Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt

Kurz belichtet – Maßgeblich sind allein die in der Auftragsbekanntmachung festgelegten Eignungskriterien und Nachweise

Kurz belichtet - Maßgeblich sind allein die in der Auftragsbekanntmachung festgelegten Eignungskriterien und Nachweise

vorgestellt von Thomas Ax

Bei der Beurteilung der Eignung eines Bieters handelt es sich um eine Prognoseentscheidung, ob vom künftigen Auftragnehmer anhand der festgesetzten Eignungskriterien die ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen erwartet werden kann. Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Beurteilung der Eignung ein Spielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen nur daraufhin überprüft werden kann, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten worden ist, ob der Auftraggeber die von ihm selbst aufgestellten Bewertungsvorgaben beachtet hat, der zu Grunde gelegte Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt worden ist, keine sachwidrigen Erwägungen angestellt worden sind und nicht gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßen worden ist (statt vieler OLG Düsseldorf Beschluss vom 12.08.2021 – Verg 27/21).
Maßgeblich sind insoweit allein die in der Auftragsbekanntmachung festgelegten Eignungskriterien und Nachweise (KG Berlin, Beschluss vom 25.04.2022 – Verg 2/22). Das folgt für die Eignungskriterien aus § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB und für die Nachweise aus § 48 VgV. Gefordert werden kann danach allein, was sich der Ausschreibung nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 157 BGB) aus Sicht der angesprochenen Unternehmen entnehmen lässt (KG Berlin, Beschluss vom 25. 04.2022 – Verg 2/22). Kern der Eignungsprüfung ist die Feststellung, ob die bekannt gemachten Eignungskriterien erfüllt wurden (OLG Frankfurt, Beschluss vom 23.12.2021 – 11 Verg 6/21).

VK Berlin, Beschluss vom 19.07.2024 – VK B 1-19/23

Kurz belichtet – Kein Ausschluss ohne vorherige Anhörung

Kurz belichtet - Kein Ausschluss ohne vorherige Anhörung

vorgestellt von Thomas Ax

Gemäß § 124 Abs. 1 GWB kommt ein Ausschluss eines Bieters bei pflichtgemäßem Ermessen nur unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Betracht. Daraus folgt die Pflicht des Auftraggebers, dem Unternehmen vor seinem Ausschluss rechtliches Gehör zu verschaffen, damit es unter anderem die Möglichkeit erhält, die Vorwürfe zu widerlegen oder mögliche Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB darzulegen (OLG München, Beschluss vom 29.01.2021 – Verg 11/20; EuGH, Urteil vom 03.10.2019 – Rs. C-267/18, Tz. 37). Die vorherige Anhörung ist auch im Hinblick auf die erforderliche Prognoseentscheidung von erheblicher Bedeutung (OLG München, a.a.O.).

VK Berlin, Beschluss vom 19.07.2024 – VK B 1-19/23

Kurz belichtet – Voraussetzung für einen Ausschluss gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB (2)

Kurz belichtet - Voraussetzung für einen Ausschluss gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB (2)

vorgestellt von Thomas Ax

Zunächst verlangt die Verfahrensregelung auf Tatbestandsebene allein eine subjektive Unzufriedenheitswertung eines Referenzgebers. Demgegenüber verlangt § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB auf Tatbestandsseite für einen Ausschluss, dass ein Unternehmen “eine wesentliche Anforderung” bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags “erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat” und “dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat”. Zudem unterliegt die Prüfung des öffentlichen Auftraggebers der Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB – wie oben dargestellt – der (eingeschränkten) Kontrolle der Nachprüfungsinstanzen auf Beurteilungsfehler.
Zweitens schreibt § 124 Abs. 1 GWB für eine Ausschlussentscheidung eine Ermessensentscheidung des öffentlichen Auftraggebers vor und unterwirft auch insoweit die Entscheidung des Auftraggebers der (eingeschränkten) Kontrolle der Nachprüfungsinstanzen auf Ermessensfehler. Demgegenüber sieht die Verfahrensregelung des Antragsgegners bei Vorliegen der subjektiven Unzufriedenheitswertung eines Referenzgebers einen zwingenden Ausschluss des Bieters vom Vergabeverfahren vor.
Drittens erfordert § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB eine eigene Wertungsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers, wenn er sich auf frühere Schlechtleistungen bei der Ausführung eines Auftrags für einen Dritten bezieht. Demgegenüber sieht die Regelung des Antragsgegners mit der zwingenden Ausschlussfolge auch vor, dass der Antragsgegner an die subjektive Zufriedenheitswertung des dritten Auftraggebers gebunden ist.

VK Berlin, Beschluss vom 19.07.2024 – VK B 1-19/23

Kurz belichtet – Voraussetzung für einen Ausschluss gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB (1)

Kurz belichtet - Voraussetzung für einen Ausschluss gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB (1)

vorgestellt von Thomas Ax

Voraussetzung für einen Ausschluss gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB sind (kumulativ) eine erhebliche oder fortdauernde mangelhafte Erfüllung einer wesentlichen Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags, die zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Nach dem Wortlaut der Norm genügt es nicht, dass der Auftraggeber gekündigt, einen Schadensersatzanspruch geltend gemacht oder eine Maßnahme ergriffen hat, die eine vergleichbare Rechtsfolge nach sich zieht. Die Konsequenzen müssen auch zu Recht gezogen worden sein. Da es sich dabei um eine Tatbestandsvoraussetzung handelt, müssen Auftraggeber eine entsprechende Rechtsprüfung (eingehend) dokumentieren, wozu neben der rechtlichen Würdigung auch der zu Grunde gelegte Sachverhalt gehört. Der Ausschlusstatbestand erfasst zwar auch Leistungsstörungen bei öffentlichen Aufträgen anderer Auftraggeber. Dies entbindet aber nicht von der Dokumentation einer Prüfung der Rechtmäßigkeit der hieraus vom anderen Auftraggeber gezogenen Konsequenzen. Der Verweis auf eine erfolgte Kündigung oder auf vergleichbare Sanktionen Dritter genügt dem nicht. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist der Auftraggeber verpflichtet, dem Unternehmen vor seinem Ausschluss rechtliches Gehör zu verschaffen, damit es unter anderem die Möglichkeit erhält, die Vorwürfe zu widerlegen oder mögliche Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB darzulegen. Der Antragsgegner hat eine Prognoseentscheidung dahingehend zu treffen und zu dokumentieren, ob von dem fraglichen Bieter unter Berücksichtigung der festgestellten früheren Schlechtleistung im Hinblick auf die Zukunft zu erwarten ist, dass er den nunmehr zu vergebenden Auftrag nicht gesetzestreu, ordnungsgemäß und sorgfältig ausführen werde.

