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OVG S-H zu der Frage der intendierten Ermessensausübung bei dem Widerruf einer Zuwendung bei Förderung eines Feuerwehrlöschfahrzeugs

OVG S-H zu der Frage der intendierten Ermessensausübung bei dem Widerruf einer Zuwendung bei Förderung eines Feuerwehrlöschfahrzeugs

vorgestellt von Thomas Ax

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass die Behörde auch in Fällen des intendierten Ermessens den ihr zustehenden Ermessensspielraum erkennt und prüft, ob ausnahmsweise eine andere Entscheidung als der vollständige Widerruf des Zuwendungsbescheides in Betracht kommt.

Gericht:

Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein 5. Senat

Entscheidungsdatum:

23.08.2022

Aktenzeichen:

5 LB 9/20

 

Tatbestand

Randnummer1

Die Beteiligten streiten über den Widerruf einer Zuwendung aus Mitteln der Feuerschutzsteuer für die Beschaffung eines Feuerwehrlöschfahrzeuges in Höhe von 48.227,46 € zzgl. Zinsen in Höhe von 10.215,42 €.

Randnummer2

Mit Schreiben vom 20. September 2007 beantragte die Klägerin, die eine freiwillige Feuerwehr unterhält, die Gewährung einer Zuweisung nach § 31 Finanzausgleichsgesetz (FAG) für die Anschaffung eines neuen Löschgruppenfahrzeugs (LF 10/6). Die voraussichtlichen Gesamtkosten gab sie mit 140.000,00 € an.

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Mit Bescheid vom 7. November 2007 bewilligte der Beklagte der Klägerin im Wege der Anteilsfinanzierung eine Zuweisung aus der Feuerschutzsteuer in Höhe von höchstens 49.000,00 € (35% der zuwendungsfähigen Gesamtkosten). Bestandteile des Bescheides waren u. a. die Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung an kommunale Körperschaften (ANBest-K) und die Richtlinien zur Förderung des Feuerwehrwesens (§ 31 FAG) iVm den jeweils geltenden Rundschreiben. In dem Bescheid heißt es weiter:

Randnummer4

„Gem. 1.4 der Richtlinie zur Förderung des Feuerwehrwesens sind bei der Durchführung von Beschaffungen die Vorschriften des Vergaberechts einzuhalten.

Randnummer5

Ich behalte mir vor, die Zuweisung bei Nichteinhaltung der Vergabevorschriften zurückzufordern.“

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Mit Schreiben vom 11. Dezember 2007 erklärte sich die Klägerin mit dem Bescheid einverstanden.

Randnummer7

Die Beschaffung des Feuerwehrfahrzeugs wurde im März 2008 im Rahmen einer gemeinsamen Ausschreibung für die Gemeinden …, …, … und … in zwei Losen (Fahrgestell und Fahrzeugaufbau) beschränkt ausgeschrieben. Die Zuschlagsfrist endete am 9. Mai 2008. Die Aufträge erteilte die Klägerin mit Schreiben vom 28. Mai 2008 an die Firma Mercedes-Benz (Fahrgestell) und die Oshkosh BAI Deutschland GmbH (Fahrzeugaufbau).

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In der Zeit vom 6. Oktober 2010 bis 5. Januar 2011 wurde die Zuweisung in Höhe von 48.227,46 € in drei Raten ausgezahlt.

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Im Jahr 2012 führte das Rechnungs- und Gemeindeprüfungsamt des Kreises (GPA) u. a. bei der Klägerin für die Jahre 2006 bis 2011 eine Ordnungsprüfung durch, in deren Rahmen auch die Vorgänge für die Beschaffung von Feuerwehrfahrzeugen begutachtet wurden. In seinem Prüfungsbericht vom 21. November 2012 wies das GPA darauf hin, dass anlässlich des Beschaffungsvorgangs verbindliche Vorgaben des Vergaberechts mehrfach und zum Teil schwerwiegend missachtet worden seien: Abweichungen von der vorgeschriebenen Vergabeart seien unzureichend begründet worden, eine weite Einschränkung des Bewerberkreises sei unbegründet gewesen, bestimmte Firmen seien gegenüber anderen möglichen Mitbewerber*innen bevorzugt behandelt worden und es habe wettbewerbswidrige Preisabsprachen gegeben.

Randnummer10

Auf die Aufforderung des Beklagten nahm die Klägerin mit Schreiben vom 10. Juli 2013 zum Prüfungsbericht Stellung.

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Mit Schreiben vom 14. April 2014 gab der Beklagte der Klägerin Gelegenheit, zu einer möglichen Rückforderung der Zuwendungen Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme ging am 9. Mai 2014 bei dem Beklagten ein. Am 19. Mai 2014 fand zwischen den Beteiligten ein Gespräch über die mögliche Rückforderung statt, an dessen Ende der Beklagte vermerkte, dass das Anhörungsverfahren abgeschlossen sei und sich keine neuen entscheidungsrelevanten Ergebnisse ergeben hätten. In der Folgezeit entwarf der Beklagte einen Widerrufsbescheid, den er jedoch zunächst nicht absandte.

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In der Zeit vom 17. Juni 2014 bis zum 12. Juni 2015 fanden zwischen dem Beklagten und mehreren Gemeinden, u. a. auch der Klägerin, mehrfach Gespräche statt, in denen hinsichtlich der Rückforderung der Zuwendungen ohne Erfolg nach einem Kompromiss gesucht wurde.

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Mit Bescheid vom 14. September 2015 widerrief der Beklagte gegenüber der Klägerin den Bewilligungsbescheid vom 7. November 2007 und forderte die Erstattung der Zuweisung in Höhe von 48.227,46 € zzgl. Zinsen in Höhe von 10.215,42 € bis zum 23. Oktober 2015. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Klägerin habe eine mit dem Bewilligungsbescheid verbundene Auflage, nämlich die Einhaltung der Vorschriften des Vergaberechts, mehrfach nicht eingehalten. Die Verstöße gegen zwingende Vergabevorschriften rechtfertigten den Widerruf des Bewilligungsbescheides. Das auf Rechtsfolgenseite eröffnete Ermessen habe sich zu einem sog. intendierten Ermessen verdichtet, weil im Hinblick auf die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in der Regel nur die Entscheidung für den Widerruf ermessensfehlerfrei sei, wenn eine mit der Gewährung von Zuwendungen verbundene Auflage nicht erfüllt werde. In Fällen dieser Art bedürfe es der Darlegung der Ermessenserwägungen nur bei Vorliegen atypischer Gegebenheiten. Solche lägen hier nicht vor, weshalb er die Zuweisung in voller Höhe zurückzufordern habe.

Randnummer14

Die Zuweisung sei vom Eintritt der Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides an mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB für das Jahr zu verzinsen, Ziffer 8.5 der Verwaltungsvorschrift (VV-K) zu § 44 Abs. 1 Landeshaushaltsordnung (LHO) iVm § 117a Abs. 3 LVwG. Da während der Beschaffung gegen die Auflage verstoßen worden sei und somit vor Auszahlung der Zuweisung, beginne die Verzinsung mit dem Tag der Auszahlung (9. Oktober 2009). Als Endpunkt bestimmte der Beklagte den 6. Juni 2014 (vier Wochen nach Eingang der Stellungnahme der Klägerin im Rahmen des Anhörungsverfahrens).

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Mit Schreiben vom 15. Oktober 2015 erhob die Klägerin Widerspruch. Sie führte zur Begründung aus, der Rückforderungsbescheid vom 14. September 2015 sei verfristet. Die einjährige Widerrufsfrist des § 117 Abs. 3 Satz 2 LVwG iVm § 116 Abs. 4 LVwG habe mit Eingang ihrer Stellungnahme am 9. Mai 2014 begonnen und sei am 11. Mai 2015 (einem Montag) abgelaufen.

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Zumindest lägen keine schwerwiegenden Verstöße gegen das Vergaberecht vor. Sie habe sich auf eine Aussage eines Mitarbeiters des GPA vom 10. Juli 2007 verlassen, wonach eine Öffentliche Ausschreibung nicht erfolgen müsse, wenn – wie hier – ein Vorführfahrzeug beschafft werde. Sie sei daher nach § 3 Nr. 4 lit. m VOL/A berechtigt gewesen, den Auftrag freihändig zu vergeben.

Randnummer17

Jedenfalls habe sie gemäß § 3 Nr. 3 lit. a VOL/A eine Beschränkte Ausschreibung durchführen dürfen, weil für die Beschaffung des Feuerwehrfahrzeugs nur ein beschränkter Bieterkreis in Betracht gekommen sei. Feuerwehrfahrzeuge würden nur von einer geringen Anzahl an Unternehmen angeboten. Sie habe die nach § 4 VOL/A gebotene Erkundung des Bewerberkreises ordnungsgemäß durchgeführt, ihren Bedarf bestimmt und anschließend im Wege einer Beschränkten Ausschreibung all diejenigen Marktteilnehmer*innen zur Angebotsabgabe aufgefordert, die die technischen Anforderungen an das zu beschaffende Fahrzeug erfüllt hätten. Hinsichtlich der Beschaffungsart könnten ihr allenfalls Dokumentationsfehler zur Last gelegt werden, die jedoch keine vollständige Rückforderung rechtfertigten.

Randnummer18

Die Angebotsprüfung sei ordnungsgemäß dokumentiert worden. Sie habe entsprechend § 23 Nr. 2 Satz 1 VOL/A eine Überprüfung der Angebote auf fachliche und rechnerische Richtigkeit vorgenommen und dabei festgestellt, dass das Angebot der Oshkosh BAI Deutschland GmbH einen offensichtlichen Rechenfehler enthalten habe. Den habe sie gemäß § 23 Nr. 3 VOL/A aktenkundig gemacht. Nachdem sie die Bieterin über die Korrektur in Kenntnis gesetzt habe, habe ihr diese zur Bestätigung eine korrigierte Fassung des Angebots übersandt.

Randnummer19

Die Zuschlagsfrist sei zulässig verlängert worden. Sie habe sämtliche Bieter*innen gleichzeitig informiert und gemäß § 28 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A mündlich deren Einverständnis zur Verlängerung der Zuschlagsfrist eingeholt.

Randnummer20

Dass die Niederschrift der Angebotseröffnung nur von einem Mitarbeiter der Amtsverwaltung unterzeichnet worden sei, stelle einen reinen Formfehler dar, der keinen Einfluss auf das Vergabeverfahren habe.

Randnummer21

Hinsichtlich des Widerrufsermessens sei der Beklagte zu Unrecht davon ausgegangen, dass es intendiert sei. Bei den beanstandeten Vergaberechtsverstößen handele es sich nicht um schwerwiegende Verfahrensfehler, sondern in erster Linie um Dokumentationsmängel. Selbst wenn bei Verstößen gegen Auflagen hinsichtlich des „ob“ des Widerrufs ein intendiertes Ermessen bestünde, gelte dies nicht für die Frage, in welcher Höhe eine Rückforderung erfolge. Aus dem Rückforderungsbescheid sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte hinsichtlich der Höhe der Rückforderung überhaupt von seinem Ermessen Gebrauch gemacht habe.

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Eine Rückforderung in Höhe von 100 % sei insbesondere unverhältnismäßig. Bei Unregelmäßigkeiten rein formeller Art ohne tatsächliche oder formelle Auswirkungen, etwa bei wie hier vorliegenden Dokumentationsfehlern, sei eine Rückforderung in voller Höhe nicht gerechtfertigt.

Randnummer23

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. März 2016, zugestellt am 30. März 2016, wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, eine Verfristung liege nicht vor. Die Jahresfrist des § 117 Abs. 3 Satz 2 LVwG iVm § 116 Abs. 4 LVwG habe nicht bereits am 9. Mai 2014 zu laufen begonnen. Die Klägerin habe mehrfach ihre Stellungnahme ergänzt und dadurch das Anhörungsverfahren verlängert. In der Zeit von Juni 2014 bis Juni 2015 hätten mehrere Gespräche stattgefunden, in denen die Klägerin stets neue Aspekte vorgetragen habe. Erst nach dem 12. Juni 2015, dem letzten gemeinsamen Gesprächstermin, seien alle entscheidungsrelevanten Aspekte ausgearbeitet gewesen, so dass die Frist erst dann zu laufen begonnen habe.

Randnummer24

Die Klägerin habe die im Zuwendungsbescheid aufgegebene Maßgabe, das Vergaberecht einzuhalten, mehrfach nicht beachtet. Es sei unerheblich, ob sich die Vergabeverstöße als „schwerwiegend“ oder „weniger schwerwiegend“ darstellten, denn im Zuwendungsrecht komme es nur darauf an, ob objektiv Rechtsverstöße begangen worden seien.

Randnummer25

Einen sachlichen Grund für das Abweichen von der Öffentlichen Ausschreibung nach § 3 Nr. 2 VOL/A habe es nicht gegeben. Es bestehe ein großer Markt für Feuerwehrkraftfahrzeuge. Das ergebe sich aus den parallel zu diesem Vergabeverfahren durchgeführten Öffentlichen Ausschreibungen desselben Amtes.

Randnummer26

Die Klägerin habe zudem gegen die Grundsätze des fairen und gleichberechtigten Wettbewerbs nach § 2 VOL/A iVm § 97 GWB verstoßen In der Zeit vom 17. bis 25. März 2008 habe es zwischen dem Amt und der Oshkosh BAI Deutschland GmbH eine umfangreiche Korrespondenz gegeben, die weitergehend gewesen sei als eine bloße Kontaktaufnahme mit dem Ziel zu erfahren, ob die Oshkosh BAI Deutschland GmbH bereit sei, sich an einer Beschränkten Ausschreibung zu beteiligen. Dadurch sei der Firma ein nicht unerheblicher Wissensvorsprung und Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Anbieter*innen eingeräumt worden.

Randnummer27

Soweit nur ein Mitarbeiter der Amtsverwaltung die eingegangenen Angebote geöffnet habe, handele es sich nicht um einen reinen Formfehler, sondern um immanente Vorgaben eines vergaberechtlichen Verfahrens.

Randnummer28

Die nach § 23 Nr. 2 Satz 1 VOL/A vorzunehmende Prüfung der rechnerischen Richtigkeit des Angebots der Oshkosh BAI Deutschland GmbH hätte nur von der prüfenden Stelle in den Angebotsunterlagen selbst durchgeführt werden dürfen. Eine nachträgliche Berichtigung durch die Anbieterin sei unzulässig. Zudem seien zwischen der Öffnung des Angebots und der Zuschlagserteilung mit der Oshkosh BAI Deutschland GmbH unzulässige Preisverhandlungen geführt worden.

Randnummer29

Da die Verlängerung der Zuschlagsfrist mit den in Betracht kommenden Bieter*innen nur mündlich vereinbart worden sei, mangele es an der ordnungsgemäßen Dokumentation des Vergabeverfahrens gemäß § 30 VOL/A. Dies sei als weiterer Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften zu werten. Bei der unzureichenden Dokumentation handele es sich nicht nur um einen Formfehler, der keinen Einfluss auf das Vergabeverfahren habe. Der Vergabevermerk habe eine materiell-rechtliche Bedeutung. Die unzureichende Dokumentation sei ein objektiver Verstoß gegen die Nachprüfungsrechte, die der Kreis sich im Zuwendungsbescheid vorbehalten habe.

Randnummer30

Es lägen somit die Tatbestandsvoraussetzungen für den Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LVwG vor. Ob die Behörde von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch mache, stehe in ihrem Ermessen. Die zu beachtenden Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit überwögen im Allgemeinen das Interesse der Begünstigten, die Zuwendung behalten zu dürfen, und verböten einen großzügigen Verzicht auf den Widerruf von Subventionen.

