Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt

Fliesenleger muss für Staubschutz Sorge tragen

Fliesenleger muss für Staubschutz Sorge tragen

von Thomas Ax

Das Oberlandesgericht Bamberg hat die Verurteilung eines Fliesenlegers auf Schadensersatz bestätigt, der im laufenden Betrieb eines Modeladens dort Arbeiten durchführte und keinen Staubschutz aufstellte. Wegen der erheblichen Staubentwicklung, die der Fliesenleger nicht unterbunden und gegen die er keine Schutzmaßnahmen ergriffen hatte, sind sämtliche Textilien im Ladengeschäft durch Staub so verschmutzt, dass sie nicht mehr verkauft werden können. Die Ladeninhaberin macht den Warenschaden und den Schaden für ein Jahr Betriebsschließung, die zur Beweissicherung erforderlich gewesen sei, geltend. Das Oberlandesgericht weist die einen Schaden von Euro 50.000,00 übersteigende Klage zwar ab, da die Unternehmerin den Schaden nicht dargelegt und bewiesen hat. In Höhe der freiwillig bezahlten Euro 50.000,00 stellte das Oberlandesgericht aber fest, dass der Unternehmer verpflichtet ist, das Eigentum des Bestellers bei Durchführung der zur Vertragserfüllung erforderlichen Arbeiten vor vermeidbaren Schäden zu bewahren und geeignete Schutzvorkehrungen zu ergreifen. Das hat der Fliesenleger im vorliegenden Fall nicht getan, weshalb er zu Recht zu Schadensersatz verurteilt wurde. Eine von der Haftungsfrage zu unterscheidende Frage ist, ob der Fliesenleger, wenn er auf die Notwendigkeit von Staubschutzmaßnahmen hingewiesen hätte, hierfür eine zusätzliche Vergütung hätte verlangen können oder nicht. Da kommt es auf den Einzelfall an. Handwerker werden im Idealfall, wenn sie eine Ausschreibung für die Durchführung von Arbeiten im laufenden Betrieb bekommen, darauf hinweisen, sofern Schutzmaßnahmen nicht ausgeschrieben sind, dass diese notwendig sind, um die Ware zu schützen und nicht Bestandteil des Angebots sind.

OLG Bamberg, Beschluss vom 14.04.2021 – 3 U 319/20

Von der Redaktion

Von der Redaktion

Bauprojekte stellen für alle Beteiligten in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung dar: technisch, praktisch, wirtschaftlich, aber auch juristisch. Durch kompetente baubegleitende Informationsvermittlung sorgen wir dafür, dass Investoren, Architekten, Ingenieure, öffentliche Auftraggeber oder private Bauherren in allen Phasen eines Bauvorhabens den Überblick behalten.

Bereits bei der Schaffung von Baurecht stehen wir Ihnen zur Seite. Liegt der Baugrund im Bereich eines qualifizierten Bebauungsplans? Sind besondere Auflagen zu erfüllen, wie etwa die Einholung eines Bodengutachtens? Entspricht die Baumaßnahme den öffentlichen rechtlichen Vorschriften bzw. der Landesbauordnung? Diese und viele weitere Fragen sollten in der Vorbereitungsphase beantwortet werden.

Bereits vor Beginn eines Bauvorhabens ist die schriftliche Regelung aller wichtigen Details für die Beteiligten von herausragender Bedeutung. Doch schon die Auswahl des richtigen Vertrags stellt die Parteien vor besondere Herausforderungen, denn das Baurecht hält eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Vertragsarten bereit. Die Vermeidung möglicher Konflikte steht dabei im Vordergrund, denn ein möglichst reibungsarmer Verlauf, der wichtige Ressourcen wie Zeit, Geld und letztlich auch die Nerven schont, ist der zentrale Erfolgsfaktor für ein Bauvorhaben. In der Planungsphase folgt unter anderem die Vertragsgestaltung. Neben den klassischen Verträgen (GÜ-, GU-, EP- oder Pauschalpreisvertrag) unterstützen wir individuelle und innovative Vertragsmodelle, in denen funktionale Elemente ebenso Berücksichtigung finden können wie eine detaillierte Leistungsbeschreibung. Daneben werden auch neuere Formate wie etwa GMP- oder Cost plus Fee-Verträge in den Blick genommen. Bauunternehmen, Architekten und Ingenieure vertrauen auf unsere baubegleitende Unterstützung. Wir unterstützen bei der Vertragsgestaltung, der Bewertung von Nachtragsforderungen und der Klärung von Ansprüchen des Bauherrn bei mangelhaften Bauleistungen sowie in Fragen des eigenen Haftungsrisikos.

Mit uns kommen Sie zügig und (rechts-)sicher an Ihr Ziel.

Können sich streitende Parteien nicht außergerichtlich einigen, kommt es zur gerichtlichen Auseinandersetzung. Aufgrund der häufig sehr komplexen Sachlage ist auch im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren rund um baurechtliche Fragen das entscheidende KnowHow erforderlich.

Bleiben Sie auf dem Laufenden und abonnieren Sie jetzt unsere monatliche Zeitschrift.

Kurz belichtet – Öffentliches BauRecht – Entscheidungspraxis

Kurz belichtet – Öffentliches BauRecht - Entscheidungspraxis

Öffentliches Baurecht

Abstandsflächen eingehalten: Nachbar muss Verschattung hinnehmen!

VGH Bayern, Beschluss vom 09.08.2022 – 15 CS 22.136411.

1. Gewisse Verringerungen des Lichteinfalls bzw. ein Verschattungseffekt als typische Folgen einer Bebauung insbesondere in innergemeindlichen Lagen sind grundsätzlich hinzunehmen.

2. Im Regelfall bedarf es keiner besonderen Ermittlung, Bewertung und Abwägung zur Frage einer planbedingten Verschattung, wenn die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften bei Umsetzung des Bebauungsplans eingehalten sind.

3. Auch bei Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen können im Fall der maximalen Umsetzung eines Bebauungsplans weitere Ermittlungen, Bewertungen und Abwägungserwägungen zur Verschattungsfrage geboten sein, wenn ein bestehender Bebauungsplan geändert werden soll. Das gilt insbesondere, wenn es um Änderungen von Festsetzungen geht, die nachbarschützende Festsetzungen begründen.

4. Ortsrechtliche Festsetzungen begründen – unabhängig davon, ob sie nach dem Willen des Plangebers nachbarschützend sind oder nicht – regelmäßig ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass Veränderungen des Bebauungsplans, die sich für die Nachbarn nachteilig auswirken können, nur unter Berücksichtigung ihrer Interessen vorgenommen werden.

Öffentliches Baurecht

Keine Innenentwicklung im Außenbereich!

OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.12.2022 – 8 C 10123/221

1. Gemeinderatsmitglieder, die Angehörige eines Geschäftsführers und Alleingesellschafters einer GmbH sind, welche durch einen Bebauungsplan unmittelbar betroffen ist, sind gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 GemO von der Mitwirkung am Planaufstellungsverfahren ausgeschlossen.

2. Die Aufstellung eines Bebauungsplans der Innenentwicklung (§ 13a BauGB) ist unzulässig, wenn die beplanten Flächen im Außenbereich liegen.

3. Die Festlegung artenschutzrechtlicher Vermeidungsmaßnahmen im Rahmen der FFH-Vorprüfung lässt nicht die Notwendigkeit einer Vollprüfung entfallen, wenn sich die Vermeidungsmaßnahmen allesamt auf für das FFH-Gebiet maßgebliche Lebensraumarten beziehen.

4. Ein im Plangebiet ansässiges Unternehmen hat grundsätzlich Anspruch auf einen Anschluss an das öffentliche Straßennetz, jedoch nicht auf Beibehaltung einer günstigen Erschließungssituation.

Öffentliches Baurecht

Unverbindliche Erweiterungsabsicht ist nicht abwägungsbeachtlich!

BVerwG, Beschluss vom 05.04.2023 – 4 BN 29.22

1Der besonderen Schutzwürdigkeit privilegierter landwirtschaftlicher Betriebe im Außenbereich ist bei der Abwägung gebührend Rechnung zu tragen.

2. Neben dem schutzwürdigen, insbesondere genehmigten oder genehmigungsfähigen Bestand ist zudem das Bedürfnis nach einer künftigen Betriebsausweitung im Rahmen einer normalen Betriebsentwicklung abwägungsbeachtlich, nicht jedoch unklare oder unverbindliche Erweiterungs- oder Modernisierungsabsichten.

Öffentliches Baurecht

Zur Abgrenzung zwischen Studentenkneipe und Studententanzkeller

OVG Bremen, Beschluss vom 30.03.2021 – 1 LA 180/18

1. Zur Abgrenzung zwischen Studentenkneipe (Schank- und Speisewirtschaft) und Studententanzkeller (Vergnügungsstätte, Diskothek).

2. Zur Abgrenzung zwischen Nutzungsänderung und Nutzungsintensivierung bei einem Studententanzkeller (Diskothek).

Öffentliches Baurecht

Umnutzung einer Wohnung zur Prostitutionsstätte?

OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.04.2023 – 2 L 90/21

Die Nutzungsänderung einer Wohnung zur Terminwohnung, in der Prostitution betrieben wird, kann in einem faktischen Mischgebiet im Einzelfall bauplanungsrechtlich unzulässig sein, wenn die Terminwohnung im 2. Obergeschoss eines ansonsten zu Wohnzwecken genutzten Mehrfamilienhauses eingerichtet werden soll.*)

Öffentliches Baurecht

Unser Dorf soll schöner werden …

VG Freiburg, Urteil vom 18.04.2023 – 3 K 1796/22

1. Bemühungen einer Gemeinde um Verbesserung der funktionalen Gestaltung der Innenstadt und Erhöhung der Standortqualität stellen besondere städtebauliche Gründe im Sinne des § 1 Abs. 9 BauNVO dar, die im urbanen Gebiet nach § 6a BauNVO den Ausschluss von Werbeanlagen für Fremdwerbung rechtfertigen können.

2. § 6a Abs. 4 BauNVO enthält über die bestehenden Möglichkeiten zur “Feinsteuerung” nach § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO hinaus zusätzliche Differenzierungsmöglichkeiten.

3. § 6a Abs. 4 Nr. 1 BauNVO schließt – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – die Anwendung von § 1 Abs. 7 Nr. 2 BauNVO nicht aus.

Öffentliches Baurecht

Zur Zulässigkeit einer Grenzgarage im unbeplanten Innenbereich

OVG Saarland, Beschluss vom 27.04.2023 – 2 A 259/22

1Ungeachtet des Umstands, dass bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Grenzgarage im unbeplanten Innenbereich hinsichtlich des Einfügens nach der überbaubaren Grundstücksfläche keine Ermessensentscheidung der Baugenehmigungsbehörde in Betracht kommt, weil nach § 34 Abs. 1 BauGB vor dem Hintergrund der Eigentumsgewährleistung im Art. 14 Abs. 1 GG eine gebundene Entscheidung zu treffen ist, sind die im § 23 Abs. 5 BauNVO für die Ermessensentscheidung im Plangebiet geltenden materiellen Maßstäbe auch in dem Zusammenhang in den Blick zu nehmen.

2. Demnach sind auch bei der Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB insoweit mögliche städtebaulichen Folgen einer Zulassung der Garage außerhalb der durch faktische Baugrenzen bestimmten überbaubaren Grundstücksflächen von Bedeutung. Die über die Nichteinhaltung des Umgebungsrahmens hinaus für ein Nichteinfügen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) der Garage zu fordernden spannungsbegründenden Veränderungen der städtebaulichen Situation beziehungsweise eine das Einfügen hindernde Verschlechterung der städtebaulichen Situation können sich insbesondere aus einer negativen Vorbildwirkung ergeben.

3. Nennt die insoweit maßgebliche Entscheidung der Widerspruchsbehörde als Grundlage ihrer Ermessensentscheidung für den Erlass einer Beseitigungsanordnung die materielle Rechtswidrigkeit im Sinne einer fehlenden (nachträglichen) Genehmigungsfähigkeit des Bauwerks und stellt nicht tragend auf eine beabsichtigte Ausräumung einer Nachbarrechtsverletzung ab, kommt es für die rechtliche Überprüfung dieser Entscheidung nicht entscheidend darauf an, ob die Anlage auch die subjektiven Rechte eines Nachbarn verletzt.

BGH zu den Substantiierungsanforderungen an einen aus der Urkalkulation herzuleitenden Mehrvergütungsanspruch

BGH zu den Substantiierungsanforderungen an einen aus der Urkalkulation herzuleitenden Mehrvergütungsanspruch

vorgestellt von Thomas Ax

Für die Abgrenzung, welche Arbeiten von der vertraglich vereinbarten Leistung erfasst sind und welche Leistungen zusätzlich zu vergüten sind, kommt es auf den Inhalt der Leistungsbeschreibung an.

Welche Leistungen durch die Leistungsbeschreibung erfasst sind, ist durch Auslegung der vertraglichen Vereinbarung der Parteien zu ermitteln. Dabei sind das gesamte Vertragswerk und dessen Begleitumstände zugrunde zu legen. Dazu gehören auch im Rahmen einer Ausschreibung vorgelegte Planungen.

Das Tatsachengericht muss auch die im Rahmen der Ausschreibung vorgelegten Unterlagen bei der Auslegung des Vertrags berücksichtigen und den angebotenen Sachverständigenbeweis zu einer technischen Frage erheben.

Zu den Substantiierungsanforderungen an einen aus der Urkalkulation herzuleitenden Mehrvergütungsanspruch.

BGH, Beschluss vom 29.03.2023 – VII ZR 59/20

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten Zahlung restlichen Werklohns.

