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OLG Stuttgart zu der Frage, ob Kosten für ein von der Partei beauftragtes Gutachten über Ursache und Ausmaß der eingetretenen und vielleicht noch zu erwartenden Mängel als Mangelfolgeschaden materiellrechtlich gemäß § 13 Nr. 7 VOB/B zu ersetzen sind

OLG Stuttgart zu der Frage, ob Kosten für ein von der Partei beauftragtes Gutachten über Ursache und Ausmaß der eingetretenen und vielleicht noch zu erwartenden Mängel als Mangelfolgeschaden materiellrechtlich gemäß § 13 Nr. 7 VOB/B zu ersetzen sind

Kosten für ein von der Partei beauftragtes Gutachten über Ursache und Ausmaß der eingetretenen und vielleicht noch zu erwartenden Mängel können als Mangelfolgeschaden materiellrechtlich gemäß § 13 Nr. 7 VOB/B zu ersetzen sein (vgl. BGH NJW 2002, 141 f.; BGH NJW 1971, 99 ff.;). Dieser Schaden entsteht von vornherein neben dem Nachbesserungsanspruch, weshalb eine Fristsetzung nach § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B nicht Anspruchsvoraussetzung ist (BGH NJW 2002, 141 f.). Zu ersetzen sind die (Privat-) Gutachterkosten, soweit sie im Einzelfall erforderlich waren, um dem Bauherrn ein zuverlässiges Bild über die Mängel zu verschaffen und es ihm zu ermöglichen, seine diesbezüglichen Ansprüche richtig zu beurteilen (BGH NJW 1971, 99 ff.; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 11. Auflage 2005, Rdnr. 159 ff.). Dabei kann der nicht sachkundige Auftraggeber unter Umständen sogar überhöhte Kosten der Untersuchungen durch den Sachverständigen – die objektiv nicht erforderlich waren – erstattet verlangen. Denn er muss sich grundsätzlich darauf verlassen können, dass der Sachverständige nur solche Untersuchungen durchführt, die zur zuverlässigen Beantwortung der anstehenden Fragen erforderlich sind (vgl. Ingenstau/Korbion, Kommentar zur VOB, 14. Auflage 2001, § 13 Nr. 7 VOB/B, Rdnr. 715).

OLG Stuttgart, Urteil vom 18.10.2007 – 7 U 69/07

Gründe

I.

Die Klägerin ist gewerblich auf dem Gebiet der Kanaltechnik und Kanalsanierung tätig. Sie verlangt von der beklagten Gemeinde restlichen Werklohn für Kanalsanierungsarbeiten am Kanalnetz der Beklagten. Die Beklagte ihrerseits verlangt von der Klägerin im Wege der Widerklage Schadensermittlungskosten in Zusammenhang mit Mängeln an der Werkleistung der Klägerin.

Die Klägerin hatte bereits im Jahre 1999 Kanalsanierungsarbeiten für die Beklagte durchgeführt, die abgeschlossen und bezahlt wurden. Mit Bauvertrag vom 20.06.2000 (Anlage A 1, nach Bl. 12 d.A.) wurde die Klägerin von der Beklagten mit der Durchführung weiterer Kanalsanierungsarbeiten mit einer Gesamtvergabesumme von 552.539,66 DM beauftragt. Unstreitig wurde zwischen den Parteien dabei die Geltung der VOB/B vereinbart. Gegenstand der Beauftragung war keine umfassende Gesamtsanierung des Kanalsystems, sondern die Sanierung punktueller Schäden.

Die Werkleistungen der Klägerin wurden in der Folgezeit erbracht und unstreitig von der Beklagten abgenommen. Die Klägerin erteilte unter dem 05.12.2001 Schlussrechnung (Anlage A 2, nach Bl. 12 d.A.). Diese weist nach Berücksichtigung verschiedener Teilzahlungen der Beklagten einen noch zu bezahlenden Betrag von 140.631,19 DM aus, was 71.903,58 EUR entspricht. Dieser Betrag, der mit der Klage nebst Zinsen geltend gemacht wird, wurde von der Beklagten unter Hinweis auf zahlreiche behauptete Mängel der klägerischen Werkleistung nicht bezahlt.

Die Beklagte ließ im Juni 2002 durch eine Drittfirma – die Kanal-B. GmbH, E. – die Arbeiten der Klägerin überprüfen. Dabei wurde eine Kanalbefahrung mit einer Videokamera durchgeführt. In der Folgezeit hat die Beklagte in großem Umfang Mängel an der klägerischen Werkleistung behauptet und die Mängelbeseitigungskosten auf einen Betrag von 100.978,00 EUR beziffert. Mit einem von ihr in dieser Höhe behaupteten Schadenersatzanspruch hat die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit gegen die Klagforderung aufgerechnet und den überschießenden Betrag von 29.074,42 EUR nebst Zinsen im Wege der Widerklage geltend gemacht. Daneben hat die Beklagte, ebenfalls jeweils im Wege der Widerklage, Schadensermittlungskosten in Höhe von 28.316,76 EUR geltend gemacht und Feststellung begehrt, dass die Klägerin auch den weiteren Schaden zu ersetzen habe, der durch die mangelhafte Kanalsanierung entstanden sei oder noch entstehen werde. Die Schadensermittlungskosten betreffen die von der Beklagten beauftragte Mängelermittlung und Auswertung durch die Firma E., S..

Auf die weiteren tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den behaupteten Mängeln die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 8.893,08 EUR nebst Zinsen zu bezahlen. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Auch die Widerklage wurde vom Landgericht abgewiesen. Beide Parteien haben gegen das Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt, die Beklagte zudem auch Anschlussberufung.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihren Restwerklohnanspruch, soweit dieser noch nicht zuerkannt wurde, unter Vertiefung ihres bisherigen Vortrages weiter. Sie hält die von der Beklagten geltend gemachten Schadenersatzansprüche nach wie vor weder dem Grunde noch der Höhe nach für gegeben. Die Klägerin greift insbesondere die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. zur Mangelhaftigkeit ihrer Werkleistungen an. Außerdem ist die Klägerin der Auffassung, dass etwaige Schadenersatzansprüche der Beklagten jedenfalls ohne Umsatzsteuer geschuldet wären.

Die Beklagte verfolgt mit ihrer Berufung die von ihr geltend gemachten Schadensermittlungskosten in Höhe von 28.316,76 EUR nebst Zinsen weiter. Sie hat dabei zuletzt Zahlung in Höhe eines Betrages von 12.667,20 EUR und Freistellung hinsichtlich des Restbetrages von 15.649,56 EUR verlangt. Zudem hat die Beklagte Anschlussberufung eingelegt und mit dieser eine Eventualwiderklage auf Feststellung erhoben, dass die Klägerin nach Ausführung der Mängelbeseitigungsarbeiten die anfallende Mehrwertsteuer zu erstatten habe. Die Eventualwiderklage ist für den Fall erhoben, dass die Aufrechnung gegen die Hauptforderung mit Schadenersatzansprüchen der Beklagten nur in Höhe des Nettobetrages oder nur in Höhe eines Mehrwertsteuersatzes von 16 % für begründet erachtet wird.

Die Klägerin beantragt wie folgt:

1. Das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 22. Februar 2007, Az: 3 O 516/02, wird abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, über den zuerkannten Betrag von 8.893,08 EUR nebst Zinsen hieraus von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 16. Januar 2002 hinaus weitere 63.010,50 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 16. Januar 2002 zu zahlen.

2. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Anschlussberufung wird als unbegründet zurückgewiesen.

4. Die Eventualwiderklage wird als unzulässig abgewiesen, hilfsweise als unbegründet.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Hinsichtlich der Widerklage hat die Beklagte zunächst wie folgt beantragt:

1. Das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 22.02.2007, Az: 3 O 516/02 III, wird abgeändert.

2. Auf die Widerklage der Beklagten wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 28.316,76 EUR nebst 8 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Widerklageschriftsatzes zu bezahlen.

Nunmehr beantragt die Beklagte hinsichtlich der Widerklage wie folgt:

1. Das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 22.02.2007, Az: 3 O 516/02 III, wird abgeändert.

2. Auf die Widerklage der Beklagten wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 12.667,20 EUR nebst 8 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Widerklageschriftsatzes zu bezahlen.

3. Die Klägerin wird verurteilt, die Beklagte von der Bezahlung einer Forderung in Höhe von 15.649,56 EUR der E. R. AG, S., freizustellen.

Im Rahmen ihrer Anschlussberufung beantragt die Beklagte – bedingt für den Fall, dass die Aufrechnung gegen die Hauptforderung mit Schadenersatzansprüchen der Beklagten nur in Höhe des Nettobetrages oder nur in Höhe eines Mehrwertsteuersatzes von 16 % für begründet erachtet wird -,

festzustellen, dass die Klägerin nach Ausführung der Mängelbeseitigungsarbeiten die anfallende Mehrwertsteuer zu erstatten hat.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Der ebenfalls zulässigen Berufung der Beklagten war hingegen stattzugeben. Die im Wege der Anschlussberufung zulässig erhobene Eventualwiderklage der Beklagten kommt nicht zum Tragen.

1. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Landgericht Heilbronn hat durch das angegriffene Urteil zu Recht lediglich einen Restwerklohnanspruch der Klägerin in Höhe von 8.893,08 EUR nebst Zinsen zuerkannt. Zutreffend hat das Landgericht Schadenersatzansprüche der Beklagten gegen die Klägerin in Höhe von 63.010,50 EUR bejaht. In dieser Höhe hat die Beklagte wirksam gegen die – im Ausgangspunkt unstreitige – Restwerklohnforderung aufgerechnet.

a) Die Parteien haben unstreitig die Geltung der VOB/B vereinbart. Angesichts des Datums des Vertragsschlusses (20.06.2000) ist von der Einbeziehung der VOB/B Ausgabe 1998 auszugehen. Die Anspruchsvoraussetzungen für die geltend gemachten Schadenersatzansprüche richten sich daher nach der Regelung des § 13 7 VOB/B in der damaligen Fassung. § 13 VOB/B enthält eine abschließende Regelung der Mängelrechte nach Abnahme (vgl. Palandt-Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl. 2007, § 634 BGB, Rdnr. 28). Alle Leistungen der Klägerin sind unstreitig abgenommen.

b) Nach § 13 7 Abs. 1 VOB/B 1998 setzte die Schadenersatzpflicht einen wesentlichen Mangel voraus, der die Gebrauchsfähigkeit erheblich beeinträchtigt und auf ein Verschulden des Auftragsnehmers oder seiner Erfüllungsgehilfen zurückzuführen ist.

Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung meint, der Schadenersatzanspruch nach § 13 VOB/B setze Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus, ist dies für den hier angesprochenen Bereich nicht richtig. Vielmehr regelte in der hier maßgeblichen Fassung der VOB/B lediglich § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B, dass ein ‑darüber hinausgehender, das heißt von Absatz 1 nicht erfasster, Schaden unter anderem dann zu ersetzen ist, wenn der Mangel auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht (vgl. nunmehr § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B 2002). Im Bereich von § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B 1998 war hingegen auch zum damaligen Zeitpunkt jede Form von Fahrlässigkeit haftungsbegründend.

c) Angesichts der vom Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. S. festgestellten Mängel sind die vom Landgericht zuerkannten Schadenersatzansprüche begründet. Es handelt sich durchweg um wesentliche Mängel, die die Gebrauchsfähigkeit der Bauleistung jeweils erheblich beeinträchtigen und auf ein Verschulden der Klägerin als Auftragnehmerin respektive ihrer Erfüllungsgehilfen zurückzuführen sind. Gegenstand des vorliegenden Werkvertrages war die Sanierung der Abwasserkanäle der beklagten Kommune. Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. S. hat in der als Anlage zur gutachterlichen Stellungnahme vom Mai 2005 (Bl. 206 d.A.) beigefügten Tabelle für die insgesamt 123 Schadenspositionen jeweils in Spalte 13 eine Schadensbeschreibung aufgenommen, die im landgerichtlichen Urteil (Seiten 20 ff.) für die als mangelhaft eingestuften Einzelpositionen wiedergegeben ist. Es geht ganz überwiegend um nicht fachgerechte Rohrverbindungen mit sichtbarer Feuchtigkeit, des weiteren um Risse und um Stellen mit losem Verpressmaterial. Der Sachverständige Prof.-Dr.-Ing. D. S. hat im Rahmen seiner Anhörung im Berufungsverfahren ausgeführt, dass ein sanierter Kanal die Anforderungen erfüllen muss, die an einen neuen Kanal gestellt werden. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass es sich bei den von ihm festgestellten Mängeln nicht etwa um Schönheitsfehler handelt. Die vorliegenden Mängel stellen den Erfolg der Sanierungsmaßnahmen in Frage. Bei der richtigen Wahl der technischen Verfahren wäre es – so der Sachverständige – möglich gewesen, aus technischer Sicht einen Sanierungserfolg zu erzielen. Angesichts dieser klaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bestehen weder ernsthafte Zweifel an einer erheblichen Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der Leistung noch am Verschulden der Klägerin.

d) Nicht gefolgt werden kann auch der ebenfalls in Zusammenhang mit der Frage der Mangelhaftigkeit stehenden Argumentation der Klägerin, das Landgericht habe die Rolle und die Befugnisse des Bauleiters der Beklagten, Herrn Dipl.-Ing. Ch. M., verkannt. Die Ausführungen des Landgerichts zur Frage der vertraglich geschuldeten lokalen Einzelleistungen, zur ‑sparsamen Arbeitsweise und zu Einzelweisungen sind in jeder Hinsicht klar und überzeugend. Der Senat hat diesen Ausführungen nichts hinzuzufügen.

e) Auch die mit der Berufung (erneut) vorgetragenen Einwendungen gegen die vom Sachverständigen gewählten Methodik und zum Inhalt der von ihm getroffenen Feststellungen sind nicht überzeugend.

Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. D. S. hat im Rahmen seiner Anhörung im Berufungsverfahren zunächst in grundsätzlicher Hinsicht ausgeführt, dass es heute üblich sei, Kanäle mittels einer Befahrung durch Fernsehkameras zu inspizieren. Die Auswertung dieser Befahrungen erfolgt dann in der Regel im Ingenieurbüro. Voraussetzung für tragfähige Feststellungen sei allerdings, dass die Videobänder aussagefähig sind, man also genug auf ihnen erkennen könne. Nach den klaren Darlegungen des Sachverständigen erfüllten die Videoaufnahmen, die ihm im Streitfall vorlagen, diese Voraussetzungen. Die Videoaufnahmen waren durch Geräte gefertigt, die dem Stand der Technik entsprachen. Insbesondere – so der Sachverständige weiter – entsprach auch die Ausleuchtung dem Stand der Technik. Der Sachverständige hat auch darauf hingewiesen, dass es entgegen der Auffassung der Klägerin eine feste Regel, wonach nur in Fließrichtung inspiziert werden dürfe, nicht gibt. Die Abnahmebefahrung der Klägerin wurde bei den Untersuchungen des Sachverständigen mitberücksichtigt. Die Vorgabe, dass vor Inspektionen die Innenflächen der Kanäle getrocknet sein müssen, war nach den Darlegungen des Sachverständigen ebenfalls erfüllt. Der Sachverständige hat bei alldem betont – und dies als Selbstverständlichkeit bezeichnet -, dass er seine Feststellungen unter Berücksichtigung der technischen Normen DIN EN-752-5 und DIN EN-1610 getroffen hat.

Im Weiteren hat der Sachverständige in überzeugender Weise zu den Einwendungen der Klägerin in Zusammenhang mit der Abgrenzung zwischen (bloßen) Glanzstellen und Feuchtigkeit Stellung genommen. Er hat sich, unter näherer Darstellung des Injektionsverfahrens mittel eines sogenannten Packers, erneut darauf festgelegt, dass die von ihm als Feuchtigkeitsstellen festgestellten Stellen tatsächlich feucht waren und es sich dort nicht um den sogenannten ‑Harzglanz handelte, sondern jeweils Infiltration von Wasser vorhanden war. Nachdem eine solche Festlegung nach den Ausführungen des Sachverständigen bereits anhand der vorhandenen Videoaufnahmen möglich war, bedurfte es hier auch keines Einweisungstermins.

Der Sachverständige hat schließlich auch in jeder Hinsicht nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass er anhand der Datierungen der ausgewerteten Videobänder einerseits und der Arbeitsberichte und Protokolle andererseits die Arbeitsstellen der Klägerin auf den Bändern verortet hat, um die Arbeitsergebnisse zu bewerten.

f) Das Landgericht hat auf der Grundlage der einzelnen Feststellungen des Sachverständigen die Schadensbeseitigungskosten zutreffend auf einen Gesamtbetrag von netto 52.950,- EUR addiert. Dass die Klägerin im Rahmen ihres Berufungsvortrages insoweit lediglich auf einen Betrag von 52.150,- EUR netto kommt, beruht darauf, dass die Klägerin in ihrer Auflistung die Schadensposition mit der laufenden Nummer 100 (‑Scherbenbildung im Sohlbereich ist nicht fachgerecht saniert) mit einem Nettobetrag von 800,- EUR nicht mit aufgeführt hat. Die Berechnung des Landgerichts ist demgegenüber zutreffend.

Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. S. hat im Rahmen der Berufungsverhandlung klarstellend erläutert, dass sich die Schadensbeseitigungskosten jeweils auf die konkrete Schadensstelle beziehen und lediglich in den wenigen Fällen, in denen mehrere Schadensstellen eng beieinander lagen, eine sogenannte Renovierung vorgeschlagen wurde, die dort günstiger ist als einzelne Reparaturen in jenen Bereichen. Die Beklagte erhält daher durch den Schadensausgleich keineswegs mehr als durch den ursprünglichen Auftrag, der unstreitig lediglich auf eine punktuelle Kanalsanierung (sogenannte Reparatur) ausgerichtet war.

g) Zu Recht hat das Landgericht im Rahmen der Berechnung der Schadenersatzansprüche der Beklagten jeweils die Umsatzsteuer aus den Nettobeträgen mitberücksichtigt.

aa) Dem Einwand der Klägerin, es handle sich um eine ‑echte Schadenersatzforderung, die nicht steuerbar sei, weil ein Austauschverhältnis insoweit fehle, kann nicht gefolgt werden. Beim Schadensausgleich in Geld gemäß § 13 7 VOB/B ist die Umsatzsteuer in der vorliegenden Konstellation grundsätzlich ersatzfähig (OLG München, IBR 2000, 114; vgl. Wirth in: Ingenstau/Korbion, VOB, 16. Auflage, § 13 Nr. 7 VOB/B, Rdnr. 117). Im Rahmen des Schadenersatzes werden Mängelbeseitigungskosten geltend gemacht. Es handelt sich um Aufwendungen, die der Auftraggeber selbst zur Schadensbeseitigung erbringen muss. Hierzu gehört die Umsatzsteuer (OLG München, a.a.O.). Zur Erreichung der Baumängelfreiheit fällt die Umsatzsteuer auf die erforderlichen Bauleistungen an (vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil vom 18.01.2007, 12 U 120/06, zit. nach JURIS). Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn als Schaden entgangener Gewinn oder ein merkantiler Minderwert verlangt wird (OLG München a.a.O.).

Ob die zur Mangelbeseitigung erforderlichen Bauleistungen tatsächlich ausgeführt werden, ist unerheblich. Die Regelung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, die verlangt, dass die Umsatzsteuer tatsächlich anfällt, ist schon wegen der Übergangsregelung des Art. 229 § 8 EGBGB hier nicht anwendbar. Die Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB bezieht sich im Übrigen nur auf den Schadenersatz wegen Beschädigung einer Sache. Vorliegend geht es aber gerade nicht um den Ausgleich eines Integritätsschadens.

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus Haushaltsvorschriften und einer aus diesen gegebenenfalls resultierenden Zweckgebundenheit der streitgegenständlichen Schadenersatzansprüche.

bb) Nicht im Rahmen des Schadenersatzes zu berücksichtigen ist die Umsatzsteuer im Ergebnis allerdings auch dann, wenn der Auftraggeber vorsteuerabzugsberechtigt ist. Denn dann entsteht ihm wegen § 15 UStG gar kein Schaden, weil er die zu zahlenden Mehrwertsteueranteile hinsichtlich der Schadensbehebungsmaßnahmen als Vorsteuerbetrag gegenüber dem Finanzamt wieder abziehen kann (vgl. OLG Celle, IBR 2004, 564; vgl. bereits BGH NJW 1972, 1460). Eine Vorsteuerabzugsberechtigung der beklagten Gemeinde kann aber für den hier konkret in Rede stehenden Bereich, nämlich der Sanierung des Abwasserkanalsystems, nicht festgestellt werden. Die Beklagte handelt hier nicht als Unternehmen bzw. auch nicht wie ein Unternehmen im Rahmen gewerblicher Tätigkeit. Gemäß § 2 Abs. 3 UStG sind die juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 , § 4 des Körperschaftssteuergesetzes) und ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. Die Beklagte betreibt nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vortrag die Abwasserbeseitigung als Pflichtaufgabe der Gemeinde im Wege eines sog. Regiebetriebs der Gemeinde als sog. Hoheitsbetrieb. Sie handelt demnach bei der Abwasserbeseitigung ‑hoheitlich im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG und nicht im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art. Die Abwasserbeseitigung durch Personen des öffentlichen Rechts wird seit jeher als Ausübung öffentlicher Gewalt beurteilt (vgl. BFH DB 1998, 850).

Ist damit aber die beklagte Gemeinde hier nicht als Unternehmen bzw. wie ein Unternehmen tätig, scheidet eine Vorsteuerabzugsberechtigung gemäß § 15 UStG aus.

cc) Ebenfalls zutreffend hat das Landgericht der Schadensberechnung den gegenwärtig geltenden Umsatzsteuersatz von 19 % zugrunde gelegt. Der Anspruch auf Schadenersatz in Geld bemisst sich grundsätzlich nach den Wert- und Preisverhältnissen im Zeitpunkt der Erfüllung (vgl. Palandt-Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Auflage 2007, Vorb. zu § 249 BGB, Rdnr. 174 m.w.N.). Im gerichtlichen Verfahren ist grundsätzlich von den Verhältnissen der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatrichter auszugehen, wobei die weitere Entwicklung der Nach- und Vorteile bis zur voraussichtlichen Erfüllung zu berücksichtigen ist (vgl. BGH NJW-RR 2001, 1450). Durch die Mehrwertsteuererhöhung zum 01.01.2007 ist der Schaden der Beklagten gestiegen, da sie für eine mangelfreie Herstellung des Werks nunmehr erhöhte Kosten hat. Nachdem die in Rede stehenden Schadenersatzansprüche nun Gegenstand des Berufungsverfahrens sind, ist der jetzt geltende Mehrwertsteuersatz maßgebend.

Die allein die Widerklage betreffende Berufung der Beklagten hat Erfolg.

a) Die im Schriftsatz vom 24.09.2007 enthaltene geänderte Antragstellung hinsichtlich der Widerklage begegnet keinen prozessualen Bedenken (§§ 533, 529 ZPO in Verbindung mit § 264 2 ZPO). Es handelt sich um eine qualitative Änderung des Antrages bei gleich bleibendem Klagegrund (vgl. Zöller-Greger, Zivilprozessordnung, 26. Auflage 2007, § 264 ZPO, Rdnr. 3 b m.w.N.).

b) Kosten für ein von der Partei beauftragtes Gutachten über Ursache und Ausmaß der eingetretenen und vielleicht noch zu erwartenden Mängel können als Mangelfolgeschaden materiellrechtlich gemäß § 13 7 VOB/B zu ersetzen sein (vgl. BGH NJW 2002, 141 f.; BGH NJW 1971, 99 ff.;). Dieser Schaden entsteht von vornherein neben dem Nachbesserungsanspruch, weshalb eine Fristsetzung nach § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B nicht Anspruchsvoraussetzung ist (BGH NJW 2002, 141 f.). Zu ersetzen sind die (Privat-) Gutachterkosten, soweit sie im Einzelfall erforderlich waren, um dem Bauherrn ein zuverlässiges Bild über die Mängel zu verschaffen und es ihm zu ermöglichen, seine diesbezüglichen Ansprüche richtig zu beurteilen (BGH NJW 1971, 99 ff.; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 11. Auflage 2005, Rdnr. 159 ff.). Dabei kann der nicht sachkundige Auftraggeber unter Umständen sogar überhöhte Kosten der Untersuchungen durch den Sachverständigen – die objektiv nicht erforderlich waren – erstattet verlangen. Denn er muss sich grundsätzlich darauf verlassen können, dass der Sachverständige nur solche Untersuchungen durchführt, die zur zuverlässigen Beantwortung der anstehenden Fragen erforderlich sind (vgl. Ingenstau/Korbion, Kommentar zur VOB, 14. Auflage 2001, § 13 Nr. 7 VOB/B, Rdnr. 715).

c) Das Landgericht hat im vorliegenden Fall den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der Schadensermittlungskosten zu Unrecht verneint.

Das Landgericht hat darauf verwiesen, dass die Beklagte, die über ein eigenes Bauamt verfüge, sowohl die Planung der Kanalisationsarbeiten als auch die anschließende Durchführung ‑in eigener Zuständigkeit bzw. mit dem Streithelfer als Bauleiter erbracht habe. Es hätte nach Ansicht des Landgerichts unter Schadensminderungsgesichtspunkten (§ 254 BGB) nahe gelegen und wäre ausreichend gewesen, die der Beklagten vorliegenden Videobänder von einer fachkundigen Person wie dem Streithelfer auswerten zu lassen. Die Beklagte hat hierzu indessen ausgeführt, sie verfüge zwar über ein Bauamt, aber nicht über Mitarbeiter mit einer technischen Ausbildung. Deshalb sei sie gezwungen gewesen, fachkundige Personen – wie das Landgericht zutreffend feststelle – mit der Schadensermittlung zu beauftragen, was mit der Beauftragung der auf Kanalsanierungsarbeiten spezialisierten E. mit ihren Mitarbeitern Dipl.-Ing. St. und K. geschehen sei.

Angesichts der technisch durchaus schwierigen Materie liegt es auf der Hand, dass sich die Beklagte hier externer Fachleute bedienen musste, um sich ein Bild von Art und Ausmaß der Mängel zu verschaffen und diese in den vorliegenden Rechtsstreit einführen zu können.

d) Die Widerklageforderung ist auch der Höhe nach begründet.

Der von der E. abgerechnete Stundensatz von 120,- DM bzw. 60,- EUR ist gerichtsbekannt angemessen, jedenfalls nicht überhöht. Dies zeigen nicht zuletzt auch die Stundensätze des § 9 JVEG.

Die Beklagte hat unter Vorlage von Stundenlisten (Anlagen B 20 und B 21, nach Bl. 157 d.A.) und unter Abgrenzung zu anderen von der E. durchgeführten Aufträgen (Anlage B 22, nach Bl. 157 d.A.) dargetan, dass die Ingenieure der E. im Zeitraum vom 01.09.2001 bis 30.09.2002 insgesamt 182 Stunden und im Zeitraum zwischen dem 01.10.2002 und dem 31.01.2004 224,85 Stunden mit der Mangelermittlung und Auswertung befasst waren. Ob dieser Tätigkeitsumfang für die Schadensermittlung objektiv tatsächlich erforderlich war, was die Klägerin in Abrede stellt, kann nach dem oben Gesagten letztlich offen bleiben. Die Beklagte, die über eigene Sachkunde nicht verfügt, durfte sich darauf verlassen, dass die Ingenieure der E. nur die zur Schadensermittlung erforderlichen Untersuchungen durchführen würden.

e) Die Beklagte hat durch Vorlage eines Kontoauszuges nebst Buchungsaufstellung (Anlage B 26, Bl. 473-475 d.A.) bewiesen, dass sie einen Betrag von 12.667,20 EUR an die E. AG geleistet hat. Insoweit war die Klägerin zur Zahlung zu verurteilen. Der Anspruch auf Verzinsung dieses Betrages beruht auf § 291

Soweit die Beklagte ihrerseits noch nicht an die E. AG geleistet hat, war die Klägerin zur Freistellung zu verurteilen (§ 257 BGB), wobei die Verbindlichkeit, von der freizustellen ist, zur Klarstellung im Tenor näher bezeichnet wurde.

3. Die im Wege einer Anschlussberufung erhobene Eventualwiderklage auf Feststellung, dass die Klägerin nach Ausführung der Mängelbeseitigungsarbeiten die anfallende Mehrwertsteuer zu erstatten hat, ist bedingt für den Fall erhoben, dass die Aufrechnung gegen die Hauptforderung mit Schadenersatzansprüchen nur in Höhe eines Nettobetrages oder nur in Höhe eines Mehrwertsteuersatzes von 16 % für begründet erachtet wird. Beide Bedingungen sind nicht eingetreten.

III.

Der nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung noch eingegangene Schriftsatz der Klägerin vom 10.10.2007 bot keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. In rechtlicher Hinsicht ist allerdings darauf hinzuweisen, dass eine vorbehaltlose Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB a.F. – die VOB/B enthielt insoweit keine Sonderregelung – nicht zum Ausschluss des Rechts auf Schadenersatz führte. Ausgeschlossen waren vielmehr lediglich die Rechte aus §§ 633, 634 BGB.

IV.

Die Zulassung der Revision war nicht geboten. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 ZPO. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

OLG München zur Frage der Fälligkeit des Werklohnanspruchs und der Teilabnahme bei Vertrag über die Lieferung und Erstellung eines Ausbauhauses

OLG München zur Frage der Fälligkeit des Werklohnanspruchs und der Teilabnahme bei Vertrag über die Lieferung und Erstellung eines Ausbauhauses

Enthält bei einem Vertrag über die Lieferung und Erstellung eines Ausbauhauses das Protokoll über die  „Schlussabnahme-Hausübergabe“ lediglich Feststellungen zur vertraglich geschuldeten Erstellung des Hauses selbst und nicht zur daneben vereinbarten – zum Zeitpunkt der Begehung noch nicht fertigstellten – Zusatzleistung „Technikpaket mit Betonkeller und Gas- und Brennwertheizung mit FBH inklusive Montage“, stellt sich die Unterzeichnung des Protokolls nur als Teilabnahme der Lieferung und der Errichtung des Ausbauhauses (ohne Zusatzleistungen) dar. (Rn. 20 – 25)

OLG München, Endurteil v. 15.01.2020 – 20 U 1051/19 Bau

Vorinstanz:
LG Landshut, Endurteil vom 08.02.2019 – 54 O 2698/17

Fundstellen:
ZfIR 2020, 154
BauR 2020, 1341
BeckRS 2020, 92
LSK 2020, 92
NJW-RR 2020, 594
NZBau 2020, 436

Tatbestand

I.

1
Die Parteien streiten um die Fälligkeit von Werklohnansprüchen der Klägerin und Gegenansprüche der Beklagten wegen behaupteter Mängel des Gewerks.

2
Die Parteien haben am 6. Juli/14. August 2014 einen von der Klägerin vorformulierten Vertrag über die Lieferung und Erstellung eines „m.-Ausbauhauses LifeStyle 1“ auf dem Grundstück der Beklagten mit den Zusatzleistungen „Elektropaket Keller inkl. Montage“, „Treppe Keller“ und „Technikpaket mit Betonkeller und Gas-Brennwertheizung mit FBH im EG + DG inkl. Montage“ zum Preis von € 159.680,00 geschlossen. Dieser Preis hat sich nach Vertragserweiterung um € 11.344,00 erhöht.

3
Nach Lieferung und Aufbau des Hauses durch die Klägerin wurde am 12. Februar 2016 ein „Schlussabnahme-Hausübergabe“-Protokoll (K 10) gefertigt. Die dort bezeichneten Mängel hat die Klägerin beseitigt.

4
Das von der Klägerin im Rahmen des vertraglich vereinbarten „Technikpakets mit Montage“ geschuldete Heizungs- und Sanitärpaket (vgl. Bau- und Leistungsbeschreibung Stand 06/2014, S. 23, S. 12, B 7) wurde durch Subunternehmer der Klägerin erbracht. Insoweit hat die Beklagte zu 2) am 18. Mai 2016 eine „Fertigstellungsmeldung“ (K 15) sowie ein „Druckprobenprotokoll“ (K 17) unterschrieben. In letzterem ist unter „Bemerkungen“ ausgeführt: „Sämtliche Wasser und Abwasseranschlüsse sowie Lüftungsauslässe und Heizungsverteiler wurden in Absprache mit Bauherren positioniert und montiert.“

5
Bei den montierten Heizungsverteilern handelt es sich um zwei Unterputzgeräte, die sowohl im Flur im Erdgeschoss als auch im Kinderzimmer im Dachgeschoss nicht in, sondern vor die Wand gesetzt wurden. Dies haben die Beklagten jedenfalls am 29. Juni 2016 telefonisch gegenüber der Klägerin moniert. Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 6. September 2016 (B 3) haben die Beklagten die Klägerin unter Fristsetzung zum 20. September 2016 aufgefordert, die beiden Kästen samt Verrohrung unter Putz zu setzen. Nach fruchtlosem Fristablauf haben sie ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe der doppelten Beseitigungskosten geltend gemacht (B 4, B 6). Die Klägerin hat diesbezüglich einen Mangel in Abrede gestellt (K 13).

6
Von der Forderung der Klägerin sind derzeit noch € 25.109,00 offen; eine Mahnung der Klägerin mit Fristsetzung zum 3. März 2017 (K 13) ist erfolglos geblieben. Die Beklagten haben zwischenzeitlich den Innenausbau fertiggestellt und das Haus bezogen.

7
Die Klägerin hat vor dem Landgericht behauptet, dass ein genauer Standort für die Heizkreisverteiler nicht vereinbart worden sei. Der Standort sei vor Ort festgelegt worden, wobei die Beklagten die Aufputzinstallation gewollt und die Ordnungsgemäßheit der Arbeit mit der „Fertigstellungsmeldung“ (K 15) bestätigt hätten. Sie hat die Auffassung vertreten, dass damit, jedenfalls aber durch die nachfolgende Herstellung des Innenausbaus durch die Beklagten, das Gewerk abgenommen worden sei.

8
Die Beklagten haben vorgebracht, dass die Heizkreisverteiler vertragswidrig gesetzt worden seien, die falsche Montage sei dem zuständigen Mitarbeiter der Klägerin sofort telefonisch gemeldet worden. Abgesehen vom optisch ungünstigen Eindruck schlage der auf Putz montierte Unterputzverteiler im Erdgeschoss an die Haustüre an. Zur Mängelbeseitigung seien € 12.554,50 erforderlich.

9
Auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils und die dort gestellten Anträge wird ergänzend Bezug genommen.

10
Mit Endurteil vom 8. Februar 2019 hat das Landgericht nach Vernehmung der Zeugen S., D. und J. die Beklagten zur Zahlung des Restwerklohns in der unstreitigen Höhe von € 25.109,00 nebst Zinsen verurteilt und das Bestehen des von den Beklagten geltend gemachten Zurückbehaltungsrechts verneint. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass u.a. hinsichtlich der Montage der Unterputzkreisverteiler auf und nicht in den Wänden ein Mangel vorliege, ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten allerdings daran scheitere, dass sie das Werk vorbehaltlos abgenommen hätten. Eine Abnahme könne bereits in der am 12. Februar 2016 erklärten Schlussabnahme gesehen werden. Auch wenn sich aus der „Fertigstellungsmeldung“ und dem „Druckprobenprotokoll“ keine Abnahme ergebe, sei zudem eine stillschweigende Abnahme anzunehmen. Denn die Beklagten hätten unstreitig nach Einbringung der Heizkreisverteiler den Innenausbau hergestellt, insbesondere den Estrich eingebracht. Offensichtlich sei die Positionierung der Heizkreisverteiler nicht schriftlich gerügt worden.

11
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung erstreben die Beklagten die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils. Sie machen insbesondere geltend, dass eine stillschweigende Abnahme nicht angenommen werden könne. Das Landgericht habe nicht beachtet, dass, wie auch die Vernehmung des Zeugen D. ergeben habe, die Beklagten die Positionierung der Heizverteiler sofort gerügt hätten.

12
Die Beklagten beantragen zuletzt,

1.
Das Urteil des LG Landshut vom 8.02.2019, Az. 54 O 2698/17, wird aufgehoben.

2.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin € 25.109,00 zu zahlen Zug um Zug gegen Versetzen der Heizkreisverteiler samt Verrohrung im Anwesen K. 12b in … G., gelegen im DG und EG, unter Putz.

Hilfsweise: Die Klage wird kostenpflichtig abgewiesen.

13
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt,

Kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung.