VK Berlin, Beschluss vom 19.07.2024 – VK B 1-19/23

Kurz belichtet – Streitgegenständliche Kosten eines Rechtsanwalts als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten erstattungsfähig?

Kurz belichtet - Streitgegenständliche Kosten eines Rechtsanwalts als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten erstattungsfähig?

vorgestellt von Thomas Ax

Die Frage, ob die streitgegenständlichen Kosten eines Rechtsanwalts als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten erstattungsfähig sind, richtet sich nach § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 und 3 S. 2 VwVfG. Danach sind Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren erstattungsfähig, wenn die Hinzuzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.
Die Prüfung dieser Frage erfolgt nicht pauschal, sondern einzelfallbezogen aufgrund der Gesamtumstände im jeweiligen konkreten Verfahren (BGH, Beschluss vom 26.9.2006 – X ZB 14/06, Senat, aaO., 11 Verg 8/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.12.2014 – Verg 37/13).
Die Notwendigkeit der Hinzuziehung hängt davon ab, ob der jeweilige Verfahrensbeteiligte nach den Umständen des Falls auch selbst in der Lage gewesen wäre, den Sachverhalt aufgrund der bekannten bzw. erkennbaren Tatsachen zu erfassen, der im Hinblick auf eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung bzw. Rechtsverteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen (BGH, Beschluss vom 26.9.2006 – X ZB 14/06).
Für die Beurteilung der Notwendigkeit können neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände bestimmend sein, wie etwa die sachliche und personelle Ausstattung des Beteiligten, also beispielsweise, ob er über eine Rechtsabteilung oder andere Mitarbeiter verfügt, von denen erwartet werden kann, dass sie gerade oder auch Fragen des Vergaberechts sachgerecht bearbeiten können, oder ob allein der kaufmännisch gebildete Geschäftsinhaber sich des Falls annehmen muss (BGH, aaO – X ZB 14/06).
Im Rahmen der Abwägung ist insbesondere in Betracht zu ziehen, ob sich das Nachprüfungsverfahren hauptsächlich auf auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen einschließlich der dazu gehörenden Vergaberegeln konzentriert. Ist das der Fall, besteht im Allgemeinen für den öffentlichen Auftraggeber keine Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt einzuschalten. In seinem originären Aufgabenkreis muss der Auftraggeber sich selbst die notwendigen Sach- und Rechtskenntnisse verschaffen und bedarf daher auch im Nachprüfungsverfahren nicht notwendig eines anwaltlichen Bevollmächtigten (OLG Düsseldorf, aaO – Verg 37/13, Senat, aaO – 11 Verg 8/17).
Schließlich kann der Gesichtspunkt der so genannten prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung dieser Rechtsfrage einfließen (Senat, aaO – 11 Verg 8/17 und Beschluss vom 20. 1.2016 – 11 Verg 11/15).

OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.06.2024 – 11 Verg 2/24

Schwerpunkt Strafrecht und Vergabe – Tatbeendigung bei wettbewerbsbeschränkender Absprache?

Schwerpunkt Strafrecht und Vergabe - Tatbeendigung bei wettbewerbsbeschränkender Absprache?

vorgestellt von Thomas Ax

Eine Tat nach § 298 StGB (wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen) ist grundsätzlich in dem Zeitpunkt beendet und beginnt zu verjähren, in dem die wesentlichen Merkmale des Auftrags und insbes. der als Gegenleistung für die Arbeiten zu zahlende Gesamtpreis vorbehaltlich etwaiger Nachträge endgültig durch Zuschlag oder Vertragsschluss bestimmt worden sind. Auf die Abwicklung des Vertrags durch Erstellen der Schlussrechnung kommt es nicht an.

Das Saarländische Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 13. Oktober 2023 die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichtzulassung der Anklage im Strafverfahren gegen ein ehemaliges Mitglied des Vorstands der Dillinger Hütte AG wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen verworfen.

Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken wirft dem Angeschuldigten vor, sich als ehemaliges Mitglied des Vorstands der Dillinger Hütte AG in drei Fällen wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen (§ 298 StGB) strafbar gemacht zu haben. Bei der Dillinger Hütte AG soll in den Jahren 2013 bis 2015 bei der Vergabe von Bauaufträgen ein System rechtswidriger Preisabsprachen bestanden haben. Leitende Angestellte der Neubauabteilung der Dillinger Hütte AG hätten, so die Anklage, gemeinsam mit mehreren Bauunternehmen Vergabeverfahren durch Preisverrat so manipuliert, dass die beteiligten Bauunternehmen ausgeschriebene Bauaufträge der Dillinger Hütte AG unter Ausschluss sonstiger Wettbewerber unter sich aufteilen konnten. Der Angeschuldigte habe in Kenntnis und Billigung dieses Systems darauf hingewirkt, dass im Juni und Juli 2013 eines der beteiligten Fremdunternehmen aufgrund wettbewerbsbeschränkender Absprachen die Zuschläge für drei Bauvorhaben der Dillinger Hütte AG erhalten habe. Im Gegenzug habe unter anderem ein Familienmitglied des Angeschuldigten bei dem begünstigten Bauunternehmen eine Vollzeitanstellung erhalten.

Das Landgericht Saarbrücken hat die Zulassung der Anklage aus Rechtsgründen abgelehnt, weil die dem Angeschuldigten zur Last gelegten Taten verjährt seien.

Der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts hat die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 13. Oktober 2023 als unbegründet verworfen und die Rechtsauffassung des Landgerichts bestätigt.

Ungeachtet der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten des Angeschuldigten aufgezeigt habe, sei die Verfolgung der angeklagten Taten gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB wegen Verjährung ausgeschlossen.

Die Verjährungsfrist für die Verfolgung wettbewerbsbeschränkender Absprachen nach § 298 StGB betrage gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 StGB fünf Jahre. Diese Frist beginne gemäß § 78a Satz 1 StGB mit der Beendigung der Tat zu laufen und sei hinsichtlich der angeklagten Taten abgelaufen.

Im Lichte europarechtlicher Rechtsprechung sei, so der Senat, anzunehmen, dass eine Tat nach § 298 StGB spätestens mit Erteilung des Zuschlags bzw. mit Vertragsschluss beendet sei. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs seien grenzüberschreitende wettbewerbsbeschränkende Absprachen nach Art. 101 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise zur Europäischen Union (AEUV) in dem Zeitpunkt beendet, in dem die Parteien den Vertrag schließen. Ab diesem Zeitpunkt sei dem Auftraggeber endgültig die Möglichkeit genommen, die in Rede stehenden Güter, Bau- oder Dienstleistungen frei von unlauteren Einflüssen und unter normalen Marktbedingungen zu erhalten (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Januar 2021 – C-450/19 – Rn. 35, abzurufen unter https://curia.europa.eu). Nichts Anderes könne für den nationalen Straftatbestand des § 298 StGB gelten. Ebenso wie Art. 101 AEUV schütze auch § 298 StGB vorrangig die Freiheit des Wettbewerbs vor unlauteren Einflüssen. Dabei sie die Vorschrift nicht auf den innerdeutschen Wettbewerb beschränkt, sondern erfasse auch Ausschreibungen, die in den Anwendungsbereich des EU-Rechts fielen. Um Widersprüche zwischen der europarechtlichen und der nationalen Rechtsordnung zu vermeiden, sei der Zeitpunkt der Beendigung wettbewerbsbeschränkender Absprachen daher gleich zu bestimmen.

