Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt

VergMan ® für Bieter – Müssen sich Bieter mit Wertungsmethoden auseinandersetzen?

VergMan ® für Bieter - Müssen sich Bieter mit Wertungsmethoden auseinandersetzen?

vorgestellt von Thomas Ax

1. Bieter müssen sich bei der Erstellung ihres Angebots mit den bekannt gemachten Wertungsmethoden auseinandersetzen. Ein sorgfältig handelnder Bieter wird verschiedene Angebotsstrategien durchdenken, um deren Erfolgsaussichten abzuschätzen. Damit sind bei konkreter Benennung aller relevanten Details zur Preis- und Qualitätswertung, die Auswirkung von verschiedenen Angebotsstrategien bei Preis und Qualität für einen durchschnittlichen fachkundigen Bieter erkennbar. Von einem Bieter kann insbesondere erwartet werden, dass er einfache mathematische Überlegungen anstellt.

2. Allein aus der Einstellung eines Strafverfahrens gegen Geldauflage gem. § 153a Abs. 2 StPO kann nicht geschlossen werden, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte i.S.d. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB vorliegen. Liegen dem öffentlichen Auftraggeber konkrete Hinweise auf Vereinbarungen oder Verhaltensweisen vor, welche zur Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs führen können, dann ist er verpflichtet, diese Erkenntnisse bei seiner Ermessensentscheidung auch zu berücksichtigen und kann sich nicht allein auf die Einstellung des Strafverfahrens berufen.

3. Wurden Straf- oder Kartellverwaltungsverfahren auf eine Art und Weise eingestellt, dass keine Entscheidung darüber getroffen wurde, ob die vorgeworfene oder untersuchte Tat begangen wurde oder ein Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften vorliegt, so ist für den Zeitraum des § 126 Nr. 2 GWB auf die konkrete Handlung selbst und nicht auf das Datum der Einstellung abzustellen.

VK Südbayern, Beschluss vom 11.10.2023 – 3194.Z3-3_01-23-16

VergMan ® für Bieter – Dürfen Mitbewerber unter Druck gesetzt werden?

VergMan ® für Bieter - Dürfen Mitbewerber unter Druck gesetzt werden?

vorgestellt von Thomas Ax

1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Unternehmen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn es versucht hat, die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen.

2. Als Versuch der unzulässigen Einflussnahme ist jede Kontaktaufnahme anzusehen, die nicht die in dem konkreten Vergabeverfahren vorgesehenen Wege und Mittel der Kommunikation einhält und in der ein Unternehmen versucht, Einfluss auf den Auftraggeber oder mit ihm zusammenhängende Stellen oder Personen in Bezug auf das Ergebnis des Vergabeverfahrens zu nehmen.

3. Nimmt ein Unternehmen zu einem potentiellen Wettbewerber im Vorfeld einer möglichen Ausschreibung Kontakt auf, um diesen unter Hinweis auf ein bestehendes Vertragsverhältnis unter der Androhung von Nachteilen (Schadensersatz) von der der Teilnahme an einer öffentlichen Ausschreibung abzuhalten, liegt kein Versuch der unzulässigen Einflussnahme vor.

4. Eine kartellrechtswidrige Nachteilsandrohung kann eine unzulässige wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung – die Verabredung einer Nichtbeteiligung eines Wettbewerbers an der Ausschreibung – darstellen.

VK Bund, Beschluss vom 25.07.2024 – VK 1-58/24

OLG Düsseldorf zu der Frage der Verwendung und Anwendung von Ausschlusskriterien

OLG Düsseldorf zu der Frage der Verwendung und Anwendung von Ausschlusskriterien

vorgestellt von Thomas Ax

Der Auftraggeber hat alle Zuschlagskriterien und Unterkriterien, die er anzuwenden gedenkt, sowie deren Gewichtung bekannt zu geben. Die anschließende Wertung der Angebote darf nur anhand dieser Kriterien erfolgen (Senatsbeschluss vom 27. März 2013, VII-Verg 53/12, BeckRS 2013, 21180). Darüber hinaus steht es dem öffentlichen Auftraggeber frei, ein Ausschlusskriterium für den Fall zu formulieren, dass von den Bietern eine bestimmte Mindestpunktzahl nicht erreicht wird (Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 13/19, NZBau 2020, 670 Rn. 50). Der öffentliche Auftraggeber ist bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen im rechtlichen Ansatz ungebunden und weitestgehend frei (Senatsbeschluss vom 13. April 2016, VII-Verg 47/15, NZBau 2016, 656 Rn. 18 – VoIP-Telefone). Nach § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB kann er – so wie hier – auch qualitative Aspekte berücksichtigen. Er kann eine seinen Bedürfnissen entsprechende Qualität bestimmen, die die abgegebenen Angebote gewährleisten müssen, und eine Untergrenze festlegen, die diese Angebote einhalten müssen. Insoweit steht Art. 67 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU, dessen Umsetzung § 127 Abs. 1 GWB dient und in dessen Lichte er auszulegen ist, nicht der Möglichkeit entgegen, in der Phase der Zuschlagserteilung in einem ersten Schritt Angebote auszuschließen, die bei der Bewertung eine vorab festgelegte Mindestpunktzahl nicht erreichen, weil ein Angebot, das eine solche Mindestpunktzahl nicht erreicht, grundsätzlich nicht den Bedürfnissen des öffentlichen Auftraggebers entspricht und bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots nicht berücksichtigt zu werden braucht (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, C-546/16, NZBau 2018, 685 Rn. 32 – Montte; ausführlich hierzu: Senatsbeschluss vom 15. Februar 2023, VII-Verg 6/22).
Der Inhalt eines solchen Ausschlusskriteriums muss – ebenso wie die Vergabeunterlagen insgesamt – hinreichend klar und eindeutig formuliert sein. Die Frage, welcher Erklärungswert den maßgeblichen Teilen der Vergabeunterlagen zukommt, ist auch im Vergaberecht nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 – Stadtbahnprogramm Gera; OLG Frankfurt a.
 M., Beschluss vom 18. Juli 2017, 11 Verg 7/17, BeckRS 2017, 121590 Rn. 59). Dabei ist auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter beziehungsweise Bewerber, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 – Stadtbahnprogramm Gera). Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (Senatsbeschlüsse vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 Rn. 40 – BSI, sowie vom 5 November 2014, VII-Verg 21/14, BeckRS 2015, 11625; Lampert in Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, GWB § 121 Rn. 77).
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.03.2023 – Verg 24/22

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 7. Januar 2022 im offenen Verfahren den Abschluss einer Rahmenvereinbarung über Aktivierungshilfen für Jüngere nach § 45 SGB III für die Dauer von einem Jahr EU-weit aus (Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, Bekanntmachungsnummer ….).

Zuschlagskriterien waren der Preis und die Qualität. Nach Ziffer IV.1.11. der Bekanntmachung war der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen, das sich nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis bestimmt. Für dessen Ermittlung und der anzuwendenden Wertungsmethode enthielten die Vergabeunterlagen in der Unterlage “A_Wertungshinweise” umfangreiche Ausführungen, auf die vollumfänglich Bezug genommen wird. Es ergab sich hieraus unter anderem, dass von den Bietern Konzepte zu den drei Wertungsbereichen I “Auftragsbezogene Zusammenarbeit auf dem regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt“, II “Organisation und Durchführungsqualität” und III “Personal” mit Angebotsabgabe vorzulegen waren. Diese nach der Bewertungsmatrix mit 30, 60 und 10 Gewichtspunkten gewichteten Wertungsbereiche waren teilweise in ebenfalls gewichtete Unterkriterien unterteilt. So war der Wertungsbereich I in die Unterkriterien I.1 “Auftragsbezogene Zusammenarbeit“, in dessen Rahmen die regionalen Akteure zu benennen und die Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der konkreten Maßnahme zu beschreiben waren, und I.2 “Regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt“, bei dem die wesentlichen aktuellen Entwicklungen darzustellen waren, unterteilt. Der Wertungsbereich II war in die Unterkriterien II.1 “Motivation der Teilnehmenden“, II.2 “Umsetzung der Maßnahmekonzeption“, II.3 “Exemplarischer Maßnahmenverlauf” und II.4 “Überleitung in weiterführende Qualifizierungsangebote” unterteilt.

Die Bewertung der Konzepte sollte durch ein Punktesystem erfolgen, das die Wertung von 0 bis 3 Punkten vorsah, wobei ein die Anforderungen nicht erfüllendes oder nicht schlüssiges Konzept mit 0 Punkten, ein die Anforderungen mit Einschränkungen erfüllendes Konzept mit 1 Punkt, ein die Anforderungen erfüllendes Konzept mit 2 Punkten und ein der Zielerreichung in besonderer Weise dienliches Konzept mit 3 Punkten zu bewerten war. Angebote, bei denen die Summe der Punkte aller Wertungsbereiche nicht mindestens 85 Prozent der Gesamtpunktzahl beträgt, welche bei durchgängiger Bewertung in der Wertungsstufe “2 Punkte – entspricht den Anforderungen” erreicht wird, sollten von der weiteren Wertung ausgeschlossen werden.

Die Antragstellerin, die Beigeladene und fünf weitere Bieter gaben jeweils fristgemäß Angebote ab. Mit Schreiben vom 21. März 2022 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot wegen Nichterreichens von mindestens 85 Prozent der Leistungspunkte, die sich ergäben, wenn durchgängig Wertungskriterien mit 2 Punkten bewertet würden, nicht für den Zuschlag berücksichtigt werden solle und beabsichtigt sei, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen.

Ein nach erfolgloser Rüge eingeleitetes ersten Nachprüfungsverfahrens wurde nach der Erklärung der Antragsgegnerin, die Wertung zu wiederholen, für erledigt erklärt. Die Antragsgegnerin bewertete das Konzept der Antragstellerin nunmehr durchgehend mit 2 Punkten. Zur Begründung dieser Bewertung führte sie bei allen (Unter-) Kriterien wortgleich aus:

Die konzeptionelle Darstellung entspricht den Anforderungen, weil keine Anhaltspunkte für eine Zielerreichung in besondere Weise sprechen (3 Punkte) und gegenüber den Anforderungen keine Einschränkungen erkennbar sind, die eine Bewertung mit 1 Punkt rechtfertigen würden.

Hierdurch blieb das Angebot der Antragstellerin zwar im ersten Schritt in der Wertung, schied aber aufgrund des Abstands der Kennzahl für das Leistungs-Preis-Verhältnis von der Kennzahl des führenden Angebots von mehr als 10 Prozent im dritten Schritt der Erweiterten Richtwertmethode aus.

Mit neuem Informationsschreiben vom 14. April 2022 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin wiederrum mit, der Zuschlag könne ihr nicht erteilt werden, ihr Angebot sei nicht das wirtschaftlichste, es liege außerhalb des Kennzahlenkorridors. Es sei beabsichtigt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.

Die Antragstellerin rügte zunächst mit Anwaltsschreiben vom 19. April 2022 diese Information als nicht nachvollziehbar und mit weiterem Schreiben vom 21. April 2022 die Bewertung als intransparent und willkürlich. Aus den Vergabeunterlagen werde nicht klar, was den Anforderungen genüge. Zudem sei davon auszugehen, dass die Beigeladene fehlerhaft zu gut bewertet worden sei.

Nach Zurückweisung ihrer Rüge vom 19. April 2022 hat die Antragstellerin mit Anwaltsschriftsatz vom 22. April 2022 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragt und zu dessen Begründung ausgeführt, schon das Informationsschreiben sei nicht hinreichend aussagekräftig. Zudem genüge die Dokumentation der Bewertung nicht den Anforderungen, wie sich aus der Akte nach Einsichtnahme ergebe. Auch eine gute Bewertung mit 2 Punkten müsse begründet werden, insbesondere warum ihr Konzept im Vergleich zu anderen Bietern nicht mit 3 Punkten bewertet worden sei. Sie habe durchweg kreative Lösungen angeboten.

Dies zumal auch in den Vergabeunterlagen nicht dargelegt sei, was der Zielerreichung in besonderer Weise dienlich sei. Die Beigeladene sei hingegen zu gut bewertet worden. Die Antragsgegnerin sei zudem von ihren eigenen Bewertungsgrundsätzen abgewichen. Ein durchschnittlicher Bieter verstehe das Ausschlusskriterium dahingehend, dass ein Durchschnitt von 2 Punkte erreicht werden müsse, was 85 Prozent entspreche. Stattdessen habe die Antragsgegnerin 85 Prozent einer durchgängigen Bewertung mit 2 Punkten ausreichen lassen. Der verbleibende Qualitätskorridor genüge auch für einen Qualitätswettbewerb nicht, da er auf eine Regelbewertung mit 2 Punkten hinauslaufe. Dies sei allerdings für einen durchschnittlichen Bieter nicht vorab erkennbar gewesen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass sie in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist;

2. der Antragsgegnerin aufzugeben, ihr Angebot unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu werten;

3. ihr Akteneinsicht zu gewähren;

4. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzuerlegen;

5. der Antragsgegnerin ihre zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen aufzuerlegen und die Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten für notwendig zu erklären;

6. ein Sachverständigengutachten zu der Frage des Verständnisses des 85-Prozent-Kriteriums einzuholen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;

2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, mit ihrem Vortrag zur Intransparenz der Bewertungskriterien und -methodik sei die Antragstellerin bereits nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert. Im Übrigen seien diese transparent und sachlich in Ordnung. Die Kriterien seien bekanntgegeben und erläutert worden, weiterer konkretisierender Angaben zur Punktevergabe bedürfe es nicht. Dabei liege auch die Festlegung eines Mindestqualitätskriteriums in ihrem Ermessen. Das Konzept der Antragstellerin habe nicht mit mehr als zwei Punkten bewertet werden können, hier gehe nichts über das Übliche hinaus.

Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 1. Juni 2022 den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin teils verworfen und teils zurückgewiesen. Soweit die Antragstellerin die Wertungsmethodik angreife, sei sie damit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert. Der für einen durchschnittlichen Bieter im Zuge der Erstellung des eigenen Angebots erkennbare angebliche Verstoß hätte bis zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden müssen. Im Übrigen sei es aber auch gerade nicht erforderlich, dass der Bieter vorab erkennen könne, was er anbieten müsse, um eine bestimmte Note zu erzielen. Die 85-Prozent-Grenze sei transparent dargestellt. Bei der von einem durchschnittlichen Bieter zu erwartenden sorgfältigen Lektüre werde eindeutig klar, dass es auf das Erreichen von 85 Prozent derjenigen Punkte ankomme, die ein fiktiver Bieter bei durchgehender Bewertung mit 2 Punkten erreichen würde. Dies könne die Vergabekammer selbst beurteilen, hierfür genüge ein normales Sprachverständnis. Zudem würden bei einer durchgehenden Bewertung mit 2 von 3 Punkten 2/3 der Maximalpunktzahl oder 66 Prozent erreicht und nicht 85 Prozent. Es liege auch kein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsprinzip dar, ein versteckter Preiswettbewerb sei nicht gegeben. Die Qualität werde auf allen Wertungsschritten berücksichtigt. So seien Angebote sowohl bereits wegen Nichterreichens der 85-Prozent-Grenze als auch wegen Verfehlens des 10-Prozent-Korridors ausgeschieden. Auch die Wertung des Konzepts der Antragstellerin sei beurteilungsfehlerfrei erfolgt und hinreichend dokumentiert. Gerade eine Bewertung mit 2 Punkten bedürfe keiner umfangreichen Begründung, da diese Bewertung für eine vollständige Erfüllung der Anforderungen stehe. Die ausdrückliche Bejahung der Erfüllung der einzelnen Punkte verbunden mit der Erklärung, nicht darüber hinauszugehen, schaffe für den Bieter keinen Mehrwert. Die Bewertung mit 2 Punkten lasse sich auch im Abgleich mit dem Konzept der Beigeladenen und den dortigen, teils auf 3 Punkte lautenden Bewertungen nachvollziehen.

Gerade der Quervergleich zeige eine differenzierte und dabei nach einem einheitlichen Bewertungsmaßstab erfolgte Bewertung.

Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Die Bewertung sei schon deswegen vergabefehlerhaft, weil die Antragsgegnerin nachträglich von ihrer eigenen Vorgabe eines Mindesterfüllungsgrads von 85 Prozent abgewichen sei. Die Antragsgegnerin habe in den Vergabeunterlagen erläutert, es würden alle Angebote ausgeschlossen, die nicht mindestens 85 Prozent der Gesamtpunktzahl erreichten, was einer durchgängigen Bewertung mit 2 Punkten entspreche. Der durchschnittliche Bieter habe dies – wie sie auch – nur so verstehen können, dass sie in allen Wertungskriterien zwingend 2 Punkte erreichen müsse. Tatsächlich habe die Antragsgegnerin das Kriterium aber bereits dann für erfüllt angesehen, wenn lediglich 85 Prozent einer Bewertung mit 2 Punkten erreicht worden sei. Zumindest sei das 85-Prozent-Kriterium aber intransparent gewesen, ein Verständnis wie das der Antragsgegnerin sei jedenfalls für den Bieter nicht eindeutig erkennbar gewesen. Ihrem diesbezüglichen Beweisangebot hätte nachgegangen werden müssen, zumal auch das Argument einer prozentualen Verteilung der erreichten Punktzahl nicht tragfähig sei. Im Übrigen sei auch die Anwendung des 85-Prozent-Kriteriums nicht eindeutig und zweifelfrei geregelt. 85 Prozent einer durchgehenden Bewertung mit 2 Punkten in 7 Wertungskriterien ergäben 11,9 Punkte ohne das klar sei, nach welchen Kriterien gerundet werde. Diese Intransparenz sei für sie vorher nicht erkennbar gewesen. Hinsichtlich der Bewertung selbst habe die Vergabekammer die Anforderungen an die Dokumentation verkannt, es müsse nachvollziehbar sein, welche konkreten qualitativen Eigenschaften mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen seien.