14
Sie macht geltend, dass das Landgericht fehlerhaft einen Mangel angenommen habe. Denn der Klagepartei habe es frei gestanden, die Verteiler dort zu positionieren, wo sie letztendlich auch montiert wurden. Zumindest hätte das Landgericht zu dieser Frage einen Sachverständigen hinzuziehen müssen. Ausweislich der am 12. Februar 2016 erklärten Schlussabnahme (K 10) sei das Werk abgenommen worden, jedenfalls stellten die „Fertigstellungsmeldung“ (K 15) und das „Druckprobenprotokoll“ (K 17) eine zulässige rechtsgeschäftliche Teilabnahme dar.

15
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.

16
Die zulässige Berufung der Beklagten hat im Hilfsantrag Erfolg. Das Urteil des Landgerichts war aufzuheben und die Klage als derzeit unbegründet abzuweisen.

17
Der Vertrag vom 6. Juli/14. August 2014 (K 1) über die Lieferung und Erstellung des Fertighauses auf dem Grundstück der Beklagten nebst Zusatzleistungen ist rechtlich als Werkvertrag einzuordnen. Denn die Klägerin hat nicht nur die Verpflichtung zur Übereignung von Fertigelementen übernommen, sondern auch die das Gesamtbild des Vertrags prägende Verpflichtung zur Herstellung bzw. Errichtung des Bauwerks (vgl. Palandt, BGB, § 650 Rn. 5 mwN).

18
Die unstreitig noch offene Werklohnforderung in Höhe von € 25.109,00 ist noch nicht fällig.

19
a) Eine Fälligkeit gemäß § 641 BGB ist wegen berechtigter Verweigerung der Abnahme des Gewerks „Heizung“ nicht gegeben.

20
aa) Abnahme ist die Anerkennung eines Werks als in der Hauptsache vertragsgemäße Leistung verbunden mit einer – soweit möglich – körperlichen Entgegennahme im Rahmen der Besitzübertragung (Palandt, BGB, § 640 Rn. 3 mwN). Soweit vertraglich vereinbart, ist auch eine Teilabnahme möglich, § 641 Abs. 1 Satz 2 BGB. Darüber hinaus steht es dem Besteller frei, solche Teile eines Werkes vor Fertigstellung des Gesamtwerkes abzunehmen, die sich bei natürlicher Betrachtungsweise abtrennen lassen und insoweit eine sinnvolle selbständige Einheit darstellen (MünchKom BGB, § 640 Rn. 23).

21
bb) Eine ausdrückliche Abnahme des Gewerks Heizung im vorstehenden Sinn hat nicht stattgefunden. Entgegen der Ansicht der Klägerin stellt weder die „Schlussabnahme – Hausübergabe“ (K 10), noch die „Fertigstellungsmeldung“ (K 15), noch das „Druckprobenprotokoll“ (K 17) eine Abnahme in Bezug auf die Positionierung der Heizkreisverteiler dar.

22
(1) Die „Schlussabnahme-Hausübergabe“ (K 10) vom 12. Februar 2016 bezog sich, wie sich aus dem Text dieses Protokolls ergibt, ausschließlich auf die vertraglich geschuldete Erstellung des Hauses selbst und nicht auf die daneben vereinbarten Zusatzleistungen. Zweck der gemeinsamen Begehung am 12. Februar 2016 war ausweislich des Protokolls (K 10) ausschließlich die „Abnahme des Hauses.“ Demgemäß haben die Besteller auch lediglich erklärt, dass „sich das Haus in einem sach- und fachgerechten Zustand befindet.“ Im Einklang hiermit wurde bei dieser Abnahme auch nur das Haus von außen (Dacheindeckung, Dachrinne, äußere Holzteile, Fenster, Türen, Wände) und von innen (Wände, Sauberkeit, Dachstuhl) geprüft.

23
Die daneben vertraglich geschuldeten Zusatzleistungen in Gestalt jedenfalls des „Technikpakets mit Betonkeller und Gas- und Brennwertheizung mit FBH im EG und DG inkl. Montage“ wurden ausweislich des Protokolls im Termin vom 12. Februar 2016 weder thematisiert noch geprüft, und auch – sofern mit der Erbringung der Zusatzleistungen überhaupt schon begonnen worden war – erst im Mai 2016 fertiggestellt.

24
Die Unterzeichnung des Protokolls (K 10) stellt sich deshalb nur als Teilabnahme, d.h. als Billigung lediglich eines Teils der Leistung, nämlich der Lieferung und der Errichtung des Ausbauhauses, als vertragsgemäße Leistung dar und beinhaltete ersichtlich nicht auch die Billigung der vereinbarten, noch nicht erbrachten Zusatzleistungen. Insoweit war aus der Sicht beider Vertragspartner auch noch keine Abnahmesituation gegeben.

25
Soweit die Klägerin meint, mit der Teilabnahme vom 12. Februar 2016 hätten die Beklagten die Abnahme sämtlicher, insbesondere auch der noch nicht erbrachten oder fertiggestellten Leistungen erklärt, geht dies fehl. Denn die Erklärung der Beklagten bezog sich ausweislich des Protokolls (K 10) nur auf bestimmte, genau bezeichnete Komponenten des Hauses bzw. insgesamt auf die Ordnungsgemäßheit von dessen Errichtung. Eine ausdrückliche Abnahme von anderen, im Anschluss an die Errichtung des Hauses zu erbringenden Leistungen war hiermit ersichtlich nicht verbunden.

26
Aus dem von der Klägerin zitierten Urteil des Oberlandesgerichts München (9 U 2533/11, NJW 2012, 397 ff.) ergibt sich nichts anderes. Vielmehr ist der dortige Sachverhalt mit dem hiesigen nicht vergleichbar. Denn anders als hier haben die Besteller in dem zitierten Verfahren in Kenntnis und unter Auflistung der fehlenden Leistungen und der Mängel ausdrücklich die Abnahme des gesamten Vertragsgegenstands erklärt. Derartiges ist – wie vorstehend ausgeführt – vorliegend jedoch nicht geschehen.

27
(2) Die „Fertigstellungsbescheinigung“ (K 15) lässt bereits keinen Willen der Beklagten erkennen, das Werk als vertragsgemäß zu billigen. Im Übrigen unterscheidet auch das von der Klägerin verwendete Vertragsformular (K 1) in § 7 Nr. 1 Satz 5 zwischen der schriftlichen Mitteilung über die Fertigstellung und der Abnahme, woraus erhellt, dass auch die Klägerin einer Fertigstellungsbescheinigung keine Abnahmewirkung beimisst.

28
(3) Soweit im „Druckprobenprotokoll“ (K 17) vermerkt ist, dass die Heizverteiler „in Absprache“ mit den Bauherrn positioniert worden seien, beinhaltet dies ebenfalls keine Billigung des Werks als vertragsgemäß durch die Beklagten. Denn die Positionierung erfolgte nach Angaben des Handwerkers, des Zeugen S., hier deshalb wie geschehen, weil Elektroleitungen und Wände eine andere Positionierung nicht zuließen (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2018, S. 2 f., Bl. 64 f.). Erklären sich die Besteller in einer solchen Situation zunächst mit der Montage einverstanden, liegt darin ersichtlich noch nicht die Billigung des Werks als vertragsgemäß.

29
cc) Auch eine stillschweigende Abnahme des Gewerks scheidet aus.

30
Die Beklagten haben unstreitig zeitnah Mängelrüge wegen der Positionierung der Heizverteiler erhoben. Die Klägerin ist der Darstellung der Beklagten, sie hätten die Positionierung der Heizverteiler sofort telefonisch bei der Klägerin moniert, nicht entgegengetreten.

31
Dem Weiterbau durch die Beklagten kann kein Erklärungswert beigemessen werden (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2019, VII ZR 274/17, BeckRS 2019, 3733 Rn. 31).

32
dd) Die Beklagten haben die Abnahme mit Recht verweigert, da die Positionierung der Heizkreisverteiler mangelhaft ist, § 633 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist auch ohne besondere Sachkunde für jedermann offensichtlich, dass die Anbringung der von der Klägerin als geschuldet gelieferten Unterputzverteiler auf Putz weder üblich ist noch von den Bestellern erwartet werden kann.

33
Ihre Behauptung, die Beklagten hätten die Aufputzmontage ausdrücklich gewollt, konnte die Klägerin nicht nachweisen. Der Zeuge S. hat Derartiges nicht bestätigt (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2018, S. 3, Bl. 65).

34
Angesichts der nicht nur optischen Beeinträchtigung durch die fehlerhafte Positionierung der Heizverteiler, sondern des durch Lichtbilder (B 2) nachgewiesenen Umstands, dass der auf Putz montierte Heizverteiler im Eingangsbereich im Erdgeschoss das Öffnen der Haustüre behindert, liegt kein nur unwesentlicher Mangel vor.

35
b) Dass die Werklohnforderung wegen einer wirksamen Vereinbarung der Parteien unabhängig von einer Abnahme fällig geworden wäre, hat die Klägerin schon nicht behauptet.

36
Solches ergibt sich auch nicht aus dem vorgelegten Werkvertrag (K 1). Zwar enthält § 3 Ziffer 1 dieses Vertrages Regelungen zum Fälligwerden bestimmter Prozentsätze des Werklohns abhängig vom Stadium der Leistungserbringung. Allerdings verweist dieser Vertragspunkt gleichzeitig auf die Abnahme durch den Bauherrn und „die nach Abnahme fällige Zahlung“, so dass die im Zahlungsplan geregelten Fälligkeiten ersichtlich erst nach erfolgter Abnahme eingreifen. Jedenfalls aber gehen Unklarheiten zu Lasten des Verwenders.

37
c) Ein Fall einer Fälligkeit der Werklohnforderung ohne Abnahme ist nicht gegeben. Vielmehr begehren die Beklagten nach wie vor die Erfüllung des Vertrags durch die Klägerin, so dass zwischen den Parteien (noch) kein bloßes Abrechnungsverhältnis entstanden ist (vgl. Palandt, BGB, § 634 Rn. 6).

III.

38
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

39
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

40
Der Streitwert entspricht dem Wert des Interesses der Berufungsführer.

OVG Hamburg: Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen

OVG Hamburg: Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen.
2. Ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe kann im Einzelfall einen Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses eines Erbbaurechtsvertrags durch einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit einer Eigengesellschaft dieses Trägers geltend machen, wenn er selbst auf dem streitgegenständlichen Grundstück eine geeignete Einrichtung zu errichten und zu betreiben in der Lage ist.
3. Ist dem Abschluss eines mit der Bereitschaft zum Bau und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags ein “Auswahlverfahren” vorgeschaltet, an dem sich mehrere anerkannte Träger der freien Jugendhilfe beteiligt haben, so besteht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Anspruch auf Unterlassen des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit einem Dritten nur dann, wenn der Antragsteller zudem glaubhaft machen kann, dass seine Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint.
OVG Hamburg, Beschluss vom 09.05.2023 – 4 Bs 157/22
vorhergehend:
VG Hamburg, 11.10.2022 – 20 E 1200/22

Zum Sachverhalt

Die Ast. begehrte im Wege der Beschwerde vorläufigen Rechtsschutz gegen den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags zwischen der Ag. und der Beigel. oder Dritten.

Die Ast. ist eine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe und betreibt, ebenso wie die Beigel., in Hamburg unter anderem mehrere Kindertagesstätten. Die Beigel. verfügt nicht über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII, sie ist in der Form einer gGmbH organisiert und die Ag. ist ihre alleinige Gesellschafterin. Laut Gesellschaftsvertrag bestimmt der Senat der Ag. sechs von neun Mitgliedern des Aufsichtsrats. Die Ag. ist örtliche und überörtliche Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe nach § 69 I SGB VIII iVm § 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe vom 25.6.1997, HmbGVBl 1997, 273 (AGSGB VIII).

Die Ag. stellte in einer Bedarfsanalyse fest, dass in dem Stadtteil ### eine unzureichende Versorgung mit Kindertagesstätten-Plätzen besteht. Sie forderte daraufhin in einer als “Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO” bezeichneten Mitteilung unter dem Aktenzeichen ÖB 008/2021/FS 34 interessierte Bewerber auf, bis zum 31.8.2021 eine Interessenbekundung zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags für das Grundstück G. einschließlich der Bereitschaft zum Bau und zur Trägerschaft einer Kindertagesstätte abzugeben.

Beabsichtigt ist, dass die Ag. zu einem jährlichen Erbbauzins iHv 7.960 EUR mit dem erfolgreichen Bewerber einen Erbbaurechtsvertrag abschließt. Das Auswahlverfahren ist in den Punkten 4 bis 8 der Mitteilung näher ausgeführt und setzt unter anderem die Vorlage eines Trägerkonzepts, eines Finanzierungsnachweises sowie das Ausfüllen eines Bewerbungsformulars voraus. Zudem wird festgelegt, dass die Ausführungen in dem Bewerbungsformular mit Punkten bewertet werden und der Erbbaurechtsvertrag mit dem Bewerber mit den meisten Punkten abgeschlossen wird, bei Punktgleichstand mehrerer Bewerber entscheidet das Los. Das Ausschreibungsverfahren sieht weiter vor, dass, sofern mit dem bestbewerteten Bewerber kein Erbbaurechtsvertrag geschlossen wird, der Nächstplatzierte im Bewerbungsverfahren nachrückt. Die Ast. bewarb sich ebenso wie die Beigel. und weitere Bewerber (insgesamt zwölf Bewerbungen erfüllten die Zugangsvoraussetzungen) um den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags.

Mit Mitteilung vom 1.3.2022 teilte die Ag. der Ast. mit, dass deren Bewerbung nicht die höchste Punktzahl erreicht habe und die Auswahlentscheidung auf einen anderen Bewerber gefallen sei. Hiergegen erhob die Ast. am 3.3.2022 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist. Ausgewählt wurde das Angebot der Beigel., welches den Höchstwert von 83 von 100 möglichen Punkten erhielt. Das Angebot der Ast. erhielt ausweislich der Bewertungsergebnisse der “Bewertungskonferenz IBV G.” im Februar 2022 78 Punkte, ebenso wie das Angebot des “KJSH (Verbund für Kinder- Jugend- und Soziale Hilfen”), das Angebot der “Küstenkinder” erhielt ebenso wie das von “Pedia” 80 Punkte. Das Angebot von “Wabe” (Wohnen arbeiten betreuen entwickeln) erhielt 83 Punkte. Das Angebot der Ast. war demnach das gemeinsam mit dem Angebot des KJSH fünftplatzierte Angebot.

Am 14.3.2022 hat die Ast. beim VG um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Sie sei als Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 4 II SGB VIII vorrangig gegenüber der Beigel., die Teil der öffentlichen Jugendhilfe sei, auszuwählen. Zudem liege eine Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs aus den Art. 12I, Art. 3 I GG vor, weil ihre Bewerbung inhaltlich besser sei als diejenige der Beigel. und sie daher hätte ausgewählt werden müssen.

Das VG Hamburg (Beschl. v. 11.10.2022 – 20 E 1200/22) hat den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde der Ast. hatte Erfolg. Der Beschluss des VG Hamburg wurde geändert; der Ag. wurde im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, auf Grundlage des Interessenbekundungsverfahrens mit der Beigel. oder einem Dritten einen Erbbaurechtsvertrag betreffend das betroffene Flurstück abzuschließen und/oder dieses Flurstück der Beigel. oder einem Dritten anderweitig für die Planung, die Errichtung und/oder den Betrieb einer Kindertagesstätte zu überlassen, bis über die Bewerbung der Ast. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

Aus den Gründen

(…)

Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe erschüttern die tragenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses des VG (hierzu unter 1); nach der daraus folgenden, nicht mehr gem. § 146 IV VwGO beschränkten Prüfung durch das BeschwGer. ist die Entscheidung zu ändern (hierzu unter 2).

1. Die Ag. hat mit ihrer Beschwerdebegründung, auf die gem. § 146 IV 3 und 6 VwGO abzustellen ist, die Richtigkeit der entscheidungstragenden Erwägungen des VG erschüttert.

Dieses hat ausgeführt, dass sich der streitgegenständliche Anspruch vorliegend nicht aus § 4 II SGB VIII ergeben könne, weil es um die Schaffung einer neuen Einrichtung gehe, um den bestehenden Bedarf an Einrichtungen der Jugendhilfe überhaupt erst decken zu können und weil das Interessenbekundungsverfahren nur der Anbahnung einer Jugendhilfeleistung diene. Daher sei das Subsidiaritätsgebot aus § 4 II SGB VIII vorliegend nicht tangiert.

Diese tragende Erwägung hat die Ast. vorliegend mit ihren Ausführungen ernsthaft in Zweifel gezogen, weil bereits der Gesetzestext des § 4 II SGB VIII ausdrücklich darauf abstellt, dass die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Leistungen absehen soll, wenn geeignete Dienste, Einrichtungen oder Veranstaltungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können und somit ausdrücklich auch, wie vorliegend, erst künftig zu schaffende Einrichtungen in den Blick nimmt. Zudem ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt, dass das als Interessenbekundungsverfahren zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags mit der gleichzeitigen Verpflichtung zur Errichtung und der Übernahme der Trägerschaft für eine Kindertagesstätte bezeichnete Verfahren kein (bloßes) Interessenbekundungsverfahren ist, sondern bereits ein Auswahlverfahren darstellt, dessen Gewinner die ausgeschriebene Leistung, hier den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags und die Errichtung einer Kindertagesstätte mit 120 Plätzen, erhält (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

2. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das BeschwGer. führt zu einer Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Nach dem wohlverstandenen Interesse der Ast. ist ihr Antrag gem. §§ 88122 I VwGO dahingehend auszulegen, dass sie auch die erneute Entscheidung über ihre Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt. Denn die bloße Untersagung der Überlassung des Grundstücks an die Beigel. oder einen Dritten ohne eine erneute Auswahlentscheidung der Ag., bei der die Auswahl der Ast. zumindest möglich ist, dürfte von ihr unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 10.11.2022 nicht begehrt werden und ein Rechtsschutzbedürfnis dürfte insoweit auch nicht bestehen (s. unten).

Der so verstandene Antrag hat Erfolg. Nach § 123 I 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Ast. vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 III VwGO iVm § 920 II, § 294 ZPO hat die Ast. glaubhaft zu machen, dass ihr der streitige Anspruch in der Hauptsache zusteht (sog. Anordnungsanspruch) und dessen vorläufige Sicherung nötig erscheint (sog. Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

a) Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es der Ast. unter Berücksichtigung ihrer Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies ist vorliegend der Fall, weil durch den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. oder einem Dritten bereits ein endgültiger Zustand eintreten und der Ast. die Übernahme der Kitaträgerschaft am beabsichtigten Standort unmöglich gemacht würde (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; 17.3.2008 – 4 Bs 214/07, BeckRS 2008, 149104; vgl. auch VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Rn. 2?ff.; allg. zu einem Anordnungsgrund im Vorfeld des Abschlusses eines öffentlich-rechtlichen Vertrags mit einem Dritten OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 2011, 293 Rn. 8). Anders als in der Konstellation, die der Entscheidung des Senats im Verfahren 4 Bs 286/21 zugrunde lag, ist ein Anordnungsgrund vorliegend auch im Hinblick auf die Untersagung einer Zurverfügungstellung des Grundstücks an Dritte gegeben, da aus den nachfolgend genannten Gründen eine Vergabe des Grundstücks an die Beigel. im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes rechtlichen Bedenken begegnet und nach der Ausschreibung dann, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit dem ausgewählten Bewerber nicht abgeschlossen werden kann, der Nächstplatzierte nachrücken soll und somit konkrete Anhaltspunkte für eine Vergabe an die im Auswahlverfahren besser platzierten Bewerber als die Ast. bestehen.

b) Die Ast. hat vorliegend glaubhaft gemacht, dass ihr aus § 4 II SGB VIII ein Abwehrrecht und somit ein Anordnungsanspruch gegen eine Überlassung des Grundstücks an die Beigel. zur Errichtung einer Kindertagesstätte zukommt (hierzu unter aa) und dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint (hierzu unter bb).

aa) Ein Anordnungsanspruch folgt vorliegend nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung aus § 4 II SGB VIII. Die Vorschrift des § 4 II SGB VIII findet vorliegend Anwendung, da sie ein tragendes Strukturprinzip der Jugendhilfe normiert, das in allen Handlungsfeldern der Jugendhilfe anzuwenden ist, unabhängig davon, ob auch die weiteren Vorschriften des SGB VIII, etwa § 74 SGB VIII, Anwendung finden oder der Vorrang des Landesrechts nach § 74a SGB VIII greift. Denn das Landesrecht vermag die Strukturprinzipien des bundesgesetzlich geregelten Jugendhilferechts nicht abzubedingen (vgl. BVerwGE 135, 150 = NVwZ-RR 2010, 148; OVG Münster 12.1.2021 – 21 A 3824/18BeckRS 2021, 190 Rn. 52; jurisPK-SGB VIII/Luthe, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 7). Der Anwendung des in § 4 II SGB VIII normierten bedingten Vorrangs der freien Träger der Jugendhilfe steht auch vorliegend, anders als durch das VG ausgeführt, nicht entgegen, dass das als “Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO” bezeichnete Verfahren nur der Erforschung der Marktsituation dienen würde und noch keine Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII darstelle. Vielmehr handelt es sich bei dem vorliegenden Verfahren gerade nicht um ein “bloßes” Interessenbekundungsverfahren, sondern um das eigentliche Auswahlverfahren zum Abschluss eines untrennbar mit der Errichtung und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

19Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften erfüllt sein (hierzu unter aaa) und in der Rechtsfolge der Ast. ein Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. zukommen (hierzu unter bbb).

aaa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften vorliegend erfüllt sein. § 4 II SGB VIII lautet:

“Soweit geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden können, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen.”

Die Ast. ist unstreitig eine anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 75 I, II SGB VIII. Bei der zu errichtenden Kindertagesstätte handelt es sich zudem um eine Einrichtung iSd § 4 II SGB VIII. Unter dem Begriff der Einrichtungen versteht man die Erfüllung von Aufgaben unter Einsatz besonderer Sachmittel, insbesondere Gebäude, sächliche Ausstattung sowie personeller Mittel, dies umfasst unter anderem die Errichtung einer Kindertagesstätte (vgl. nur LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 38).

Die durch die Ast. geplante Kindertagesstätte dürfte zudem eine geeignete Einrichtung sein, die rechtzeitig geschaffen werden kann. Dass das Projekt der Ast. eine längere Realisierungsdauer hätte als die Projekte der Mitbewerber, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, so dass die Einrichtung durch die Ast. “rechtzeitig” iSd § 4 II SGB VIII geschaffen werden kann. Geeignet nach dieser Vorschrift ist eine Einrichtung dann, wenn sie sowohl fachlichen (Mindest-)Standards als auch den Wünschen und Bedürfnissen der potenziellen Nutzer entspricht (vgl. Wiesner/Wapler/Wapler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 22; LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 4 Rn. 40; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (447 mwN). Die Ast. erfüllt als Trägerin mehrerer Kindertagesstätten in Hamburg die geltenden und über den Abschluss entsprechender Vereinbarungen nach § 15 KibeG abgesicherten fachlichen Standards. Sie hat in ihrer Bewerbung für den Standort G., in der unter anderem Ausführungen zu der Nachfrage von Plätzen durch die Bewohner der nahegelegen Wohnunterkunft und somit nach den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer sowie die Partizipation von Eltern und Kindern zu machen waren, 78 von 100 Punkten erreicht und nur fünf Punkte weniger als die ausgewählte Bewerberin. Dass die durch die Ast. geplante Einrichtung nicht geeignet wäre, die künftigen Interessen der Nutzer abzubilden, ist daher nicht ersichtlich.

bbb) Die Ast. dürfte vorliegend einen Anspruch auf Unterlassung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. gegen die Ag. herleiten können. § 4 II SGB VIII kann Trägern der freien Jugendhilfe, die über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII verfügen, bei Vorliegen seiner tatbestandlichen Voraussetzungen ein subjektives Abwehrrecht gegen ein Tätigwerden des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe vermitteln, sofern dieser gegen das dann aus der Norm folgende bedingte Subsidiaritätsgebot verstößt (vgl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 68 ff. unter Bezugnahme auf BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII sind vorliegend wie zuvor dargestellt erfüllt, zudem sind die Voraussetzungen des “bedingten” Vorrangs des Trägers der freien Jugendhilfe – also der Ast. – gegeben.

Nach § 4 II SGB VIII “soll” der Träger der öffentlichen Jugendhilfe unter anderem von eigenen Maßnahmen absehen, wenn geeignete Einrichtungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können. Anders als die Vorgängervorschrift des § 5 III 2 JWG, die vorsah, dass von eigenen Maßnahmen abzusehen “ist”, hat sich der Gesetzgeber bei Normierung des § 4 II SGB VIII ausdrücklich für den “bedingten” Vorrang der freien Träger der Jugendhilfe entschieden, dies allerdings unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Vorgaben des BVerfG im oben genannten Urteil vom 18.7.1967. Danach ist der “bedingte” Vorrang der anerkannten Träger der freien Jugendhilfe dergestalt zu verstehen, dass das Jugendamt nur dann selbst Einrichtungen schaffen und Veranstaltungen vorsehen soll, wenn seine Anregungen und Förderungsmaßnahmen bei den Trägern der freien Jugendhilfe nicht zum Ziel führen, etwa weil der freie Träger keine angemessene Eigenleistung aufbringen kann. Ein Vorrang der Träger der freien Jugendhilfe umfasst beispielsweise auch nicht das Gebot für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, bestehende Angebote zugunsten der Träger der freien Jugendhilfe zu schließen, vielmehr soll ein sinnvoller Einsatz privater und öffentlicher wirtschaftlicher Mittel gewährleistet werden (vgl. BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795).

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so besteht ein gerichtlich durchsetzbarer Unterlassungsanspruch des anerkannten Trägers der freien Jugendhilfe gegen den Träger der örtlichen Jugendhilfe dann, wenn ein konkretes “Konkurrenzverhältnis” besteht (vgl. grdl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 81 mwN; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (449)).

So liegt es hier. Die Überlassung des streitgegenständlichen Grundstücks zur Errichtung einer Kindertagesstätte durch die Ag. an die Beigel. ist eine “eigene” Maßnahme iSd § 4 II SGB VIII. Die Beigel. ist zwar privatrechtlich organisiert, sie dürfte aber der Ast. als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe zuzurechnen sein (vgl. zur Abgrenzung von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21 Rn. 84?ff.; vgl. hierzu auch OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05; 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172; BeckOGK/Janda, 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 11; jurisPK-SGB VIII/Trésoret, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 75 Rn. 37). Die Beigel. ist keine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe. Sie dürfte auch nicht zu den freien Trägern der Jugendhilfe gehören. Das SGB VIII sieht eine Definition des freien Trägers der Jugendhilfe nicht vor. Aus den Vorschriften lässt sich aber ableiten, dass grundsätzlich als Träger der freien Jugendhilfe jede Personengruppe, Initiative und Personenvereinigung sowie jede juristische Person in Betracht kommt, die auf dem Gebiet der Jugendhilfe ohne gesetzliche Verpflichtung aufgrund eigener freier Entscheidung tätig wird (vgl. LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 3 Rn. 16; BeckOK SozR/Winkler, 68. Ed. 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 1). Dies dürfte vorliegend bei der Beigel. nicht gegeben sein, da sie nicht aufgrund eigener freier Entscheidung Leistungen der Jugendhilfe erbringt, sondern sich die Ag. ihrer bedient, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen unter anderem aus § 79 SGB VIII zu erfüllen. Denn die Beigel. ist als Eigenbetrieb der Ag. in Form einer gGmbH organisiert. Alleinige Gesellschafterin der Beigel. ist die Ag., diese hat auch das gesamte Stammkapital in Form einer Stammeinlage iHv 35 Mio. EUR übernommen. Gemäß § 7 des Gesellschaftsvertrags besteht der Aufsichtsrat aus neun Personen, von denen sechs durch den Senat der Ag. bestimmt werden und die unter anderem über die Ein- und Abberufung der Geschäftsführer bestimmen und deren Tätigkeit überwachen. Zudem unterliegen gem. § 8 des Gesellschaftsvertrags eine Vielzahl von Geschäften, unter anderem auch der Abschluss von bestimmten Miet- und Pachtverträgen, der Zustimmungspflicht des Aufsichtsrates und kann nach § 16 des Gesellschaftsvertrags die zuständige Behörde der Ag. die Recht- und Zweckmäßigkeit des “Geschäftsgebarens” der Beigel. überprüfen. Allein dadurch, dass ein öffentlicher Träger der Jugendhilfe durch eine privatrechtlich organisierte Eigengesellschaft tätig wird, kann diese aber nicht zum freien Träger im Sinne des SGB VIII werden, sofern die wesentlichen Entscheidungen für die Einrichtung bei dem öffentlichen Träger verbleiben und sie diese über ihre Stellung als maßgebliche Gesellschafterin herbeiführen kann, wovon nach den vorherigen Ausführungen in Bezug auf die Beigel. auszugehen ist (vgl. OVG Weimar 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172 Ls. 1 u. Rn. 18; OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05 Rn. 54).

Es liegt auch ein konkretes Konkurrenzverhältnis vor, da nach den Bedingungen des Auswahlverfahrens der Abschluss des Erbbaurechtsvertrags untrennbar mit der Übernahme der Trägerschaft für die Kindertagesstätte verbunden ist. Es sind zudem keine Besonderheiten des Einzelfalls erkennbar, warum vorliegend die Kindertagesstätte am G. durch eine eigene Maßnahme der Ag. erschaffen werden müsste. Hiergegen spricht schon die Durchführung des “Interessenbekundungsverfahrens” unter grundsätzlich gleichrangiger Beteiligung der freien Träger der Jugendhilfe. Nach den Planungen der Ag. besteht ein grundsätzlicher Bedarf für die Errichtung einer neuen Kindertagesstätte, weil im Stadtteil ### das bestehende Angebot nicht ausreichend ist und soweit ersichtlich auch nicht durch die Ausweitung bestehender Einrichtungen mit weniger wirtschaftlichem Aufwand gedeckt werden kann. Nach den im Auswahlverfahren eingereichten Finanzierungsplänen sollen die Kosten für den Bau der Kindertagesstätte durch den jeweiligen Träger aufgewendet werden, so dass ebenfalls nicht ersichtlich ist, dass die Durchführung der Maßnahme durch einen Träger der freien Jugendhilfe für den öffentlichen Träger wirtschaftlich belastender wäre als eine eigene Maßnahme. Wie oben dargestellt, ist auch nicht ersichtlich, dass das Angebot der Ast. den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer nicht genügen würde oder ein anderer Grund vorliegen würde, ausnahmsweise von einem Vorrang der öffentlichen Jugendhilfe im streitgegenständlichen Fall auszugehen. Die Pluralität des Angebots würde schließlich weder durch die Errichtung einer weiteren Einrichtung der Beigel. noch der Ast. erhöht, da beide bereits eine Vielzahl von Einrichtungen im Stadtgebiet betreiben.

bb) Die Ast. hat auch glaubhaft gemacht, dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint. Dies ist vorliegend erforderlich, weil trotz der Verletzung des bedingten Vorrangs der Maßnahmen der freien Träger der Jugendhilfe aus § 4 II SGB VIII ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Untersagung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. oder einen Dritten und mithin auch ein sicherungsfähiger Anspruch iSd § 123 VwGO nur dann besteht, wenn die Auswahl der Ast. selbst zumindest möglich erscheint (offen gelassen in OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; vgl. zu einem entsprechenden Erfordernis für den Rechtsschutz im Vergabeverfahren nach dem GWB Burgi/Dreher/Opitz/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 33; OLG Celle 12.10.2021 Rn. 78 mwN; zum beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch vgl. nur BVerfG NJW 2016, 309 Rn. 19 mwN).

Vorliegend hat das Angebot der Ast. 78 Punkte erhalten, dasjenige der “Küstenkinder” und von “pedia” jeweils 80 Punkte. Eines dieser Angebote würde gemäß den Verfahrensbedingungen nach Durchführung eines Losverfahrens nachrücken, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit der Beigel. aus den zuvor dargestellten Gründen nicht abgeschlossen werden kann. Ein sicherungsfähiger Anspruch liegt daher vorliegend nur vor, wenn die Ast. zusätzlich glaubhaft machen kann, dass ihre Bewerbung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglicherweise besser bewertet werden müsste als das Angebot der “Küstenkinder” sowie von “pedia”, wobei der Senat mangels gegenteiliger Anhaltspunkte unterstellt, dass beide Träger anerkannte Träger der freien Jugendhilfe iSd § 75 SGB VIII sind.

Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt, denn die Ast. hat glaubhaft gemacht, dass die Vergabe von nicht mehr als 78 von 100 möglichen Punkten im streitgegenständlichen Auswahlverfahren sie dadurch in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 12 I, Art. 3 I, Art. 19 III GG verletzt und eine auf sie fallende Auswahlentscheidung bei fehlerfreier erneuter Durchführung des Verfahrens möglich erscheint, dass die Vergabe von fünf von zehn möglichen Punkten bei der Beantwortung der Frage zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Berücksichtigung der besonderen Bedarfe der Eltern und Kinder aus der nagelegengen Wohnunterkunft nicht sachlich nachvollziehbar und unter Verstoß gegen Art. 3 I GG ergangen ist.

Bemühen sich mehrere freie Träger um die Durchführung von Jugendhilfemaßnahmen, so steht ihnen auf der Grundlage der aus Art. 12 I GG abzuleitenden Wettbewerbsfreiheit ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung und chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren zu (vgl. VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Ls. 1 u. Rn. 18 mwN; OVG Hamburg, 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110). Dieser Anspruch beinhaltet zumindest einen aus Art. 3 I GG folgenden Gleichbehandlungsanspruch des Inhalts, dass die Bewertung der Bewerbungen der verschiedenen Anbieter anhand der gleichen Beurteilungsmaßstäbe in einem transparenten und fairen Verfahren vorgenommen wird (vgl. OVG Lüneburg NVwZ 2019, 656 Rn. 23 = NordÖR 2019, 86 zu einem Anspruch auf eine Auswahlentscheidung unter Wahrung der Anforderungen des Art. 3 I GG).

Dabei obliegt es dem Gericht nicht, die Vergabe der einzelnen Punkte inhaltlich zu bewerten und ein Angebot als besser oder schlechter zu beurteilen. Die am Maßstab des Art. 3 I GG ausgerichtete gerichtliche Kontrolle umfasst aber, ähnlich dem beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch, zumindest die Überprüfung, ob der Sachverhalt von der Ag. unvollständig oder unzutreffend erfasst worden ist, sie selbst aufgestellte Beurteilungsvorgaben nicht beachtet hat oder sachwidrige oder gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßende Erwägungen angestellt hat und ihre Wertung hierdurch fehlerhaft geworden ist (vgl. VG Hamburg 5.5.2021 – 2 S 417/21).

Das durch die Ag. zur Erfüllung ihrer Gesamtverantwortung aus § 79 I SGB VIII für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII gewählte “Interessenbekundungsverfahren” mit den einzelnen in den Bewerbungsunterlagen abgefragten Kriterien dürfte dabei nach summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gegen die Prinzipien des chancengleichen und transparenten Verfahrens verstoßen. Die Auswahlkriterien sind zudem an den gesetzlichen Anforderungen der §§ 22?ff. SGB VIII zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen ausgerichtet und begegnen keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. bereits OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

Es erscheint aber zumindest möglich, dass die Bewerbung der Ast. bei der Beantwortung der Frage

“Bitte machen sie konkrete Ausführungen zur Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Hinblick auf zB Randzeitenbetreuung, einem Wechsel der Leistungsart, Bring- und Holzeiten etc. Bitte machen Sie konkrete konzeptionelle Ausführungen in welchem Umfang Fünf-Stunden-Plätze angeboten werden sollen, auch in Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften (zehn Punkte)”

unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz fehlerhaft nur mit fünf Punkten bewertet wurde, weil diese Bewertung sachlich nicht nachvollziehbar ist und die Vergleichbarkeit der angewendeten Beurteilungsmaßstäbe an unterschiedliche Bewerbungen nicht erkennen lässt. Die Ast. hat im Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften ausgeführt:

“Alle Kinder aus den nahe gelegenen Wohnunterkünften sind uns willkommen – Sternipark unterscheidet Kinder nicht nach Herkunft, Religion oder sonstigen Weltanschauungen. Ein Fokus muss darauf liegen, auch und gerade für diese Kinder einen guten Start ins deutsche Bildungssystem sicherzustellen. Da Sternipark mit 13 Kitas und 18 Sprachfachkräften am Bundesprogramm “Sprachkita” partizipiert und hier über ein breites Erfahrungswissen verfügt, kann dieses zugunsten geflüchteter Kinder oder von Kindern mit Migrationshintergrund eingesetzt werden.”