Randnummer31

Hinsichtlich der Festsetzung der Höhe der Rückforderung stehe ihm kein Ermessen zu. Die Rückforderungssumme betrage stets 100 % der Zuwendungssumme. Weder das Haushaltsrecht noch das Zuwendungsrecht würden für die Rückforderung ein Abweichen von der gesamten Höhe der Zuwendungssumme kennen. Dies gelte erst recht nicht, wenn – wie hier – gravierend und wiederholt gegen das Vergaberecht und gegen weitere öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen worden sei.

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Die Klägerin hat am 2. Mai 2016 Klage beim Verwaltungsgericht erhoben.

Randnummer33

Sie hat ergänzend geltend gemacht, die einjährige Widerrufsfrist sei eine Ausschlussfrist, die von dem Beklagten nicht verlängert werden könne. Die Behörde könne nicht durch ein weiteres Betreiben des Anhörungsverfahrens in Form von Nachfragen den Fristbeginn immer weiter hinausschieben.

Randnummer34

Die Jahresfrist sei auch im Verhältnis zweier öffentlich-rechtlicher Körperschaften anwendbar. Dagegen spreche nicht das fehlende Vertrauensschutzerfordernis zwischen zwei öffentlichen Rechtsträgern. Die Jahresfrist diene neben dem Vertrauensschutz auch der Rechtssicherheit, worauf sie sich als Hoheitsträgerin berufen könne. Sie habe ein Interesse an der Rechtssicherheit gehabt, weil sie sich Klarheit über ihre finanziellen Planungsgrundlagen habe verschaffen müssen.

Randnummer35

Schwerwiegende Verstöße gegen das Vergaberecht lägen nicht vor. Sie habe das Angebot der Oshkosh BAI Deutschland GmbH annehmen dürfen, weil es um mehr als 25 % günstiger gewesen sei als das Ausschreibungsergebnis der Nachbargemeinde …. Sie habe das Angebot daher als „vorteilhafte Gelegenheit“ behandeln und den Auftrag gemäß § 3 Nr. 4 lit. m VOL/A im Wege der Freihändigen Vergabe erteilen dürfen. Der besonders günstige Preis sei von der Anbieterin gewährt worden, weil es sich um ein sog. Vorführfahrzeug gehandelt habe. Hätte sie nicht im Vorfeld der Beschaffung Kontakt mit der Anbieterin gehabt, hätte sie nicht von der vorteilhaften Gelegenheit erfahren. Obwohl dies aus vergaberechtlicher Sicht nicht erforderlich gewesen sei, habe sie drei weitere Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert.

Randnummer36

Im Rahmen der Ermessensausübung habe der Beklagte verkannt, dass ein sog. intendiertes Ermessen entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts höchstens bei einer Zweckverfehlung der Zuwendung in Betracht komme, nicht aber bei einem Verstoß gegen Auflagen. Das sei auch sachgerecht, weil die Zuwendungsgewährung bei einem Auflagenverstoß anders als bei der Verfehlung des Zuwendungszwecks nicht grundlos erfolge. Dass die Zuwendungen vorliegend nicht ihrem Zweck entsprechend verwendet worden seien, habe der Beklagte nicht geltend gemacht.

Randnummer37

Jedenfalls lägen aber im Hinblick darauf, dass die Vergabe in enger Abstimmung mit dem GPA erfolgt sei, atypische Gegebenheiten vor. Sie habe sich auf die Auskünfte des Mitarbeiters des GPA verlassen und deshalb von einer Öffentlichen Ausschreibung abgesehen. Sofern sich daraus Verstöße gegen das Vergaberecht ergeben hätten, habe der Beklagte diese schuldhaft mitverursacht. Das hätte bei der Entscheidung über die Rückforderung berücksichtigt werden müssen.

Randnummer38

Soweit der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid mitgeteilt habe, dass ihm hinsichtlich der Höhe der Rückforderung kein Ermessen zustehe und die Rückforderung stets 100 % der Zuwendungssumme betrage, sei dies mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar und widerspreche § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LVwG, wonach auch ein teilweiser Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes möglich sei.

Randnummer39

Die Klägerin hat beantragt,

Randnummer40

den Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 14. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. März 2016 aufzuheben.

Randnummer41

Der Beklagte hat beantragt,

Randnummer42

die Klage abzuweisen.

Randnummer43

Zur Begründung hat er ergänzend vorgetragen, das auf Rechtsfolgenseite eröffnete und grundsätzlich freie Widerrufsermessen habe sich hier zu einem intendierten Ermessen verdichtet. Das folge auch daraus, dass „Zweckverfehlung“ nach Ziffer 8.2.3 VV-K zu § 44 LHO nicht allein den inhaltlichen Zweck meine, nämlich die Beschaffung eines bestimmten Gegenstandes, sondern auch die Beachtung der Auflagen des Zuwendungsbescheides. Die Verwaltungsvorschrift habe ihre maßgebliche Grundlage im Haushaltsrecht. Dort überlagere der allgemeine Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit das gesamte Haushaltsrecht der jeweiligen Kommune. „Zweck“ im Sinne dieser Regelung sei letztendlich die rechtskonforme Beschaffung von Dienstleistungen oder Gegenständen und die ordnungsgemäße Verwendung der öffentlichen Mittel nach Maßgabe des Vergabe- oder Haushaltsrechts im Rahmen eines transparenten Verfahrens.

Randnummer44

Mit Urteil vom 6. April 2017 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe bei der Durchführung der Anschaffung eines Feuerwehrlöschfahrzeuges gegen die Vorschriften des Vergaberechts verstoßen. Die von der Klägerin durchgeführte Beschränkte Ausschreibung sei unzulässig gewesen. Die Vergabe hätte im Wege der Öffentlichen Ausschreibung erfolgen müssen.

Randnummer45

Die fehlerhafte Wahl des Vergabeverfahrens rechtfertige als schwerer Vergabeverstoß bereits im Regelfall den Widerruf einer Zuweisung, ohne dass der Zuweisungsgeber verpflichtet sei, einen zusätzlichen Verstoß gegen das Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Mittelverwendung zu belegen. Vielmehr indiziere die Missachtung des Vergaberechts die Unwirtschaftlichkeit.

Randnummer46

Von der sich daraus ergebenen Widerrufsmöglichkeit des § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LVwG habe der Beklagte rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht. Die Frage, ob dem Beklagten hier ein intendiertes Ermessen zustehe, könne offenbleiben, weil bereits der schwerwiegende Verstoß gegen die Auflage im Zuwendungsbescheid den Widerruf rechtfertige.

Randnummer47

Die Jahresfrist aus § 117 Abs. 3 Satz 2 iVm § 116 Abs. 4 Satz 1 LVwG stehe dem Widerruf des Bewilligungsbescheides nicht entgegen. Sie sei zum Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht abgelaufen. Erst nach den in der Zeit zwischen dem 17. Juni 2014 und dem 12. Juni 2015 geführten Gesprächen der Beteiligten, in denen es um die Rückforderung der Zuweisung gegangen sei, habe der Beklagte das Anhörungsverfahren als abgeschlossen angesehen. Die Jahresfrist habe daher erst im Juni 2015 zu laufen begonnen.

Randnummer48

Die geltend gemachte Zinsforderung in Höhe von 10.215,42 € beruhe auf § 117a Abs. 3 Satz 1 LVwG iVm Ziffer 9.4 ANBest-K und Ziffer 8.5 Satz 1 VV-K zu § 44 LHO.

Randnummer49

Gegen das am 21. April 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19. Mai 2017 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Die Berufung ist mit Beschluss vom 7. Dezember 2020 nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen worden.

Randnummer50

Die Klägerin trägt zur Begründung der Berufung vor, der angefochtene Rückforderungsbescheid sei erst nach der auch im Verhältnis zwischen den Beteiligten geltenden einjährigen Ausschlussfrist (§ 117 Abs. 3 Satz 2 LVwG iVm § 116 Abs. 4 LVwG) erlassen worden und daher rechtswidrig. Der Beklagte sei nach Eingang ihrer Stellungnahme im Anhörungsverfahren ohne weitere Sachaufklärung in der Lage gewesen, unter sachgerechter Ausübung seines Ermessens über den Widerruf des Verwaltungsaktes zu entscheiden.

Randnummer51

Der Anwendung der Ausschlussfrist stehe nicht entgegen, dass die Beteiligten als Gebietskörperschaften jeweils Hoheitsträger seien. Im Falle der Rücknahme eines anfänglich rechtswidrigen Verwaltungsaktes könnten sich öffentlich-rechtliche Körperschaften nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund ihrer Bindung an Art. 20 Abs. 2 GG zwar nicht auf die besonderen Vertrauensschutzvorschriften des § 48 Abs. 2 und 3 VwVfG berufen. Daraus folge jedoch nicht, dass sie kein Interesse an einer verlässlichen und bestandssicheren Entscheidung des staatlichen Zuwendungsgebers hätten. Vielmehr müssten auch die öffentlichen Zuwendungsempfänger mit den ihnen zugewiesenen Mitteln kalkulieren und sich auf eine staatlich verbindlich zugesagte Refinanzierung verlassen könne.

Randnummer52

Der Beklagte habe auch sein Widerrufsermessen fehlerhaft ausgeübt. Er habe von dem ihm auch im Hinblick auf die Höhe einer etwaigen Rückforderung zustehenden Ermessen ersichtlich keinen Gebrauch gemacht. Die Grundsätze des sog. intendierten Ermessens seien auf § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LVwG nicht anwendbar. Ein intendiertes Ermessen könne nur in Ausnahmefällen angenommen werden. Voraussetzung sei stets, dass die Richtung der Ermessensbetätigung vom Gesetz vorgezeichnet sei und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden dürfe. Es sei jeweils in Bezug auf die konkrete Vorschrift durch Gesetzesauslegung zu ermitteln, ob die jeweilige gesetzliche Ermächtigungsgrundlage beim Vorliegen ihrer Tatbestandsvoraussetzungen die Ermessensbetätigung in eine bestimmte Richtung vorzeichne. Bei Zuwendungen, die ihren Zweck verfehlten, habe das Bundesverwaltungsgericht ein intendiertes Ermessen wegen des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit angenommen, so dass im Regelfall das Widerrufsermessen nur durch den Widerruf fehlerfrei ausgeübt werden könne. Davon unterscheide sich der Widerruf aufgrund eines Auflagenverstoßes grundlegend. Der Norm lasse sich kein gesetzlicher Regelfall entnehmen, weil der Begriff „Auflage“ zu unbestimmt sei. Die enorme Bandbreite an formellen und materiellen Vorgaben gebiete es der Widerrufsbehörde im Fall eines Verstoßes, den Verstoß und seine konkreten Auswirkungen zu gewichten.

Randnummer53

In Bezug auf das Vergaberecht sei zu beachten, dass nicht jeder Verstoß gegen vergaberechtliche Vorgaben typischerweise auch zu einer unwirtschaftlichen Verwendung der Mittel führe. Daher sei der abstrakte Schluss von jedem vergaberechtlichen Verstoß auf einen zwingenden Widerruf der gesamten Zuwendung unzulässig. Erforderlich sei vielmehr eine wertende Gewichtung des angenommenen Vergaberechtsverstoßes unter besonderer Berücksichtigung der Haushaltsgrundsätze. Vorliegend hätte beachtet werden müssen, dass die gewährten Mittel zweckentsprechend verwendet worden seien, indem ein Feuerwehrfahrzeug beschafft worden sei, das noch heute im Betrieb sei. Zugleich wäre der Zeitablauf zu beachten gewesen und der Umstand, dass sie eine sehr kleine Gemeinde sei, für die die Rückforderung der gesamten Zuwendungssumme eine unverhältnismäßige Härte bedeute.

Randnummer54

Selbst bei unterstellter Übertragbarkeit der Grundsätze des intendierten Ermessens auf die streitentscheidende Norm des § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LVwG hätte der Beklagte den ihm zustehenden Ermessensspielraum erkennen und prüfen müssen, ob ausnahmsweise eine andere Entscheidung als der vollständige Widerruf des Zuwendungsbescheides in Betracht komme. Diesen Anforderungen genüge der angefochtene Widerspruchsbescheid nicht.

Randnummer55

Die Klägerin beantragt,

Randnummer56

das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 6. April 2017, Az. 12 A 136/16 sowie den angefochtenen Widerrufsbescheid des Beklagten vom 14. September 2015 – Az. 38.00/1852-08/Lo 26/2008 – in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 24. März 2016 – Az. II/38.00/1852-08/Lo 29/2008 – aufzuheben.

Randnummer57

Der Beklagte beantragt,

Randnummer58

die Berufung zurückzuweisen.

Randnummer59

Zur Begründung trägt er vor, die Widerrufsfrist sei zum Zeitpunkt des Widerrufsbescheids vom 14. September 2015 noch nicht abgelaufen. Es handele sich um eine Entscheidungsfrist, die zu laufen beginne, wenn der für die Rücknahme zuständige Amtswalter oder die zuständige Amtswalterin Kenntnis aller für die Entscheidung erheblichen Umstände und Tatsachen erlange. Insbesondere bei Ermessensentscheidungen sei regelmäßig ein Anhörungsverfahren durchzuführen, jedoch könne die Behörde auch außerhalb des Anhörungsverfahrens relevante Tatsachen erfahren und zusammentragen. Nur aufgrund des Umstandes, dass ein Anhörungsverfahren allein keine weiteren Erkenntnisse bringe, sei nicht automatisch darauf zu schließen, dass in sich anschließenden lösungsorientierten Gesprächen nicht ggf. Aspekte zu Tage treten könnten, die Einfluss auf die Ermessensentscheidung hätten. So habe es hier gelegen.

Randnummer60

In Bezug auf die Höhe der Rückforderung habe nicht nur entschieden werden müssen, ob der Zuwendungsbescheid überhaupt widerrufen werden solle, sondern auch, in welchem Umfang. Auch unter der etwaigen Annahme eines intendierten Ermessens in Fällen des Widerrufs von Subventionsbescheiden müsse sorgfältig geprüft werden, ob in dem konkreten Fall nicht ein atypischer Sachverhalt vorliege, der eine Abweichung von der regelmäßigen Entscheidung gebiete.

Randnummer61

Selbst wenn die Jahresfrist des § 116 Abs. 4 LVwG neben dem Vertrauensschutz auch der Rechtssicherheit diene, sei die Klägerin jedenfalls nicht schutzwürdig. Zumindest während der Gespräche bis April 2015 habe sie nicht auf den Bestand des Subventionsbescheides vertrauen können, denn dieser sei Gegenstand und Anlass für die Gespräche, um welche insbesondere die Klägerin insistierend nachgesucht habe. Jedenfalls wäre aufgrund der Gespräche aber die Frist analog § 203 BGB gehemmt gewesen.