Die Beklagte zu 1 ist eine aus den Beklagten zu 2 und 3 bestehende Dach-ARGE, welche von der Streithelferin der Beklagten zu 1 mit Bauarbeiten am Tunnel L. beauftragt wurde. Mit Vertrag vom 28. September 2009 beauftragte die Beklagte zudie Klägerin, aufgeteilt auf drei Baulose, unter anderem mit Straßenarbeiten im Tunnel, an der Oberfläche und mit den Baumaßnahmen zur Durchführung der vorläufigen Verkehrsführung. Die VOB/B (2006) wurde in den Vertrag einbezogen.

Die Beklagte zu 1 nahm die in der Zeit vom 10. August 2009 bis 30. Juni 2015 erbrachten Leistungen der Klägerin ab. Die Klägerin erstellte sodann, gegliedert nach den Baulosen, drei Schlussrechnungen, wobei sie in erheblichem Umfang Vergütungsansprüche für Nachträge geltend machte. Nachdem die Beklagte zu 1 aufgrund ihrer Schlussrechnungsprüfung Kürzungen vornahm, kam es zu Verhandlungen zwischen den Parteien, die indes zu keiner Einigung führten. Die Beklagte zu 1 bezahlte die Schlussrechnungsforderung nur in der von ihr als berechtigt angesehenen Höhe an die Klägerin. Diese hat daraufhin die Beklagten auf Zahlung restlichen Werklohns in Höhe von 2.568.793,59 EUR gerichtlich in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat die Klage als unschlüssig abgewiesen. Mit der hiergegen gerichteten Berufung hat die Klägerin – gestützt auf neue Schlussrechnungen – noch einen Betrag von 2.418.874,25 EUR verlangt. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie ihr Klagebegehren im Umfang von 2.145.665,36 EUR nebst Zinsen und Nebenforderungen weiterverfolgt.

II.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat im tenorierten Umfang Erfolg und führt insoweit gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat hinsichtlich der Nachtragspositionen 41.44, 42.44 und 43.44 (1.355.273,92 EUR) ausgeführt:

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Mehrvergütung gemäß § 2 Nr. 5 VOB/B. Die Notwendigkeit von Umlegungen der provisorischen Verkehrsführung sei unstreitig Vertragsbestandteil. Die Klägerin mache geltend, sie habe mit einer geringeren Anzahl von Umlegungen kalkulieren dürfen als tatsächlich erforderlich geworden sei. Es lasse sich aber keine Veränderung der Leistung im Vergleich zum Vertragssoll feststellen.

Eine Anzahl von möglichen Umlegungen sei im Vertrag nicht genannt. Vielmehr enthalte der Vertrag in den “Vorbemerkungen Allgemeine Bedingungen” auf Seite D9/10 zur Verkehrsführung folgende Regelung:

“Erschwernisse:

Die aus Erschwernissen resultierenden Kosten (Erschwerniskosten) werden für den gesamten Umfang der Bauarbeiten nicht gesondert vergütet. Sie sind bei denjenigen Positionen einzurechnen, bei denen sie anfallen.”

Erschwernisse können entstehen: […]

i) durch die abschnittsweise Ausführung des Bauwerks…”

Weiter heiße es auf S. 15 der “Allgemeinen Vorbemerkungen zu den Straßenbauarbeiten” unter Ziffer 3.6 wie folgt:

“Provisorische Verkehrsführung

Die provisorische Verkehrsführung wird inHauptphasen und in mehreren örtlich begrenzten Zwischenphasen unterteilt. Die Nummerierung der Hauptphasen erfolgt in Schritten 100, 200, 300, 400 und 500, die der Zwischenphasen in den Schritten 110, 120 210, 220.. . 310,320 … 410 usw. Die Hauptverkehrsphasen stellen dabei das Grundgerüst der prov. Verkehrsführung dar. Zusätzlich wird es eine Reihe von Zwischenphasen geben, um z.B. in Kreuzungsbereichen, bei Spartenquerungen, etc. alle erforderlichen Baufelder zu erreichen. Die Zwischenverkehrsphasen werden außerdem benötigt, um Verbindungen zwischen zeitlich unterschiedlichen Hauptverkehrsphasen herzustellen (siehe Rahmenterminplan). Der Umfang der Zwischenverkehrsphasen ist in der Regel örtlich begrenzt. Bei der Kalkulation der prov. Fahr- und Gehbahnen ist daher davon auszugehen, dass neben großen Fahrbahnabschnitten auch eine Vielzahl von kleinen Asphaltflächen herzustellen ist. “.”

Diesen Regelungen lasse sich nicht entnehmen, dass tatsächlich eine zahlenmäßig begrenzte Anzahl von Umlegungen vorab ersichtlich gewesen sei.

Dies gelte auch unter Heranziehung der außerhalb des Vertragstextes liegenden zusätzlichen Umstände, wie etwa dem Phasenübersichtsplan. Aus den als Anlagen K 14, 36 und 50 vorgelegten Darstellungen werde nicht ersichtlich, weshalb die Klägerin von einer verbindlichen oder annäherungsweisen Anzahl der erforderlichen Umlegungen habe ausgehen können, wohingegen in Ziffer 3.6 des Vertrags von einer “Vielzahl von kleinen Asphaltflächen” die Rede sei. Die Klägerin erläutere nicht, wie sie zu der von ihr genannten Anzahl von Umlegungen, die sie im Übrigen auch nicht durchgehend einheitlich angegeben habe, komme. Sei die Anzahl der Umlegungen nicht belastbar erkennbar, aber für die Kalkulation des Angebots erforderlich gewesen, habe sie nicht eine Anzahl “ins Blaue hinein” kalkulieren dürfen.

Die vertraglichen Regelungen seien wirksam. Sie stellten keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen dar und seien als unmittelbare Regelungen des Leistungsinhalts der Inhaltskontrolle entzogen. Überdies hielten die Regelungen auch einer Inhaltskontrolle stand, da eine Abweichung von gesetzlichen Regelungen nicht ersichtlich sei. Der Vertrag sehe zudem in Ziffer 2.4 Abs. 8 der Allgemeinen Vorbemerkungen zu den Straßenbauarbeiten vor, dass die Klägerin sich hinsichtlich der Art der Verkehrsführung einbringen und so Einfluss auf die Kosten nehmen könne.

Der Anspruch bestehe schließlich auch deshalb nicht, weil die Klägerin keine Gegenüberstellung der Mehrkosten zu den kalkulierten Kosten vornehme. Die Bezugnahme auf Anlagen sei nicht ausreichend. Das Nachtragsangebot enthalte entgegen der Berufungsbegründung keinen textlichen Beschrieb. Trotz Hinweises des Landgerichts würden die Mehrkosten auch in der Berufung nicht erläutert. Eines erneuten Hinweises habe es nicht bedurft.

2. Mit dieser Begründung verletzt das Berufungsgericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 10. August 2022 – VII ZR 243/19 Rn. 18, BauR 2022, 1812 = NZBau 2023, 17; Beschluss vom 4. November 2020 – VII ZR 261/18 Rn. 13, BauR 2021, 593 = NZBau 2021, 178; Beschluss vom 14. Dezember 2017 – VII ZR 217/15 Rn. 9, BauR 2018, 669; jeweils m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt dann vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2022 – VII ZR 243/19 Rn. 18, BauR 2022, 1812 = NZBau 2023, 17; Beschluss vom 4. November 2020 – VII ZR 261/18 Rn. 13, BauR 2021, 593 = NZBau 2021, 178; Beschluss vom 26. Februar 2020 – VII ZR 166/19 Rn. 14, BauR 2020, 1035 = NZBau 2020, 293; Beschluss vom 14. Dezember 2017 – VII ZR 217/15 Rn. 9, BauR 2018, 669; jeweils m.w.N.). Geht es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage, darf das Gericht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn es entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2018 – VII ZR 299/14 Rn. 15, BauR 2018, 1317; Beschluss vom 13. Januar 2015 – VI ZR 204/14 Rn. 5, NJW 2015, 1311).

b) Nach diesen Maßstäben beanstandet die Beschwerde zu Recht einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

Das Berufungsgericht hat eine von der im Vertrag der Parteien vorgesehenen Art der Ausführung abweichende Leistung aufgrund der Vielzahl von notwendig gewordenen Umlegungen der Verkehrsführung und damit einen Mehrvergütungsanspruch der Klägerin gemäß § 2 Nr. 5 VOB/B verneint. Es hat seine Auffassung, es liege insoweit keine Leistungsänderung im Sinne des § 2 Nr. 5 VOB/B vor, weil sich aus dem Vertrag der Parteien nicht ableiten lasse, dass nur eine bestimmte oder zumindest annäherungsweise bestimmbare Anzahl von Umlegungen der Verkehrsführung vorgesehen gewesen sei, auf eine Auslegung der Regelungen in den “Vorbemerkungen Allgemeine Bedingungen” und in den “Allgemeinen Vorbemerkungen zu den Straßenbauarbeiten” gestützt. Den Vortrag der Klägerin und den von ihr angebotenen Sachverständigenbeweis zu der Frage, ob sich aus den sonstigen Ausschreibungsunterlagen, namentlich aus der Phasenübersichtstabelle und den näher bezeichneten bauzeichnerischen Darstellungen, eine bestimmte oder annäherungsweise bestimmbare Anzahl von Umlegungen der Verkehrsführung ergebe, hat es gehörswidrig übergangen.

Die Klägerin hat in der Berufungsbegründung im Einzelnen dargelegt, warum sie davon ausgegangen sei, dass sich aus der im Rahmen der Ausschreibung vorgelegten Phasenübersichtstabelle eine Anzahl von 10 Umlegungen der Verkehrsführung ergäben. Mit diesen Ausführungen befasst sich das Berufungsgericht nicht, sondern führt lediglich aus, die Klägerin habe nicht erläutert, wie sie zu der von ihr genannten Anzahl von Umlegungen gekommen sei. Ob es die Ausführungen der Klägerin möglicherweise für unzutreffend oder für unerheblich hält und gegebenenfalls aus welchen Gründen, lässt sich den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entnehmen. Vielmehr geht das Gericht auf diese – zum Kernvorbringen der Klägerin gehörenden – Ausführungen überhaupt nicht ein. Es ist daher davon auszugehen, dass es den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder insoweit offenkundig überspannte Substantiierungsanforderungen gestellt hat.

Ergänzend hat sich die Klägerin darauf gestützt, dass sich aus im Rahmen der Ausschreibung vorgelegten bauzeichnerischen Darstellungen ebenfalls eine bestimmte oder zumindest annäherungsweise bestimmbare Anzahl von Umlegungen der Verkehrsführung ergebe. Soweit das Berufungsgericht meint, aus der Phasenübersichtstabelle und den betreffenden bauzeichnerischen Darstellungen könne ein derartiger Schluss nicht gezogen werden, erläutert es wiederum nicht, warum es zu diesem Ergebnis kommt, und woher es die Sachkunde nimmt, diese Frage ohne sachverständige Beratung zu beantworten.

Der Vortrag der Klägerin nebst Beweisangebot ist auch nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil die Klägerin in einem außergerichtlichen Anwaltsschreiben vom 5. Februar 2014 behauptet hat, den bauzeichnerischen Darstellungen seien 31 Verkehrsphasen zu entnehmen. Das Kernvorbringen der Klägerin, dass sich aus den von ihr bezeichneten Ausschreibungsunterlagen eine bestimmte oder zumindest annäherungsweise bestimmbare Anzahl von Umlegungen der Verkehrsführung ersehen ließen, wird hiervon nicht berührt. Im Übrigen ist eine Partei nicht daran gehindert, ihr Vorbringen im Laufe eines Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Eine etwaige Widersprüchlichkeit des Parteivortrags kann regelmäßig nur im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2018 – VI ZR 599/16 Rn. 12, MDR 2018, 1395; Beschluss vom 16. November 2016 – VII ZR 314/13 Rn. 22, BauR 2017, 306; jeweils m.w.N.).

c) Das angefochtene Urteil beruht auf diesen Gehörsverstößen.

aa) Für die Abgrenzung, welche Arbeiten von der vertraglich vereinbarten Leistung erfasst sind und welche Leistungen zusätzlich zu vergüten sind, kommt es auf den Inhalt der Leistungsbeschreibung an. Welche Leistungen durch die Leistungsbeschreibung erfasst sind, ist durch Auslegung der vertraglichen Vereinbarung der Parteien zu ermitteln, §§ 133, 157 BGB. Dabei sind das gesamte Vertragswerk und dessen Begleitumstände zugrunde zu legen (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2008 – VII ZR 194/06 Rn. 32, BGHZ 176, 23; Urteil vom 27. Juli 2006 – VII ZR 202/04 Rn. 24, BGHZ 168, 368; jeweils m.w.N.). Dazu gehören auch im Rahmen einer Ausschreibung vorgelegte Planungen (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2008 – VII ZR 194/06 Rn. 32, BGHZ 176, 23; Urteil vom 26. Juli 2007 – VII ZR 42/05 Rn. 26, BGHZ 173, 314).

Die Feststellungen des Berufungsgerichts, aus dem Vertrag der Parteien ergebe sich nicht, dass nur eine bestimmte oder zumindest annäherungsweise bestimmbare Anzahl von Umlegungen der Verkehrsführung vorgesehen gewesen sei, entbehren danach einer tragfähigen Grundlage. Das Berufungsgericht hätte vielmehr auch die im Rahmen der Ausschreibung vorgelegten Unterlagen bei der Auslegung des Vertrags berücksichtigen müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es – wie erforderlich – ihren Vortrag zu diesen Unterlagen, namentlich zu der Phasenübersichtstabelle und den bauzeichnerischen Darstellungen, berücksichtigt und den angebotenen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben hätte.

bb) Die Erwägungen des Berufungsgerichts, die Höhe des Anspruchs sei nicht substantiiert dargelegt, weil es an einer Gegenüberstellung der Mehrkosten zu den kalkulierten Kosten fehle, vermögen das Berufungsurteil nicht selbständig zu tragen. Denn sie beruhen ihrerseits, was die Beschwerde ebenfalls zu Recht rügt, auf einem Gehörsverstoß.