Hierfür hat sie fünf von zehn Punkten erhalten. In der Mitteilung darüber, dass die Ast. nicht ausgewählt worden sei, hat die Ag. dargestellt, dass die Ausführungen eine “ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vermissen” ließen. Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem VG hat die Ag. ihre Ausführungen dahingehend ergänzt, das die Ast. nicht ausführlich beschreibe, wie sie dem voraussichtlich erhöhten Bedarf an Fünf-Stunden-Plätzen aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft zu entsprechen beabsichtige.

Die Beigel. hat ausweislich der Sachakte in ihrer Bewerbung zur Beantwortung dieser Frage ausgeführt:

“Zugleich müssen wir zugunsten einer tragfähigen Personalausstattung und somit einer guten pädagogischen Arbeit den Anteil der Fünf-Stunden-Plätze in unseren Kitas auch begrenzen. Unser Betreuungsangebot ist entsprechend heterogen. Unsere Flexibilität bietet den Familien eine große Sicherheit, denn bei den Elbkindern einmal aufgenommen und eingewöhnt, verbleibt jedes Kind dauerhaft und sicher in seiner Kita, auch wenn sich eine veränderte Lebenssituation der Eltern auf ihren Kita-Gutschein auswirkt. Wir möchten, dass Eltern bei uns ein Angebot vorfinden, das ihrer Lebenssituation entspricht. Darüber hinaus möchten wir bei entsprechender Nachfrage gern ein passendes und bedarfsgerechtes Angebot für Kinder bereitstellen, die in Wohnunterkünften leben.”

Diese Ausführungen wurden mit zehn von zehn Punkten bewertet. Diese Bewertung lässt die Anwendung gleicher Bewertungsmaßstäbe nicht erkennen, da die Beigel. zu der Nachfrage aus den Wohnunterkünften lediglich auf ein “passendes und bedarfsgerechtes Angebot” und das auch nur “bei entsprechender Nachfrage” verweist, ohne dies im Ansatz zu konkretisieren und ohne zu berücksichtigen, dass die Nachfrage wegen der vorhandenen Wohnunterkünfte bereits feststeht. Dies ist sachlich nicht nachvollziehbar mit den Anforderungen in Einklang zu bringen, die die Ag. an das Angebot der Ast. gestellt hat, nämlich eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vorzunehmen. Es bleibt danach zwar möglich, dass das Angebot der Beigel. in diesem Punkt fehlerhaft zu viele Punkte erhalten hat, ebenso möglich und somit für die Annahme einer möglichen Besserbeurteilung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Verfahrens ausreichend ist es aber, dass an das Angebot der Ast. in diesem Punkt strengere Anforderungen auch als an dasjenige der besser platzierten Bewerber gestellt wurden.

Unbeachtlich sind hingegen die Einwendungen der Ast., soweit sie das Finanzierungskonzept der Beigel. betreffen, da eine Auswahlentscheidung, die auf die Beigel. fällt, nach den vorstehenden Ausführungen bei einer Wiederholung des Auswahlverfahrens nicht mehr möglich ist. Gleiches gilt soweit die Ast. die Beurteilung der Bewerbung hinsichtlich der Beschreibung des Sozialraumes rügt, da ihre eigene Bewerbung in diesem Punkt die maximale Punktzahl von zehn Punkten erreicht hat.

Zum Auswahlverfahren bei Grundstücksüberlassung mit Bauverpflichtung

OVG Hamburg
Beschluss vom 09.05.2023
4 Bs 157/22

GG Art. 3 Abs. 1; LHO-HH § 7 Abs. 3; SGB VIII § 4 Abs. 2, § 75; VwGO § 123
1. Die Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen.
2. Ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe kann im Einzelfall einen Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses eines Erbbaurechtsvertrags durch einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit einer Eigengesellschaft dieses Trägers geltend machen, wenn er selbst auf dem streitgegenständlichen Grundstück eine geeignete Einrichtung zu errichten und zu betreiben in der Lage ist.
3. Ist dem Abschluss eines mit der Bereitschaft zum Bau und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags ein “Auswahlverfahren” vorgeschaltet, an dem sich mehrere anerkannte Träger der freien Jugendhilfe beteiligt haben, so besteht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Anspruch auf Unterlassen des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit einem Dritten nur dann, wenn der Antragsteller zudem glaubhaft machen kann, dass seine Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint.
OVG Hamburg, Beschluss vom 09.05.2023 – 4 Bs 157/22
vorhergehend:
VG Hamburg, 11.10.2022 – 20 E 1200/22

Zum Sachverhalt

Die Ast. begehrte im Wege der Beschwerde vorläufigen Rechtsschutz gegen den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags zwischen der Ag. und der Beigel. oder Dritten.

Die Ast. ist eine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe und betreibt, ebenso wie die Beigel., in Hamburg unter anderem mehrere Kindertagesstätten. Die Beigel. verfügt nicht über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII, sie ist in der Form einer gGmbH organisiert und die Ag. ist ihre alleinige Gesellschafterin. Laut Gesellschaftsvertrag bestimmt der Senat der Ag. sechs von neun Mitgliedern des Aufsichtsrats. Die Ag. ist örtliche und überörtliche Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe nach § 69 I SGB VIII iVm § 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe vom 25.6.1997, HmbGVBl 1997, 273 (AGSGB VIII).

Die Ag. stellte in einer Bedarfsanalyse fest, dass in dem Stadtteil ### eine unzureichende Versorgung mit Kindertagesstätten-Plätzen besteht. Sie forderte daraufhin in einer als “Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO” bezeichneten Mitteilung unter dem Aktenzeichen ÖB 008/2021/FS 34 interessierte Bewerber auf, bis zum 31.8.2021 eine Interessenbekundung zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags für das Grundstück G. einschließlich der Bereitschaft zum Bau und zur Trägerschaft einer Kindertagesstätte abzugeben.

Beabsichtigt ist, dass die Ag. zu einem jährlichen Erbbauzins iHv 7.960 EUR mit dem erfolgreichen Bewerber einen Erbbaurechtsvertrag abschließt. Das Auswahlverfahren ist in den Punkten 4 bis 8 der Mitteilung näher ausgeführt und setzt unter anderem die Vorlage eines Trägerkonzepts, eines Finanzierungsnachweises sowie das Ausfüllen eines Bewerbungsformulars voraus. Zudem wird festgelegt, dass die Ausführungen in dem Bewerbungsformular mit Punkten bewertet werden und der Erbbaurechtsvertrag mit dem Bewerber mit den meisten Punkten abgeschlossen wird, bei Punktgleichstand mehrerer Bewerber entscheidet das Los. Das Ausschreibungsverfahren sieht weiter vor, dass, sofern mit dem bestbewerteten Bewerber kein Erbbaurechtsvertrag geschlossen wird, der Nächstplatzierte im Bewerbungsverfahren nachrückt. Die Ast. bewarb sich ebenso wie die Beigel. und weitere Bewerber (insgesamt zwölf Bewerbungen erfüllten die Zugangsvoraussetzungen) um den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags.

Mit Mitteilung vom 1.3.2022 teilte die Ag. der Ast. mit, dass deren Bewerbung nicht die höchste Punktzahl erreicht habe und die Auswahlentscheidung auf einen anderen Bewerber gefallen sei. Hiergegen erhob die Ast. am 3.3.2022 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist. Ausgewählt wurde das Angebot der Beigel., welches den Höchstwert von 83 von 100 möglichen Punkten erhielt. Das Angebot der Ast. erhielt ausweislich der Bewertungsergebnisse der “Bewertungskonferenz IBV G.” im Februar 2022 78 Punkte, ebenso wie das Angebot des “KJSH (Verbund für Kinder- Jugend- und Soziale Hilfen”), das Angebot der “Küstenkinder” erhielt ebenso wie das von “Pedia” 80 Punkte. Das Angebot von “Wabe” (Wohnen arbeiten betreuen entwickeln) erhielt 83 Punkte. Das Angebot der Ast. war demnach das gemeinsam mit dem Angebot des KJSH fünftplatzierte Angebot.

Am 14.3.2022 hat die Ast. beim VG um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Sie sei als Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 4 II SGB VIII vorrangig gegenüber der Beigel., die Teil der öffentlichen Jugendhilfe sei, auszuwählen. Zudem liege eine Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs aus den Art. 12 I, Art. 3 I GG vor, weil ihre Bewerbung inhaltlich besser sei als diejenige der Beigel. und sie daher hätte ausgewählt werden müssen.

Das VG Hamburg (Beschl. v. 11.10.2022 – 20 E 1200/22) hat den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde der Ast. hatte Erfolg. Der Beschluss des VG Hamburg wurde geändert; der Ag. wurde im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, auf Grundlage des Interessenbekundungsverfahrens mit der Beigel. oder einem Dritten einen Erbbaurechtsvertrag betreffend das betroffene Flurstück abzuschließen und/oder dieses Flurstück der Beigel. oder einem Dritten anderweitig für die Planung, die Errichtung und/oder den Betrieb einer Kindertagesstätte zu überlassen, bis über die Bewerbung der Ast. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

Aus den Gründen

(…)

Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe erschüttern die tragenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses des VG (hierzu unter 1); nach der daraus folgenden, nicht mehr gem. § 146 IV VwGO beschränkten Prüfung durch das BeschwGer. ist die Entscheidung zu ändern (hierzu unter 2).

1. Die Ag. hat mit ihrer Beschwerdebegründung, auf die gem. § 146 IV 3 und 6 VwGO abzustellen ist, die Richtigkeit der entscheidungstragenden Erwägungen des VG erschüttert.

Dieses hat ausgeführt, dass sich der streitgegenständliche Anspruch vorliegend nicht aus § 4 II SGB VIII ergeben könne, weil es um die Schaffung einer neuen Einrichtung gehe, um den bestehenden Bedarf an Einrichtungen der Jugendhilfe überhaupt erst decken zu können und weil das Interessenbekundungsverfahren nur der Anbahnung einer Jugendhilfeleistung diene. Daher sei das Subsidiaritätsgebot aus § 4 II SGB VIII vorliegend nicht tangiert.

Diese tragende Erwägung hat die Ast. vorliegend mit ihren Ausführungen ernsthaft in Zweifel gezogen, weil bereits der Gesetzestext des § 4 II SGB VIII ausdrücklich darauf abstellt, dass die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Leistungen absehen soll, wenn geeignete Dienste, Einrichtungen oder Veranstaltungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können und somit ausdrücklich auch, wie vorliegend, erst künftig zu schaffende Einrichtungen in den Blick nimmt. Zudem ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt, dass das als Interessenbekundungsverfahren zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags mit der gleichzeitigen Verpflichtung zur Errichtung und der Übernahme der Trägerschaft für eine Kindertagesstätte bezeichnete Verfahren kein (bloßes) Interessenbekundungsverfahren ist, sondern bereits ein Auswahlverfahren darstellt, dessen Gewinner die ausgeschriebene Leistung, hier den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags und die Errichtung einer Kindertagesstätte mit 120 Plätzen, erhält (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

2. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das BeschwGer. führt zu einer Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Nach dem wohlverstandenen Interesse der Ast. ist ihr Antrag gem. §§ 88122 I VwGO dahingehend auszulegen, dass sie auch die erneute Entscheidung über ihre Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt. Denn die bloße Untersagung der Überlassung des Grundstücks an die Beigel. oder einen Dritten ohne eine erneute Auswahlentscheidung der Ag., bei der die Auswahl der Ast. zumindest möglich ist, dürfte von ihr unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 10.11.2022 nicht begehrt werden und ein Rechtsschutzbedürfnis dürfte insoweit auch nicht bestehen (s. unten).

Der so verstandene Antrag hat Erfolg. Nach § 123 I 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Ast. vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 III VwGO iVm § 920 II, § 294 ZPO hat die Ast. glaubhaft zu machen, dass ihr der streitige Anspruch in der Hauptsache zusteht (sog. Anordnungsanspruch) und dessen vorläufige Sicherung nötig erscheint (sog. Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

a) Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es der Ast. unter Berücksichtigung ihrer Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies ist vorliegend der Fall, weil durch den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. oder einem Dritten bereits ein endgültiger Zustand eintreten und der Ast. die Übernahme der Kitaträgerschaft am beabsichtigten Standort unmöglich gemacht würde (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; 17.3.2008 – 4 Bs 214/07, BeckRS 2008, 149104; vgl. auch VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Rn. 2?ff.; allg. zu einem Anordnungsgrund im Vorfeld des Abschlusses eines öffentlich-rechtlichen Vertrags mit einem Dritten OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 2011, 293 Rn. 8). Anders als in der Konstellation, die der Entscheidung des Senats im Verfahren 4 Bs 286/21 zugrunde lag, ist ein Anordnungsgrund vorliegend auch im Hinblick auf die Untersagung einer Zurverfügungstellung des Grundstücks an Dritte gegeben, da aus den nachfolgend genannten Gründen eine Vergabe des Grundstücks an die Beigel. im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes rechtlichen Bedenken begegnet und nach der Ausschreibung dann, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit dem ausgewählten Bewerber nicht abgeschlossen werden kann, der Nächstplatzierte nachrücken soll und somit konkrete Anhaltspunkte für eine Vergabe an die im Auswahlverfahren besser platzierten Bewerber als die Ast. bestehen.

b) Die Ast. hat vorliegend glaubhaft gemacht, dass ihr aus § 4 II SGB VIII ein Abwehrrecht und somit ein Anordnungsanspruch gegen eine Überlassung des Grundstücks an die Beigel. zur Errichtung einer Kindertagesstätte zukommt (hierzu unter aa) und dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint (hierzu unter bb).

aa) Ein Anordnungsanspruch folgt vorliegend nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung aus § 4 II SGB VIII. Die Vorschrift des § 4 II SGB VIII findet vorliegend Anwendung, da sie ein tragendes Strukturprinzip der Jugendhilfe normiert, das in allen Handlungsfeldern der Jugendhilfe anzuwenden ist, unabhängig davon, ob auch die weiteren Vorschriften des SGB VIII, etwa § 74 SGB VIII, Anwendung finden oder der Vorrang des Landesrechts nach § 74a SGB VIII greift. Denn das Landesrecht vermag die Strukturprinzipien des bundesgesetzlich geregelten Jugendhilferechts nicht abzubedingen (vgl. BVerwGE 135, 150 = NVwZ-RR 2010, 148; OVG Münster 12.1.2021 – 21 A 3824/18BeckRS 2021, 190 Rn. 52; jurisPK-SGB VIII/Luthe, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 7). Der Anwendung des in § 4 II SGB VIII normierten bedingten Vorrangs der freien Träger der Jugendhilfe steht auch vorliegend, anders als durch das VG ausgeführt, nicht entgegen, dass das als “Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO” bezeichnete Verfahren nur der Erforschung der Marktsituation dienen würde und noch keine Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII darstelle. Vielmehr handelt es sich bei dem vorliegenden Verfahren gerade nicht um ein “bloßes” Interessenbekundungsverfahren, sondern um das eigentliche Auswahlverfahren zum Abschluss eines untrennbar mit der Errichtung und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften erfüllt sein (hierzu unter aaa) und in der Rechtsfolge der Ast. ein Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. zukommen (hierzu unter bbb).

aaa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften vorliegend erfüllt sein. § 4 II SGB VIII lautet:

“Soweit geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden können, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen.”

Die Ast. ist unstreitig eine anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 75 I, II SGB VIII. Bei der zu errichtenden Kindertagesstätte handelt es sich zudem um eine Einrichtung iSd § 4 II SGB VIII. Unter dem Begriff der Einrichtungen versteht man die Erfüllung von Aufgaben unter Einsatz besonderer Sachmittel, insbesondere Gebäude, sächliche Ausstattung sowie personeller Mittel, dies umfasst unter anderem die Errichtung einer Kindertagesstätte (vgl. nur LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 38).

Die durch die Ast. geplante Kindertagesstätte dürfte zudem eine geeignete Einrichtung sein, die rechtzeitig geschaffen werden kann. Dass das Projekt der Ast. eine längere Realisierungsdauer hätte als die Projekte der Mitbewerber, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, so dass die Einrichtung durch die Ast. “rechtzeitig” iSd § 4 II SGB VIII geschaffen werden kann. Geeignet nach dieser Vorschrift ist eine Einrichtung dann, wenn sie sowohl fachlichen (Mindest-)Standards als auch den Wünschen und Bedürfnissen der potenziellen Nutzer entspricht (vgl. Wiesner/Wapler/Wapler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 22; LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 4 Rn. 40; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (447 mwN). Die Ast. erfüllt als Trägerin mehrerer Kindertagesstätten in Hamburg die geltenden und über den Abschluss entsprechender Vereinbarungen nach § 15 KibeG abgesicherten fachlichen Standards. Sie hat in ihrer Bewerbung für den Standort G., in der unter anderem Ausführungen zu der Nachfrage von Plätzen durch die Bewohner der nahegelegen Wohnunterkunft und somit nach den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer sowie die Partizipation von Eltern und Kindern zu machen waren, 78 von 100 Punkten erreicht und nur fünf Punkte weniger als die ausgewählte Bewerberin. Dass die durch die Ast. geplante Einrichtung nicht geeignet wäre, die künftigen Interessen der Nutzer abzubilden, ist daher nicht ersichtlich.

bbb) Die Ast. dürfte vorliegend einen Anspruch auf Unterlassung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. gegen die Ag. herleiten können. § 4 II SGB VIII kann Trägern der freien Jugendhilfe, die über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII verfügen, bei Vorliegen seiner tatbestandlichen Voraussetzungen ein subjektives Abwehrrecht gegen ein Tätigwerden des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe vermitteln, sofern dieser gegen das dann aus der Norm folgende bedingte Subsidiaritätsgebot verstößt (vgl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 68 ff. unter Bezugnahme auf BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII sind vorliegend wie zuvor dargestellt erfüllt, zudem sind die Voraussetzungen des “bedingten” Vorrangs des Trägers der freien Jugendhilfe – also der Ast. – gegeben.

Nach § 4 II SGB VIII “soll” der Träger der öffentlichen Jugendhilfe unter anderem von eigenen Maßnahmen absehen, wenn geeignete Einrichtungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können. Anders als die Vorgängervorschrift des § 5 III 2 JWG, die vorsah, dass von eigenen Maßnahmen abzusehen “ist”, hat sich der Gesetzgeber bei Normierung des § 4 II SGB VIII ausdrücklich für den “bedingten” Vorrang der freien Träger der Jugendhilfe entschieden, dies allerdings unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Vorgaben des BVerfG im oben genannten Urteil vom 18.7.1967. Danach ist der “bedingte” Vorrang der anerkannten Träger der freien Jugendhilfe dergestalt zu verstehen, dass das Jugendamt nur dann selbst Einrichtungen schaffen und Veranstaltungen vorsehen soll, wenn seine Anregungen und Förderungsmaßnahmen bei den Trägern der freien Jugendhilfe nicht zum Ziel führen, etwa weil der freie Träger keine angemessene Eigenleistung aufbringen kann. Ein Vorrang der Träger der freien Jugendhilfe umfasst beispielsweise auch nicht das Gebot für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, bestehende Angebote zugunsten der Träger der freien Jugendhilfe zu schließen, vielmehr soll ein sinnvoller Einsatz privater und öffentlicher wirtschaftlicher Mittel gewährleistet werden (vgl. BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795).

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so besteht ein gerichtlich durchsetzbarer Unterlassungsanspruch des anerkannten Trägers der freien Jugendhilfe gegen den Träger der örtlichen Jugendhilfe dann, wenn ein konkretes “Konkurrenzverhältnis” besteht (vgl. grdl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 81 mwN; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (449)).

So liegt es hier. Die Überlassung des streitgegenständlichen Grundstücks zur Errichtung einer Kindertagesstätte durch die Ag. an die Beigel. ist eine “eigene” Maßnahme iSd § 4 II SGB VIII. Die Beigel. ist zwar privatrechtlich organisiert, sie dürfte aber der Ast. als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe zuzurechnen sein (vgl. zur Abgrenzung von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21 Rn. 84?ff.; vgl. hierzu auch OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05; 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172; BeckOGK/Janda, 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 11; jurisPK-SGB VIII/Trésoret, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 75 Rn. 37). Die Beigel. ist keine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe. Sie dürfte auch nicht zu den freien Trägern der Jugendhilfe gehören. Das SGB VIII sieht eine Definition des freien Trägers der Jugendhilfe nicht vor. Aus den Vorschriften lässt sich aber ableiten, dass grundsätzlich als Träger der freien Jugendhilfe jede Personengruppe, Initiative und Personenvereinigung sowie jede juristische Person in Betracht kommt, die auf dem Gebiet der Jugendhilfe ohne gesetzliche Verpflichtung aufgrund eigener freier Entscheidung tätig wird (vgl. LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 3 Rn. 16; BeckOK SozR/Winkler, 68. Ed. 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 1). Dies dürfte vorliegend bei der Beigel. nicht gegeben sein, da sie nicht aufgrund eigener freier Entscheidung Leistungen der Jugendhilfe erbringt, sondern sich die Ag. ihrer bedient, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen unter anderem aus § 79 SGB VIII zu erfüllen. Denn die Beigel. ist als Eigenbetrieb der Ag. in Form einer gGmbH organisiert. Alleinige Gesellschafterin der Beigel. ist die Ag., diese hat auch das gesamte Stammkapital in Form einer Stammeinlage iHv 35 Mio. EUR übernommen. Gemäß § 7 des Gesellschaftsvertrags besteht der Aufsichtsrat aus neun Personen, von denen sechs durch den Senat der Ag. bestimmt werden und die unter anderem über die Ein- und Abberufung der Geschäftsführer bestimmen und deren Tätigkeit überwachen. Zudem unterliegen gem. § 8 des Gesellschaftsvertrags eine Vielzahl von Geschäften, unter anderem auch der Abschluss von bestimmten Miet- und Pachtverträgen, der Zustimmungspflicht des Aufsichtsrates und kann nach § 16 des Gesellschaftsvertrags die zuständige Behörde der Ag. die Recht- und Zweckmäßigkeit des “Geschäftsgebarens” der Beigel. überprüfen. Allein dadurch, dass ein öffentlicher Träger der Jugendhilfe durch eine privatrechtlich organisierte Eigengesellschaft tätig wird, kann diese aber nicht zum freien Träger im Sinne des SGB VIII werden, sofern die wesentlichen Entscheidungen für die Einrichtung bei dem öffentlichen Träger verbleiben und sie diese über ihre Stellung als maßgebliche Gesellschafterin herbeiführen kann, wovon nach den vorherigen Ausführungen in Bezug auf die Beigel. auszugehen ist (vgl. OVG Weimar 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172 Ls. 1 u. Rn. 18; OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05 Rn. 54).

Es liegt auch ein konkretes Konkurrenzverhältnis vor, da nach den Bedingungen des Auswahlverfahrens der Abschluss des Erbbaurechtsvertrags untrennbar mit der Übernahme der Trägerschaft für die Kindertagesstätte verbunden ist. Es sind zudem keine Besonderheiten des Einzelfalls erkennbar, warum vorliegend die Kindertagesstätte am G. durch eine eigene Maßnahme der Ag. erschaffen werden müsste. Hiergegen spricht schon die Durchführung des “Interessenbekundungsverfahrens” unter grundsätzlich gleichrangiger Beteiligung der freien Träger der Jugendhilfe. Nach den Planungen der Ag. besteht ein grundsätzlicher Bedarf für die Errichtung einer neuen Kindertagesstätte, weil im Stadtteil ### das bestehende Angebot nicht ausreichend ist und soweit ersichtlich auch nicht durch die Ausweitung bestehender Einrichtungen mit weniger wirtschaftlichem Aufwand gedeckt werden kann. Nach den im Auswahlverfahren eingereichten Finanzierungsplänen sollen die Kosten für den Bau der Kindertagesstätte durch den jeweiligen Träger aufgewendet werden, so dass ebenfalls nicht ersichtlich ist, dass die Durchführung der Maßnahme durch einen Träger der freien Jugendhilfe für den öffentlichen Träger wirtschaftlich belastender wäre als eine eigene Maßnahme. Wie oben dargestellt, ist auch nicht ersichtlich, dass das Angebot der Ast. den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer nicht genügen würde oder ein anderer Grund vorliegen würde, ausnahmsweise von einem Vorrang der öffentlichen Jugendhilfe im streitgegenständlichen Fall auszugehen. Die Pluralität des Angebots würde schließlich weder durch die Errichtung einer weiteren Einrichtung der Beigel. noch der Ast. erhöht, da beide bereits eine Vielzahl von Einrichtungen im Stadtgebiet betreiben.

bb) Die Ast. hat auch glaubhaft gemacht, dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint. Dies ist vorliegend erforderlich, weil trotz der Verletzung des bedingten Vorrangs der Maßnahmen der freien Träger der Jugendhilfe aus § 4 II SGB VIII ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Untersagung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. oder einen Dritten und mithin auch ein sicherungsfähiger Anspruch iSd § 123 VwGO nur dann besteht, wenn die Auswahl der Ast. selbst zumindest möglich erscheint (offen gelassen in OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; vgl. zu einem entsprechenden Erfordernis für den Rechtsschutz im Vergabeverfahren nach dem GWB Burgi/Dreher/Opitz/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 33; OLG Celle 12.10.2021 Rn. 78 mwN; zum beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch vgl. nur BVerfG NJW 2016, 309 Rn. 19 mwN).

Vorliegend hat das Angebot der Ast. 78 Punkte erhalten, dasjenige der “Küstenkinder” und von “pedia” jeweils 80 Punkte. Eines dieser Angebote würde gemäß den Verfahrensbedingungen nach Durchführung eines Losverfahrens nachrücken, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit der Beigel. aus den zuvor dargestellten Gründen nicht abgeschlossen werden kann. Ein sicherungsfähiger Anspruch liegt daher vorliegend nur vor, wenn die Ast. zusätzlich glaubhaft machen kann, dass ihre Bewerbung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglicherweise besser bewertet werden müsste als das Angebot der “Küstenkinder” sowie von “pedia”, wobei der Senat mangels gegenteiliger Anhaltspunkte unterstellt, dass beide Träger anerkannte Träger der freien Jugendhilfe iSd § 75 SGB VIII sind.

Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt, denn die Ast. hat glaubhaft gemacht, dass die Vergabe von nicht mehr als 78 von 100 möglichen Punkten im streitgegenständlichen Auswahlverfahren sie dadurch in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 12 I, Art. 3 I, Art. 19 III GG verletzt und eine auf sie fallende Auswahlentscheidung bei fehlerfreier erneuter Durchführung des Verfahrens möglich erscheint, dass die Vergabe von fünf von zehn möglichen Punkten bei der Beantwortung der Frage zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Berücksichtigung der besonderen Bedarfe der Eltern und Kinder aus der nagelegengen Wohnunterkunft nicht sachlich nachvollziehbar und unter Verstoß gegen Art. 3 I GG ergangen ist.

Bemühen sich mehrere freie Träger um die Durchführung von Jugendhilfemaßnahmen, so steht ihnen auf der Grundlage der aus Art. 12 I GG abzuleitenden Wettbewerbsfreiheit ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung und chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren zu (vgl. VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Ls. 1 u. Rn. 18 mwN; OVG Hamburg, 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110). Dieser Anspruch beinhaltet zumindest einen aus Art. 3 I GG folgenden Gleichbehandlungsanspruch des Inhalts, dass die Bewertung der Bewerbungen der verschiedenen Anbieter anhand der gleichen Beurteilungsmaßstäbe in einem transparenten und fairen Verfahren vorgenommen wird (vgl. OVG Lüneburg NVwZ 2019, 656 Rn. 23 = NordÖR 2019, 86 zu einem Anspruch auf eine Auswahlentscheidung unter Wahrung der Anforderungen des Art. 3 I GG).

Dabei obliegt es dem Gericht nicht, die Vergabe der einzelnen Punkte inhaltlich zu bewerten und ein Angebot als besser oder schlechter zu beurteilen. Die am Maßstab des Art. 3 I GG ausgerichtete gerichtliche Kontrolle umfasst aber, ähnlich dem beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch, zumindest die Überprüfung, ob der Sachverhalt von der Ag. unvollständig oder unzutreffend erfasst worden ist, sie selbst aufgestellte Beurteilungsvorgaben nicht beachtet hat oder sachwidrige oder gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßende Erwägungen angestellt hat und ihre Wertung hierdurch fehlerhaft geworden ist (vgl. VG Hamburg 5.5.2021 – 2 S 417/21).

Das durch die Ag. zur Erfüllung ihrer Gesamtverantwortung aus § 79 I SGB VIII für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII gewählte “Interessenbekundungsverfahren” mit den einzelnen in den Bewerbungsunterlagen abgefragten Kriterien dürfte dabei nach summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gegen die Prinzipien des chancengleichen und transparenten Verfahrens verstoßen. Die Auswahlkriterien sind zudem an den gesetzlichen Anforderungen der §§ 22?ff. SGB VIII zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen ausgerichtet und begegnen keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. bereits OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

Es erscheint aber zumindest möglich, dass die Bewerbung der Ast. bei der Beantwortung der Frage

“Bitte machen sie konkrete Ausführungen zur Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Hinblick auf zB Randzeitenbetreuung, einem Wechsel der Leistungsart, Bring- und Holzeiten etc. Bitte machen Sie konkrete konzeptionelle Ausführungen in welchem Umfang Fünf-Stunden-Plätze angeboten werden sollen, auch in Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften (zehn Punkte)”

unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz fehlerhaft nur mit fünf Punkten bewertet wurde, weil diese Bewertung sachlich nicht nachvollziehbar ist und die Vergleichbarkeit der angewendeten Beurteilungsmaßstäbe an unterschiedliche Bewerbungen nicht erkennen lässt. Die Ast. hat im Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften ausgeführt:

“Alle Kinder aus den nahe gelegenen Wohnunterkünften sind uns willkommen – Sternipark unterscheidet Kinder nicht nach Herkunft, Religion oder sonstigen Weltanschauungen. Ein Fokus muss darauf liegen, auch und gerade für diese Kinder einen guten Start ins deutsche Bildungssystem sicherzustellen. Da Sternipark mit 13 Kitas und 18 Sprachfachkräften am Bundesprogramm “Sprachkita” partizipiert und hier über ein breites Erfahrungswissen verfügt, kann dieses zugunsten geflüchteter Kinder oder von Kindern mit Migrationshintergrund eingesetzt werden.”

Hierfür hat sie fünf von zehn Punkten erhalten. In der Mitteilung darüber, dass die Ast. nicht ausgewählt worden sei, hat die Ag. dargestellt, dass die Ausführungen eine “ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vermissen” ließen. Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem VG hat die Ag. ihre Ausführungen dahingehend ergänzt, das die Ast. nicht ausführlich beschreibe, wie sie dem voraussichtlich erhöhten Bedarf an Fünf-Stunden-Plätzen aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft zu entsprechen beabsichtige.

Die Beigel. hat ausweislich der Sachakte in ihrer Bewerbung zur Beantwortung dieser Frage ausgeführt:

“Zugleich müssen wir zugunsten einer tragfähigen Personalausstattung und somit einer guten pädagogischen Arbeit den Anteil der Fünf-Stunden-Plätze in unseren Kitas auch begrenzen. Unser Betreuungsangebot ist entsprechend heterogen. Unsere Flexibilität bietet den Familien eine große Sicherheit, denn bei den Elbkindern einmal aufgenommen und eingewöhnt, verbleibt jedes Kind dauerhaft und sicher in seiner Kita, auch wenn sich eine veränderte Lebenssituation der Eltern auf ihren Kita-Gutschein auswirkt. Wir möchten, dass Eltern bei uns ein Angebot vorfinden, das ihrer Lebenssituation entspricht. Darüber hinaus möchten wir bei entsprechender Nachfrage gern ein passendes und bedarfsgerechtes Angebot für Kinder bereitstellen, die in Wohnunterkünften leben.”

Diese Ausführungen wurden mit zehn von zehn Punkten bewertet. Diese Bewertung lässt die Anwendung gleicher Bewertungsmaßstäbe nicht erkennen, da die Beigel. zu der Nachfrage aus den Wohnunterkünften lediglich auf ein “passendes und bedarfsgerechtes Angebot” und das auch nur “bei entsprechender Nachfrage” verweist, ohne dies im Ansatz zu konkretisieren und ohne zu berücksichtigen, dass die Nachfrage wegen der vorhandenen Wohnunterkünfte bereits feststeht. Dies ist sachlich nicht nachvollziehbar mit den Anforderungen in Einklang zu bringen, die die Ag. an das Angebot der Ast. gestellt hat, nämlich eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vorzunehmen. Es bleibt danach zwar möglich, dass das Angebot der Beigel. in diesem Punkt fehlerhaft zu viele Punkte erhalten hat, ebenso möglich und somit für die Annahme einer möglichen Besserbeurteilung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Verfahrens ausreichend ist es aber, dass an das Angebot der Ast. in diesem Punkt strengere Anforderungen auch als an dasjenige der besser platzierten Bewerber gestellt wurden.

Unbeachtlich sind hingegen die Einwendungen der Ast., soweit sie das Finanzierungskonzept der Beigel. betreffen, da eine Auswahlentscheidung, die auf die Beigel. fällt, nach den vorstehenden Ausführungen bei einer Wiederholung des Auswahlverfahrens nicht mehr möglich ist. Gleiches gilt soweit die Ast. die Beurteilung der Bewerbung hinsichtlich der Beschreibung des Sozialraumes rügt, da ihre eigene Bewerbung in diesem Punkt die maximale Punktzahl von zehn Punkten erreicht hat.

BGH: Erweist sich eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist, liegen nicht zugleich die Voraussetzungen vor, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013) zu berufen

BGH: Erweist sich eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist, liegen nicht zugleich die Voraussetzungen vor, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013) zu berufen

vorgestellt von Thomas Ax

Erweist sich eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14.06.2020 – VII ZR 174/19, Rz. 15 m.w.N., IBRRS 2020, 1607), liegen nicht zugleich die Voraussetzungen vor, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013) zu berufen. Hierzu bedarf es Feststellungen dazu, dass dies zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde und es daher gem. § 242 BGB rechtsmissbräuchlich ist, sich auf die Formunwirksamkeit zu berufen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26.02.2020 – XII ZR 51/19, Rz. 27, IBRRS 2020, 0844).

BGH, Urteil vom 03.08.2023 – VII ZR 102/22

vorhergehend:

OLG Celle, Urteil vom 27.04.2022 – 14 U 156/21

LG Hannover, 15.09.2021 – 14 O 211/20

Tatbestand:

Die Klägerin fordert von der Beklagten die Zahlung restlichen Architektenhonorars.

Die Beklagte wurde von der Landesstraßenbaubehörde S. am 28. Mai 2013 mit Planungsleistungen für eine Flutbrücke und deren Errichtung beauftragt. Sie beauftragte ihrerseits die Klägerin mit den Planungsleistungen. Vor Beginn ihrer Arbeiten unterbreitete die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 4. Juni 2013 ein Angebot über die Planungsleistungen für ein Honorar in Höhe von 310.623 Euro netto, welches die Beklagte nicht annahm. Die Klägerin begann dennoch mit den Planungen. In der Folge unterbreitete sie der Beklagten ein weiteres Angebot über ein Pauschalhonorar in Höhe von 400.000 Euro, in dem die letztlich beauftragten Leistungen mit einem Betrag in Höhe von 170.000 Euro bewertet wurden. Die Beklagte unterzeichnete diesen Vertrag nicht, sondern übersandte ihrerseits unter dem 18. Juli 2014 der Klägerin einen Vertragsentwurf, in dem das Honorar mit 161.713,27 Euro angegeben wurde. Dieser Entwurf wurde von der Klägerin nicht unterzeichnet.

Die Klägerin stellte während der Leistungserbringung mehrere Abschlagsrechnungen, die von der Beklagten bezahlt wurden. Darin wurde jeweils auf “bestehende Vereinbarungen” Bezug genommen. Mit Schreiben vom 18. Juni 2015 übersandte die Klägerin der Beklagten eine 6. Abschlagsrechnung, mit der sie ihre Leistungen bis auf eine Bestandsunterlage als vollständig erbracht mit 170.000 Euro netto abzüglich eines Betrags in Höhe von 1.000 Euro für die fehlende Unterlage in Rechnung stellte. Die Beklagte kürzte den Betrag auf 161.713,27 Euro. Dieser Kürzung widersprach die Klägerin unter Hinweis auf die getroffenen Vereinbarungen.