Randnummer62

Auf Rechtsfolgenseite habe ein intendiertes Ermessen vorgelegen. Entgegen den Ausführungen der Klägerin sei die Annahme eines intendierten Ermessens nicht nur auf Fälle der Zweckverfehlung reduziert, sondern auch in Fällen des Auflagenverstoßes anerkannt. Auflagen stellten sich immer – ganz abstrakt – als belastend für den Adressaten und die Adressatin dar, unabhängig von der konkreten Ausgestaltung. Sie dienten dazu, die Auswirkungen eines genehmigten Handelns für die Allgemeinheit oder den Einzelnen/die Einzelne abzufedern und unter bestimmte Voraussetzungen der Regelungen zu stellen. Finanzhilfen, die von der öffentlichen Hand gewährt würden, unterlägen stets den allgemeinen Haushaltsgrundsätzen wie der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (Art. 114 Abs. 2 iVm Art. 109 GG, § 6 Abs. 1, 2 Haushaltsgrundsätzegesetz – HGrG –). In diesem Zusammenhang spiele das Vergaberecht und seine Berücksichtigung bei der Mittelverwendung eine entscheidende Rolle, weil es eines der stärksten Ausprägungen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sei. Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund, dass sich die öffentliche Hand fast ausschließlich von Steuergeldern finanziere. Daher könne der Verstoß gegen eine Auflage, durch die die Einhaltung der vergaberechtlichen Vorschriften angesichts der oben genannten Grundsätze sichergestellt werden solle, nur zu einer grundsätzlich uneingeschränkten Rückforderung der Finanzhilfe führen. Die oben genannten Haushaltsgrundsätze überwögen im Allgemeinen das Interesse des oder der Begünstigten, die Finanzhilfe anteilig behalten zu dürfen und verböten einen großzügigen Verzicht auf den anteiligen Widerruf von Subventionen und Zuwendungen. Aus diesen Gründen nehme die Rechtsprechung regelmäßig ein sog. intendiertes Ermessen an. Das Vergabeverfahren solle u. a. die Wirtschaftlichkeit der Auftragsvergabe sicherstellen, so dass ein falsch durchgeführtes oder mängelbehaftetes Vergabeverfahren die Unwirtschaftlichkeit der Auftragsvergabe indiziere, und zwar unabhängig davon, wie schwerwiegend der Verstoß oder der Mangel gewesen sei. Anderenfalls würde das Prinzip der Sanktion bei einem Auflagenverstoß nicht durchgesetzt oder der rechtliche Aussagegehalt einer Nebenbestimmung in unzulässiger Weise eingeschränkt werden. Denn es könne keinen minderschweren oder gravierenden Verstoß gegen die Haushaltsgrundsätze geben, sondern eben nur einen festgestellten Verstoß.

Randnummer63

Hinsichtlich der Höhe der Rückforderung gebe es in einigen Bundesländern (bspw. Hessen, Nordrhein-Westfahlen) Verwaltungsvorschriften, Richtlinien und Erlasse zu den Landeshaushaltsordnungen, an denen sich die Zuwendungsgeber orientieren könnten. Schleswig-Holstein habe derartige Richtlinien oder Erlasse nicht geschaffen, so dass es an einer Rechtsgrundlage fehle, an der sich orientiert werden könne, was ein schwerer oder was ein minderschwerer Verstoß des Vergaberechts sei. Eine solche Qualifikation dürfe der Zuwendungsgeber nicht vornehmen. Eine wie auch immer geartete Klassifizierung eines Verstoßes gegen Vergaberegelungen und somit eine Bestimmung von Prozentsätzen hinsichtlich der Höhe der Rückforderungssumme dürfe jeder Zuwendungsgeber nur für sich und ausschließlich anhand des Haushaltsrechts vornehmen. Das bedeute auch, dass ein Verstoß gegen vergaberechtliche Regelungen, welcher für sich genommen aus vergaberechtlicher Sicht weder dem Zuwendungszweck noch dem Wirtschaftlichkeitsgebot widerspräche, nicht gewichtet werden könne, solange keine Atypik, z. B. erkennbar unbedeutende Verstöße ohne Außenwirkung, vorliege. Eine solche Atypik habe im vorliegenden Fall, in dem bewusst von der vorgeschriebenen Vergabeart abgewichen worden sei, nicht vorgelegen, so dass kein Raum für eine weitergehende Ermessensausübung gegeben sei.

Randnummer64

Der angefochtene Widerspruchsbescheid zeige auf, dass sich bei der Entscheidungsfindung sehr wohl über etwaige Ausnahmetatbestände eines intendierten Ermessens bewusst gewesen sei, diese Ausnahmen jedoch mangels eines Sachgrundes und hinsichtlich der Höhe der Rückforderung auch mangels einer Rechtsgrundlage schlicht nicht vorgelegen hätten. Selbst dann, wenn der Rechtsverstoß nicht zur Unwirtschaftlichkeit führe, seien immer noch die Aspekte des fairen Wettbewerbs, der Transparenz der Auftragsvergabe und der Gewährleistung gleicher Wettbewerbschancen betroffen. Davon abgesehen begründe bereits der Verstoß gegen § 3 Nr. 1 Abs. 1 und 2 VOL/A eine derartige Missachtung sämtlicher Zwecke des Vergaberechts, dass es für einen rechtmäßigen Widerruf überhaupt keiner weiteren Verstöße mehr bedurft habe.

Randnummer65

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Randnummer66

Die zulässige Berufung ist begründet.

Randnummer67

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 14. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. März 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Randnummer68

Rechtsgrundlage für den Widerruf des Zuwendungsbescheids ist § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LVwG Danach kann ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und die oder der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb der ihr oder ihm gesetzten Frist erfüllt hat.

Randnummer69

Die tatbestandlichen Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerin hat die mit dem Zuwendungsbescheid vom 7. November 2007 verbundene Auflage nicht erfüllt (I.). Der Beklagte hat jedoch das ihm auf Rechtsfolgenseite zustehende Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt (II.).

Randnummer70

  1. Der Zuwendungsbescheid vom 7. November 2007 war mit einer Nebenbestimmung in Form einer Auflage im Sinne des § 107 Abs. 2 Nr. 4 LVwG verbunden. Der Bescheid vom 7. November 2007 enthält folgende Formulierung:

Randnummer71

„Gem. 1.4 der Richtlinie zur Förderung des Feuerwehrwesens sind bei der Durchführung von Beschaffungen die Vorschriften des Vergaberechts einzuhalten.

Randnummer72

Ich behalte mir vor, die Zuweisung bei Nichteinhaltung der Vergabevorschriften zurückzufordern.“

Randnummer73

Die Verpflichtung zur Einhaltung der Vergaberechtsvorschriften als Hinweis auf das Gesetz stellt für sich genommen noch keine Auflage dar. Maßgeblich für den Auflagencharakter ist der Vorbehalt der Rückforderung, denn damit macht der Beklagte deutlich, die vergaberechtswidrige Verwendung der Mittel an weitergehende Konsequenzen zu knüpfen.

Randnummer74

Diese Auflage hat die Klägerin nicht erfüllt. Sie hat gegen die Vorschriften des Vergaberechts, die Verdingungsordnung für Leistungen – Teil A, in der hier einschlägigen Fassung vom 6. April 2006 (VOL/A), Abschnitt 1, verstoßen. Die Durchführung einer Beschränkten Ausschreibung im Sinne des § 3 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A war nicht zulässig.

Randnummer75

Gemäß § 3 Nr. 2 VOL/A muss bei der Vergabe von Leistungen eine Öffentliche Ausschreibung stattfinden, soweit nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Randnummer76

Zunächst rechtfertigt der geschätzte Auftragswert für das Feuerwehrfahrzeug kein Abweichen von der Öffentliche Ausschreibung. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 der Schleswig-Holsteinischen Vergabeordnung (SHVgVO) vom 3. November 2005 (GVBl. Nr. 16 vom 24. November 2005 S. 524) iVm § 3 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A ist eine Beschränkte Ausschreibung unterhalb eines geschätzten Auftragswertes von 50.000 € zulässig. Dieser Wert wurde überschritten. Die Klägerin ist von einem Auftragswert von 140.000 € ausgegangen.

Randnummer77

Gemäß § 3 Abs. 3a VOL/A kann eine Beschränkte Ausschreibung auch stattfinden, wenn die Leistung nach ihrer Eigenart nur von einem beschränkten Kreis von Unternehmen in geeigneter Weise ausgeführt werden kann, besonders, wenn außergewöhnliche Fachkunde oder Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit erforderlich ist. Die Norm ist aufgrund ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen und betrifft nur spezielle Leistungen, die objektiv aus der Sicht neutraler Dritter nur von einem oder zumindest sehr wenigen spezialisierten Unternehmen erbracht werden können. Anknüpfungspunkt muss dabei eine Eigenart der zu beschaffenden Leistung sein, die eine sachgerechte Ausführung nur von einem auf diese Eigenart spezialisierten, besonders geeigneten Unternehmen möglich erscheinen lässt (OLG Naumburg, Beschluss vom 10. November 2003 – 1 Verg 14/03 – juris Rn. 28). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Randnummer78

Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass nur ein beschränkter Kreis von Unternehmen die von ihr geforderten Leistungen ausführen kann und deshalb eine Beschränkte Ausschreibung durchzuführen war. In ihrem nach der Durchführung des Vergabeverfahrens am 29. Juni 2010 angefertigten Vermerk gibt die Klägerin zwar an, dass nur zwei Firmen ein Fahrgestell, das den Anforderungen der Euro-V-Norm entspreche, liefern könnten. Weiter belegt hat sie diesen Umstand nicht. Zu der Angebotslage hinsichtlich des gewünschten Fahrzeugaufbaus äußert sich der Vermerk nicht.

Randnummer79

Der Beklagte ist dem Vorbringen der Klägerin zum eingeschränkten Unternehmerkreis im erstinstanzlichen Verfahren entgegengetreten, indem er mehrere Firmen benannt hat, die auf dem Markt für Feuerwehrfahrzeuge tätig sind. Die Klägerin erklärt insoweit, dass die Fahrgestelle und Aufbauten unterschiedlicher Hersteller*innen nicht immer kompatibel seien und nur wenige Kombinationsmöglichkeiten bestünden, weshalb sich der Anbieterkreis deutlich reduziert habe. Die Eingrenzung auf die angeschriebenen Hersteller*innen ist dadurch jedoch nicht nachvollziehbar erläutert. Die Klägerin hätte beispielsweise erklären können, zwischen welchen Hersteller*innen Kompatibilitätsprobleme bestehen.

Randnummer80

Nicht dargelegt ist weiter, dass die Klägerin eine ausreichende Marktübersicht hatte und deshalb von einer Erkundung des in Betracht kommenden Bewerberkreises absehen konnte, § 4 Nr. 1 VOL/A. Die Klägerin gibt zwar im Schriftsatz vom 3. April 2017 an, dass sie Markterkundung durchgeführt habe. Belege darüber legt sie jedoch nicht vor und finden sich auch nicht in der Vergabeakte.

Randnummer81

Die Klägerin bringt vor, die Durchführung der Beschränkten Vergabe könne ihr jedenfalls nicht entgegengehalten werden. Sie hätte zulässigerweise eine Freihändige Vergabe im Sinne des § 3 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A durchführen dürfen, weil es sich bei dem Angebot der Oshkosh BAI Deutschland GmbH um eine „vorteilhafte Gelegenheit“ im Sinne des § 3 Nr. 4 lit. m VOL/A gehandelt habe. Indem sie das an strengere Voraussetzungen geknüpfte formelle Vergabeverfahren mit Wettbewerb durchgeführt habe, obwohl sogar eine formlose Freihändige Vergabe materiell möglich gewesen wäre, könne die Durchführung der Beschränkten Vergabe nicht zu ihren Lasten gewertet werden. Dem ist nicht zu folgen.

Randnummer82

Der Klägerin mag zwar zuzustimmen sein, dass sich eine „vorteilhafte Gelegenheit“ im Sinne des § 3 Nr. 4 lit. m VOL/A gegebenenfalls erst im Rahmen einer bereits begonnenen Ausschreibung ergeben kann. Die Klägerin trägt insofern vor, dass sie bei dem von der Oshkosh BAI Deutschland GmbH angebotenen Fahrzeug schnell habe handeln müssen, um sich den besonderen finanziellen Vorteil des angebotenen Vorführfahrzeugs zu sichern. Das Fahrzeug sei im Vergleich zum Marktpreis über 25 % günstiger gewesen. Es sei davon auszugehen gewesen, dass für den Großraum Norddeutschland lediglich ein Vorführfahrzeug vorhanden sei, das zügig veräußert werden würde. Ob es sich dabei tatsächlich um eine „vorteilhafte Gelegenheit“ im Sinne des § 3 Nr. 4 lit. m VOL/A gehandelt hat, kann dahinstehen. Die „vorteilhafte Gelegenheit“ und damit die Begründung der Zulässigkeit einer Freihändigen Vergabe beträfe schon nur den Fahrzeugaufbau. Das Fahrgestell wurde im Wege der Beschränkten Vergabe beschafft. Insoweit konnte die Klägerin nicht belegen, dass die Voraussetzungen für eine Beschränkte Vergabe vorlagen. Jedenfalls kann die Klägerin aber die fehlerhafte Wahl des Vergabeverfahrens nicht damit rechtfertigen, dass eine andere, von ihr nicht durchgeführte, Vergabeart rechtmäßig gewesen wäre. Im Übrigen ist eine Freihändige Vergabe über denselben Gegenstand auch nur dann zulässig, wenn zuvor – wie hier nicht erfolgt – die Beschränkte Ausschreibung aufgehoben wurde, § 26 Nr. 5 VOL/A.

Randnummer83

Darüber hinaus hat die Klägerin gegen das Wettbewerbsverbot, das sich aus § 2 Nr. 1 VOB/A ableitet, und das Verbot der Diskriminierung anderer Anbieter*innen aus § 2 Nr. 2 VOL/A verstoßen, indem es der Oshkosh BAI Deutschland GmbH vorab die Ausschreibungsunterlagen hat zukommen lassen und von ihr ein sog. Informationsangebot eingeholt hat. Zugleich wurde eine weitere Firma ohne nachvollziehbare Begründung von der Beschränkten Ausschreibung ausgeschlossen, der ebenfalls vorab die Ausschreibungsunterlagen zugesandt wurden. Ziel des Vergaberechts ist der faire Wettbewerb der Anbieter*innen und ein transparentes und nichtdiskriminierendes Verfahren für alle Bewerber*innen zu gewährleisten. Der Oshkosh BAI Deutschland GmbH wurde durch die Vorabinformation ein erheblicher Wissens- und Zeitvorsprung und somit ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Anbieter*innen eingeräumt. Deswegen kann dem Vortrag der Klägerin, es sei ein üblicher Vorgang, unverbindliche Leistungsangebote einzuholen, nicht gefolgt werden. Selbst wenn es üblich wäre, vorab unverbindliche Leistungsangebote zu beschaffen, ist vorliegend festzustellen, dass nicht mehrere Angebote angefordert wurden, sondern lediglich ein Unternehmen aufgefordert wurde, ein Vorabangebot abzugeben.

Randnummer84

Die Klägerin hat auch gegen § 22 Nr. 2 Abs. 2 und § 22 Nr. 4 Abs. 3 VOL/A verstoßen. Nach diesen Normen muss in der Verhandlung zur Öffnung der Angebote neben dem Verhandlungsleiter oder der Verhandlungsleiterin ein weiterer Vertreter oder eine weitere Vertreterin des Auftraggebers anwesend sein und beide müssen die Niederschrift über die Öffnung der Angebote unterschreiben. Dies ist nicht geschehen. Die Niederschrift wurde nur von dem Verhandlungsleiter ausgefüllt und unterschrieben. Dementsprechend geht das Gericht davon aus, dass bei der Öffnung der Angebote eine weitere Vertreterin oder ein weiterer Vertreter nicht anwesend war. Dem ist die Klägerin nicht entgegengetreten.