Die Dokumentation müsse die Prüfung der Bewertung im Verhältnis zu den übrigen Angeboten ermöglichen.

Vorliegend würden jedoch keinerlei konkrete qualitative Eigenschaften benannt, geschweige denn gewichtet.

Der Subsumtionsvorgang müsse dargelegt werden. Auch bei einer Bewertung mit 2 Punkten müsse erkennbar sein, wie das Konzept die Anforderungen vollständig erfüllt. Auch hier bedürfe es einer eingehenden inhaltlichen und fachlichen Befassung mit den konzeptionellen Darstellungen. Die Bewertung der Antragsgegnerin erschöpfe sich demgegenüber in Allgemeinplätzen. Dass ihr Konzept die Bewertung mit jeweils 3 Punkten verdiene, habe sie bereits vor der Vergabekammer im Einzelnen – insoweit nimmt sie auf ihren Schriftsatz vom 4. Mai 2022 Bezug – dargelegt.

Die Antragstellerin beantragt,

1. den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 1. Juni 2022 (VK 1-49/22) aufzuheben;

2. festzustellen, dass sie in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist;

3. der Antragsgegnerin aufzugeben, ihr Angebot zu Los 1 unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu werten;

4. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzuerlegen;

5. der Antragsgegnerin ihre zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen aufzuerlegen und die Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten für notwendig zu erklären;

Die Antragsgegnerin beantragt,

die sofortige Beschwerde teilweise zu verwerfen und im Übrigen zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer. Ihre Vergabeunterlagen seien vergaberechtskonform, die Begründung ihrer Bewertung genüge den rechtlichen Anforderungen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden. Die erforderliche Beschwer der Antragstellerin ist nach § 171 Abs. 1 Satz 2 GWB gegeben, weil sie am Verfahren vor der Vergabekammer beteiligt war und die Vergabekammer ihren Nachprüfungsantrag teils verworfen und teils zurückgewiesen hat.

2. Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.

Der Nachprüfungsantrag ist – soweit zulässig – begründet, denn die Dokumentation der Konzeptbewertung genügt nicht den Anforderungen und lässt eine Überprüfung der Wertung nicht zu.

a) Ob die Vergabekammer zu Recht von der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags infolge Rügepräklusion gemäß § 160 Abs. 1 GWB ausgegangen ist, soweit die Antragstellerin die Wertungsmethodik als vergaberechtsfehlerhaft gerügt hat, ist dies einer Überprüfung durch den Senat nicht zugänglich. Die Antragstellerin hat sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die diesbezüglichen Ausführungen der Vergabekammer nicht gewandt.

b) Die in der Unterlage “A_Wertungshinweise” enthaltene Ausschlussklausel, wonach die Angebote von der Wertung ausgeschlossen werden, bei denen die Summe der Punkte aller Wertungsbereiche nicht mindestens 85 % der Gesamtpunktzahl beträgt, welche bei durchgängiger Bewertung in der Wertungsstufe “2-Punkte – entspricht den Anforderungen” erreicht, ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Weder ist die Antragsgegnerin bei der Angebotswertung von den genannten Voraussetzung abgewichen, noch liegt ein Verstoß gegen das in § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB und § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB normierte Transparenzgebot vor.

aa) Der Auftraggeber hat alle Zuschlagskriterien und Unterkriterien, die er anzuwenden gedenkt, sowie deren Gewichtung bekannt zu geben. Die anschließende Wertung der Angebote darf nur anhand dieser Kriterien erfolgen (Senatsbeschluss vom 27. März 2013, VII-Verg 53/12, BeckRS 2013, 21180). Darüber hinaus steht es dem öffentlichen Auftraggeber frei, ein Ausschlusskriterium für den Fall zu formulieren, dass von den Bietern eine bestimmte Mindestpunktzahl nicht erreicht wird (Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 13/19, NZBau 2020, 670 Rn. 50). Der öffentliche Auftraggeber ist bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen im rechtlichen Ansatz ungebunden und weitestgehend frei (Senatsbeschluss vom 13. April 2016, VII-Verg 47/15, NZBau 2016, 656 Rn. 18 – VoIP-Telefone). Nach § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB kann er – so wie hier – auch qualitative Aspekte berücksichtigen. Er kann eine seinen Bedürfnissen entsprechende Qualität bestimmen, die die abgegebenen Angebote gewährleisten müssen, und eine Untergrenze festlegen, die diese Angebote einhalten müssen. Insoweit steht Art. 67 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU, dessen Umsetzung § 127 Abs. 1 GWB dient und in dessen Lichte er auszulegen ist, nicht der Möglichkeit entgegen, in der Phase der Zuschlagserteilung in einem ersten Schritt Angebote auszuschließen, die bei der Bewertung eine vorab festgelegte Mindestpunktzahl nicht erreichen, weil ein Angebot, das eine solche Mindestpunktzahl nicht erreicht, grundsätzlich nicht den Bedürfnissen des öffentlichen Auftraggebers entspricht und bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots nicht berücksichtigt zu werden braucht (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, C-546/16, NZBau 2018, 685 Rn. 32 – Montte; ausführlich hierzu: Senatsbeschluss vom 15. Februar 2023, VII-Verg 6/22).

Der Inhalt eines solchen Ausschlusskriteriums muss – ebenso wie die Vergabeunterlagen insgesamt – hinreichend klar und eindeutig formuliert sein. Die Frage, welcher Erklärungswert den maßgeblichen Teilen der Vergabeunterlagen zukommt, ist auch im Vergaberecht nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 – Stadtbahnprogramm Gera; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 18. Juli 2017, 11 Verg 7/17, BeckRS 2017, 121590 Rn. 59). Dabei ist auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter beziehungsweise Bewerber, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 – Stadtbahnprogramm Gera). Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (Senatsbeschlüsse vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 Rn. 40 – BSI, sowie vom 5 November 2014, VII-Verg 21/14, BeckRS 2015, 11625; Lampert in Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, GWB § 121 Rn. 77).

bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Antragsgegnerin für einen durchschnittlichen Bieter hinreichend klar und eindeutig ein Ausschlusskriterium dahingehend formuliert, dass nur solche Angebote weiter in der Wertung verbleiben, die im Rahmen der qualitativen Bewertung der Konzepte in der Summe mindestens 85 Prozente der Leistungspunkte erreicht haben, die bei einer durchgehenden Bewertung mit 2 Punkten erzielt würden; also nur solche Angebote, die mindestens 17.000 Leistungspunkte erzielt haben.

Schon der Wortlaut ist bei sorgfältigem Studium des Textes für einen durchschnittlichen Anbieter von Schulungs- und Motivationsprogrammen eindeutig. Durch die Verknüpfung des Satzteils “85 % der Gesamtpunktzahl” mit dem nachfolgenden Satzteil “bei durchgängiger Bewertung in der Wertungsstufe ʹ2 Punkte …ʹ erreicht wird” mittels des Relativpronomens “welche” wird grammatikalisch klargestellt, dass die bei durchgängiger Bewertung mit 2 Punkten zu erzielende Gesamtpunktzahl Bezugspunkt des 85-Prozent-Kriteriums ist, also der Wert, aus dem sich die 85 Prozent berechnen. Das Relativpronomen “welche” kann schlicht nicht in dem von der Antragstellerin favorisierten Sinn eines “dies entspricht” verstanden werden.

Das von der Antragstellerin geltend gemachte Verständnis, wonach sich die 85 Prozent auf die erreichbare Maximalpunktzahl beziehen und einer durchgängigen Bewertung mit 2 Punkten entsprechen sollen, wäre im Übrigen auch mathematisch falsch. Wer durchgängig 2 von 3 möglichen Punkten erzielt, erzielt … 2/3 der Maximalpunkzahl, also 66,7 Prozent dieses Wertes. 85 Prozent der Maximalpunktzahl werden also mit einer durchgängigen Bewertung mit 2 Punkten gar nicht erreicht.

Das für das richtige Verstehen des Textes hier erforderliche Maß an grammatikalischem und mathematischem Verständnis kann von einem durchschnittlichen Bieter, der sich um ein Aktivierungsprogramm für junge Menschen bewirbt, erwartet werden. Dies kann der spezialzuständige Vergabesenat – ebenso wie die Vergabekammer – aufgrund seiner jahrelangen intensiven Befassung mit Vergabeunterlagen und ihrer Auslegung selbst beurteilen. Die Auslegung von Vergabeunterlagen ist ureigenste Aufgabe des Richters, der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es hierfür nicht.

Es bestehen auch keine Unklarheiten hinsichtlich der Ermittlung der 85-Prozent-Grenze. Ein Angebot genügt diesem Kriterium, wenn es in der Summe mindestens 17.000 Leistungspunkte erzielt. Die von der Antragstellerin angenommene Rundungsproblematik existiert nicht.

Die Berechnung und Rundung der Leistungspunkte werden in der Vergabeunterlage A_Wertungshinweise klar und nachvollziehbar dargestellt. Dort wird zur Ermittlung der Leistungspunkte unter 1. ausgeführt, dass zunächst der gewichtete Mittelwert des Wertungsbereichs zu bilden ist, indem die Wertungspunkte jedes Wertungskriteriums, also des Unterkriteriums, mit dem jeweiligen Gewichtspunkt, der in der Bewertungsmatrix 1, 2 oder 3 GP angegeben ist, multipliziert und sodann durch die Summe der Gewichtspunkte dividiert werden; also beim Wertungsbereich I “Auftragsbezogene Zusammenarbeit auf dem regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt“, durch 3 (2 + 1), beim Wertungsbereich II “Organisation und Durchführungsqualität” durch 11 (3 + 3 + 3 + 2) und bei Wertungsbereich III “Personal” durch 2. Der gewichtete Mittelwert wird dann mit 100 multipliziert und sodann kaufmännisch auf zwei Dezimalstellen gerundet. Anschließend werden die Ergebnisse mit den Gewichtspunkten des Wertungsbereichs multipliziert, die ebenfalls der Bewertungsmatrix zu entnehmen sind – also im Wertungsbereich I mit 30 GP, im Wertungsbereich II mit 60 GP und im Wertungsbereich III mit 10 GP – und die Produkte addiert.

Bei einer durchgängigen Bewertung mit 2 Punkten ergeben sich 20.000 Punkte, so dass die 85-Prozent-Grenze bei 17.000 Punkten liegt. Eine Rundungsproblematik tritt hier folglich nicht auf. Konzepte, die diesen Wert – egal wie geringfügig – unterschreiten, scheiden aus der Wertung aus. Auch ein Konzept mit 16.999,9 Leistungspunkten – mehr als eine Dezimale ist aufgrund der vorangegangenen kaufmännischen Rundung auf die zweite Dezimale und der anschließenden Multiplikation mit den sich auf glatte Zehnerwerte belaufenden Gewichtspunkten des Wertungsbereichs nicht möglich – scheidet folglich aus.

Die bei 17.000 Leistungspunkten liegende 85-Prozent-Grenze hat die Antragsgegnerin vorliegend auch korrekt angewandt und daher zunächst drei – nach Neubewertung des Angebots der Antragstellerin – schließlich noch zwei der sieben Angebote wegen Nichterreichens dieser Mindestpunktzahl ausgeschieden.

c) Dem Senat ist es nicht möglich, die von der Antragstellerin geltend gemachten Wertungsfehler zu überprüfen. Die am 6. April 2022 von der Antragsgegnerin erneut vorgenommene Konzeptbewertung ist völlig unzureichend dokumentiert und verstößt daher gegen § 8 Abs. 1 Satz 2 VgV.

aa) Gemäß § 127 Abs. 1 GWB wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt, wobei Grundlage eine Bewertung des öffentlichen Auftraggebers ist, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt. Diese Entscheidung muss im Vergabenachprüfungsverfahren überprüfbar sein. Die Nachprüfungsinstanzen müssen anhand der Dokumentation der Wertungsentscheidung die Einhaltung der Bewertungsgrundsätze nachvollziehen können. Gegenstand der Angebotswertung ist die prognostische Beurteilung, inwieweit die aus den Konzepten ersichtlichen Maßnahmen zur Sicherstellung einer effektiven Leistungserbringung beitragen können. Je nachdem, in welchem Maße die Lösungsvorschläge aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers insoweit Erfolg versprechen, erhält das jeweilige Konzept sodann eine entsprechende Benotung und die nach dem Schlüssel in den Vergabeunterlagen zu errechnende Punktzahl (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 42 – Postdienstleistungen). Bei der Bewertung kommt dem öffentlichen Auftraggeber systemimmanent ein Beurteilungsspielraum zu (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 53 – Postdienstleistungen; Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 6/19, NZBau 2020, 318 Rn. 46). Die Nachprüfungsinstanzen können diese Entscheidung daher nur daraufhin kontrollieren, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wurde, keine sachwidrigen Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind und allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet wurden (siehe nur Senatsbeschluss vom 8. Februar 2017, VII Verg 31/61). Der Gefahr, dass die Offenheit des Wertungsschemas zu einer nicht hinreichend transparenten Vergabe führt, ist durch eingehende Dokumentation des Wertungsprozesses zu begegnen (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 52 – Postdienstleistungen), die es ermöglichen muss, den Entscheidungsfindungsprozess konkret nachzuvollziehen, um beurteilen zu können, ob Ermessensfehler vorliegen (Goede/Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, VgV § 8 Rn. 9). Der Auftraggeber ist daher nach § 8 Abs. 1 Satz 2 VgV verpflichtet, die Gründe für die Auswahlentscheidung und den Zuschlag zu dokumentieren. Dies gilt auch und vor allem dann, wenn er sich dafür eines aus Preis und qualitativen Aspekten zusammengesetzten Kriterienkatalogs bedient, bei dem die Angebote hinsichtlich der Qualitätskriterien mittels eines Benotungssystems bewertet werden und die Bewertungsmethode des Preises nur enge Kompensationsmöglichkeiten für qualitative Abzüge erwarten lässt, muss der Auftraggeber seine für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 53 – Postdienstleistungen; Senatsbeschluss vom 9. Mai 2018, VII-Verg 13/18, BeckRS 2018, 50137 Rn. 36; OLG München, Beschluss vom 26. Februar 2021, Verg 14720, NZBau 2021, 698 Rn. 71; Goede/Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, VgV § 8 Rn. 9). Nur dann sind die diesbezüglichen Bewertungsentscheidungen in diesem Rahmen insbesondere auch darauf hin überprüfbar, ob die jeweiligen Noten im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 53 – Postdienstleistungen). Dabei ist auch zu erläutern, warum ein Bieter weniger als die mögliche Höchstpunktzahl erhalten hat (OLG München, Beschluss vom 26. Februar 2021, Verg 14720, NZBau 2021, 698 Rn. 72).

bb) Diesen Anforderungen wird die Dokumentation der am 6. April 2022 erfolgten Konzeptbewertung nicht gerecht.

Die Antragsgegnerin hat die Konzepte der Antragstellerin bei jedem Kriterium durchgängig mit 2 Punkten bewertet und identisch wie folgt begründet: “Die konzeptionelle Darstellung entspricht den Anforderungen, weil keine Anhaltspunkte für eine Zielerreichung in besondere Weise sprechen (3 Punkte) und gegenüber den Anforderungen keine Einschränkungen erkennbar sind, die eine Bewertung mit 1 Punkt rechtfertigen würden“. Damit hält sie nur das Wertungsergebnis fest und begründet es mit der von ihr vorgegebenen Definition der zu erreichenden Punkte. Eine auf den konkreten Konzeptinhalt bezogene Begründung fehlt vollständig. Es ist weder dargestellt, welche konzeptionellen Maßnahmen aus welchen Gründen den definierten Anforderungen entsprechen, noch wird begründet, warum diese konzeptionellen Maßnahmen die Anforderungen zwar erfüllen, die gewählte Lösung aber nicht besonders dienlich ist. So hätte es beispielsweise im Wertungsbereich I “Auftragsbezogene Zusammenarbeit auf dem regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt” im Unterkriterien I.1 “Auftragsbezogene Zusammenarbeit“, in dessen Rahmen die regionalen Akteure zu benennen und die Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der konkreten Maßnahme zu beschreiben waren, Ausführungen dazu bedurft, weshalb das Netz kleiner Werkstätten der Antragstellerin nicht innovativ ist oder zwar innovativ, aber aus konkreten Gründen nicht besonders dienlich ist. Der Begründung muss entnommen werden können, warum die Antragstellerin für ihre Lösung weniger als die Höchstpunktzahl erhält. Kann aber anhand der Dokumentation nicht nachvollzogen werden, aus welchen konkreten, auf den Inhalt des jeweiligen Konzepts bezogenen Erwägungen die Antragsgegnerin zu der Bewertung mit 2 Punkten gekommen ist, ist der Wertungsprozess nicht nachvollziehbar und damit völlig intransparent, so dass eine Überprüfung der Wertung auch im Vergleich zu der Wertung der Konzepte der anderen Bieter nicht möglich ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 3, Abs. 4, § 175 Abs. 2 i.V.m. § 71 Satz 1 GWB. Die Antragstellerin hat ihr Verfahrensziel vollständig erreicht (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 Rn. 178).