Die Instanzgerichte haben – was von den Parteien im Beschwerdeverfahren unbeanstandet geblieben ist – zugrunde gelegt, dass im Streitfall ein etwaiger Mehrvergütungsanspruch aus der Urkalkulation herzuleiten ist. Die Klägerin hat sowohl ihre Urkalkulation als auch ihre Nachtragskalkulation vorgelegt. Darüber hinaus hat sie in der Berufungsbegründung erläutert, inwieweit Preisansätze unverändert geblieben und inwieweit Änderungen eingetreten seien. Die Klägerin hat hierzu unter anderem dargelegt, dass aufgrund der vermehrten Umlegungen der Verkehrsführung die zu bearbeitenden Flächen kleiner geworden seien, weshalb bestimmte Leistungsansätze aus der Urkalkulation hätten angepasst werden müssen. Insoweit hat sie die betroffenen Leistungspositionen mit Zuschlägen versehen. Zudem befasst sich die Berufungsbegründung mit der Herleitung der geänderten Ansätze.

Das Berufungsgericht hat hierzu lediglich ausgeführt, eine Bezugnahme auf Anlagen sei nicht ausreichend, die Nachtragskalkulation sei nicht aus sich heraus verständlich und es fehle ein textlicher Beschrieb. Es ist jedoch nicht auf den entsprechenden Vortrag in der Berufungsbegründung eingegangen und es erschließt sich auch nicht, welche weiteren Erläuterungen der Mehrkosten das Berufungsgericht für erforderlich hält. Es hat damit die Substantiierungsanforderungen an den Vortrag der Klägerin offenkundig überspannt. Ferner legt das Berufungsgericht auch in diesem Zusammenhang nicht dar, woher es die Sachkunde nimmt, die anhand der vorgelegten Kalkulationen erfolgte Preisberechnung der Klägerin ohne sachverständige Beratung als unsubstantiiert anzusehen.

III.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist im Übrigen unbegründet. Sie zeigt insoweit nicht auf, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

LG Frankfurt zur Frage, ob der Sachverständige rechtzeitig mitzuteilen hat, wenn voraussichtlich Kosten erwachsen, die einen angeforderten Kostenvorschuss erheblich übersteigen

LG Frankfurt zur Frage, ob der Sachverständige rechtzeitig mitzuteilen hat, wenn voraussichtlich Kosten erwachsen, die einen angeforderten Kostenvorschuss erheblich übersteigen

vorgestellt von Thomas Ax

Für die Parteien und das Gericht muss objektiv deutlich erkennbar sein, dass weitere (in welchem Umfang) Kosten anfallen. Liegt eine erhebliche Überschreitung vor, so kommt es nicht darauf an, ob es auch bei pflichtgemäßer Anzeige zu einer Fortsetzung seiner Tätigkeit – mit Willen der Parteien – gekommen wäre, da der Wortlaut von § 8a Abs. 4 JVEG insoweit deutlich und abschließend ist.
LG Frankfurt/Main, Beschluss vom 01.09.2022 – 2-20 OH 13/21

Gründe:

I.

Das erkennende Gericht hatte Herrn … auf Wunsch der beteiligten Parteien als gerichtlichen Sachverständigen bestellt (Beschluss vom 11.08.2021, Bl. … d. A.). Das Gericht hatte in diesem Schreiben einen Kostenvorschuss in Höhe von 3.000,00 Euro angefordert, der auch eingezahlt worden ist. Der Sachverständige teilte am 24.09.2021 (Bl. … d. A.) mit, dass die Kosten der Begutachtung voraussichtlich 3.000,00 Euro betragen würden. Mit Schreiben vom 14.04.2022 (Bl. … d. A.) teilt der Sachverständige wortwörtlich mit “… Derzeitig ist, ohne Vorliegen der notwendigen Unterlagen, siehe oben, eine Abschätzung des zusätzlichen Aufwands nicht sicher möglich. Je nach Qualität der o.a. Unterlagen ist von zusätzlichem Aufwenden von ca. 4-6 Tagen für den SV und entsprechenden Mehrkosten auszugehen. …“. Die Parteien übermittelten im Nachgang Unterlagen (vgl. Bl. … d. A.). Eine weitere Unterrichtung durch den Sachverständigen erfolgte nicht; der Sachverständige meldete sich sodann mit der Übersendung des Gutachtens und der Einreichung der Rechnung.

Der Sachverständige reichte sodann ein Gutachten zur Akte und stellte mit Schreiben vom 07.06.2022 insgesamt Kosten in Höhe von 10.324,56 Euro in Rechnung (Bl. … d. A.). Der Sachverständige berechnete 125,00 Euro die Stunde für seine Tätigkeit. Das Gericht forderte sodann den Fehlbetrag (7.324,56 Euro) an, der auch eingezahlt wurde.

Die Staatskasse beantragte sodann durch den Bezirksrevisor mit Schreiben vom 23.06.2022 (Bl. … d. A.) die Festsetzung der Vergütung des Sachverständigen auf 3.000,00 Euro. Nach Ansicht der Staatskasse habe der Sachverständige die Pflicht aus § 407a IV 2 ZPO verletzt. In der Folge sei eine Kürzung nach § 8a IV JVEG auf die Höhe des Vorschusses angezeigt. Eine nachträgliche Zahlung des Fehlbetrags sei ohne Relevanz gewesen.

Herr … wurde schriftlich angehört (vgl. Bl. … d. A. sowie Schreiben vom 08.08.2022). Er teilte mit, dass durch den Verweis auf den entstehenden Mehraufwand im Schreiben vom 14.04.2022 eine Mitteilung im Sinne von § 407a IV 2 ZPO vorgelegen hätte. Eine Kürzung seines Vergütungsanspruchs sei daher nicht angezeigt gewesen.

Die Staatskasse hält an dem Antrag auch nach der Stellungnahme des Sachverständigen fest.


II.

Der Antrag auf Festsetzung der Vergütung nach § 4 I JVEG ist statthaft. Als Vertreter der Staatskasse ist der Bezirksrevisor zur Beantragung der Festsetzung berechtigt (vgl. Schneider-JVEG/Schneider, 4. Auflage 2021, § 4, Rn. 24). Weitere Zulässigkeitshindernisse sind nicht ersichtlich.

Dem Begehren war positiv zu entsprechen, sodass die Vergütung des Sachverständigen auf 3.000,00 Euro festzusetzen war.

Die Staatskasse hat vorgetragen und den Sachverständigen darauf hingewiesen, dass der Sachverständige rechtzeitig mitzuteilen hat, wenn voraussichtlich Kosten erwachsen, die einen angeforderten Kostenvorschuss erheblich übersteigen – § 407a IV 2 ZPO. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Erheblichkeit erst ab 20% oder ab 25% oder gar 30% vorliegt (vgl. z. B. OLG Stuttgart MDR 2008, 652 und BT-Drs. 17/11471, S. 260), da der Sachverständige vorliegend mehr als das Dreifache des Vorschusses liquidiert (10.324,56 Euro anstatt 3.000,00 Euro).

Der Sachverständige hat nach der Auffassung des Gerichts auch keinen ausreichenden Hinweis darauf gegeben, dass der eingeholte Vorschuss in Höhe von 3.000,00 Euro nicht ausreichen wird. Zunächst hat der Sachverständige selbst – nach Übersendung der Unterlagen – mit Schreiben vom 24.09.2021 angegeben, dass der Vorschuss in Höhe von 3.000,00 Euro ausreichen wird (Bl. … d. A.). Das Gericht sieht in dem Schreiben vom 14.04.2022 (Bl. … d. A.) nicht einen solchen Hinweis, wie in § 407a IV 2 ZPO meint. Denn: Der Sachverständige soll durch die Mitteilung den Parteien deutlich machen, welches Kostenrisiko entsteht, dass diese entsprechend disponieren können (vgl. Musielak-Voit-ZPO/Huber, 19. Aufl. 2022, § 407a ZPO, Rn. 9 [erster Spiegelstrich] und BeckOK-ZPO/Scheuch, 45. Edi., § 407a ZPO, Rn. 4 unter Verweis auf BT-Drs. 11/3621, S. 40) – es sollen just keine überraschenden Kosten auf die Parteien, die im Zivilverfahren nach der ZPO den Streitstoff bestimmen müssen und verändern können, zukommen. Hieraus folgt, dass für die Parteien (und letztlich auch für das Gericht, welches den Vorschuss anzufordern hat [vgl. BeckOK-ZPO/Scheuch, 45. Edi., § 407a ZPO, Rn. 4 f.]), objektiv deutlich erkennbar sein muss, dass weitere (in welchem Umfang) Kosten anfallen. Zieht man diese Kriterien heran, genügt die Mitteilung des Sachverständigen nicht, um der Hinweispflicht zu genügen. Herr … hat – wie zuvor dargetan – ausgeführt, dass ein zusätzlicher Aufwand durch die Einreichung von Unterlagen (die auch eingereicht wurden) anfallen würde, der Mehrkosten auslösen würden. Er hat aber nicht dargetan, ob es sich um Mehrkosten bezogen auf die 3.000,00 Euro aus dem Vorschuss handeln würde oder um Mehrkosten im Sinne von “Kosten, die jetzt noch anfallen, sonst wären 3.000,00 Euro noch gar nicht verbraucht“. Er selbst hat auch die Höhe der Mehrkosten nicht angegeben, sondern abstrakt ausgeführt, dass 4 bis 6 Tage Mehrarbeit anfallen könnten (ohne eine Stundenanzahl anzugeben oder auszuführen, welche Tätigkeiten gemeint sind). Er hat im Nachgang auch nicht konkret dargetan, dass Mehrarbeit angefallen ist – auch nicht in welchem Umfang. Das Gericht hat ausweislich der Akte – auch im Nachgang des Schreibens vom 14.04.2022 – erkennbar keinen weiteren Vorschuss eingeholt, der Sachverständige selbst hat auch nicht erneut nach einem Vorschuss gefragt. Das Gericht selbst hätte aufgrund dieser vagen Angaben keinen Vorschuss anfordern können, legt der Sachverständige gerade nicht dar, welcher Betrag anfallen wird. Insoweit ist ferner zu konstatieren: Der Sachverständige rechnet ausweislich seiner Rechnung auch den Einsatz von Hilfspersonen ab, sodass es dem Gericht auch nicht möglich war, ungefragt irgendeinen Betrag anhand der abstrakten Vorgaben zu errechnen (z. B. 4 Tage a 8 Stunden bei 105,00 Euro die Stunde), da nicht ersichtlich war, was der Sachverständige meinte.

Liegt eine erhebliche Überschreitung vor, so kommt es nicht darauf an, ob es auch bei pflichtgemäßer Anzeige zu einer Fortsetzung seiner Tätigkeit – mit Willen der Parteien – gekommen wäre (OLG Frankfurt am Main DS 2020, 87, 89 unter Hinweis auf OLG Frankfurt am Main Beschluss vom 31.8.2017 – 18 W 130/17; Beschluss vom 22.9.2017 – 18 W 1612/17; Beschluss vom 28.12.2018 – 18 W 194/18 und Beschluss vom 9.7.2019 – 18 W 75/19); OLG Stuttgart BauR 2019, 546; OLG Düsseldorf JurBüro 2018, 540; Schneider-JVEG/Schneider, 4. Aufl. 2021, § 8a JVEG, Rn. 37 auch mit Hinweisen zu anderen Ansicht), da der Wortlaut von § 8a IV JVEG insoweit deutlich und abschließend ist. Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte zur Frage der Kausalität (z. B. OLG Stuttgart DS 2008, 78, und OLG Naumburg BeckRS 2012, 21502) den § 8a IV JVEG nicht angepasst, sondern in der vorliegenden Form so formuliert.

§ 8a V JVEG bestimmt, dass § 8a IV JVEG nicht anwendbar ist, wenn der Vergütungsberechtigte die Verletzung der ihm obliegenden Hinweispflicht nicht zu vertreten hat. Das Vertretenmüssen wird nach der Systematik des § 8a JVEG vermutet, so dass es dem jeweiligen Berechtigen – hier dem Sachverständigen – obliegt, entlastende Umstände darzulegen (OLG Hamm, BeckRS 2015, 9348). Das Sachverständige wurde ausweislich des Anschreibens (Bl. … d. A.) vom 15.09.2021 auf die Anzeigepflicht zur Kostenüberschreitung hingewiesen (weitergehend im Allgemeinen BeckOK-Kostenrecht/Bleutge, 38. Edi., § 8a JVEG, Rn. 28 [zweiter Punkt]). Derartige Umstände hat der Sachverständige in seinen Schreiben vom 05.07.2022 (Bl. … d. A.) und vom 08.08.2022 nicht vorgebracht. Im Schreiben vom 05.07.2022 konstatiert der Sachverständige indirekt selbst, dass er nur eine ungefähre Angabe getätigt hat. Es ist auch zu beachten, dass die Beteiligten – mangels Kenntnis des Vergütungssatzes – nicht errechnen konnten, was der Sachverständige meinte. Auch im Schreiben vom 08.08.2022 findet sich keine weitergehende Erläuterung. Der Sachverständige scheint die Rechtsauffassung zu vertreten, dass die abstrakte Angabe von Parametern – mit denen er ggf. seine Vergütung errechnet – ausreicht, um der Hinweispflicht auf die Kostenüberschreitung nachzukommen. Das Gericht teilt diese Rechtsauffassung nicht. Mit Blick auf die absolut übliche Praxis der Sachverständigentätigkeit, dem Umstand, dass der Sachverständige selbst auch öffentlich bestellt und vereidigt ist, und dem Hinweis, den das Gericht im Anschreiben formulierte, ist das Gericht nicht der Auffassung, dass ein Vertretenmüssen nicht vorliegt. Der Sachverständige formuliert gerade nicht, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sein soll, einen konkreten Betrag oder zumindest einen Betragsrahmen (z. B. weitere 5.000,00 bis 7.000,00 Euro) zu nennen. Eine leicht fahrlässige Pflichtverletzung reicht aus, um den Schuldvorwurf und damit die Kürzung der Entschädigung zu rechtfertigen (BeckOK-Kostenrecht/Bleutge, 38. Edi., § 8a JVEG, Rn. 34), hiervon geht das Gericht vorliegend aber mindestens aus, da die Ansicht des Sachverständigen, bloß allgemeine abstrakte Kriterien zu nennen, aus der Sicht des Gerichts nicht nur schwer, sondern mit Blick auf den Sinn und Zweck der Anzeigepflicht unvertretbar erscheint. Dann aber ist bereits eine leicht fahrlässige Pflichtverletzung gegeben – zumal der Sachverständige unabhängig von den vorherigen Ausführungen nicht einmal um die Einholung eines Vorschusses bittet.