Randnummer85

Die im Rahmen der Öffnung der Angebote vorgenommene Korrektur des Angebots der Oshkosh BAI Deutschland GmbH wurde entgegen § 23 Nr. 2 und 3 VOL/A nicht ausreichend dokumentiert. Nach § 23 Nr. 2 Satz 1 VOL/A sind die Angebote auf Vollständigkeit sowie auf rechnerische und fachliche Richtigkeit zu überprüfen. Das Ergebnis der Prüfung ist gemäß § 23 Nr. 2 VOL/A aktenkundig zu machen. Den Akten ist zu entnehmen, dass das Angebot der Oshkosh BAI Deutschland GmbH von dem Verhandlungsleiter von 93.611,53 € auf 92.715,92 € korrigiert wurde. Die Firma hat der Klägerin nachträglich ein Angebotsblatt mit dem korrigierten Angebotspreis zukommen lassen. Wie das korrigierte Ergebnis zustande gekommen ist, ergibt sich nicht aus den Akten. Insofern fehlt es an einer Berechnung, aus der sich ein Rechenfehler ergibt.

Randnummer86

Der Auftrag ist auch erst nach Ablauf der Zuschlagfrist erteilt worden. Gemäß § 28 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A kann die Zuschlagfrist zwar im Einvernehmen mit den in Frage kommenden Bieter*innen verlängert werden, wenn sich der Zuschlag verzögert. Vorliegend endete die Zuschlagfrist ausweislich der Angebotsaufgabe durch die Klägerin am 9. Mai 2008. Den Zuschlag erhielten die Oshkosh BAI Deutschland GmbH für den Fahrzeugaufbau und die Firma Mercedes-Benz für das Fahrgestell erst am 28. Mai 2008. Inwiefern und warum sich vorliegend der Zuschlag verzögert hat und eine Verlängerung vereinbart wurde, ist den Akten nicht zu entnehmen. Die Klägerin trägt vor, dass sie mit den Bieter*innen mündlich eine Verlängerung der Zuschlagfrist vereinbart habe. Dargelegt ist der Umstand nicht. In den Akten findet sich kein Vermerk über diese Gespräche.

Randnummer87

Schließlich fehlt es an einer ausreichenden Dokumentation des Vergabeverfahrens. Gemäß § 30 Nr. 1 VOL/A ist über die Vergabe ein Vermerk zu fertigen, der die einzelnen Stufen des Verfahrens, die Maßnahmen, die Feststellung sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen enthält. Diese Verpflichtung dient der Transparenz des Vergabeverfahrens und soll das Vergabeverfahren überprüfbar machen. Ein vollständiger Vergabevermerk kann naturgemäß erst nach der endgültigen Vergabeentscheidung angefertigt werden. § 30 Nr. 1 VOL/A ist im Sinne des Transparenzprinzips aber so auszugelegt, dass das Vergabeverfahren und alle wesentlichen Entscheidungen laufend und nachvollziehbar zu dokumentieren sind (vgl. Vergabekammer München, Beschluss vom 19. Januar 2009 – Z3-3-3194-1-41-11-08 – juris Rn. 91). Die im Vergabevermerk enthaltenen Angaben und die in ihm mitgeteilten Gründe für die getroffenen Entscheidungen müssen so detailliert gemacht werden, dass sie für mit der Sachlage des jeweiligen Vergabeverfahrens betraute Leser*innen nachvollziehbar sind (vgl. Vergabekammer Freistaat Thüringen, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 250-4003.20-2249/2010-007-SLF – juris Rn. 177). Dies ist vorliegend nicht geschehen.

Randnummer88

Die Klägerin hat am 13. Mai 2008 sowie am 29. Juni 2010 jeweils einen Vergabevermerk angefertigt. Beide Vermerke entsprechen jedoch nicht den Anforderungen des § 30 Nr. 1 VOL/A. Sie enthalten lediglich Feststellungen zur Wahl des Vergabeverfahrens und zur Auswahl der angeschriebenen Unternehmen. Eine nachvollziehbare Begründung der einzelnen Entscheidungen und Stufen des Verfahrens fehlt. Die Vergabeentscheidungen sind – wie bereits aufgezeigt – nur zum Teil nachvollziehbar. Ob die Dokumentationsmängel jederzeit nachträglich geheilt werden können, wie die Klägerin meint, kann dahinstehen, denn dies ist bis zum Abschluss des Berufungsverfahren nicht geschehen.

Randnummer89

  1. Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen eröffnet § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LVwG dem Beklagten auf Rechtsfolgenseite ein Ermessen. Dies hat der Beklagte jedoch nicht fehlerfrei ausgeübt. Eine Ermessensentscheidung kann nach § 114 Satz 1 VwGO vom Gericht nur daraufhin geprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden, von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde oder die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen gar kein Gebrauch gemacht hat. So liegt es hier. Dem Beklagten ist ein Ermessensfehler in Form des Ermessensnichtgebrauchs unterlaufen.

Randnummer90

Es kann dahinstehen, ob § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LVwG im Hinblick auf den zu beachtenden haushaltsrechtlichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit dahin auszulegen wäre, dass im Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne auszugehen ist. Denn auch in einem solchen Fall des sogenannten intendierten Ermessens müssen bei einem vom Regelfall abweichenden Sachverhalt besondere Umstände bei der Entscheidung berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 1997 – 3 C 22.96 – juris Rn. 14). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass die Behörde auch in Fällen des intendierten Ermessens den ihr zustehenden Ermessensspielraum erkennt und prüft, ob ausnahmsweise eine andere Entscheidung als der vollständige Widerruf des Zuwendungsbescheides in Betracht kommt. Dabei kann u. a. auch die Schwere der Pflichtverstöße beachtlich sein (vgl. Beschluss des Senats vom 18. Dezember 2020 – 5 LA 179/20 – juris Rn. 4, mit Verweis auf: BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – 3 C 22.02 – juris Rn. 36).

Randnummer91

Daran fehlt es hier. Der Beklagte ist davon ausgegangen, dass ihm nur hinsichtlich des „ob“ des Widerrufs, jedoch nicht hinsichtlich der Höhe der Rückforderung ein Ermessen zusteht. Das folgt aus dem Widerrufsbescheid vom 14. September 2014, in dem der Beklagte formuliert, dass es in seinem Ermessen stehe, ob er von seinem Widerrufsrecht Gebrauch mache (dort S. 8). Zu einem Ermessen hinsichtlich der Höhe der Rückforderung äußert er sich dort nicht. Deutlicher ist es im Widerspruchsbescheid vom 24. März 2016 formuliert (dort S. 16, dritter Absatz): „Hinsichtlich der Festsetzung der Höhe der Rückforderung steht mir kein Ermessen zu. Die Rückforderungssumme beträgt stets 100 % der Zuwendungssumme.“ Zwar kann auch in den Fällen des intendierten Ermessens von einer weiteren Begründung der Entscheidung abgesehen werden, soweit nicht atypische Umstände vorliegen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Dennoch muss deutlich werden, dass die Behörde erkannt hat, dass ihr überhaupt ein Ermessen zusteht.

Randnummer92

Der Beklagte führt dazu erläuternd aus, dass es für einen teilweisen Widerruf an einer Rechtsgrundlage fehle. Anders als in einigen Bundesländern gebe es in Schleswig-Holstein keine Verwaltungsvorschriften, Richtlinien und Erlasse zu den Landeshaushaltsordnungen, an denen sich orientiert werden könne, was ein schwerer oder was ein minderschwerer Verstoß des Vergaberechts sei. Eine solche Qualifikation dürfe er als Zuwendungsgeber nicht vornehmen. Diese Annahme geht fehl. Der Beklagte übersieht, dass ihm ein dahingehendes Ermessen eingeräumt ist. Die Richtlinien, Erlasse oder Verwaltungsvorschriften der anderen Bundesländer mögen eine ermessenslenkende Wirkung haben, sie ersetzen jedoch nicht das den dortigen Behörden zustehende Ermessen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2013 – 3 B 58.12 – juris Rn. 8). Umso weniger bedeutet das Fehlen von vergleichbaren Richtlinien, Erlassen oder Verwaltungsvorschriften in Schleswig-Holstein, dass dem Beklagten kein Ermessen eingeräumt ist.

Randnummer93

Vorliegend hätte Anlass zu Ermessenserwägungen bestanden, weil die Klägerin gleich mehrfach gegen vergaberechtliche Vorschriften verstoßen hat. Die einzelnen Verstöße, beispielsweise die fehlerhafte Wahl des Vergabeverfahrens, der Wettbewerbsverstoß und auch – entgegen der Ansicht der Klägerin – die Dokumentationsmängel, können grundsätzlich schwerwiegende Verstöße darstellen (vgl. Vergabekammer des Saarlandes, Beschluss vom 23. Januar 2006 – 1 VK 06/2005 –, juris Rn. 69 zur schwerwiegenden Verletzung des Transparenzprinzips durch eine nicht ordnungsgemäße Dokumentation). Zugleich hätte der Beklagte bewerten müssen, ob und inwiefern sich diese Verstöße auf den haushaltsrechtlichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auswirken (vgl. Beschluss des Senats vom 18. Dezember 2020 – 5 LA 179/20 – juris Rn. 5).

Randnummer94

Gleiches gilt auch für den Umstand, dass der Widerruf vorliegend einen weiter zurückliegenden Zeitraum erfasst und eine hohe Rückzahlungspflicht auslöst, die für eine kleine Gemeinde wie die Klägerin eine erhebliche finanzielle Belastung darstellen dürfte. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob der Widerruf aus Gründen der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall auf bestimmte Zeiträume oder in anderer Weise zu beschränken ist. Eine derartige Sachlage bietet vom Regelfall eines Widerrufs abweichende Umstände, die eine andere Entscheidung als den vollständigen Widerruf des ergangenen Zuwendungsbescheids als möglich und gegebenenfalls sogar als geboten erscheinen lassen können (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – 3 C 22.02 – juris Rn. 36).

Randnummer95

Weshalb nach der Auffassung des Beklagten die Berücksichtigung der Schwere des vergaberechtlichen Verstoßes im Rahmen der Ermessensausübung und die Möglichkeit eines beschränkten Widerrufs mit § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LVwG unvereinbar sein soll, erschließt sich nicht. Die Feststellung der Schwere eines Pflichtverstoßes und die daraus resultierenden Folgen für den Widerruf eines Zuwendungsbescheids sind Teil des von dem Beklagten stets zu prüfenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. Beschluss des Senats vom 18. Dezember 2020 – 5 LA 179/20 – juris Rn. 8).

Randnummer96

Der vollständige Widerruf rechtfertigt sich auch nicht dadurch, dass – wie der Beklagte meint – mit der Beschaffung des Feuerwehrfahrzeugs eine Zweckverfehlung im Sinne der Ziffer 8.2.3. der VV-K zu § 44 LHO vorliege. Gemäß Ziffer 8.2.3. der VV-K zu § 44 LHO hat die Bewilligungsbehörde regelmäßig einen Zuwendungsbescheid mit Wirkung auch für die Vergangenheit ganz oder teilweise nach § 117 Abs. 3 LVwG unverzüglich zu widerrufen und die Zuwendung, auch wenn sie bereits verwendet worden ist, zurückzufordern, soweit sie nicht oder nicht mehr ihrem Zweck entsprechend verwendet worden ist. Soweit der Beklagte vorträgt, die Verwaltungsvorschrift meine nicht allein den inhaltlichen Zweck, nämlich die Beschaffung eines bestimmten Gegenstandes, sondern auch den Zweck der Beachtung der Auflagen des Zuwendungsbescheides, kann ihm nicht gefolgt werden. Nach § 23 LHO sind Zuwendungen Leistungen zur Erfüllung bestimmter Zwecke. Diese dürfen nur veranschlagt werden, wenn das Land an der Erfüllung dieser Zwecke ein erhebliches Interesse hat. Die Einhaltung des Vergaberechts ist nicht Zweck der Zuwendung, sondern hat eine dienende Funktion. Aus der Zusammenschau von §§ 44, 23 LHO folgt – entgegen der Auffassung des Beklagten – nichts Anderes (vgl. Beschluss des Senats vom 18. Dezember 2020 – 5 LA 179/20 – juris Rn. 9). Darüber hinaus hat die Klägerin die Zuweisung zweckentsprechend verwendet, nämlich zur Anschaffung eines Feuerwehrfahrzeugs.

Randnummer97

Der Widerruf des Zuwendungsbescheids gemäß § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LVwG ist nach alledem rechtswidrig. Auf die Frage, ob die Jahresfrist gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 LVwG iVm § 116 Abs. 4 Satz 1 LVwG bereits vor Erlass des Widerrufsbescheids verstrichen war und ob sich die Klägerin als öffentlich-rechtliche Hoheitsträgerin auf die Jahresfrist berufen kann, kommt es daher nicht an.

Randnummer98

Aus der Rechtswidrigkeit des Widerrufs des Zuwendungsbescheids folgt die Rechtswidrigkeit der Erstattungsforderung und der Zinsforderung, § 117a Abs. 1 Satz 1, § 117a Abs. 3 Satz 1 LVwG.

Randnummer99

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Randnummer100

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm § 711, § 708 Nr. 10 ZPO.

Randnummer101

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

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Nachprüfungsantrag ist unzulässig, soweit Vergaberechtsverstöße, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden

Nachprüfungsantrag ist unzulässig, soweit Vergaberechtsverstöße, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden

von Thomas Ax

Nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Vergaberechtsverstöße, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden.

Die Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ist objektiv zu bestimmen. Eine die Rügeobliegenheit auslösende Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ist – immer bezogen auf den konkreten Einzelfall – zu bejahen, wenn der Verstoß von einem durchschnittlichen fachkundigen Bieter des angesprochenen Bieterkreises bei üblicher Sorgfalt und üblichen Kenntnissen erkannt werden kann (Senat, Beschl. v. 03.04.2019 – VII Verg 49/18, juris Rn 183; Beschl. v. 26.07.2018 – VII Verg 23/18; Beschl. v. 28.03.2018 – VII Verg 54/17, juris Rn 17 und Beschl. v. 15.01.2020 – VII Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn 37). Dabei muss sich die Erkennbarkeit sowohl auf die den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen (Dicks, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 160 Rn 49).

In Bezug auf die zu rügenden Vergaberechtsverstöße, welche sich aus den Vergabeunterlagen ergeben (§ 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB) ist für eine Präklusion mithin erforderlich, dass der Inhalt der Unterlagen bei laienhafter rechtlicher Bewertung, also ohne Bemühung besonderen Rechtsrats, auf einen Vergaberechtsverstoß hindeutet. Das setzt regelmäßig voraus, dass die Rechtsvorschriften, gegen die verstoßen wird, zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der beteiligten Bieterkreise gehören (Senat, Beschl. v. 26.07.2018 – VII Verg 23/18; Beschl. v. 15.01.2020 – VII Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn 37; OLG München, Beschl. v. 22.10.2015 – Verg 5/15, juris Rn 43). Eine Rügepräklusion kommt damit in der Regel nur für auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhende und ins Auge fallende Rechtsverstöße in Betracht (vgl. Dicks, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 160 Rn 49).

Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem durchschnittlich erfahrenen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebotes beziehungsweise seiner Bewerbung auffallen muss (Senat, Beschl. v. 03.08.2011 – VII Verg 16/11, ZFBR 2021, 72, 74). Daher genügt es nicht, wenn die gerügten Verstöße gegen das Transparenz und Wirtschaftlichkeitsgebot bereits in der Leistungsbeschreibung angelegt waren (Senat, Beschl. v. 02.05.2018 – VII Verg 3/18, zitiert nach juris Rn 24 ff.). So können etwa von einem durchschnittlich fachkundigen Bieter, auf den abzustellen ist (vgl. Wiese, in: Kulartz / Kus / Portz / Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Auflage, § 160 GWB Rn. 157 mwN), vertiefte Rechtskenntnisse, die es erlauben, die Vergaberechtskonformität eines Bewertungssystems zu beurteilen, nicht zu erwartet werde (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.04.2015, VII-Verg 35/14, juris Rn. 59).