Dabei sind gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG auch die Gebühren und Auslagen der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin erstattungsfähig, da deren Hinzuziehung im Verfahren vor der Vergabekammer in Anbetracht der dort aufgetretenen Schwierigkeiten im Ergebnis notwendig war. Hierüber ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 Rn. 61 – Polizeianzüge; Senatsbeschlüsse vom 16. März 2020, VII-Verg 38/18, BeckRS 2020, 29123 Rn. 34 und vom 15. Mai 2018, VII-Verg 58/17; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 2. November 2017, 11 Verg 8/17, ZfBR 2018, 198, 199). Entscheidend ist, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen und hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen, wobei neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände bestimmend sein können (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 Rn. 61 – Polizeianzüge). Vorliegend stellten sich schwierige Fragen zur Wertung und den Anforderungen an ihre Dokumentation, deren Beantwortung von einem normalen Bieter wie der Antragstellerin nicht erwartet werden kann.

Insoweit ist allein die Antragsgegnerin verpflichtet. Ein Beigeladener ist nur dann kostenrechtlich wie der Antragsteller oder Antragsgegner eines Nachprüfungsverfahrens zu behandeln, wenn er die durch die Beiladung begründete Stellung im Beschwerdeverfahren auch nutzt, indem er sich an diesem Verfahren beteiligt. Hierfür bedarf es einer sachlichen Stellungnahme zur sofortigen Beschwerde (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 Rn. 63), an der es vorliegend fehlt. Die Beigeladene hat sich am Nachprüfungsverfahren nicht beteiligt.

Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Demnach beträgt der Gegenstandswert fünf Prozent des Bruttoauftragswerts des Angebots der Antragstellerin (Senatsbeschluss vom 10. Februar 2021, VII-Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn. 56).

VK Bund zu der Frage, ob die Übernahme einzelner Personen (hier: der vorgesehenen Projektleiter), die für ein anderes Unternehmen an vergleichbaren Projekten mitgearbeitet haben, hinreichend die Eignung des Bieters für die ordnungsgemäße Ausführung des Auftrags belegt

VK Bund zu der Frage, ob die Übernahme einzelner Personen (hier: der vorgesehenen Projektleiter), die für ein anderes Unternehmen an vergleichbaren Projekten mitgearbeitet haben, hinreichend die Eignung des Bieters für die ordnungsgemäße Ausführung des Auftrags belegt

vorgestellt von Thomas Ax

Bei der Eignungsprüfung trifft der öffentliche Auftraggeber die Prognoseentscheidung, ob der Bewerber in der Lage sein wird, den Auftrag ausschreibungskonform zu erbringen. Dabei steht ihm ein Beurteilungsspielraum zu, der im Nachprüfungsverfahren nur eingeschränkt überprüft werden kann. Technische Planungsleistungen weisen eine personenbezogene Komponente auf, da deren erfolgreiche Ausführung von den Fähigkeiten der für die Planung eingesetzten Personen mitbestimmt wird. Bei komplexen Planungsleistungen ist es nicht beurteilungsfehlerhaft, wenn der Auftraggeber zu dem Ergebnis kommt, dass die Übernahme einzelner Personen (hier: der vorgesehenen Projektleiter), die für ein anderes Unternehmen an vergleichbaren Projekten mitgearbeitet haben, nicht hinreichend die Eignung des Bieters für die ordnungsgemäße Ausführung des Auftrags belegt. Denn damit können die betriebsorganisatorischen Fähigkeiten und Kapazitäten eines Unternehmens, die für die Erfüllung komplexer Planungsaufgaben ebenfalls und unabhängig von einzelnen Personen erforderlich sind, nicht gleichgesetzt werden.
VK Bund, Beschluss vom 25.04.2024 – VK 1-30/24 (nicht bestandskräftig; Rechtsmittel: OLG Düsseldorf, Az. Verg 15/24)

Gründe:

I.

1. Die Antragsgegnerin für derzeit ein Verhandlungsverfahren mit vorherigem Teilnahmewettbewerb zur Vergabe der Fachplanung der Technischen Ausrüstung gemäß §§ 53 ff. HOAI der Anlagengruppe 7.1 (medizin- oder labortechnische Anlagen), LPH 2 bis LPH 9, für den Laborneubau […] durch. Im Haus […] sollen Laborflächen der Kategorie BSL 2 und BSL 3 nach GenTG (standardisierte mikrobiologische Labore mit Auswerteräumen, (Gefahrstoff-)Lagern, Brut- und Kühlräumen) sowie Büroflächen und Besprechungsräume untergebracht werden. Der Neubau soll bei laufendem Betrieb und beengten Platzverhältnissen sowie unter Berücksichtigung der vorhandenen technischen Anlagen und Sicherheitsanforderungen in die bestehende Liegenschaft integriert werden. Die Antragsgegnerin schätzt die Anforderungen an die bauliche und prozessuale Qualität als hoch ein (s. Ziffer 5.1 der EU-Bekanntmachung sowie S. 1 der “Kurzbeschreibung des Projektes und des Leistungsumfangs für die Fachplanung TA-Labortechnik”). Die Projektkosten gemäß DIN 276 werden für die KG 473 mit ca. 3,6 Mio. Euro netto und für die KG 200 – 700 mit ca. 80 Mio. netto angegeben, die Projektdauer soll ca. 75 Monate betragen (s. Ziffer 5.1 der EU-Bekanntmachung sowie S. 10 ff. der o.g. Kurzbeschreibung).

In der EU-Bekanntmachung wurden unter Ziffer 5.1.9 folgende Anforderungen an die technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Bewerber genannt:

“Kriterium:

Art: Technische und berufliche Leistungsfähigkeit

Bezeichnung: Vorstellung von zwei mit der Bauaufgabe und der ausgeschriebenen Leistung vergleichbaren realisierten Referenzprojekten gem. § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV:

Beschreibung: Die Referenzprojekte (P1, P2) müssen im Zeitraum ab 01/2013 bis zum Tag der Veröffentlichung fertig gestellt sein (Abschluss Leistungsphase 8 gem. § 53 ff HOAI). Davon: Mindestens ein Referenzprojekt mit Projektkosten in der KG 473 (Medizin- und Labortechnische Anlagen nach DIN 276) von mindestens 3,5 Mio. Euro. Mindestens ein Referenzprojekt aus dem Labor- bzw. Krankenhausbau. Hinweis: Die Referenzprojekte (P1 und P2) müssen dem/der Bewerbenden eindeutig zuzuordnen sein. Im Falle einer Bietergemeinschaft können die Referenzprojekte von jedem Mitglied der Bietergemeinschaft eingereicht werden (insgesamt max. 2 Referenzen). Referenzprojekte des Nachunternehmens sind nicht zugelassen. Es sind zwei mit der Bauaufgabe und der ausgeschriebenen Leistung vergleichbare Referenzprojekte (P1, P2) vom Bewerbenden vorzustellen, die anhand der Auswertungsmatrix Stufe 1 bewertet werden. Insbesondere Angaben zu: Projektbezeichnung, Ort, Bauherr/in, Auftraggeber/in, Ansprechpartner/in mit Tel.-Nr., Entwurfsverfasser/in, Architekt/in, Projektdauer, Gebäudenutzung, Art der Baumaßnahme, Projektkosten, Umfang der eigenen Leistung, Besondere Leistungen, Referenzschreibens. Neben dem Bewerbungsbogen sind maximal 3 DIN A 4 Seiten je Referenzprojekt in digitaler Form einzureichen. Darüberhinausgehende Unterlagen werden zur Wertung nicht zugelassen.

Anhand der Kriterien werden die Bewerber ausgewählt, die zur zweiten Phase des Verfahrens eingeladen werden sollen.

(…)

Kriterium:

Art: Technische und berufliche Leistungsfähigkeit

Bezeichnung: Vorstellung des Projektteams – insbesondere Angaben zu: Name, Ausbildung/Studienabschluss, Berufserfahrung.

Beschreibung: Der/die Bewerbende oder die Bietergemeinschaft haben das gesamte Projektteam im Teilnahmewettbewerb (Stufe 1) vorzustellen. Dabei soll auch berücksichtigt werden, welche Zugehörigkeit des Fachbereichs vorliegt, sodass die Aufteilung der Projektbeteiligten den Anlagengruppen bzw. Kostengruppen zugeordnet werden kann. Dies ist bei der Einzelvorstellung (s.u. zu berücksichtigen). Alle Anlagengruppen sind personell durch das gesamte Projektteam abzubilden und durch entsprechende Studiennachweise sowie den beruflichen Werdegang zu belegen. Projektleiter*in (PL) mit Studienabschluss der Fachrichtung Technische Ausrüstung oder in naturwissenschaftlichen Fachrichtungen (oder vergleichbaren Studienabschluss einer Fachhochschule oder Hochschule) mit 10 Jahren Berufserfahrung (nach Studienabschluss) im Bereich der Fachplanung Technische Ausrüstung bezogen auf die Anlagengruppe 7.1 (Medizin- oder Labortechnische Anlagen) in den LPH 2 bis 8. Stellv. Projektleiter*in / Projektmitarbeiter*in (PM-1) mit Studienabschluss der Fachrichtung Technische Ausrüstung oder in naturwissenschaftlichen Fachrichtungen (oder vergleichbaren Studienabschluss einer Fachhochschule oder Hochschule) mit mindestens 5 Jahren Berufserfahrung (nach Studienabschluss) im Bereich der Fachplanung Technische Ausrüstung bezogen auf die Anlagengruppen 7.1 Medizin- oder Labortechnische Anlagen in den LPH 2 bis 8. Hinweis: Das Projektteam (PL, PM-1) soll sich aus mindestens 2 Personen zusammensetzen. Eine Doppelbenennung ist hier nicht möglich. Für die Leistung der BIM-Koordination ist eine Person als Ansprechpartner*in zu benennen. Eine Doppelbenennung der zuvor benannten Projektmitarbeitenden zur Erfüllung der Leistung BIM-Management ist möglich. Hinweis: Beruflicher Werdegang sowie Studiennachweise der für das Projekt vorgesehenen Beschäftigten, einschließlich des/der Büroinhabenden, sind in digitaler Form vorzulegen.

Anhand der Kriterien werden die Bewerber ausgewählt, die zur zweiten Phase des Verfahrens eingeladen werden sollen.”


Im Teilnahmewettbewerb sollten die vorzulegenden Referenzen laut der den Bewerbern zur Verfügung gestellten “Auswertungsmatrix Stufe 1” hinsichtlich mehrerer Einzelaspekte mit maximal 210 Punkten je Referenzprojekt bewertet werden. Die übrigen Angaben im von den Bewerbern auszufüllenden Bewerbungsbogen wie zum Umsatz, zur Anzahl der Mitarbeiter sowie zu Studienabschluss und Berufserfahrung des Projektleiters und seines Stellvertreters wurden mit “erfüllt” bzw. “nicht erfüllt” bewertet. Die zweite Stufe des Vergabeverfahrens besteht u.a. aus einer Vorstellung des Projektteams; mit Punkten sollen hier u.a. die beruflichen Erfahrungen des Projektleiters und seines Stellvertreters in Bezug auf Laborgebäude bewertet werden (s. “Auswertungsmatrix Stufe 2”).

Neben weiteren Unternehmen gab die Antragstellerin im 23. Januar 2024 einen Teilnahmeantrag ab. Sie legte zwei Referenzen vor (P1: […], P2: […]) und führte in einer beigefügten Eigenerklärung aus, dass sie sich auf diese Referenzprojekte, die von der Planungsgruppe […] Aktiengesellschaft […] (im Folgenden: […]) ausgeführt worden seien, als eigene Unternehmensreferenz berufen dürfe. Denn es bestehe eine weitgehende Identität zwischen den Personen, die für den genannten Referenzauftrag tätig waren und seit Februar bzw. Mai 2023 Mitarbeiter der Antragstellerin und für die Ausführung des vorliegenden Auftrags vorgesehen seien. Zwei der dort genannten ehemaligen Mitarbeiter der […] AG werden im Bewerbungsbogen der Antragstellerin als für den Auftrag vorgesehener Projektleiter bzw. stellvertretender Projektleiter benannt.

Bei der Auswertung der Teilnahmeanträge stellte die Antragsgegnerin zum von der Antragstellerin benannten Projektteam fest, dass die gestellten Mindestanforderungen erfüllt seien, zu den Referenzprojekten der Antragstellerin trug die Antragsgegnerin in ihre Auswertungstabelle ein: “nicht erfüllt”. Am 19. Februar 2024 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass ihre Bewerbung ausgeschlossen werde, weil sie den formalen Anforderungen nicht entspreche bzw. die Mindestanforderungen nicht erfülle. Bei den von ihr vorgestellten Büroreferenzen P1 und P2 handele es sich um Fremdreferenzen der […] AG, auf die sich die Antragstellerin nicht berufen könne, die Einstellung einzelner Mitarbeiter, die für die […] AG gearbeitet hätten, reiche nicht aus. Der Rüge der Antragstellerin vom 27. Februar 2024, dass die Referenzen P1 und P2 gewertet werden müssten, half die Antragsgegnerin nicht ab.

2. Am 15. März 2024 beantragte die Antragstellerin über ihre Verfahrensbevollmächtigten bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am selben Tag der Antragsgegnerin übermittelt.

a) Die Antragstellerin meint, dass sie zu Unrecht mangels Eignung ausgeschlossen worden sei. Die von der Antragstellerin zum Beleg ihrer beruflichen und fachlichen Eignung vorgelegten Referenzen P1 und P2 hätte die Antragsgegnerin als eigene Unternehmensreferenzen der Antragstellerin berücksichtigen müssen, auch wenn diese Referenzen für die […] AG ausgestellt worden seien. Die Antragstellerin dürfe sich auf diese Referenzen berufen, weil sie seit Januar 2023 mehrere Mitarbeiter und damit einen “wesentlichen Betriebsteil der Labortechnik” der […] AG übernommen habe, hinsichtlich der Labortechnikplanung ca. 70% des Personals der […] AG. Im Übrigen sei die Antragstellerin schon seit […] am Markt etabliert und habe eine eigene Organisation und Betriebsstruktur mit über […] Mitarbeitern weltweit aufgebaut, im Jahr 2022 habe sie einen Umsatz in Höhe von […] Euro erwirtschaftet. Zum Beleg dafür, dass sie selbst “(über-)qualifiziert” sei, legt die Antragstellerin eine Referenzliste für das Jahr 2021 vor. Dass sie im Teilnahmewettbewerb die beiden Referenzen P1 und P2 vorgelegt habe, beruhe aus betriebsinternen Überlegungen u.a. darauf, dass der vorgesehene Projektleiter an beiden Projekten mitgearbeitet habe. Für die Frage, welche Ressourcen ein Unternehmen von einem anderen Unternehmen übernommen haben müsse, damit dem neuen Unternehmen dessen Referenzen zugerechnet werden könnten, komme es auf den Inhalt der zu vergebenden Leistungen an. Planungsleistungen wiesen einen ganz persönlichen Charakter auf und würden daher schwerpunktmäßig nicht durch das Unternehmen in seiner Organisation, sondern gerade durch die den Auftrag bearbeitenden Personen geprägt. Die Bewältigung der hier ausgeschriebenen Aufgaben der Fachplanung für die medizin- und labortechnischen Anlagen sei nahezu ausschließlich von den Kenntnissen und Erfahrungen der mit der Planung betrauten Personen abhängig. Ein entsprechend erfahrener Planer sei in der Lage, seine Leistungen auch in unterschiedlichen betrieblichen Strukturen und mit unterschiedlichen Arbeitsmitteln gleichermaßen gut zu erbringen. In einem solchen Fall seien daher auch Büro- oder Unternehmensreferenzen personenbezogen und dasjenige Unternehmen, das über die betreffenden Mitarbeiter verfüge, könne sich die Fremdreferenzen eines anderen Unternehmens zurechnen lassen, auch wenn es nur die Mitarbeiter, aber keine weitergehenden unternehmensspezifischen Strukturen übernommen habe.