Es ist einem Sachverständigen durchaus zuzumuten, stets über die für ein Gutachten bereits aufgewendete Arbeitszeit informiert zu sein, um das Gericht rechtzeitig darauf hinweisen zu können, dass voraussichtlich Kosten anfallen, die den angeforderten Vorschuss erheblich übersteigen.

Auch die Rechtsprechung des OLG Stuttgart (DS 2018, 38) verhilft dem Sachverständigen nicht zu seinem Vergütungsanspruch. Es ist zwar richtig, dass das OLG Stuttgart inhaltlich ausführt: Gibt der Sachverständige rechtzeitig den Hinweis auf die zu erwartende Überschreitung des bezahlten Auslagenvorschusses, so darf er, solange er keine gegenteilige Anweisung erhält, mit der Begutachtung fortfahren, ohne befürchten zu müssen, für diese Tätigkeiten später nur eine Vergütung bis zur Grenze des § 8a IV JVEG zu erhalten. Aber: In dieser Entscheidung hatte der Sachverständige konkret eine Zahl genannt und die Einholung dieses Betrags erbeten – hieran ermangelt es vorliegend schon.

Hat es der Sachverständige – wie im vorliegenden Fall – unterlassen, auf die Mehrkosten hinzuweisen, so erhält er die Vergütung nur in Höhe des Auslagenvorschusses, wenn die geltend gemachte Vergütung den Auslagenvorschuss erheblich überschreitet (OLG Stuttgart IBR 2021, 158; OLG Thüringen BauR 2015, 301; OLG Hamm MDR 2015, 300). Die Vergütung ist bei einer erheblichen Überschreitung deshalb auf die Höhe des Vorschusses gedeckelt, ohne dass zusätzlich, wie bei einer nur unerheblichen Überschreitung, ein Toleranzrahmen zu erstatten wäre (OLG Hamm MDR 2015, 300). Maßgeblich ist daher der Betrag in Höhe von 3.000,00 Euro.

Es ist zwar richtig, dass das Gericht den Fehlbetrag angefordert hat, der auch eingezahlt wurde. Das Gericht ist hierbei a prima vista davon ausgegangen, dass der Sachverständigen zunächst die fehlende richtige Anzeige des fehlenden weiteren Vorschusses nicht zu vertreten hatte. Dies konnte der Sachverständige im Nachgang aber nicht darlegen.

OLG Jena zur Frage der Erstattungsfähigkeit von Kosten für die Einholung eines auch vorprozessual erstatteten Privatsachverständigengutachtens

OLG Jena zur Frage der Erstattungsfähigkeit von Kosten für die Einholung eines auch vorprozessual erstatteten Privatsachverständigengutachtens

vorgestellt von Thomas Ax

Die dem Gegner erwachsenen Kosten sind nur insoweit zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Zu den erstattungsfähigen Kosten können ausnahmsweise auch die Kosten für die Einholung eines auch vorprozessual erstatteten Privatsachverständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind. Ein Privatgutachten wird nicht schon durch seine Vorlage bzw. Verwendung im Rechtsstreit prozessbezogen. Unmittelbar prozessbezogen sind Gutachterkosten nur dann, wenn sich das Gutachten auf den konkreten Rechtsstreit bezieht und gerade mit Rücksicht auf diesen beauftragt wurde. Diejenigen Aufwendungen, die veranlasst werden, bevor sich der Rechtsstreit einigermaßen konkret abzeichnet, sind regelmäßig nicht erstattungsfähig. Umgekehrt ist dann, wenn die Gutachtenbeauftragung zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem die Klage bereits angedroht war, naheliegend, dass das Gutachten auch die Position des Gegners im angedrohten Rechtsstreit stützen soll.
OLG Jena, Beschluss vom 19.01.2023 – 7 W 274/22

Gründe:

I.

Die Parteien streiten im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens um die Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Privatgutachterkosten des Klägers.

Im erstinstanzlichen Rechtsstreit vor dem Landgericht Meiningen begehrte der Kläger mit Klage vom 22.06.2020 gegenüber den Beklagten ein Teilschmerzensgeld sowie die Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden im Zusammenhang mit einer behaupteten fehlerhaften ärztlichen Behandlung einer Knieverletzung nach einem Arbeitsunfall am 15.12.2016. Den Rechtsstreit beendeten die Parteien mit einem gerichtlichen Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO vom 02.05.2022 (Bl. 357 f. d. A.). Gemäß der dortigen Vereinbarung haben von den Gerichtskosten der Kläger 71 % und die Beklagten zu 2) – 5) 29 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) hat der Kläger allein zu tragen. Die übrigen außergerichtlichen Kosten haben der Kläger zu 83 % und die Beklagten zu 2) – 5) zu 17 % zu tragen.

Mit Kostenausgleichsantrag vom 18.05.2022 (Bl. 372ff. d. A.) beantragte die Klägerseite unter anderem die Berücksichtigung der Kosten von ihr in Anspruch genommener vorgerichtlicher Privatgutachter, nämlich:

– Gutachten des Herrn Prof. Dr. ### vom 20.07.2018 gemäß dessen Kostenrechnung vom 20.07.2018 (Anlage 1a, Bl. 375 d. A.): 3.216,57 Euro

– Gutachten des Herrn Prof. Dr. ### vom 24.04.2019 gemäß dessen Kostenrechnung vom 24.04.2019 (Anlage 1b, Bl. 376 d. A.): 2.868,48 Euro

Mit Beschluss vom 28.06.2022 (Bl. 610ff. d. A.) – berichtigt mit weiterem Beschluss vom 14.07.2022 (Bl. 620 f. d. A.) – hat die Rechtspflegerin am Landgericht Meiningen die von dem Kläger an die Beklagten zu 2) – 5) zu erstattenden Kosten unter Ausgleich der Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten festgesetzt. Dabei hat sie die vorgenannten Privatgutachterkosten für nicht erstattungsfähig erachtet. Da diese bereits vor Einreichung der Klageschrift entstanden sind, wären diese bereits Bestandteil der Klageforderung gewesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgenannten Beschlüsse verwiesen.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 05.07.2022 zugestellten Beschluss vom 28.06.2022 wendet sich der Kläger mit seiner bei dem Landgericht am 18.07.2022 eingegangenen sofortigen Beschwerde (Bl. 627ff. d. A.) wiederholt mit weiterem Schreiben vom 28.07.2022 auch unter Berücksichtigung der vorgenannten Beschlussberichtigung (Bl. 638 d. A.). Er meint weiterhin, die Kosten der Gutachten vom 20.07.2018 und 24.04.2019 seien im Rahmen der Kostenfestsetzung zu berücksichtigen, da die Gutachten erforderlich gewesen seien, um den Prozess vorzubereiten und zu führen. Er legt zudem eine von ihm am 23.10.2017 an den Klägervertreter erteilte Prozessvollmacht in “Sachen … ./. Verantwortliche” (Bl. 629 d. A.) vor.

Die Beklagten zu 2) – 5) haben mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 26.07.2022 (Bl. 632ff. d. A.) einer Berücksichtigung der vorgenannten Privatgutachterkosten widersprochen, da diese nicht unmittelbar prozessbezogen und diese zudem auch unter Berücksichtigung des Kostenschonungsgebotes nicht “notwendig” gewesen seien.

Die Rechtspflegerin am Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und hat diese mit Beschluss vom 18.08.2022 dem Thüringer Oberlandesgericht als Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 639ff. d. A.).


II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin vom 22.06./14.07.2022 ist zulässig, insbesondere statthaft und auch form- und fristgerecht erhoben (§§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569ff. ZPO i. V. mit § 11 Abs. 1 RPflG).

In der Sache hat die sofortige Beschwerde teilweisen Erfolg, und führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung in dem im Tenor genannten Umfang. Im Rahmen der Kostenfestsetzung sind die von dem Kläger zum Kostenausgleich angemeldeten Kosten des vorprozessual eingeholten fachmedizinischen Gutachtens des Prof. Dr. … vom 24.04.2019 in Höhe von 2.868,48 Euro einzubeziehen. Hingegen finden – mit dem Landgericht zutreffend – die Kosten eines weiteren vorgerichtlichen fachmedizinischen Gutachtens des Prof. Dr. … vom 20.07 2018 in Höhe von 3.216,57 Euro keine Berücksichtigung, da es insoweit an der erforderlichen Prozessbezogenheit fehlt.

1. Im Ergebnis zutreffend hat die Rechtspflegerin des Landgerichts die von dem Kläger zum Kostenausgleich angemeldeten Kosten eines vorgerichtlichen fachmedizinischen Gutachtens des Prof. Dr. … vom 20.07.2018 In Höhe von 3.216,57 Euro nicht im Rahmen der Kostenfestsetzung einbezogen. Denn insoweit handelt es sich nicht um erstattungsfähige außergerichtliche Kosten des Klägers im Sinne von § 91 Abs. 1 ZPO.

a) Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind die dem Gegner erwachsenen Kosten nur insoweit zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Notwendige Kosten sind nur solche, die für Maßnahmen anfallen, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei als sachdienlich ansehen darf. Dabei ist auf den Zeitpunkt der Veranlassung der die Kosten auslösenden Maßnahme (ex ante) abzustellen. Zu den erstattungsfähigen Kosten können ausnahmsweise auch die Kosten für die Einholung eines auch vorprozessual erstatteten Privatsachverständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind (BGH, Beschluss vom 12.09.2018 – VII ZB 56/15). Zwar werden dem Rechtspfleger dadurch für ein Kostenfestsetzungsverfahren außergewöhnliche Prüfungen auferlegt. Da sich die Erstattungsfähigkeit nach einer seit Jahrzehnten gefestigten Rechtsprechung richtet und nicht vom Ergebnis oder der Überzeugungskraft der Begutachtung noch von Verlauf und Ausgang des Prozesses abhängen, geht mit dieser außergewöhnlichen Prüfung keine Überbeanspruchung des Kostenfestsetzungsverfahrens einher (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 18). (KG Berlin, Beschluss vom 26.03.2020 – 19 W 128/19)

Ein Privatgutachten wird nicht schon durch seine Vorlage bzw. Verwendung im Rechtsstreit prozessbezogen. Unmittelbar prozessbezogen sind Gutachterkosten nur dann, wenn sich das Gutachten auf den konkreten Rechtsstreit bezieht und gerade mit Rücksicht auf diesen beauftragt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 04.03.2008 – VI ZB 72/06). Deshalb sind diejenigen Aufwendungen, die veranlasst werden, bevor sich der Rechtsstreit einigermaßen konkret abzeichnet, regelmäßig nicht erstattungsfähig (vgl. BGH, a.a.O.). Umgekehrt ist dann, wenn die Gutachtenbeauftragung zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem die Klage bereits angedroht war, naheliegend, dass das Gutachten auch die Position des Auftraggebers im angedrohten Rechtsstreit stützen soll. Mit dem Erfordernis der unmittelbaren Prozessbezogenheit soll verhindert werden, dass eine Partei ihre allgemeinen Unkosten oder prozessfremde Kosten auf den Gegner abzuwälzen versucht und so den Prozess verteuert. Die Partei hat grundsätzlich ihre Einstandspflicht und ihre Anspruchsberechtigung in eigener Verantwortung zu prüfen und den dadurch entstehenden Aufwand selbst zu tragen (BGH, a a.O., Rn. 7, 8). (KG Berlin, Beschluss vom 26.03.2020 – 19 W 128/19)

b) Die vorgenannten Grundsätze im Blick lässt sich eine unmittelbare Prozessbezogenheit der klägerischen Kosten für das vorprozessuale – fachorthopädische/fachtraumatologische – Gutachten des Prof Dr. … vom 20.07.2018 nicht feststellen. Zwar hat der Kläger das vorgenannte Gutachten vom 20.07.2018 mit seiner Klageschrift vom 22.06.2020 vorgelegt und dazu verwendet, um ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen der Beklagten zu begründen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Gutachtens zeichnete sich jedoch ein Rechtsstreit mit den Beklagten noch nicht hinreichend konkret ab, so dass es an der unmittelbaren Prozessbezogenheit fehlt. Der von dem Kläger vorgelegte Schriftverkehr seiner Bevollmächtigten mit dem … als Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 2) – 5) hatte noch keinen erforderlichen Prozess gegen diese zur Durchsetzung vermeintlicher Schadensersatzansprüche im Blick; vielmehr dienten die Schreiben der außergerichtlichen Klärung des Sachverhalts. Der aus dem Gutachten vom 20.07.2018 zu entnehmende Gutachtensauftrag lässt eine unmittelbare Prozessbezogenheit nicht erkennen, als es hiernach um die zu klärende Frage ging, ob und wenn ja auf welche Art und Weise und mit welchen Folgen Herr … (der Kläger) vermeidbar anlässlich seiner Behandlung in ab dem 19.12.2016 iatrogen geschädigt wurde.