Auftraggeber kann Mindestanforderungen an die Referenzen stellen

Auftraggeber kann Mindestanforderungen an die Referenzen stellen

von Thomas Ax

Der Auftraggeber ist berechtigt, als Beleg der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit des Bewerbers je nach Art, Verwendungszweck und Menge oder Umfang der zu erbringenden Dienstleistungen die Vorlage von geeigneten Referenzen über früher ausgeführte Dienstleistungen zu verlangen. Die in den Referenzen benannten “Referenzaufträge” müssen zum Nachweis der beruflichen und technischen Leistungsfähigkeit geeignet sein. Welche Art von Aufträgen der Auftraggeber nach Leistungsinhalt und -umfang für “geeignet” hält, kann er vorab unter Berücksichtigung der zu vergebenden Leistungen definieren.

Der Auftraggeber kann auch Mindestanforderungen an die Referenzen festlegen. Dabei hat er wie bei der Festlegung der Eignungsanforderungen einen Festlegungsspielraum. Entscheidend ist, ob aus verständiger Sicht der Vergabestelle ein berechtigtes Interesse an der im Verfahren aufgestellten Forderung besteht, so dass diese als sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig erscheint und den Bieterwettbewerb nicht unnötig einschränkt. Der öffentliche Auftraggeber darf diejenigen Anforderungen an den Nachweis stellen, die zur Sicherstellung des Erfüllungsinteresses erforderlich sind, die mit den gesetzlichen Bestimmungen im Einklang stehen und die nicht unverhältnismäßig, nicht unangemessen und für den Bieter nicht unzumutbar sind.

Voraussetzung für den Erfolg eines Nachprüfungsantrags ist, dass der Antragsteller bei ordnungsgemäßem Vergabeverfahren eine Zuschlagschance hat oder gehabt hätte

Voraussetzung für den Erfolg eines Nachprüfungsantrags ist, dass der Antragsteller bei ordnungsgemäßem Vergabeverfahren eine Zuschlagschance hat oder gehabt hätte

von Thomas Ax

Das Nachprüfungsverfahren dient der Verwirklichung subjektiver Bieterrechte, nämlich der Wahrung der Zuschlagschancen im Rahmen eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens. Nur derjenige, dessen Chancen auf den Auftrag durch den Vergaberechtsverstoß beeinträchtigt werden können, wird durch ein fehlerhaftes Vergabeverfahren in seinen Bieterrechten beeinträchtigt (OLG München, Beschluss vom 12. Mai 2011, Verg 26/10 – Leittechnik, NZBau 2011, 630 [634, juris Rn. 73]; Opitz in Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, § 127 Rn. 178 m. w. N.).

Voraussetzung für den Erfolg des Nachprüfungsantrags ist daher, dass der Antragsteller bei ordnungsgemäßem Vergabeverfahren eine Zuschlagschance hat oder gehabt hätte. Scheidet ein Zuschlag zugunsten eines Bieters von vorneherein aus (etwa weil sein Angebot zwingend auszuschließen ist oder er in der Wertung zweifelsfrei weit abgeschlagen ist) und steht darüber hinaus fest, dass der Bieter selbst bei ordnungsgemäßer Korrektur des Vergabeverfahrens den Zuschlag nicht erhalten kann, ist sein Nachprüfungsantrag mangels Eingriffs in seine geschützten Bieterrechte unbegründet (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2019, Verg 13/19 – Ticketsystem, VergabeR 2021, 112 [juris Rn. 106]; KG, Beschluss vom 15. Februar 2019, Verg 9/17, juris Rn. 61).

Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind, werden von der Wertung ausgeschlossen

Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind, werden von der Wertung ausgeschlossen

von Thomas Ax

Nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV werden Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind, von der Wertung ausgeschlossen.

Grundsätzlich liegt eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht (vgl. OLG Düsseldorf, B.v. 22.03.2017, Verg 54/16). Ob eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont festzustellen.

Maßgeblich ist hinsichtlich der Vergabeunterlagen der Empfängerhorizont der potentiellen Bieter (vgl. BGH, B.v. 15.01.2013, X ZR 155/10). Für die Auslegung von Vergabeunterlagen ist auf die objektive Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters abzustellen, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist.

Maßgeblich ist nicht das Verständnis eines einzelnen Bieters, sondern wie der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung und Vergabeunterlagen versteht (vgl. OLG Karlsruhe, B.v. 29.04.2016 – 15 Verg 1/16). Hinsichtlich des Angebots des Bieters ist Maßstab der Auslegung, wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage die Vergabestelle das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste oder durfte, wobei es keinen Erfahrungssatz gibt, dass der Bieter stets das vom Ausschreibenden Nachgefragte anbieten will, auch wenn ihm redliche und interessensgerechte Absichten zu unterstellen sind (OLG Düsseldorf, B.v. 22.03.2017, Verg 54/17).

VergMan ® für öffentliche Auftraggeber – Tipps für Ihre Vergabe

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Verstöße gegen missverständliche mehrdeutige Angaben in den Vergabeunterlagen führen nicht zum Angebotsausschluss
von Thomas Ax

Ein Ausschluss nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV setzt voraus, dass Gegenstand und Inhalt der Leistung eindeutig beschrieben sind. Verstöße gegen missverständliche mehrdeutige Angaben in den Vergabeunterlagen führen aber nicht zum Angebotsausschluss (BGH, Urt. v. 03.04.2012, X ZR 130/10; OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.07.2017 – 11 Verg 6/12; OLG München, Beschl. v. 21.04.2017 – Verg 1/17; Senat, Beschl. v. 26.07.2005 – Verg 71/04).

Auftraggeber muss spätestens mit der Übersendung oder Bekanntgabe der Verdingungsunterlagen den Bietern alle Zuschlagskriterien mitteilen
von Thomas Ax

Der Auftraggeber muss spätestens mit der Übersendung oder Bekanntgabe der Verdingungsunterlagen den Bietern alle Zuschlagskriterien mitteilen, deren Verwendung er vorsieht, sofern er diese im Voraus festgelegt hat. In den Vergabeunterlagen detailliert anzugeben ist dabei, nach welchen Kriterien oder Rechenschritten der niedrigste Preis durch den Auftraggeber ermittelt wird (OLG Brandenburg, Senat, Beschl. v. 29.01.2013 – Verg W 8/12, BeckRS 2013, 3142).

Vergabeunterlagen müssen eindeutig sein
von Thomas Ax

Ob die Vergabeunterlagen in vergaberechtswidriger Weise nicht mehr eindeutig sind, ist durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Für die Auslegung der Vertragsunterlagen ist ein objektiver Maßstab anzulegen und auf den Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters, der mit der Leistung vertraut ist, abzustellen (BGH, Beschl. v. 07.02. 2014, X ZB 15/13; Senat, Beschl. v.01.04.2020 – Verg 33/19; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 18.07. 2017, 11 Verg 7/17). Maßgeblich ist hierfür nicht das Verständnis eines einzelnen Bieters, sondern es kommt darauf an, wie der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung verstehen muss (Senat, Beschl. v. 01.04.2020 – Verg 33/19; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.04. 2016, 15 Verg 1/16). In vergaberechtswidriger Weise nicht mehr eindeutig sind Vergabeunterlagen jedoch erst, wenn fachkundigen Unternehmen auch nach Auslegungsbemühungen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben oder das zutreffende Verständnis der Vergabeunterlagen eine besondere Gesamtschau erfordert, die von den Bietern oder Bewerbern im Vergabewettbewerb erfahrungsgemäß nicht geleistet wird (BGH, Urt. v. 10.06.2008, X ZR 78/07; Senat, Beschl. v. 13.12.2017 – Verg 19/17) oder nicht geleistet werden kann.

Nach § 182 Abs. 3 S. 5, Abs. 4 S. 2 und 3 GWB ist eine Billigkeitsentscheidung zu treffen
von Thomas Ax

Im Rahmen der nach § 182 Abs. 3 S. 5, Abs. 4 S. 2 und 3 GWB zu treffenden Billigkeitsentscheidung sind nicht nur die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses in den Blick zu nehmen. Gesichtspunkte der Billigkeit können es vielmehr im Einzelfall bei Vorliegen gravierender Umstände gebieten, von der Maßgeblichkeit des voraussichtlichen Verfahrensausgangs abzuweichen (OLG München, Beschl. v. 02.09.2015 – Verg 6/15) und beispielsweise einem Antragsteller die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der einen Nachprüfungsantrag unnötigerweise verfrüht stellt (vgl. Senat, Beschl. v. 13.01.2014 – Verg 11/13; Senat, Beschl. v. 11.05.2011 – Verg 10/11) beziehungsweise der Vergabestelle die Kosten des Nachprüfungsverfahren aufzuerlegen, wenn diese im Rahmen der Zurückweisung der Rüge dem Antragsteller den unzutreffenden Hinweis erteilt hat, er könne ein Nachprüfungsverfahren anstrengen (so OLG München, Beschl. v. 02.09.2015 – Verg 6/15).

LG Frankfurt/Main zu der Frage, dass für den Kransachkundigen die Grundsätze der Amtshaftung, die eine persönliche Inanspruchnahme grundsätzlich ausschließen würden, nicht gelten, weil die Durchführung der wiederkehrenden Prüfung von Kranen durch Sachkundige keine Ausübung eines öffentlichen Amtes darstellt

LG Frankfurt/Main zu der Frage, dass für den Kransachkundigen die Grundsätze der Amtshaftung, die eine persönliche Inanspruchnahme grundsätzlich ausschließen würden, nicht gelten, weil die Durchführung der wiederkehrenden Prüfung von Kranen durch Sachkundige keine Ausübung eines öffentlichen Amtes darstellt

vorgestellt von Thomas Ax

1. Der Kransachkundige und der Richtmeister sind jeweils verpflichtet, Krane (hier: die Bolzen und Federstecker sowie die Bolzenverbindungen auf dem Ausleger) im Rahmen einer visuellen Prüfung auf ihre Ordnungsgemäßheit und Betriebssicherheit hin zu kontrollieren und bei Feststellung von Unregelmäßigkeiten Maßnahmen zur Abwendung der damit verbundenen Gefahren zu ergreifen.
2. Bei der sachkundigen Kranprüfung handelt es sich um eine bei jeder Aufstellung vorgeschriebene Sicht- und Funktionsprüfung, die insbesondere die Funktion der Sicherheitseinrichtungen, die richtige Aufstellung sowie die Konstruktionsteile, die bei der Aufstellung montiert bzw. verändert werden müssen, umfasst.
3. Für den Kransachkundigen gelten die Grundsätze der Amtshaftung, die eine persönliche Inanspruchnahme grundsätzlich ausschließen würden, nicht. Die Durchführung der wiederkehrenden Prüfung von Kranen durch Sachkundige stellt keine Ausübung eines öffentlichen Amtes dar.
4. Bei einem Bauvorhaben hat zwar in erster Linie der Bauherr dafür zu sorgen, dass von seinem Bauvorhaben keine Gefahren ausgehen, durch die Dritte geschädigt werden können, weil der Bauherr die Gefahrenquelle eröffnet hat. Allerdings sind die am Bauvorhaben beteiligten Unternehmer nicht nur vertragsrechtlich verpflichtet, den Bauherrn vor etwaigen Schäden durch das Werk zu bewahren, sondern sie sind auch deliktsrechtlich zur Verkehrssicherung gegenüber Dritten verpflichtet, die vorhersehbar mit den Gefahren der baulichen Anlage in Berührung kommen und dadurch Schaden erleiden können.
5. Der ursprünglich Verkehrssicherungspflichtige bleibt zur Überwachung des eingesetzten Dritten verpflichtet und ist insofern neben diesem selbst noch verantwortlich. Die Verkehrssicherungspflicht des ursprünglich Verantwortlichen wird auf Auswahl- und Überwachungspflichten verengt.
LG Frankfurt/Main, Urteil vom 10.05.2024 – 2-33 O 110/17

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche der Klägerin infolge des Sturzes eines auf dem Grundstück ### aufgestellten Krans auf einen benachbarten Aldi-Markt.

Bei dem streitgegenständlichen Turmdrehkran handelte es sich um einen ### vom Typ “WK 122 SL 1” aus dem Baujahr 1992, Fabrik-Nr. 320619. Herstellerin war die Streithelferin zu 7. als Rechtsnachfolgerin der ###.

Eigentümerin und Vermieterin des Krans war die Beklagte zu 4. Mieterin war die Streithelferin zu 5. Der Kran verfügte über einen Laufkatzenausleger, der sich aus einzelnen Auslegerstücken zusammensetzte, die durch Einstecken von Bolzen miteinander verbunden werden. Um zu verhindern, dass diese Bolzen sich in den Bohrungen der Verbindungsstücke frei drehen, wandern und sich lösen, war herstellerseits eine zusätzliche Sicherung der Bolzen durch Federstecker vorgesehen. Diese Federstecker wurden jeweils in eine Bohrung im Bolzenschaft aufgesteckt. Es handelte sich hierbei um sicherheitsrelevante Bauteile, die die Bolzen sichern sollten, damit sie sich nicht aus der Position lösen.

Der Kran wurde am 10.09.2013 von einem Montageteam der Firma ### aus Heythuysen (NL) und dem Beklagten zu 2., einem Mitarbeiter der Beklagten zu 3., mit einem 40-m-Ausleger aufgestellt. Der Beklagte zu 2. war ferner als selbständiger Richtmeister mit der Überprüfung des Krans vor der Inbetriebnahme betraut. Der Beklagte zu 2. überprüfte den Kran nach dem Aufbau. Er stellte fest, dass der Ausleger zu lang war und untersagte die Inbetriebnahme. Weitere Mängel stellte er nicht fest. Am darauffolgenden Tag wurde der Kranausleger von Mitarbeitern der Firma ### und dem Streithelfer zu 9., einem Mitarbeiter der Beklagten zu 4., auf 35 m gekürzt. Die Zeugin Zahn, eine Mitarbeiterin der Beklagten zu 4., war als Elektrofachkraft dabei. Hierfür wurde das vordere 10-m-Auslegerstück demontiert und durch ein 5-m-Auslegerstück ersetzt. Der Streithelfer zu 9. gab als Kransachkundiger danach den Kran zum Betrieb frei.

Der Beklagte zu 1., der von der Berufsgenossenschaft Holz und Metallbau/Maschinenbau- und Metallverarbeitung als Sachverständiger bestellt war, führte am 07.10.2013 im Auftrag der Beklagten zu 4. die sogenannte wiederkehrende Prüfung nach § 26 der Unfallverhütungsvorschriften Krane (BGV D 6) durch. Er stellte dabei keine zur Untersagung des Betriebs führenden technischen Mängel an dem Kran fest (Anlage K6). Danach wurde der Kran auf der Baustelle weiter benutzt.

Am 11.12.2013 führte der Zeuge ###, ein Mitarbeiter der Streithelferin zu 8., den Kran. Um 11:33 Uhr verlor der Kran rücklings über den Konterballast das Gleichgewicht, stürzte nach hinten auf einen benachbarten Aldi-Markt und durchschlug dessen Dach. Dies verursachte einen Personen- und Sachschaden.

Die am 25.01.1939 geborene Klägerin stand zum Unfallzeitpunkt mit ihrer 45-jährigen Tochter, Frau ###, vor der Kasse des betreffenden Aldi-Marktes. Sie wurde durch den umgestürzten Kran schwer verletzt, während ihre Tochter tödliche Verletzungen erlitt. Die Klägerin erlitt aufgrund des Unfalls eine Hüftpfannen- sowie eine Beckenfraktur. Dazu kam ein Schädel-Hirn-Trauma I. Grades. Ferner kam es zu Rippenbrüchen, einer linksseitigen Gesichtslähmung, einer akuten Belastungsreaktion und Hautabschürfungen am Kopf (Anlagen K7 und K8). Die Klägerin wurde eine Woche stationär im Krankenhaus behandelt.