Danach habe die fünfjährige Verjährungsfrist hinsichtlich der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Taten mit Erteilung der Zuschläge im Juni und Juli 2013 zu laufen begonnen. Sie sei deshalb bereits abgelaufen gewesen, als die Staatsanwaltschaft am 8. Januar 2019 aufgrund bekanntgewordener Verdachtsmomente die Ermittlungen gegen den Angeschuldigten eingeleitet habe.

OLG Saarbrücken, Beschluss vom 13.10.2023 – 1 Ws 55/23

VergMan ® für Bieter – Muss Auftraggeber Schlechtleistung beweisen?

VergMan ® für Bieter - Muss Auftraggeber Schlechtleistung beweisen?

vorgestellt von Thomas Ax

1. Im Streitfall über die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB muss die Vergabestelle den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrunds führen, nämlich dass eine erhebliche oder fortdauernde Schlechtleistung zur Kündigung oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Es genügt nicht, dass der Auftraggeber gekündigt hat, es muss vielmehr mit hinreichender Sicherheit feststehen, dass dies auch zu Recht erfolgt ist.*)

2. Im Nachprüfungsverfahren gilt der insbesondere in § 167 GWB verankerte Beschleunigungsgrundsatz. Die Vergabekammer bzw. der -senat ist daher nicht gehalten, die Rechtmäßigkeit der streitigen Kündigung selbst im Wege einer vollumfänglichen Inzidentprüfung mit unter Umständen langwieriger Beweisaufnahme wie in einem Bauprozess zu klären. Vielmehr hat die Vergabekammer anhand des Vorbringens der Beteiligten und der eingereichten Unterlagen zu prüfen, ob der öffentliche Auftraggeber den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrunds auch mit hinreichender Sicherheit führen kann.*)

3. Einem Unternehmen kann sein Verhalten bei Erfüllung eines öffentlichen Auftrags als Mitglied einer Bietergemeinschaft, an die ein Auftrag vergeben wurde, im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zugerechnet werden, wenn ihm ein individueller Beitrag zu den während der Vertragsausführung auftretenden Mängeln zugerechnet werden kann und dieses individuelle Verhalten fehlerhaft oder fahrlässig war.*)

4. Hat ein Auftragnehmer mit rechtlichen Schritten gedroht oder solche unternommen, die er zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer noch ungeklärten Rechtslage für zulässig halten konnte, so ist bei der Prognoseentscheidung im Rahmen einer Ausschlussentscheidung vom öffentlichen Auftraggeber zu Gunsten des Auftragnehmers zu prüfen und zu berücksichtigen, ob dieser einer vertretbaren Rechtsauffassung folgte.*)

VK Südbayern, Beschluss vom 04.04.2024 – 3194.Z3-3_01-23-68

VergMan ® für Bieter – Müssen sich Bieter mit Wertungsmethoden auseinandersetzen?

VergMan ® für Bieter - Müssen sich Bieter mit Wertungsmethoden auseinandersetzen?

vorgestellt von Thomas Ax

1. Bieter müssen sich bei der Erstellung ihres Angebots mit den bekannt gemachten Wertungsmethoden auseinandersetzen. Ein sorgfältig handelnder Bieter wird verschiedene Angebotsstrategien durchdenken, um deren Erfolgsaussichten abzuschätzen. Damit sind bei konkreter Benennung aller relevanten Details zur Preis- und Qualitätswertung, die Auswirkung von verschiedenen Angebotsstrategien bei Preis und Qualität für einen durchschnittlichen fachkundigen Bieter erkennbar. Von einem Bieter kann insbesondere erwartet werden, dass er einfache mathematische Überlegungen anstellt.

2. Allein aus der Einstellung eines Strafverfahrens gegen Geldauflage gem. § 153a Abs. 2 StPO kann nicht geschlossen werden, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte i.S.d. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB vorliegen. Liegen dem öffentlichen Auftraggeber konkrete Hinweise auf Vereinbarungen oder Verhaltensweisen vor, welche zur Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs führen können, dann ist er verpflichtet, diese Erkenntnisse bei seiner Ermessensentscheidung auch zu berücksichtigen und kann sich nicht allein auf die Einstellung des Strafverfahrens berufen.

3. Wurden Straf- oder Kartellverwaltungsverfahren auf eine Art und Weise eingestellt, dass keine Entscheidung darüber getroffen wurde, ob die vorgeworfene oder untersuchte Tat begangen wurde oder ein Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften vorliegt, so ist für den Zeitraum des § 126 Nr. 2 GWB auf die konkrete Handlung selbst und nicht auf das Datum der Einstellung abzustellen.

VK Südbayern, Beschluss vom 11.10.2023 – 3194.Z3-3_01-23-16

VergMan ® für Bieter – Dürfen Mitbewerber unter Druck gesetzt werden?

VergMan ® für Bieter - Dürfen Mitbewerber unter Druck gesetzt werden?

vorgestellt von Thomas Ax

1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Unternehmen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn es versucht hat, die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen.

2. Als Versuch der unzulässigen Einflussnahme ist jede Kontaktaufnahme anzusehen, die nicht die in dem konkreten Vergabeverfahren vorgesehenen Wege und Mittel der Kommunikation einhält und in der ein Unternehmen versucht, Einfluss auf den Auftraggeber oder mit ihm zusammenhängende Stellen oder Personen in Bezug auf das Ergebnis des Vergabeverfahrens zu nehmen.

3. Nimmt ein Unternehmen zu einem potentiellen Wettbewerber im Vorfeld einer möglichen Ausschreibung Kontakt auf, um diesen unter Hinweis auf ein bestehendes Vertragsverhältnis unter der Androhung von Nachteilen (Schadensersatz) von der der Teilnahme an einer öffentlichen Ausschreibung abzuhalten, liegt kein Versuch der unzulässigen Einflussnahme vor.

4. Eine kartellrechtswidrige Nachteilsandrohung kann eine unzulässige wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung – die Verabredung einer Nichtbeteiligung eines Wettbewerbers an der Ausschreibung – darstellen.