Die Antragstellerin meint, die von ihr vorgelegten Referenzen P1 und P2 belegten vorrangig die berufliche und technische Leistungsfähigkeit der mit den in diesen Projekten betrauten Mitgliedern des für den verfahrensgegenständlichen Auftrag vorgesehenen Projektteams. Der damalige Projektleiter im Referenzprojekt P1 sei inzwischen ebenfalls seit dem 1. Februar 2023 bei der Antragstellerin beschäftigt, so dass ebenfalls auf dessen Expertise zurückgegriffen werden könne. Der für das streitgegenständliche Projekt vorgesehene Projektleiter sei im Referenzprojekt P1 in den Leistungsphasen 2 bis 8 sechs Jahre lang Projektmitarbeiter und Bauleiter gewesen, im Referenzprojekt P2 in denselben Leistungsphasen Projektleiter. Der als stellvertretender Projektleiter vorgesehene ehemals bei der […] AG beschäftigte Mitarbeiter habe ebenfalls im Referenzprojekt P1 mitgearbeitet (Leistungsphasen 3 bis 6). Beide Personen seien nunmehr seit über einem Jahr Teil des Unternehmens der Antragstellerin, so dass sie in vollem Umfang über die von der Antragsgegnerin geforderten Ressourcen verfüge. Anders als es die Antragsgegnerin darstelle, seien der vorgesehene Projektleiter sowie ein weiterer von der […] AG übernommener Mitarbeiter in den Referenzprojekten Projektgruppenleiter der Labortechnik mit entsprechender Führungs-, Budget- und Projektverantwortung gewesen, also keine einfachen Projektingenieure ohne Verantwortung. Der vorgesehene Projektleiter habe in diesen Projekten auch betriebliche, wirtschaftliche und personalpolitische Kompetenzen ansammeln können und sei in die Entscheidungsprozesse involviert gewesen, als Projektgruppenleiter habe man auch leitende Funktion, u.a. als Teamleitung. Leitender verantwortlicher Partner für den Bereich der Medizin- und Labortechnikplanung, der primär die Gesamtbudgetverantwortung für diesen Bereich verwaltet sowie die Personalführung innegehabt habe, sei ein anderer Mitarbeiter der […] AG gewesen, der weiterhin dort tätig sei.

Dass die einschlägige berufliche Erfahrung eines Bewerbers stark personenbezogen zu bewerten sei, folge aus § 47 Abs. 1 S. 3 VgV. Zwar sei vorliegend keine direkte Eignungsleihe einschlägig. Jedoch liege Sinn und Zweck dieser Norm darin, dass sich ein Bewerber bzw. Bieter dann auf etwas berufen könne, was er nicht selbst ausgeführt habe, wenn die auszuführende Leistung durch denjenigen erbracht werde, der die einschlägige berufliche Erfahrung habe.

Wenn sich ein Unternehmen nicht auf Referenzen berufen könne, obwohl die Mitarbeiter, die für die ordnungsgemäße Erbringung der Referenz ursächlich waren, jetzt in dem neuen Unternehmen arbeiteten, liefe dies nach Auffassung der Antragstellerin auf eine mittelbare Beschränkung der Freizügigkeit i.S.d. Art. 21 AEUV hinaus. So könnten Mitarbeiter eines Projektsteuerungsbüros in Österreich zwar zu einem Büro in Deutschland wechseln, aber ihre Erfahrung nicht mehr bei öffentlichen Aufträgen für das in Deutschland ansässige Büro fruchtbar machen, weil sie sich nicht mehr auf ihre persönlichen Erfahrungen bei vergangenen Referenzprojekten berufen könnten. Eine solche Gesetzesanwendung verstoße zudem gegen Art. 15 Abs. 1, 2 lit. g) und Abs. 3 RL 2006/123/EG.

Des Weiteren erläutert die Antragstellerin näher ihre Angaben im Bewerbungsbogen zum Umsatz und zu ihren Mitarbeitern.


Die Antragstellerin beantragt:

1. Die Einleitung des Vergabenachprüfungsverfahrens gemäß §§ 160 ff. GWB,

2. schnellstmöglich die Aussetzung des Vergabeverfahrens gemäß § 169 GWB durch noch heutige Information an die Antragsgegnerin in Textform über diesen Nachprüfungsantrag bis zum Ablauf der Beschwerdefrist nach § 172 Abs. 1 GWB zu veranlassen,

3. der Antragsgegnerin aufzugeben, das Vergabeverfahren in den Stand vor Prüfung der Eignung der Antragstellerin zurückzuversetzen,

4. der Antragsgegnerin aufzugeben, die Eignungsprüfung entsprechend der Rechtsauffassung der Vergabekammer vergaberechtskonform unter Einbeziehung der Referenzen P1 und P2 zu wiederholen und den Teilnahmeantrag vergaberechtskonform zu werten,

5. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt wurde,

6. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin gemäß § 182 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären,

7. der Antragstellerin Akteneinsicht gemäß § 165 GWB in die Vergabeunterlage und den Vergabevermerk zu gewähren, wobei Akteneinsicht auch in die Protokolle der internen Beratungen und etwaig eingeholter Rechtsauskünfte zu gewähren ist (§ 8 VgV);

8. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.


b) Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen und die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen,


Die Antragsgegnerin meint, sie habe die Antragstellerin im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums zu Recht gemäß § 46 VgV ausgeschlossen, da diese den geforderten Nachweis eigener Erfahrungen im Bereich der Planung von medizin- und labortechnischen Anlagen nicht erbracht habe. Die Antragstellerin habe nicht wie als Mindestanforderung gefordert eigene Referenzleistungen vorgestellt, sondern zwei Fremdreferenzen der […] AG. Ein Unternehmen dürfe sich jedoch grundsätzlich nicht auf Referenzleistungen eines Mitarbeiters berufen, die dieser für ein anderes Unternehmen erbracht habe. Ein solcher Verweis sei nur ausnahmsweise zulässig, wenn auch die Betriebsstruktur und Organisation dieses Unternehmens übernommen worden sei. Dies sei bei der Antragstellerin nicht der Fall. Die […] AG bearbeite nach eigener Auskunft weiterhin erfolgreich neue Großprojekte im Bereich der Labortechnik, von den [mehreren hundert] Ingenieuren der […] AG habe die Antragstellerin lediglich fünf übernommen.

Zu den von der Antragstellerin im Bewerbungsbogen als Projektteam benannten Mitarbeitern habe die Antragsgegnerin den Vorstand der […] AG befragt. Danach sei nur der von der Antragstellerin vorgesehene Projektleiter bei beiden Referenzprojekten P1 und P2 beteiligt gewesen, der als stellvertretender Projektleiter vorgesehene Mitarbeiter sei nur kurzfristig in einem dieser Projekte tätig gewesen. Die Personen, die für die Referenzleistungen zuständig gewesen seien, und die Mitarbeiter, die jetzt für die ausgeschriebene Planungsaufgabe vorgesehen seien, seien damit nicht (wie in der von der Antragstellerin zitierten Rechtsprechung gefordert) weitgehend identisch. Alle von der Antragstellerin übernommenen Mitarbeiter der […] AG hätten im Unternehmen der […] AG keinerlei leitende Funktion ausgeübt. Dies gelte auch für den von der Antragstellerin vorgesehenen Projektleiter. In einem der beiden Referenzprojekte habe dieser lediglich die Leistungsphase 8 übernommen, also keine Planungsleistungen erbracht. Zudem sei dieser dem zuständigen Bereichsleiter unterstellt und weisungsabhängig gewesen, er war nicht in die Unternehmensleitung und betriebliche Entscheidungen eingebunden und hatte keine betrieblichen, wirtschaftlichen und personalpolitischen Kompetenzen. Ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter der […] AG, der jetzt ebenfalls bei der Antragstellerin tätig sei, sei bei einem der Referenzprojekte nur bei der Umsetzung der bereits vorhandenen Planung beteiligt gewesen (Leistungsphasen 6 und 7). Die übrigen von der […] AG abgeworbenen Mitarbeiter seien an den benannten Referenzleistungen nicht beteiligt gewesen. Für eine positive Eignungsprognose reiche dies nicht aus.

Die Antragsgegnerin betont, dass das […] mit seinen breit angelegten und hochkomplexen Aufgaben- und Forschungsbereichen (vor allem im Rahmen der Vorbeugung und Bekämpfung von […], Aufklärung von […], Abwehr von […]) auf eine Laborausstattung angewiesen sei, die die Sicherheitsstufen S2 und S3 der Gentechniksicherheitsverordnung (GenTSV) und Biogefahrstoffverordnung erfülle. Eine fehlerhafte Planung würde nicht nur zu hohen zusätzlichen Kosten und zeitlichen Verzögerungen führen, sondern berge bei diesem Bauvorhaben auch hohe Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung, wenn Viren und Bakterien, mit denen dort experimentiert werde, aufgrund nichteingehaltener planungsrechtlicher Vorgaben oder Überwachungsmängel in der Bauausführung in die Umwelt gelangten. Diese hochanspruchsvolle Planungsaufgabe erfordere ein interdisziplinäres Planungsteam, das mit den Anforderungen an den späteren Zweck und den damit einhergehenden Gefahren des Labors vertraut sei. U.a. sei daher insbesondere Expertise im Bereich der Versorgungstechnik erforderlich, um zu verhindern, dass mit Viren, Bakterien oder sonstigen Krankheitserregern kontaminierte Luft oder Abwasser etc. nach außen tritt. Der Projekterfolg hänge von der Zusammenarbeit und Koordinierung dieses Planungsteams ab. Wie bei jeder anderen Leistung seien hier die Betriebsstruktur, die Unternehmensleitung, Qualitätssicherung, Fehlerkultur, der Umgang mit Mitarbeitern und die Persönlichkeiten der beteiligten Akteure entscheidend. Die Antragsgegnerin habe daher bewusst solche Bewerber ausgewählt, die mit der Planung von Laboren und medizinwissenschaftlichen Einrichtungen eigene umfangreiche Erfahrungen vorweisen können. Das zu beauftragende Büro solle nicht nur einzelne Personen mit entsprechenden Erfahrungen beschäftigen, sondern auch durch eigene Unternehmensleistungen in der Vergangenheit nachweisen können, dass durch die gesamte Betriebsorganisation und die Struktur des Unternehmens gewährleistet sei, dass auch bei Ausfall, Austausch oder Weggang von einzelnen Personen erfolgreich Leistungen erbracht werden könnten. Diese Anforderungen seien aufgrund der gestellten anspruchsvollen Bauaufgabe angemessen. Da die persönlichen beruflichen Erfahrungen des vorgestellten Projektteams erst in der zweiten Stufe im Rahmen des Präsentationsgesprächs bewertet werden, wäre es darüber hinaus verfahrensfehlerhaft, wenn solche persönlichen Erfahrungen bereits im Teilnahmewettbewerb berücksichtigt werden dürften.

Des Weiteren bestreitet die Antragsgegnerin die Angaben der Antragstellerin zu den im Bewerbungsbogen anzugebenden Mindestumsätzen im Bereich der Planung von medizin- oder labortechnischen Anlagen und zweifelt ebenfalls daran, dass die Antragstellerin die Mindestanforderungen an die Anzahl der Beschäftigten mit einer bestimmten Ausbildung und Berufserfahrung erfülle.

Die Vergabekammer hat der Antragstellerin antragsgemäß Einsicht in die Vergabeakten gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren.

Nachdem alle Verfahrensbeteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben, ergeht die Entscheidung gemäß § 166 Abs. 1 S. 3, 1. Alt. GWB nach Lage der Akten.

Durch Verfügung des Vorsitzenden vom 16. April 2024 wurde die Entscheidungsfrist bis zum 26. April 2024 einschließlich verlängert.

Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakten der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.


II.

Gegen die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags bestehen keine Bedenken. Allerdings ist der Antrag unbegründet. Denn die Antragsgegnerin hat hinsichtlich der beruflichen Leistungsfähigkeit der Bewerber wirksame Eignungsanforderungen aufgestellt (dazu unter 1.), die die Antragstellerin nicht vollständig erfüllt (dazu unter 2.). Die Antragstellerin wurde daher zu Recht mangels Eignung ausgeschlossen (dazu unter 3.). Auf weitere etwaige Ausschlussgründe kommt es daher nicht an (dazu unter 4.).

1. Die Antragsgegnerin hat hinsichtlich der beruflichen Leistungsfähigkeit der Bewerber zwei Anforderungen aufgestellt. Erstens sollten “zwei mit der Bauaufgabe und der ausgeschriebenen Leistung vergleichbare realisierte Referenzprojekte gem. § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV” vorgestellt werden und zweitens sollte das “Projektteam” mit “Name, Ausbildung/Studienabschluss, Berufserfahrung” vorgestellt werden. Diese Kriterien sind vergaberechtskonform:

Bei dem ersten Kriterium handelt es sich – wie aus dem Hinweis auf § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV deutlich wird – um eine unternehmensbezogene Anforderung. Diesen Bezug auf das Bewerberunternehmen selbst hat die Antragsgegnerin noch weiter dadurch konkretisiert, dass sie ausdrücklich verlangt hat, dass die betreffenden Referenzprojekte “dem/der Bewerbenden eindeutig zuzuordnen sein” müssen und “Referenzprojekte des Nachunternehmens […] nicht zugelassen” sind. Das zweite Kriterium betrifft die bei der Leistungserbringung eingesetzten technischen Fachkräfte und beruht auf § 46 Abs. 3 Nr. 2 VgV.

Wie in § 122 Abs. 4 S. 2 GWB gefordert, hat die Antragsgegnerin diese beiden Eignungskriterien und die zu deren Beleg vorzulegenden Nachweise in der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens genannt. Da die ausgeschriebenen Leistungen die technischen Planungsleistungen für den Neubau eines Laborgebäudes (Fachplanung der Technischen Ausrüstung, Anl.-Gr. 7.1) für ein medizinisches Forschungsinstitut mit Projektkosten in der KG 473 von ca. 3,6 Mio. Euro betreffen, stehen die an die vorzulegenden Referenzen gestellten Anforderungen (“mindestens ein Referenzprojekt mit Projektkosten in der KG 473 (…) von mindestens 3,5 Mio. Euro. Mindestens ein Referenzprojekt aus dem Labor- bzw. Krankenhausbau”) mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung (§ 122 Abs. 4 S. 1 GWB, § 75 Abs. 4 VgV). Dasselbe gilt für die an das Projektteam gestellten Anforderungen (Studienabschluss der Fachrichtung Technische Ausrüstung oder in naturwissenschaftlichen Fachrichtungen mit 5 bzw. 10 Jahren Berufserfahrung im Bereich der Fachplanung Technische Ausrüstung in der Anlagengruppe 7.1.). Angesichts des voraussichtlichen wertmäßigen Umfangs dieses Projekts (KG 473 ca. 3,6 Mio. Euro netto, KG 200-700 ca. 80 Mio. Euro), der erwarteten Projektdauer von ca. 75 Monaten und vor allem der Komplexität des konkreten Bauvorhabens (mit Laborflächen der Kategorie BSL 2 und 3 nach GenTG und den damit einhergehenden gesetzlichen Sicherheitsanforderungen zum Schutz der Gesundheit und Umwelt, mikrobiologischen Laboren mit entsprechenden Zusatzräumen, Gefahrstofflagern im Zusammenhang mit der Erforschung, Untersuchung etc. von Bakterien und Viren, der Anforderung, den Neubau in die bestehende Liegenschaft bei laufendem Betrieb mit beengten Platzverhältnissen zu integrieren, sowie unter Berücksichtigung der vorhandenen technischen Anlagen und Sicherheitsanforderungen) sind die hier gestellten Anforderungen an die entsprechenden Erfahrungen mit vergleichbaren Leistungen auch angemessen i.S.d. § 122 Abs. 4 S. 1 GWB, § 75 Abs. 4 VgV.

Abgesehen davon ist die Antragstellerin der Wirksamkeit der aufgestellten Eignungskriterien und der vorzulegenden Eignungsbelege/-Nachweise nicht entgegengetreten und hat diese nicht gerügt.

2. Bei der Eignungsprüfung trifft der öffentliche Auftraggeber die Prognoseentscheidung, ob der Bewerber in der Lage sein wird, den Auftrag ausschreibungskonform zu erbringen. Dabei steht ihm ein Beurteilungsspielraum zu, der im Nachprüfungsverfahren nur eingeschränkt überprüft werden kann. Die Antragsgegnerin hat ihren Beurteilungsspielraum nicht verletzt als sie zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die von der Antragstellerin vorgelegten Referenzen deren berufliche Leistungsfähigkeit nicht hinreichend belegen.

Für ihr eigenes Unternehmen hat die Antragstellerin keine Referenzen vorgelegt, sondern zwei Projekte der […] AG. Die Antragstellerin meint, dass diese Referenzprojekte ihr selbst zuzurechnen seien, weil sie mehrere Mitarbeiter der […] AG übernommen habe und zwei Mitarbeiter davon, die an zumindest einem der beiden Referenzaufträge mitgearbeitet oder als Projektleiter betreut hätten, beim streitgegenständlichen Auftrag als Projektleiter und stellvertretender Projektleiter einsetzen wolle.