Am umgestürzten Kran fehlte ein Verbindungsbolzen am rechten Untergurt in der Verbindung zwischen dem zweiten und dem dritten Auslegerstück. Dieser Bolzen wurde auf der Baustelle wiedergefunden. Der dazugehörige Federstecker konnte hingegen nicht mehr gefunden werden.

Nach dem im darauffolgenden Strafverfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. S### vom 18.03.2014 (Anlage K1) war die unmittelbare Unfallursache “eindeutig das Lösen des Bolzens am rechten Untergurt, ausgelöst durch einen defekten, falsch montierten oder fehlenden Federstecker” (Bl. 36 d.A.). Ferner stellte der Sachverständige S### Folgendes fest: “Alle noch am verunfallten Kran befindlichen Bolzen waren mit Federsteckern gesichert, wobei verschiedene Typen verwendet wurden. … An allen von der Polizei sichergestellten Verbindungsbolzen war nur an einem ein gelb chromatierter Wolff Federstecker montiert.” (Bl. 28 und 31 d.A.). Der Sachverständige wies darauf hin, dass, die Streithelferin zu 2., die Herstellerin der WOLFF-Federstecker, im Jahr 2022 eine “Sicherheitsrelevante Service Information” (Anlage K4) bezüglich der Federstecker zur Bolzensicherung herausgegeben hatte, in der aus Sicherheitsgründen vorgeschrieben wurde, ab sofort nur zum Bolzendurchmesser passende Original Wolff Federstecker (gelb chromatiert) an Laufkatzenauslegern zu verwenden, um die Bolzen gegen ein Lösen zu sichern (Bl. 31 d.A.).

Nach einem weiteren im Strafverfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. H### vom 25.06.2016 (Anlage K2) lag die Unfallursache “eindeutig auf der Seite der Bolzenverbindung und deren Sicherung, weil der Federstecker defekt war, der Federstecker nicht richtig montiert wurde, der falsche Federstecker montiert wurde (kein Original WOLFF-Stecker), von Anfang an nicht vorhanden war – siehe zwei verschmutzte Bohrungen in aufgefundenen Bolzen (siehe Lichtbilder).” (Bl. 71 d.A.). Ferner stellte der Sachverständige H### Folgendes fest: “Die Lichtbildauswertung der von der Polizei angefertigten Fotos belegen, dass die geometrischen Formen der Federstecker erheblich voneinander abweichen, teilweise bereits das Drahtsteckseil beschädigt, d.h. gestaucht oder unterschiedlich lang waren. Es wurden somit verschiedene Typen verwendet, auch offensichtlich bei Sicherung der Verbindungsbolzen im Untergurt.” (Bl. 52 d.A.).

Die Klägerin behauptet, die Schadensursache gehe auf Montagefehler zurück. Die Beklagte zu 4. habe entgegen der Herstellerempfehlung keine Original-Federstecker dem Mieter des Krans zur Verfügung gestellt. Für den Beklagten zu 1. als Kransachverständigen und für den Beklagten zu 2. als Mitglied des Montageteams der Beklagten zu 3. und als Richtmeister wäre es ein Leichtes gewesen, die Montagefehler zu erkennen und den Unfall zu verhindern. Hätte die Beklagte zu 4. einwandfreie Bolzen und Wolff-Federstecker geliefert und hätten die Beklagten zu 1. und 2. die schadensursächliche Bolzenverbindung kontrolliert, wäre ihnen der fehlende bzw. falsche, defekte oder falsch montierte Federstecker aufgefallen. Der Kran hätte nicht in Betrieb gehen dürfen.

Nach der Krankenhausentlassung habe sich die Klägerin 6 Wochen lang nur mit Hilfe von Gehhilfen fortbewegen können. Vor dem Unfall habe sie zusammen mit ihrer verstorbenen Tochter in dem heute noch von ihr bewohnten 2-Familienhaus mit einem 800 qm Grundstück zusammengewohnt. Sie habe heute noch Schmerzen im Hüft- und Beckenbereich. Ferner habe sie einen Tinnitus im rechten Ohr, was auf den Unfall zurückgehe. Sie leide unter posttraumatischen Beschwerden und Depressionen. Sie habe körperliche Dauerschäden erlitten, deren Entwicklung nicht abzusehen sei. Die Klägerin hält ein Schmerzensgeld von 50.000,00 Euro für angemessen.

Sechs Wochen lang habe die Klägerin den Haushalt nicht führen können. Für ein weiteres halbes Jahr habe sie lediglich kochen und Wäsche waschen können. Die Klägerin macht einen Haushaltsführungsschaden von 4.256,00 Euro geltend sowie Arzt- und Zuzahlungskosten von 498,84 Euro (Anlage K9) geltend. Ferner verlangt sie Ersatz der Beerdigungskosten für ihre Tochter in Höhe von 9.272,90 Euro (Anlage K10).

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 06.06.2017 (Bl. 339 ff. d.A.) die Klage auf die Beklagten zu 3. und 4. erweitert, sie beantragt nunmehr,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 50.000,00 Euro Schmerzensgeld nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 14.027,74 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.879,09 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin zukünftige immaterielle sowie materielle Schäden aus dem Unfallereignis vom 11.12.2013 zu ersetzen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Streithelfer und die Nebenintervenientin beantragen,

die Klage abzuweisen und der Klägerin die Kosten der Nebenintervention aufzuerlegen.

Der Beklagte zu 1. behauptet, am 07.10.2013 habe sich der Kran in einem ordnungsgemäßen Zustand befunden und sei für die Nutzung ohne weiteres einsetzbar gewesen, ohne jeglichen technischen Defekt. Insbesondere seien die Federstecker ordnungsgemäß angebracht gewesen. Er habe am 07.10.2013 sämtliche Bolzenverbindungen und Federstecker überprüft. Alle seien vorhanden und ordnungsgemäß verbaut gewesen. Die Laufkatze habe einwandfrei funktioniert. Er habe den Kran begangen und jede Bolzenverbindung angeschaut. Es sei technisch unmöglich, dass ein Kran für ca. 2 ½ Monate genutzt werde, wenn eine entsprechende Bolzensteckverbindung nicht mit dem entsprechenden Federstecker gesichert sei. Die Schadensursache sei nicht in einem Montagefehler oder einer mangelhaften Gerätestellung, sondern in einem Konstruktions- bzw. Materialfehler zu sehen. Die nach der am 07.10.2013 dem Beklagten zu 1. bekannten Herstellervorgabe zu verwendende Befestigung der Bolzen sei – wie er später erfahren habe – weder geeignet noch ausreichend gewesen. Das Rundschreiben der Streithelferin zu 2. aus dem Jahr 2002 sei nicht publik gemacht worden.

Die Beklagten zu 2. und 3. behaupten, der Beklagte zu 2. sei auf der streitgegenständlichen Baustelle als Mitarbeiter der Beklagten zu 3. nur mit der Einsicherung des Stahlbaus und des Hubseils beauftragt gewesen. Der Beklagte zu 2. sei nur am 10.09.2013 auf der streitgegenständlichen Baustelle anwesend gewesen. Bei der Erstmontage seien sämtliche Bolzen ordnungsgemäß befestigt, die Federstecker ordnungsgemäß angebracht worden.

Sämtliche mit dem Kran gelieferten Federstecker seien beim Erstaufbau durch den Beklagten zu 2. intakt gewesen und hätten keine Hinweise auf Beschädigungen hingewiesen. Es seien auch Original Wolff Federstecker gewesen. Nach der Kürzung des Kranauslegers sei der Beklagte zu 2. nicht mehr beauftragt worden, den Kran nochmals zu überprüfen. Dass die Montagearbeiten korrekt ausgeführt worden seien, lasse sich bereits dadurch belegen, dass der Kran über drei Monate täglich seine Funktion erfüllt habe, ohne dass irgendetwas passiert sei.

Die Beklagte zu 4. behauptet, auch nach dem Umbau des Turmdrehkrans durch die Mitarbeiter der Beklagten zu 4. seien alle Bolzen gesteckt und mit Original-Wolff-Federsteckern gesichert gewesen. Die Federstecker seien richtig montiert und nicht defekt gewesen. Sie seien allesamt vorhanden gewesen. Die Monteure der Beklagten zu 4. hätten den Kran nach dem Rückbau des Katzauslegers einer erneuten Aufbauprüfung unterzogen und den Kran zum Betrieb freigegeben, da keine sicherheitsrelevanten Mängel bestanden hätten (Anlage B4 a). Zum Zeitpunkt des Aufbaus und der Übergabe des streitgegenständlichen Turmdrehkrans durch die Beklagte zu 4. sei der Kran vollständig in Ordnung gewesen. Alle Bolzensicherungen hätten ordnungsgemäß sowie sach- und fachgerecht gesteckt.

Im Übrigen ist die Beklagte zu 4. der Auffassung, dass sie sich auf das Ergebnis der Prüfung durch den Beklagten zu 1., einen selbstständigen und BG-ermächtigten Prüfingenieur, habe verlassen können und müssen. Der Beklagte zu 1. sei seit vielen Jahren Prüfingenieur für Krane und Turmdrehkrane und prüfe nach eigenen Angaben ca. 600 Krane pro Jahr. Die Beklagte zu 4. habe sich daher auf die Qualifikation und Eignung sowie die BG-Ermächtigung des Beklagten zu 1. Verlassen dürfen.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Akten der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main zu Az. 3690 Js 215547/14 sind beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Das Gericht hat gemäß Beschluss vom 21.08.2017 (Bl. 525 d.A.) und vom 15.10.2020 (Bl. 1576 d.A.) Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. H### vom 20.03.2019 (Bl. 959 ff. d.A.) und das Ergänzungsgutachten vom 03.08.2021 (Bl. 1662 ff. d.A.) hingewiesen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Klage ist bis auf den Teil des Klageantrags zu 4., der sich auf immaterielle Schäden bezieht, zulässig.

Für einen Feststellungsanspruch hinsichtlich immaterieller Schäden fehlt das Feststellungsinteresse. Die Klägerin hat nicht dargetan, noch ist es ersichtlich, dass ihr neben dem mit dem Klageantrag zu 1. geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch in Zukunft noch weitere immaterielle Schäden entstehen könnten. Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes werden mit dem Schmerzensgeld sämtliche Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar sind oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann (vgl. BGH Beschl. v. 23.8.2022 – 1 StR 252/22, BeckRS 2022, 25298 Rn. 3). Der Antrag zu 4. war insoweit als unzulässig abzuweisen.

B.

Soweit zulässig ist die Klage in vollem Umfang begründet.

I.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 50.000,00 Euro sowie eines Schadensersatzes in Höhe von 14.027,74 Euro aus §§ 823 Abs. 1, 840 Abs. 1, 253 Abs. 2, 249 Abs. 2 BGB zu.

1. Unstreitig wurde die Klägerin durch den Sturz des streitgegenständlichen, von der Beklagten zu 4. gelieferten, vom Beklagten zu 2. als Mitarbeiter der Beklagten zu 3. mit aufgebauten und geprüften, vom Beklagten zu 1. erneut geprüften Krans am Körper und an der Gesundheit geschädigt und hat somit eine Rechtsgutsverletzung erlitten. Diese Rechtsgutsverletzung wurde durch rechtswidrige Pflichtverletzungen der Beklagten schuldhaft verursacht.

Unstreitig ist der streitgegenständliche Kran deswegen gestürzt, weil sich im – Blickrichtung vom Turm Richtung Auslegerspitze – rechten Untergurt ein Verbindungsbolzen zwischen dem zweiten und dem dritten Auslegerstück herausgelöst hatte. Es kann offenbleiben, ob ein montierter falscher Federstecker oder ein nicht montierter Federstecker letztlich hierfür ursächlich war. Denn es steht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest, dass am streitgegenständlichen Kran unterschiedliche Federstecker eingesetzt wurden, die nicht vom Hersteller stammten und teilweise geometrisch nicht geeignet oder beschädigt waren.

Schon allein dieser Umstand zeigt, dass die Beklagte zu 4. als Eigentümerin und Vermieterin des Krans es pflichtwidrig unterlassen hat, passende, auf den jeweiligen Verbindungsbolzen abgestimmte Federstecker zum Aufbau des Krans zu liefern; dass die Beklagten zu 3. und zu 4. es pflichtwidrig unterlassen haben, zu überwachen, dass die von ihnen mit dem Aufbau und Freigabe des Krans beauftragten Mitarbeiter, den Beklagten zu 2. und den Streithelfer zu 9., das gelieferte Material auf dessen Geeignetheit überprüfen; dass die Beklagten zu 1. und 2. letztlich bei der Montage und Sachkundeprüfung des Krans bzw. dessen Sachverständigen-Prüfung es pflichtwidrig unterlassen haben, zu beanstanden, dass die Bolzenverbindungen am Laufkatzenausleger des streitgegenständlichen Krans, auch im Untergurt, teilweise durch nicht auf den jeweiligen Verbindungsbolzen abgestimmte Federstecker gesichert waren.

Dies haben die Beklagten in rechtswidriger und schuldhafter, weil jedenfalls fahrlässiger Weise unterlassen.

Nach dem in § 286 ZPO normierten Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist ein Beweis erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist. Dabei muss der Grad der Überzeugung keine absolute Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erreichen.

Vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr.; siehe nur BGH 11.06.2015 – I ZR 19/14, NJW 2016, 942, Rn. 40). Das ist hier der Fall.

Der Sachverständige H### stellt in seinem Gutachten vom 20.03.2019 fest, dass die am Unfallort von der Polizei gesicherten Federstecker überwiegend unterschiedliche geometrische Ausführungen, die nicht an die geometrische Form der zu sichernden Bolzen angepasst gewesen seien, und Materialveränderungen, insbesondere Einkürzungen, aufgewiesen hätten. Der Sachverständige stellt weiter fest, dass diese Mängel bei der Sachkunde- bzw. Sachverständigen-Kranprüfung hätte auffallen, erkannt und beanstandet werden müssen. Die Federstecker stellten bei nicht ordnungsgemäßer Montage und nicht bestimmungsgemäßer Ausführung ein erhöhtes Sicherheitsrisiko dar. Denn es sei nicht auszuschließen, dass der nicht passende Federstecker bei auftretender Gegenreaktionskraft wieder aus seinem mangelhaften Sitz herausgedruckt werde. Ein Austausch der nicht passenden Federstecker wäre bei der vorliegenden Sachlage (s. Polizei-Lichtbilder) zwingend vor dem Kranhub erforderlich gewesen. Dies alles hat der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten vom 03.08.2021 bestätigt.

Nachdem die Beklagten am 23.02.2024 verhandelt haben, ohne zuvor einen (erneuten) Antrag auf Ladung des Sachverständigen H### zu stellen, haben sie auf dessen Anhörung schlüssig verzichtet (§ 295 Abs. 1 ZPO).

Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme hat das Gericht einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit darüber, dass die Bolzenverbindungen des streitgegenständlichen Krans vorwiegend durch nicht passende Federstecker gesichert waren und der Beklagte zu 1. als Kransachverständiger, der Beklagte zu 2. als Monteur und selbständiger Richtmeister, die Beklagte zu 3. als mit der Montage und Freigabe des Krans beauftragte Firma, die Beklagte zu 4. als Eigentümerin und Vermieterin des Krans dies auch hätten erkennen können und müssen. Vernünftige Zweifel schweigen. Das Gericht folgt den überzeugenden Angaben des Sachverständigen H###, der für die vorliegende Begutachtung besonders qualifiziert ist. Das Gutachten ist in sich schlüssig und nachvollziehbar. Der Sachverständige ist insbesondere auch von zutreffenden Tatsachen ausgegangen und hat die daraus folgenden Ergebnisse logisch und widerspruchsfrei dargestellt. Der Sachverständige hat seine Schlussfolgerungen stets umfassend begründet.

