden. Das ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung keinen sachlichen Grund vorweisen kann und sie deshalb willkürlich ist oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zu dem Zweck erfolgt, Bieter zu diskriminieren.

Stellt ein öffentlicher Auftraggeber vor Zuschlagserteilung einen erheblichen Fehler in den Vergabeunterlagen fest, ist er zu einer Fehlerkorrektur grundsätzlich berechtigt. Eine bereits erfolgte Submission schließt eine solche Fehlerkorrektur nicht aus.

Bei der rechtlichen Überprüfung einer vollständigen oder auch nur teilweisen Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist zwischen der Wirksamkeit und der Rechtmäßigkeit der (Teil-)Aufhebungsentscheidung öffentlicher Auftraggeber zu unterscheiden.

Das Nichtvorliegen eines in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannten Aufhebungsgrunds führt zu auf das negative Interesse gerichteten Schadensersatzansprüchen der Bieter, die möglicherweise infolge der Aufhebung oder Zurückversetzung vergeblich ein Angebot erstellt haben oder ein vollständig neues und erneut kostenaufwändiges Angebot erstellen müssen.

Wann ist die Aufgreifschwelle für eine Preisprüfung überschritten?

Wann ist die Aufgreifschwelle für eine Preisprüfung überschritten?

von Thomas Ax

Nach § 60 Abs. 1 VgV bedarf es einer Preisprüfung durch den Auftraggeber, wenn der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung dem Auftraggeber ungewöhnlich niedrig erscheinen. Der Auftraggeber hat für die Entscheidung der Frage, ob der Preis eines Angebotes ungewöhnlich niedrig erscheint, grundsätzlich einen Einschätzungs- bzw. Beurteilungsspielraum, der von ihm pflichtgemäß und damit fehlerfrei auszuüben ist.
Im Nachprüfungsverfahren ist dieser Beurteilungsspielraum somit nur auf etwaige Beurteilungsfehler hin zu prüfen. Der Auftraggeber muss bei seiner Einschätzung nach § 60 Abs. 1 VgV somit insbesondere sachgemäß und willkürfrei vorgehen und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zugrunde legen. Dies dient dazu, entsprechend zweifelhafte Angebot zu identifizieren, um ggf. eine Prüfung nach § 60 Abs. 2 VgV einzuleiten.

Für die Einleitung einer Preisprüfung nach § 60 Abs. 1 VgV ist das Überschreiten einer Aufgreifschwelle erforderlich, um den Auftraggeber zu einer entsprechenden Preisaufklärung zu veranlassen. Denn grundsätzlich sind – auch deutliche – Preisabstände zwischen Angeboten einem Vergabewettbewerb immanent. Eine Preisprüfung nach § 60 VgV kommt daher nur in Betracht, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Unauskömmlichkeit bestehen.
Vor diesem Hintergrund ist im Hinblick auf § 60 Abs. 1 VgV die Aufgreifschwelle erreicht, wenn sich einzelne Angebote erheblich von anderen Angeboten oder von der Kostenschätzung des Auftraggebers absetzen. Das OLG Düsseldorf hat in seiner Rechtsprechung diese Aufgreifschwelle für den Regelfall bei einem Abstand von mindestens 20% des betroffenen zum nächstgünstigeren Angebot konkretisiert (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29. Mai 2020, Verg 26/19 m.w.N.).

Ein Auftraggeber darf auch unabhängig vom Vorliegen eines ungewöhnlich niedrigen Preises jederzeit in eine Preisaufklärung eintreten, wenn – angesichts einer Preisspreizung und einer Abweichung von der Kostenschätzung – Anlass hierfür gegeben ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Mai 2021 – Verg 41/20). Dies korrespondiert damit, dass der Auftraggeber grundsätzlich alle relevanten Merkmale des konkreten Auftragsgegenstandes in den Blick nehmen muss, die eine Einschätzung ermöglichen können, ob der angebotene Preis, im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint (vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2020, C-669/22 Rn. 35 ff.).

Um nach § 60 Abs. 1 VgV das Verhältnis zwischen dem angebotenen Preis und der zu erbringenden Leistung sachgemäß einschätzen zu können, ist mithin die Berücksichtigung und damit eine grundsätzliche Betrachtung und Würdigung aller für die Angebotskalkulation relevanten Merkmale geboten.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht unsachgemäß, wenn der öffentliche Auftraggeber nicht nur die jeweils preisgünstigsten Angebote einer Prüfung der Auskömmlichkeit unterwirft und aufklärt, sondern auch darüber hinaus die konkrete Angebotslage insgesamt in den Blick nimmt, mithin auch die teuersten Angebote in den Blick nimmt, um eine plausible Einschätzung der Marktüblichkeit der eingegangenen Angebote vornehmen zu können.

Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für den AG notwendig?

Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für den AG notwendig?

von Thomas Ax

Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Verfahrensbevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren bedarf einer einzelfallgerechten Betrachtung, abstellend auf den Zeitpunkt der Hinzuziehung (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06; vgl. ferner OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. September 2022, Verg 15/22). Die Notwendigkeit der Hinzuziehung hängt davon ab, ob der jeweilige Verfahrensbeteiligte nach den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, den Sachverhalt aufgrund der bekannten bzw. erkennbaren Tatsachen zu erfassen, der im Hinblick auf eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung bzw. -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen (BGH, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.).

Maßgeblich ist bei der Abwägung, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig war oder nicht, ob sich im Nachprüfungsverfahren für den Auftraggeber im Wesentlichen auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen einschließlich der dazugehörigen vergaberechtlichen Vorschriften gestellt haben. In diesem Fall ist es grundsätzlich nicht notwendig, dass er hierfür einen Rechtsanwalt zu Rate ziehen muss. Diese Angelegenheiten betreffen den originären Aufgabenkreis des öffentlichen Auftraggebers, für die er sich selbst die notwendigen Sach- und Rechtskenntnisse verschaffen muss, so dass es auch im Nachprüfungsverfahren nicht geboten ist, einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten hinzuzuziehen (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Zu berücksichtigen ist ferner der Grad der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhaltes, die Komplexität oder Überschaubarkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen sowie persönliche Umstände wie u.a. die sachliche oder personelle Ausstattung des Verfahrensbeteiligten (BGH, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.).

Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts kann daher insbesondere geboten sein, wenn sich im Nachprüfungsverfahren nicht einfachgelagerte Rechtsfragen stellen, insbesondere solcher verfahrensrechtlicher Natur oder solcher Art, die auf einer höheren Rechtsebene als der der Vergabeordnungen zu entscheiden sind (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Einerseits: Fragen der Angebotsprüfung, insbesondere im Hinblick auf die Eignung sowie die Prüfung der Auskömmlichkeit der Angebotspreise und damit auftragsbezogene Fragestellungen muss ein öffentlicher Auftraggeber prinzipiell beherrschen. Andererseits: Überlegungen zur Zusammensetzung der ASt im Hinblick auf die Anforderungen des Kartellverbots nach § 1 GWB stellen eine nicht einfach gelagerte, nicht dem Vergaberecht zuzurechnende Sach- und Rechtsfrage dar, die hier somit über die auftragsbezogenen vergaberechtlichen Fragestellungen hinausreicht.

OLG Karlsruhe: Auftraggeber darf Vergabeunterlagen nachträglich ändern

OLG Karlsruhe: Auftraggeber darf Vergabeunterlagen nachträglich ändern

1. Im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb prüft der öffentliche Auftraggeber die Eignung der am vorgeschalteten Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Mit der positiven Eignungsprüfung wird – anders als im offenen Verfahren – ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen begründet.

2. Die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen müssen nicht damit rechnen, der ihnen durch die Erstellung der Angebote und Teilnahme am Wettbewerb entstandene Aufwand könnte dadurch nachträglich nutzlos werden, dass der Auftraggeber ihre Eignung auf gleichbleibender tatsächlicher Grundlage später nochmals abweichend beurteilt.

3. Der öffentliche Auftraggeber ist berechtigt, die Vergabeunterlagen im laufenden Vergabeverfahren zu ändern, sei es zur Korrektur von Vergaberechtsverstößen oder aus Gründen der Zweckmäßigkeit, sofern dies nur in einem transparenten Verfahren und diskriminierungsfrei geschieht. Die Änderungsbefugnis des Auftraggebers bezieht sich auf alle Bestandteile der Vergabeunterlagen, so die Leistungsbeschreibung, Zuschlagskriterien, Unterkriterien und Gewichtungen.

4. Der maßgeblichen Stufen des Vergabeverfahrens sind fortlaufend zu dokumentieren. Insbesondere ist die Wertungsentscheidung des Auftraggebers so zu dokumentieren, dass sie inhaltlich nachzuvollziehen ist.

5. Ein Bieter kann sich nur dann auf eine fehlende oder unzureichende Dokumentation stützen, wenn sich die diesbezüglichen Mängel auf seine Rechtsstellung im Vergabeverfahren nachteilig ausgewirkt haben. Die Dokumentation ist kein Selbstzweck.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.09.2024 – 15 Verg 9/24