VK Bund, Beschluss vom 25.07.2024 – VK 1-58/24

OLG Düsseldorf zu der Frage der Verwendung und Anwendung von Ausschlusskriterien

OLG Düsseldorf zu der Frage der Verwendung und Anwendung von Ausschlusskriterien

vorgestellt von Thomas Ax

Der Auftraggeber hat alle Zuschlagskriterien und Unterkriterien, die er anzuwenden gedenkt, sowie deren Gewichtung bekannt zu geben. Die anschließende Wertung der Angebote darf nur anhand dieser Kriterien erfolgen (Senatsbeschluss vom 27. März 2013, VII-Verg 53/12, BeckRS 2013, 21180). Darüber hinaus steht es dem öffentlichen Auftraggeber frei, ein Ausschlusskriterium für den Fall zu formulieren, dass von den Bietern eine bestimmte Mindestpunktzahl nicht erreicht wird (Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 13/19, NZBau 2020, 670 Rn. 50). Der öffentliche Auftraggeber ist bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen im rechtlichen Ansatz ungebunden und weitestgehend frei (Senatsbeschluss vom 13. April 2016, VII-Verg 47/15, NZBau 2016, 656 Rn. 18 – VoIP-Telefone). Nach § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB kann er – so wie hier – auch qualitative Aspekte berücksichtigen. Er kann eine seinen Bedürfnissen entsprechende Qualität bestimmen, die die abgegebenen Angebote gewährleisten müssen, und eine Untergrenze festlegen, die diese Angebote einhalten müssen. Insoweit steht Art. 67 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU, dessen Umsetzung § 127 Abs. 1 GWB dient und in dessen Lichte er auszulegen ist, nicht der Möglichkeit entgegen, in der Phase der Zuschlagserteilung in einem ersten Schritt Angebote auszuschließen, die bei der Bewertung eine vorab festgelegte Mindestpunktzahl nicht erreichen, weil ein Angebot, das eine solche Mindestpunktzahl nicht erreicht, grundsätzlich nicht den Bedürfnissen des öffentlichen Auftraggebers entspricht und bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots nicht berücksichtigt zu werden braucht (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, C-546/16, NZBau 2018, 685 Rn. 32 – Montte; ausführlich hierzu: Senatsbeschluss vom 15. Februar 2023, VII-Verg 6/22).
Der Inhalt eines solchen Ausschlusskriteriums muss – ebenso wie die Vergabeunterlagen insgesamt – hinreichend klar und eindeutig formuliert sein. Die Frage, welcher Erklärungswert den maßgeblichen Teilen der Vergabeunterlagen zukommt, ist auch im Vergaberecht nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 – Stadtbahnprogramm Gera; OLG Frankfurt a.
 M., Beschluss vom 18. Juli 2017, 11 Verg 7/17, BeckRS 2017, 121590 Rn. 59). Dabei ist auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter beziehungsweise Bewerber, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 – Stadtbahnprogramm Gera). Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (Senatsbeschlüsse vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 Rn. 40 – BSI, sowie vom 5 November 2014, VII-Verg 21/14, BeckRS 2015, 11625; Lampert in Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, GWB § 121 Rn. 77).
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.03.2023 – Verg 24/22

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 7. Januar 2022 im offenen Verfahren den Abschluss einer Rahmenvereinbarung über Aktivierungshilfen für Jüngere nach § 45 SGB III für die Dauer von einem Jahr EU-weit aus (Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, Bekanntmachungsnummer ….).

Zuschlagskriterien waren der Preis und die Qualität. Nach Ziffer IV.1.11. der Bekanntmachung war der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen, das sich nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis bestimmt. Für dessen Ermittlung und der anzuwendenden Wertungsmethode enthielten die Vergabeunterlagen in der Unterlage “A_Wertungshinweise” umfangreiche Ausführungen, auf die vollumfänglich Bezug genommen wird. Es ergab sich hieraus unter anderem, dass von den Bietern Konzepte zu den drei Wertungsbereichen I “Auftragsbezogene Zusammenarbeit auf dem regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt“, II “Organisation und Durchführungsqualität” und III “Personal” mit Angebotsabgabe vorzulegen waren. Diese nach der Bewertungsmatrix mit 30, 60 und 10 Gewichtspunkten gewichteten Wertungsbereiche waren teilweise in ebenfalls gewichtete Unterkriterien unterteilt. So war der Wertungsbereich I in die Unterkriterien I.1 “Auftragsbezogene Zusammenarbeit“, in dessen Rahmen die regionalen Akteure zu benennen und die Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der konkreten Maßnahme zu beschreiben waren, und I.2 “Regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt“, bei dem die wesentlichen aktuellen Entwicklungen darzustellen waren, unterteilt. Der Wertungsbereich II war in die Unterkriterien II.1 “Motivation der Teilnehmenden“, II.2 “Umsetzung der Maßnahmekonzeption“, II.3 “Exemplarischer Maßnahmenverlauf” und II.4 “Überleitung in weiterführende Qualifizierungsangebote” unterteilt.

Die Bewertung der Konzepte sollte durch ein Punktesystem erfolgen, das die Wertung von 0 bis 3 Punkten vorsah, wobei ein die Anforderungen nicht erfüllendes oder nicht schlüssiges Konzept mit 0 Punkten, ein die Anforderungen mit Einschränkungen erfüllendes Konzept mit 1 Punkt, ein die Anforderungen erfüllendes Konzept mit 2 Punkten und ein der Zielerreichung in besonderer Weise dienliches Konzept mit 3 Punkten zu bewerten war. Angebote, bei denen die Summe der Punkte aller Wertungsbereiche nicht mindestens 85 Prozent der Gesamtpunktzahl beträgt, welche bei durchgängiger Bewertung in der Wertungsstufe “2 Punkte – entspricht den Anforderungen” erreicht wird, sollten von der weiteren Wertung ausgeschlossen werden.

Die Antragstellerin, die Beigeladene und fünf weitere Bieter gaben jeweils fristgemäß Angebote ab. Mit Schreiben vom 21. März 2022 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot wegen Nichterreichens von mindestens 85 Prozent der Leistungspunkte, die sich ergäben, wenn durchgängig Wertungskriterien mit 2 Punkten bewertet würden, nicht für den Zuschlag berücksichtigt werden solle und beabsichtigt sei, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen.

Ein nach erfolgloser Rüge eingeleitetes ersten Nachprüfungsverfahrens wurde nach der Erklärung der Antragsgegnerin, die Wertung zu wiederholen, für erledigt erklärt. Die Antragsgegnerin bewertete das Konzept der Antragstellerin nunmehr durchgehend mit 2 Punkten. Zur Begründung dieser Bewertung führte sie bei allen (Unter-) Kriterien wortgleich aus:

Die konzeptionelle Darstellung entspricht den Anforderungen, weil keine Anhaltspunkte für eine Zielerreichung in besondere Weise sprechen (3 Punkte) und gegenüber den Anforderungen keine Einschränkungen erkennbar sind, die eine Bewertung mit 1 Punkt rechtfertigen würden.