Eine Klageandrohung durch den Kläger erfolgte erst nach Vorliegen des Gutachtens mit dessen Übersendung an die Haftpflichtversicherer mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 07.08.2018 (Anlage K8; Bl. 128 AB Kl) (“Wird der Prozess gewünscht?“). Zu diesem Zeitpunkt waren die Gutachterkosten jedoch bereits entstanden. Es ist daher davon auszugehen, dass das Gutachten nicht in Hinblick auf einen konkreten – sich anbahnenden – Prozess in Auftrag gegeben wurde, als vielmehr dazu, zunächst außergerichtlich eine Schadensfeststellung zu treffen und die eigene Position in möglichen außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen mit den Haftpflichtversicherern zu stärken. Soweit die Klägerseite vorträgt, dass nach ihrer Erfahrung mit einer außergerichtlichen Regulierung von Arzthaftungsansprüchen durch den Haftpflichtversicherer recht zu rechnen (gewesen) sei, steht diesem bereits der langwierige Schriftverkehr zwischen den Bevollmächtigten des Klägers und den Haftpflichtversicherern – vorgelegt mit Anlage K4 bis K28 für den Zeitraum von Januar 2018 bis November 2019 – entgegen.

Unerheblich für eine unmittelbare Prozessbezogenheit des Gutachtens vom 20.07.2018 ist die von dem Klägervertreter vorgelegte Prozessführungsvollmacht vom 23.10.2017, da diese hinsichtlich der Parteien bereits kein konkretisiertes Rechtsverhältnis aufführt. Zudem steht einem zu diesem Zeitpunkt sich bereits konkret abzeichnenden Prozess wiederum entgegen, dass bis zum 22.06.2020 mit der Erhebung einer Klage abgewartet und statt dessen ein intensiver außergerichtlicher Schriftverkehr erfolgte. Ein Rechtsstreit stand also zum 20.07.2018 keinesfalls ganz konkret im Raum, sollte vielmehr eher sogar durch die Einschaltung der Haftpflichtversicherungen vermieden werden (s.a. OLG Köln, Beschluss vom 22.08.2016 – 17 W 24/16)

2. Hingegen sind die Kosten des weiteren vorgerichtlichen fachärztlichen Gutachtens des Herrn Prof. Dr. … vom 24.04.2019 gemäß dessen Kostenrechnung vom 24.04.2019 (Anlage 1b, Bl. 376 d. A.) von 2.868,48 Euro entsprechend der Anmeldung des Klägers im Rahmen des Kostenausgleichs zu berücksichtigen. Diese Kosten sind als notwendige Kosten im Sinne des § 91 Abs. 1 ZPO erstattungsfähig.

a) Vorliegend ergibt sich die nach den oben genannten Grundsätzen die erforderliche unmittelbare Prozessbezogenheit dieser dem Kläger entstandenen Kosten daraus, dass zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens am 24.04.2019 der Bevollmächtigte des Klägers gegenüber den Haftpflichtversicherern der Beklagten bereits mehrfach einen Prozess zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen angedroht hatte (s. Scheiben vom 07.08.2028 – Anlage K8, vom 03.12.2018 – Anlage K10, vom 16.04.2019 – Anlage K18/K19).

Der BGH hat in seiner Rechtsprechung in unmittelbarer Beziehung zu dem sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit stehende vorgerichtliche Privatgutachterkosten für den Fall bejaht, dass das Sachverständigengutachten von dem an der Rechtmäßigkeit des Schadensersatzbegehrens zweifelnden Haftpflichtversicherer erst zu einem Zeitpunkt in Auftrag gegeben worden ist, zu dem die Klage bereits angedroht werden war. Bei einer konkreten Klageandrohung kann die Beauftragung eines Privatsachverständigen und der damit verbundene Kostenaufwand nicht den allgemeinen Betriebskosten zugerechnet werden, die grundsätzlich nicht erstattungsfähig sind. Vielmehr liegt in einem solchen Fall auf der Hand, dass das Privatgutachten nicht nur einer etwaigen außergerichtlichen Schadensfeststellung dienen, sondern auch die Position des Auftraggebers in dem ihm angedrohten Rechtsstreit stützen sollte. Die Erstattungsfähigkeit hat er zudem auch in einem Fall bejaht, in dem das Sachverständigengutachten zwar schon vor Klageandrohung in Auftrag gegeben worden war, jedoch erst nach Klageandrohung erstellt wurde. Auch das kann zur Bejahung unmittelbarer Prozessbezogenheit genügen. Es macht in der Regel keinen Unterschied, ob der Sachverständige das Gutachten aufgrund eines ihm nach Klageandrohung erteilten Auftrages erstellt oder aufgrund eines zum Zeitpunkt der Klageandrohung fortbestehenden Auftrages. Denn spätestens mit der Klageandrohung wird die für die Vorbereitung der Rechtsverteidigung im anstehenden Prozess maßgebende Erstellung des Sachverständigengutachtens zu einer unmittelbar prozessbezogenen Tätigkeit. Eine ausschließliche Ausrichtung des ursprünglichen Gutachtenauftrags auf den konkreten Prozess ist dagegen nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 04.03.2008 – VI ZB 72/06).

b) Die für die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten weiter erforderliche Sachdienlichkeit der Hinzuziehung eines Privatsachverständigen ist ebenfalls zu bejahen. Für die Beurteilung ist darauf abzustellen, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme – ex ante – als sachdienlich ansehen durfte. Sachdienlich ist die Hinzuziehung insbesondere dann, wenn die Partei ohne die Einholung des Privatgutachtens infolge fehlender Sachkenntnis zu einem sachgerechten Vortrag nicht in der Lage wäre (u.a. OLG Köln, Beschluss vom 21.07.2021 – I-17 W 51/20). Hiervon ist vorliegend bei dem Kläger als medizinischen Laien hinsichtlich der Beurteilung der ärztlichen Behandlung der Beklagten und möglicher Verletzungen des fachärztlichen Standards auszugehen. Auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten im zivilrechtlichen Arzthaftungsprozess mit geringen Substantiierungsanforderungen an den Geschädigtenvortrag und der gesteigerten Aufklärungspflicht durch das Gericht (s.u.a. BGH, Beschluss vom 12.03.2019 – VI ZR 278/18 -, NJW 2019, 2399 Rn. 8, 9, beck-online) handelt es sich um einen Zivilprozess. Zur sachgerechten Vorbereitung und Darlegung im Prozess – insbesondere bei sich vorprozessual wie vorliegend bereits abzeichnende Einwendungen der Beklagten gegen die fachmedizinische Bewertung – kann sich der Kläger der Inanspruchnahme gutachterlicher Expertise bedienen. Hierzu kann er auch nicht auf die kostenfreie Möglichkeit der – regelmäßig auf eine außergerichtliche Streitbeilegung gerichtete – Begutachtung durch den MDK oder einer Schlichtungsstelle verwiesen werden.

3. Danach ergibt sich unter Einbeziehung der klägerseits geltend gemachten Kosten für das Gutachten vom 24.04.2019 in Höhe von 2.868,48 Euro in die Berechnung der Rechtspflegerin zur Kostenfestsetzung im Beschluss vom 28.06./14.07.2022 ein von dem Kläger an die Beklagten zu 2) bis 5) zu erstattender Betrag von 4.633,30 Euro.


III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, Abs. 2 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da hierfür die Voraussetzungen des § 574 ZPO nicht gegeben sind. Die Grundsätze zur Erstattungsfähigkeit von Kosten für Privatgutachten sind höchstrichterlich hinreichend geklärt. Die Frage der unmittelbaren Beziehung zu einem sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit ist eine Frage des Einzelfalls und gebietet die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht.

AxRechtsanwälte – TiefbauRecht und HochbauRecht

AxRechtsanwälte - TiefbauRecht und HochbauRecht

Als Projektanwältinnen und -anwälte im Bau- und Immobilienrecht beraten und vertreten wir private und öffentliche Bauherren, Projektentwickler, Generalübernehmer, Generalunternehmer, Auftragnehmer, Architekten und Ingenieure. Aufgrund unserer langjährigen Tätigkeit verfügen wir über umfassende rechtliche und wirtschaftliche Expertise, mit der wir Sie bei der Strukturierung und Abwicklung Ihres Bauprojekts praxisnah und lösungsorientiert unterstützen. Wir setzen dabei auf Partnerschaftlichkeit und versuchen stets, das bestmögliche Ergebnis für Sie zu erzielen – und zwar mit Augenmaß und auf Augenhöhe. Wir begleiten Sie bei komplexen Bauvorhaben, insbesondere Bürogebäuden, Hotels, Wohnimmobilien, Krankenhäusern, Logistikimmobilien, Infrastrukturvorhaben, im Anlagenbau und bei Ingenieurbauwerken. Innovative, partnerschaftliche Projektentwicklungen gehören zu unserem Beratungsspektrum. Unsere Arbeit beginnt bereits in der Planungsphase und dauert bis zum erfolgreichen Abschluss Ihres Bauvorhabens. Im Falle von Streitigkeiten, die sich nicht einvernehmlich lösen lassen, vertreten wir Ihre Interessen auch vor Gericht und in Schiedsverfahren.

Bauvertragsrecht

Im Bauvertragsrecht unterstützen wir unsere Mandanten praxisgerecht und lösungsorientiert bei der Vertraggestaltung sowie im Vertragsmanagement. Mit unseren maßgeschneiderten Ansätzen gestalten wir für die Auftraggeber- sowie die Auftragnehmerseite Bau-, Generalübernehmer-, Generalunternehmer-, GMP-, Nachunternehmer- und Bauträgerverträge. Zu unserem Beratungsspektrum gehören neben ARGE- und Konsortialverträgen auch innovative Formen der partnerschaftlichen Zusammenarbeit bei komplexen Bauprojekten wie die Integrierte Projektabwicklung (IPA) mit Mehrparteienverträgen. Unsere Referenzen geben Ihnen einen Einblick in herausragende Projekte von überregionaler Bedeutung, die wir erfolgreich begleitet haben.

Architekten- und Ingenieurrecht

Der Immobilienmarkt hat in den letzten Jahren signifikant an Attraktivität gewonnen – eine erfreuliche Entwicklung, die den Immobiliensektor jedoch gleichzeitig vor immer neue Herausforderungen stellt. Planungssicherheit zu erlangen und Prozesse rechtssicher zu gestalten, ist darum heute wichtiger denn je. Vor diesem Hintergrund beraten wir Architekten und Ingenieure sowie Projektsteuerer zu allen rechtlichen Themen rund um die Planung von Bauvorhaben. Ob bei der Vertragsgestaltung, der Rechtsdurchsetzung, bei Mängeln, BIM-Prozessen, dem urheberrechtlichen Schutz von Architektenleistungen oder bei Honorarfragen – mit unserer langjährigen Erfahrung im Immobiliensektor beraten wir Sie zu allen rechtlichen Fragen, die sich im Zusammenspiel mit den Planungsbeteiligten ergeben.

Vertragsmanagement – VertragsMan ® Bauleistungen

Mit individuell zusammengestellten Teams beraten wir Sie an allen Investitionszentren in Deutschland baubegleitend zu projektphasentypischen rechtlichen Themen wie Nachträgen, Störungen im Bauablauf, Kündigungen, Mängeln, Leistungsverweigerung und Abrechnung. Besonders ausgeprägt sind unsere Expertise und Erfahrung in der interdisziplinären Zusammenarbeit der Baubeteiligten und – damit einhergehend – unser Verständnis für die wirtschaftlichen und technischen Zusammenhänge. Dieses Expertenwissen geben wir gerne weiter: Auf Wunsch bereiten wir Mitarbeitende unserer Mandanten mit Inhouse-Schulungen auf die rechtssichere Durchführung von Bauvorhaben vor. Und sollte in einem Konfliktfall keine gütliche Einigung möglich sein, vertreten wir Sie in Gerichts- und Schiedsverfahren.

HochbauRecht

Die Zahl der Hochbauvorhaben nimmt seit Jahren zu. Das liegt zum einen am stark gestiegenen Wohnungsbau, der insbesondere in den Ballungszentren boomt. Zum anderen tragen zu dieser Entwicklung alle Arten von Gewerbebauten wie Hotels, Büros und Geschäftshäuser sowie Klinikbauten und die Sanierung von Bestandsgebäuden bei. Ständig komplexer werdende gesetzliche Anforderungen im Hinblick auf Energieffizienz und das vermehrte Interesse am Einsatz nachhaltiger Rohstoffe im Bausektor nehmen darüber hinaus immer größeren Einfluss auf Planung und Durchführung von Hochbauprojekten. Wir beraten Bauherren, Planer, Investoren und Bauunternehmen mit maßgeschneiderten Einzelleistungen bei der rechtlichen Umsetzung von Hochbauvorhaben – von der Einzelvergabe bis zum Schlüsselfertigbau.

TiefbauRecht

Unser hoher Spezialisierungsgrad kommt auch im Sektor (Spezial-)Tiefbau und Ingenieurbau zum Tragen. Während zum Ingenieurbau u.a. Industriebauten, Brücken oder Wasserbau mit Schleusen, Kaimauern und Wasserstraßen zählen, gehören Baugruben für Wohn-, Büro- und Industriebauten, aber auch Infrastrukturprojekte wie Bahn- und Straßentunnel zum (Spezial-)Tiefbau. Derartige Bauwerke lassen sich ohne eine fundierte rechtliche Beratung nicht verwirklichen. Dank langjähriger Tätigkeit im (Spezial-)Tiefbau und Ingenieurbau verfügen wir über eingehende Expertise und praxisnahes Know-how in diesem Sektor, was unsere Mandanten seit vielen Jahren zu schätzen wissen.

Anlagenbau

Zum Anlagenbau zählen neben dem klassischem Kraftwerksbau viele verschiedene Arten von Industrieanlagen und technischen Gewerken, wie zum Beispiel Produktions- und Prozessanlagen in der Chemie-, Lebensmittel- und Automobilindustrie. Unsere Beratung endet nicht beim Projektabschluss solcher Vorhaben, sondern wir begleiten unsere Mandanten in allen Fragen von der Planung und Konstruktion über die Errichtung und Inbetriebnahme bis hin zur Wartung und Instandsetzung von Anlagen. Darüber hinaus bieten wir ein rechtliches Claim-, Anti-Claim- und Risk-Management an. Einen weiteren Schwerpunkt unserer Tätigkeit bilden Arbeitsgemeinschafts- und Konsortialstrukturen als Teil von Anlagenbauvorhaben.