Die Beklagten zu 1. und 2. haben bei ihren Kranprüfungen jeweils ihre Sorgfaltspflichten verletzt. In ihrer Funktion als Prüfingenieur bzw. Richtmeister waren sie verpflichtet, die Bolzen und Federstecker sowie die Bolzenverbindungen auf dem Ausleger des streitgegenständlichen Krans im Rahmen einer visuellen Prüfung auf ihre Ordnungsgemäßheit und Betriebssicherheit hin zu kontrollieren und bei Feststellung von Unregelmäßigkeiten Maßnahmen zur Abwendung der damit verbundenen Gefahren zu ergreifen.

Der Beklagte zu 2. führte seine Prüfung nach der Montage und vor der Inbetriebnahme durch. Es handelt sich um die gemäß § 26 Abs. 2 DGUV Krane bei jeder Aufstellung vorgeschriebene Prüfung. Hierbei handelt es sich um eine Sicht- und Funktionsprüfung, die insbesondere die Funktion der Sicherheitseinrichtungen, die richtige Aufstellung sowie die Konstruktionsteile, die bei der Aufstellung montiert bzw. verändert werden müssen, umfasst. Neben der Kontrolle auf augenfällige Mängel gehört hierzu auch die Kontrolle von Bolzen (vgl. hierzu Durchführungsanweisung zu § 26 Abs. 2 DGUV Krane). Hierbei handelt es sich um eine vollständige Prüfung des Krans, die nicht etwa endet, sobald eine Beanstandung festgestellt wird, selbst wenn diese Beanstandung – so wie hier – eine Umrüstung i.S.d. § 26 Abs. 2 DGUV Krane erforderlich macht, nach deren Vornahme eine erneute Prüfung durchzuführen ist. Der Beklagte zu 1. prüfte den Kran im Rahmen der wiederkehrenden Prüfung (§ 26 Abs. 1 und 4 DGUV Krane), während dieser bereits in Betrieb genommen war.

Es kann dahinstehen, ob sich zum Zeitpunkt der jeweiligen Prüfung in der streitgegenständlichen Bolzenverbindung kein Federstecker oder ein Federstecker mit einer zu kurzen Nadel befand, denn jedenfalls haben die Beklagten zu 1. und 2. sorgfaltswidrig nicht bemerkt, dass sich in den Bolzenverbindungen des Krans lediglich ein einziger Original Wolff Federstecker mit gelber Chromatierung befand und dass mehrere Federstecker beschädigt waren und unterschiedliche Längen aufwiesen. Dass die Beklagten zu 1. und 2. diese Federstecker nicht beanstandet haben, obwohl sich diese erkennbar in einem nicht zulässigen Zustand befunden haben, lässt für die Kammer nur den Schluss zu, dass die Beklagten zu 1. und 2. geraden den Bolzenverbindungen nicht die gebotene Aufmerksamkeit geschenkt haben.

Der Beklagte zu 1. ist auch passivlegitimiert. Für ihn gelten die Grundsätze der Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG), die eine persönliche Inanspruchnahme grundsätzlich ausschließen würden, nicht. Die Durchführung der wiederkehrenden Prüfung von Kranen durch Sachkundige nach § 26 Abs. 1 der berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschriften für Krane (DGUV Krane) stellt keine Ausübung eines öffentlichen Amtes dar, da die öffentlich-rechtlichen Vorschriften den Auftraggeber selbst verpflichteten, die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen zu ergreifen. Der Auftraggeber ist zwar rechtlich verpflichtet, hierzu einen Sachkundigen einzuschalten und vertraglich zu verpflichten, die Behörde ist jedoch an die Ergebnisse der Sachkundigen-Prüfung nicht gebunden. Der Sachkundige selbst ist nicht befugt, Maßnahmen selbst zu treffen und braucht die Behörde auch nicht über das Ergebnis seiner Prüfung zu unterrichten. Die Prüfung erfolgt stattdessen unabhängig von amtlichen Prüfungen. Die Aufgabe des Sachkundigen beschränkt sich darauf, den Sachverhalt zu prüfen und das Prüfungsergebnis zu dokumentieren, in welches die Behörden nur Einsicht nehmen können. Die Prüfung ist daher nicht aufs Engste mit einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe verbunden (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2009 – III ZR 86/08, NJW-RR 2009, 1398).

Die Beklagten zu 3. und 4. haben ihre Versicherungspflicht verletzt, indem sie es unterließen, zum einen ihre Mitarbeiter darin zu unterweisen, dass die Bolzenverbindungen beim Aufbau des Krans besonders sorgfältig überprüft werden müssen und nicht passende, beschädigte und nicht Original-Wolff-Federstecker zu beanstanden und auszutauschen sind, und zum anderen die von ihnen beauftragten Prüfer stichprobenartig zu überwachen. Die Beklagte zu 4. hat zudem als Vermieterin des Krans nicht passende Federstecker geliefert.

Die Verkehrssicherungspflicht beruht auf der Erwägung, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft, auch die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz Dritter zu treffen hat. Bei einem Bauvorhaben hat zwar in erster Linie der Bauherr dafür zu sorgen, dass von seinem Bauvorhaben keine Gefahren ausgehen, durch die Dritte geschädigt werden können, weil der Bauherr die Gefahrenquelle eröffnet hat. Allerdings sind die am Bauvorhaben beteiligten Unternehmer nicht nur vertragsrechtlich verpflichtet, den Bauherr vor etwaigen Schäden durch das Werk zu bewahren, sondern sie sind auch deliktsrechtlich zur Verkehrssicherung gegenüber Dritten verpflichtet, die vorhersehbar mit den Gefahren der baulichen Anlage in Berührung kommen und dadurch Schaden erleiden können (BGH, NJW 1997, 582).

Dies bedeutet, dass auch etwa die Beklagten zu 3. und 4., die die Montage und Freigabe des Krans übernommen hatten, für ihren Arbeitsbereich verkehrssicherungspflichtig waren. Dass daneben auch andere – etwa wie die Nebenintervenientin zu 8. – Pflichten übernommen haben, lässt die Pflicht der Beklagten zu 3. und 4. für die von ihnen übernommene Tätigkeit, Gewähr zu übernehmen, nicht entfallen. Die Haftung der Beklagten zu 3. und 4. entfällt auch nicht, weil sie jeweils Dritte, nämlich die Beklagten zu 2. und 1., mit der der Überprüfung der Einsatzfähigkeit des streitgegenständlichen Krans beauftragt haben und sich auf das Ergebnis dieser selbständigen Prüfungen hätten verlassen dürfen. Denn der ursprünglich Verkehrssicherungspflichtige bleibt zur Überwachung des eingesetzten Dritten verpflichtet und ist insofern neben diesem selbst noch verantwortlich. Die Verkehrssicherungspflicht des ursprünglich Verantwortlichen wird auf Auswahl- und Überwachungspflichten verengt. In Grenzen kann der ursprünglich Verpflichtete zwar darauf vertrauen, dass der Dritte der Pflicht auch nachkommt. Dennoch muss er sich durch stichprobenartige Kontrollen ein Bild davon verschaffen, ob der beauftragte Dritte seinen Pflichten grundsätzlich nachkommt. Dass die Beklagten zu 3. und 4. irgendwelche Kontrollmaßnahmen getroffen hätten, tragen sie selbst nicht vor.

Die unstreitig gebliebenen Verletzungen der Klägerin, welche unstreitig durch das Unfallereignis verursacht wurden, sind adäquat-kausal auf die Pflichtverletzungen der Beklagten zurückzuführen. Da die Pflichtverletzung objektiv feststeht und sich gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, der die betreffende Pflicht entgegenwirken soll, nämlich den Kran vor dem Umstürzen zu bewahren, kommt der geschädigten Klägerin der Beweis des ersten Anscheins zugute. Die Beklagten haben diesen Anscheinsbeweis nicht erschüttert, da sie keine Tatsachen vorgetragen haben, die die Möglichkeit eines anderen (atypischen) Geschehensablaufs im Einzelnen ernsthaft in Betracht kommen lassen. Zwar ist – was auch das Gericht nicht verkennt – eine anderweitige Ursache für den Sturz des Krans theoretisch denkbar, etwa, durch mutwillige Beschädigung durch unbekannte Dritte oder etwaige verborgene Konstruktions- bzw. Materialfehler. Dafür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte und es erscheint insgesamt als fernliegend, weshalb sich auf dieser Grundlage beim Gericht kein “vernünftiger Zweifel” einstellt. Demnach ist davon auszugehen, dass der Sturz des Krans verhindert worden wäre, wenn die Beklagten ihrer Pflichten nachgekommen wären, weil ihnen dann die mangelhaften Federstecker aufgefallen und daraufhin Schutzvorkehrungen getroffen worden wären. Dies hätte dazu geführt, dass der Kran am 11.12.2013 nicht eingestürzt wäre.

2. Der Klägerin ist aufgrund der Rechtsgutsverletzung ein immaterieller Schaden entstanden, weshalb die Beklagten ihr ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 Euro gemäß § 253 Abs. 2, 844 Abs. 3 BGB schulden.

Die Höhe zuzubilligenden Schmerzensgeldes wird maßgeblich durch die sogenannte Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes bestimmt. Danach soll das Schmerzensgeld dem Geschädigten einen Ausgleich für den erlittenen nicht vermögensrechtlichen Schaden gewähren. Die sogenannte Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, die insbesondere bei vorsätzlichen oder zumindest grob fahrlässigen Schädigungen eingreift, tritt demgegenüber in den Hintergrund. Vorliegend ist den Beklagten kein grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten vorzuwerfen.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes waren daher insbesondere das Ausmaß und die Schwere der Verletzungen sowie deren Folgen, zu berücksichtigen. Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt.

Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (vgl. OLG München, Urteil v. 16.2.2022 – 10 U 6245/20, BeckRS 2022, 3890 Rn. 38 m.w.N.). Die Klägerin wurde durch das Unfallereignis schwer verletzt.

Das belegen die unstreitig gebliebenen ärztlichen Berichte. Dass eine starke psychische Belastung der Klägerin in der Zeit nach dem Unfall, bei dem ihre 45-jährige Tochter starb, darf ohne weiteres angenommen werden. Alles in allem erscheint der Kammer hier die Zuerkennung des verlangten Schmerzensgeldes in Höhe von 50.000,00 Euro nicht als übersetzt.

3. Zum Ausgleich ihrer materiellen Schäden kann die Klägerin von den Beklagten die Zahlung von insgesamt 14.027,74 Euro fordern. Das einfache Bestreiten der Beklagten ist angesichts der unstreitigen Gesundheitsschäden der Klägerin und deren Tochter aufgrund des streitgegenständlichen Kranunfalls unbeachtlich.

Zu erstatten sind der Klägerin Arzt- und Zuzahlungskosten in Höhe von 498,84 Euro. Insoweit sind Positionen betroffen, welche nachvollziehbar durch die Beeinträchtigungen der Klägerin verursacht worden sind.

Gemäß § 844 Abs. 1 hat die Klägerin gegen die Beklagten als Gesamtschuldner Anspruch auf Ersatz der Kosten der Beerdigung der Tochter in Höhe von 9.272,90 Euro, die unstreitig infolge des Kranunfalls gestorben ist.

Für die Zeit bis zu 6 Monaten nach dem Kranunfall kann die Klägerin gegenüber den Beklagten schließlich einen Haushaltsführungsschaden in Höhe von 4.256,00 Euro geltend machen. Der Haushaltsführungsschaden ist nach §§ 842, 843 BGB auszugleichen. Dafür muss der verletzte Haushaltsführende darlegen und im Rahmen der Beweiserleichterung des § 287 ZPO beweisen, welche Tätigkeiten er ohne den Unfall im Haushalt ausgeübt hätte und welche Aufgaben er infolge der konkreten, unfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr oder nur noch in reduziertem Umfang ausüben kann. Soweit die Klägerin für den Zeitraum von 6 Wochen nach dem Unfall eine Beeinträchtigung von 100% und für weitere 6 Monate eine Beeinträchtigung von 50% geltend macht, ist dies in Anbetracht der Folgen des Kranunfalls für die Kammer nachvollziehbar. Die Klägerin führte nach dem Tod der Tochter einen 1-Personen-Haushalt in einem 2-Familienhaus mit einem 800 qm Grundstück. Ein wöchentlicher Stundenbedarf von 22,4 h ist anzusetzen.

Ein Stundensatz in Höhe von 10,00 Euro erscheint angemessen. Die Berechnung des Haushaltsführungsschadens auf Seite 12 der Klageschrift kann durch das Gericht im Ergebnis ohne weiteres übernommen werden (425,6 Stunden x 10 Euro = 4.256,00 Euro).

4. Der Anspruch der Klägerin ist auch durchsetzbar. Er ist insbesondere nicht verjährt.

Für Ansprüche aus § 823 BGB gilt die dreijährige Verjährungsfrist gemäß §§ 195, 199 BGB. Da die Klägerin am 11.12.2013 verletzt wurde, wären an sich sämtliche Ansprüche mit Ablauf des 31.12.2016 verjährt. Die Verjährungsfrist beginnt allerdings gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder aufgrund grob fahrlässiger Unkenntnis nicht erlangt hat, zu laufen. Die Klägerin konnte erst im März 2014 überhaupt Kenntnis von den Tatsachen, aus denen die Verantwortlichkeit der Beklagten folgte, erlangen, als das Gutachten des Sachverständigen S### vorgelegt wurde. Die Verjährungsfrist begann daher frühestens mit Ablauf des 31.12.2014 zu laufen, so dass die Verjährung durch die am 06.09.2017 eingegangene Klage rechtzeitig gehemmt wurde (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).

II.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner auch einen Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 2.879,09 Euro aus §§ 823, 249 BGB.

III.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

IV.

Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf die begehrte Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für zukünftig aus dem Unfallereignis entstehende materielle Schäden (§§ 823 Abs. 1, 249 BGB, 256 Abs. 1 ZPO). Dies allerdings nur, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige leistende Dritte im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs übergegangen sind oder übergehen werden, da die Klägerin nur insoweit aktivlegitimiert ist (§ 116 SGB X). Das Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) besteht; dass die diesbezügliche Schadensentwicklung vollständig abgeschlossen ist, steht nicht sicher fest.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Ziffer 1, 100 Abs. 4 ZPO und betreffend die Nebeninterventionen aus § 101 Abs. 1 ZPO.

VI.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

VII.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO.