Die Antragstellerin weist zu Recht darauf hin, dass technische Planungsleistungen wie sie hier ausgeschrieben sind, eine personenbezogene Komponente aufweisen, da deren erfolgreiche Ausführung von den Fähigkeiten der für die Planung eingesetzten Personen mitbestimmt wird. Ein Auftraggeber kann daher beurteilungsfehlerfrei zu dem Schluss kommen, dass ein Bewerber geeignet ist, wenn er Personen, die Referenzaufträge ausgeführt haben, auch für den ausgeschriebenen Auftrag einsetzen will (vgl. 2. VK Bund, Beschluss vom 27. Januar 2022, VK 2-137/21; VK Südbayern, Beschluss vom 17. März 2015, Z3-3-3194-1-56-12/14; VK Sachsen, Beschluss vom 5. Mai 2014, 1/SVK/010-14; vgl. auch – für hier nicht vorliegende Projektsteuerungsleistungen – VK Südbayern, Beschluss vom 25. Februar 2021, 3194.Z3-3_01-20-47). Dass die berufliche Leistungsfähigkeit des einzusetzenden Projektteams für den Leistungserfolg wichtig ist, sieht nicht nur die Antragstellerin, sondern auch die Antragsgegnerin so, und hat daher nicht nur unternehmensbezogene Eignungsanforderungen, sondern auch Anforderungen an die Ausbildung und Berufserfahrung des Projektteams aufgestellt. Dies zeigt jedoch nicht nur, dass die Antragsgegnerin auf die persönlichen Fähigkeiten des einzusetzenden Personals Wert legt, sondern dass es ihr hierüber hinaus für die Frage, ob ein Bewerber über die für den ausgeschriebenen Auftrag erforderliche Eignung verfügt, ebenfalls wichtig ist, dass alle personellen und technischen Kapazitäten des Auftragnehmers “hinter” dem aus zwei Personen bestehenden Projektteam bereits in vergleichbaren Projekten eingesetzt wurden (die Antragsgegnerin nennt hier u.a. die Koordinierung des interdisziplinären Projektteams, Qualitätssicherung und Fehlerkultur sowie die Fähigkeit des Unternehmens, gerade auch bei Ausfall oder Weggang von einzelnen Personen die ausgeschriebenen Leistungen weiterhin erfolgreich erbringen zu können). Wie bereits oben unter 1. aufgezeigt, ist dies angesichts der besonderen Komplexität des streitgegenständlichen Auftrags nicht zu beanstanden.

Alle diese auf andere Unternehmensressourcen zugreifenden Leistungen, die bei technischen Planungsleistungen wie sie hier ausgeschrieben sind, außerhalb der eigentlichen Tätigkeit des Projektleiters und seines Stellvertreters anfallen, hat die Antragstellerin ausweislich der von ihr vorgelegten Referenzen jedoch nicht schon einmal selbst, sondern ein anderes Unternehmen, die […] AG, erbracht. Angesichts der in Art und Umfang besonderen Komplexität des streitgegenständlichen Bauvorhabens und der zu erbringenden fachplanerischen Leistungen der Leistungsphasen 2 bis 9 ist es nicht beurteilungsfehlerhaft, dass die Antragsgegnerin zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Übernahme einzelner Personen, die für ein anderes Unternehmen an vergleichbaren Projekten schon einmal mitgearbeitet haben, nicht hinreichend die Eignung der Antragstellerin selbst belegt, den streitgegenständlichen Auftrag ordnungsgemäß auszuführen. Die Antragstellerin hat sich insoweit insbesondere auf die Fähigkeiten von zwei Personen berufen, des Projektleiters und seines Stellvertreters. Bereits von der Personenanzahl her hat die Antragsgegnerin zu Recht bezweifelt, dass diese zwei Personen alle Fähigkeiten mitbringen können, die die Abwicklung eines solchen Planungsauftrags wie hier ausgeschrieben erfordern. Die zu beauftragenden Leistungsphasen 2 bis 9 umfassen nicht nur planerische Tätigkeiten, sondern auch Arbeiten im Bereich der Auftragsvergabe und Bauüberwachung. Doch selbst wenn man die konkreten Fähigkeiten dieser beiden Personen berücksichtigt, kommt man zu keinem anderen Ergebnis. In welchem Umfang (vor allem in welchen Leistungsphasen) der von der Antragstellerin vorgesehene Projektleiter in den beiden genannten Referenzprojekten (damals noch als Mitarbeiter der […] AG) tätig war, ist unter den Verfahrensbeteiligten streitig. Auch wenn man allein auf das Vorbringen der Antragstellerin selbst abstellt, ist die Prognoseentscheidung der Antragsgegnerin nicht fehlerhaft. Denn nach dem Vortrag der Antragstellerin hat der für die stellvertretende Projektleitung vorgesehene Mitarbeiter nur an einem der beiden Referenzprojekte mitgearbeitet und das auch nur in wenigen Leistungsphasen (3 bis 6). Der vorgesehene Projektleiter war zwar an beiden Referenzprojekten beteiligt und dies immerhin in den Leistungsphasen 2 bis 8, in einem der Referenzprojekte war er jedoch nur Bauleiter und auch als Projektleiter des anderen Referenzprojekts einer weiteren Person unterstellt und konnte nur im Rahmen des damaligen Projektteams eigene Führungserfahrungen sammeln. Das Gesamtbudget hatte der vorgesehene Projektleiter in den Referenzaufträgen ebenfalls nicht zu verantworten. Der für diese Aufgabe bei der […] AG verantwortliche Mitarbeiter, der ebenfalls die Personalführung innegehabt hatte, wurde von der Antragstellerin unstreitig nicht übernommen. Der von der Antragstellerin vorgesehene Projektleiter hatte im Referenzauftrag außerdem alle weiteren Aufgaben nicht wahrgenommen, die in betriebsorganisatorischer Hinsicht solche Aufträge ausmachen (s.o.). Im Nachprüfungsverfahren beruft sich die Antragstellerin auf einen weiteren ehemaligen Mitarbeiter der […] AG, der inzwischen für die Antragstellerin tätig sei. Auch dieser Mitarbeiter hat daher über seine Tätigkeit als Projektleiter hinaus in den Referenzaufträgen keine Leistungen erbracht und mithin keine entsprechenden Erfahrungen erworben. Schließlich hat die Antragstellerin in den letzten Jahren zwar mehrere weitere Mitarbeiter der […] AG übernommen. Es ist jedoch vertretbar, dass angesichts der Komplexität des streitgegenständlichen Bauvorhabens die Übernahme einzelner Mitarbeiter nicht mit den betriebsorganisatorischen Fähigkeiten gleichzusetzen ist, die ein Unternehmen erwirbt, wenn es selbst einen vergleichbaren Auftrag ausgeführt hat. Wie die Antragsgegnerin nachvollziehbar aufgezeigt hat, kommt es bei so komplexen und anspruchsvollen Planungsaufgaben wie hier u.a. auf koordinierende Fähigkeiten, Qualitätssicherungsmaßnahmen und Betriebsstrukturen an, die gerade auch unabhängig von einzelnen Personen den Projekterfolg gewährleisten können. Für die erfolgreiche Ausführung solcher Leistungen kommt es zudem auf den Einsatz technischer und sächlicher Betriebsmittel an. Dies erfolgte in den Referenzaufträgen nicht durch die Antragstellerin, sondern die […] AG. Die Antragstellerin verweist im Nachprüfungsverfahren diesbezüglich zwar auf ihre eigene Konzernstruktur mit mehreren tausend Mitarbeitern, dass sie u.a. Leistungen gemäß der HOAI erbringe sowie (im Zusammenhang mit den geforderten Umsatzangaben) auf mehrere in den letzten Jahren von ihrem Unternehmen erbrachten Referenzprojekte ([…]). Außerdem hat sie eine Liste mit Referenzen aus dem Jahr 2021 vorgelegt. Es ist jedoch bereits in rechtlicher Hinsicht fraglich, ob solche von einem Unternehmen nachträglich benannten Referenzen, die bisher nicht ausreichende Eignungsbelege ergänzen sollen, überhaupt berücksichtigt werden dürfen, oder ob es sich hierbei nicht um eine unzulässige Nachbesserung handelt (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 28. März 2018, Verg 42/17 m.w.N.). Unabhängig davon reichen die Angaben der Antragstellerin nicht für die Prüfung aus, ob die von der Antragsgegnerin in tatsächlicher Hinsicht gestellten Anforderungen (Projektkosten von mindestens 3,5 Mio. Euro in der KG 473, Abschluss der Leistungsphase 8, Labor- bzw. Krankenhausbau) zumindest in einer der vorzulegenden Referenzen erfüllt sind. Da die Antragstellerin diese Referenzen nicht bereits mit ihrer Bewerbung vorgelegt hat, ist davon auszugehen, dass dies nicht der Fall ist. Auch das nachträgliche Vorbringen der Antragstellerin zu ihrer eigenen beruflichen Leistungsfähigkeit kann daher deren Eignung in der hier (neben der personellen zusätzlich) geforderten unternehmensbezogenen Hinsicht nicht belegen. Wie bereits aufgezeigt, sind die vorgelegten Referenzen (der […] AG) insoweit ebenfalls nicht tauglich.

3. Da sie nicht alle wirksam aufgestellten Eignungsanforderungen erfüllt, wurde die Antragstellerin zu Recht mangels Eignung gemäß § 42 Abs. 1 VgV i.V.m. § 122 Abs. 1 GWB ausgeschlossen. Hätte die Antragsgegnerin wie die Antragstellerin meint, ihre Eignungsprüfung auf die persönlichen Fähigkeiten des eingesetzten Projektteams beschränkt, hätte sie in rechtswidriger Weise nicht alle aufgestellten Eignungsanforderungen geprüft und damit ihren Beurteilungsspielraum verletzt (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2019, Verg 36/18). Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin auf die von ihr aufgestellte unternehmensbezogene Eignungskomponente gar nicht verzichten will, hätte ein solcher Verzicht auf eine wirksam aufgestellte Eignungsanforderung zudem die anderen Bewerber, die (wie hier ausweislich der Vergabeakte der Antragsgegnerin) die Eignungsanforderungen erfüllen, vergaberechtswidrig diskriminiert.

Dem steht auch nicht die von der Antragstellerin zitierte Vergaberechtsprechung entgegen:

• Die 2. VK Bund hat die Zurechnung von Fremdreferenzen bejaht, nachdem festgestellt worden war, dass es dem Auftraggeber “in erster Linie” auf die Fähigkeit des eingesetzten Personals ankam (Beschluss vom 27. Januar 2022, VK 2-137/21). Dieser Beschluss ist jedoch nicht auf den hier zu entscheidenden Sachverhalt übertragbar. Denn erstens ging es in dem von der 2. VK Bund zu entscheidenden Sachverhalt nicht um komplexe Leistungen der Fachplanung der Technischen Ausrüstung Medizin- oder labortechnische Anlagen, sondern um Wartungsleistungen an elektronischen Abrechnungs- und Kassensystemen. Verfahrensgegenstand waren also deutlich weniger komplexe und anspruchsvolle Leistungen. Zweitens unterscheidet sich das streitgegenständliche Vergabeverfahren hiervon in dem wesentlichen Aspekt, dass die Antragsgegnerin ausdrücklich nicht nur persönliche Fähigkeiten des einzusetzenden Projektleiters und dessen Stellvertreters gefordert hat, sondern auch darüberhinausgehende unternehmensbezogene Erfahrungen mit vergleichbaren Leistungen.

• Die VK Südbayern hat zwar in ihrer Entscheidung vom 17. März 2015 (Az. Z3-3-3194-1-5612/14) betont, dass Referenzen bei VOF-Verfahren in erster Linie personengebunden sind, auch wenn diese in Form von Büroreferenzen gefordert wurden, weil solche Leistungen einen ganz persönlichen Charakter aufweisen würden. Da jedoch in dem von der VK Südbayern zu entscheidenden Fall – wie hier – nicht nur persönliche Referenzen der Projektleitung gefordert worden, sondern auch Büroreferenzen, betonte die VK Südbayern, dass auch der Büroreferenz “eine eigenständige Bedeutung zu verleihen” sei.

Entscheidungserheblich für die Zurechnung der Referenzprojekte eines anderen Unternehmens war für die VK Südbayern daher nicht nur, dass der vorgesehene Projektleiter und dessen Stellvertreterin dieselben Personen waren, die auch die Referenzobjekte betreut hatten. Vielmehr war auch das sonstige Projektteam weitgehend mit den Personen identisch, die für die Referenzaufträge zuständig gewesen waren, außerdem war das Unternehmen, das die Referenzaufträge ausgeführt hatte, “mit allen Projekten und Referenzen” auf das Unternehmen, das sich nun auf diese Referenzen berufen wollte, überführt worden. Unter diesen Prämissen stellte die VK Südbayern fest, dass “nur dann sichergestellt werden [kann], dass neben den Projektleitern auch das Architekturbüro als Organisationseinheit den zu vergebenden Auftrag ebenso zuverlässig und fachkundig bearbeitet wie das referenzgebende Vorgängerbüro”. Maßgeblich für die Zurechenbarkeit der Referenzprojekte eines anderen Unternehmens war hier also nicht nur die Übernahme des Projektteams dieses Unternehmens, sondern auch die Übernahme der entsprechenden “Organisationseinheit”. So eine Übernahme (zumindest der wesentlichen) Organisationsstruktur der […] AG, die die von der Antragstellerin vorgelegten Referenzleistungen erbracht hatte, liegt hier nicht vor. Die Antragstellerin trägt zwar (von der […] AG bestritten) vor, sie hätte einen “wesentlichen Betriebsteil der Labortechnik” der […] AG übernommen. Doch selbst wenn man dies zugunsten der Antragstellerin so unterstellen wollte, fehlt für eine Zurechnung der Referenzen der […] AG i.S.d. dieser Entscheidung der VK Südbayern die über den vorgesehenen Einsatz von Projektleiter und Stellvertreter hinaus erforderliche “weitgehende Identität” zwischen den Personen, die bei der […] AG für die Referenzaufträge zuständig waren, und denen, die den verfahrensgegenständlichen Auftrag ausführen sollen. Abgesehen davon hatte die VK Südbayern nicht über die hier entscheidungserhebliche Frage zu entscheiden, ob ein Auftraggeber seinen Prognosespielraum verletzt, wenn er Fremdreferenzen nicht zugunsten eines anderen Unternehmens berücksichtigt; der bayerische Auftraggeber hatte sich anders als hier die Antragsgegnerin dafür entschieden, die Fremdreferenzen zugunsten des Zuschlagsdestinatärs zu werten.

• In ihrem Beschluss vom 25. Februar 2021 stellte die VK Südbayern für die Zurechenbarkeit von Referenzleistungen, die von anderen Unternehmen erbracht wurden, maßgeblich auf die Kontinuität der wesentlichen Führungskräfte und Mitarbeiter ab (Az. 3194.Z3-3_01-20-47). Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 17. April 2019 (Az. Verg 36/18) stellte die VK Südbayern fest, dass Auftragsgegenstand beim OLG komplexe Brückenbauarbeiten gewesen seien, bei denen es “in ganz anderem Maße als bei Projektsteuerungsarbeiten auf eine funktionierende Unternehmensorganisation” ankomme, und betonte, dass die Kontinuität der wesentlichen Führungskräfte und Mitarbeiter der Referenzaufträge “zumindest” bei der Vergabe von Projektsteuerungsleistungen ausreiche. Auf die hier ausgeschriebenen Planungsleistungen, die ein besonderes und anspruchsvolles Bauvorhaben betreffen, ist daher auch diese Entscheidung nicht ohne Weiteres übertragbar. Abgesehen davon ging es auch in dieser Entscheidung der VK Südbayern nicht um die Frage, ob ein Auftraggeber beurteilungsfehlerhaft handelt, wenn er (wie hier die Antragsgegnerin) Fremdreferenzen nicht einem anderen Unternehmen zurechnet, sondern um die anders gerichtete Entscheidung, solche Referenzen anerkennen zu dürfen. Dass nur eine solche Entscheidung des Auftraggebers beurteilungsfehlerfrei wäre und sein Ermessen insoweit auf Null reduziert ist, geht aus diesem Beschluss der VK Südbayern nicht hervor und brauchte von dieser Vergabekammer auch nicht entschieden zu werden.

• Dasselbe gilt für die Übertragbarkeit des Beschlusses der VK Sachsen vom 5. Mai 2014 (Az. 1/SVK/010-14). Die VK Sachsen vertritt zwar die Auffassung, dass sich ein Unternehmen auf Referenzen, die für einen früheren Arbeitgeber erbracht wurden, berufen kann, wenn die ausgeschriebenen Leistungen einen ganz persönlichen Charakter aufweisen und der Mitarbeiter, der die Referenzleistungen erbracht hatte, inzwischen von dem anderen Unternehmen, das sich auf die Referenz beruft, übernommen wurde. Allerdings umfasste der ausgeschriebene Auftrag keine Planungsleistungen für ein vergleichbar anspruchsvolles Bauvorhaben wie hier und auch die VK Sachsen brauchte sich nicht mit der Frage zu beschäftigen, ob nur die Entscheidung des Auftraggebers beurteilungsfehlerfrei gewesen wäre, die Zurechnung der Fremdreferenzen zuzulassen oder ob der Auftraggeber ebenso vergaberechtskonform hätte entscheiden können, die Fremdreferenzen zugunsten des Bieters, der sich jetzt auf diese beruft, nicht anzuerkennen (so wie es hier die Antragsgegnerin getan hat).

Der hier vertretenen Auffassung steht auch nicht § 47 VgV entgegen. Dass es sich hier nicht um einen Fall der Eignungsleihe handelt, sieht auch die Antragstellerin so. Doch auch sonst kann § 47 VgV kein allgemeiner vergaberechtlicher Grundsatz dergestalt entnommen werden, dass es für die Bejahung der “einschlägigen beruflichen Erfahrung” eines Bewerbers oder Bieters allein auf die Personen ankommt, die die ausgeschriebene Leistung erbringen werden. Denn § 47 VgV regelt nicht die Inanspruchnahme von Personen, sondern von “Kapazitäten”. Im vorliegenden Fall kann sich die Antragstellerin mithilfe der vorgelegten Referenzen jedoch allenfalls hinsichtlich der personengebundenen Eignungskomponente, die die Antragsgegnerin gefordert hat, auf die Mitarbeiter eines anderen Unternehmens berufen. Die zum Beleg der Eignung ebenfalls geforderten Kapazitäten in Gestalt der unternehmensbezogenen Eignungskomponente konnte die Antragstellerin jedoch nicht belegen (s.o.).