Nachdem die Beklagte eine Zahlung in Höhe von 161.713,27 Euro geleistet und die Bezahlung eines weiteren Honorars auf der Grundlage eines Netto- honorars in Höhe von 170.000 Euro verweigert hatte, rechnete die Klägerin ihre Leistungen auf der Basis der Mindestsätze der HOAI (2013) ab. Mit der Klage hat sie ein über die erfolgte Zahlung der Beklagten hinausgehendes weiteres Honorar in Höhe von 114.285,75 Euro geltend gemacht.

Die Klage ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision will die Klägerin weiterhin die Verurteilung der Beklagten auf ihren Klageantrag hin erreichen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in IBR 2022, 352 = BauR 2022, 1792 veröffentlicht ist, hat zur Begründung – soweit für die Revision von Interesse – ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Werklohns in Höhe von 114.285,75 Euro. Zwischen den Parteien sei konkludent ein Pauschalpreis in Höhe von 161.713,27 Euro vereinbart worden, auf dessen Gültigkeit sich die Beklagte gemäß § 242 BGB berufen könne. Diesen Betrag habe die Beklagte bereits gezahlt.

Die weitere Werklohnforderung stehe der Klägerin gemäß § 242 BGB nicht zu; ihre Geltendmachung erweise sich als rechtsmissbräuchlich. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verhalte sich der Auftragnehmer widersprüchlich, wenn er eine Pauschalvereinbarung unterhalb der Mindestsätze der HOAI abschließe und später nach den Mindestsätzen abrechnen wolle. Eine Geltendmachung der Mindestsätze könne nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn der Auftraggeber auf die Wirksamkeit der Vereinbarung vertraut habe und auch habe vertrauen dürfen und er sich darauf in einer Weise eingerichtet habe, dass ihm die Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem Honorar und den Mindestsätzen nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden könne. Erforderlich sei eine Gesamtabwägung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls.

Diese Voraussetzungen, die es der Klägerin verwehrten, ihr Honorar nachträglich und entgegen der Pauschalpreisabrede nach Mindestsätzen abzurechnen, seien hier erfüllt, so dass auch dahinstehen könne, ob der vereinbarte Pauschalpreis tatsächlich mindestsatzunterschreitend gewesen sei. Die Klägerin verhalte sich widersprüchlich, wenn sie nunmehr nach Mindestsätzen abrechne. Die Beklagte habe auf die Wirksamkeit der geschlossenen Pauschalpreisvereinbarung vertrauen dürfen. Die Klägerin habe einen Vertrauenstatbestand begründet, indem sie sich bewusst dazu entschieden habe, der Beklagten eine mindestsatzunterschreitende Pauschalhonorarvereinbarung anzubieten, obwohl sie Kenntnis von der Gültigkeit der Mindestsätze gehabt habe. Das zwischen den Parteien vereinbarte Leistungsverzeichnis und der Umstand, dass die Klägerin bis zur 6. Abschlagsrechnung im Jahr 2015 immer auf “bestehende Vereinbarungen” Bezug genommen und nach diesen abgerechnet habe, habe den Vertrauenstatbestand noch vertieft. Noch in der Mahnung vom 27. November 2015 habe die Klägerin die Zahlung des Restbetrags zu der von ihr behaupteten Pauschale in Höhe von 170.000 Euro verlangt. Die Klägerin habe seit Beginn der Vertragsbeziehung in keinem Schreiben darauf hingewiesen, dass das verlangte Honorar mindestsatzunterschreitend gewesen sei, sondern habe die HOAI erst im Rahmen von Meinungsverschiedenheiten als “Drohinstrument” benutzt, um die Zahlung des von ihr geforderten Betrags durchzusetzen. Die HOAI stelle aber kein Preisrecht dar, um Druck auf den Auftraggeber auszuüben, sollte es zwischen den Parteien im Verlauf der Vertragsbeziehung zu Unstimmigkeiten kommen. Zu Lasten der Klägerin wiege schwer, dass sie – nach eigenen Angaben – der Beklagten einen Pauschalpreis angeboten habe in der Absicht, sich nicht an die geschlossene Vereinbarung halten zu wollen.

Die Beklagte habe nachvollziehbar dargelegt, dass sie nicht von einer Mindestsatzunterschreitung habe ausgehen müssen. Sie habe sich auch auf die Zahlung des Pauschalhonorars eingerichtet und mit diesem kalkuliert. Nach dem gesetzlichen Leitbild der Vertragstreue sei dieses Vertrauen besonders schützenswert. Die Zahlung des Differenzbetrags sei der Beklagten auch nicht zumutbar. Die Erhöhung der klägerischen Forderung liege bei 50 %.

Selbst wenn die Pauschalhonorarvereinbarung gegen das Schriftformerfordernis gemäß § 7 Abs. 3 HOAI (2013) verstieße, bliebe die Klägerin an die getroffene Vereinbarung gebunden. Die Berufung der Klägerin auf die Formunwirksamkeit verstoße gegen Treu und Glauben, da dies unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falls zu einem unerträglichen Ergebnis führen würde (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. November 2010 – 23 U 215/09, BauR 2012, 284).

II.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Die Beklagte kann sich nach den im Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Feststellungen nicht mit Erfolg darauf berufen, der Klägerin sei es nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, ihren Honoraranspruch auf der Basis der Mindestsätze der HOAI zu berechnen. Insoweit kann für die Beurteilung, ob der Einwand der Treuwidrigkeit durchgreift, dahinstehen, ob sich die Honorarberechnung nach der HOAI (2009) richtet, wie die Beklagte geltend macht, oder ob die HOAI (2013) Anwendung findet, wovon das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Klägerin ausgeht, da die maßgeblichen Vorschriften in § 7 Abs. 1, 3 HOAI in beiden Fassungen wortgleich sind.

1. Das Berufungsgericht ist unter Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesgerichtshofs zu den Voraussetzungen, unter denen sich der Architekt ausnahmsweise nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die Berechnung seiner Vergütung nach den Mindestsätzen der HOAI berufen kann (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – VII ZR 174/19 Rn. 15, BGHZ 225, 297; Urteil vom 27. Oktober 2011 – VII ZR 163/10 Rn. 24, BauR 2012, 271 = NZBau 2012, 174; Urteil vom 23. Oktober 2008 – VII ZR 105/07 Rn. 17 m.w.N., BauR 2009, 262 = NZBau 2009, 33), rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ohne weiteres auch eine Berufung auf die Formunwirksamkeit der Honorarvereinbarung ausscheidet.

a) Entgegen der Auffassung der Revision leidet das angefochtene Urteil allerdings nicht an dem absoluten Revisionsgrund der mangelnden Begründung, § 547 Nr. 6 ZPO, soweit das Berufungsgericht die Auffassung vertreten hat, eine Berufung auf die Formunwirksamkeit des Vertrags komme nach § 242 BGB ebenfalls nicht in Betracht. § 547 Nr. 6 ZPO erfasst in erster Linie den Fall, dass die angefochtene Entscheidung keinerlei Gründe enthält oder einer von mehreren von der Entscheidung erfassten selbständigen Ansprüche in den Entscheidungsgründen nicht behandelt wird (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2021 – I ZR 137/20 Rn. 66, MDR 2022, 114; Versäumnisurteil vom 10. Januar 2008 – I ZR 38/05 Rn. 37, RIW 2008, 392; Urteil vom 15. Oktober 1998 – I ZR 111/96, BGHZ 140, 84 m.w.N.). § 547 Nr. 6 ZPO ist dagegen nicht schon dann anwendbar, wenn Urteilsgründe unrichtig, unzureichend oder unvollständig sind (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2019 – I ZR 200/17 Rn. 47, MDR 2019, 882; Urteil vom 26. April 1991 – V ZR 61/90, NJW 1991, 2761; Urteil vom 3. Oktober 1980 – V ZR 125/79, NJW 1981, 1045).

Nach diesen Maßstäben ist § 547 Nr. 6 ZPO nicht verletzt. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, die Klägerin sei nach Treu und Glauben gehindert, sich auf die fehlende Formwirksamkeit der Honorarvereinbarung zu berufen, damit begründet, dass zugunsten der Beklagten nach den Umständen ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei und diese sich darauf eingerichtet habe, nur den konkludent vereinbarten Pauschalpreis zahlen zu müssen. Unabhängig davon, ob sich diese Begründung rechtlich als tragfähig erweist oder nicht, fehlt es jedenfalls nicht überhaupt an Gründen im Sinne des § 547 Nr. 6 ZPO.

b) Das Berufungsgericht geht jedoch rechtsfehlerhaft davon aus, dass für den Fall, dass sich unter Berücksichtigung der vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – VII ZR 174/19 Rn. 15, BGHZ 225, 297; Urteil vom 27. Oktober 2011 – VII ZR 163/10 Rn. 24, BauR 2012, 271 = NZBau 2012, 174; Urteil vom 23. Oktober 2008 – VII ZR 105/07 Rn. 17 m.w.N., BauR 2009, 262 = NZBau 2009, 33) eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig darstellt, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist, zugleich die Voraussetzungen vorliegen, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013) zu berufen.

aa) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Parteien hinsichtlich der streitgegenständlichen Leistungen, für die die Klägerin noch ein restliches Honorar in Höhe von 114.285,75 Euro begehrt, konkludent eine Pauschalhonorarvereinbarung in Höhe von 161.713,27 Euro netto geschlossen haben. Ob hierdurch die maßgeblichen Mindestsätze unterschritten wurden, hat das Berufungsgericht dahinstehen lassen. Dies ist entsprechend dem Vortrag der Klägerin revisionsrechtlich zu unterstellen.

Ohne Erfolg rügt die Revision, dass das Berufungsgericht aufgrund einer rechtsfehlerhaften Würdigung der festgestellten tatsächlichen Umstände unter Verstoß gegen § 286 Abs. 1 ZPO zu dem Ergebnis gelangt ist, die Parteien hätten sich konkludent auf einen Pauschalpreis in Höhe von 161.713,27 Euro netto für die Leistungen geeinigt, die Gegenstand der streitgegenständlichen Honorarrechnung der Klägerin sind. Die Auslegung von Willenserklärungen ist Angelegenheit des Tatrichters. Eine Überprüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (BGH, Urteil vom 27. April 2023 – VII ZR 144/22 Rn. 35, NJW-RR 2023, 901; Urteil vom 17. Mai 2018 – VII ZR 157/17 Rn. 19, BauR 2018, 1403 = NZBau 2018, 524; Urteil vom 31. August 2017 – VII ZR 5/17 Rn. 24 m.w.N., BauR 2018, 99 = NZBau 2017, 718).

20          Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hält die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Ein Verstoß gegen gesetzliche Auslegungsregeln oder anerkannte Auslegungsgrundsätze liegt nicht darin, dass das Berufungsgericht dem Umstand, dass die Klägerin unmittelbar nach Erhalt des Vertragsentwurfs vom 18. Juli 2014, in dem ein Pauschalpreis von 161.713,27 Euro genannt gewesen als auch auf Verhandlungen am 15. Juli 2014 Bezug genommen worden ist, mit ihrer 4. Abschlagsrechnung vom 13. August 2014 auf “bestehende Vereinbarungen” verwiesen hat, eine erhebliche Bedeutung für die Annahme beigemessen hat, die Klägerin habe sich konkludent mit dem von der Beklagten vorgeschlagenen Pauschalpreis einverstanden erklärt. Diese Auslegung ist auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Klägerin zuvor bereits Leistungen erbracht und hierfür Abschlagsrechnungen erteilt hatte, eine im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO revisionsrechtlich nicht zu beanstandende Würdigung.

bb) Es kann offenbleiben, ob nach den getroffenen Feststellungen die Annahme des Berufungsgerichts gerechtfertigt ist, die Abrechnung der Klägerin nach den Mindestsätzen der HOAI (2013) stelle sich unter den strengen Voraussetzungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausnahmsweise als treuwidrig dar, weil das Vertrauen der Beklagten auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig sei. Denn es fehlt jedenfalls an Feststellungen dazu, dass die Klägerin nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) im vorliegenden Fall auch gehindert war, sich auf die Formunwirksamkeit der konkludent geschlossenen Pauschalhonorarvereinbarung zu berufen.

(1) Ob der Vertragspartner darauf vertrauen darf, der andere Vertragsteil werde sich nicht auf die Formunwirksamkeit berufen, richtet sich nach anderen Kriterien als denen, unter denen ausnahmsweise eine Unterschreitung der Mindestsätze nach Treu und Glauben gerechtfertigt sein kann. Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung darf sich grundsätzlich jede Partei darauf berufen, die für einen Vertrag vorgeschriebene Schriftform sei nicht eingehalten. Nur ausnahmsweise, wenn dies zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde, kann es gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich sein, sich auf die Formunwirksamkeit zu berufen. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der eine Vertragspartner den anderen schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten oder sich sonst einer besonders schweren Treuepflichtverletzung schuldig gemacht hat oder wenn als Folge der Formwidrigkeit die Existenz der anderen Vertragspartei bedroht wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 2020 – XII ZR 51/19 Rn. 27, BGHZ 224, 370; Urteil vom 27. September 2017 – XII ZR 114/16 Rn. 24, BGHZ 216, 68; Urteil vom 3. November 2016 – III ZR 286/15 Rn. 12, MDR 2017, 18; jeweils m.w.N.). Diese Rechtsprechung findet auch Anwendung, soweit es um die gemäß § 7 Abs. 1 HOAI (2009/2013) für eine wirksame Honorarvereinbarung erforderliche Schriftform bei Auftragserteilung geht (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 5. Dezember 2022 – 11 U 231/21, MDR 2023, 560; OLG Oldenburg, Urteil vom 28. Mai 2013 – 2 U 111/12; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. November 2010 – 23 U 215/09, BauR 2012, 284).

(2) Dass diese Voraussetzungen vorliegen, hat das Berufungsgericht nicht hinreichend festgestellt. Die in Bezug genommene Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Urteil vom 23. November 2010 – 23 U 215/09, BauR 2012, 284) betrifft einen anderen Sachverhalt. Gegenstand des dortigen Verfahrens war eine schriftlich niedergelegte Honorarvereinbarung über einen Pauschalpreis, der die Mindestsätze der HOAI unterschritt. Der Architekt hatte dem Auftraggeber ein von ihm nicht unterzeichnetes Vertragsangebot mit vorbereitetem Unterschriftsfeld für den Auftraggeber übersandt und damit den Eindruck erweckt, es bedürfe nur noch der Unterschrift des Auftraggebers. Vergleichbare Umstände hat das Berufungsgericht im Streitfall nicht festgestellt.

Für die Annahme der Treuwidrigkeit der Berufung auf die Formunwirksamkeit genügt es nicht, dass die Klägerin der Beklagten überhaupt im Rahmen der Vertragsverhandlungen einen Pauschalpreis angeboten hat, den die Beklagte letztlich jedoch nicht akzeptiert hat. Ein widersprüchliches Verhalten der Klägerin in Bezug auf den Abschluss einer formwirksamen Honorarvereinbarung liegt nicht vor. Die Klägerin hat der Beklagten vielmehr mehrfach ein schriftliches Angebot über die von ihr für angemessen gehaltene Summe von 170.000 Euro unterbreitet, welches die Beklagte nicht angenommen hat. Dass der Klägerin, wie vom Berufungsgericht festgestellt, bewusst gewesen ist, dass die von ihr angebotene Pauschalvergütung die Mindestsätze der HOAI unterschreiten würde, hat nicht zur Folge, dass die Berufung auf die Formunwirksamkeit treuwidrig wäre. Die auch für die Beklagte als Fachunternehmerin offenkundige Formunwirksamkeit der Vereinbarung hat die Klägerin hierdurch nicht treuwidrig herbeigeführt oder auch nur zu vertreten. Eine Berufung auf die Formunwirksamkeit der Honorarvereinbarung ist daher nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Klägerin ein unterhalb der Mindestsätze liegendes Angebot überhaupt abgegeben hatte. Gleiches gilt für die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe der Beklagten von vornherein einen Pauschalpreis in der Absicht angeboten, sich später nicht an eine entsprechende Vereinbarung halten zu wollen.

Diese Annahme hat in der im angefochtenen Urteil hierfür als Beleg angeführten Passage des schriftsätzlichen Vortrags der Klägerin bereits keine tragfähige Stütze. Dass die Klägerin sich nach ihrem Vortrag durch die Mindestsatz-Regelungen der HOAI gegen “Bemühungen” ihrer Vertragspartnerin geschützt sah, “ein der Aufgabenstellung nicht angemessenes Honorar durchzusetzen”, lässt schon nicht erkennen, inwiefern sie hierdurch die “Absicht” erklärt haben soll, sich an eine etwa tatsächlich zustande gekommene Honorarvereinbarung später nicht halten zu wollen. Das Berufungsgericht übersieht außerdem, dass der referierte Vortrag der Klägerin im Zusammenhang mit ihren Ausführungen steht, wonach die Auftragsbearbeitung bei Übersendung des Vertragsentwurfs der Beklagten vom 18. Juli 2014 bereits weit fortgeschritten gewesen sei. Der Hinweis der Klägerin auf die Schutzfunktion der HOAI-Mindestsätze kann daher auch deshalb nicht in dem vom Berufungsgericht angenommenen Sinn verstanden werden.

Auch der Umstand, dass die Klägerin erst zu einem Zeitpunkt, als sich unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten mit der Beklagten über die Honorarhöhe ergeben hatten, eine Honorarabrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI vorgelegt hat, ist nicht geeignet, den Vorwurf zu rechtfertigen, sie habe die formunwirksame Vereinbarung mit der Beklagten unter Verletzung der Gebote von Treu und Glauben bewusst herbeigeführt. Dass es nicht zu einer schriftlichen Honorarabrede zwischen den Parteien gekommen ist, ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass das jeweilige schriftliche Angebot der einen Vertragspartei von der Gegenseite nicht schriftlich angenommen wurde. Für die Beklagte war als Fachunternehmerin auch erkennbar, dass eine schriftliche Honorarvereinbarung wegen der unterschiedlichen Honorarvorstellungen der Parteien im Zuge der Vertragsverhandlungen nicht geschlossen worden ist.

2. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit gemäß § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch macht. Der Senat kann in der Sache nicht selbst gemäß § 563 Abs. 3 ZPO entscheiden, weil die Sache nach den getroffenen Feststellungen nicht zur Endentscheidung reif ist.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:

Die Klägerin kann ihr Honorar nicht auf der Grundlage der erst zum 17. Juli 2013 in Kraft getretenen HOAI (2013) berechnen, soweit Grundleistungen vor ihrem Inkrafttreten vertraglich vereinbart wurden; insoweit bleiben die bisherigen Vorschriften anwendbar, § 57 HOAI (2013). Das Berufungsgericht hat zu dem Zeitpunkt, zu dem die Grundleistungen vertraglich vereinbart worden sind, keine Feststellungen getroffen. Lag dieser vor dem 17. Juli 2013, richtet sich die Honorarberechnung der Klägerin nach den Bestimmungen der HOAI (2009). Insoweit ist den Parteien noch Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen und der Klägerin gegebenenfalls zur Neuberechnung des Honorars nach den Bestimmungen der HOAI (2009) zu geben.

OLG München: Der Auftraggeber entscheidet darüber, welche Materialien er in welcher Ausführung in sein Bauwerk einbringen lassen möchte

OLG München: Der Auftraggeber entscheidet darüber, welche Materialien er in welcher Ausführung in sein Bauwerk einbringen lassen möchte

vorgestellt von Thomas Ax

1. Der Auftraggeber entscheidet darüber, welche Materialien er in welcher Ausführung in sein Bauwerk einbringen lassen möchte. Für ihn kann die Vorstellung eines besseren Wohngefühls, eines besseren Schutzes der Gesundheit und einer besseren Erhaltung der Bausubstanz maßgeblich für die Entscheidung für oder gegen bestimmte Materialien oder Zusammensetzungen sein.
2. Ein Putz aus reinem Kalk oder mit einem hohen Kalkanteil wird zumindest bei Personen, denen eine besonders ökologische Bauweise wichtig ist, als höherwertig angesehen.
3. Das Interesse des Auftraggebers, einen Putz zu erhalten, der jedenfalls nach seinen Vorstellungen für den Zustand des neugebauten Wohnhauses und für die Gesundheit der darin lebenden Bewohner dauerhaft von positiver Wirkung ist, ist – unabhängig von der Frage, ob der Auftragnehmer diese Einschätzung teilt – ein berechtigtes Interesse, das auch hohe Kosten der Nachbesserung rechtfertigt.
OLG München, Beschluss vom 14.04.2021 – 20 U 6129/20 Bau
vorhergehend:
OLG München, Beschluss vom 12.02.2021 – 20 U 6129/20 Bau
LG Landshut, 22.09.2020 – 73 O 4326/19
nachfolgend:
BGH, Beschluss vom 21.06.2023 – VII ZR 439/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Gründe:

I.

Der Kläger macht Gewährleistungsansprüche und Schadenersatzansprüche aus Werkvertrag gegen die Beklagte geltend, die im Herbst/Winter 2016 mit Verputzarbeiten am Haus des Klägers beauftragt war.

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe einen Innenputz aufgebracht, der nicht die vertraglich vereinbarten Eigenschaften habe, und Schäden an Fensterrahmen und Fensterbänken verursache. Zur Beseitigung der Mängel verlangt er einen Kostenvorschuss.

Er hat erstinstanzlich beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 39.744,96 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zum Ersatz auch der weiteren Nachbesserungskosten verpflichtet ist.

3. Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von der Verpflichtung zur Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte hat

Klageabweisung beantragt.

Dem Streitverfahren ist ein selbständiges Beweisverfahren vorausgegangen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Beklagte im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt, lediglich geltend gemachte Kosten für ein privates Sachverständigengutachten und für Schleifarbeiten/Nachfilzen hat es als nicht erstattungsfähig angesehen. Das Werk der Beklagten sei mangelhaft iSv. § 633 Abs. 2 S. 1 BGB, da sie die falsche Putzart eingebracht habe und der Putz nicht die vereinbarte Körnung habe. Nach ursprünglicher Vereinbarung eines reinen Kalkputzes hätten sich die Parteien später aufgrund der Beratung der Beklagten auf die Ausführung eines Kalk-Gips-Putzes geeinigt, der weiterhin die Körnung 0,6 mm aufweisen sollte. Aufgrund des Sachverständigengutachtens stehe fest, dass die Körnung etwa 1,0 mm betrage, dass in den Feuchträumen in Kellergeschoss, Erdgeschoss und Obergeschoss ein Zementputz aufgebracht worden sei und dass auch die restlichen Räume nicht mit einem Kalk-Gips-Putz versehen worden seien. Die weiteren Voraussetzungen eines Kostenvorschusses nach § 637 Abs. 3 BGB lägen vor. Der geltend gemachte Vorschuss sei der Höhe nach angemessen, da er auf den vom Sachverständigen geschätzten Kosten beruhe, der Kläger könne die Umsatzsteuer hinzuaddieren, da er nicht vorsteuerabzugsberechtigt sei. Da der Sachverständige die Kosten für die Neuverputzung der Feucht- räume nicht ermittelt habe, könne der Kläger diese schätzen. Der geltend gemachte Betrag von 38.080 Euro sei daher angemessen. Ein Ausschlussgrund nach § 635 BGB sei nicht gegeben. Insbesondere sei das Bestellerinteresse nach der Rechtsprechung des BGH auch nicht deshalb als gering anzusehen, weil das hinter dem vereinbarten höheren Standard zurückbleibende Werk wenigstens den anerkannten Regeln der Technik entspreche. Ein berechtigtes Interesse des Klägers ergebe sich daraus, dass es nicht nur z.B. um Schönheitsreparaturen gehe, sondern aufgrund des Sachverständigengutachtens davon auszugehen sei, dass tatsächlich fühlbare Einschränkungen in der Bauklimatik die Folge der falschen Putzart seien. Auch das subjektive Empfinden des Klägers sei zu berücksichtigen. Hinsichtlich der geltend gemachten Beschädigungen an den Fenstern habe die Beklagte Entstehung und Höhe des Schadens zu unsubstantiiert bzw. unzulässig mit Nichtwissen bestritten. Im Übrigen ergebe sich aus Anl. K25/26, dass die Beklagte die Positionen außergerichtlich bereits anerkannt habe. Soweit die Beklagte mit einem Rechnungsbetrag (Anl. B14) die Aufrechnung erklärt habe, gehe diese ins Leere, da es sich bei dieser Rechnung um Kosten der Mangelbeseitigung handele. Die Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung müsse die Beklagte übernehmen, auch wenn der Klägervertreter der Bruder des Klägers sei. Der Feststellungsantrag sei zulässig und begründet, da der Kläger die endgültigen Kosten der Mangelbeseitigung noch nicht beziffern könne.

Gegen das ihr am 22.9.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21.10.2020 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 23.12.2020 am 22.12.2020 begründet. Sie rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs und die Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung durch das Landgericht. Das Landgericht habe sich von der Aussage der Zeugin H. leiten lassen und nicht beachtet, dass diese Zeugin an den Gesprächen zwischen den Parteien nicht teilgenommen habe. Die Beklagte habe vor Aufnahme der Putzarbeiten mitgeteilt, dass wenn überhaupt verputzt werden könne, dann nur mit einem Gips-Kalk-Putz. Zur Vermeidung von putzgebundenen Rissen sei dies sinnvoll gewesen, wozu die Beklagte Beweis angeboten habe. Nachdem sie dem Kläger dies mitgeteilt habe, habe sich dieser am 18.11.2016 ausweislich der Anlage B4 einverstanden erklärt. Die Beklagte habe vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass die Parteien sich auf einen bestimmten Putz, nämlich den vom Hersteller Knauf vorgeschlagenen Putz MP 75 Edelfilz, geeinigt hätten. Hinsichtlich des Kalkzements in den Feuchträumen habe der Kläger sich nach einer ersten Beanstandung einverstanden erklärt, dass die nicht gefliesten Wandflächen mit einem feinen Oberputz überzogen würden. Der Kläger habe das Ergebnis dann auch gelobt (Anl. B10). Die Annahme des Landgerichts, der in den übrigen Räumen verwendete Putz sei kein Kalk-Gips-Putz und entspreche deshalb nicht der vereinbarten Beschaffenheit, sei falsch, weil es keinen Unterschied zwischen einem Kalk-Gips-Putz und einem Gips-Kalk-Putz gebe. Zu Unrecht sei das Landgericht dem Gutachter darin gefolgt, dass trotz der Aufgabe eines solchen Unterschieds in den DIN-Normen für Werktrockenmörtel Bauschaffende unter einem Kalk-Gips-Putz weiterhin einen Putz verstünden, der mehr Kalkbindemittel als Gips enthielte. Die Meinung von Bauschaffenden habe mit den anerkannten Regeln der Technik nichts zu tun. Das Landgericht habe nicht hinreichend gewürdigt, dass die Beklagte vorgetragen habe, dass es keinen Kalk-Gips-Putz als Werktrockenmörtel auf dem Markt gebe, der der Definition des Sachverständigen entspreche, und dass im abgebundenen Zustand ohnehin kein Unterschied zwischen einem gipsgebundenen Putz mit hohem Kalksteinanteil und einem kalkgipsgebundenen Putz festgestellt werden könne. Das Landgericht sei auf Rügen am Gutachten des Sachverständigen nicht eingegangen und habe insbesondere den benannten sachverständigen Zeugen Dr. E. nicht vernommen. Der Beklagten könne nicht vorgeworfen werden, dass andere Hersteller ihre Produkte als Kalk-Gips-Mörtel bezeichnen, auch wenn diese auch nicht die Definition des Sachverständigen erfüllen. Das Landgericht sei zu Unrecht dem Beweisangebot der Beklagten nicht nachgegangen, wonach der im Anwesen des Klägers verwendete Gips-Kalk-Putz einen weit höheren Bindemittelanteil von Kalk als 50 % enthielte und daher die Definition des Sachverständigen erfülle. Zu Unrecht habe das Landgericht festgestellt, dass die Körnung nicht der vereinbarten Größe von 0,6 mm entspreche. Der verwandte Putz MP 75 Edelfilz weise diese Körnung auf. Der Sachverständige habe keine Messung vorgenommen, sondern nur dargestellt, dass die Körnung ca. 1 mm ausmache. Der Putz MP 75 Edelfilz weise eigentlich eine Körnung von 1,2 mm auf, es sei aber eine Sondermischung für den Kläger hergestellt worden, dies sei unter Beweis gestellt worden. Zu Unrecht habe das Landgericht darauf abgestellt, dass Gips-Kalk-Putze bei der Abbindephase eher zu Schimmelbildung neigen würden. Zu Unrecht habe das Landgericht nicht über die Höhe des Schadens an den Fenstern Beweis erhoben, da ein Bestreiten mit Nichtwissen hier zulässig gewesen sei. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten habe das Landgericht übersehen, dass nicht der Kläger, sondern dessen Prozessbevollmächtigter den Verzug erst herbeigeführt habe. Auf den Einwand der Unverhältnismäßigkeit der Mangelbeseitigung sei das Landgericht nicht hinreichend eingegangen. Ein wahrnehmbarer Unterschied zwischen einem Kalk-Gips-Putz und einem Gips-Kalk-Putz, welche sich nur in dem Anteil an Gips als Bindemittel unterscheiden, bestehe nicht, zumal nicht nach dem Abbinden. Durch die Sanierungsmaßnahme erhalte der Kläger nichts anderes, als er ohnehin schon habe.

Sie hat beantragt:

Das Urteil des Landgerichts Landshut vom 22.9.2020, Az. 73 O 4326/19 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat

Zurückweisung der Berufung beantragt.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 20.1.2021 auf die Berufung erwidert.

Der Senat hat mit Beschluss vom 12.2.2021 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe.

Hierzu hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.3.2021 Stellung genommen und ihre bisherigen Ausführungen im Wesentlichen wiederholt und vertieft. Der Sachverständige habe die Korngröße nicht gemessen, sondern lediglich geschätzt, die Behauptung der Beklagten, es handele sich um eine Spezialmischung mit der Korngröße 0,6 mm, habe das Landgericht weder im Beweisverfahren noch im streitigen Verfahren erster Instanz beachtet. Eine Aufklärungspflicht dahingehend, dass bei dem von der Beklagten ausgewählten Putz das Hauptbindemittel Gips sei, habe nicht bestanden, da es wie vorgetragen keinen Hersteller auf dem Markt gebe, der bei einem Mischputz einen Kalkanteil von über 50 % verwende. Der Kläger habe sich auch nur einen Putz mit einem möglichst hohen Kalkanteil gewünscht. Es sei der Kläger selbst gewesen, der gebeten habe, den Putz endlich einzubringen, da er nicht länger warten könne, deswegen sei die vom Senat in Erwägung gezogene Handlungsalternative des Klägers, auf eine Trocknung der Wände zu warten, nicht gegeben gewesen. Das Landgericht habe zu Unrecht den Einwand der Beklagten nicht beachtet, dass die Bestimmung des Bindemittelanteils nach einem anderen als dem vom Sachverständigen verwendeten Verfahren hätte erfolgen müssen. Auf das subjektive Empfinden des Klägers, einen Putz mit einem bestimmten (Mindest-)Kalkanteil zu haben, könne nicht abgestellt werden. Die verlangte Vorschussleistung ziele auf einen Austausch des vereinbarten Putzes mit einem nicht vereinbarten reinen Kalkputz. Auch der Senat stelle zu Unrecht auf die Aussage der Zeugin Heck ab, obwohl diese an Gesprächen zwischen den Parteien nicht teilgenommen habe. Das Bestreiten der Schadenersatzforderungen mit Nichtwissen sei zulässig.

Der Kläger hat mit Schriftsätzen vom 12.3.2021 und 29.3.2021 Stellung genommen.