Hierdurch blieb das Angebot der Antragstellerin zwar im ersten Schritt in der Wertung, schied aber aufgrund des Abstands der Kennzahl für das Leistungs-Preis-Verhältnis von der Kennzahl des führenden Angebots von mehr als 10 Prozent im dritten Schritt der Erweiterten Richtwertmethode aus.

Mit neuem Informationsschreiben vom 14. April 2022 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin wiederrum mit, der Zuschlag könne ihr nicht erteilt werden, ihr Angebot sei nicht das wirtschaftlichste, es liege außerhalb des Kennzahlenkorridors. Es sei beabsichtigt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.

Die Antragstellerin rügte zunächst mit Anwaltsschreiben vom 19. April 2022 diese Information als nicht nachvollziehbar und mit weiterem Schreiben vom 21. April 2022 die Bewertung als intransparent und willkürlich. Aus den Vergabeunterlagen werde nicht klar, was den Anforderungen genüge. Zudem sei davon auszugehen, dass die Beigeladene fehlerhaft zu gut bewertet worden sei.

Nach Zurückweisung ihrer Rüge vom 19. April 2022 hat die Antragstellerin mit Anwaltsschriftsatz vom 22. April 2022 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragt und zu dessen Begründung ausgeführt, schon das Informationsschreiben sei nicht hinreichend aussagekräftig. Zudem genüge die Dokumentation der Bewertung nicht den Anforderungen, wie sich aus der Akte nach Einsichtnahme ergebe. Auch eine gute Bewertung mit 2 Punkten müsse begründet werden, insbesondere warum ihr Konzept im Vergleich zu anderen Bietern nicht mit 3 Punkten bewertet worden sei. Sie habe durchweg kreative Lösungen angeboten.

Dies zumal auch in den Vergabeunterlagen nicht dargelegt sei, was der Zielerreichung in besonderer Weise dienlich sei. Die Beigeladene sei hingegen zu gut bewertet worden. Die Antragsgegnerin sei zudem von ihren eigenen Bewertungsgrundsätzen abgewichen. Ein durchschnittlicher Bieter verstehe das Ausschlusskriterium dahingehend, dass ein Durchschnitt von 2 Punkte erreicht werden müsse, was 85 Prozent entspreche. Stattdessen habe die Antragsgegnerin 85 Prozent einer durchgängigen Bewertung mit 2 Punkten ausreichen lassen. Der verbleibende Qualitätskorridor genüge auch für einen Qualitätswettbewerb nicht, da er auf eine Regelbewertung mit 2 Punkten hinauslaufe. Dies sei allerdings für einen durchschnittlichen Bieter nicht vorab erkennbar gewesen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass sie in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist;

2. der Antragsgegnerin aufzugeben, ihr Angebot unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu werten;

3. ihr Akteneinsicht zu gewähren;

4. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzuerlegen;

5. der Antragsgegnerin ihre zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen aufzuerlegen und die Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten für notwendig zu erklären;

6. ein Sachverständigengutachten zu der Frage des Verständnisses des 85-Prozent-Kriteriums einzuholen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;

2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, mit ihrem Vortrag zur Intransparenz der Bewertungskriterien und -methodik sei die Antragstellerin bereits nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert. Im Übrigen seien diese transparent und sachlich in Ordnung. Die Kriterien seien bekanntgegeben und erläutert worden, weiterer konkretisierender Angaben zur Punktevergabe bedürfe es nicht. Dabei liege auch die Festlegung eines Mindestqualitätskriteriums in ihrem Ermessen. Das Konzept der Antragstellerin habe nicht mit mehr als zwei Punkten bewertet werden können, hier gehe nichts über das Übliche hinaus.

Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 1. Juni 2022 den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin teils verworfen und teils zurückgewiesen. Soweit die Antragstellerin die Wertungsmethodik angreife, sei sie damit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert. Der für einen durchschnittlichen Bieter im Zuge der Erstellung des eigenen Angebots erkennbare angebliche Verstoß hätte bis zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden müssen. Im Übrigen sei es aber auch gerade nicht erforderlich, dass der Bieter vorab erkennen könne, was er anbieten müsse, um eine bestimmte Note zu erzielen. Die 85-Prozent-Grenze sei transparent dargestellt. Bei der von einem durchschnittlichen Bieter zu erwartenden sorgfältigen Lektüre werde eindeutig klar, dass es auf das Erreichen von 85 Prozent derjenigen Punkte ankomme, die ein fiktiver Bieter bei durchgehender Bewertung mit 2 Punkten erreichen würde. Dies könne die Vergabekammer selbst beurteilen, hierfür genüge ein normales Sprachverständnis. Zudem würden bei einer durchgehenden Bewertung mit 2 von 3 Punkten 2/3 der Maximalpunktzahl oder 66 Prozent erreicht und nicht 85 Prozent. Es liege auch kein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsprinzip dar, ein versteckter Preiswettbewerb sei nicht gegeben. Die Qualität werde auf allen Wertungsschritten berücksichtigt. So seien Angebote sowohl bereits wegen Nichterreichens der 85-Prozent-Grenze als auch wegen Verfehlens des 10-Prozent-Korridors ausgeschieden. Auch die Wertung des Konzepts der Antragstellerin sei beurteilungsfehlerfrei erfolgt und hinreichend dokumentiert. Gerade eine Bewertung mit 2 Punkten bedürfe keiner umfangreichen Begründung, da diese Bewertung für eine vollständige Erfüllung der Anforderungen stehe. Die ausdrückliche Bejahung der Erfüllung der einzelnen Punkte verbunden mit der Erklärung, nicht darüber hinauszugehen, schaffe für den Bieter keinen Mehrwert. Die Bewertung mit 2 Punkten lasse sich auch im Abgleich mit dem Konzept der Beigeladenen und den dortigen, teils auf 3 Punkte lautenden Bewertungen nachvollziehen.

Gerade der Quervergleich zeige eine differenzierte und dabei nach einem einheitlichen Bewertungsmaßstab erfolgte Bewertung.

Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Die Bewertung sei schon deswegen vergabefehlerhaft, weil die Antragsgegnerin nachträglich von ihrer eigenen Vorgabe eines Mindesterfüllungsgrads von 85 Prozent abgewichen sei. Die Antragsgegnerin habe in den Vergabeunterlagen erläutert, es würden alle Angebote ausgeschlossen, die nicht mindestens 85 Prozent der Gesamtpunktzahl erreichten, was einer durchgängigen Bewertung mit 2 Punkten entspreche. Der durchschnittliche Bieter habe dies – wie sie auch – nur so verstehen können, dass sie in allen Wertungskriterien zwingend 2 Punkte erreichen müsse. Tatsächlich habe die Antragsgegnerin das Kriterium aber bereits dann für erfüllt angesehen, wenn lediglich 85 Prozent einer Bewertung mit 2 Punkten erreicht worden sei. Zumindest sei das 85-Prozent-Kriterium aber intransparent gewesen, ein Verständnis wie das der Antragsgegnerin sei jedenfalls für den Bieter nicht eindeutig erkennbar gewesen. Ihrem diesbezüglichen Beweisangebot hätte nachgegangen werden müssen, zumal auch das Argument einer prozentualen Verteilung der erreichten Punktzahl nicht tragfähig sei. Im Übrigen sei auch die Anwendung des 85-Prozent-Kriteriums nicht eindeutig und zweifelfrei geregelt. 85 Prozent einer durchgehenden Bewertung mit 2 Punkten in 7 Wertungskriterien ergäben 11,9 Punkte ohne das klar sei, nach welchen Kriterien gerundet werde. Diese Intransparenz sei für sie vorher nicht erkennbar gewesen. Hinsichtlich der Bewertung selbst habe die Vergabekammer die Anforderungen an die Dokumentation verkannt, es müsse nachvollziehbar sein, welche konkreten qualitativen Eigenschaften mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen seien.

Die Dokumentation müsse die Prüfung der Bewertung im Verhältnis zu den übrigen Angeboten ermöglichen.

Vorliegend würden jedoch keinerlei konkrete qualitative Eigenschaften benannt, geschweige denn gewichtet.

Der Subsumtionsvorgang müsse dargelegt werden. Auch bei einer Bewertung mit 2 Punkten müsse erkennbar sein, wie das Konzept die Anforderungen vollständig erfüllt. Auch hier bedürfe es einer eingehenden inhaltlichen und fachlichen Befassung mit den konzeptionellen Darstellungen. Die Bewertung der Antragsgegnerin erschöpfe sich demgegenüber in Allgemeinplätzen. Dass ihr Konzept die Bewertung mit jeweils 3 Punkten verdiene, habe sie bereits vor der Vergabekammer im Einzelnen – insoweit nimmt sie auf ihren Schriftsatz vom 4. Mai 2022 Bezug – dargelegt.

Die Antragstellerin beantragt,

1. den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 1. Juni 2022 (VK 1-49/22) aufzuheben;

2. festzustellen, dass sie in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist;

3. der Antragsgegnerin aufzugeben, ihr Angebot zu Los 1 unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu werten;

4. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzuerlegen;

5. der Antragsgegnerin ihre zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen aufzuerlegen und die Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten für notwendig zu erklären;

Die Antragsgegnerin beantragt,

die sofortige Beschwerde teilweise zu verwerfen und im Übrigen zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer. Ihre Vergabeunterlagen seien vergaberechtskonform, die Begründung ihrer Bewertung genüge den rechtlichen Anforderungen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden. Die erforderliche Beschwer der Antragstellerin ist nach § 171 Abs. 1 Satz 2 GWB gegeben, weil sie am Verfahren vor der Vergabekammer beteiligt war und die Vergabekammer ihren Nachprüfungsantrag teils verworfen und teils zurückgewiesen hat.

2. Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.

Der Nachprüfungsantrag ist – soweit zulässig – begründet, denn die Dokumentation der Konzeptbewertung genügt nicht den Anforderungen und lässt eine Überprüfung der Wertung nicht zu.

a) Ob die Vergabekammer zu Recht von der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags infolge Rügepräklusion gemäß § 160 Abs. 1 GWB ausgegangen ist, soweit die Antragstellerin die Wertungsmethodik als vergaberechtsfehlerhaft gerügt hat, ist dies einer Überprüfung durch den Senat nicht zugänglich. Die Antragstellerin hat sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die diesbezüglichen Ausführungen der Vergabekammer nicht gewandt.

b) Die in der Unterlage “A_Wertungshinweise” enthaltene Ausschlussklausel, wonach die Angebote von der Wertung ausgeschlossen werden, bei denen die Summe der Punkte aller Wertungsbereiche nicht mindestens 85 % der Gesamtpunktzahl beträgt, welche bei durchgängiger Bewertung in der Wertungsstufe “2-Punkte – entspricht den Anforderungen” erreicht, ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Weder ist die Antragsgegnerin bei der Angebotswertung von den genannten Voraussetzung abgewichen, noch liegt ein Verstoß gegen das in § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB und § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB normierte Transparenzgebot vor.

aa) Der Auftraggeber hat alle Zuschlagskriterien und Unterkriterien, die er anzuwenden gedenkt, sowie deren Gewichtung bekannt zu geben. Die anschließende Wertung der Angebote darf nur anhand dieser Kriterien erfolgen (Senatsbeschluss vom 27. März 2013, VII-Verg 53/12, BeckRS 2013, 21180). Darüber hinaus steht es dem öffentlichen Auftraggeber frei, ein Ausschlusskriterium für den Fall zu formulieren, dass von den Bietern eine bestimmte Mindestpunktzahl nicht erreicht wird (Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 13/19, NZBau 2020, 670 Rn. 50). Der öffentliche Auftraggeber ist bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen im rechtlichen Ansatz ungebunden und weitestgehend frei (Senatsbeschluss vom 13. April 2016, VII-Verg 47/15, NZBau 2016, 656 Rn. 18 – VoIP-Telefone). Nach § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB kann er – so wie hier – auch qualitative Aspekte berücksichtigen. Er kann eine seinen Bedürfnissen entsprechende Qualität bestimmen, die die abgegebenen Angebote gewährleisten müssen, und eine Untergrenze festlegen, die diese Angebote einhalten müssen. Insoweit steht Art. 67 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU, dessen Umsetzung § 127 Abs. 1 GWB dient und in dessen Lichte er auszulegen ist, nicht der Möglichkeit entgegen, in der Phase der Zuschlagserteilung in einem ersten Schritt Angebote auszuschließen, die bei der Bewertung eine vorab festgelegte Mindestpunktzahl nicht erreichen, weil ein Angebot, das eine solche Mindestpunktzahl nicht erreicht, grundsätzlich nicht den Bedürfnissen des öffentlichen Auftraggebers entspricht und bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots nicht berücksichtigt zu werden braucht (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, C-546/16, NZBau 2018, 685 Rn. 32 – Montte; ausführlich hierzu: Senatsbeschluss vom 15. Februar 2023, VII-Verg 6/22).