Aus demselben Grund bestehen gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Eignung der Antragstellerin zu verneinen, auch keine europarechtlichen Bedenken (die Antragstellerin beruft sich insoweit auf die in Art. 21 AUEV und Art. 15 Abs. 1, 2 lit. g) und Abs. 3 RL 2006/123/EG geregelten EU-Freizügigkeiten). Denn die Antragsgegnerin hat hier nicht daran gezweifelt, dass die von der Antragstellerin benannten Personen durch den Wechsel ihres Beschäftigungsunternehmens ihre beruflichen Erfahrungen und Fähigkeiten behalten haben. Maßgeblich ist hier, inwieweit sich ein Unternehmen auf Erfahrungen und Fähigkeiten berufen kann, die es selbst nicht gemacht hat.

4. Da die Antragsgegnerin die Antragstellerin bereits zu Recht ausgeschlossen hat, weil die Antragstellerin nicht ihre berufliche Leistungsfähigkeit nachgewiesen hat, kommt es nicht darauf an, wie ihre Angaben zu Umsatz und Mitarbeiteranzahl vergaberechtlich zu beurteilen sind.

Kurz belichtet: Direktauftrag

Kurz belichtet: Direktauftrag

Für Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge muss bis zu einem definierten Auftragswert kein Vergabeverfahren durchgeführt werden.

Es kann dann auf allgemein zum Beispiel im Internet zugängliche Angebote zurückgegriffen werden. Für die Bedarfsfeststellung und die Beschaffungsentscheidung gelten die haushaltsrechtlichen Bestimmungen.

Zum Nachweis der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Direktauftrags besteht eine Mindestdokumentationspflicht, das heißt, dass zumindest die Ermittlung von Vergleichspreisen zu erfassen ist (formlose Preisermittlung). Ist dies nicht möglich oder unzweckmäßig, ist die Wirtschaftlichkeit der Beschaffungsmaßnahme in anderer geeigneter Weise darzulegen.

VGH Baden-Württemberg zu der Frage der Einsicht in eine Sitzungsniederschrift

VGH Baden-Württemberg zu der Frage der Einsicht in eine Sitzungsniederschrift

vorgestellt von Thomas Ax

§ 38 Abs. 2 Satz 4 GemO gewährt Gemeindeeinwohnern nur dann Einsicht in eine Sitzungsniederschrift, wenn die betroffene Gemeinderatssitzung tatsächlich öffentlich stattgefunden hat. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO ist im Sinne des § 1 Abs. 3 LIFG eine Rechtsvorschrift, die den Zugang zu amtlichen Informationen vorrangig und abschließend regelt. Anspruchsberechtigung, Anspruchsverpflichtung und Anspruchsgegenstand kennzeichnen § 38 Abs. 2 Abs. 4 GemO als eine “Teilmenge” des allgemeinen Informationszugangsrechts nach § 1 Abs. 2 LIFG speziell und abschließend geregelt ist im § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO auch die Art des Informationszugangs (Einsichtnahme in Sitzungsniederschrift). Selbst wenn § 1 Abs. 2 LIFG entgegen § 1 Abs. 3 LIFG neben § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO anwendbar wäre, stünde die gemeinderechtliche Bestimmung gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 LIFG als Ablehnungsgrund einem LIFG (juris: InfFrG BW)-Begehren auf Zugang zu der Niederschrift einer nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung entgegen. Was nach fachgesetzlichen Vorschriften geheim gehalten werden muss, bleibt auch unter der Geltung des Landesinformationsfreiheitsgesetzes geheim.

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.02.2020 – 10 S 1229/19

Tatbestand

Der Kläger ist Einwohner der Beklagten. Mit Antrag vom 04.01.2017 hat er unter Berufung auf das Landesinformationsfreiheitsgesetz (LIFG)

“Einsicht in das Protokoll der nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung vom 01.12.2016 zu dem TOP, dessen Gegenstand die Abwassergebührennachkalkulation 1994-1996 vom Dezember 2016 war”

beantragt. Die Beklagte hat den Antrag abgelehnt, der Widerspruch ist zurückgewiesen worden. Mit der am 14.07.2017 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Die Klage wurde abgewiesen. Der Senat macht sich die Feststellungen des Verwaltungsgerichts in vollem Umfang zu eigen und nimmt deshalb Bezug auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (§ 130b Satz 1 VwGO).

Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der Kläger habe nach § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO keinen Anspruch auf Einsicht in die Niederschrift der nichtöffentlichen Sitzung des Gemeinderats der Beklagten vom 01.12.2016. Der Kläger sei zwar Einwohner der Beklagten, ein Anspruch auf Einsichtnahme in Niederschriften nichtöffentlicher Gemeinderatssitzungen stehe jedoch ausschließlich Gemeinderäten zu; der Kläger sei indes kein Mitglied des Gemeinderates der Beklagten. Ein Anspruch bestehe auch dann nicht, wenn der Gemeinderat unter Verstoß gegen § 35 Abs. 1 GemO nichtöffentlich verhandelt habe; denn § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO stelle nach Wortlaut, Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck darauf ab, dass die Sitzung tatsächlich “öffentlich” gewesen sei. Der Kläger habe auch keinen Anspruch nach § 1 Abs. 2 LIFG; gemäß § 1 Abs. 3 LIFG gehe § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO dem allgemeinen Informationsanspruch aus § 1 Abs. 2 LIFG vor und regele die Einsicht in die Sitzungsniederschriften des Gemeinderates abschließend. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO und § 1 Abs. 2 LIFG stimmten in der Zielsetzung, nämlich der Stärkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes sowie der Teilhabe der Bürger an der demokratischen Meinungs- und Willensbildung, überein. Die Gesetzesmaterialien zum LIFG dokumentierten, dass § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO gegenüber § 1 Abs. 2 LIFG eine abschließende Spezialregelung sei. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO schließe eine Einsichtnahme in Niederschriften nichtöffentlicher Gemeinderatssitzungen für Einwohner abschließend aus.

Mit Schriftsatz vom 02.05.2019, eingegangen am 06.05.2019, hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung gegen das Urteil vom 27.03.2019, zugestellt am 09.04.2019, eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft der Kläger seinen erstinstanzlichen Vortrag. Der Kläger rügt die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO und moniert die Untätigkeit der Rechtsaufsichtsbehörde. Im Schriftsatz vom 03.12.2019 hebt der Kläger die aus seiner Sicht entscheidungserhebliche Frage nochmals hervor, ob der Ausschluss des Informationsbegehrens auf der Grundlage des LIFG auch dann greife, wenn die nichtöffentliche Vorberatung eines Satzungsbeschlusses rechtswidrig gewesen sei und diese Rechtswidrigkeit zur Nichtigkeit des Satzungsbeschlusses führe. Es gehe darum, ein Fehlverhalten der Verwaltung bezüglich der Abwassergebührennachkalkulation aufzudecken; das Verwaltungsgericht habe über den Verstoß gegen § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO befinden müssen. Im Verhältnis der beiden Anspruchsgrundlagen sei eine Deckungsgleichheit in den Zielsetzungen zwischen § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO und § 1 Abs. 2 LIFG entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht gegeben. Schon nach dem Kreis der jeweils Berechtigten würden unterschiedliche Zielgruppen erfasst. Sodann normiere § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO nur ein eingeschränktes Informationsrecht mit eingeschränkter Kontrolle der Arbeit des Gemeinderates, während § 1 LIFG im Interesse einer modernen Informationsgesellschaft ein voraussetzungsloses umfassendes Informationsrecht normiere, dessen Ziel es nicht sei, Mängel der Verwaltung der Beklagten zu schützen; vielmehr werde die Transparenz der Verwaltung vergrößert. Sei demnach der Anspruch gemäß § 1 Abs. 2 LIFG gegeben, könne dem Begehren allenfalls ein Ablehnungsgrund nach § 4 Abs. 1 Nr. 6 LIFG entgegenstehen; ein besonderer öffentlicher Belang, der den beantragten Informationszugang hindere, sei jedoch nicht ersichtlich.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27.03.2019 – 1 K 5856/17 – zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 27.01.2017 und den Widerspruchsbescheid des Landratsamts Schwarzwald-Baar-Kreis vom 07.07.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die vom Kläger beantragte Einsicht in die Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung des Gemeinderates am 01.12.2016 in Sachen Abwassergebührennachkalkulation 1994-1996 vom Dezember 2016 zu gewähren, hilfsweise über den Antrag des Klägers unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden;

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für erforderlich zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hebt die Beklagte hervor, das Verwaltungsgericht habe zutreffend entschieden. Ferner verweist die Beklagte auf ihren erstinstanzlichen schriftsätzlichen Vortrag. Ergänzend betont die Beklagte, zum Schutz nichtöffentlicher Gemeinderatssitzungen könne der Gesetzgeber, wie in § 38 Abs. 2 GemO erfolgt, regeln, dass die Beratung und Willensbildung in nichtöffentlichen Sitzungen auch dadurch Schutz erfahre, dass den Einwohnern nur die Einsichtnahme in die Niederschriften über die öffentlichen Sitzungen gestattet sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Senat vorliegenden Akten des Verwaltungsverfahrens und des Verwaltungsgerichts Freiburg sowie auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. § 1 Abs. 2 LIFG ist nicht anwendbar, sondern wird angesichts der bestehenden Normenkonkurrenz (II.) durch die abschließende Spezialbestimmung des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO verdrängt (III.). Es gilt danach der Vorrang des Fachrechts gegenüber dem allgemeinen Informationszugangsrecht (IV.). Die Voraussetzungen des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO liegen indessen nicht vor (I.).

I.

Nach § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO ist den Einwohnern der Gemeinde die Einsichtnahme in die Niederschriften über die öffentlichen Sitzungen des Gemeinderates gestattet. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind nicht erfüllt. Der Kläger ist zwar Einwohner der Beklagten, er begehrt jedoch nicht eine Einsichtnahme in die Niederschrift über eine öffentliche Sitzung. Die Sitzung vom 01.12.2016, um die es hier geht, ist eine nichtöffentliche Sitzung gewesen; das bestreitet auch der Kläger nicht. Er meint allerdings, die betreffende Sitzung hätte nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO öffentlich stattfinden müssen und die Niederschrift einer zu Unrecht nichtöffentlich abgehaltenen Gemeinderatssitzung stehe einer Niederschrift im Sinne des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO gleich, sodass ihm die Einsichtnahme zu gestatten sei. Wie das Verwaltungsgericht richtig erkannt hat, spricht allerdings gegen die vom Kläger postulierte Gleichstellung schon der Wortlaut von § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO. Die Vorschrift knüpft tatbestandsmäßig allein an die Tatsache an, ob es sich um “Niederschriften über die öffentlichen Sitzungen” handelt, also ob tatsächlich öffentlich verhandelt worden ist. Hätte der Gesetzgeber etwas Anderes gewollt, hätte er dies unschwer zum Ausdruck bringen können (Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 52). Die normative Anknüpfung an die Faktizität der Öffentlichkeit der Sitzung zeigt sich auch darin, dass § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO selbst dann keine Einsicht in die Niederschriften nichtöffentlicher Sitzungen gestattet, wenn die Gründe für die Nichtöffentlichkeit der Sitzung inzwischen weggefallen sind (Aker in Aker/Hafner/Notheis, GemO BW, 2. Aufl., § 38 Rn. 13) oder wenn die Schweigepflicht der Gemeinderäte mittlerweile aufgehoben worden ist (Bock in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, EL September 2016, § 38 Rn. 8). Dafür, dass für das Recht auf Einsichtnahme aus § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO entscheidend ist, ob eine öffentliche Sitzung des Gemeinderates stattgefunden hat, sprechen auch gewichtige Gründe der Verwaltungspraktikabilität und der kommunalverfassungsrechtlichen Ordnung. Da das den Einwohnern von § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO eingeräumte Recht, Einsicht in die Niederschriften öffentlicher Sitzungen zu nehmen, in zeitlicher Hinsicht nicht begrenzt worden ist, wäre der Bürgermeister als Leiter der Gemeindeverwaltung und Vertreter der Gemeinde (§ 42 Abs. 1 GemO) auf ein entsprechendes Einsichtsgesuch hin genötigt, auch bei Vorgängen, die unter Umständen schon Jahrzehnte zurückliegen, im Einzelfall zu prüfen, ob seinerzeit zu Recht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz GemO ausgegangen worden ist. Dies würde nicht nur an faktische Grenzen stoßen, sondern auch das für die Entscheidung über den Ausschluss der Sitzungsöffentlichkeit kommunalverfassungsrechtlich vorgesehene Organisationsgefüge in Frage stellen (hierzu vgl. Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 52 f.). Eine inzidente Prüfung zur Einhaltung bzw. Nichteinhaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes für Gemeinderatssitzungen im Rahmen des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO scheidet daher aus. Offenlassen, da nicht (mehr) entscheidungserheblich, kann der Senat die – vom Verwaltungsgericht wohl verneinte – Frage, ob aus dem Öffentlichkeitsgrundsatz in § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO ein gerichtlich einklagbares subjektives Recht Interessierter auf Zutritt zu Sitzungen der Gemeindevertretung, von denen die Öffentlichkeit nicht rechtmäßig ausgeschlossen worden ist, folgt (bejahend z. B. Gern/Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl., Rn. 626; Lange, Kommunalrecht, 2. Aufl., Kap. 7 Rn. 90; verneinend z. B. BayVGH, Beschluss vom 04.02.2016 – 4 ZB 15.2506 – juris; Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 53).

Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe zu § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO sieht der Senat ab, da im Übrigen die Berufung insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen ist (§ 130b Satz 2 VwGO).

II.

Sofern der Zugang zu amtlichen Informationen in anderen Rechtsvorschriften abschließend geregelt ist, gehen diese – mit Ausnahme der hier nicht relevanten §§ 29 VwVfG, 25 SGB X – gemäß § 1 Abs. 3 LIFG dem Informationszugangsanspruch nach § 1 Abs. 2 LIFG, auf den sich der Kläger stützt, vor. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO stellt im Sinne des § 1 Abs. 3 LIFG eine abschließende Informationszugangsregelung dar. Das LIFG ist in seiner Grundstruktur dem IFG des Bundes nachgebildet (LT-Drs. 15/7720, S. 25). Das gilt insbesondere auch für § 1 Abs. 3 LIFG (Sicko in Debus, Informationszugangsrecht Baden-Württemberg, 2017, § 1 LIFG Rn. 20). Deshalb können die zu § 1 Abs. 3 IFG Bund gewonnenen Erkenntnisse im vorliegenden Zusammenhang herangezogen werden.

1. § 1 Abs. 3 LIFG setzt eine Normenkonkurrenz voraus und löst die dadurch bewirkte Normenkollision dergestalt auf, dass der Anspruch nach § 1 Abs. 2 LIFG zurücktritt, “soweit besondere Rechtsvorschriften den Zugang zu amtlichen Informationen abschließend regeln” (so LT-Drs. 15/7720, S. 58). “Rechtsvorschriften” im Sinne des § 1 Abs. 3 LIFG sind Rechtsnormen mit Außenwirkung (Beyerbach in BeckOK, Informations- und Medienrecht, 23. Edition 01.02.2019, § 1 LIFG Rn. 11; Sicko a. a. O. Rn. 24, 25). § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO erfüllt diese Voraussetzung offensichtlich.

Bei § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO handelt es sich auch um eine “Rechtsvorschrift”, die den “Zugang zu amtlichen Informationen” regelt. Gefordert ist insoweit eine Rechtsnorm, die einen mit § 1 Abs. 2 LIFG abstrakt identischen sachlichen Regelungsgehalt aufweist (Sicko a. a. O. Rn. 24; zu § 1 Abs. 1 IFG Bund BVerwG Urteil vom 29.06.2017 – 7 C 24.15 – E 159, 194 Rn. 16; BVerwG Urteil vom 22.03.2018 – 7 C 30.15NVwZ 2018, 1401 Tz. 16). Der Regelungsgehalt wird durch den Tatbestand der jeweiligen Norm geprägt, also durch die Antrags- bzw. Anspruchsberechtigung, die Informationsverpflichtung und den Gegenstand des Informationszugangs (Sicko a. a. O. Rn. 26); ergänzend tritt hier die Art des Informationszugangs hinzu. Bestehen bezüglich jener Strukturmerkmale Überschneidungen zwischen der fachgesetzlichen Bestimmung und § 1 Abs. 2 LIFG, liegt eine Normenkonkurrenz im Sinne des § 1 Abs. 3 LIFG vor (Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 54).