Zur Ergänzung wird auf das erstinstanzliche Urteil, den genannten Hinweisbeschluss des Senats und die genannten Schriftsätze zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

1. Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen im Beschluss vom 12.2.2021 Bezug genommen. Die hiergegen gerichteten Einwände der Beklagten mit Schriftsatz vom 26.3.2021 veranlassen keine geänderte Beurteilung.

a) Die Korngröße von ca. 1 mm hat der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren festgestellt und als Ergebnis so berichtet. Ob der Sachverständige zu diesem Ergebnis durch “Messung” oder durch “Schätzung” gekommen ist, spielt keine Rolle, zumal die Beklagte einfach unterstellt, dass keine Messung stattgefunden habe. Die Bezeichnung der Größe mit “ca.” 1 mm muss kein Hinweis auf eine Schätzung sein, sondern kann auch daher rühren, dass größere und kleinere Körner feststellbar waren. Der Senat hat jedenfalls keine Zweifel, dass ein Sachverständiger in der Lage ist, die mit bloßem Auge erkennbare Körnung zutreffend einzuordnen. Die Behauptung der Beklagten, sie habe einen Putz verwendet, der eine Körnung von 0,6 mm aufweise, ist damit widerlegt, ohne dass es darauf ankäme, ob die verwendete Mischung eine Fertigmischung oder eine Sondermischung für den Kläger war. Schon aus diesem Grund ist das Landgericht zu Recht von einer mangelhaften Leistung ausgegangen.

b) Der E-Mail des Klägers vom 18.11.2016 (Anl. B4) ist zu entnehmen, dass die Beklagte ihm den Übergang zu einem Kalk-Gips-Putz vorgeschlagen hatte und er hiermit einverstanden war. Damit war eine Einigung darüber erzielt, dass nicht nur ein reiner Kalkputzes, sondern auch ein “Kalk-Gips-Putz” aufgebracht werden könne. Der Senat hält an seiner Auffassung fest, wonach die Beklagte die Einwilligung des Klägers in einen “Kalk-Gips-Putz” so verstehen musste, dass dieser einen Putz mit einem Kalkanteil von über 50 % meinte, zumal der Kläger noch ausdrücklich betonte, es möge ein Kalk-Gips-Putz mit einem möglichst hohen Kalkanteil sein. Die Verwendung eines Gips-Kalk-Putzes mit einem Kalkanteil von unter 50 % stellt damit ebenfalls einen Mangel dar.

c) Ob es auf dem Markt Werktrockenmörtel gibt, die einen höheren Kalkanteil als 50 % oder einen höheren Kalkanteil als den der von der Beklagten verwendeten Putzmischung haben, ist wie hingewiesen ohne Belang. Denn zum einen ersetzt dieser behauptete Umstand – seine Richtigkeit unterstellt – nicht die notwendige Zustimmung des Klägers in eine entsprechende Abänderung der ursprünglichen Beschaffenheitsvereinbarung. Dass der Kläger keine Handlungsalternative, insbesondere nicht die Rückkehr zum an sich favorisierten reinen Kalkputz, gehabt hätte, ist unabhängig von der Frage, für wen der Baufortschritt wichtiger gewesen ist, nicht ersichtlich. Zum anderen enthielt das Angebot der Beklagten schon keine Beschränkung auf Werktrockenmörtel.

d) Hinsichtlich des Einwands der Beklagten, der Sachverständige habe ein falsches Verfahren zur Bestimmung der Bindemittelanteile gewählt, kann auf die Ausführungen im Beschluss vom 12.2.2021, dort S. 5 unter e), Bezug genommen werden. Dass angeblich ein Mitarbeiter der Fa. K. ein anderes Verfahren für besser gehalten hätte, begründet keine Zweifel an der Kompetenz des Sachverständigen, der auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts seine Wahl des Verfahrens begründet hat. Da es als wahr unterstellt werden kann, dass der Zeuge diese Aussage getätigt hat, war seine Vernehmung nicht erforderlich.

e) Der Einwand, die Zeugin H. habe an Gesprächen zwischen den Parteien nicht teilgenommen, geht ins Leere, da weder das Landgericht noch der Senat die Zeugin als Beweismittel für getroffene Vereinbarungen zwischen den Beteiligten angesehen haben. Als Ehefrau des Klägers konnte die Zeugin aber durchaus etwas zu den Motiven des Klägers oder zu den Beschädigungen an den Fenstern aussagen.

f) Hinsichtlich des Anspruchs auf Schadenersatz wegen Beschädigung der Fenster kann auf die Ausführungen im Beschluss vom 12.2.2021, dort S. 3 unter 2., Bezug genommen werden. Wie dort hingewiesen, kommt es auf die Zulässigkeit eines Bestreitens mit Nichtwissen gerade nicht mehr an.

g) Der Senat bleibt bei seiner Auffassung, wonach ein Kalk-Gips-Putz mit einem Kalkanteil von mehr als 50 % etwas anderes ist als ein Gips-Kalk-Putz mit einem Kalkanteil von unter 50 %, so dass der Kläger grundsätzlich ein Recht auf Austausch des Putzes hat. Es ist dem Kläger als Bauherrn überlassen zu entscheiden, welche Materialien er in welcher Ausführung in sein Bauwerk einbringen lassen möchte. Für ihn kann die Vorstellung eines besseren Wohngefühls, eines besseren Schutzes der Gesundheit und einer besseren Erhaltung der Bausubstanz maßgeblich für die Entscheidung für oder gegen bestimmte Materialien oder Zusammensetzungen sein. Nachdem für die Beklagte erkennbar war, dass dem Kläger ein möglichst hoher Kalkanteil wichtig war, kann sie im Nachhinein nicht damit argumentieren, dass ein Putz mit einem deutlich niedrigeren Kalkanteil “genauso gut” sei. Ob die Beklagte die Überzeugungen des Klägers hinsichtlich der Vorteile eines Kalkanteils von über 50 % für falsch hält, ist ohne Relevanz, da sie als Auftragnehmerin nicht ihre eigene Wertung an die Stelle des Auftraggebers setzen kann.

h) Da die Beklagte in den Feuchträumen unstreitig Armierungsputz als Nachbesserung aufgebracht hat, ohne das Einverständnis des Klägers mit dieser nicht vereinbarten Putzart einzuholen, ist ihr Werk auch in diesen Bereichen mangelhaft. Dass der Kläger per E-Mail die Optik gelobt hat, bedeutet nicht, dass er Armierungsputz als ordnungsgemäße Nacherfüllung angesehen hätte.

i) Soweit schließlich die Beklagte nunmehr beanstandet, dass der Kläger mit dem vom Sachverständigen errechneten Vorschuss einen reinen Kalkputz aufbringen lassen wolle, kann auch dies der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen. Es liegt im Wesen eines Vorschusses, dass später hierüber abzurechnen ist (Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 637 Rn. 10). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger tatsächlich nunmehr einen reinen Kalkputz “auf Kosten der Beklagten” aufbringen möchte, bestehen nicht. Es ist auch weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass der geltend gemachte Vorschuss erheblich zu hoch wäre, weil der Sachverständige ausgehend von einem nicht geschuldeten reinen Kalkputz die Kosten der Selbstvornahme falsch ermittelt hätte; im Übrigen hätte dieser Einwand auch bereits in erster Instanz erhoben werden müssen. Schließlich geht der Einwand der Beklagten, der Kläger “dürfe” im Rahmen der Selbstvornahme keinen Kalkputz aufbringen, fehl. Vor dem Hintergrund, dass die Parteien ursprünglich die Aufbringung eines reinen Kalkputzes vereinbart hatten und das Einverständnis des Klägers mit einem Kalk-Gips-Putz lediglich aufgrund des Feuchtigkeitsproblems erteilt wurde, ist nicht davon auszugehen, dass die ursprünglich vereinbarte Beschaffenheit “reiner Kalkputz” durch die Beschaffenheit “Kalk-Gips-Putz” vollständig verdrängt worden wäre. Vielmehr ist die Aufnahme eines Kalk-Gips-Putzes als Erweiterung der vereinbarten Beschaffenheit (“reiner Kalkputz oder Kalk-Gips-Putz“) zu verstehen, um der Beklagten die Durchführung von Verputzarbeiten auch auf feuchterem Mauerwerk nach den anerkannten Regeln der Technik zu ermöglichen und putzgebundene Risse (die wiederum Mängel dargestellt hätten) zu vermeiden. Der Senat hat keinen Zweifel, dass der Kläger nicht ausdrücklich ausschließen wollte, dass die Beklagte auch den vorrangig gewünschten reinen Kalkputz aufbringen könnte, sollte sie im letzten Moment die Wände als doch nicht zu feucht ansehen. In diesem Fall wäre zwischen den Parteien das ursprüngliche Angebot (Anl. K1) ausgeführt worden, während die Beklagte den (angeblichen) Kalk-Gips-Putz mit einem niedrigeren Pauschalbetrag abgerechnet hat (Anl. A8 im Beweissicherungsverfahren). Es steht dem Kläger daher frei, nach seiner Wahl entweder Kalk-Gips-Putz aufzubringen. Die Beklagte kann im Fall der Aufbringung von reinem Kalkputz der Abrechnung des Klägers ihre eigene Nachforderung in Höhe der Differenz zwischen den beiden angebotenen Pauschalpreisen entgegenhalten.

j) Die vom Kläger erklärte Anfechtung der Änderung der Beschaffenheitsvereinbarung wegen arglistiger Täuschung würde zu keinem anderen Ergebnis führen, da auch in diesem Fall der Kläger berechtigt wäre, reinen Kalkputz im Rahmen der Nachbesserung aufbringen zu lassen, dann aber ebenfalls verpflichtet wäre, den ursprünglich hierfür vereinbarten höheren Pauschalpreis an die Beklagte zu entrichten. Es kann daher dahinstehen, ob die ohne tatsächliche Sachaufklärung abgegebene (und vom Senat für plausibel gehaltene) Vermutung des Landgerichts, die Beklagte habe den Kläger falsch informiert, um ihn zu einer ansonsten nicht zu erwartenden Einwilligung in eine andere Putzart zu veranlassen, wirklich zutrifft.

2. Die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor, insbesondere handelt es sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.

OLG München: HOAI-Mindestsätze = übliche Vergütung

OLG München: HOAI-Mindestsätze = übliche Vergütung

vorgestellt von Thomas Ax

1. Macht der Architekt sein Honorar geltend, muss er nicht nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ein Architektenvertrag geschlossen wurde, sondern auch, welche Leistungen sein Auftrag umfasst und welche Vergütung hierfür vereinbart wurde.
2. Haben die Parteien eines Architektenvertrags keine Honorarvereinbarung getroffen, ist die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Auch nach der Entscheidung des EuGH vom 04.07.2019 (IBR 2019, 476) stellt die Abrechnung nach HOAI-Mindestsätzen die übliche Vergütung dar.
3. Die Abrechnung des Architektenhonorars hat prüfbar nach den Vorgaben der DIN 276 zu erfolgen.
OLG München, Urteil vom 15.06.2021 – 9 U 631/20 Bau
vorhergehend:
LG München I, 17.01.2020 – 24 O 10960/17
nachfolgend:
BGH, Beschluss vom 01.03.2023 – VII ZR 661/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)


Gründe:

I.

Der Kläger begehrt auf Grund mündlich erteilter Aufträge Honorar für seine Ingenieurleistungen bei 2 verschiedenen Abschnitten eines Bauvorhabens der Beklagten in B. A. (“Wohnen am S. 4” [‘SP4’], Am L. 5, 5a, 5b, ursprünglich E. Straße in B. A.). Hierbei handelt es sich um ein Mehrfamilienhaus mit 4 Wohngeschoßen und 25 Wohneinheiten sowie eine geschlossene Tiefgarage mit 42 Stellplätzen.

Die Beklagte bestreitet im Wesentlichen die Auftragserteilungen an den Kläger. Der Kläger behauptet, die abgerechneten Leistungen erbracht zu haben. Diese seien von der Beklagten auch angenommen worden. Die Parteien haben erstmals 2011 zusammengearbeitet. Den hier gegenständlichen ersten Bauabschnitt, ein Mehrfamilienhaus, führte die Klägerin in den Jahren 2015 und 2016 durch. Der Kläger behauptet, bei Baustellenbesprechungen im Februar 2015 mit Leistungen im Zusammenhang mit dem erforderlichen Verbau beauftragt worden zu sein und begehrt hierfür auf der Grundlage seiner überarbeiteten Rechnung vom 05.04.2016 den Betrag von 10.146,78 Euro brutto. Die Beklagte räumt ein, vom Kläger beraten worden zu sein und habe das daraus folgende Honorar von 4.315,40 Euro bezahlt brutto.

Für den zweiten hier gegenständlichen Bauabschnitt, “Wohnen am S.“, hatte die Beklagte den Architekten S.-N. mit den Leistungsphasen 1 – 8 beauftragt. Der Kläger war damals als Nachunternehmer für den Architekten im Rahmen der Leistungsphase 8 tätig. Der Kläger behauptet, von der Beklagten für die Bauabschnitte SP1 und SP2 im Laufe des Jahres 2012 direkt mit der Fachbauleitung für die technische Ausrüstung, mit der Bauüberwachung für Kundenwünsche, mit zusätzlichen Leistungen außerhalb des Auftragsumfangs des Architekten und für die Außenanlagen beauftragt worden zu sein. Eben dieser Leistungsumfang sei vom Geschäftsführer bzw. einer Mitarbeiterin der Beklagten dann auch für den hier streitgegenständlichen Bauabschnitt SP4 angefordert worden (LGU S. 5). Hierfür begehrt der Kläger auf der Grundlage seiner überarbeiteten Rechnung vom 25.01.2018 den Betrag von 102.360,20 Euro brutto. Die Beklagte behauptet, für dieses Bauvorhaben sei der Kläger lediglich als Mitarbeiter des Architekten S.-N. tätig geworden.

Das Landgericht hat zur Auftragserteilung Zeugen vernommen und zur Honorarhöhe Sachverständigenbeweis erhoben. Die Zeugin A. W. habe die Auftragserteilung für den ersten Bauabschnitt bestätigt. Für den zweiten Bauabschnitt habe der Zeuge S.-N. lediglich eine Auftragserteilung für Leistungsphase 8 im Bereich der technischen Ausrüstung sowie für die Außenanlagen bestätigt. Der Sachverständige K. habe auf dieser Grundlage für die beiden Bauabschnitte restliche Honoraransprüche des Klägers ermittelt, die das Landgericht dann zugesprochen hat.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er verfolgt weiterhin die bereits erstinstanzlich beantragten Honorarbeträge von 10.146,78 Euro brutto bzw. 102.360,20 Euro brutto. Die Beklagte tritt dem entgegen.

Der Kläger beantragte zuletzt,

I. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 17.01.2020 zu dem Az.: 24 O 10960/17 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 10.146,78 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Teilbetrag von 9.775,26 Euro seit 11.05.2016 und aus einem weiteren Teilbetrag von 371,52 Euro seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

II. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 17.01.2020 zu dem Az.: 24 O 10969/20 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 102.360,20 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2020 hat der Senat rechtliche Hinweise erteilt. Insoweit wird Bezug genommen auf den Hinweisbeschluss vom 22.12.2020 (Bl. 250/254 d.A.). Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Landgerichts München I weist keine Rechtsfehler auf. Sowohl der Auftragsumfang als auch die Höhe des Honorars hat das Landgericht – sachverständig beraten – zutreffend festgestellt.

Ein weiteres Honorar steht dem Kläger nicht zu, da es an einem ausreichenden Sachvortrag zu den von ihm erbrachten Leistungen und einer prüffähigen Schlussrechnung fehlt. Dies hat das Erstgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen zutreffend festgestellt.

Auch im Berufungsverfahren hat der Kläger seine erbrachten Leistungen nicht näher bzw. nachvollziehbarer dargestellt, sondern vielmehr angegeben, hierzu auch nicht mehr vortragen zu können (Schriftsatz vom 29.04.2021 (Bl. 283/285 d.A.). Soweit der Kläger auf Bl. 47 d.A. Bezug nimmt, ist der dortige Sachvortrag zu unkonkret, um daraus einen Honoraranspruch ableiten zu können. Der Kläger begnügt sich bei dieser Darstellung weitgehend damit, die Leistungsbilder der HOAI in unspezifischer Weise allgemein wiederzugeben, ohne seine Tätigkeit im Einzelnen nachvollziehbar und konkret nach Datum, Zeit, Personen etc. aufzuschlüsseln.

Zudem hat der Kläger seine erbrachten Leistungen nicht in einer HOAI-konformen Weise prüfbar abgerechnet. Eine generelle Abrechnung auf Stundenbasis kommt – auch nach der Entscheidung des EuGH vom 04.09.2019, Baurecht 2019, 1624 – nicht in Betracht. Zudem fehlt es an einer wirksamen Vereinbarung der Parteien zur Abrechnung auf Stundenbasis. Nur bei dem Auftrag, der darin bestand, zur Beweissicherung bei einem Nachbargrundstück den Status quo vor den Verbauarbeiten sicherzustellen, ist eine Stundenabrechnung zulässig.

1. Auftragsumfang:

a) Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Erstgericht davon aus, dass die Auftragserteilung des Klägers durch die Beklagte beim Bauvorhaben Wohnen am S. 4, Am L. 5, 5a, 5b, in … B. A. in dem vom Erstgericht angenommenen Umfang durch die Beweisaufnahme in erster Instanz (Aussagen der Zeugin A. W. und des Zeugen V. S.-N.) sowie durch eine Zusammenschau und Auswertung der vorgelegten Anlagen K8, K11, K12, K14, K21, B1 und B2 nachgewiesen ist und damit dem Grunde nach eine vergütungspflichtige Tätigkeit des Klägers vorliegt. Die Aussagen der Zeugen wurden vom Erstgericht zutreffend gewürdigt.

b) Danach ist hinreichend belegt, dass der Kläger mit der Neukonzeption bzw. der Optimierung der Verbauarbeiten hinsichtlich der Leistungsphasen 1, 2, 6, 7 und 8 gemäß § 43 I HOAI 2013 und der damit zusammenhängenden Beweissicherung (auf Stundenbasis) beauftragt wurde (künftig: “Auftrag 1“), die der Kläger mit Rechnung vom 05.04.2016 (Anlage K23) abgerechnet hat, sowie mit Bauüberwachungsleistungen gemäß Leistungsphase 8 aus den Leistungsbildern “Gebäude und Innenräume“, “Technische Ausrüstung” sowie “Freianlagen“, welche der Kläger mit Rechnung vom 25.01.2018 (Anlage K24) geltend macht (künftig: “Auftrag 2“), wobei bei den Freianlagen neben der Leistungsphase 8 auch die Leistungsphasen 6 und 7 abgerechnet wurden, für deren Beauftragung der Kläger bislang beweisfällig geblieben ist, welche aber betragsmäßig nur 3.695,80 Euro netto (Differenz aus 14.783,20 Euro und 11.087,40 Euro) ausmachen.

c) Bei der Neukonzeption des Verbaus etc. (Auftrag 1) ist der Kläger von der Beklagten entgegen deren Vortrags nicht nur mit (unentgeltlichen) Beratungsleistungen beauftragt worden, sondern mit typischen Architektenleistungen, die er als solche auch erbracht hat. Dasselbe gilt für den “Auftrag 2” jedenfalls für die Leistungsphase 8.

d) Hier ist die Beklagte mit ihrer Verteidigungsstrategie gescheitert. Danach soll der Kläger Leistungen nur als Mitarbeiter oder Subunternehmer des Architekturbüros V. S.-N. erbracht haben, welche bereits bezahlt sind. Dies mag zu Beginn der Tätigkeiten des Klägers für die Beklagte in früheren Jahren der Fall gewesen sein, ist aber für den Bauabschnitt SP4 durch die durchgeführte Beweisaufnahme in erster Instanz und durch die vorgelegten Anlagen K8, K11, K14, K21, B1 und B2 klar widerlegt. Denn der Zeuge S.-N. hat unmissverständlich ausgesagt, dass der Kläger beim zugrundeliegenden Bauvorhaben Wohnen am S. 4 in B. A. nicht für ihn als Bauleiter tätig war, soweit er als Bauleiter tätig war, und dass die Sonderwünsche im Übrigen vom Kläger betreut wurden und gesondert abzurechnen waren, d.h. im Vertrag des Zeugen S.-N. lediglich ein Sonderwunsch enthalten war. Dass der Kläger insoweit nicht für das Architekturbüro S.-N. tätig geworden sein kann, ergibt sich schon aus der getroffenen vertraglichen Vereinbarung der Beklagten mit dem Architekturbüro S.-N. (Anlagen B1, B2 und K21), wonach die notwendigen Sonderfachleute (darunter die technische Ausrüstung für Heizung, Lüftung, Sanitär und Elektrik) vom Bauherren beauftragt werden und auch die Koordination der Sonderwünsche der Käufer ausschließlich über den Bauherren abgewickelt wird.

e) Da der Senat in Übereinstimmung mit dem Erstgericht von einem Auftrag des Klägers in beiden Fällen (“Auftrag 1” und “Auftrag 2“) – lediglich mit der genannten Einschränkung beim Auftrag 2 bezüglich Leistungsphasen 6 und 7 bei den Freianlagen – ausgeht, war eine vom Kläger beantragte weitere Beweiserhebung durch erneute Einvernahme der Zeugen A. W. und S. N. sowie eine persönliche Anhörung beider Parteien hierzu nicht erforderlich. Ein spezielles Beweisangebot zur Frage der Beauftragung mit den Leistungsphasen 6 und 7 bei den Freianlagen beim “Auftrag 2” lag nicht vor.

2. Leistungsumfang:

a) Der Kläger ist im Hinblick auf den Umfang seiner erbrachten Leistungen, soweit diese nicht in den beiden Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. -Ing. J. K. vom 22.08.2019 (Bl. 104/131 d.A.) und vom 18.11.2019 (Bl. 151/164 d.A.) Berücksichtigung fanden, beweisfällig geblieben. Eine Beweiserhebung zum Sachvortrag des Klägers durch Sachverständigenbeweis fand bereits erstinstanzlich statt. Dabei wurde der gesamte Sachvortrag des Klägers berücksichtigt und nachvollziehbar durch den Sachverständigen bewertet.

b) Eine weitere Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten kam entgegen anfänglicher Überlegungen des Senats nicht mehr in Betracht, da der Kläger auch in der Berufungsinstanz keinen relevanten neuen bzw. ergänzenden Sachvortrag vorgebracht hat, der zu einer grundlegenden anderen Beurteilung zwingen würde. Das Beweisangebot im Schriftsatz vom 08.04.2021, S. 3, Bl. 275 d.A. ist zu unsubstantiiert und kann fehlenden Sachvortrag nicht ersetzen. Unklar ist auch, welche Hilfsindizien hierdurch unter Beweis gestellt werden sollen.

c) Richtig ist, dass der Umstand, dass das Erstgericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben hat, nahelegt, dass das Erstgericht von einem schlüssigen Sachvortrag des Klägers hierzu ausgegangen ist. Dies führt aber nicht dazu, dass ein für alle Mal von einem schlüssigen Sachvortrag des Klägers auszugehen ist, selbst wenn die Begutachtung ergibt, dass der Sachvortrag des Klägers unzureichend ist, um seine angeblich erbrachten Leistungen honorarmäßig überprüfen zu können. Auch für den Senat erschließt sich nicht, welche Tätigkeiten der Kläger konkret bei den vom Sachverständigen als nicht prüffähig angesehenen Positionen entfaltet hat. Sowohl der Sachvortrag im Zivilprozess als auch die Begründung in den Honorarschlussrechnungen ist zu unbestimmt und unkonkret.

d) Der Umfang der in den beiden Schlussrechnungen (K 23 und K 24) als erbracht abgerechneten Leistungen war keinesfalls zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte hat bereits die Auftragserteilung an den Kläger bestritten und gemeint, dass etwaige Leistungen des Klägers vom Leistungsumfang des Architekturbüros S. N. oder anderer Beteiligter erfasst waren und von diesen erbracht wurden. Dies impliziert die Behauptung, dass die Leistungen jedenfalls nicht vom Kläger erbracht wurden, womit dessen Leistungserbringung vollumfänglich bestritten wurde. Untunlich ist daher der Hinweis des Klägers darauf, dass die Beklagte überhaupt nicht bestritten hat, dass diese Arbeiten ausgeführt worden sind und deshalb bezahlt werden müssen. In rechtlicher Hinsicht dringt die Beklagte zwar mit ihrer Argumentation zur Auftragserteilung nicht durch (vgl. die obigen Ausführungen zur Auftragserteilung unter Ziffer 1.d)), dies bedeutet aber nicht, dass damit schon der Umfang der erbrachten Leistungen zugestanden oder unstreitig gestellt wurde. Über den Umfang der erbrachten Leistung war daher vom Erstgericht zutreffend Beweis zu erheben.

3. Abrechnung bei fehlender Honorarvereinbarung nach der Entscheidung des EuGH vom 04.09.2019:

a) Eine Honorarvereinbarung hat zwischen den Parteien unstreitig nicht stattgefunden. Der Senat ist der Auffassung, dass auch nach der Entscheidung des EuGH vom 04.07.2019, Baurecht 2019, 1624 die Abrechnung nach HOAI-Mindestsätzen die übliche Vergütung darstellt, einschließlich der durch die DIN 276 vorgegebenen Abrechnungsgrundsätze. Hierauf hat der Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.10.2020 (Bl. 238 d.A.) hingewiesen.

b) Sehr streitig in Rechtsprechung und Literatur ist nach wie vor, inwieweit Entscheidungen des EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland überhaupt Rechtswirkungen für am Gerichtsverfahren Nichtbeteiligte, insbesondere zwischen Privaten, entfalten können (vgl. Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl. 2020, Kapitel 4, Rz. 594).

c) Jedenfalls besteht kein Grund, die HOAI auch in den Fällen für unanwendbar und insgesamt unwirksam zu erklären, in denen diese lediglich das angemessene Honorar festlegt, wenn die Parteien auf eine entsprechende Vereinbarung verzichtet haben. Denn in diesem Fall stellt die HOAI kein rechtlich zu beanstandendes zwingendes Preisrecht dar, das weder eine Mindestsatzunterschreitung noch eine Höchstsatzüberschreitung zulässt. Vielmehr stellt der Mindestsatz das angemessene Honorar i.S.d. § 632 Abs. 2 BGB dar. Andernfalls würde man ohne Not die Entscheidung des EuGH auf Sachverhalte ausdehnen, die der Entscheidung nicht zugrunde lagen und von dieser nicht erfasst sind. Dem hat auch der Gesetzgeber in der neuen HOAI 2021 Rechnung getragen, indem dort bei unterbliebener Honorarvereinbarung statt eines verbindlichen Preisrahmens die neue Honorarreglung in Form des “Basishonorarsatzes” in §§ 1 Abs. 2, 2a Abs. 1 HOAI 2021 den Vertragsparteien eine Orientierung und Hilfestellung “bei der Ermittlung des angemessenen Honorars bieten” soll (BR-Drucks. 539/20, S. 17; Aufsatz von Rechtsanwalt Dr. Matthias Orlowski, ZfBR, 2021, 315, 320).

4. Prüfbarkeit der Abrechnung:

a) Richtig ist, dass die Frage der Prüfbarkeit des Honorars eine vom Gericht und nicht vom Sachverständigen zu beurteilende Rechtsfrage ist. Sowohl das Erstgericht als auch der Senat beurteilen die Frage der Prüfbarkeit der Schlussrechnungen in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen.

b) Die Abrechnung hat prüfbar nach den Vorgaben der DIN 276 zu erfolgen. Dem ist der Kläger nicht in ausreichender Weise nachgekommen. Denn bei der Bauüberwachung für die Kundensonderwünsche hat der Kläger ganz darauf verzichtet, das Honorar nach den anrechenbaren Kosten zu ermitteln, sondern hat lediglich die Handwerkerkosten pauschal ohne Angabe eines Einheitspreises zugrunde gelegt. Dies ist nicht zulässig und ausreichend, um das angemessene Honorar zu ermitteln.

c) Mit dieser Art der Abrechnung ist der Kläger von den vorhergehenden Abrechnungen zu den Bauabschnitten “S. 1 bis 3” (vgl. Anlagen BK 3 bis 5) abgewichen, ohne dass dies nachvollziehbar oder notwendig war. Der Senat konnte jedenfalls ausschließen, dass zwischen den Parteien eine andere Art der Abrechnung vereinbart oder als üblich angesehen wurde, die eine Berufung der Beklagten auf eine fehlende Prüfbarkeit oder Unzulässigkeit der Abrechnung als Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB erscheinen ließe.

d) Für den Fall, dass der Kläger sich in einer Notlage befunden hätte, weil ihm von der Beklagten die zugrunde zu legenden anrechenbaren Kosten nicht mitgeteilt worden wären, hätte er ohne weiteres diese Kosten schätzen können, worauf der Klägervertreter selbst zutreffend hingewiesen hat (Berufungsbegründung vom 23.03.2020, S. 9/19, Bl. 214/215 d.A.). Umso unverständlicher ist, dass der Kläger dies nicht getan hat.

5. Abrechnung im Einzelnen:

a) Beim “Auftrag 1” (Schlussrechnung vom 05.04.2016, Anlage K 23) hat der Sachverständige in seinen beiden Gutachten nachvollziehbar einen Honoraranspruch des Klägers von 3.957,71 Euro netto errechnet, den das Erstgericht auch zugesprochen hat. Zu Recht hat der Sachverständige die örtliche Bauüberwachung mit Null bewertet, da die Tätigkeiten weder in der Schlussrechnung noch in der nachgereichten Anlage B 01 inhaltlich nachvollziehbar waren und zudem unklar geblieben ist, ob der Kläger neben der ohnehin mit 15 % abgerechneten Leistungsphase 8 (Bauoberleitung gemäß § 43 (1) HOAI 2013) ergänzende Tätigkeiten im Rahmen der Bauüberwachung wahrnahm und falls ja, welche. Für die Beweissicherung im Zusammenhang mit dem Verbau hat der Sachverständige nachvollziehbar ein Stundenhonorar von 8 Stunden á 70,00 Euro, also 560,00 Euro netto, zugrunde gelegt. Auch der Senat hält einen Stundensatz von 70,00 Euro für angemessen und nicht den nachträglich vom Kläger geltend gemachten Stundensatz von 115,00 Euro.

b) Beim “Auftrag 2” (Schlussrechnung vom 25.01.2018, Anlage K 24) hat der Kläger die Bauüberwachung für Gebäude und Innenräume (Kundensonderwünsche) sowie für die technische Ausrüstung aus den vom Sachverständigen genannten Gründen nicht prüfbar abgerechnet. Lediglich für die Außenanlagen bzw. Freianlagen konnte ein Honorar für die Leistungsphase 8 zugesprochen werden.


II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.

Die Zulassung der Revision kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Anwendung der HOAI hinsichtlich der Mindestsätze bei fehlender Honorarvereinbarung wird durch die Entscheidung des EuGH vom 04.09.2019, Baurecht 2019, 1624 nicht in Frage gestellt.

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OLG Celle zur Frage, ob ein Umbauzuschlag für den Bereich der Abwasser-, Wasser- und Gasanlagen zu gewähren ist, wenn Sanitärobjekte zumindest teilweise an vorhandene Wasser- und Abwasserrohre angeschlossen werden müssen und dies der Planer bei seiner Planung zu berücksichtigen hat

OLG Celle zur Frage, ob ein Umbauzuschlag für den Bereich der Abwasser-, Wasser- und Gasanlagen zu gewähren ist, wenn Sanitärobjekte zumindest teilweise an vorhandene Wasser- und Abwasserrohre angeschlossen werden müssen und dies der Planer bei seiner Planung zu berücksichtigen hat

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Bei der Planung einer vollständigen neuen technischen Anlage im Rahmen des Umbaus eines Gebäudes ist kein Umbauzuschlag zu gewähren. Ein Umbauzuschlag für den Bereich der Abwasser-, Wasser- und Gasanlagen ist zu gewähren, wenn Sanitärobjekte zumindest teilweise an vorhandene Wasser- und Abwasserrohre angeschlossen werden müssen und dies der Planer bei seiner Planung zu berücksichtigen hat. Bei der Frage, ob ein Umbauzuschlag zu gewähren ist, ist unerheblich, wie das Verhältnis des Werts der Neugestaltung der Sanitäreinrichtung zum Erstellungspreis einer Schmutzwasserleitung ist. Der “Wert bzw. Preis” einer Neugestaltung ist in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen. Es kommt ausschließlich auf den Einfluss der vorhandenen Bausubstanz auf die planerischen bzw. überwachenden Tätigkeiten des Architekten an. Auf einen Abnahmewillen kann regelmäßig nur geschlossen werden, wenn der Auftraggeber Gelegenheit hatte, die Beschaffenheit des Werks ausreichend zu prüfen. Die Dauer der Prüfungs- und Bewertungsfrist hängt vom Einzelfall ab und wird von der allgemeinen Verkehrserwartung bestimmt. Es ist unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Architekten, den Zeitpunkt der konkludenten Abnahme nicht unangemessen nach hinten zu verschieben, nicht gerechtfertigt, den Prüfungszeitraum beliebig zu erweitern. Hat der Auftraggeber das Bauwerk bezogen, liegt darin nach Ablauf einer angemessenen Prüfungsfrist eine konkludente Abnahme, wenn sich aus dem Verhalten des Auftraggebers nichts Gegenteiliges ergibt. Bei einem Einfamilienhaus erscheint eine ca. sechsmonatige Prüfungsfrist angemessen. Allein die Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI 2013, Anhang 10.1, aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, führt – ohne einen Mangel in der Bauwerksleistung – nicht zu einer Vergütungsminderung bzw. einem Schadensersatzanspruch gegen den Architekten.*)
OLG Celle, Urteil vom 02.08.2023 – 14 U 200/19

vorhergehend:
LG Verden, 28.10.2019 – 8 O 275/17

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Zahlung restlichen Architektenhonorars für den Umbau und die Modernisierung des Wohnhauses des Beklagten in Sulingen.

Der Beklagte beauftragte den Kläger, einen Architekten, im Mai 2015 mit dem Umbau und der Modernisierung seines Einfamilienhauses. Die Parteien schlossen keinen schriftlichen Architektenvertrag ab, vereinbarten aber mündlich die Erbringung von Grundleistungen der Grundlagenermittlung, Vorplanung, Entwurfsplanung, Ausführungsplanung, Vorbereitung und Mitwirkung bei der Vergabe und Objektüberwachung (Leistungsphasen 1 bis 3 und 5 bis 8 gem. § 34 HOAI 2013) durch den Kläger. Streitig ist, ob auch eine Vereinbarung im Hinblick auf die Erbringung von kostenpflichtigen Planungsleistungen durch den Kläger zur technischen Ausrüstung des umgebauten Gebäudes des Beklagten vorliegt. Die Parteien streiten ferner über den Umfang der erbrachten Leistungen des Klägers.

Der Beklagte zog mit seiner Familie im Juli 2015 aus dem Objekt aus.

Während der Bauarbeiten fanden regelmäßige Baubesprechungen statt. Der Kläger übersandte dem Beklagten Kostenberechnungen bzw. -zusammenstellungen (vgl. hierzu die Ausführungen im LGU, Seite 2).

Am 12.07.2016 unterzeichnete der Beklagte das Nachabnahmeprotokoll betreffend die Parkettarbeiten der Firma ### GmbH (Anlage K 23, Bl. 17 f. AH). Der Beklagte zog mit seiner Familie Ende Juli 2016 wieder in das umgebaute Haus ein.

Mit Schlussrechnung vom 9. Juni 2017 rechnete der Kläger gegenüber dem Beklagten einen Restbetrag in Höhe von 82.725,33 € brutto ab (Einzelheiten siehe LGU, Seite 3 und Schlussrechnung Anlage K 25, Bl. 7 ff. AH).

Auf den Gesamt-Honoraranspruch des Klägers in Höhe von 93.326,10 € netto zahlte der Beklagte Abschläge in Höhe von 15.000,00 € und 8.809,02 €. Mit seiner Klage macht er den sich aus der Differenz zzgl. Mehrwertsteuer ergebenden Betrag in Höhe von 82.725,33 € geltend.

Nach Prüfung der Schlussrechnung durch den Prozessbevollmächtigten des Beklagten lehnte der Beklagte weitere Honorarzahlungen an den Kläger ab.

Der Kläger hat behauptet, die Leistungen seien durch den Beklagten jedenfalls konkludent abgenommen worden. Es lägen zehn verschiedene von dem Beklagten unterzeichnete Abnahmeprotokolle einzelner Gewerke vor. Die gesamte Baumaßnahme sei damit abgenommen. Wegen der Parkettarbeiten gebe es ein Nachabnahmeprotokoll, wonach gerügte Mängel beseitigt worden seien. Ferner sei der Beklagte in das Haus wieder eingezogen, sodass eine tägliche Nutzung seit über einem Jahr vorliege.

Er habe gemäß § 34 HOAI 2013 92 % der Grundleistungen erbracht. Hierzu kämen ein Umbauzuschlag von 20 % sowie Fahrtkosten und Druckkosten. Wegen der hohen Planungsanforderungen bei der Modernisierung des Gebäudes seien die Leistungen der Honorarzone IV zuzuordnen gem. § 35 Abs. 2 HOAI 2013.

Schließlich sei er durch den Beklagten jedenfalls konkludent mit der technischen Gebäudeausstattung beauftragt worden. Es habe insoweit eine umfassende Kommunikation über die technische Gebäudeausstattung per E-Mail gegeben. Außerdem habe es umfassende Kommunikation mit den an der Gebäudeausstattung beteiligten Handwerkern gegeben. Der Kläger habe auch die gestellten Handwerkerrechnungen geprüft.

Der Beklagte ist der Ansicht, der Anspruch des Klägers sei schon wegen fehlender Abnahme nicht fällig, die Leistungen seien auch nicht abnahmefähig. Eine Abnahme läge auch nicht dadurch vor, dass er wieder in das Gebäude eingezogen sei. Denn es fehle insoweit an einem entsprechenden Erklärungswillen, zudem sei er gezwungenermaßen dort eingezogen, denn das andere Haus sei verkauft worden. Die Mängel an den Parkettarbeiten seien bis heute nicht vollständig beseitigt.

Die Schlussrechnungen der Firmen ###, ### und ### lägen nicht vor, sodass eine Rechnungsprüfung durch den Kläger nicht habe stattfinden können.

Die abgerechneten Leistungen seien durch den Kläger nicht vollständig erbracht, die gewählten Honorarzonen seien nicht einschlägig und der Umbauzuschlag nicht angefallen, soweit kein Umbau im Sinne des § 2 Abs. 5 HOAI 2013 vorliege. Der Beklagte verweist dazu auf ein von ihm eingeholtes Gutachten des Privatsachverständigen Prof. Dr.-Ing. ### (Bl. 49 ff. Bd. I d.A.)

Das Landgericht hat den Beklagten nach der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Zahlung von 52.727,45 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Landgericht legt bei der Bemessung des Honoraranspruchs den Mindestsatz nach § 7 Abs. 5 HOAI 2013 zugrunde, weil eine konkrete Honorarvereinbarung zwischen den Parteien nicht gegeben sei. Die Mindestsätze der HOAI 2013 stellten nach der Überzeugung des Gerichts jedenfalls die übliche Vergütung für Architekten im Jahr 2015 auch in Sulingen dar. Es könne dem Kläger überdies nicht zugemutet werden, unabhängig von der HOAI im Nachhinein zur ortsüblichen Vergütung in Sulingen von Architekten im Jahr 2015 vorzutragen. Der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, dass, wenn keine konkrete Honorarvereinbarung getroffen wurde, die Mindestsätze der HOAI gelten würden. Nur in Kenntnis dieser gesetzlichen Regelung habe der Kläger es unterlassen, eine ansonsten zu treffende Honorarvereinbarung zu schließen, die z.B. auf die Mindestsätze der HOAI hätte Bezug nehmen können.

Das Landgericht hat zur Bemessung des Honoraranspruchs die Feststellungen des Sachverständigen zugrunde gelegt und ist davon ausgegangen, dass der Kläger 81 % der Grundleistungen betreffend das Gebäude und 49,50 % der Grundleistungen betreffend die Technische Ausrüstung erbracht habe. Die Leistungen des Klägers für das Gebäude seien der Honorarzone III zuzuordnen.

Gegen dieses Urteil, auf das im Übrigen gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen und der erstinstanzlichen Anträge verwiesen wird, wenden sich die Parteien mit beiderseitig eingelegten Berufungen.

Der Kläger meint, er könne seiner Rechnung die Honorarzone IV zugrunde legen. Vorliegend sei ein komplettes Gebäude entkernt und einschließlich des Daches mit aufwendigem Aus- und Aufbauten neu durchstrukturiert und konstruiert worden. Hinzu komme, dass alle Fenster ausgetauscht worden seien, was sich aus den Unterlagen ergebe und vom gerichtlichen Sachverständigen nicht berücksichtigt worden sei. Ferner sei ihm ein Umbauzuschlag in Höhe von 20% zu Unrecht versagt worden.