OVG Schleswig-Holstein zu der Frage, dass wenn Streit über die Richtigkeit der Höhe der von den Sachverständigen ermittelten Kosten für den für die Mängelbeseitigung erforderlichen und gutachterlich festzustellenden Mängelbeseitigungsaufwand besteht, hierüber nicht im Verfahren zur Festsetzung des Streitwertes zu entscheiden ist, sondern insoweit das Beweisverfahren fortzusetzen gewesen wäre

OVG Schleswig-Holstein zu der Frage, dass wenn Streit über die Richtigkeit der Höhe der von den Sachverständigen ermittelten Kosten für den für die Mängelbeseitigung erforderlichen und gutachterlich festzustellenden Mängelbeseitigungsaufwand besteht, hierüber nicht im Verfahren zur Festsetzung des Streitwertes zu entscheiden ist, sondern insoweit das Beweisverfahren fortzusetzen gewesen wäre

vorgestellt von Thomas Ax

1. Auch für selbständige Beweisverfahren im Verwaltungsprozess (§ 98 VwGO i.V.m. § 485 Abs 2 ZPO) gilt, dass sich der Streitwert grundsätzlich nach dem Hauptsachewert richtet. Er ist nach Durchführung der Beweiserhebung und unter Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse zu ermitteln.*)
2. Ausgangspunkt der Bemessung ist die sich für den Antragsteller bei Einleitung des Verfahrens aus seinem Antrag ergebende Bedeutung der Sache, §§ 40, 52 Abs. 1 GKG 2004. Dient das Beweisverfahren der Feststellung von (Bau-)Mängeln, bestimmt sich dessen Wert nach dem für die Mängelbeseitigung erforderlichen und gutachterlich festzustellenden Mängelbeseitigungsaufwand, da dieser regelmäßig Gegenstand eines späteren Hauptsacheverfahrens ist.*)
3. Unerheblich bleibt, wie die Beteiligten die eingeholten Gutachten später bewerten und dass sie durch Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs ein Hauptsacheverfahren vermeiden.*)
4. Besteht Streit über die Richtigkeit der Höhe der von den Sachverständigen ermittelten Kosten, ist hierüber nicht im Verfahren zur Festsetzung des Streitwerts zu entscheiden, sondern das Beweisverfahren fortzusetzen.*)
OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.05.2024 – 6 O 14/24
vorhergehend:
VG Schleswig, 11.05.2023 – 9 E 2/16


Gründe

Über die Streitwertbeschwerden entscheidet gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG die nach der Geschäftsverteilung des Senats zuständige Berichterstatterin als Einzelrichterin, da die angefochtene Streitwertfestsetzung von einem Einzelrichter der Vorinstanz getroffen worden ist.

Die durch die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin und des Beigeladenen zu 1. jeweils im eigenen Namen eingelegte Streitwertbeschwerde gegen die Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11. Mai 2023 ist gemäß § 32 Abs. 2 RVG zulässig. Beide sind durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beschwert, da eine höhere Streitwertfestsetzung dazu führen würde, dass sie entsprechend höhere Anwaltsgebühren geltend machen könnten. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 200,- Euro (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG); die Gebührendifferenz zwischen dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwert von 5.000,- Euro einerseits und den Gebühren aus dem von den Beschwerdeführern erstrebten Streitwert von 668.592,26 Euro bzw. 558.000,- Euro andererseits liegt über dem Beschwerdewert von 200,- Euro.

Die Beschwerden sind auch begründet, da der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens mit dem Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG fehlerhaft bemessen ist. Vielmehr bietet der bisherige Sach- und Streitstand genügend Anhaltspunkte, den Streitwert nach der sich aus dem Antrag der Antragstellerin ergebenden Bedeutung der Sache gemäß § 52 Abs. 1 GKG zu bestimmen.

In der zivilgerichtlichen Praxis wird der Streitwert für selbstständige Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO grundsätzlich mit dem Hauptsachewert oder mit dem Teil des Hauptsachewertes angesetzt, auf den sich die Beweiserhebung bezieht. Das Gericht hat den Hauptsachewert nach Durchführung der Beweiserhebung und unter Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse zum Hauptsachewert – insbesondere aus einem Sachverständigengutachten – festzusetzen und dies bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und das Interesse des Antragstellers (BGH, Beschl. v. 16.09.2004 – III ZB 33/04 -; Kratz in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 52. Ed. 01.03.2024, § 485 Rn. 42; Schreiber in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2020, § 494a Rn. 13). Dient das Beweisverfahren der Feststellung von (Bau-) Mängeln, bestimmt sich dessen Wert nach dem für die Mängelbeseitigung erforderlichen und gutachterlich festzustellenden Aufwand (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 31.05.2010 – 4 W 17/10 -; OLG Hamburg, Beschl. v. 01.02.2000 – 9 W 2/00 -). Dieser entspricht regelmäßig dem im späteren Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruch. Insoweit ist anhand der Antragstellung, aber aus objektiver Sicht zu ermitteln, welchen Anspruch der Antragsteller bei Verfahrenseinleitung im späteren Hauptsacheverfahren verfolgen will. Werden im Beweisverfahren nicht alle behaupteten Mängel bestätigt, sind für die Streitwertfestsetzung diejenigen Kosten zu schätzen, die sich ergeben hätten, wenn jene Mängel festgestellt worden wären (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 31.05.2010 – 4 W 17/10 -; OLG Celle, Beschl. v. 05.03.2008 – 14 W 6/08 -).

Dem ist gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 485 Abs. 2 ZPO für selbstständige Beweisverfahren im Verwaltungsprozess im Grundsatz zu folgen (vgl. OVG Magdeburg, Beschl. v. 17.08.2022 – 2 M 79/22 -; OVG Münster, vgl. Beschl. v. 12.07.2017 – 15 E 70/17 -, m.w.N., OVG Bautzen, Beschl. v. 08.10.2012 – 5 E 81/12 -). Dies gilt insbesondere in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem sich die Beteiligten über behauptete Mängel bei der Herstellung von Erschließungsanlagen auseinandersetzen und für die Auseinandersetzung der zu erwartende Mängelbeseitigungsaufwand maßgeblich ist (vgl. nur OVG Münster, Beschl. v. 23.03.2009 – 15 E 31/09 -). Bei alledem versteht sich von selbst, dass die sich im Rahmen der Wertbemessung ergebenden Fragen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und im Rahmen der maßgeblichen Regelungen des § 52 GKG, gegebenenfalls in Verbindung mit den Bestimmungen des für die Verwaltungsgerichtsbarkeit erstellten Streitwertkataloges, zu klären sind.

Ausgangspunkt der Bemessung ist deshalb auch hier § 52 Abs. 1 GKG und damit die sich für die Antragstellerin bei Einleitung des Verfahrens aus ihrem Antrag ergebende Bedeutung der Sache. Für die Bestimmung dieser Bedeutung räumt § 52 Abs. 1 GKG dem Gericht Ermessen ein, wobei mit dem Begriff des Ermessens die Möglichkeit einer mit § 3 ZPO vergleichbaren Schätzung der Streitwerthöhe eingeräumt wird (OVG Bautzen, Beschl. v. 23.06.2010 – 4 E 33/10 -; Toussaint in: BeckOK KostR, 45. Ed. 01.04.2024, § 52 GKG Rn. 10; Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Aufl. 2021, § 52 GKG Rn. 5 m.w.N.). Bei der Ausübung des Ermessens wiederum kommt es auf das objektiv zu beurteilende Interesse des jeweiligen Antragstellers zum Zeitpunkt der den Rechtszug einleitenden Antragstellung (§ 40 GKG) an (BVerwG, Beschl. v. 08.12.2022 – 2 KSt 2.22 -).

Maßgeblich bei der Bestimmung der sich für die Antragstellerin bei Einleitung des Verfahrens aus ihrem Antrag ergebenden Bedeutung der Sache ist deshalb, dass sie gegenüber der Antragsgegnerin offenkundig einen vertraglichen Gewährleistungsanspruch verfolgt hat, gestützt auf § 7 des zwischen ihnen geltenden “Städtebaulichen – und Erschließungs-Vertrages” vom 10. Juli 2000. Dabei kann unterstellt werden, dass sie diesen Anspruch unter Anführung der von ihr bei Einleitung des Verfahrens unter Beweis gestellten Mängel in einem späteren Hauptsacheverfahren geltend gemacht hätte.

Dass Ausmaß und Beseitigungsaufwand hinsichtlich der Mängel von den Beteiligten im Nachhinein unterschiedlich bewertet werden, ist für sich betrachtet kein Grund, auf § 52 Abs. 2 GKG zurückzugreifen. Dies käme vielmehr erst dann in Betracht, wenn sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, worauf ein späteres Hauptsacheverfahren hätte gerichtet sein können (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 24.07.2023 – 7 OB 33/23 -) – so, wie es in dem vom Verwaltungsgericht zitierten Verfahren des OVG Bautzen der Fall war. Die dortigen Antragsteller hatten nicht dargelegt, welcher durch das selbstständige Beweisverfahren zu sichernde Anspruch ihnen zustehen sollte, falls der Sachverständige die begehrten Feststellungen trifft (OVG Bautzen, Beschl. v. 08.10.2012 – 5 E 81/12 -). Wie aufgezeigt, liegt es hier jedoch nicht so.

Auf Grundlage der beiden vom Verwaltungsgericht eingeholten Gutachten und der darin jeweils geschätzten Kosten für die Beseitigung der behaupteten und gutachterlich festgestellten Mängel bei Erstellung der Erschließungsanlage im 3. Bauabschnitt des B-Planes Nr. 5 der Antragstellerin ergibt sich ein Streitwert von insgesamt 668.592,26 Euro. Davon entfallen 558.000,- Euro auf den Rückbau und die Neuerstellung der gesamten Straßenbauarbeiten und 110.592,26 Euro auf den Umbau der straßenbegleitenden Grünflächen. In der Wertermittlung enthalten sind auch die sog. “Sowieso-Kosten” für eine erforderliche, aber von Anfang an fehlende Drainage; derartige Kosten reduzieren den Wert nur, wenn der Antrag entsprechend beschränkt worden ist (OLG Rostock, Beschl. v. 15.04.2008 – 3 W 36/08 -). Dies war hier nicht der Fall. Im Übrigen sind beide Gutachter davon ausgegangen, dass nach erfolgter Mangelbeseitigung kein Minderwert der Erschließungsanlage verbleibt. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin bei Einleitung des Verfahrens einen technischen oder merkantilen Minderwert, der den Streitwert noch erhöhen würde, geltend gemacht hat oder machen wollte, bestehen nicht.

Vom objektiven Interesse der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung ausgehend kommt es schließlich nicht darauf an, wie die Beteiligen die eingeholten Gutachten später bewerteten und dass sie, statt ein Hauptsacheverfahren einzuleiten, eine vergleichsweise Regelung fanden. Besteht Streit über die Richtigkeit der Höhe der von den Sachverständigen ermittelten Kosten, ist hierüber nicht im Verfahren zur Festsetzung des Streitwertes zu entscheiden; insoweit wäre vielmehr das Beweisverfahren fortzusetzen gewesen (Herget in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 3 Rn. 16.151 m.w.N.). Vorliegend haben die Beteiligten jedoch trotz angemessener zeitlicher Möglichkeit davon abgesehen, im Rahmen des Beweisverfahrens Einwendungen gegen die beiden Gutachten zu erheben. Dessen ungeachtet bleibt die im vorliegenden Verfahren geübte Kritik der Antragsgegnerin am Gutachten des Sachverständigen ### auch zu unsubstantiiert, als dass daraus eine sachgerechte Reduzierung des Streitwertes hätte abgeleitet werden können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

BGH zu der Frage, dass ein Ablehnungsgesuch völlig ungeeignet ist, wenn seine Begründung von vornherein untauglich ist, eine Befangenheit des abgelehnten Richters aufzuzeigen, und für seine Verwerfung deshalb jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist

BGH zu der Frage, dass ein Ablehnungsgesuch völlig ungeeignet ist, wenn seine Begründung von vornherein untauglich ist, eine Befangenheit des abgelehnten Richters aufzuzeigen, und für seine Verwerfung deshalb jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist

vorgestellt von Thomas Ax

1. Ein völlig ungeeignetes Ablehnungsgesuch ist eindeutig unzulässig und kann daher durch den Spruchkörper in seiner regulären Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters beschieden werden.
2. Ein Ablehnungsgesuch ist völlig ungeeignet, wenn seine Begründung von vornherein untauglich ist, eine Befangenheit des abgelehnten Richters aufzuzeigen, und für seine Verwerfung deshalb jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist.
3. Bei der Rüge “vieler” übergangener Anträge und Gehörsverletzungen sowie Form- und Rechtsverstößen handelt es sich um Pauschalbehauptungen und Wertungen ohne Tatsachensubstanz, die von vornherein nicht geeignet sind, eine Besorgnis der Befangenheit aufzuzeigen.
BGH, Beschluss vom 14.05.2024 – XI ZB 16/23
vorhergehend:
LG Frankfurt/Main, 01.03.2022 – 2-09 T 37/22
AG Frankfurt/Main, 27.07.2020 – 31 C 2327/19

Gründe:

I.

1

Ein völlig ungeeignetes Ablehnungsgesuch ist eindeutig unzulässig und kann daher durch den Spruchkörper in seiner regulären Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters beschieden werden. Ein Ablehnungsgesuch ist völlig ungeeignet, wenn seine Begründung von vornherein untauglich ist, eine Befangenheit des abgelehnten Richters aufzuzeigen, und für seine Verwerfung deshalb jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11. März 2013 – 1 BvR 2853/11, und vom 20. August 2020 – 1 BvR 793/19, Rn. 14; BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – AnwZ (Brfg) 28/20, Rn. 10). So verhält es sich hier. Soweit der Kläger “viele” übergangene Anträge und Gehörsverletzungen sowie Form- und Rechtsverstöße rügt, handelt es sich um Pauschalbehauptungen und Wertungen ohne Tatsachensubstanz, die von vornherein nicht geeignet sind, eine Besorgnis der Befangenheit aufzuzeigen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 – VII ZA 15/11, Rn. 2; BVerwG, Beschluss vom 7. August 1997 – 11 B 18.97, NJW 1997, 3327). Die Rüge einer unzureichenden Aufsicht über die Geschäftsstelle des Senats verkennt, dass ein Richter des Senats nicht die Fachaufsicht über die Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ausübt.

II.

2

Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den ihm am 14. November 2023 zugestellten Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2023, als die seine Rüge eines Verstoßes “gegen das rechtliche Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG” auszulegen ist, ist unzulässig, weil der Kläger sie nicht innerhalb der Notfrist des § 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO erhoben hat. Darüber hinaus fehlt es an der gemäß § 321a Abs. 2 Satz 5 ZPO vorgeschriebenen Darlegung einer konkreten entscheidungserheblichen Gehörsverletzung durch den Senat. Soweit sich die Anhörungsrüge gegen die Verwerfung der Rechtsbeschwerde des Klägers richtet, hätte sie zudem durch einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden müssen. Der im Rechtsbeschwerdeverfahren bestehende Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO) gilt auch für eine in diesem Verfahren erhobene Anhörungsrüge (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 18. Mai 2005 – VIII ZB 3/05, NJW 2005, 2017, vom 21. Juli 2021 – I ZB 28/21, Rn. 2 und vom 2. August 2023 – IX ZB 11/23, Rn. 2).

3

Davon abgesehen wäre die Anhörungsrüge auch unbegründet, weil der Senat bei seiner Entscheidung die Ausführungen des Klägers in vollem Umfang zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen, aber für nicht durchgreifend erachtet hat. Insbesondere ändert sein Vorbringen nichts daran, dass gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 1. März 2022 kein Rechtsmittel eröffnet ist und deshalb sein Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts zurückzuweisen sowie seine Rechtsbeschwerde zu verwerfen war, ohne dass es eines Eingehens auf den Gegenstand des Verfahrens bedurfte. Aus diesem Grund fehlte den Anträgen des Klägers auf Übersendung von Abschriften der Akten das Rechtsschutzbedürfnis, denn diese Anliegen waren unter keinem Gesichtspunkt geeignet, der Verwirklichung seines Rechtsschutzziels zu dienen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2022 – AnwZ (Brfg) 28/21, Rn. 17; BFH, Beschlüsse vom 20. Juni 2006 – X B 55/06, und vom 14. Oktober 2010 – II S 24/10 (PKH); BayVGH, Beschluss vom 18. Mai 1998- 20 ZB 98.1342).

(Hinweis der Redaktion: Die Randnummern sind amtlich und damit besonders zitiergeeignet.)