2. Der Vergleich zwischen § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO und § 1 Abs. 2 LIFG zeigt, dass bei allen vier Elementen Überschneidungen zwischen dem fachgesetzlichen Informationszugangsrecht und dem allgemeinen Informationszugangsanspruch bestehen. Im Ergebnis stellt § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO eine “Teilmenge” des § 1 Abs. 2 LIFG dar.

a) Anspruchsberechtigt sind nach § 1 Abs. 2 LIFG “Antragsberechtigte”. Das sind nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 1 LIFG unter anderem alle natürlichen Personen. Das Recht auf Einsichtnahme in Sitzungsniederschriften steht gemäß § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO den “Einwohnern” zu; das ist jede Person, die in der Gemeinde wohnt (§ 10 Abs. 1 GemO). Danach repräsentiert der durch § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO berechtigte Personenkreis eine “Teilmenge” der nach § 1 Abs. 2 LIFG anspruchsberechtigten natürlichen Personen.

Ob die “andere Rechtsvorschrift” im Sinne des § 1 Abs. 3 LIFG eine Deckungsgleichheit mit dem nach § 1 Abs. 2 LIFG berechtigten Personenkreis aufweist, ist für die Normenkonkurrenz unerheblich (Sicko a. a. O. Rn. 26; zum Bundesrecht Debus in BeckOK, Informations- und Medienrecht, 23. Edition 01.02.2019, § 1 IFG Rn. 182). Mehr noch, ist fachgesetzlich lediglich ein nach bestimmten Kriterien festgelegter engerer Personenkreis als nach dem allgemeinen Informationsfreiheitsgesetz berechtigt, so ist dies ein starkes Indiz dafür, dass eine spezielle Regelung des Fachrechts vorliegt, die das LIFG verdrängt (BfDI, 4. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit für die Jahre 2012 und 2013, BT-Drs. 18/1200, S. 93, zum IFG des Bundes).

b) Anspruchsverpflichtet sind nach § 1 Abs. 2 LIFG die “informationspflichtigen Stellen”. Das sind gemäß § 3 Nr. 2 LIFG alle Stellen im Anwendungsbereich des § 2 LIFG. Darunter befinden sich auch die Gemeinden (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 LIFG). Das Recht der Einwohner auf Einsichtnahme im Sinne des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO richtet sich an die Gemeinde. Demnach besteht eine Deckungsgleichheit beim informationspflichtigen Rechtssubjekt. Folglich ist auch diese wesentliche Voraussetzung für die Normenkonkurrenz (vgl. Debus a. a. O. Rn. 182) erfüllt.

c) Gegenstand des Informationszugangs sind nach § 1 Abs. 2 LIFG “amtliche Informationen”. Erfasst ist gemäß § 3 Nr. 3 LIFG jede bei einer informationspflichtigen Stelle bereits vorhandene, amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO vermittelt einen Zugang zu den “Niederschriften” über die öffentlichen Sitzungen des Gemeinderates. Diese “Niederschriften” erfüllen nicht nur die Anforderungen an “amtliche Informationen”, eine Niederschrift ist sogar eine öffentliche Urkunde mit der erhöhten Beweiskraft nach §§ 415 ZPO (BGH, Urteil vom 23.04.2015 – III ZR 195/14NVwZ-RR 2015, 630 Tz. 18; Aker a. a. O. Rn. 9; Bock a. a. O. Rn. 1; Gern/Brüning a. a. O. Rn. 690; Lange a. a. O. Kap. 7 Rn. 209). Auch in Bezug auf den Gegenstand des Informationszugangs deckt sich § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO mit § 1 Abs. 2 LIFG und erfasst einen spezifischen Teil von “amtlichen Informationen” im Sinne des allgemeinen Informationsfreiheitsrechts.

d) Nach den jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen sind § 1 Abs. 2 LIFG und § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO somit durch einen abstrakt identischen sachlichen Regelungsgegenstand gekennzeichnet; eine Normenkonkurrenz liegt daher vor. Hinzu tritt eine Überschneidung im Sinne einer partiellen Deckungsgleichheit bei der Art des Informationszugangs. Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 LIFG kann Auskunft erteilt, Akteneinsicht gewährt oder die begehrte Information in sonstiger Weise zur Verfügung gestellt werden. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO sieht die “Einsichtnahme” in die Sitzungsniederschriften vor. Auch in diesem Punkt erfasst das Fachrecht eine “Teilmenge” des allgemeinen Informationsfreiheitsrechts.

III.

Der Informationszugang nach § 1 Abs. 2 LIFG wird gemäß § 1 Abs. 3 LIFG von der anderen, d. h. speziellen Rechtsvorschrift verdrängt, sofern der Zugang zu amtlichen Informationen spezialgesetzlich “abschließend geregelt ist”. Ob dies der Fall ist, kann nur auf Grund einer bereichsspezifischen Analyse des einschlägigen Fachrechts beantwortet werden. Die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 LIFG weist zwar darauf hin, spezielle und abschließende Regelungen existierten für öffentliche Sitzungen kommunaler Gremien, betont dann aber, ob und inwieweit “eine andere Regelung abschließend ist, ist eine Frage des Einzelfalles” (so LT-Drs.15/7720, S. 58).

1. Der Kläger könnte sein Informationsbegehren allenfalls dann auf § 1 Abs. 2 LIFG stützen, wenn das zeitlich ältere Gesetz (hier: § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO) deshalb keinen Vorrang hätte, weil das LIFG einen Mindeststandard im Informationsfreiheitsrecht statuierte, der von älterem Fachrecht nicht unterschritten werden darf. Dazu wird im Schrifttum unter Hinweis auf den älteren § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO in der Tat die Auffassung vertreten, diese Vorschrift solle “wohl eher ein Mindestmaß an Transparenz gewährleisten”; eine Beschränkung des Informationszugangs unter die durch das LIFG geschaffenen allgemein gültigen Standards “dürfte damit nicht bezweckt sein” (so Sicko a. a. O. Rn. 35).

Diese spekulativen Überlegungen finden im geltenden Recht keine Grundlage. Dem Vorschlag (zum IFG des Bundes), in einem modernen Informationsfreiheitsgesetz Mindeststandards zu statuieren (Schoch/Kloepfer, Informationsfreiheitsgesetz, IFG-ProfE, 2002, § 2 Rn. 27 ff.), ist der Gesetzgeber mit § 1 Abs. 3 IFG Bund bewusst nicht nachgekommen (Schmitz/Jastrow NVwZ 2005, 984, 989); folgerichtig erklärt die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 IFG Bund, die vorrangigen Spezialgesetze könnten enger, aber auch weiter als das IFG sein (BT-Drs. 15/4493, S. 8), und konsequenterweise ist es für § 1 Abs. 3 IFG Bund unerheblich, ob fachgesetzliche Informationszugangsrechte vor oder nach dem Inkrafttreten des IFG erlassen worden sind (Debus a. a. O. Rn. 185). Exakt diesem Konzept folgt § 1 Abs. 3 LIFG. Das LIFG bildet keinen Mindeststandard ab, sondern kann durch restriktivere Spezialgesetze verdrängt werden (Beyerbach a. a. O. Rn. 6); dabei kommt es nicht darauf an, ob das Fachrecht älter oder jünger als das LIFG ist (vgl. Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 55).

2. Die sonach angezeigte Einzelanalyse zeigt, dass es sich bei § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO um eine gegenüber § 1 Abs. 2 LIFG vorrangige und abschließende Spezialbestimmung handelt. Die fachgesetzliche Regelung schließt den Informationszugang von “Jedermann” zu “jedweder” Niederschrift über Sitzungen des Gemeinderates in “beliebiger” Art gerade aus und normiert signifikante Restriktionen. Diese verbindlichen Vorgaben des Gesetzes stehen der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 LIFG zwingend entgegen.

a) Es ist eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung, dass nur die “Einwohner” einer Gemeinde das Recht auf Einsichtnahme in die Niederschriften über Gemeinderatssitzungen haben sollen. Ursprünglich war dieses Recht sogar nur “den Bürgern” (vgl. dazu § 12 GemO) eingeräumt worden (§ 38 Abs. 2 Satz 4 GemO i. d. F. vom 03.10.1983, GBl S. 578). Erst das Gesetz zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts vom 16.07.1998 (GBl S. 418) hat durch seinen Art. 1 Nr. 9 “den Einwohnern” das Einsichtsrecht nach § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO zuerkannt; Ziel der Gesetzesänderung ist eine Stärkung der Einwohnerrechte gewesen (LT-Drs. 12/2870, S. 18). Fachgesetzlich ist damit entschieden, dass ortsfremden Personen die Einsichtnahme in Niederschriften über Gemeinderatssitzungen nicht gestattet ist (Aker a. a. O. Rn. 13).

Es liegt auf der Hand, dass mit der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 LIFG dieses erste Strukturmerkmal des Informationszugangsrechts zu Niederschriften über Gemeinderatssitzungen unterlaufen würde. Eine gezielt herbeigeführte fachgesetzliche Bestimmung kann indessen nach der lex specialis-Regel nicht durch eine allgemeine Informationszugangsregelung “ausgehebelt” werden. Das Normierungspotential des Fachgesetzgebers zeigt zudem der innerdeutsche Rechtsvergleich. So können “auswärts wohnende Personen hinsichtlich ihres Grundbesitzes oder ihrer gewerblichen Niederlassungen im Gemeindegebiet” nach Art. 54 Abs. 3 Satz 2 BayGO ebenso wie alle Gemeindebürger “Einsicht in die Niederschriften über öffentliche Sitzungen” des Gemeinderates nehmen. Derartige spezifische Zuordnungen von Informationsrechten zu einem bestimmten Personenkreis behalten ihre fachgesetzlich normierte Substanz nur, wenn sie gegenüber dem allgemeinen Informationszugangsrecht als abschließende Spezialregelungen verstanden werden. Die bereits angestellte Strukturüberlegung bestätigt, dass die bereichsspezifische Berechtigung eines gegenüber dem LIFG engeren Personenkreises nachdrücklich für die Annahme einer nicht nur vorrangigen, sondern auch abschließenden Informationszugangsregelung im Fachgesetz spricht (s. o. II. 2. a).

b) Gegenstand des Informationszugangs sind gemäß § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO “Niederschriften über die öffentlichen Sitzungen” des Gemeinderates. Damit ist fachgesetzlich definitiv entschieden, dass die Einsichtnahme in die Niederschriften über nichtöffentliche Sitzungen des Gemeinderates den Einwohnern nicht gestattet ist. Diese eindeutige gesetzliche Bestimmung ist keiner Relativierung zugänglich (vgl. zur Parallelregelung in Art. 54 Abs. 3 Satz 2 BayGO VG Würzburg Beschluss vom 19.04.2005 – W 5 E 05.307 – juris Rn. 7 f.). Doch genau dies bewirkte die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 LIFG neben § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO (Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 56); denn auch Niederschriften über nichtöffentliche Sitzungen des Gemeinderates enthalten “amtliche Informationen” (§ 3 Nr. 3 LIFG) und unterfielen damit dem allgemeinen Informationszugangsrecht. Im Einzelfall könnte zwar ein Ablehnungsgrund dem Informationszugang entgegenstehen (z. B. § 4 Abs. 1 Nr. 6 LIFG), doch gerade diese Verlagerung von Schutzstandards ist Ausdruck der – unzulässigen – Relativierung der durch § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO getroffenen strikten gesetzlichen Entscheidung zur Nichtzugänglichkeit von Niederschriften über nichtöffentliche Gemeinderatssitzungen für die Einwohner.

Der abschließende rechtsnormative Gehalt des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO würde nicht etwa dadurch in Frage gestellt, falls die Sitzung vom 01.12.2016 – wie der Kläger meint – nichtöffentlich habe gar nicht stattfinden dürfen. Der Kläger behauptet einen Verstoß der Beklagten gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz des § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO und zieht daraus die Schlussfolgerung, auf Grund des – behaupteten – rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten müsse die Niederschrift über die Sitzung vom 01.12.2016 zugänglich sein. Die “Rechtmäßigkeit” oder die “Rechtswidrigkeit” des einer amtlichen Information zu Grunde liegenden Verhaltens von Amtsträgern ist indessen keine Kategorie des allgemeinen Informationsfreiheitsrechts (Senatsurteil vom 16.05.2017 – 10 S 1478/16NVwZ 2018, 750 Tz. 33; bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 28.02.2019 – 7 C 23.17NVwZ 2019, 978 Tz. 18). Darin weicht das besondere Informationszugangsrecht, wie etwa § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG zeigt, mitunter ab. Ein entsprechender gesetzlicher Anhaltspunkt fehlt im vorliegenden Zusammenhang. Deshalb kommt es hier nicht darauf an, ob die fragliche Gemeinderatssitzung möglicherweise unter Verstoß gegen § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO als nichtöffentliche Sitzung stattgefunden hat oder als nichtöffentliche Sitzung durch § 35 Abs. 1 Satz 2 GemO gedeckt gewesen ist.

c) § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO gestattet den Informationszugang zu den Niederschriften nur in Gestalt der “Einsichtnahme”. Ein Recht auf Mehrfertigungen oder Ablichtungen von Niederschriften steht den Einwohnern nicht zu; darüber befindet die Gemeinde nach pflichtgemäßem Ermessen (Brenndörfer in BeckOK, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 7. Edition 01.08.2019, § 38 GemO Rn. 15; Krebs, Der kommunale Öffentlichkeitsgrundsatz, 2016, S. 212; Engel/Heilshorn, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 11. Aufl., § 14 Rn. 189). Das Recht auf “Einsichtnahme” ist eine definitive Festlegung des Gesetzgebers und schließt andere Arten des Informationszugangs als Folge eines Anspruchs aus. Das hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs schon vor geraumer Zeit geklärt und betont, § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO stehe einer Herleitung sonstiger Arten des Informationszugangs auf Grund “anderer gesetzlicher Regelungen” entgegen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.01.1976 – I 1494/75 – Entscheidungsabdruck S. 4).

Auch diese fachgesetzliche Bestimmung könnte unterlaufen werden, wäre § 1 Abs. 2 LIFG neben § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO anwendbar. Denn ein allgemeines Informationszugangsrecht hat nicht nur die in § 7 Abs. 5 Satz 1 LIFG vorgesehenen Arten des Informationszugangs zur Folge, sondern gibt der antragstellenden Person zudem ein Recht auf die Wahl einer bestimmten Art des Informationszugangs, wovon seitens der informationspflichtigen Stelle nur aus wichtigem Grund abgewichen werden kann (§ 7 Abs. 5 Satz 2 LIFG). Es liegt auf der Hand, dass auch diese Regelung des LIFG weit über das spezifische Zugangsrecht gemäß § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO hinausgeht. Dies zeigt ebenfalls, dass dem Fachrecht gegenüber dem LIFG eine abschließende Wirkung zu attestieren ist.

3. Unabhängig davon hätte der Kläger selbst im Fall der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 LIFG keinen Anspruch auf Zugang zu der begehrten Information. Die durch Rechtsvorschriften geregelten Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitspflichten im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 LIFG stehen dem Informationszugang entgegen (Debus in ders., Informationszugangsrecht Baden-Württemberg, 2017, § 4 LIFG Rn. 118 f., 124). Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass auch unter der Geltung des Informationsfreiheitsgesetzes geheim bleibt, was nach anderen Vorschriften geheim gehalten werden muss (BVerwG, Urteil vom 29.10.2009 – 7 C 22.08NVwZ 2010, 321 Tz. 46 zur Parallelbestimmung in § 3 Nr. 4 Var. 1 IFG Bund).

Zum Geheimnisschutz in diesem Sinne können auch Bestimmungen der Gemeindeordnung gehören (LT-Drs. 15/7720, S. 68). Auf § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO trifft dies in Bezug auf Niederschriften über nichtöffentliche Gemeinderatssitzungen bei Informationszugangsbegehren von Einwohnern zu. Derartige Niederschriften sind gegenüber Transparenzforderungen von Einwohnern gesetzlich geschützt. Dabei handelt es sich ausweislich der in § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO getroffenen Regelung nicht nur um einen relativen – etwa durch einen Abwägungsvorbehalt eingeschränkten – Schutz, vielmehr ist der gesetzliche Schutz umfassend ausgestaltet. Demnach statuiert § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 LIFG eine Rechtsvorschrift mit einer Geheimhaltungspflicht, soweit – wie im vorliegenden Fall – die Einsichtnahme in die Niederschrift über eine nichtöffentliche Sitzung des Gemeinderates begehrt wird.

IV.

Die abschließende Regelung der Einsichtnahme in die Niederschriften über Gemeinderatssitzungen durch Einwohner gemäß § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO führt nach der Rechtsfolgeanordnung des § 1 Abs. 3 LIFG zu einer Sperrwirkung, die den Rückgriff auf § 1 Abs. 2 LIFG ausschließt. Der Informationszugang bestimmt sich ausschließlich nach der fachgesetzlichen Regelung. Dass die Voraussetzungen des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO im vorliegenden Fall allerdings nicht erfüllt sind, ist bereits dargelegt worden (s. o. I.).