Der Inhalt eines solchen Ausschlusskriteriums muss – ebenso wie die Vergabeunterlagen insgesamt – hinreichend klar und eindeutig formuliert sein. Die Frage, welcher Erklärungswert den maßgeblichen Teilen der Vergabeunterlagen zukommt, ist auch im Vergaberecht nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 – Stadtbahnprogramm Gera; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 18. Juli 2017, 11 Verg 7/17, BeckRS 2017, 121590 Rn. 59). Dabei ist auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter beziehungsweise Bewerber, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 – Stadtbahnprogramm Gera). Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (Senatsbeschlüsse vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 Rn. 40 – BSI, sowie vom 5 November 2014, VII-Verg 21/14, BeckRS 2015, 11625; Lampert in Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, GWB § 121 Rn. 77).

bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Antragsgegnerin für einen durchschnittlichen Bieter hinreichend klar und eindeutig ein Ausschlusskriterium dahingehend formuliert, dass nur solche Angebote weiter in der Wertung verbleiben, die im Rahmen der qualitativen Bewertung der Konzepte in der Summe mindestens 85 Prozente der Leistungspunkte erreicht haben, die bei einer durchgehenden Bewertung mit 2 Punkten erzielt würden; also nur solche Angebote, die mindestens 17.000 Leistungspunkte erzielt haben.

Schon der Wortlaut ist bei sorgfältigem Studium des Textes für einen durchschnittlichen Anbieter von Schulungs- und Motivationsprogrammen eindeutig. Durch die Verknüpfung des Satzteils “85 % der Gesamtpunktzahl” mit dem nachfolgenden Satzteil “bei durchgängiger Bewertung in der Wertungsstufe ʹ2 Punkte …ʹ erreicht wird” mittels des Relativpronomens “welche” wird grammatikalisch klargestellt, dass die bei durchgängiger Bewertung mit 2 Punkten zu erzielende Gesamtpunktzahl Bezugspunkt des 85-Prozent-Kriteriums ist, also der Wert, aus dem sich die 85 Prozent berechnen. Das Relativpronomen “welche” kann schlicht nicht in dem von der Antragstellerin favorisierten Sinn eines “dies entspricht” verstanden werden.

Das von der Antragstellerin geltend gemachte Verständnis, wonach sich die 85 Prozent auf die erreichbare Maximalpunktzahl beziehen und einer durchgängigen Bewertung mit 2 Punkten entsprechen sollen, wäre im Übrigen auch mathematisch falsch. Wer durchgängig 2 von 3 möglichen Punkten erzielt, erzielt … 2/3 der Maximalpunkzahl, also 66,7 Prozent dieses Wertes. 85 Prozent der Maximalpunktzahl werden also mit einer durchgängigen Bewertung mit 2 Punkten gar nicht erreicht.

Das für das richtige Verstehen des Textes hier erforderliche Maß an grammatikalischem und mathematischem Verständnis kann von einem durchschnittlichen Bieter, der sich um ein Aktivierungsprogramm für junge Menschen bewirbt, erwartet werden. Dies kann der spezialzuständige Vergabesenat – ebenso wie die Vergabekammer – aufgrund seiner jahrelangen intensiven Befassung mit Vergabeunterlagen und ihrer Auslegung selbst beurteilen. Die Auslegung von Vergabeunterlagen ist ureigenste Aufgabe des Richters, der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es hierfür nicht.

Es bestehen auch keine Unklarheiten hinsichtlich der Ermittlung der 85-Prozent-Grenze. Ein Angebot genügt diesem Kriterium, wenn es in der Summe mindestens 17.000 Leistungspunkte erzielt. Die von der Antragstellerin angenommene Rundungsproblematik existiert nicht.

Die Berechnung und Rundung der Leistungspunkte werden in der Vergabeunterlage A_Wertungshinweise klar und nachvollziehbar dargestellt. Dort wird zur Ermittlung der Leistungspunkte unter 1. ausgeführt, dass zunächst der gewichtete Mittelwert des Wertungsbereichs zu bilden ist, indem die Wertungspunkte jedes Wertungskriteriums, also des Unterkriteriums, mit dem jeweiligen Gewichtspunkt, der in der Bewertungsmatrix 1, 2 oder 3 GP angegeben ist, multipliziert und sodann durch die Summe der Gewichtspunkte dividiert werden; also beim Wertungsbereich I “Auftragsbezogene Zusammenarbeit auf dem regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt“, durch 3 (2 + 1), beim Wertungsbereich II “Organisation und Durchführungsqualität” durch 11 (3 + 3 + 3 + 2) und bei Wertungsbereich III “Personal” durch 2. Der gewichtete Mittelwert wird dann mit 100 multipliziert und sodann kaufmännisch auf zwei Dezimalstellen gerundet. Anschließend werden die Ergebnisse mit den Gewichtspunkten des Wertungsbereichs multipliziert, die ebenfalls der Bewertungsmatrix zu entnehmen sind – also im Wertungsbereich I mit 30 GP, im Wertungsbereich II mit 60 GP und im Wertungsbereich III mit 10 GP – und die Produkte addiert.

Bei einer durchgängigen Bewertung mit 2 Punkten ergeben sich 20.000 Punkte, so dass die 85-Prozent-Grenze bei 17.000 Punkten liegt. Eine Rundungsproblematik tritt hier folglich nicht auf. Konzepte, die diesen Wert – egal wie geringfügig – unterschreiten, scheiden aus der Wertung aus. Auch ein Konzept mit 16.999,9 Leistungspunkten – mehr als eine Dezimale ist aufgrund der vorangegangenen kaufmännischen Rundung auf die zweite Dezimale und der anschließenden Multiplikation mit den sich auf glatte Zehnerwerte belaufenden Gewichtspunkten des Wertungsbereichs nicht möglich – scheidet folglich aus.

Die bei 17.000 Leistungspunkten liegende 85-Prozent-Grenze hat die Antragsgegnerin vorliegend auch korrekt angewandt und daher zunächst drei – nach Neubewertung des Angebots der Antragstellerin – schließlich noch zwei der sieben Angebote wegen Nichterreichens dieser Mindestpunktzahl ausgeschieden.

c) Dem Senat ist es nicht möglich, die von der Antragstellerin geltend gemachten Wertungsfehler zu überprüfen. Die am 6. April 2022 von der Antragsgegnerin erneut vorgenommene Konzeptbewertung ist völlig unzureichend dokumentiert und verstößt daher gegen § 8 Abs. 1 Satz 2 VgV.