Das Landgericht habe ihm auch zu Unrecht die Nebenkosten versagt. Der diesbezügliche Hinweis in der mündlichen Verhandlung sei deutlich zu spät und völlig überraschend erfolgt. Das Landgericht hätte ebenfalls die Zinsforderung und die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren zusprechen müssen. Insoweit sei unstreitig, dass sich der Beklagte zum Zeitpunkt der Schlussrechnungsstellung in Verzug befunden habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Verden vom 28. Oktober 2019 aufzuheben soweit die Klage abgewiesen wurde und nach Maßgabe der in erster Instanz verfolgten Anträge zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen und das Urteil des Landgerichts Verden vom 28. Oktober 2019 – 8 O 275/17 – teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte meint, das Landgericht habe zu Unrecht eine Abnahme der Architektenleistungen angenommen. Eine solche habe – bis heute – nicht stattgefunden. Er habe zudem keine Leistungen der Technischen Ausrüstung in Auftrag gegeben. Er sei davon ausgegangen, dass diese Leistungen Bestandteil der Gebäudeplanung seien. Dass diese einen eigenen Honoraranspruch auslösten, sei ihm nicht bewusst gewesen.

Die Mindestsatzfiktion des § 7 Abs. 5 HOAI (2013) sei zudem gegenstandslos. Die Mindestsätze entsprächen auch nicht der üblichen Vergütung des § 632 Abs. 2 BGB, wie das Landgericht in einer Hilfserwägung meine. Das Landgericht habe sich auch nicht mit den Einwendungen des Beklagten gegen das gerichtliche Gutachten befasst. Der Beklagte habe hierzu die Stellungnahme eines Privatgutachters Prof. Dr.-Ing. ### vorgelegt, mit der sich das Landgericht nicht hinreichend auseinandergesetzt habe. Überdies habe der Kläger dem Beklagten einen Nachlass von 10% eingeräumt, was das Landgericht nicht berücksichtigt habe.

Der Senat hat Beweis erhoben durch drei weitere Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. ### und ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dipl.-Ing. ### Auf das Gutachten vom 20. September 2021 und die Gutachten vom 2. August 2022, 23. Dezember 2022 und 17. April 2023 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. April 2020 mit den dortigen Hinweisen wird verwiesen.

Mit Zustimmung der Parteien hat der Senat mit Beschluss vom 6. Juni 2023 die Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet. Als Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten, wurde der 30. Juni 2023 bestimmt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

II.

Die Berufungen beider Parteien sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache haben beide Berufungen keinen Erfolg.

1. Der Kläger hat einen Anspruch gem. §§ 631 Abs. 1, 632 Abs. 2 BGB iVm den Gebührenregelungen der HOAI 2013 auf Zahlung von Architektenhonorar in Höhe von 52.727,45 €. Auf die Berechnung im landgerichtlichen Urteil, Seite 16, wird Bezug genommen. Darüber hinaus besteht kein weiterer Anspruch des Klägers. Im Einzelnen:

a) Die Parteien haben unstreitig einen Architektenvertrag geschlossen, wonach der Kläger Leistungen der Grundlagenermittlung, Vorplanung und Entwurfsplanung sowie der Ausführungsplanung, Vorbereitung der Vergabe, Mitwirkung bei der Vergabe und Objektüberwachung (gem. Leistungsphasen 1 bis 3 und 5 bis 8 des Leistungsbildes Gebäude und Innenräume gem. § 34 HOAI 2013 a.F.) erbringen sollte. Auf das Rechtsverhältnis der Parteien ist die Honorarordnung für Architekten- und Ingenieurleistungen vom 10. Juli 2013 (in Kraft getreten am 17. Juli 2013, in der bis zum 31.12.2020 gültigen Fassung) anzuwenden (im Folgenden: HOAI).

b) Vertraglich vereinbart war auch die Erbringung von Planungsleistungen im Bereich der Technischen Ausrüstung (§§ 53 ff. HOAI).

aa) Ein solcher Vertrag kann auch durch schlüssiges Handeln zustande kommen, sofern diesem ein entsprechender Rechtsbindungswille beigemessen werden kann. Ob ein Rechtsbindungswille vorhanden war, beurteilt sich nicht nach dem inneren Willen des Leistenden, sondern danach, ob der Leistungsempfänger – hier also der Beklagte – aus dem Handeln des Leistenden nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen durfte. Es kommt also darauf an, wie sich dem objektiven Betrachter das Handeln des Leistenden darstellt. Insbesondere die wirtschaftliche Bedeutung einer Angelegenheit, das erkennbare Interesse des Begünstigten und die nicht ihm, wohl aber dem Leistenden erkennbare Gefahr, in die er durch eine fehlerhafte Leistung geraten kann, können auf einen rechtlichen Bindungswillen schließen lassen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 20. September 2005 – 22 U 210/02, Rn. 37 – nachgehend BGH, Beschluss vom 27. April 2006 – VII ZR 234/05, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen; Senat, Urteil vom 17. Februar 2010 – 14 U 138/09, Rn. 28 f.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. Juni 2018 – 21 U 108/17, Rn. 71; Senat, Urteil vom 26. Januar 2022 – 14 U 116/21, Rn. 32, nachgehend BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2022 – VII ZR 21/22, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen).

Der Abschluss eines Architektenvertrages richtet sich dabei allein nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Durch die Verwertung von Planungsleistungen gibt der Auftraggeber in der Regel schlüssig zu erkennen, dass die erbrachten Architektenleistungen seinem Willen entsprechen und er die Honorarzahlungspflicht übernehmen will (vgl. KG, Urteil vom 28. Dezember 2010 – 21 U 97/09; nachgehend BGH, Beschluss vom 29. April 2013 – VII ZR 32/11, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen – IBR 2013, 688). Ein etwaiger innerer Wille, keinen Vertrag abschließen zu wollen, steht dem Vertragsabschluss nicht entgegen (vgl. Koeble, in: Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 2020, 11. Teil, Rn. 287; Senat, Urteil vom 26. Januar 2022 – 14 U 116/21).

So liegt der Fall hier. Der Senat folgt der Ansicht des Landgerichts, dass sich vorliegend aus dem Verhalten der Parteien, namentlich aus den vorgelegten Unterlagen, eine gewollte und vergütungspflichtige Beauftragung seitens des Beklagten ergibt, die der Kläger angenommen hat. Die vom Kläger vorgelegten Anlagenkonvolute K39 und K40 enthalten ca. 270 E-Mails und belegen, dass der Beklagte intensiv in die Planung des Klägers einbezogen wurde und diese gewollt hat. Der Beklagte hat dabei die umfangreichen Planungen und Koordinierungsleistungen des Klägers (und seiner Mitarbeiter) nicht nur entgegengenommen, sondern auch eingefordert. Er war mit den klägerischen Mitarbeitern in einem kleinteiligen permanenten Austausch über einzelne Planungsschritte (exemplarisch: E-Mail vom 3.1.2016 des Beklagten:

“bitte halten sie mich informiert, sollte das aktualisierte angebot der fa. ### vorliegen”;

E-Mail vom 20.1.2016 des Beklagten:

“wie heute bereits telefonisch besprochen…erteilten sie bitte den auftrag gemäß absprache … bitte berücksichtigen sie bei der prüfung, dass wir keine kabelfernbedienung für die wandgeräte benötigen … sobald sie das Angebot bzgl. des wartungsvertrags bekommen haben, können wir das gerne besprechen und erledigen…ist somit das thema – erweiterung klimaanlage – komplett geklärt und meinerseits abgeschlossen?”

E-Mail des Beklagten vom 15.1.2016:

“bitte weisen sie die fa. ### darauf hin, dass die komponenten zur regelung der klimageräte (…) von der fa. ### bezogen werden. Weiterhin werden meiner meinung nach keine kabelfernbedienungen (…) benötigt, ich gehe davon aus, daß dies über den bus (z.) erfolgt, oder?”

E-Mail des Beklagten vom 18.1.2016:

“guten tag frau ###, würden sie bitte bei der fa. ### und/oder ### die datenblätter vom elektro- und serverschrank (datenschrank) anfordern, dankeschön. hauptsächlich geht es mir um die abmessungen, damit ich mich entscheiden kann, wo die bohrung zum abwurfschacht erfolgen muß, damit der restliche HWR beplant werden kann.”

E-Mail des Beklagten vom 21.1.2016:

“guten Tag frau ###, bitte finden sie anbei die informationen zum datenschrank. würden sie bitte die informationen an die fa. ### und ### entsprechend weiterreichen, dankeschön.”

E-Mail des Beklagten vom 17.2.2016:

“guten morgen frau ###, wurde sie bitte bei dem hersteller nochmal nachfassen, ob wir ein datenblatt von dem funk-steuergerät bekommen können, (…)”).

Soweit der Beklagte zunächst behauptet hatte, er habe keine Leistungen im Bereich der Technischen Ausrüstung beauftragt, behauptet er nunmehr, er sei davon ausgegangen, dass die Leistungen der Technischen Ausrüstung Bestandteil der Gebäudeplanung gewesen seien.

Der Senat erachtet (auch) diesen Vortrag als eine Schutzbehauptung. In Bezug auf die zunächst aufgestellte Behauptung, der Beklagte habe keinen Auftrag für Leistungen im Bereich der Technischen Ausrüstung erteilt, wird auf die obigen Ausführungen hingewiesen, die deutlich belegen, dass der Beklagte die vom Kläger und seinen Mitarbeitern erbrachten Leistungen gewollt hat (Anlagenkonvolut K39 und K40 mit ca. 500 Seiten E-Mail Korrespondenz im Zeitraum vom 2. September 2015 bis 11. November 2016, die vom Kläger bzw. seinen Mitarbeitern und dem Beklagten sowie mit ausführenden und anbietenden Firmen geführt wurde).

In Bezug auf die nunmehr geänderte Behauptung des Beklagten, er sei davon ausgegangen, dass die Leistungen des Klägers in der Gebäudeplanung inbegriffen seien, setzt dies indes einen (zuvor bestrittenen) Vertragsschluss voraus.

Ist aber von einem Vertragsschluss auszugehen, richtet sich die Vergütungspflicht nach § 632 Abs. 1 BGB. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Herstellung des Werks den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Ferner gilt § 632 Abs. 2 BGB: Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Architekt die Umstände, nach denen Architektenleistungen nur gegen Vergütung zu erwarten sind, darlegen und beweisen; dass die Leistungen gleichwohl unentgeltlich erbracht werden sollten, muss dagegen der Auftraggeber darlegen und beweisen (z.B. BGH, Urteil vom 9. April 1987 – VII ZR 266/86). Es besteht ein Erfahrungssatz, dass Architekten üblicherweise nur entgeltlich tätig werden (BGH, aaO.). Dies gilt jedenfalls außerhalb der Akquisitionsphase (vgl. Senat, Urteil vom 26. Januar 2022 – 14 U 116/21, nachgehend BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2022 – VII ZR 21/22, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen).

Danach ist hier anzunehmen, dass der Kläger entgeltlich tätig geworden ist. Hierfür spricht der Umfang der erbrachten Leistungen im Bereich der Technischen Ausrüstung. Es handelt sich nicht nur um geringfügige Leistungen oder solche zur Beantwortung von Vorfragen.

Es wäre daher an dem Beklagten gewesen zu beweisen, dass der Kläger vergütungsfrei für ihn gearbeitet hat. Dies ist nicht erfolgt und wird in dieser Konsequenz (wohl) auch nicht behauptet.

Der Beklagte führt vielmehr aus, ihm sei nicht bewusst gewesen, dass die Leistungen des Klägers zu bezahlen seien und nicht in den Kosten für die Gebäudeplanung inbegriffen seien. Dieser (seitens des Senats unterstellte) innere Vorbehalt des Beklagten ist indes unbeachtlich.

Der Beklagte hat – wie auch im landgerichtlichen Urteil auf Seite 7 ausgeführt – monatliche Kostenaufstellungen erhalten, in denen auch die Kosten für Leistungen im Bereich der Technischen Ausrüstung enthalten waren (vgl. exemplarisch Anlagen K10, K11, K12, K13). Aus den Kostenaufstellungen ergeben sich im Einzelnen die Kosten für die einzelnen Gewerke (auch im Bereich der Technischen Ausrüstung) und die insoweit anfallenden Architektenkosten (vgl. exemplarisch: Anlage K13, Kostenaufstellung vom 31.1.2016, Seite 3 “Technische Gebäudeausrüstung” nach einzelnen Gewerken und Seite 4 “Nebenkosten” Architekt).

Es war ohne weiteres für den Beklagten erkennbar, dass der Kläger seine Leistungen im Bereich der Technischen Ausrüstung, wie auch von der HOAI vorgesehen, abrechnet und diese nicht in der Gebäudeplanung inkludiert sind.

Dieses Ergebnis gilt im vorliegenden Fall umso mehr, weil es sich bei dem Beklagten nicht um eine geschäftlich unerfahrene Partei handelt, sondern um ein Vorstandsmitglied einer international tätigen Aktiengesellschaft, dem – bei lebensnaher Betrachtung – unterstellt werden kann, dass er in geschäftlichen Dingen, wie auch dem Lesen von Kostenaufstellungen und Rechnungen, erfahren ist und die Zahlungspflichtigkeit der klägerischen Leistungen unschwer erkannt hat. Einwendungen gegen die Kostenaufstellungen hat der Beklagte in der gesamten Bauzeit nicht erhoben, sondern – im Gegenteil – die Leistungen des Klägers weiter eingefordert.

Wenn der Beklagte aber umfangreiche Leistungen des Klägers einfordert und von diesem regelmäßig Kostenschätzungen, -berechnungen und -zusammenstellungen erhält und zu keinem Zeitpunkt Einwände erhebt – worauf das Landgericht im Übrigen schriftlich hingewiesen hat (Beschluss vom 4. Februar 2019, S. 1, Bl. 257) – sind seine etwaigen inneren Vorstellungen, keine Vergütung zahlen zu müssen, unbeachtlich (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 26. Januar 2022 – 14 U 116/21, Rn. 34, nachgehend BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2022 – VII ZR 21/22, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen; KG, Urteil vom 28. Dezember 2010 – 21 U 97/09, nachgehend BGH, Beschluss vom 29. April 2013 – VII ZR 32/11, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen – IBR 2013, 688; s. auch die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise bei Werner, in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Auflage, Rn. 617 iVm Rn. 127).

bb) Gegenrechte gem. §§ 280 Abs. 1, 241631633634 BGB, die der Beklagte dem Honoraranspruch des Klägers entgegenhalten könnte, stehen ihm nicht zu. Der Beklagte hat keine Beanstandungen in Bezug auf die klägerischen Leistungen erhoben.

cc) Soweit der Beklagte rügt, der Kläger habe als Architekt keine Kompetenz gehabt, Planungen im Bereich der Technischen Ausrüstung zu erbringen, und der gerichtliche Sachverständige habe nicht die Kompetenz, diese zu bewerten, ist das nicht richtig.

Es handelt sich vorliegend nicht um eine fachtechnische Planung bzw. Bewertung, sondern der Kläger hat in seiner mündlichen Anhörung bekundet, er habe nur in den Bereichen geplant, in denen dies ohne technische Kenntnisse möglich gewesen sei. Er hat ausgeführt, die Vereinbarung mit dem Beklagten im Bereich der Technischen Anlagen sei ein “schleichender Prozess” gewesen. Wenn ein Gebäude geplant werde, werde zwangsläufig auch über technische Gewerke gesprochen, so auch hier. Er habe dann im weiteren Verlauf auch bspw. die Elektropläne erstellt. Da er aber kein Fachplaner sei, könne er nur bis zu bestimmten Abschnitten planen, beispielsweise könne er nicht den Querschnitt von Rohrführungen berechnen. Derartige Leistungen habe er aber auch nie abgerechnet (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2018, Seite 2, Bl. 217).

Der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. ### hat diese Vorgehensweise bestätigt. Es habe sich vorliegend um einen planerischen Bereich ohne spezielle fachtechnische Kenntnisse gehandelt. Der Architekt bespreche die Wünsche des Bauherrn mit diesem und stelle sie in Plänen dar, die sodann mit dem jeweiligen Fachplaner oder – bei kleineren Objekten – mit den jeweiligen Fachfirmen abgestimmt würden. So sei auch der Kläger vorgegangen. Er habe die Wünsche des Beklagten gesammelt und mit diesem zusammen Planungen erstellt. Diese (geläufige) Vorgehensweise setze kein technisches Fachwissen voraus (vgl. Gutachten vom 23. Dezember 2022, Seite 7 und Gutachten vom 17. April 2022, Seite 4).

In seiner Vernehmung ist der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. ### erneut auf diesen Punkt eingegangen (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9. September 2019, Seite 2). Es gebe bei technischen Anlagen Teilbereiche, die auch ein Architekt planen und koordinieren könne. Den technischen Teil stimme er mit einem Fachplaner oder – bei kleineren Objekten – mit den jeweiligen Fachfirmen ab. Als Beispiel könne die Elektroplanung herangezogen werden, bei der zunächst der Architekt mit dem Bauherrn die Anordnung der Steckdosen, Schalter und bspw. Alarmanlagen abspreche, einen Plan erstelle und diesen dann mit dem Fachplaner durchgehe. Vorliegend handele es sich zudem um ein relativ einfaches Gebäude mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, so dass ein Architekturbüro den vom Kläger erstellten Anteil der TGA-Planung selbst leisten könne und – vorliegend – auch geleistet habe, wie dokumentiert (vgl. Gutachten vom 17. April 2023, Seite 6, s.o.).

Diese Erläuterungen des Sachverständigen sind für den Senat nachvollziehbar und auch als übliche Vorgehensweise aus anderen Verfahren bekannt. Es handelt sich bei dieser Zusammenarbeit zwischen dem Architekten und dem Fachplaner um ein geläufiges und sinnvolles Vorgehen. Die jeweiligen Wünsche und Vorstellungen des Bauherrn werden vorab sortiert, priorisiert und in Plänen aufbereitet. Der technische Bereich wird sodann von dem Fachplaner übernommen.

dd) Der Senat folgt auch nicht den weiteren Einwendungen, die der Beklagte im Bereich der Technischen Ausrüstung erhoben hat.

(a) Der Einwand des Beklagten, die Audioanlage gehöre nicht in die Kostengruppe 450 gem. DIN 276-1:2008-12, ist nicht richtig (vgl. Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 12). Der gerichtliche Sachverständige hat korrekt festgestellt, dass die Audioanlage des Beklagten als “Beschallungsanlage” in der Kostengruppe 454 der vorgenannten DIN unter “Elektroakustische Anlagen” aufgeführt ist und diese Anlagengruppe geprüft.

Die Kosten der Audioanlage sind vom Kläger aber auch nicht in seiner Kostenberechnung aufgeführt (Anlage K11, anders, als der Beklagte offensichtlich meint, vgl. Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 13). Die Leistungen für die Audioanlage (KG 454) sind damit nicht über die anrechenbaren Kosten berücksichtigt, so dass unklar ist, was der Beklagte konkret rügt.

(b) Der Senat folgt auch der Bewertung des gerichtlichen Sachverständigen, die erbrachten klägerischen Leistungen mit 7,75 Prozentpunkten von 22 möglichen Prozentpunkten zu bewerten. Die technischen Bewertungen (Berechnungen, Bemessungen) wurden von Dritten (den jeweiligen ausführenden Fachfirmen) erbracht, so dass dem Kläger nur seine planerische Vorarbeit und die Vermittlung und Koordination zwischen den Vorstellungen des Beklagten und den Möglichkeiten der Fachfirmen zu vergüten ist. Der Senat erachtet diese Bewertung des gerichtlichen Sachverständigen als nachvollziehbar und schlüssig.

(c) In Bezug auf einen Umbau- und Modernisierungszuschlag im Bereich der Technischen Ausrüstung hat der gerichtliche Gutachter diesen nur bei zwei von fünf Anlagengruppen für gerechtfertigt erachtet. Der stattgefundene Eingriff in den Bestand der Anlage rechtfertige insoweit den gewährten Umbauzuschlag. Dieser Bewertung schließt sich der Senat nach einer eigenen Überprüfung an.

Ein Umbauzuschlag, der bei mindestens durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad in Ermangelung einer anderweitigen schriftlichen Vereinbarung mindestens 20 % des Planungshonorars beträgt (§ 56 Abs. 5 iVm § 6 Abs. 2 HOAI), fällt nach der Verordnungsregelung nur dann an, wenn sich die Planungsleistungen auf einen Umbau iSv § 2 Abs. 5 HOAI eines “Objekts” im Sinne des § 2 Abs. 1 HOAI beziehen. Der Kläger war mit der Planung der technischen Ausrüstung des Gebäudes betraut (Objekt im Sinne des § 2 Abs. 1 HOAI). Gem. § 2 Abs. 5 HOAI sind Umbauten Umgestaltungen mit wesentlichen Eingriffen in Konstruktion oder Bestand. Wesentliche Eingriffe stellen “deutliche” Eingriffe dar (vgl. Wirth/Galda, in: Korbion/Mantscheff/Vygen, HOAI, 9. Aufl. 2016, § 2, Rn. 15). Es kommt darauf an, ob die vorhandene Bausubstanz Einfluss auf die planerischen und überwachenden Tätigkeiten des Architekten hatte und in seine Planungen einzubeziehen war.

Bei der Planung einer vollständigen neuen technischen Anlage im Rahmen des Umbaus eines Gebäudes wäre demnach kein Umbauzuschlag zu gewähren (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 5. November 1999 – 4 U 47/99; Wuchner, in: Korbion/Matscheff/Vygen, HOAI, 9. Aufl., § 56, Rn. 29 mwN).

Der Senat folgt den nachvollziehbaren Ergebnissen des gerichtlichen Sachverständigen, der nur für den Bereich der Abwasser-, Wasser- und Gasanlagen (KG 410) und im Bereich der Starkstromanlagen (KG 440) einen Umbauzuschlag gewährt und diesen ansonsten verneint.

Ein Umbauzuschlag für den Bereich der Abwasser-, Wasser- und Gasanlagen (KG 410) ist zu gewähren, weil die Sanitärobjekte zumindest teilweise an vorhandene Wasser- und Abwasserrohre angeschlossen wurden, was der Kläger bei seiner Planung zu berücksichtigen hatte.

Dass möglicherweise ein Schmutzwasserrohr neu verlegt worden war (so der Beklagte), führt zu keinem anderen Ergebnis, wenn die übrigen Objekte an bereits vorhandene Wasser- und Abwasserleitungen angeschlossen wurden (vgl. Gutachten vom 5. Juni 2019, Seite 26). Dass eine komplette Neuinstallation der Gruppe der Abwasser- Wasser und Gasanlagen stattgefunden habe, lässt sich aus den Unterlagen nicht erkennen (vgl. Gutachten vom 23. Dezember 2022, Seite 10).

Bei der Frage, ob ein Umbauzuschlag zu gewähren ist, spielt auch keine Rolle, wie das Verhältnis des Wertes der Neugestaltung der Sanitäreinrichtung zum Erstellungspreis einer Schmutzwasserleitung ist (so der Beklagte, Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 17). Der “Wert bzw. Preis” einer Neugestaltung ist in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen. Es kommt ausschließlich auf den Einfluss der vorhandenen Bausubstanz auf die planerischen bzw. überwachenden Tätigkeiten des Architekten an.

Schließlich rügt der Kläger, dass der gerichtliche Sachverständige ihm einen Umbau- und Modernisierungszuschlag für Heizungsanlagen, Lüftung und Fernmeldeanlage verwehrt habe (Schriftsatz vom 20. Januar 2020, Seite 3, Bl. 549), weil der Sachverständige dazu keine Feststellungen habe treffen können.

Diese Behauptung ist nicht richtig, wie sich aus dem Gutachtens vom 5. Juni 2019 und der mündlichen Erläuterung des Sachverständigen vom 9. September 2019 (Protokoll Seite 6, Bl. 414) ergibt.

Der gerichtliche Sachverständige hat sich mit den vorbenannten Anlagen in dem Gebäude auseinandergesetzt und Feststellungen getroffen. Zu den Wärmeversorgungsanlagen hat er unter Ziffer 4.2.2 seines Gutachtens vom 5. Juni 2019 ausgeführt, dass es sich hierbei um eine neu geplante und errichtete Anlage gehandelt habe (“Das Gebäude einschl. der Garage erhält eine komplett neue Heizungsanlage mit Brennwertheizgerät, Fußbodenheizung und bereichsweise Radiatoren, wie die Angebote (…) und die Schlussrechnung (…) belegen”, aaO, Seite 27). Er erachte daher einen Zuschlag nicht für gerechtfertigt.

Der gerichtliche Sachverständige hat ebenso für die Lüftungsanlage ausgeführt, dass diese komplett neu in das Gebäude eingebaut worden sei (aaO, Seite 27).

Für den Bereich der Starkstromanlagen, Fernmelde- und informationstechnischen Anlagen hat der gerichtliche Sachverständige differenziert zwischen den Anlagen der Gruppe 440 und 450. Die Elektroinstallation seien als Umbaumaßnahmen mit Zuschlag zu werten, weil diese an Schnittstellen in den Bestand eingriffen. Dagegen sei die Alarmanlage (KG 450) eine Neu-Installation, so das diesbezüglich kein Zuschlag gerechtfertigt sei (aaO, Seite 27). Der Senat schließt sich dieser Bewertung nach eigener Überprüfung an. Es lässt sich der Akte weder entnehmen, dass der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. ### von falschen Tatsachen ausgegangen ist noch einen falschen Bewertungsmaßstab gewählt hat.

2. Die Honorarrechnung des Klägers ist auch fällig gem. § 15 Abs. 1 HOAI 2013. Das Landgericht ist zu Recht von einer konkludenten Abnahme der Architektenleistungen ausgegangen. Soweit der Beklagte rügt, das Landgericht habe die Abnahme der Bauleistungen mit der Abnahme des Architektenwerkes verwechselt, folgt der Senat dieser Einwendung nicht.

a) Eine konkludente Abnahme liegt vor, wenn dem Verhalten des Auftraggebers zu entnehmen ist, dass er die Leistung als im Wesentlichen vertragsgerecht billigt (BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 – VII ZR 64/09; BGH, Urteil vom 10. Juni 1999 – VII ZR 170/98). Es kommt nicht darauf an, ob tatsächlich Mängel bestehen, sondern darauf, ob der Auftragnehmer annehmen darf, dass aus der Sicht des Auftraggebers das Werk im Wesentlichen mängelfrei hergestellt ist, weil sich bspw. Mängel noch nicht gezeigt haben, und er durch sein Verhalten die Billigung des Werkes zum Ausdruck gebracht hat (BGH, Urteil vom 20. Februar 2014 – VII ZR 26/12).

Auf einen Abnahmewillen kann regelmäßig nur geschlossen werden, wenn der Auftraggeber Gelegenheit hatte, die Beschaffenheit des Werkes ausreichend zu prüfen. Die Dauer der Prüfungs- und Bewertungsfrist hängt vom Einzelfall ab und wird von der allgemeinen Verkehrserwartung bestimmt (BGH, Urteil vom 20. September 1984 – VII ZR 377/83).

Die konkludente Abnahme einer Architektenleistung kann darin liegen, dass der Besteller nach Fertigstellung der Leistung und nach Ablauf einer angemessenen Prüffrist nach Bezug des fertiggestellten Bauwerks keine Mängel der Architektenleistungen rügt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 – VII ZR 64/09; BGH, Urteil vom 11. März 1982 – VII ZR 128/81). Es ist unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Architekten, den Zeitpunkt der konkludenten Abnahme nicht unangemessen nach hinten zu verschieben (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 1984 – VII ZR 377/83), nicht gerechtfertigt, den Prüfungszeitraum beliebig zu erweitern (BGH, Urteil vom 26. September 2013 – VII ZR 220/12).

Hat der Auftraggeber das Bauwerk bezogen, liegt darin nach Ablauf einer angemessenen Prüfungsfrist eine konkludente Abnahme, wenn sich aus dem Verhalten des Auftraggebers nichts Gegenteiliges ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 2013 – VII ZR 220/12 mwN). Der Bundesgerichtshof geht insofern von einer ca. sechsmonatigen Prüfungsfrist bei einem Einfamilienhaus aus (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 2013 – VII ZR 220/12).

b) Nach diesen Maßstäben lag jedenfalls zum Zeitpunkt der Stellung der Schlussrechnung im Juni 2017 eine konkludente Abnahme der Architektenleistungen des Klägers vor. Der Kläger ist mit seiner Familie bereits im Juli 2016 in das umgebaute modernisierte Objekt eingezogen. Ausgehend von einer ca. sechsmonatigen Prüfungsfrist wäre diese bereits im Januar 2017 abgelaufen. Spätestens aber mit Stellung der Schlussrechnung im Juni 2017 ist von einer konkludenten Abnahme der Architektenleistungen des Klägers auszugehen, zumal der Beklagte zu keinem Zeitpunkt Beanstandungen an den Architektenleistungen des Klägers vorgebracht hat.

Die Behauptung des Beklagten, er sei unter Zwang infolge der bereits erfolgten Veräußerung seiner zwischenzeitlichen Unterkunft in das umgebaute Objekt eingezogen, führt zu keiner anderen Betrachtung. Der Beklagte hatte ausreichend Zeit, die Architektenleistungen des Klägers in dem bezogenen Objekt zu prüfen (s.o.).

Der Umstand, dass an einem Teilgewerk – namentlich dem Parkett – ein evtl. Restmangel bestanden hat, hindert nicht die Abnahme der Architektenleistung. Überdies hat der Beklagte noch bereits im Juli 2016 – und somit noch deutlich vor Ablauf der vorgenannten Prüffrist – ein Nachabnahmeprotokoll unterschrieben (vgl. Anlage K23).

c) Die zwischen den Parteien streitigen Rechtsfragen, ob die geltend gemachten Mindestsätze gem. § 7 Abs. 5 HOAI europarechtswidrig seien und sodann zur üblichen Vergütung gem. § 632 Abs. 2 BGB Beweis zu erheben wäre, sind zwischenzeitlich geklärt. Der vom Kläger geltend gemachte Honoraranspruch ist, soweit er die Mindestsätze gem. § 7 Abs. 5 HOAI zugrunde legt, zulässig.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat festgestellt, dass der Dienstleistungsrichtlinie eine unmittelbare Wirkung in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen nicht zukommt und die zuständigen nationalen Gerichte nicht allein aufgrund eines gemäß den Art. 258 bis 260 AEUV erlassenen Urteils verpflichtet sind, im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privatpersonen eine nationale Regelung, die gegen die Bestimmung einer Richtlinie verstößt, unangewendet zu lassen (EuGH, Urteil vom 18. Januar 2022 – Rs. C-261/20 Tz. 31-37, BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 – Thelen Technopark Berlin). Nach diesen Grundsätzen hat der Bundesgerichtshof zur HOAI 2013 entschieden, dass eine Unverbindlichkeit der Mindestsätze und die Wirksamkeit einer die Mindestsätze unterschreitenden Honorarvereinbarung im Verhältnis zwischen Privatpersonen nicht mit einer richtlinienkonformen Auslegung begründet werden kann (BGH, Urteil vom 3. November 2022 – VII ZR 724/21, Rn. 39).

3. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von 52.727,45 €. Der Senat folgt den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dipl.-Ing. ###, der sich in weiteren drei Ergänzungsgutachten vom 2. August 2022, vom 23. Dezember 2022 und vom 17. April 2023 – zusätzlich zu dem Ausgangsgutachten vom 5. Juni 2019 – ausführlich, widerspruchsfrei und überzeugend mit den Einwänden der Parteien und insbesondere denjenigen des Privatsachverständigen des Beklagten auseinandergesetzt und diese in nachvollziehbarer, umfassender und logischer Argumentation entkräftet hat. Der Senat sieht nach insgesamt vier Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. ### alle Gegenargumente widerlegt und keinen Raum für eine weitere Aufklärung. Auch die beiden Parteien haben insoweit erklärt, dass sie keine persönliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen mehr benötigen. Im Einzelnen:

a) Honorarzone

Der Senat folgt der Einordnung des gerichtlichen Sachverständigen, dass die klägerischen Leistungen der Honorarzone III zuzuordnen sind. Der Kläger rügt, dass der Sachverständige die Honorarzone IV hätte zugrunde legen müssen, weil aus den Unterlagen ersichtlich sei, dass auch ein Austausch der Fenster stattgefunden habe. Der Senat hat den gerichtlichen Sachverständigen hierzu um schriftliche Stellungnahme gebeten, und dieser hat in seinem Ergänzungsgutachten vom 2. August 2022 einen Komplettaustausch der Fenster zugrunde gelegt. Dennoch kommt er zu dem Ergebnis, dass selbst die Zugrundelegung eines Komplettaustauschs der Fenster keine höhere Honorarzone begründen würde. Der Senat schließt sich der im folgenden nachvollziehbaren Begründung des Sachverständigen an.

Der Sachverständige führt im Einzelnen aus, dass die Honorarzone eines Objekts den qualitativen Parameter für die Berechnung einer angemessenen Vergütung darstellt, indem sie für den Einzelfall die Schwierigkeit der Planungsanforderungen berücksichtigt. Die vom Kläger gerügte Nichtberücksichtigung der Eingriffe in die Konstruktion und den Bestand gehörten aber zu den konstruktiven Planungsanforderungen. Die Vergütung dieses – durch konstruktive Planungsanforderungen – erschwerten Planungsaufwandes erfolgt nicht über die Honorarzone, sondern über die anrechenbaren Kosten.

Ein Fensteraustausch sei ein konstruktiver Eingriff, der nicht die qualitativen Planungsanforderungen erhöhe, sondern den quantitativen Planungsaufwand (Gutachten vom 2. August 2022, Seite 6). Der Senat erachtet die Erläuterungen des Sachverständigen für plausibel und nachvollziehbar. Die Planungsanforderungen an einen Architekten steigen nicht qualitativ, wenn der Bauherr den Austausch der Fenster wünscht. Die diesbezügliche Mehrarbeit in konstruktiver Hinsicht wird über die anrechenbaren Kosten honoriert.

Soweit der Kläger die Anzahl der Funktionsbereiche anführt, die vorliegend abweichend vom Standard seien und somit eine höhere Honorarzone begründeten, folgt der Senat ebenfalls den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, denen der Kläger nicht weiter entgegengetreten ist.

Der gerichtliche Sachverständige führt sowohl in seinem Gutachten als auch in seiner Vernehmung vom 9. September 2019 (Bl. 411) aus, es bleibe bei einem Funktionsbereich, “dem Wohnen” (Gutachten vom 2. August 2022, Seite 6). Zusätzliche Funktionsbereiche wie bspw. ein Büroraum mit Kundenbesuch oder ein Gästebereich mit eigenem Zugang seien nicht vorgesehen gewesen. Ein anspruchsvoller Standard, wie der Kläger ausführt, werde nicht durch eine Erhöhung der Anzahl der Funktionsbereiche honoriert, sondern (ebenfalls) bei den anrechenbaren Kosten.

Der Sachverständige bekundet weiter, dass Schwierigkeiten bei Umbaumaßnahmen nicht eine höhere Honorarzone begründeten, sondern bspw. einen Honorarsatz oberhalb des Mindestsatzes oder die Vereinbarung eines Umbauzuschlages bis 33 % zuließen (vgl. Gutachten vom 2. August 2022, Seite 7).

Der Senat hat keinerlei Zweifel, dass die nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Erklärungen des gerichtlichen Sachverständigen zutreffend sind. Danach ist der – bereits erstinstanzlich ausgeurteilte – Anspruch des Klägers in Bezug auf das Gebäude nach den Berechnungen des gerichtlichen Sachverständigen in Höhe von 45.120,92 € (brutto) richtig (vgl. Gutachten vom 5. Juni 2019, Seite 28).

b) Erbrachte Leistungen

In seinem Gutachten vom 23. Dezember 2022 setzt sich der gerichtliche Sachverständige mit den Einwendungen des Beklagten bzw. dessen Privatgutachters bei der Bewertung der erbrachten Leistungen auseinander.

Soweit der Beklagte rügt, es habe keine zeitlich vorgelagerte Planung der Haustechnik gegeben, diese sei erstmals im Zusammenhang mit der Ausführungsplanung für das Gebäude erfolgt, erwidert der gerichtliche Sachverständige, dies sei nicht richtig. Der Kläger habe bereits in den Leistungsphasen 2 und 3 Zeichnungen zu der Technischen Ausrüstung erstellt (siehe: Gutachten vom 17. April 2023, Seite 5 und vom 5. Juni 2029, Seite 6, Tabelle 2 mit Angaben zu Zeichnungen im Bereich Heizung/Sanitär, Elektro, Audio in Leistungsphase 2 und Leistungsphase 3).