Infrastruktur

Infolge der Digitalisierung und durch das gestiegene Bewusstsein für die Daseinsvorsorge stehen Infrastrukturmaßnahmen zunehmend im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Hierzu gehören Freileitungsanlagen und Stromtrassen für die Umsetzung der Energiewende, aber auch das Schienennetz, Fernstraßen, Tunnel und Brücken, Wasserstraßen und -schleusen sowie Datennetze, die zusammen mit dem Glasfaser- und Mobilfunkausbau den Grundpfeiler der Digitalisierung bilden. Das rechtliche Umfeld bei Infrastrukturmaßnahmen ist äußerst komplex und heterogen. Darum bündeln wir in individuell zusammengestellten Teams das Know-how von Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen, um für unsere Mandanten maßgeschneiderte Lösungen zur erfolgreichen Umsetzung ihrer Infrastrukturprojekte entwickeln zu können.

Arbeitsgemeinschaften, Konsortien und Mehrparteienverträge

Bei der Gestaltung und Begleitung von ARGE-, Konsortial- und Mehrparteienverträgen stehen wir unseren Mandanten mit unserer umfangreichen und langjährigen Erfahrung zur Seite. Innovative partnerschaftliche Projektentwicklungen und Abwicklungsformen mit Integrierter Projektabwicklung (IPA) gehören ebenfalls zu unserem Beratungsspektrum. Die Nachfrage nach solchen Modellen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, unter anderem infolge der frühzeitigen Einbindung der Beteiligten, anreizbezogener Vergütungsmechanismen, (interner) Haftungsbeschränkungen und nicht zuletzt wegen dem vorhandenen Instrumentarium zur Konfliktlösung. Auf dieses Marktinteresse reagieren wir mit entsprechenden Beratungsangeboten.

Public Private Partnership

Die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Betriebe sowie der Trend, große öffentliche Bauvorhaben und deren anschließenden Betrieb aus einer Hand anzubieten, führen zu einer wachsenden Bedeutung von Public Private Partnerships (PPP). Darunter versteht man die partnerschaftliche Zusammenarbeit öffentlicher und privater Institutionen. Wir beraten sowohl die öffentliche Hand als auch private Unternehmen bei der Konzeption der juristisch oftmals hochkomplexen PPP-Projekte, begleiten Vergabeverfahren und gestalten und verhandeln Projekt- und Finanzierungsverträge.

TiefbauRecht 5/2023 – Von der Redaktion

TiefbauRecht 5/2023 - Von der Redaktion

Unsere Zeitschrift bringt die wichtigsten und aktuellsten Themen eines besonderen Rechtsgebiets im Rahmen des Bauvertragsrechts Bestandteils auf den Punkt: Von der richtigen Ausschreibung über die korrekte Ausführung und Abrechnung bis hin zu Fragen von Schadensfällen und abweichenden Bodenbedingungen, wird das komplette Spektrum des Tiefbaurechts von der Praxis für die Praxis betrachtet, systematisch aufgearbeitet und einschlägig erläutert.

Erd-, Spezialtief-, Tunnel-, Pipeline-, Kanal-, Straßen- und Brunnenbau mit Altlasten-, Kampfmittel- und Baulärmrecht sowie Homogenbereiche. Alles dabei! Stuttgart 21, das Kölner Stadtarchiv, zahlreiche Tunnelbohrungen und zuletzt wiederholte Bombenfunde bei Großbaustellen zeigen stellvertretend die Bedeutung des Baugrund- und Tiefbaurechts für die meisten Bauprojekte. Auch eine vorherige Untersuchung und Beschreibung der Boden- und Wasserverhältnisse kann nie das Baugrund- bzw. Systemrisiko vollständig ausschließen.

Der Fokus unserer Zeitschrift liegt deshalb zum einen auf einer griffig-praxisgerechten Herangehensweise, zum anderen auf den neuesten Entscheidungen des BGH und der Obergerichte. Dabei bringen unsere Autoren ihre jahrelange Erfahrung aus Kautelar- und Prozesspraxis ein. Das aktuelle Heft (wie alle Hefte) hilft und unterstützt beim praxisgerechten Zugang zu einem praktisch sehr häufig streitrelevanten und oft missverstandenen Rechtsgebiet. Dabei enthält das Heft zahlreiche direkt umsetzbare Hinweise und Tipps für die praktische Arbeit.

Dies garantiert für alle gängigen Probleme eine zeitnahe Lösung unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung. Ihre Vorteile: Konzentration auf die in der Vertrags- und Ausführungspraxis wirklich bedeutsamen Fragen; klare Hinweise und richtige Schwerpunktsetzung der komplexen Materie; kompetente und prägnante Erläuterung des Tiefbaurechts und der dazu ergangenen Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte. Viel Freude und relevanten Erkenntnisgewinn beim Lesen!

Ihre Redaktion

Kurz belichtet – Vergütungshöhe kann (ausnahmsweise) geschätzt werden

Kurz belichtet - Vergütungshöhe kann (ausnahmsweise) geschätzt werden

OLG Naumburg, Urteil vom 22.12.2022 – 2 U 49/18

Eine Schätzung nach § 287 ZPO ist im Ausnahmefall auch im Bereich der Vergütungshöhe zulässig (hier: Höhe der Vergütung des Bauunternehmers, der Restleistungen im Rahmen einer Ersatzvornahme erbringt und abrechnet, bei unstreitiger Höhe des Einheitspreises und streitigem Aufmaß) mit der Maßgabe, dass lediglich die Mindestmengen der erbrachten Leistungen in Ansatz gebracht werden können.

Befangenheitsantrag ist unverzüglich nach Kenntnis des Gutachtens zu stellen

OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.05.2023 – 17 W 41/22

Erhebliche Gründe, die eine Verlängerung der Frist zur Stellungnahme gem. § 224 Abs. 2 ZPO rechtfertigen sollen, sind grundsätzlich in der Antragsschrift glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung hat schriftlich zu erfolgen. Eine darüberhinausgehende Beweisaufnahme kommt nicht in Betracht (hier: Befangenheitsgesuch innerhalb der Frist nach § 411 Abs. 4 ZPO).

Fliesenarbeiten in Fachwerkhaus sind zu planen und zu überwachen

OLG Naumburg, Urteil vom 29.12.2022 – 2 U 156/21

1. Ein mit den Grundleistungen der Objektplanung nach § 34 HOAI 2013 beauftragter Architekt ist im Rahmen des Neubaus von Badezimmern in einem Fachwerkhaus verpflichtet, für die Fliesen- und Bodenverlegearbeiten neben einer Erwähnung der auszuführenden Abdichtung des Untergrunds im konstruktiven Leistungsverzeichnis eine skizzenhafte Untersetzung der Art und Weise der Herstellung der Bodenabdichtung unter Angabe von Leitdetails – z. B. zur Fläche und zur Höhe der erforderlichen wannenförmigen Abdichtung – zu fertigen und dem bauausführenden Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Die ordnungsgemäße Umsetzung der Vorgaben zur Bodenabdichtung ist im Rahmen der Bauüberwachung zu kontrollieren.

2. Nimmt der mit der Lieferung und Montage von Sanitäreinrichtungen, insbesondere Duschen, beauftragte Unternehmer (Badausrüster) ohne eine Rücksprache oder Bedenkenanmeldung den Einbau der Duschwannen auf dem vorhandenen, offenkundig mehrschichtig aus saugfähigen Materialien bestehenden Fußbodenaufbau in einem Fachwerkhaus ohne irgendeine Abdichtung vor, so ist diese Leistung trotz des Umstands, dass die Bodenabdichtung von einem anderen Unternehmen geschuldet wird, pflichtverletzend i. S. eines Sachmangels seiner eigenen Leistungen.

3. Ohne eine Einbeziehung der VOB/B als Ganzes in den Bauvertrag kann sich der Unternehmer auch dann nicht mit Erfolg auf eine Verkürzung der gesetzlichen Gewährleistungsfrist von fünf auf vier Jahre berufen, wenn im Abnahmeprotokoll deklaratorisch der Ablauf der Gewährleistungsfrist datumsmäßig vier Jahre nach dem Abnahmetermin vermerkt ist.

Grenzüberschreitender Sachverhalt: Mindestsätze der HOAI nicht anwendbar

LG München I, Urteil vom 04.05.2023 – 2 O 25999/09

1. Die Vorschrift zum Mindesthonorar nach § 4 Abs. 1 HOAI 1996/2002 findet bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt zwischen Privaten keine Anwendung, da die Vorschrift in nicht rechtfertigender Weise in die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EWG (Art. 56 AEUV) eingreift.

2. Die Dienstleistungsfreiheit entfaltet unmittelbare Drittwirkung.

Mängelrüge hemmt die Verjährung nicht insgesamt

OLG Saarbrücken, Urteil vom 19.10.2022 – 2 U 229/21

1. Die gesetzliche Verjährungsfrist für Baumängel kann durch eine individualvertragliche Vereinbarung der Bauvertragsparteien wirksam (hier: um ein Jahr) verkürzt werden.

2. Verjährungshemmende Maßnahmen des Auftraggebers betreffen nur den konkret im Raum stehenden Mangel und nicht jedwede sonstigen Mängel.

3. Die Mängelrüge dient dazu und muss deshalb so formuliert sein, dass der Auftragnehmer überblicken kann, was ihm vorgeworfen wird und was von ihm als Abhilfe erwartet wird.

Kein Geldersatz bei unterlassener Beseitigung

BGH, Urteil vom 23.03.2023 – V ZR 67/22

Die Vorschrift des § 281 BGB findet auf die Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche des Eigentümers aus § 1004 Abs. 1 BGB keine Anwendung.

Auftragnehmer darf “optimieren”: Konsequenzen für die Bauausführung?

OLG München, Urteil vom 28.09.2021 – 9 U 1739/20 Bau

1. Art und Umfang der auszuführenden Leistung wird durch “den Vertrag” im Sinne des gesamten Vertragswerks bestimmt. Zum Vertrag kann nicht nur ein Raumbuch, sondern auch ein Bieterprotokoll gehören.

2. Legen die Parteien eines Bauvertrags im Bieterprotokoll fest, dass der Auftragnehmer Teile der Leistung “optimieren” darf, ist diese Vereinbarung gegenüber den Vorgaben eines Standard-Raumbuchs vorrangig.

3. “Optimieren” bedeutet, dass der Auftragnehmer befugt ist, von den Vorgaben der Leistungsbeschreibung abzuweichen, solange die behördlichen und gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden, die Leistung funktionstauglich ist, sie den anerkannten Regeln der Technik entspricht und mit der im Vertrag beschriebenen Leistung technisch mindestens gleichwertig ist.

4. Vereinbaren die Parteien eines Bauvertrags, dass wegen der bei Abnahme vorbehaltenen Mängel ein selbständigen Beweisverfahrens durchgeführt wird, dessen Gegenstand die Feststellung von Mängeln, der zur Beseitigung erforderlichen Maßnahmen und der hierfür erforderlichen Kosten sein soll, kann der Auftragnehmer vor Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens mit der Mängelbeseitigung nicht in Verzug geraten.

5. Der Auftraggeber, der auf ein sehr konkretes Nacherfüllungsverlangen besteht, auf das er keinen Anspruch hat, verhält sich in sich widersprüchlich und treuwidrig, wenn er einerseits die angebotene Mängelbeseitigungsmaßnahme des Auftragnehmers als unzureichend zurückweist, andererseits aber behauptet, die Wahl der Nacherfüllung dem Auftragnehmer überlassen zu wollen und dessen Nacherfüllung anzunehmen. Bei widersprüchlichem Verhalten des Auftraggebers ist im Zweifel von einer Weigerung der Entgegennahme der angebotenen Nacherfüllung oder Mängelbeseitigung auszugehen.

Wiederauffüllungsverpflichtung kann zu Übersicherung führen

LG Düsseldorf, Urteil vom 06.04.2023 – 13 O 151/15

Gibt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen vor, dass der Auftragnehmer eine Gewährleistungsbürgschaft zu stellen hat, die nach berechtigter Inanspruchnahme wieder aufzufüllen ist, führt dies zur Gesamtunwirksamkeit der Sicherungsklausel, wenn durch die Wiederauffüllung eine Gewährleistungssicherheit von 7% der Auftragssumme oder mehr erreicht werden kann.

Beschluss zur Reparatur der Fassade bedarf zuvor mehrerer Angebote

AG Charlottenburg, Urteil vom 10.05.2022 – 74 C 47/21

1. Die Einholung mehrerer Angebote ist regelmäßig erforderlich, um die Angemessenheit der Honorarvorstellung des jeweiligen Leistungsanbieters überprüfen zu können.

2. Die Möglichkeit der Kenntnisnahme lediglich eines weiteren Angebots in der Eigentümerversammlung ist nicht ausreichend.

Eintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek: Dringlichkeit kann widerlegt werden

OLG Schleswig, Beschluss vom 03.03.2023 – 12 W 5/23

Das OLG Schleswig gibt seine abweichende Auffassung gemäß Beschluss vom 20.11.2019 (1 W 12/19, IBRRS 2019, 4151) auf. Ein “Wiederaufleben” oder “Neuentstehen” der Dringlichkeit bleibt aber möglich.

Muss ein Innenarchitekt auf seine beschränkte Bauvorlageberechtigung hinweisen?

OLG Koblenz, Urteil vom 25.02.2021 – 6 U 1906/19

1. Ein Architekten- oder Ingenieurvertrag konnte auch nach dem bis zu, 31.12.2017 geltenden Werkvertragsrecht aus wichtigem Grund gekündigt werden.