aa) Gemäß § 127 Abs. 1 GWB wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt, wobei Grundlage eine Bewertung des öffentlichen Auftraggebers ist, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt. Diese Entscheidung muss im Vergabenachprüfungsverfahren überprüfbar sein. Die Nachprüfungsinstanzen müssen anhand der Dokumentation der Wertungsentscheidung die Einhaltung der Bewertungsgrundsätze nachvollziehen können. Gegenstand der Angebotswertung ist die prognostische Beurteilung, inwieweit die aus den Konzepten ersichtlichen Maßnahmen zur Sicherstellung einer effektiven Leistungserbringung beitragen können. Je nachdem, in welchem Maße die Lösungsvorschläge aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers insoweit Erfolg versprechen, erhält das jeweilige Konzept sodann eine entsprechende Benotung und die nach dem Schlüssel in den Vergabeunterlagen zu errechnende Punktzahl (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 42 – Postdienstleistungen). Bei der Bewertung kommt dem öffentlichen Auftraggeber systemimmanent ein Beurteilungsspielraum zu (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 53 – Postdienstleistungen; Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 6/19, NZBau 2020, 318 Rn. 46). Die Nachprüfungsinstanzen können diese Entscheidung daher nur daraufhin kontrollieren, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wurde, keine sachwidrigen Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind und allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet wurden (siehe nur Senatsbeschluss vom 8. Februar 2017, VII Verg 31/61). Der Gefahr, dass die Offenheit des Wertungsschemas zu einer nicht hinreichend transparenten Vergabe führt, ist durch eingehende Dokumentation des Wertungsprozesses zu begegnen (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 52 – Postdienstleistungen), die es ermöglichen muss, den Entscheidungsfindungsprozess konkret nachzuvollziehen, um beurteilen zu können, ob Ermessensfehler vorliegen (Goede/Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, VgV § 8 Rn. 9). Der Auftraggeber ist daher nach § 8 Abs. 1 Satz 2 VgV verpflichtet, die Gründe für die Auswahlentscheidung und den Zuschlag zu dokumentieren. Dies gilt auch und vor allem dann, wenn er sich dafür eines aus Preis und qualitativen Aspekten zusammengesetzten Kriterienkatalogs bedient, bei dem die Angebote hinsichtlich der Qualitätskriterien mittels eines Benotungssystems bewertet werden und die Bewertungsmethode des Preises nur enge Kompensationsmöglichkeiten für qualitative Abzüge erwarten lässt, muss der Auftraggeber seine für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 53 – Postdienstleistungen; Senatsbeschluss vom 9. Mai 2018, VII-Verg 13/18, BeckRS 2018, 50137 Rn. 36; OLG München, Beschluss vom 26. Februar 2021, Verg 14720, NZBau 2021, 698 Rn. 71; Goede/Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, VgV § 8 Rn. 9). Nur dann sind die diesbezüglichen Bewertungsentscheidungen in diesem Rahmen insbesondere auch darauf hin überprüfbar, ob die jeweiligen Noten im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 53 – Postdienstleistungen). Dabei ist auch zu erläutern, warum ein Bieter weniger als die mögliche Höchstpunktzahl erhalten hat (OLG München, Beschluss vom 26. Februar 2021, Verg 14720, NZBau 2021, 698 Rn. 72).

bb) Diesen Anforderungen wird die Dokumentation der am 6. April 2022 erfolgten Konzeptbewertung nicht gerecht.

Die Antragsgegnerin hat die Konzepte der Antragstellerin bei jedem Kriterium durchgängig mit 2 Punkten bewertet und identisch wie folgt begründet: “Die konzeptionelle Darstellung entspricht den Anforderungen, weil keine Anhaltspunkte für eine Zielerreichung in besondere Weise sprechen (3 Punkte) und gegenüber den Anforderungen keine Einschränkungen erkennbar sind, die eine Bewertung mit 1 Punkt rechtfertigen würden“. Damit hält sie nur das Wertungsergebnis fest und begründet es mit der von ihr vorgegebenen Definition der zu erreichenden Punkte. Eine auf den konkreten Konzeptinhalt bezogene Begründung fehlt vollständig. Es ist weder dargestellt, welche konzeptionellen Maßnahmen aus welchen Gründen den definierten Anforderungen entsprechen, noch wird begründet, warum diese konzeptionellen Maßnahmen die Anforderungen zwar erfüllen, die gewählte Lösung aber nicht besonders dienlich ist. So hätte es beispielsweise im Wertungsbereich I “Auftragsbezogene Zusammenarbeit auf dem regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt” im Unterkriterien I.1 “Auftragsbezogene Zusammenarbeit“, in dessen Rahmen die regionalen Akteure zu benennen und die Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der konkreten Maßnahme zu beschreiben waren, Ausführungen dazu bedurft, weshalb das Netz kleiner Werkstätten der Antragstellerin nicht innovativ ist oder zwar innovativ, aber aus konkreten Gründen nicht besonders dienlich ist. Der Begründung muss entnommen werden können, warum die Antragstellerin für ihre Lösung weniger als die Höchstpunktzahl erhält. Kann aber anhand der Dokumentation nicht nachvollzogen werden, aus welchen konkreten, auf den Inhalt des jeweiligen Konzepts bezogenen Erwägungen die Antragsgegnerin zu der Bewertung mit 2 Punkten gekommen ist, ist der Wertungsprozess nicht nachvollziehbar und damit völlig intransparent, so dass eine Überprüfung der Wertung auch im Vergleich zu der Wertung der Konzepte der anderen Bieter nicht möglich ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 3, Abs. 4, § 175 Abs. 2 i.V.m. § 71 Satz 1 GWB. Die Antragstellerin hat ihr Verfahrensziel vollständig erreicht (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 Rn. 178).

Dabei sind gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG auch die Gebühren und Auslagen der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin erstattungsfähig, da deren Hinzuziehung im Verfahren vor der Vergabekammer in Anbetracht der dort aufgetretenen Schwierigkeiten im Ergebnis notwendig war. Hierüber ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 Rn. 61 – Polizeianzüge; Senatsbeschlüsse vom 16. März 2020, VII-Verg 38/18, BeckRS 2020, 29123 Rn. 34 und vom 15. Mai 2018, VII-Verg 58/17; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 2. November 2017, 11 Verg 8/17, ZfBR 2018, 198, 199). Entscheidend ist, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen und hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen, wobei neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände bestimmend sein können (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 Rn. 61 – Polizeianzüge). Vorliegend stellten sich schwierige Fragen zur Wertung und den Anforderungen an ihre Dokumentation, deren Beantwortung von einem normalen Bieter wie der Antragstellerin nicht erwartet werden kann.

Insoweit ist allein die Antragsgegnerin verpflichtet. Ein Beigeladener ist nur dann kostenrechtlich wie der Antragsteller oder Antragsgegner eines Nachprüfungsverfahrens zu behandeln, wenn er die durch die Beiladung begründete Stellung im Beschwerdeverfahren auch nutzt, indem er sich an diesem Verfahren beteiligt. Hierfür bedarf es einer sachlichen Stellungnahme zur sofortigen Beschwerde (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 Rn. 63), an der es vorliegend fehlt. Die Beigeladene hat sich am Nachprüfungsverfahren nicht beteiligt.

Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Demnach beträgt der Gegenstandswert fünf Prozent des Bruttoauftragswerts des Angebots der Antragstellerin (Senatsbeschluss vom 10. Februar 2021, VII-Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn. 56).

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