Hinzu komme aber, dass der Kläger vorliegend in Personalunion das Gebäude und einen Teil der Technischen Ausrüstung geplant habe. Eine Planungskoordination in den Leistungsphasen 2 und 3 sei daher – naturgemäß – nicht besonders dokumentiert worden. Der Kläger habe vielmehr das Ergebnis seiner Planungen im Bereich der Technischen Ausrüstung in die Gebäudeplanung übernommen (vgl. Gutachten vom 23. Dezember 2022, Seite 4). Der Senat erachtet diese Vorgehensweise für nachvollziehbar. Im Übrigen ist aus der Tabelle 2 ersichtlich, dass die Planung im Bereich der Technischen Ausrüstung in den Planungsablauf eingearbeitet worden ist (vgl. Tabelle 2, Seite 7, Gutachten vom 5. Juni 2019, Bl. Nr. 010a-016). Dies ist nicht zu beanstanden.

Der Aussage des Parteigutachters, der Gerichtsgutachter gehe von falschen Prämissen aus, weil die Übernahme der Haustechnik in die Architektenplanung eine Grundleistung darstelle und nicht gesondert vergütet werde (Parteigutachten vom 11. Februar 2023, Seite 5), wird seitens des Senats nicht gefolgt. Es geht vorliegend um Grundleistungen eines TGA-Planers, die der Kläger abrechnet, und die (noch) ohne technisches Fachwissen erbracht werden können (s.o.). Der technische Planer kann auch die Gebäudeplanung des Architekten verwenden und in diese seine technische Planung einzeichnen. Der Sachverständige führt aus, er habe die vom Kläger erbrachten Leistungen aufgrund der vorgelegten Dokumentation festgestellt und bewertet.

Der Senat folgt auch den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen, soweit dieser die Leistungen des Klägers nach den Vergütungsbestimmungen der HOAI und nicht – wie der Privatgutachter des Beklagten – aus bauwirtschaftlicher Sicht bewertet (vgl. Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 20, Bl. 369). Es mag insoweit zu unterschiedlichen Leistungsbewertungen kommen, maßgeblich sind aber die fachlichen Vergütungsbestimmungen der HOAI und nicht bauwirtschaftliche Überlegungen.

Der gerichtliche Sachverständige hat auch den Einwand der Beklagtenseite entkräftet, es fehlten im Rahmen der Vorplanung und Entwurfsplanung (Leistungsphasen 2 und 3) Ansichten und Schnitte. Ebenso fehle ein Lageplan (vgl. Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 7, Bl. 356). Der gerichtliche Sachverständige führt insoweit aus, Ansichten, Schnitte und ein Lageplan seien bei der hiesigen Umbauplanung nicht erforderlich, sie könnten deshalb auch nicht fehlen. Gem. § 3 Abs. 2 HOAI sind Grundleistungen, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags im Allgemeinen erforderlich sind, in Leistungsbildern erfasst. Die Bezeichnung als “im Allgemeinen erforderlich sind” soll klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt zur Erreichung des Vertragsziels notwendig sind (Wirth/Galda, in: Korbion/Mantscheff/ Vygen, HOAI, 9. Aufl. 2016, § 3, Rn. 2).

So liegt der Fall hier. Der gerichtliche Sachverständige hat ausgeführt, bei dem vorliegenden Objekt seien Schnitte, Ansichten und ein Lageplan nicht zur Auftragserfüllung erforderlich gewesen. Der Beklagte ist dem nicht entgegengetreten und hat bspw. die Notwendigkeit dieser Leistungen für die Auftragserfüllung bekundet.

Soweit der Beklagte rügt, die klägerischen Planungen hätten vielfach vor Ort angepasst werden müssen bzw. seien nicht ausführbar gewesen (Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 7, Bl. 356), fehlt es an konkreten Mängelbehauptungen.

Die weitere Rüge des Beklagten, die Bewertung der erbrachten Leistungen des gerichtlichen Sachverständigen bei den Leistungsphasen 6 und 7 sei zu hoch, geht gleichfalls ins Leere. Gem. § 34 Abs. 3 Nr. 6 HOAI sind die Grundleistungen in der Leistungsphase 6 bei Gebäuden mit 10 Prozentpunkten für die gesamte Leistungsphase bewertet. In der Leistungsphase 7 sieht die HOAI bei Gebäuden 4 Prozentpunkte für die gesamte Leistungsphase vor. Der gerichtliche Sachverständige hat die erbrachten Leistungen für die Vorbereitung der Vergabe mit 3,5 Prozentpunkten bewertet und die Mitwirkung bei der Vergabe mit 3 Prozentpunkten. Insgesamt hat der gerichtliche Sachverständige für die beiden Leistungsphasen 6 und 7 von den maximal möglichen 14 Prozentpunkten nach den Maßgaben der HOAI bei einer vollen Erbringung der jeweiligen gesamten Grundleistungen weniger als die Hälfte erfüllt gesehen. Der Sachverständige hat dies damit begründet, dass auch wenn der Kläger keine Ausschreibungen mit Mengen und Leistungsbeschreibungen durchgeführt habe, er die entsprechenden Informationen durch direkte Abstimmungen mit den beteiligten Firmen erhalten habe. Insbesondere enthält das Anlagenkonvolut (K39 und K40) eine Fülle von E-Mails zwischen dem Kläger bzw. seinen Mitarbeitern und Unternehmen über die Ausführung von Gewerken, aus denen deutlich werde, dass der Kläger die notwendigen Informationen, die es für die Erbringung der Leistungsphase 6 bedarf, erhalten habe.

Der Senat folgt der gut nachvollziehbaren Bewertung des Sachverständigen. Insbesondere sind nicht alle in § 34 Abs. 3 HOAI (Anhang 10.1) aufgeführten Grundleistungen vollständig zu erbringen, wenn die Beauftragung und die notwendig damit verbundenen Leistungen zum vertraglichen Leistungsumfang dies nicht erforderlich machen. Dies ergibt sich aus der Erfolgsbezogenheit des Architektenvertrages, der die Entstehung einer umfassenden gebrauchsfähigen Architektentätigkeit voraussetzt. Es handelt sich insoweit bei § 34 Abs. 3 HOAI und dessen Anhang 10.1. nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe zur Bestimmung der vertraglich geschuldeten Leistung dar (BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 – VII ZR 42/05; Korbion, in: Korbion/Mantscheff/ Vygen, HOAI, 9. Aufl. 2016, § 34, Rn. 48).

Der Beklagte hat bereits nicht behauptet, dass der Kläger bestimmte Grundleistungen nicht erbracht hat, welche aber erforderlich gewesen wären, um die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Allein die beklagtenseits erhobene Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI, Anhang 10.1, aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, führt – ohne einen Mangel in der Bauwerksleistung – nicht zu einer Vergütungsminderung bzw. einem Schadensersatzanspruch gegen den Architekten. Ein Mangel in dem Architektenwerk wurde vorliegend nicht geltend gemacht.

Die vorgenannten Maßgaben geltend auch für die Einwände des Beklagten in Bezug auf die Bewertung des gerichtlichen Sachverständigen der Leistungsphase 8. Die vom Privatgutachter herangezogenen tabellarischen Übersichten (vgl. Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 9 f., Bl. 358 f.) mögen zwar ebenfalls als Auslegungshilfe herangezogen werden, dies ist aber nicht zwingend. Der Senat schließt sich der Bewertung des gerichtlichen Sachverständigen an, der die Leistungen der Objektüberwachung mit 30,25 Prozentpunkten bewertet. Er habe die Bauleitung mit Anwesenheit vor Ort beispielhaft belegt durch die Protokolle der Baubesprechungen. Der Bauablauf sei belegt durch Terminpläne und Bauprotokolle. Ebenso sei die Rechnungsprüfung belegt (siehe Gutachten vom 5. Juni 2019, Seite 14). Die vom gerichtlichen Sachverständigen festgestellten Leistungen werden von dem Beklagten auch nicht in Abrede gestellt, er meine nur, es müssten für eine vollständige Erbringung darüber hinaus auch die von ihm aufgeführten Leistungen (s.o.) erbracht worden sein. Dem folgt der Senat mit den vorgenannten Argumenten nicht.

Soweit der Beklagte stets wiederholt, der gerichtliche Sachverständige sei von einer Abnahme und mangelfreien Leistungen ausgegangen (bspw. Privatgutachten vom 11. Februar 2023, Seite 4), widerspricht der gerichtliche Sachverständige. Er habe unabhängig von einer Abnahme die erbrachten Leistungen dokumentiert (Gutachten vom 17. April 2023, Seite 4). Er habe dabei zwischen Bauleistungen und Planungsleistungen differenziert. Die Mangelfreiheit sei nicht Gegenstand seines Auftrags gewesen.

Der Privatgutachter des Beklagten unterstellt dem gerichtlichen Sachverständigen, das Anlagenkonvolut K39 und K40 nicht untersucht zu haben, obwohl sie ihm selbst nicht vorgelegen hätten (“die hier nicht vorliegenden Anlagen K39 und K40 (…), Privatgutachten vom 11. Februar 2023, Seite 5). Der gerichtliche Sachverständige bekundet indes, alle “270 Mails gelesen, inhaltlich sortiert und die darin enthaltenen ‚Leistungen‘ des Klägers bewertet” zu haben. Der Senat hat keine Anhaltspunkte, dass der gerichtliche Sachverständige, der alle an ihn gerichteten Beweisfragen detailliert und nachvollziehbar beantwortet hat, seine Gutachten ohne genaue Kenntnis der Pläne und sonstigen Dokumente erstellt hat.

c) Nebenkosten

Der Senat erachtet die landgerichtliche Entscheidung zu einem Anspruch auf Nebenkosten in Höhe von 1.339,84 € netto für richtig. Soweit der Kläger in seiner Berufungsbegründung anmerkt, dass die von ihm angesetzten Nebenkosten in Höhe von 1.681,84 € netto üblich und angemessen und im Übrigen unstreitig seien, verkennt er, dass der Beklagte im Rahmen seines Parteigutachtens vom

4. Januar 2018, Seite 18 (Bl. 66) lediglich von begründeten Nebenkosten in Höhe von 1.339,84 € netto ausgeht und somit der Restbetrag streitig ist, worauf das Landgericht auch im Termin hingewiesen hat. Ein Verfahrensfehler ist insoweit nicht ersichtlich. Der Kläger rügt weiter, der Hinweis in der mündlichen Verhandlung sei zu spät erfolgt. Es hätte ihm aber freigestanden, auf diesen Hinweis vorzutragen. Dies ist nicht erfolgt. Es wird auf die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil, Seite 13, Bezug genommen.

d) Der Beklagte kann sich auch nicht auf einen Nachlass in Höhe von 10% auf die begründeten Forderungen des Klägers berufen. Zwar ist ein Architekt nicht gehindert, ein unter den Mindestsätzen liegendes Pauschalhonorar zu verlangen, wenn die Preisvereinbarung unwirksam ist und er den Mindestsatz fordern könnte (BGH, Urteil vom 13. September 2001 – VII ZR 380/00; BGH, Versäumnisurteil vom 13. Januar 2005 – VII ZR 353/03), soweit der Senat aber eine Honorarrechnung zu überprüfen hat, geschieht dies gemäß den Grundsätzen der HOAI, die einen pauschalen Abschlag von 10% nicht vorsehen. Da die Honorarforderung des Klägers nicht unter der vom Senat ermittelten Summe liegt, dringt der Beklagte mit seiner hilfsweise erhobenen Forderung nicht durch.

Hinzu kommt, dass der vom Kläger gewährte Nachlass in Höhe von 10% lediglich in einer Teilrechnung aus dem Jahr 2016 zu finden ist (vgl. 2. Teilrechnung vom 1. Juni 2016, Seite 3, Bl. 402). Daraus lässt sich keinesfalls schließen und ist von dem Beklagten auch nicht bewiesen, dass der Kläger auf sämtliche Leistungen einen solchen Nachlass gewährt hätte.

4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil, Seite 16 f., verwiesen. Ein Hinweis war gem. § 139 Abs. 2 ZPO entbehrlich, so dass eine Gehörsverletzung nicht in Betracht kommt.

Selbst wenn man diese aber annehmen wollte, hätte der Kläger im Rahmen seiner Berufungsbegründung die Möglichkeit gehabt, zu diesem Punkt Stellung zu beziehen und gegebenenfalls vorzutragen.

Ein Prozessbeteiligter muss die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (BGH, Beschluss vom 17. März 2016 – IX ZR 211/14, Rn. 4 mwN). Diese Würdigung entspricht dem in § 295 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, nach dessen Inhalt eine Partei eine Gehörsverletzung nicht mehr rügen kann, wenn sie die ihr nach Erkennen des Verstoßes verbliebene Möglichkeit zu einer Äußerung nicht genutzt hat (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 – XII ZB 445/19, Rn. 13 f.).

Nach diesen Maßgaben hätte der Kläger nach Kenntnis der Rechtsposition des Landgerichts – was spätestens mit Zustellung des Urteils der Fall war – den gebotenen Vortrag halten können. Dies ist nicht erfolgt.

5. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren. Der Senat folgt der Ansicht des Landgerichts (siehe LGU, Seite 17). Der klägerische Prozessbevollmächtigte war bereits vor der Stellung der Schlussrechnung tätig, d.h. bevor der Beklagte mit einer Zahlung in Verzug gekommen war. Soweit der Kläger mit seiner Berufung rügt, dass später weitere Tätigkeiten notwendig gewesen seien, ist nicht vorgetragen, inwieweit dadurch ein weitergehender Gebührenanspruch im Innenverhältnis ausgelöst worden ist, der über den bereits bestehenden 1,3-fachen Gebührensatz hinausgeht.

Ein möglicher Verzug des Beklagten in Bezug auf Teilbeträge aus vorherigen Abschlagsrechnungen ist vom Kläger nicht dargelegt und wäre vom Landgericht auch nicht eigenständig unter Berücksichtigung der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen herauszuarbeiten gewesen. Das Beweisangebot des Klägers bezog sich insoweit auf die Richtigkeit seiner Schlussrechnung. Ein Hinweis des Landgerichts war im Hinblick auf die Geltendmachung einer Nebenforderung nicht geboten, § 139 Abs. 2 ZPO. Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen zu den Pflichten eines Prozessbeteiligten verwiesen, denen der Kläger mit seiner Berufungsbegründung nicht nachgekommen ist.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichts abweicht, so dass auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO.

V.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren beruht auf § 3 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG.

OLG Braunschweig zu der Frage, ob unbekannte Mängel eine konkludente Abnahme ausschließen

OLG Braunschweig zu der Frage, ob unbekannte Mängel eine konkludente Abnahme ausschließen

vorgestellt von Thomas Ax

Eine Abnahme kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent, d.h. durch schlüssiges Verhalten des Auftraggebers, erklärt werden. Konkludent handelt der Auftraggeber, wenn er dem Auftragnehmer gegenüber ohne ausdrückliche Erklärung erkennen lässt, dass er dessen Werk als im Wesentlichen vertragsgerecht billigt. Eine konkludente Abnahme kann im Regelfall nur angenommen werden, wenn alle vertraglich geschuldeten Leistungen erbracht sind. Das gilt jedoch nicht ausnahmslos. Unbekannte Mängel stehen einer konkludenten Abnahme grundsätzlich nicht entgegen. Wird die VOB/B nicht “als Ganzes” vereinbart, hält die Regelungen des § 12 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B zur fiktiven Abnahme der Leistung einer AGB-Kontrolle nicht stand und ist unwirksam, wenn der Auftragnehmer Verwender der VOB/B ist.
OLG Braunschweig, Urteil vom 02.06.2022 – 8 U 205/21

vorhergehend:
LG Göttingen, 05.08.2021 – 8 O 50/20

nachfolgend:
BGH, Beschluss vom 21.06.2023 – VII ZR 128/22 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Gründe

A.

Die Klägerin, ein Stahlbauunternehmen, nimmt den Beklagten für einen von ihr errichteten Milchviehstall (Boxenlaufstall) auf Zahlung restlichen Werklohns i.H.v. 166.629,38 Euro in Anspruch. Die Klägerin hat mit Schlussrechnung vom 28.12.2017 für die Werkleistungen insgesamt 388.302 Euro geltend gemacht und unter Abzug von seitens des Beklagten geleisteten Teilzahlungen auf Zwischenrechnungen in Höhe von (jeweils netto) 155.000 Euro und 93.277,31 Euro den streitgegenständlichen Restbetrag gefordert. Auf die mit der Schlussrechnung geltend gemachten Beträge entfiel ein Betrag i.H.v. 339.519 Euro auf ein am 03.04.2012 durch die Parteien geändertes Angebot vom 29.02.2012, ein Betrag von 40.000 Euro auf eine Nachtragsvereinbarung vom 08.01.2014 sowie weitere 8.783 Euro auf weitere kleinere Nachträge.

Für das von der Klägerin zu erstellende Werk war eine baurechtliche Genehmigung erforderlich. Die Baumaßnahme wurde auf Seiten des Beklagten durch einen von diesem beauftragten Architekten begleitet. Im Rahmen der nach dem Baurecht erforderlichen öffentlich-rechtlichen Prüfung wurde das Büro A. Beratende Ingenieure für Bauwesen als Prüfstatiker tätig.

Mit Schreiben vom 12.11.2014 (Anlage K 8) teilten die Prüfstatiker von A. dem Landkreis Göttingen – Amt für Kreisentwicklung und Bauen – zu dem streitgegenständlichen Bauvorhaben mit, dass für die Bauteile Dacheindeckung, Pfetten, Wandverkleidung, Wandriegel, Dachverband, Wandverband und Koppelprofile sowie Wandansichten noch die Konstruktionszeichnungen fehlten und diese noch zur Prüfung vorzulegen seien. Ferner wurde seitens der Prüfstatiker darauf hingewiesen, dass die vorliegenden Konstruktionszeichnungen in Geometrie und Profilen abweichend von den geprüften Berechnungen angefertigt worden seien. Ferner sei für die geänderte Dacheindeckung und die Pfetten noch ein statischer Nachweis zur Prüfung vorzulegen. Daraufhin schrieb der Landkreis Göttingen den Beklagten am 19.03.2015 (Anlage K 9) unter Beifügung des vorgenannten Schreibens der Prüfstatiker an und wies darauf hin, dass Konstruktionspläne und Nachweise über die geänderte Dacheindeckung fehlen würden. Dabei wurde ferner darauf hingewiesen, dass in Abstimmung mit dem Prüfstatiker auch eine Nutzungsuntersagung oder teilweise Nutzungsuntersagung in Erwägung gezogen werden könne. Aufgrund des Schreibens des Landkreises rief der Beklagte zudem den von ihm beauftragten Architekten an, der sich des Vorgangs annehmen sollte. Der Beklagte forderte zudem die Klägerin mit E-Mail vom 20.04.2015 (Anlage K 10) auf, die von den Prüfstatikern geforderten Unterlagen beizubringen. Hierauf ließ die Klägerin durch die Firma S. Montage GmbH einen Nachtrag zur Statik anfertigen, der ergab, dass noch Ertüchtigungsmaßnahmen durchzuführen waren. Diese Statik übermittelte die Firma S. Montage GmbH mit E-Mail vom 12.10.2015 (Anlage K 11) den Prüfstatikern mit der Bitte um Kenntnisnahme und Rückruf über die weitere Vorgehensweise. Seitens der Prüfstatiker wurde der Nachtrag zur Statik wiederum mit E-Mail vom 07.12.2015 an die Klägerin weitergeleitet. Der Beklagte erhob gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 12.01.2018 die Einrede der Verjährung. Mit Schreiben vom 13.02.2018 übermittelte der Prüfstatiker dem Beklagten einen Kontrollbericht über die von ihm gem. § 76 NBauO durchgeführte Kontrolle bezogen auf die statische und konstruktive Ausführung der von der Klägerin erstellten Stahlkonstruktion. In dem Kontrollbericht waren insgesamt drei Beanstandungen aufgeführt, zu deren Beseitigung der Beklagte aufgefordert wurde. Beanstandet wurde, dass noch eine fehlende Druckstrebe – wie in dem Nachtrag der Firma S. Montage GmbH – einzubauen sei, ferner eine Längskopplung bzw. alternativ ein zusätzlicher Wandverband und eine Durchkopplung mit Zugstangen. Wie in dem vorgenannten Nachtrag zur Statik der Firma S. Montage GmbH angegeben, wurde zudem gefordert, zusätzliche Druckrohre in der Dachebene einzubauen. Diesen Bericht – der nach dem dort aufgeführten Verteiler auch dem von dem Beklagten beauftragten Architekten per E-Mail übermittelt wurde – leitete der Beklagte nicht an die Klägerin weiter, auch eine anderweitige Informierung erfolgte nicht. Insbesondere erfolgte auch keine Mängelrüge seitens des Beklagten. Die durchzuführenden Maßnahmen zur Ertüchtigung der Statik führte er in der Folge in Eigenleistung durch.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (LGU, S.2 f, Bl. 164 Rücks. f. d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Zahlung des restlichen Werklohns in Höhe von 166.629,38 Euro nach § 631 Abs. 1 BGB zu, da der Beklagte nach § 214 Abs. 1 BGB berechtigt sei, die Zahlung der Klageforderung zu verweigern. Der Anspruch sei verjährt.

Die Geltung der VOB/B sei zwischen den Parteien nicht vereinbart worden. Diese seien nicht nach § 305 Abs. 2 und 3 BGB Bestandteil des Vertrages geworden. Es sei davon auszugehen, dass dem Beklagten, der gewerbsmäßig Landwirtschaft betreibe, die VOB nicht vertraut sein dürfte, ein bloßer Hinweis auf die Geltung derselben reiche daher nicht aus. Vielmehr sei das Einverständnis des Vertragspartners notwendige Voraussetzung für deren Einbeziehung. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin habe eine Einbeziehung der VOB/B in das Vertragsverhältnis nicht schlüssig vorgetragen. Dem Angebot vom 29.02.2012 sowie der Auftragsbestätigung vom 14.04.2013 lasse sich ein Hinweis auf die Geltung der VOB/B auf der Vorderseite nicht entnehmen, es sei daher unerheblich, ob die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin tatsächlich auf der Rückseite abgedruckt gewesen seien.

Selbst wenn der Hinweis auf die Geltung der VOB/B und ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen auf der als Anlage K 5 aktenkundigen Privaturkunde vom 08.01.2014 bei der Unterschriftsleistung durch den Beklagten vorhanden gewesen wäre, begründe dies keine wirksame Einbeziehung hinsichtlich des Hauptauftrages. Es sei darüber hinaus auch nicht dargetan, dass sich auf dem Original des Schriftstücks auf der Rückseite ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen befunden hätten. Nach Einsichtnahme der im Verhandlungstermin vom 15.07.2021 vorgelegten Originalurkunden sei festzustellen gewesen, dass sich auf keiner der Urkunden auf der Rückseite abgedruckte AGB befunden hätten.

Es sei danach von einem BGB-Werkvertrag auszugehen und einer Verjährungsfrist von drei Jahren gem. § 195 BGB. Der Werklohnanspruch der Klägerin sei spätestens im November 2015 gem. § 641 BGB zur Zahlung fällig geworden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Beklagte das Werk konkludent durch Ingebrauchnahme noch im Jahr 2015 abgenommen habe. Die Klägerin trage unwidersprochen vor, dass der Beklagte das Objekt seit August 2015 ohne Beanstandungen nutze, worin eine konkludente Abnahme zu sehen sei. Dem stehe auch nicht die – zugunsten der Klägerin als wahr unterstellte – Behauptung entgegen, dass von dieser noch in 2016/2017 Unterlagen an den Prüfstatiker übersandt worden seien. Denn dies begründe nicht die Annahme, die zu errichtende Stallanlage sei nicht im Jahre 2015 funktional fertig gestellt worden. Dass die Genehmigung des Statikers nicht erteilt worden sei bzw. die Statik mangelbehaftet gewesen sei, habe die Klägerin nicht vorgetragen. Dass die Erklärung zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Stalls nicht vorgelegen habe, hindere die konkludente Abnahme nicht. Angesicht der unstreitigen Nutzung durch Einzug der Viehherde sei spätestens seit August 2015 von einer Benutzung des im Wesentlichen fertig gestellten Werks auszugehen. Da unstreitig Mängel nicht gerügt worden seien, habe die Klägerin davon ausgehen können, dass der Besteller das Werk als vertragsgerechte Leistung akzeptierte.

Vorliegend sei eine Prüffrist von 12 Wochen als ausreichend anzusehen. Da die Erstellung einer prüffähigen Schlussrechnung nicht Fälligkeitsvoraussetzung sei, sei der Anspruch auf Werklohnzahlung mit Ablauf des 11.11.2015 zur Zahlung fällig geworden. Die regelmäßige Verjährung habe nach § 199 BGB am 31.12.2015 zu laufen begonnen und sei am 31.12.2018 abgelaufen. Die Klage sei am 12.12.2019, mithin nach Ablauf der Verjährungsfrist, bei dem Landgericht Leipzig eingegangen.

Die Klägerin habe nicht bewiesen, dass das von ihr zu errichtende Werk im Jahre 2015 nicht im Wesentlichen vertragsgerecht fertiggestellt gewesen sei. Der für die Einrede der Verjährung darlegungs- und beweisbelastete Beklagte habe bewiesen, dass im Jahr 2016 keine Arbeiten mehr an dem Stallgebäude durch Mitarbeiter der Klägerin durchgeführt worden seien. Der Zeuge B. habe bestätigt, dass der Stall im Jahre 2016 fertiggestellt gewesen sei und keine Arbeiten mehr ausgeführt worden seien und das Bauwerk bereits am 04.04.2015 ohne weitere Beeinträchtigung zum Einstellen der Viehherde nutzbar gewesen sei. Die Aussage werde im Kern durch die Angaben des Zeugen H. bestätigt, der angegeben habe, dass im Jahre 2014 noch ausstehende Restarbeiten (Fallrohre und Vogelschutznetze) bereits im Jahr 2015 erledigt worden seien. Demgegenüber sei die Aussage des Zeugen D. wenig ergiebig gewesen, dieser habe auch nicht nachvollziehbar begründen können, warum die wesentlichen Arbeiten der Klägerin bereits im Jahr 2015 erledigt gewesen sein sollen. Dieser sei sich auch nicht sicher gewesen, noch 2016 auf der Baustelle gewesen zu sein. Es sei daher davon auszugehen, dass die Arbeiten an dem Bauvorhaben Ende 2015 durchgeführt worden sein dürften.

Einen Antrag der Klägerin auf Schriftsatznachlass nach § 283 ZPO hat das Landgericht zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 15.07.2021 überreichte Schriftsatz unter Verletzung von § 296 Abs. 2 ZPO eingereicht worden sei. Der Vortrag sei für die zu treffende Entscheidung unerheblich gewesen, sodass der Klägerin dazu neuer Vortrag nicht zu eröffnen gewesen sei. Auch aufgrund des nicht nachgelassenen klägerischen Schriftsatzes vom 29.07.2021 habe kein Grund bestanden, gem. § 156 ZPO wieder in die mündliche Verhandlung einzutreten. Die Pflicht des Auftraggebers, die Leistungen des Auftragnehmers bei Abnahmereife abzunehmen, lasse sein Recht unberührt, dies auch freiwillig schon vorher zu tun. Sofern der Auftraggeber abnehme, würden die Erfüllungswirkungen der Abnahme unabhängig davon eintreten, ob die abgenommene Werkleistung abnahmereif und damit erfüllungstauglich gewesen sei. Die Klägerin habe insoweit nicht hinreichend vorgetragen, dass sie aufgrund der geänderten beauftragten Dachausführung vertraglich zur Erstellung einer Nachtragsstatik berechtigt gewesen sei. Dies lasse sich dem Nachtrag der Anlage K 5 nicht entnehmen. Das durch die Ausführung vorgeschriebene Sicherheitsstandards nicht eingehalten worden seien, könne nicht als Indiz für die mangelnde Abnahmereife des Bauwerks herangezogen werden.

Mangels Bestehens der Hauptforderung seien auch keine Nebenforderungen zuzuerkennen.

Die Klägerin hat gegen dieses ihr am 09.08.2021 zugestellte (Bl. 173 d.A.) Urteil mit Schriftsatz vom 06.09.2021, bei dem Oberlandesgericht Braunschweig eingegangen am selben Tage (Bl. 185 d.A.), Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 26.10.2021, eingegangen am selben Tage (Bl. 196 d.A.) begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist auf Antrag der Klägerin vom 04.10.2021 (Bl. 191 d.A.) bis zum 26.10.2021 (Bl. 192 d.A.) verlängert worden war.

Die Klägerin greift das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang an und begehrt mit dem Hauptantrag – wie erstinstanzlich beantragt – die Zahlung des Werklohns i.H.v. 166.629,38 Euro nebst Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren.

Die Klägerin meint, dass das Landgericht die Anforderungen der Rechtsprechung zur Einbeziehung der VOB/B zwischen Unternehmern verkannt habe. Sie habe vorgetragen, dass sowohl auf der Rückseite des Angebots als auch auf der Rückseite der Auftragsbestätigung ihre AGB abgedruckt gewesen seien, die auf die Geltung der VOB/B verwiesen hätten. Sie habe zudem ausgeführt, dass in einer Nachtragsvereinbarung vom 08.01.2014 (K 5) sowohl auf die ursprüngliche Auftragsbestätigung, als auch auf die Geltung der VOB/B verwiesen worden sei. Der Beklagte sei auch Unternehmer. Dies reiche als schlüssiger Vortrag zur Einbeziehung der VOB/B aus. Für Unternehmer fänden die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 und 3 BGB – auch hinsichtlich der VOB/B – gem. § 310 Abs. 1 BGB keine Anwendung. Zwischen Unternehmern würden AGB mangels Widerspruchs auch dann Vertragsinhalt, wenn sie nicht Gegenstand der Vertragsverhandlungen oder nicht beigefügt gewesen seien. Umso mehr sei dies der Fall, wenn diese – wie hier – gerade beigefügt gewesen seien. Die AGB seien unstreitig auf der Rückseite des Auftragsbestätigungsschreibens Anlagen K 3 und K 4 abgedruckt gewesen. Der Beklagte habe diese erhalten und der Einbeziehung nicht widersprochen, sodass diese Vertragsbestandteil geworden seien. Die Auftragsbestätigung (K 3) sei auch nicht erst nach Vertragsschluss übersandt worden, sondern diese habe ihr Angebot dargestellt.

Das im Jahr 2012 seitens der Klägerin unterbreitete Angebot habe der Beklagte während der Besprechung nicht angenommen und erst Anfang April 2013 das Angebot beauftragt. Darin habe ein neues Angebot des Beklagten nach § 150 Abs. 1 i.V.m. § 147 Abs. 1 S.1 BGB gelegen, welches sie, die Klägerin, mit der Auftragsbestätigung (Anlage K 3) unter Beifügung ihrer AGB angenommen habe. Dabei habe es sich um eine Annahme unter Änderungen und damit um ein neues Angebot i.S.v. § 150 Abs. 2 BGB gehandelt. Es komme insoweit nicht darauf an, ob dem Beklagten als Landwirt die VOB/B vertraut gewesen seien.

Danach seien die VOB/B bereits bei Vertragsschluss wirksam vereinbart gewesen. Ungeachtet dessen sei auch eine nachträgliche Einbeziehung der VOB/B möglich, was hier ebenfalls anzunehmen sei, da nachträglich zusätzliche Leistungen zum Hauptauftrag vereinbart worden seien, mithin eine Änderung des Hauptauftrages erfolgt sei. In diesem Zusammenhang sei auch die Geltung der VOB/B vereinbart worden, und zwar nicht nur für Nachtragsleistungen, sondern für den gesamten Vertrag. Zwar habe der Beklagte bestritten, dass der betreffende Hinweis auf der von ihm unterzeichneten Urkunde des Nachtrags vorhanden gewesen sei, hierzu seien die Parteien indes nur angehört und nicht vernommen worden, sodass Aussage gegen Aussage stehe. Insoweit sei ihrerseits auch Parteivernehmung beantragt worden. Dies sei nicht erfolgt, da zu ihren Gunsten unterstellt worden sei, dass der Hinweis auf dem Nachtrag enthalten gewesen sei.

Die Leistungen seien bislang auch nicht wirksam abgenommen worden. Hierzu seien ihrerseits mit Schriftsatz vom 29.07.2021 neue Sachverhalte vorgetragen worden, die erst in der mündlichen Verhandlung bekannt geworden seien. Der Prüfstatiker habe das Bauordnungsamt mit Schreiben vom 12.11.2014 (Anlage K 8) darüber informiert, dass für das Bauvorhaben Konstruktionszeichnungen gefehlt hätten und Zeichnungen abweichend von der geprüften Berechnung angefertigt worden seien und noch ein statischer Nachweis vorzulegen sei. Das Bauordnungsamt habe den Beklagten hierüber auch mit Schreiben vom 19.03.2015 (Anlage K 9) informiert. Mit Schreiben vom 20.04.2015 (Anlage K 10) habe der Beklagte die Klägerin aufgefordert, die Unterlagen beim Prüfstatiker einzureichen, was auch erfolgt sei (Anlage K 11). Hierzu habe sie, die Klägerin, in der Folge keine Informationen mehr erhalten. Erst aufgrund von Hinweisen im Verhandlungstermin habe sie den bauleitenden Architekten der Beklagten kontaktiert, der ihr am 29.07.2021 einen Kontrollbericht des Prüfstatikers vom 13.02.2018 übermittelt habe (Anlage K 12), der drei Beanstandungen an der Dachkonstruktion enthalte, die erheblich seien, da diese unmittelbar die Statik der Dachkonstruktion betreffen würden. Der Beklagte hätte in der Folge die Klägerin über das Prüfergebnis informieren und die Klägerin zur Durchführung der erforderlichen Maßnahmen auffordern müssen. Eine stillschweigende Abnahme komme nur in Betracht, wenn das Werk im Wesentlichen mangelfrei hergestellt sei. Im konkreten Fall hätten jedoch noch wesentliche Vertragsleistungen ausgestanden, sodass von einer konkludenten Abnahme nicht ausgegangen werden könne. Dem Beklagten sei aufgrund des Schriftverkehrs auch bekannt gewesen, dass wesentliche Leistungen noch nicht fertiggestellt gewesen seien. Mangels Abnahme sei die Schlussrechnung daher bis heute nicht fällig.

Der Schriftsatz vom 29.07.2021 sei – trotz Antrags in der mündlichen Verhandlung – vom Landgericht nicht nachgelassen worden. Der Kontrollbericht vom 13.02.2018 sei ausschließlich an den Beklagten und seinen Architekten übersandt worden. Hierüber habe sie, die Klägerin, keine Information erhalten, noch sei sie aufgefordert worden, die dort genannten Maßnahmen noch auszuführen. Sie habe daher davon ausgehen müssen, dass der Beklagte die Leistungen anderweitig beauftragt habe. Ihr sei aufgrund des Schriftverkehrs mit dem Bauordnungsamt im Jahr 2015 (Anlagen K 8 und K 9) bekannt gewesen, dass dem Beklagten andernfalls eine Nutzungsuntersagung drohe. Eine stillschweigende Abnahme, wie sie das Landgericht bejaht habe, komme nur in Betracht, wenn das Werk im Wesentlichen mangelfrei fertiggestellt sei. Sofern – wie hier – noch wesentliche Vertragsleistungen ausstünden, könne eine konkludente Abnahme regelmäßig nicht angenommen werden. Aufgrund des Schriftverkehrs zwischen dem vom Beklagten beauftragten Prüfstatiker von AMK vom 12.11.2014 (Anlage K 8), den Schreiben des Bauordnungsamts vom 05.02.2015 und 19.03.2015 (Anlage K 9), der E-Mail des Beklagten vom 20.04.2015 (Anlage K 10) und der E-Mail der S. Montage GmbH vom 12.10.2015 (Anlage K 11) sei dem Beklagten auch schon im November 2015 bekannt gewesen, dass wesentliche Leistungen noch nicht fertiggestellt gewesen seien. Unter diesen Umständen komme eine konkludente Abnahme zu diesem und auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht in Betracht.

Mangels Abnahme sei die Schlussrechnungsforderung daher bis heute nicht fällig, woraus der Hilfsantrag resultiere. Da der Werklohnanspruch der Klägerin nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B erst mit Übersendung einer prüffähigen Schlussrechnung fällig geworden sei und die Schlussrechnung vom 28.12.2017 (Anlage K 6) datiere, sei die am 12.12.2019 eingereichte Klage vor Eintritt der Verjährung erhoben worden.