2. Kündigungsgründe können “nachgeschoben” werden, wenn sie bereits zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung tatsächlich vorlagen.

3. Ein Innenarchitekt ist nur beschränkt bauvorlageberechtigt. Erscheint zweifelhaft, ob der Innenarchitekt objektiv dazu befugt ist, die Baugenehmigung für das Bauvorhaben zu beantragen, hat er den Auftraggeber ungefragt darüber aufzuklären.

4. Wird auf Veranlassung des (Innen-)Architekten mit der Ausführung der Bauarbeiten begonnen, obwohl noch keine Baugenehmigung vorliegt, kann der Auftraggeber den Architektenvertrag aus wichtigem Grund kündigen.

5. Rechtsfolge einer Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass eine Vergütung für die bislang erbrachten Leistungen nicht geschuldet ist, wenn das Architektenwerk so schwerwiegende Mängel aufweist, dass es nicht nachbesserungsfähig und deshalb für den Auftraggeber wertlos ist.

6. Die VOB/B kann formularmäßig nicht wirksam in einen Architekten- oder Ingenieurvertrag einbezogen werden.

Vorunternehmerleistung unzureichend: Auftragnehmer haftet nicht immer

OLG Hamm, Urteil vom 06.12.2022 – 24 U 55/21

1. Der Auftragnehmer ist ungeachtet der getroffenen Leistungsvereinbarung werkvertraglich dazu verpflichtet, dem Auftraggeber eine dem Vertragszweck gerecht werdende, funktionstaugliche Leistung zu verschaffen.

2. Die Leistung ist auch dann mangelhaft, wenn sie die vereinbarte Funktion nur deshalb nicht erfüllt, weil die vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Leistungen anderer Unternehmer, von denen die Funktionsfähigkeit der Leistung abhängt, unzureichend sind. Der Auftragnehmer ist in einem solchen Fall nur dann nicht für den Mangel verantwortlich, wenn er seine Prüfungs- und Hinweispflicht erfüllt hat.

3. Die Haftung des Auftragnehmers für einen Mangel aufgrund unzureichender Vorunternehmerleistungen setzt voraus, dass die Leistung in engem Zusammenhang mit der Vorarbeit eines anderen Unternehmers steht, auf die seine Leistung aufbaut und die sich darauf auswirken können (hier verneint).

4. Der Auftragnehmer ist verpflichtet, Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Auftraggebers zu nehmen, wozu es auch gehören kann, auf erkennbare Schadensquellen hinzuweisen.

Architekt überschuldet: Löschung aus der Architektenliste

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.04.2023 – 4 B 866/21

1. Die Eintragung eines Architekten aus der Architektenliste ist u. a. dann zu löschen, wenn nach der Eintragung Tatsachen eintreten oder bekannt werden, aus denen sich ergibt, dass er die für die Wahrnehmung der Berufsaufgaben erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt. Das ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn ein Architekt überschuldet ist und über kein tragfähiges Sanierungskonzept verfügt, das den Schluss auf einen baldigen Schuldenabbau rechtfertigt.

2. Ausnahmsweise kommt eine andere Beurteilung auch ohne Sanierungskonzept in Betracht, wenn trotz Überschuldung im Einzelfall keine Gefahren für diejenigen Personen bestehen, die Architektenleistungen in Anspruch nehmen möchten.

3. Die Annahme einer solchen Sondersituation setzt zumindest voraus, dass ein überschuldeter Architekt, um die Löschung aus der Architektenliste zu vermeiden, seine selbstständige Tätigkeit vollständig und nachhaltig aufgibt, nur noch als angestellter Architekt auftritt und mit seinem Arbeitgeber rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Auftraggeber effektiv verhindern.

Ferienwohnung in reinem Wohngebiet zulässig

OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23.03.2023 – 1 MB 18/22

1. Die Bestimmungen des § 13a BauNVO finden auf Bebauungspläne, die vor deren Inkrafttreten wirksam wurden (Bestands-B-Pläne), keine Anwendung.

2. Auf Bestands-B-Pläne können die Bestimmungen des § 13a BauNVO jedoch als Auslegungshilfe Anwendung finden.

3. Ist in Bestands-B-Plänen eine Festsetzung als reines Wohngebiet erfolgt, beurteilt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Ferienwohnungen anhand der Auslegung des Planungswillens der Gemeinde (hier verneint).

Einbringung einer Recyling- und Schotterschicht ist stichprobenartig zu kontrollieren

OLG Koblenz, Urteil vom 04.03.2021 – 2 U 1498/16

1. Wer vertraglich die Bauaufsicht übernimmt, hat schon während der Ausführung dafür zu sorgen, dass der Bau plangerecht und frei von Mängeln errichtet wird. Er muss die Arbeiten in angemessener und zumutbarer Weise überwachen.

2. Bei wichtigen oder bei kritischen Baumaßnahmen, die erfahrungsgemäß ein hohes Mängelrisiko aufweisen, ist der bauüberwachende Architekt zu erhöhter Aufmerksamkeit und zu einer intensiveren Wahrnehmung der Bauaufsicht verpflichtet.

3. Handwerkliche Selbstverständlichkeiten bei allgemein üblichen, gängigen und einfachen Bauarbeiten, deren Beherrschung durch den Bauunternehmer vorausgesetzt werden kann, müssen im Zweifel nicht überwacht werden; insoweit darf sich der Architekt bis zu einem gewissen Grad auf die Zuverlässigkeit und ordnungsgemäße unternehmerische Bauausführung verlassen.

4. Der bauüberwachende Architekt ist verpflichtet, die vertragsgerechte Einbringung einer Recyling- und Schotterschicht zumindest stichprobenartig zu kontrollieren.

Sicherungshöhe unklar: Sicherungsabrede unwirksam

AG Dresden, Urteil vom 13.04.2023 – 103 C 3963/22

1. Eine vom Auftraggeber gestellte Sicherungsabrede ist unwirksam, wenn die für die Höhe der Sicherheit maßgebliche Bezugsgröße nicht hinreichend transparent geregelt ist.

2. Eine Intransparenz kann sich auch bei Vereinbarung einer Rangfolgeklausel daraus ergeben, dass das Klauselwerk sich widersprechende Regelungen zur Bezugsgröße enthält, die jede für sich genommen wirksam wäre.

Planer muss sich auf verschiedene Bauvergabestrategien einstellen

OLG Hamburg, Beschluss vom 20.03.2023 – 1 Verg 3/22

1. Die Vorgabe des Auftraggebers, dass sowohl für den Fall der Einzelgewerks- als auch für den Fall der GU-Vergabe zu bieten ist und er sich vorbehält, die konkrete Vergabestrategie erst der nach Auftragsvergabe an die Planer (hier: nach Abschluss der Leistungsphase 4) festzulegen, führt in einem Verhandlungsverfahren nicht zu einem Verstoß gegen das Gebot der hinreichenden Bestimmtheit und Transparenz der Leistungsbeschreibung.

2. Es existiert kein Verbot, dem Auftragnehmer vertraglich (selbst erhebliche) Wagnisse aufzuerlegen. Es ist daher – bis zur Grenze der Unzumutbarkeit – zulässig, dem Auftragnehmer auch solche Risiken aufzubürden, die nach dem gesetzlichen Leitbild grundsätzlich den Auftraggeber treffen.

3. Der Auftraggeber hat bei der Ausgestaltung des Verhandlungsverfahrens einen weiten Ermessensspielraum. Er kann festlegen, wie viele Verhandlungs- und Angebotsrunden es gibt, wobei er diese Entscheidung auch in Abhängigkeit vom Ablauf des bisherigen Verfahrens treffen kann, solange er die Grundsätze von Transparenz und Gleichbehandlung beachtet.

4. Eine Rüge muss so bestimmt gefasst sein, dass dem Auftraggeber klar wird, welches konkrete Tun oder Unterlassen von dem rügenden Bieter für vergaberechtswidrig gehalten wird.

5. Eine allgemeine enthaltene Rüge, wonach bestimmte Leistungen durchweg nicht hinreichend klar beschreiben worden seien, genügt nicht, um dem Auftraggeber zu verdeutlichen, was der Bieter von ihm erwartet hätte.

Aktenzeichen und Verkündungsdatum falsch: Berufung trotzdem zulässig?!

BGH, Beschluss vom 14.03.2023 – X ZB 4/22

Wenn in einer Berufungsschrift, der das angefochtene Urteil nicht beigefügt ist, das Aktenzeichen und das Verkündungsdatum nicht oder nicht zutreffend angegeben sind, steht dies der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen, sofern das Berufungsgericht und die gegnerische Partei anhand der innerhalb der Berufungsfrist eingereichten Unterlagen das angefochtene Urteil dennoch zweifelsfrei bestimmen können (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 25.02.1993 – VII ZB 22/92, NJW 1993, 1719 = IBRRS 1993, 0298).

Streitwert für Auflassungsklage im Bauträgervertrag?

OLG Celle, Beschluss vom 20.04.2023 – 5 W 15/23

Der Streitwert einer Klage auf Auflassung und Bewilligung der Eintragung ist in den Fällen, in denen nur noch eine im Verhältnis zum Kaufpreis geringe Restforderung streitig ist und allein das Bestehen oder Nichtbestehen dieser Restforderung über die Erfolgsaussichten der Klage entscheidet, auf den Wert der streitigen Forderung zu begrenzen.

Gericht muss sich mit Privatgutachten auseinandersetzen

BGH, Beschluss vom 28.03.2023 – VI ZR 29/21

Zur Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs bei einer unterbliebenen Auseinandersetzung der Entscheidungsgründe mit dem auf Privatgutachten gestützten Kernvorbringen einer Partei.

KG zur “großen” Kündigungsvergütung: Berechnung der Ersparnis auf kalkulatorischer Grundlage!

KG zur "großen" Kündigungsvergütung: Berechnung der Ersparnis auf kalkulatorischer Grundlage!

Solange sich keine Anhaltspunkte für eine andere Kostenentwicklung ergeben, reicht es bei der Geltendmachung der großen Kündigungsvergütung aus, wenn der Werkunternehmer die Ersparnis auf der Grundlage seiner ursprünglichen Kalkulation berechnet. Der Werkunternehmer kann auch auf Basis eines geplanten, aber bislang nicht genehmigten Subunternehmereinsatzes jedenfalls dann abrechnen, wenn keine Anhaltspunkte für eine andere Kostenentwicklung gegeben sind. Dabei müssen derartige Anhaltspunkte für eine andere Kostenentwicklung sich bereits in einem Verhalten der Vertragsparteien vor Vertragsbeendigung manifestiert haben. Zur Berichtigung des Kostentenors von Amts wegen durch das Berufungsgericht im Hinblick auf eine Nebenintervention ausschließlich in erster Instanz.
KG, Urteil vom 11.04.2023 – 7 U 74/21

Gründe

I.

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz allein noch über Werklohnansprüche der Klägerin aus ihrer Schlussrechnung vom 10. Januar 2019, mit der sie nach Kündigung des Bauvertrages Vergütung von nicht erbrachten Leistungen begehrt.

Wegen der Einzelheiten wird gemäß § 540 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen und diese dahingehend ergänzt, dass der Beklagten der Einsatz der R GmbH als Subunternehmer der Klägerin von Anfang an bekannt war.

Das Landgericht hat – soweit hier noch von Bedeutung – der Klage auf Zahlung der großen Kündigungsvergütung nur in Höhe von 14.741,71 Euro gemäß der 5%-Vermutungsregel nach § 648a Abs. 5 Satz 3 BGB a.F. stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und meint, dass die große Kündigungsvergütung auch dann nach § 648a Abs. 5 Satz 2 BGB a.F. auf Grundlage eines Nachunternehmereinsatzes kalkuliert werden könne, wenn diesem seitens des Bestellers – hier der Beklagten – nicht gemäß § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B zugestimmt worden war.

Die Klägerin beantragt nach Rücknahme ihrer Berufung im Übrigen,

die Beklagte in teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 12. Mai 2021 zum Aktenzeichen 29 O 175/18 zu verurteilen, an sie weitere 28.050,99 Euro nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Januar 2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass sie den Subunternehmereinsatz nicht genehmigt habe und diesen auch nicht genehmigt hätte, so dass die Klägerin bei der Berechnung der ersparten Aufwendungen nicht auf die vertragswidrige Weitergabe des Auftrags an die Subunternehmerin abstellen dürfe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Über die Berufung der Klägerin war infolge des durch die teilweise Berufungsrücknahme bedingten Verlustes des Rechtsmittels (§ 516 Abs. 3 ZPO) nur noch insoweit zu befinden, als die Klägerin über die erstinstanzliche Verurteilung hinaus die Zahlung weiterer 28.050,99 Euro begehrt. In diesem Umfang hat die Berufung Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung weiterer 28.050,99 Euro aus § 648a Abs. 5 Satz 2 BGB a.F. (sog. “große Kündigungsvergütung”); auf das Schuldverhältnis ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung anzuwenden, die für ab dem 1. Januar 2002 und bis zum 31. Dezember 2017 geschlossene Verträge gilt, Art. 229 § 5 Satz 1, § 39 EGBGB.

Gemäß § 648a Abs. 5 Satz 2 BGB a.F. ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen, wenn er den Bauvertrag gemäß § 648a Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 BGB a.F. kündigt; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder böswillig zu erwerben unterlässt.

1. Aus den zutreffenden und mit der Berufung nicht angegriffenen Ausführungen des Landgerichts (S. 6 ff.), die sich das Berufungsgericht zu eigen macht, hatten die Parteien wirksam einen Bauvertrag über Betonarbeiten für einen Parkplatz geschlossen und dabei die Geltung der VOB/B in Gänze vereinbart (Anlage K1); diesen Bauvertrag kündigte die Klägerin wirksam durch Schreiben vom 2. August 2018 (Anlage B1) wegen der ausgebliebenen Stellung einer Sicherheit, § 648a Abs. 5 Satz 1 BGB a.F.