Die Klägerin beantragt,

1. unter Abänderung des am 05.08.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Göttingen, Az. 8 O 50/20, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin EUR 166.629,38 nebst Zinsen hieraus von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.01.2019 sowie vorgerichtliche Kosten von EUR 2.415,90 (RA-Gebühr) nebst Zinsen hieraus von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht eine Abnahme der Leistungen der Klägerin durch den Beklagten verneint, beantragt die Klägerin unter Abänderung des am 05.08.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Göttingen, Az. 8 O 50/20, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin EUR 166.629,38 Zug um Zug gegen Ausführung der vom Prüfstatiker Dipl.-Ing. K. mit Kontrollbericht Nr. 8 vom 13.02.2018 (Anlage K 12) unter Ziffern 2.) bis 4.) festgelegten Leistungen zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sofern der Schriftsatz vom 29.07.2021 neuen Vortrag enthalte, sei dieser als verspätet zurückzuweisen. Der Schriftsatz vom 15.07.2021 beziehe sich ausschließlich auf die Themenkomplexe Einbeziehung der VOB/B und AGB. Selbst im Falle der Gewährung eines Schriftsatznachlasses wäre die Klägerin mit nicht auf diesen Schriftsatz bezogenem Sachverhalt präkludiert. Dies gelte insbesondere deshalb, weil sie noch in der Klageschrift ausdrücklich die Abnahme fordere.

Das Berufungsgericht sei auch an die Feststellungen des Landgerichts gebunden, in denen es heiße:

“Die Klägerin behauptet weiter, der Beklagte nutze das Objekt seit August 2015 ohne Beanstandung, ihre Leistung sei vertragsgerecht und mangelfrei – was unstreitig ist -.”

Er habe nicht davon ausgehen können und müssen, dass die Statik der Halle fehlerhaft gewesen sei und dies einen Mangel darstellen könne. Die Klägerin habe ihre Schlussrechnung gestellt und damit konkludent vorgetragen, dass ihr Werk mangelfrei, vollständig fertiggestellt und abgenommen sei. Dies entspreche auch dem Vortrag aus der Klageschrift. Er habe die Einrede der Verjährung auch bereits mit Schreiben vom 12.01.2018 erhoben und damit vor dem Kontrollbericht des Prüfstatikers vom 13.02.2018. Bis zu diesem Zeitpunkt sei ihm ein irgendwie gearteter Mangel an der Statik des Bauvorhabens gänzlich unbekannt gewesen.

Im Übrigen habe die Klägerin selbst ihre eigenen Eingaben an den Prüfingenieur gemäß Anlage K 11 nicht als abnahmehindernd gewertet, da sie andernfalls das Werk nicht schlussgerechnet und Zahlung verlangt hätte. Wenn beide Parteien das Werk für abnahmereif halten würden und eine konkludente Abnahme durch Inbenutzungnahme erfolge, könnten im Nachhinein bekannt gewordene Mängel daran nichts mehr ändern. Da die Klägerin die angeblich noch notwendigen Leistungen nicht ausgeführt habe, befände sich das Bauvorhaben nach deren Vortrag noch in der Erfüllungsphase. Gleichwohl habe die Klägerin die Schlussrechnung erstellt und Zahlung verlangt. Sie sei danach gehindert, sich auf den mit der Anlage K 12 vorgelegten Prüfbericht zu berufen. Diese Umstände hätten sich auch nicht erst nach dem Termin am 15.07.2021 ergeben.

Die VOB/B und die AGB der Klägerin seien nicht wirksam einbezogen worden. Auf den Rückseiten der Originalurkunden des Angebots vom 19.02.2012 sowie des Nachtrages vom 08.01.2014 seien die AGB der Klägerin nicht enthalten gewesen. Auch dürfte eine Einbeziehung der VOB/B durch AGB nicht möglich sein, da eine Vertragspartei nicht damit rechnen müsse, dass mit einseitig gestellten AGB weitere nicht vorgelegte AGB einbezogen werden sollten. Abgesehen davon könne eine nachträgliche rückwirkende Einbeziehung der VOB/B in ein laufendes Vertragsverhältnis durch das Nachtragsangebot nicht erfolgen. Soweit sich auf der von der Klägerin vorgelegten Anlage K 5 ein Zusatz befinde:

“Dieser Nachtrag gilt als Ergänzung zu AB-MR.2012-20004 v. 14.04.2013 in Verbindung mit der aktuell gültigen VOB und unseren umseitigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen”,

sei dies nachträglich aufgedruckt worden und habe sich auf dem von ihm, dem Beklagten, unterzeichneten Exemplar nicht befunden. Darüber hinaus bewirke allein der Abdruck der AGB auf der Rückseite der Auftragsbestätigung noch keine Einbeziehung. Diese sei auch kein neues Angebot gewesen. Bezogen auf die Auftragsbestätigung vom 14.04.2013 sei anzuführen, dass eine Vertragspartei auch nicht damit rechnen müsse, dass ohne ausdrücklichen Hinweis und ohne Erwähnung in dem Auftragstext selbst, bisher nicht vorgelegte, auf der Rückseite des Auftrags verkehrt herum aufgedruckte AGB wirksamer Vertragsbestandteil werden, welche wiederum einen Verweis auf weitere AGB, nämlich die VOB/B, enthalten.

Da ein Hinweis auf die AGB nicht vorhanden sei, sei keine wirksame Einbeziehung der AGB erfolgt. Eine Geltung von AGB durch unkommentiertes, nachträgliches Unterschieben eines Textes auf der Rückseite einer Auftragsbestätigung – womit er auch nicht habe rechnen müssen – komme nicht in Betracht. Darüber hinaus sei auch zu beachten, dass er Landwirt sei und kein Kaufmann. Die Rechtsprechung für kaufmännische Bestätigungsschreiben sei daher auf ihn nicht anwendbar. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass er gewerblich Landwirtschaft betreibe. Er sei auch kein Bauunternehmer.

Soweit die Klägerin nunmehr vortrage, dass das Bauvorhaben mangelhaft und nicht abnahmereif sei, setze sich diese damit in Widerspruch zu ihrem erstinstanzlichen Vortrag. Gründe, der verspätete klägerische Vortrag nachträglich zuzulassen wäre, seien nicht ersichtlich. Insbesondere sei nicht ersichtlich, warum die Klägerin hierzu nicht schon in der Klageschrift hätte vortragen können. Die angeblichen Mängel des Bauvorhabens seien der Klägerin selbst durch das von ihr beauftragte Unternehmen S. Montage GmbH bereits seit dem Jahr 2015 bekannt. Gleichwohl habe diese konkludent durch Stellung der Schlussrechnung und ausdrücklich in der Klageschrift Abnahmereife und Abnahme des Baus behauptet, was nur als unlauter bezeichnet werden könne. Für ihn habe es sich so dargestellt, dass zwar noch Unterlagen nachzureichen gewesen seien, aber an der Vollständigkeit und Abnahmereife der Werkleistungen der Klägerin kein Zweifel bestanden habe. Er habe nach Abschluss der Arbeiten bis zur Stellung der Schlussrechnung nichts weiter von der Klägerin gehört. Ihm hätten keine Erkenntnisse vorgelegen, wonach Mängel vorliegen würden. Solche hätte er ansonsten gegenüber der Klägerin gerügt.

Auch der Hilfsantrag sei unbegründet. Es sei keine Rechtsgrundlage ersichtlich, wonach er zur Zahlung Zug um Zug verpflichtet sein sollte.

Die Klägerin hat hierauf mit Schriftsatz vom 13.01.2021 erwidert und weiter vorgetragen, dass sie keinesfalls schon im Jahr 2015 von einer Fertigstellung und damit einer konkludenten Abnahme ihrer Leistungen ausgegangen sei. Grund sei, dass sie angenommen habe, dass sie noch im Jahr 2016 aus ihrer Sicht wesentliche Leistungen erbracht habe. Zum anderen sei sie jedenfalls bis Ende 2017 davon ausgegangen, dass noch statische Ertüchtigungen der Stahlkonstruktion notwendig seien. Ihre Nachunternehmerin, die mit der kompletten Statik beauftragte S. Montage GmbH, habe vom Prüfstatiker geforderte Unterlagen bei diesem eingereicht. Sie habe in der Folge auf eine Reaktion oder Information des Beklagten zum Ergebnis der geprüften statischen Nachträge und der daraus noch erforderlichen Arbeiten gewartet. Nachdem sie im gesamten Jahr 2016 und 2017 hierzu nichts mehr gehört habe, sei sie Ende 2017 davon ausgegangen, dass der Beklagte die Arbeiten, die sich aus ihrer Sicht aus den Nachforderungen des Prüfstatikers von 2015 noch ergeben mussten, anderweitig beauftragt hatte. Aufgrund dieses aus ihrer Sicht bis dahin offenen Punktes habe sie die Schlussrechnung erst am 28.12.2017 gestellt. Es habe damit im Jahr 2015 an einer Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis einer vom Landgericht angenommenen konkludenten Abnahme gefehlt, erst Ende 2017 sei sie davon ausgegangen, dass die Leistungen fertig gestellt sein mussten.

Die Verjährungsfrist habe danach frühestens am 31.12.2017 zu laufen begonnen. Ausgehend von einer wirksamen Vereinbarung der VOB/B, gelte die Leistung nach § 12 Nr. 5 Abs. 1 VOB/B als am 12.01.2018 abgenommen. Andernfalls ergebe sich die Abnahme aus § 640 Abs. 1 S. 3 BGB. Mit Schriftsatz vom 12.12.2019 habe sie den Beklagten aufgefordert, die Abnahme spätestens innerhalb von 14 Kalendertagen nach Zustellung der Klage zu erklären, worauf der Beklagte nicht reagiert habe. Die Leistung sei daher nach Zustellung spätestens seit 30.01.2020 abgenommen.

Der Beklagte hat mit weiterem Schriftsatz vom 25.01.2022 entgegnet, dass die Klägerin mit der Klageschrift selbst vorgetragen habe, dass sie davon ausgegangen sei, dass ihre Leistung mangelfrei und vollständig erbracht sei, der Beklagte diese ohne Beanstandungen nutze. Daraus gehe eindeutig hervor, dass die Klägerin vollständige Kenntnis der Umstände gehabt habe, welche die konkludente Abnahme begründeten, und dies auch bereits im Jahr 2015. Diese Kenntnis ergebe sich auch daraus, dass die Klägerin ihre Schlussrechnung erteilt habe. Wenn die Klägerin im Jahr 2017 der Ansicht gewesen sei, dass die Schlusszahlung fällig sei, müsse ihr dies auch schon im Jahr 2015 klar gewesen sein, jedenfalls müssten ihr die den Anspruch begründenden Umstände, nämlich vollständige mangelfreie Leistungserbringung und konkludente Abnahme, bekannt gewesen sein. Ansonsten hätte sie vor Stellung der Schlussrechnung noch weitere Arbeiten ausführen oder ihn zu einer irgendwie gearteten Mitwirkung auffordern müssen. Dies habe die Klägerin jedoch nicht getan. Erst im Verlauf des Rechtsstreits habe die Klägerin plötzlich abweichend von ihren Ausführungen aus der Klageschrift behauptet, dass ihre Leistungen weder abgenommen noch vollständig seien. Neuer Vortrag aus dem nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin vom 29.07.2021 sei als verspätet zurückzuweisen. Die mit dem Bericht vom 13.02.2018 (Anlage K 12) vorgelegte Beanstandung könne die Abnahme im Jahr 2015 nicht gehindert haben. Er habe vielmehr davon ausgehen dürfen, dass die Angelegenheit durch die Anlage K 11 ihre Erledigung gefunden habe. Die Klägerin habe auch keinen Antrag auf Tatbestandsberichtigung gestellt, es sei daher von den Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil auszugehen.

Zu diesem Vorbringen des Beklagten hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 16.03.2022 ergänzend Stellung genommen und weiter vorgetragen, dass sie zum Zeitpunkt der Klageerhebung tatsächlich davon ausgegangen sei, dass ihre Leistung mangelfrei und vertragsgerecht sei. Dies sage aber nichts darüber aus, wann sie von einer konkludenten Abnahme ausgegangen sei. Der Vortrag zur Abnahmereife sei – wie mit Schriftsatz vom 29.07.2021 dargetan – nicht verspätet. Der Beklagte trage die Beweislast dafür, dass sie, die Klägerin, bereits im Jahr 2015 Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt habe. Dazu sei nichts vorgetragen, das bloße Bestreiten reiche nicht aus.

Auf den vom Senat in der mündlichen Verhandlung gewährten Schriftsatznachlass hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 04.05.2022 ausgeführt, dass auf den streitgegenständlichen Werkvertrag das BGB i.d.F. vor dem 01.01.2018 anzuwenden sei. Ausgehend von der Annahme, dass das Werk wegen der noch vorzunehmenden Ertüchtigungsmaßnahmen noch nicht fertiggestellt sei, fehle es nach wie vor an einer Abnahme. Hilfsweise hat sich der Beklagte auf die Geltung der VOB/B berufen. Nach § 12 Abs.5 VOB/B sei danach im Jahr 2015 eine Abnahme eingetreten. Auf das Erfordernis der Stellung einer Schlussrechnung könne sich der Kläger nicht berufen, da die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden sei. Die zusätzlich vereinbarten AGB der Klägerin würden in vielfacher Hinsicht von wesentlichen Regelungen der VOB/B abweichen, sodass AGB und VOB/B der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegen würden. § 16 Abs.3 Nr. 1 VOB/B sei daher zugunsten des Beklagten unwirksam. Die Klägerin handele auch rechtsmissbräuchlich, da sie ihren Anspruch in der Klageschrift mit der Mangelfreiheit ihres Werkes, später dagegen mit einer fiktiven Abnahme trotz bekannter schwerwiegender Baumängel begründe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat die Parteien ergänzend angehört. Insoweit wird auf das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 07.04.2022 (Bl. 249 – 252 d. A.) verwiesen.

B.

Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.

I.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Werklohns in Höhe von 166.629,38 Euro gem. § 631 Abs. 1 BGB a. F. zu.

1. Zwischen den Parteien ist im Jahr 2013 ein wirksamer Werkvertrag gem. § 631 BGB über die Errichtung eines Milchviehstalls zustande gekommen. So übersandte die Klägerin dem Beklagten zunächst ein auf den 29.02.2012 datierendes Angebot. Über dieses Angebot verhandelten die Parteien am 03.04.2012 und es erfolgte die handschriftliche Abänderung verschiedener Positionen. Anfang des Jahres 2013 kam es dann auf Basis der Verhandlungen vom 03.04.2012 zur Auftragserteilung durch den Beklagten über die Errichtung des Stalls zu einem Betrag von 339.519 Euro, die die Klägerin mit Auftragsbestätigung vom 14.04.2013 schriftlich bestätigte. Eine Ende 2013/Anfang 2014 vereinbarte Änderung der Dacheindeckung und weitere zusätzliche Kosten hierfür i.H.v. 40.000 Euro wurde mit Nachtragsvereinbarung vom 08.01.2014 fixiert. Daneben vereinbarten die Parteien die weiteren in der Schlussrechnung vom 28.12.2017 aufgeführten Nachträge – wegen deren Einzelheiten auf die Schlussrechnung Bezug genommen wird – über insgesamt 8.783 Euro. Für das Schuldverhältnis gilt gem. Art. 229, § 39 EGBGB das BGB in der bis zum 01.01.2018 geltenden Fassung.

Unter Abzug der auf Grundlage dieser vertraglichen Vereinbarungen erfolgten Teilzahlungen von insgesamt 248.277,31 Euro (netto) auf den Gesamtbetrag i.H.v. 388.302 Euro (brutto) verbleibt – wie von der Klägerin geltend gemacht – der zuerkannte Restbetrag von 166.629,38 Euro (brutto).

2. Der restliche Werklohnanspruch ist auch durchsetzbar. Die Forderung ist fällig (a.), dem Beklagten steht auch kein Leistungsverweigerungsrecht zu (b.):

a. Die Vergütung der Klägerin ist gemäß § 641 Abs. 1 BGB fällig. Der Beklagte hat das Werk im Jahr 2018 konkludent abgenommen.

aa. Eine Abnahme kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent, d. h. durch schlüssiges Verhalten des Auftraggebers, erklärt werden. Konkludent handelt der Auftraggeber, wenn er dem Auftragnehmer gegenüber ohne ausdrückliche Erklärung erkennen lässt, dass er dessen Werk als im Wesentlichen vertragsgerecht billigt. Erforderlich ist ein tatsächliches Verhalten des Auftraggebers, das geeignet ist, seinen Abnahmewillen dem Auftragnehmer gegenüber eindeutig und schlüssig zum Ausdruck zu bringen. Ob eine konkludente Abnahme vorliegt, beurteilt sich grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BGH, Urt. v. 20.02.2014 – VII ZR 26/12, Tz. 15 – BauR 2014, 1023). Dabei kann eine konkludente Abnahme im Regelfall nur angenommen werden, wenn alle vertraglich geschuldeten Leistungen erbracht sind (vgl. BGH, a.a.O., Tz. 18). Die Vollendung des Werks ist jedoch nicht ausnahmslos Voraussetzung für eine konkludente Abnahme, da es stets maßgeblich darauf ankommt, ob nach den gesamten Umständen das Verhalten des Auftraggebers vom Auftragnehmer dahin verstanden werden kann, er billige die erbrachte Leistung als im Wesentlichen vertragsgerecht (vgl. BGH, a.a.O., Tz. 18). Eine konkludente Abnahme kommt dementsprechend in Betracht, wenn das Werk jedenfalls nach den Vorstellungen des Auftraggebers im Wesentlichen mangelfrei fertiggestellt ist und der Auftragnehmer das Verhalten des Auftraggebers als Billigung seiner erbrachten Leistung als im Wesentlichen vertragsgerecht verstehen darf (vgl. Jurgeleit in: Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., 3. Teil Rn. 54). Darüber hinaus stehen Mängel einer konkludenten Abnahme nur dann entgegen, wenn der Unternehmer wegen ihres Vorliegens oder vom Besteller behaupteten Vorliegens nicht davon ausgehen kann, der Besteller würde das Werk als im Wesentlichen vertragsgemäß hergestellt hinnehmen. Hiervon kann regelmäßig nur ausgegangen werden, wenn die Mängel den Vertragsparteien bekannt bzw. durch den Besteller gerügt sind. Unbekannte Mängel stehen einer konkludenten Abnahme daher grundsätzlich nicht entgegen (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 05.07.2012 – 12 U 231/11 -; OLG München, Urteil vom 10.11.2015 – 9 U 4218/14, Tz. 42 – BauR 2016, 846; Oppler in Ingenstau/Korbion, VOB, 20. Auflage, § 12 Abs. 1 VOB/B Rd-Nr. 15). Es kommt nicht darauf an, ob tatsächlich Mängel bestehen, sondern darauf, ob der Auftragnehmer annehmen darf, dass aus der Sicht des Auftraggebers das Werk im Wesentlichen mängelfrei hergestellt ist, etwa weil sich Mängel noch nicht gezeigt haben und er durch sein Verhalten die Billigung des Werkes zum Ausdruck gebracht hat (vgl. OLG München, a.a.O., Tz. 43; Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage, 3. Teil, Rn. 52).

bb. Nach diesen Maßstäben kommt eine konkludente Abnahme zwar nicht durch die rügelose Ingebrauchnahme ab 2015 in Betracht, allerdings nach Vorlage des Prüfberichts des Prüfstatikers im Jahr 2018 sowie Vornahme der notwendigen Ertüchtigungsmaßnahmen in Eigenleistung durch den Beklagten und rügeloser Weiternutzung. Im Einzelnen:

Zwar nutzte der Beklagte das Objekt durch Ingebrauchnahme des Werks im Jahr 2015 ohne Beanstandungen. Aber vorliegend war das Werk zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertiggestellt, denn es fehlten noch Konstruktionszeichnungen und ein statischer Nachweis. Zudem waren aus statischen Gründen noch Ertüchtigungsmaßnahmen erforderlich. Die Klägerin konnte daher nicht davon ausgehen, dass der Beklagte das Werk als vertragsgemäß hinnimmt.

(a.) Ausweislich des Schreibens vom 12.11.2014 (Anlage K 8) ergab eine Prüfung des Prüfstatikers, dass noch die Konstruktionszeichnungen fehlten. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass für die geänderte Dacheindeckung und die Pfetten noch ein statischer Nachweis zur Prüfung vorzulegen sei. Auf das Schreiben des Landkreises Göttingen an den Beklagten am 19.03.2015 (Anlage K 9) unter Hinweis auf das Fehlen der Konstruktionspläne und Nachweise über die geänderte Dacheindeckung forderte dieser die Klägerin am 20.04.2015 (Anlage K 10) auf, die Unterlagen beizubringen. Auf Grundlage dieser Korrespondenz war offenbar, dass noch maßgebliche – von der Klägerin auch vertraglich geschuldete – Leistungen fehlten, nämlich die Erstellung bzw. Einreichung der Pläne und statische Nachweise. Der durch die Firma S. Montage GmbH in der Folge erstellte Nachtrag zur Statik ergab überdies, dass noch Ertüchtigungsmaßnahmen durchzuführen waren. Die Klägerin, der die Forderung der Prüfstatiker, die statischen Berechnungen der S. Montage GmbH und das Erfordernis weiterer Ertüchtigungsmaßnahmen bekannt waren, konnte vor diesem Hintergrund nicht davon ausgehen, dass der Beklagte das Werk als im Wesentlichen vertragsgemäß hergestellt hinnehmen würde. Dies gilt gerade auch angesichts des Umstandes, dass sich aus dem der Klägerin zur Kenntnis gelangten Schriftverkehr ergab, dass die Vorlage der vom Landkreis geforderten Unterlagen für die Erlangung einer behördlichen Genehmigung erforderlich war bzw. andernfalls eine Nutzungsuntersagung drohte. Ferner folgte aus dem Nachtrag der S. Montage GmbH, dass die Statik der Ertüchtigung bedurfte. Der Beklagte hatte die Klägerin zudem auch mit E-Mail vom 20.04.2015 ausdrücklich zur Beibringung der von den Prüfstatikern geforderten Unterlagen aufgefordert. Zudem stand noch nicht fest, ob der von der Firma S. Montage GmbH erstellte Nachtrag zur Statik und die vorgeschlagenen Ertüchtigungsmaßnahmen von Seiten der Prüfstatiker gebilligt werden würden. Dafür, dass der Beklagte zu diesem Zeitpunkt dieses noch bestehende “Prüfungsrisiko” für die ordnungsgemäße Statik der Halle hat übernehmen wollen, gab es – auch aus Sicht der Klägerin – keine Anhaltspunkte.

(b.) Der vorstehend aufgeführte, sich aus den mit Schriftsatz vom 29.07.2021 eingereichten Anlagen K 8 ff. ergebende, Sachverhalt ist auch noch im Berufungsverfahren zuzulassen. Dieser folgt bereits aus den eingereichten Kopien der Schreiben und vorgelegten Ausdrucke von E-Mails. Zwischen den Parteien, die ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände gem. § 138 ZPO vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben haben, ist der in den vorgenannten Schriftstücken verkörperte Sachverhalt auch nicht streitig. Der Beklagte hat hierzu – in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat persönlich angehört – auch noch verschiedene Umstände ergänzt, so etwa, dass er aufgrund des Schreibens des Landkreises vom 19.03.2015 (Anlage K 9) seinen Architekten angerufen habe und sich dieser um die Angelegenheit habe kümmern sollen. Er hat von der Prüfung durch den Prüfstatiker berichtet und wie die von diesem angeordneten Ertüchtigungsmaßnahmen umgesetzt worden sind. Im Berufungsrechtszug nicht (mehr) bestrittene oder unstreitig gestellte Tatsachen sind keine neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel iSv § 531 Abs. 2 ZPO und damit der Präklusion entzogen (vgl. BGH, Beschluss vom 9.10.2014 – V ZB 225/12, Tz.8 – NJW-RR 2015, 465; BGH, Beschluss vom 23. 6. 2008 – GSZ 1/08, Tz. 10 – NJW 2008, 3434; BGH, Beschluss vom 12.10.2021 – VI ZB 76/19, Tz.7 – NJW-RR 2021).

Der Berücksichtigung des Sachverhalts steht daher auch nicht § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO entgegen. Darüber hinaus begründen die vorgelegten Anlagen sowie die ergänzenden Angaben der Parteien Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Im Übrigen ist die Feststellung von Tatsachen abzugrenzen von deren rechtlicher Wertung, etwa der Vertragsgemäßheit einer Werkleistung. Die rechtliche Wertung unterliegt der uneingeschränkten Überprüfung durch das Berufungsgericht.

(2.) Eine konkludente Abnahme ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil die Klägerin vorgetragen hat, dass sie vor Stellung der Schlussrechnung im Jahr 2017 davon ausgegangen sei, dass der Beklagte nunmehr die notwendigen Ertüchtigungsarbeiten an dem Dach habe anderweitig vornehmen lassen. Denn dem Verhalten des Beklagten kann nach den dargestellten Maßstäben dieser Erklärungswert nicht beigemessen werden. Der Klägerin war der wesentliche Mangel weiterhin bekannt. Außer dem zum Zeitpunkt der Stellung der Schlussrechnung eingetretenen Zeitablauf hatte sich die Situation nicht verändert. Umstände, aufgrund derer hätte angenommen werden können, dass tatsächlich die notwendigen Ertüchtigungsmaßnahmen vorgenommen worden sind, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Es bestand hier weiterhin die Situation, dass noch wesentliche Vertragsleistungen ausstanden bzw. das Werk so noch wesentliche Mängel aufwies, sodass von einer konkludenten Abnahme nicht ausgegangen werden konnte. Es ist bei der Prüfung einer Willenserklärung durch konkludentes Verhalten auch zu bedenken, dass mit der Abnahme erklärt wird, dass die Leistung im Wesentlichen vertragsgerecht erbracht ist. Ist das nicht der Fall, weil – wie hier zu unterstellen ist – noch eine wesentliche Vertragsleistung fehlt, führt die Annahme einer konkludenten vorbehaltlosen Abnahme dazu, dass nicht nur alle Folgen der Abnahme eintreten, sondern der Auftraggeber auch noch Ansprüche wegen wesentlicher Mängel gemäß § 640 Abs. 2 BGB nicht mehr durchsetzen kann. Dass dem Verhalten des Beklagten in dieser konkreten Situation ein derartiger Erklärungswert beigemessen werden kann, ist – wie ausgeführt – nicht anzunehmen.

(3.) Eine konkludente Abnahme durch den Beklagten ist jedoch dadurch erfolgt, dass er, nachdem der Prüfstatiker mit Bericht vom 13.02.2018 die noch erforderlichen Ertüchtigungsmaßnahmen aufführte und anordnete, diese selbst vornahm und das Werk der Klägerin ohne Mängel zu rügen weiter nutzte. Dass zu diesem Zeitpunkt noch keine Abnahme nach öffentlichem Recht durch die zuständige Fachbehörde stattgefunden hatte, steht dem nicht entgegen. Denn auf Grundlage des vorgenannten Sachverhalts ist anzunehmen, dass der Beklagte die Leistung der Klägerin (nunmehr) als vertragsgerecht billigte und damit abgenommen hat, was nicht identisch ist mit der Abnahme nach öffentlichem Recht. Zu diesem Zeitpunkt stand nämlich durch den Kontrollbericht des Prüfstatikers fest, welche Maßnahmen – auch aus Sicht der für die öffentlich- rechtlich zulässige Nutzung maßgeblichen Stelle – noch zu treffen waren. Diese hat der Beklagte selbst ergriffen, wobei er die durchgeführten Maßnahmen dahingehend konkretisiert hat, dass lediglich ein Umbau von Verstrebungen habe stattfinden müssen. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte zudem durch einen Architekten beraten, der den Kontrollbericht ebenfalls erhalten hatte.

(4.) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist eine Abnahme – die Geltung der VOB/B für das Vertragsverhältnis unterstellt – nicht bereits zuvor gemäß § 12 Abs. 5 VOB/B nach Ablauf von 6 Werktagen nach Beginn der Benutzung des Werks eingetreten. Denn diese Regelung wäre nicht wirksam einbezogen worden. Der Beklagte handelte bezogen auf das streitgegenständliche Rechtsgeschäft als Unternehmer. Unternehmer ist gem. § 14 Abs. 1 BGB unter anderem eine natürliche Person, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Dies war vorliegend der Fall, denn der Werkvertrag bezog sich auf einen zu errichtenden Stall und betraf damit unmittelbar die gewerbliche Tätigkeit des Beklagten als Landwirt. Die Abnahmefiktion des § 12 Abs. 5 VOB/B kann nach § 310 Abs. 1 S. 3 BGB gegenüber einem Unternehmer nur dann Abnahmewirkungen herbeiführen, wenn die VOB/B als Ganzes vereinbart worden ist und sie gegenüber einem Unternehmer verwendet wird. In allen anderen Fällen unterliegt die VOB/B einer Inhaltskontrolle. Dabei führt jede inhaltliche Abweichung von der VOB/B dazu, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist und in ihrer Gesamtheit einer Inhaltskontrolle unterzogen ist. Dabei kommt es nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff hat (BGH, Urteil vom 22.01.2004 – VII ZR 419/02, Tz. 11 – BauR 2004, 668; BGH, Urteil vom 15.04.2004 – VII ZR 129/02, Tz. 11 – BauR 2004, 1142). Die Regelungen der VOB/B sind nach den Vertragsbedingungen der Klägerin nicht i.S.v. § 310 Abs. 1 S. 3 BGB ohne inhaltliche Abweichung insgesamt einbezogen und damit nicht privilegiert. § 12 Abs. 5 VOB/B ist auch gegenüber einem Unternehmer – hier dem Beklagten – mit § 307 BGB nicht vereinbar (vgl. Peters in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2019, § 640 Rn. 71 m.w.N.; vgl. auch: Bröker in: Beck’scher VOB-Kommentar, Teil B, 3. Auflage 2013, VOB/B § 12 Abs. 5 [Fiktive Abnahme], Rn. 5a).

(5.) Ob neben einer Abnahme der Zugang einer prüfbaren Schlussrechnung weitere Fälligkeitsvoraussetzung gem. § 16 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B war, kann dahinstehen. Eine Abnahme ist durch den Beklagten wie dargestellt erfolgt, darüber hinaus hat die Klägerin jedenfalls unter dem 28.12.2017 unstreitig eine Schlussrechnung erstellt und dem Beklagten übermittelt.

b. Der danach fällige Anspruch der Klägerin ist weder verjährt, noch stellt dessen Geltendmachung eine unzulässige Rechtsausübung dar.

aa. Der Anspruch der Klägerin ist nicht verjährt. Der Beklagte hat mit Schreiben vom 12.01.2018 (Anlage K 13) und durch seinen Prozessbevollmächtigten mit der Klageerwiderung die Einrede der Verjährung erhoben. Diese greift jedoch nicht durch. Nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist wenn der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Davon, dass der Prüfstatiker die Halle vor Ort geprüft und einen Prüfbericht erstellt hatte sowie vom Inhalt des Prüfberichts und der Selbstvornahme durch den Beklagten, hat die Klägerin unstreitig erst nach Erhebung der Klage im Verfahren Kenntnis erlangt. Die Verjährung ist bereits zuvor durch Erhebung der Klage auf Leistung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden. Es kommt danach auch an dieser Stelle nicht darauf an, ob zwischen den Parteien die VOB/B wirksam einbezogen worden sind oder ein BGB-Werkvertrag vorliegt.

bb. Dem Werklohnanspruch kann der Beklagte auch nicht § 242 BGB entgegen halten. Eine unzulässige Rechtsausübung ist jede Geltendmachung eines “an sich” gegebenen Rechts und jede Ausnutzung einer “an sich” bestehenden günstigen Rechtsposition oder Rechtslage im Widerspruch zu den Anforderungen von § 242 BGB (vgl. Mansel in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 18. Auflage 2021, § 242 Rn. 32). Unzulässige Rechtsausübung umfasst in ihrem Kernbereich die Fälle der missbräuchlichen Geltendmachung von subjektiven Rechten und Einreden (vgl. Mansel a.a.O. Tz. 34). Das Vorliegen eines solchen Sachverhalts ist seitens des Beklagten nicht dargetan. Bereits vor Erhebung der Klage im Jahr 2019 hatte der Beklagte selbst Kenntnis davon, dass seitens der Genehmigungsbehörde noch Konstruktionszeichnungen und ergänzende statische Nachweise gefordert wurden und dass – auch nach Einschätzung der Prüfstatiker – noch Ertüchtigungsmaßnahmen erforderlich waren. Zunächst hat weder die Klägerin im Verfahren den ihr bekannten vollständigen Sachverhalt vorgetragen, noch der Beklagte. Die Klägerin hat im weiteren Verlauf des Verfahrens schließlich ihrerseits bereits vor der mündlichen Verhandlung am 11.02.2021 ihr Vorbringen ergänzt und mit Schriftsätzen vom 04.03.2020 sowie vom 02.09.2020 auf von ihr auf Anforderung des Prüfstatikers nachgereichte statische Nachweise hingewiesen und ausgehend davon die Rechtsauffassung vertreten, dass es 2015 an den Grundlagen für eine Abnahme durch schlüssiges Verhalten gefehlt habe, da die Statik noch unvollständig gewesen sei. Dieses Verhalten begründet keine unzulässige Rechtsausübung.

II.

1. Der Klägerin stehen darüber hinaus Verzugszinsen gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 S.1 BGB seit dem 01.03.2019 zu. Die Klägerin hat dem Beklagten nach Eintritt der Fälligkeit mit anwaltlichem Schreiben vom 18.12.2018 (vgl. Anlage 7) eine Nachfrist zur Zahlung der restlichen Werklohnforderung bis zum 02.01.2019 gesetzt. Der Beklagte befindet sich mit der Zahlung daher seit dem 03.01.2019 im Verzug. Der Verzugszinssatz beläuft sich gem. § 288 Abs. 2 BGB i.d.F. v. 02.01.2002 i.V.m. Art. 229, § 34 EGBGB auf 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Bei der geltend gemachten Werklohnforderung handelt es sich auch um eine Entgeltforderung im Sinne von § 288 BGB, an dem streitgegenständlichen Rechtsgeschäft ist ferner kein Verbraucher beteiligt gewesen. Da das Schuldverhältnis vor dem 28.07.2014 entstanden ist, war auf dieses § 288 BGB in der Fassung vom 02.01.2002 anzuwenden.

2. Die Klägerin kann dagegen nicht mit Erfolg vorgerichtliche anwaltliche Kosten geltend machen. Ein Schaden in Form der Rechtsanwaltskosten ist erst dann entstanden, wenn der Mandant einem einforderbaren Zahlungsanspruch seines Prozessbevollmächtigten ausgesetzt ist und er die entsprechenden Anwaltskosten auch bezahlt hat (vgl. OLG Celle, Urteil v. 20.11.2013 – 3 U 65/13 -).

a. Voraussetzung eines solchen Zahlungsanspruchs ist eine dem Mandanten zugegangene ordnungsgemäße anwaltliche Vergütungsrechnung gemäß § 10 RVG (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 22. Aufl., § 10 Rn. 4). Ohne diese Berechnung ist der Auftraggeber nicht zur Zahlung gegenüber seinem Rechtsanwalt verpflichtet (vgl. Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 10 Rn. 3; Gerold/Schmidt/Burhoff, a. a. O., Rn. 22). Eine entsprechende Zahlungsklage des Rechtsanwalts müsste abgewiesen werden (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, a. a. O., Rn. 30; Schneider/Wolf, RVG, 6. Aufl., § 10 Rn. 86 ff). Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass ihr von Seiten ihres Prozessbevollmächtigten eine entsprechende Honorarrechnung erteilt worden sei. Ein entsprechender Vortrag ist auch nicht entbehrlich (vgl. OLG Celle, a. a. O.).

b. Ferner hat die Klägerin auch nicht vorgetragen, auf eine etwaige Anwaltshonorarrechnung eine Zahlung geleistet zu haben, so dass es an einem Vortrag zu einem bereits eingetretenen Schaden fehlt. Einen Antrag auf Freistellung von den Rechtsanwaltskosten hat sie nicht gestellt. Der Senat ist nach § 139 Abs. 2 S. 1 ZPO auch nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin auf ihren nicht genügenden Sachvortrag hinzuweisen, weil insofern eine Nebenforderung vorliegt.

C.

I.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

II.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 S.1, 709 S.2, 711 ZPO.

III.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO, liegen nicht vor.

IV.

Der Festsetzung des Berufungsstreitwertes liegen § 3 ZPO und §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG zugrunde.

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