2. Die Klägerin hat auch die Anspruchshöhe schlüssig dargelegt.

Bei der großen Kündigungsvergütung fällt dem Unternehmer allein die Erstdarlegung seiner ersparten Aufwendungen zu; behauptet der Besteller in Abweichung zum Zahlenwerk des Unternehmers, dieser habe tatsächlich höhere Beträge erspart, so trägt der Besteller hierfür die weitere Darlegungs- und die Beweislast (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2000 – VII ZR 467/99 -; KG, Teilurteil vom 16. Februar 2018 – 21 U 66/16 -).

Die Klägerin hat im Rahmen der sie treffenden Erstdarlegungslast nachvollziehbar einen Vergütungsanspruch in der ausgeurteilten Höhe dargelegt. Dabei durfte sie auf ihre auf einem Nachunternehmereinsatz basierende Kalkulation aufbauen (dazu a)). Auf dieser Grundlage hat sie für die Positionen 2.1.90 und 2.1.100 als ersparte Aufwendungen den durch die Kündigung ersparten Werklohn, den sie andernfalls an ihren Subunternehmer hätte zahlen müssen, abgezogen; zusätzlich hat sie als ersparte Aufwendungen Regiekosten in Abzug gebracht (dazu b)).

a) Die Klägerin durfte ihre Berechnung darauf aufbauen, dass die von ihr infolge der Kündigung nicht mehr zu erbringenden Werkleistungen durch die Firma R GmbH ausgeführt worden wären. Dieser Vorgehensweise steht nicht entgegen, dass der Klägerin für den Einsatz ihres Nachunternehmers entgegen § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B keine schriftliche Zustimmung der Beklagten vorlag.

aa) § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B findet auf den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag indes Anwendung. Eine Inhaltskontrolle dieser Norm (vgl. zu einer solchen instruktiv Messerschmidt/Voit/Voit, 4. Aufl. 2022, VOB/B § 4 Rn. 37 f.) nach § 307 BGB ist gemäß § 310 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 1 BGB nicht veranlasst.

bb) Eine schriftliche Zustimmung der Beklagten war hier nicht gemäß § 4 Abs. 8 Nr. 1 Satz 3 VOB/B obsolet; denn es handelte sich bei den geschuldeten Werkleistungen nicht um solche, auf die der Betrieb der Klägerin nicht eingerichtet gewesen wäre.

cc) Auch fehlt es an einer schriftlichen Zustimmung zum Nachunternehmereinsatz seitens der Beklagten. Insbesondere hat die Beklagte nicht bereits deshalb eine Genehmigung des Nachunternehmereinsatzes gemäß § 4 Abs. 8 Nr. 1 Satz 2 VOB/B erteilt, weil ihr – unstreitig – der Einsatz der R GmbH als Subunternehmer bekannt war und sie diesen geduldet hat. Denn es fehlt an einer schriftlichen Zustimmung im Sinne der Norm. Auch wenn ein gewillkürtes Schriftformerfordernis – wie in § 4 Abs. 8 Nr. 1 Satz 2 VOB/B – grundsätzlich auch stillschweigend aufgehoben werden kann (s. nur Ellenberger, in Grüneberg, 82. Aufl. 2023, § 127 Rn. 1), fehlt es hier an einem entsprechenden Willen der Beklagten, auf die Schriftform zu verzichten. Denn unstreitig forderte die Beklagte die Klägerin auf, den Einsatz von Nachunternehmern anzumelden. Dieses diente – wie der Klägerin bekannt – dazu, zunächst die Zustimmung der G. einzuholen, die für die Beklagte Voraussetzung dafür war, selbst über eine Zustimmung nachdenken zu können. Damit fehlte es – für die Klägerin erkennbar – jedenfalls auf Seiten der Beklagten an dem Willen, einen Nachunternehmereinsatz durch die Klägerin formlos und konkludent zu genehmigen.

dd) Indes wird ein nicht genehmigter Nachunternehmereinsatz nicht automatisch über Nachteile bei der Kündigungsabrechnung sanktioniert. Maßgeblicher Grundsatz bei der Kündigungsabrechnung ist, dass der Werkunternehmer durch die Kündigung keine Vor- oder Nachteile erlangen darf (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1995 – VII ZR 198/94 -). Er muss nach freier Kündigung des Bestellers seine Vergütung für nicht erbrachte Leistungen auf der Grundlage des dafür vereinbarten Preises abzüglich anderweitigen Erwerbs und derjenigen Kosten berechnen, die bei Fortführung des Bauvertrags tatsächlich entstanden wären. Der Werkunternehmer muss deshalb die konkrete Entwicklung der Kosten vortragen, die bei Durchführung des Auftrages tatsächlich entstanden wären und die er erspart hat. Solange sich keine Anhaltspunkte für eine andere Kostenentwicklung ergeben, reicht es aus, wenn der Werkunternehmer die Ersparnis auf der Grundlage seiner ursprünglichen Kalkulation berechnet (BGH, Urteil vom 22. September 2005 – VII ZR 63/04 -). Der Werkunternehmer kann daher auch auf Basis eines geplanten Subunternehmereinsatzes jedenfalls dann abrechnen, wenn keine Anhaltspunkte für eine andere Kostenentwicklung gegeben sind (Wolber, IBR 2007, 604; großzügiger für den Fall einer vorangegangenen Kündigung durch den Besteller wohl: OLG Celle, Urteil vom 14. Februar 2007 – 7 U 165/06 -; Joussen in: Leupertz/v. Wietersheim, VOB, 22. Aufl. 2023, § 8 Abs. 1 VOB/B Rn. 73; Werner, in Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl. 2020, Kapitel 5, Rn. 1680; Bolz/Jurgeleit/Jahn, ibr-online-Kommentar VOB/B, 13.3.2023, § 8 Rn. 135; BeckOK VOB/B/Brüninghaus, 49. Ed. 31.10.2022, VOB/B § 8 Abs. 1 Rn. 38a; ablehnend: OLG Brandenburg, Urteil vom 10. November 2022 – 12 U 69/22 -). Dabei müssen derartige Anhaltspunkte für eine andere Kostenentwicklung sich – auch aus Gründen der Rechtssicherheit – bereits in einem Verhalten der Vertragsparteien vor Vertragsbeendigung manifestiert haben.

Hier fehlt es an derartigen Anhaltspunkten dafür, dass der Besteller bei Fortführung des Werkvertrages von der ihm theoretisch zustehenden Möglichkeit, den Subunternehmereinsatz nicht zu genehmigen und der Klägerin wegen eines gleichwohl durchgeführten Subunternehmereinsatzes gemäß § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B zu kündigen, Gebrauch gemacht hätte. Denn der Beklagten war der Einsatz der Subunternehmerin bei den später von der Kündigung durch die Klägerin betroffenen Betonierungsarbeiten bereits seit Anfang an bekannt, ohne dass sie Schritte nach § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B unternommen hätte. Die Beklagte hat noch nicht einmal die Kündigungsandrohung der Klägerin auf der Grundlage von § 648a BGB a.F. zum Anlass genommen, ihrerseits die Klägerin aufzufordern, die Leistungen im eigenen Betrieb aufzunehmen, und anderenfalls die Kündigung anzudrohen. Daher ist davon auszugehen, dass ohne Kündigung der Klägerin die Bauleistungen wie bereits zuvor durch den Nachunternehmer der Klägerin weiter durchgeführt worden wären und diese den Werkvertrag – wie von ihr kalkuliert und im hiesigen Rechtsstreit dargelegt – auf Basis dieses Nachunternehmereinsatzes abgerechnet hätte. Da die Klägerin durch die Kündigung nicht schlechter gestellt werden soll, steht ihr daher der Rückgriff auf ihre Nachunternehmerkalkulation auch jetzt zu. Auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob der Beklagten eine Kündigung wegen der monatelangen Duldung des Nachunternehmereinsatzes entsprechend des Rechtsgedankens des § 314 Abs. 3 BGB ggf. verwehrt gewesen wäre (vgl. hierzu OLG Frankfurt, Urteil vom 6. September 2018 – 29 U 55/17 -), kommt es nicht an.

Ebenso wenig kommt es vor dem Hintergrund, dass sich die Anhaltspunkte für eine andere Kostenentwicklung bereits in einem Verhalten der Vertragsparteien vor Vertragsbeendigung manifestiert haben müssen, auf die tatsächlichen Ausführungen nebst Beweisangeboten im – insoweit nicht nachgelassenen – Schriftsatz der Beklagten vom 28. April 2023, S. 4 f. (Bd. III, Bl. 78 f.) zu hypothetischen Verhaltensweisen der Beklagten bzw. deren Auftraggeberin an.

b) Auch die konkrete Darlegung der ersparten Aufwendungen durch die Klägerin ist nicht zu beanstanden.

Soweit die Beklagte lediglich den mit der Streitverkündeten vereinbarten Preis im Schriftsatz vom 21. März 2019, S.9 bestritten hat, reichte dieses einfache Bestreiten im Hinblick auf die sie treffende Darlegungs- und Beweislast nicht aus; die Beklagte ist beweisfällig geblieben. Auch die der Schlussrechnung zugrunde gelegten Leistungsmengen greift die Beklagte nicht substantiiert an.

Für die Position 2.1.90 hat die Klägerin nachvollziehbar vom zwischen den Parteien vereinbarten Werklohn in Höhe von 60,15 Euro die Subunternehmervergütung in Höhe von 51,12 Euro sowie Regiekosten in Höhe von 0,30 Euro in Abzug gebracht. Diesen Wert in Höhe von (60,15-51,12-0,30=) 8,73 Euro hat sie mit der nicht erbrachten Menge in Höhe 4.838,14 m² multipliziert und kam damit zu einer großen Kündigungsvergütung für nicht erbrachte Leistungen bezogen auf die Pos. 2.1.90 in Höhe von 42.236,96 Euro.

Für die Position 2.1.100 hat sie vom zwischen den Parteien vereinbarten Preis in Höhe von 3,50 Euro die Subunternehmervergütung in Höhe von 2,97 Euro sowie Regiekosten in Höhe von 0,02 Euro in Abzug gebracht. Diesen Wert in Höhe von (3,50-2,97-0,02=) 0,51 Euro hat sie mit der nicht erbrachten Menge in Höhe 1.091,45 m² multipliziert und kam damit zu einer großen Kündigungsvergütung für nicht erbrachte Leistungen bezogen auf die Pos. 2.1.100 in Höhe von 556,64 Euro.

Etwaige Füllaufträge waren nicht zulasten der Klägerin zu berücksichtigen. Denn die Beklagte hat den Vortrag der Klägerin, dass der Einsatz des Subunternehmers kaum Kapazitäten der Klägerin gebunden hätte, so dass durch die Kündigung keine erheblichen Kapazitäten frei wurden, die mit Füllaufträgen hätten gefüllt werden können, nicht nachhaltig in Zweifel ziehen können. Soweit die Beklagte meint, dass jedenfalls der Nachunternehmer der Klägerin Füllaufträge hätte akquirieren können, kommt es darauf nicht an. Die Klägerin lässt sich u.a. den vollständig an ihren Nachunternehmer geschuldeten Werklohn als ersparte Aufwendungen anrechnen.

Von der Summe dieser beiden Positionen – 42.793,60 Euro – waren die bereits auf der Basis des § 648a Abs. 5 Satz 3 BGB a.F. vom Landgericht zugesprochenen 14.741,71 Euro in Abzug zu bringen, so dass der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung weiterer 28.051,89 Euro zusteht; zuzusprechen waren indes wegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO lediglich die von der Klägerin beantragten 28.050,99 Euro.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 2 BGB.

III.

Ein Anlass für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 Abs. 1 ZPO besteht im Hinblick auf den nach der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz nicht. Im Hinblick auf den ausführlichen gerichtlichen Hinweis vom 13. Februar 2023, mit dem auf das gesamte dem Gericht zur Kenntnis gelangte Meinungsspektrum zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit einer Nachunternehmerkalkulation bei zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht genehmigtem Nachunternehmereinsatz hingewiesen worden war, hatte die Beklagte ausreichend Gelegenheit zum Vortrag und rechtlicher Stellungnahme bis zum Berufungstermin am 11. April 2023 (s. in diesem Zusammenhang ferner bereits die obigen Ausführungen unter II. 2. a) dd) a.E.).

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO sowie aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Darüber hinaus war im Hinblick auf die Nebenintervention in erster Instanz der Kostentenor von Amts wegen (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. September 2017 – 6 W 31/17 -) zu berichtigen. Denn die Nebenintervenientin ist ausweislich der Antragstellung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 21. April 2021 (Bd. II, Bl. 10) nur in Bezug auf den zwischenzeitlich rechtskräftig gewordenen Streitwertteil beigetreten. In Bezug auf diesen Streitwertteil hatte die Klägerin voll obsiegt, so dass die Beklagte als Gegnerin gemäß § 101 Abs. 1 ZPO sämtliche Kosten des Streithelfers bezogen auf einen Streitwert in Höhe von 53.009,19 Euro zu tragen hat (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2019 – II ZR 94/17 -; Herget, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Auf. 2022, § 101 Rn. 2 a.E.).

V.

Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO für eine Zulassung der Revision liegen vor. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Denn die hier entscheidungserhebliche Frage, ob die große Kündigungsvergütung auch dann nach § 648a Abs. 5 Satz 2 BGB a.F. (bzw. jetzt § 650f Abs. 5 Satz 2 BGB) auf Grundlage eines Nachunternehmereinsatzes kalkuliert werden kann, wenn diesem seitens des Bestellers nicht gemäß § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B zugestimmt worden war, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt und wird in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte konträr beantwortet (OLG Celle, Urteil vom 14.2.2007 – 7 U 1656/06, einerseits, und OLG Brandenburg, Urteil vom 10.11.2022 – 12 U 69/22, andererseits).

Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt
Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.