Umfänglich wird das LIFG durch das Fachgesetz im Rahmen der sachlichen Reichweite der speziellen Informationszugangsregelung verdrängt; außerhalb des Regelungsgehalts einer fachgesetzlichen Bestimmung bleibt das LIFG anwendbar. Diese differenzierte Rechtsfolgeanordnung des § 1 Abs. 3 LIFG missversteht der Kläger, wenn er unter Heranziehung einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen meint, jedenfalls die Rechtsfolge des § 1 Abs. 3 LIFG erlaube ungeachtet des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO den Rückgriff auf § 1 Abs. 2 LIFG. In jener Entscheidung (Urteil vom 17.05.2006 – 8 A 1642/05NWVBl 2006, 292, 294) ist u. a. ausgeführt:

“Die Nichtöffentlichkeit der Rats- und Ausschusssitzungen soll die Vertraulichkeit der Beratung gewährleisten. Dieser Schutz erstreckt sich aber nicht auf das Beratungsergebnis und die Beratungsgrundlagen. Soweit die Beratungsgrundlagen lediglich Fakten darstellen und keinen Rückschluss auf den Beratungsverlauf und den Prozess der Willensbildung geben, greift die Schutzfunktion der Nichtöffentlichkeit der Sitzung nicht ein.”

Aus diesen Ausführungen wird im Schrifttum der Schluss gezogen, nach allgemeinen Informationszugangsregelungen bleibe für jedermann “die Einsicht in Grundlagen und Niederschriften dieser Beratungen, die den Verhandlungsgang nicht widerspiegeln, […] möglich” (so Sicko a. a. O. Rn. 35; zustimmend Beyerbach a. a. O. Rn. 12; kritisch dazu Hornfischer/Schubert, VBlBW 2020, 51, 55).

Der Senat kann unentschieden lassen, ob die Annahmen zum nordrhein-westfälischen Landesrecht auf das hiesige Landesrecht übertragbar sind. Dahinstehen kann ferner, dass es dort um die Reichweite des Schutzes einer nichtöffentlichen Sitzung ging, während hier die Niederschrift über eine nichtöffentliche Sitzung in Rede steht. Entscheidend ist, dass der Kläger nicht etwa – was gar nicht Regelungsgegenstand des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO ist – Zugang zu Unterlagen (Beratungsgrundlagen) einer nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung beantragt, sondern Einsicht in die Niederschrift als solche über die nichtöffentliche Sitzung vom 01.12.2016 begehrt. Deshalb kann hier offenbleiben, ob Schutzgut einer nichtöffentlichen Sitzung nur der Beratungsprozess ist oder ob auch Beratungsunterlagen (Beratungsgrundlagen) und das Beratungsergebnis erfasst werden; dazu verhält sich § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO nicht. Wohl aber schließt diese Bestimmung, wie dargelegt, die Einsichtnahme eines Einwohners in die Niederschrift über eine nichtöffentliche Sitzung des Gemeinderates aus. Allein darum geht es im vorliegenden Zusammenhang, sodass dem auf § 1 Abs. 2 LIFG gestützten Anspruch § 1 Abs. 3 LIFG i. V. m. § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO entgegensteht (ebenso zur parallelen Rechtslage gemäß § 3 IZG SH i. V. m. § 41 Abs. 3 GO SH, Dehn in Bülow u. a., Kommunalverfassungsrecht Schleswig-Holstein, EL 64 August 2018, § 41 GO Rn. 18). Unverändert Bestand hat demnach die Feststellung, § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO enthalte eine “abschließende spezialgesetzliche Regelung über die Einsichtnahme in Niederschriften über öffentliche Sitzungen” des Gemeinderates (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.01.1976 – I 1494/75 – Entscheidungsabdruck S. 4).

Zu der Frage der Aussetzung des Zivilverfahrens im Hinblick auf ein laufendes Strafverfahren

Zu der Frage der Aussetzung des Zivilverfahrens im Hinblick auf ein laufendes Strafverfahren

vorgestellt von Thomas Ax

Der Zweck der Regelung des § 149 ZPO besteht u.a. darin, eine einheitliche Tatsachengrundlage für die im Zivil- und Strafverfahren zu treffenden Entscheidungen zu schaffen. Dabei liegt eine Straftat, deren Ermittlung gem. § 149 ZPO „auf die Entscheidung von Einfluss“ ist, vor, wenn durch die Aufklärung des Sachverhalts mit den Mitteln des Strafrechts, insbesondere im Rahmen durchzuführender Beweisaufnahmen, für das Zivilverfahren eine breitere Tatsachengrundlage geschaffen wird, wobei die Verzögerung des Zivilprozesses gegen den möglichen Erkenntnisgewinn abzuwägen ist. (Rn. 19)

OLG München, Beschluss vom 27.01.2022 – 8 W 1818/21

Gemäß § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist.

Aufgrund einer solchen gerichtlichen Ermessensentscheidung soll der Ausgang eines Strafverfahrens abgewartet werden können, um dessen bessere Erkenntnismöglichkeiten, die die Amtsermittlung im Strafprozess gegenüber dem Zivilprozess mit seinem Beibringungsgrundsatz bietet, nutzbar zu machen und widersprechende Entscheidungen zu vermeiden.

Der Zweck der gesetzlichen Regelung besteht u.a. darin, eine einheitliche Tatsachengrundlage für die im Zivil- und Strafverfahren zu treffenden Entscheidungen zu schaffen. Dabei liegt eine Straftat, deren Ermittlung gemäß § 149 ZPO „auf die Entscheidung von Einfluss“ ist, vor, wenn durch die Aufklärung des Sachverhalts mit den Mitteln des Strafrechts, insbesondere im Rahmen durchzuführender Beweisaufnahmen, für das Zivilverfahren eine breitere Tatsachengrundlage geschaffen wird. Das Gericht muss die Verzögerung des Zivilprozesses gegen den möglichen Erkenntnisgewinn abwägen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 149 ZPO Rn. 1 ff.).

Zwar sind auch nach Abschluss eines die Aussetzung rechtfertigenden Strafverfahrens weder eine doppelte Beweisaufnahme noch sich widersprechende Entscheidungen völlig ausgeschlossen, da das Zivilgericht an die im Ermittlungs- bzw. Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse nicht gebunden ist.

Dennoch ist die im Strafverfahren vorzunehmende Beweisaufnahme etwa durch Sicherstellung von Unterlagen oder Korrespondenz zu Geschäftsabläufen und zu Kontakten zwischen den beteiligten Personen, durch Vernehmung von Zeugen hierzu und zur Geschäftspraxis sämtlicher involvierter, z.T. ausländischer Gesellschaften sowie durch Überprüfung von Geldflüssen anhand von Kontounterlagen, die nach der Strafprozessordnung sichergestellt werden können – geeignet, einen Erkenntnisgewinn zu verschaffen, der die zivilgerichtlichen Möglichkeiten bei weitem übersteigt. Insbesondere können Unterlagen, deren Beschaffung dem Zivilgericht oder den Parteien des Zivilverfahrens außerhalb des Ermittlungs-/Strafverfahrens nicht möglich wäre, auch im Zivilprozess Gegenstand der Beweiswürdigung sein.

Im Rahmen der gebotenen Abwägung berücksichtigt das Gericht, dass sowohl die Klagepartei als auch die Beklagten ein achtenswertes Interesse an einem möglichst zügigen Abschluss des Zivilverfahrens haben. Andererseits ist das Gericht bestrebt, den Zivilrechtsstreit möglichst prozessökonomisch zu führen und doppelte Ermittlungsarbeit sowie zusätzliche Kosten zu ersparen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17.11.2009 – VI ZB 58/08).

Hinzu kommt, dass umso wertvollere Ergebnisse für das Zivilverfahren zu erwarten sind, je aufwendiger sich die strafrechtliche Aufklärung gestaltet.

Wahrscheinlich ist zu erwarten, dass die zwischen den Parteien streitigen Fragen – insbesondere die Rolle der Beteiligten und deren Kenntnisse – auf deren Feststellung es im Zivilverfahren maßgeblich ankommt, im Ermittlungs- und ggf. Strafverfahren geklärt werden, so dass eine nochmalige oder gar parallele Klärung dieser Umstände in den beim Landgericht in hoher Anzahl anhängigen Zivilverfahren erspart wird.

Insoweit wird der Nachteil der Verzögerung einer Entscheidung im Zivilprozess im Rahmen einer Abwägung durch den Vorteil einer gründlicheren Klärung im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz im Ermittlungs- und ggf. Strafverfahren aufgehoben.

Im Ergebnis wird im Rahmen der vorzunehmenden Ermessensabwägung der Vorteil einer gründlicheren Klärung im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz im Strafverfahren den Nachteil der Verzögerung einer Entscheidung im Zivilprozess überwiegen.

Dies gilt nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Vermeidung widerstreitender Entscheidungen.

Thema: Sicherheit in der Vergabe: Möglichkeiten des Angebotsausschlusses wegen früherer Schlechtleistung

Thema: Sicherheit in der Vergabe: Möglichkeiten des Angebotsausschlusses wegen früherer Schlechtleistung

von Thomas Ax

Im Streitfall über die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB muss die Vergabestelle den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrunds führen, nämlich dass eine erhebliche oder fortdauernde Schlechtleistung zur Kündigung oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Es genügt nicht, dass der Auftraggeber gekündigt hat, es muss vielmehr mit hinreichender Sicherheit feststehen, dass dies auch zu Recht erfolgt ist. Im Nachprüfungsverfahren gilt der insbesondere in § 167 GWB verankerte Beschleunigungsgrundsatz. Die Vergabekammer bzw. der -senat ist daher nicht gehalten, die Rechtmäßigkeit der streitigen Kündigung selbst im Wege einer vollumfänglichen Inzidentprüfung mit unter Umständen langwieriger Beweisaufnahme wie in einem Bauprozess zu klären. Vielmehr hat die Vergabekammer anhand des Vorbringens der Beteiligten und der eingereichten Unterlagen zu prüfen, ob der öffentliche Auftraggeber den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrunds auch mit hinreichender Sicherheit führen kann. Einem Unternehmen kann sein Verhalten bei Erfüllung eines öffentlichen Auftrags als Mitglied einer Bietergemeinschaft, an die ein Auftrag vergeben wurde, im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zugerechnet werden, wenn ihm ein individueller Beitrag zu den während der Vertragsausführung auftretenden Mängeln zugerechnet werden kann und dieses individuelle Verhalten fehlerhaft oder fahrlässig war. Hat ein Auftragnehmer mit rechtlichen Schritten gedroht oder solche unternommen, die er zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer noch ungeklärten Rechtslage für zulässig halten konnte, so ist bei der Prognoseentscheidung im Rahmen einer Ausschlussentscheidung vom öffentlichen Auftraggeber zu Gunsten des Auftragnehmers zu prüfen und zu berücksichtigen, ob dieser einer vertretbaren Rechtsauffassung folgte.

Nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB können öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme eines Vergabeverfahrens ausschließen, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.

Im Streitfall muss die Vergabestelle den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrundes führen, nämlich dass eine erhebliche oder fortdauernde Schlechtleistung zur Kündigung oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Es genügt nicht, dass der Auftraggeber gekündigt hat, es muss vielmehr feststehen, dass dies auch zu Recht erfolgt ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2017 – 13 Verg 9/16; VK Südbayern, Beschluss vom 08.04.2019 – Z3-3-3194-1-46-12/18).

In der Rechtsprechung werden unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, welche Anforderungen an den Nachweis der Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zu stellen sind, wenn wie im vorliegenden Fall ein Unternehmen die behauptete Schlechtleistung bestreitet und die Kündigung des öffentlichen Auftraggebers lediglich als freie Auftraggeberkündigung akzeptiert. Einigkeit besteht nur insoweit, als die Tatsachen, auf die die Ausschlussentscheidung nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB gestützt wird, nicht unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sein müssen (vgl. OLG München, Beschluss vom 05.10.2012 – Verg 15/12; OLG Koblenz, Beschluss vom 25.02.2015 – 1 Verg 5/14).

Das OLG Düsseldorf hat in dieser Frage noch nicht abschließend entschieden, tendiert allerdings dazu, dass der öffentliche Auftraggeber bezüglich der von der Vorschrift verlangten Schlechterfüllung Gewissheit erlangt haben muss, also eine Überzeugung gewonnen hat, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.03.2018 – VII-Verg 49/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2018 – Verg 7/18). Nach Auffassung des OLG Celle liegt das Beweismaß für die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zwischen einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit gemäß § 287 ZPO und dem Vollbeweis gemäß § 286 ZPO. Es reiche aus, wenn der öffentliche Auftraggeber Indiztatsachen vorbringe, die von einigem Gewicht seien, auf gesicherten Erkenntnissen aus seriösen Quellen basierten und die die Entscheidung des Auftraggebers zum Ausschluss des Bieters nachvollziehbar erscheinen ließen (OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2017 – 13 Verg 9/16).

Gerade wenn es um die Frage geht, ob die für § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB erforderliche qualifizierte Rechtsfolge – die Kündigung des Auftrags durch den Auftraggeber – zu Recht erfolgt ist, kann dies nicht zur Folge haben, dass nunmehr die Vergabekammer bzw. der -senat auf eine rechtskräftige Entscheidung der Zivilgerichte warten bzw. die Rechtmäßigkeit der streitigen Kündigung selbst im Wege einer vollumfänglichen Inzidentprüfung mit unter Umständen langwieriger Beweisaufnahme wie in einem Bauprozess klären muss (OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2017 – 13 Verg 9/16). Im Nachprüfungsverfahren gilt der insbesondere in § 167 GWB verankerte Beschleunigungsgrundsatz. Diesem Grundsatz würde es eklatant zuwiderlaufen, einen monate- oder gar jahrelangen (Bau-)Zivilprozess abzuwarten bzw. ihn selbst inzident durchzuführen. Unter diesen Umständen wäre bei der Prüfung des Ausschlusses eines Bauunternehmers nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB regelmäßig die Frist des § 167 Abs. 1 GWB nicht zu wahren. Im Vergabenachprüfungsverfahren kann daher regelmäßig nur darüber entschieden werden, ob der öffentliche Auftraggeber die Anforderungen an den im Streitfall zu erbringenden Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrundes, hier also der zu Unrecht erfolgten Arbeitseinstellung als Kündigungsgrund, führen kann (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2017 – 13 Verg 9/16).

Da § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB den Art. 57 Abs. 4 g der Richtlinie 2014/24/EU umsetzt und nah am Wortlaut und dem Regelungsgehalt der Richtlinie bleibt, kann zur Auslegung des vergaberechtlichen Begriffs des Unternehmens auf die Richtlinie selbst und die zu ihr und insbesondere zu dem Artikel ergangene Rechtsprechung des EuGH zurückgegriffen werden. Die Richtlinie verwendet statt des Begriff des Unternehmens den Begriff des Wirtschaftsteilnehmers. Dieser ist definiert in Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 der Richtlinie 2014/24/EU. Danach ist ein Wirtschaftsteilnehmer eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, die bzw. der auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen anbietet. Dabei ist zudem zu unterscheiden, dass eine Gruppe von Personen oder Einrichtungen, die als ein Wirtschaftsteilnehmer zählen können von einer Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern wie in Vorbemerkung 15 zu unterscheiden ist (VK Südbayern vom 06.07.2022 – 3194.Z3-3_01-21-72).

Bieter- und Bewerbergemeinschaften sind damit laut Vorbemerkung 15 und Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 der Richtlinie 2014/24/EU eine Gruppe von einzelnen Wirtschaftsteilnehmern, welche sich durchaus für die Erfüllung eines Auftrags auch so verbinden können, dass ein neuer, weiterer und eigenständiger Wirtschaftsteilnehmer entsteht. Dennoch bleiben die einzelnen Bieter als Unternehmen und als Wirtschaftsteilnehmer daneben bestehen. Damit kann und muss einer Gruppe von Unternehmen im Sinne des GWB bzw. von Wirtschaftsteilnehmern im Sinne der Richtlinie 2014/24/EU, an die ein Auftrag vergeben wurde, der jeweilige Beitrag des einzelnen Unternehmens bzw. Wirtschaftsteilnehmers an während der Vertragsausführung auftretenden Mängeln bei der Erfüllung und an etwaige Anstrengungen, um diese Mängel zu beheben, auch individuell zugerechnet werden. Unabhängig von der gesamtschuldnerischen Haftung der Mitglieder einer Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern muss die Anwendung des in Art. 57 Abs. 4 g der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen fakultativen Ausschlussgrundes, der dem § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB entspricht, nämlich darauf gestützt werden, dass dieses individuelle Verhalten fehlerhaft oder fahrlässig ist (vgl. EuGH, Urteil vom 26.01.2023 – Rs. C-682/21, Rz. 49).

Der Ausschluss eines Bieters nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB liegt im Ermessen des Auftraggebers. Die Ermessensentscheidung ist von den Nachprüfungsinstanzen allerdings nur daraufhin zu überprüfen, ob das Ermessen überhaupt ausgeübt wurde (Ermessensausfall), ob eine Maßnahme getroffen wurde, die sich nicht mehr in dem durch die Ermächtigungsnorm abgesteckten Rahmen hält (Ermessensüberschreitung) und ob ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt. Dies ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber relevante Aspekte nicht berücksichtigt, sich auf sachfremde Erwägungen stützt oder Aspekten ein Gewicht beimisst, das ihnen nicht zukommt (OLG München, Beschluss vom 29.01.2021 – Verg 11/20).

Meinungsverschiedenheiten oder das Androhen rechtlich zulässiger Schritte reichen für einen Ausschluss vom Vergabeverfahren nicht aus (BGH, Urteil vom 17.02.1999 – X ZR 101/97).

Thema: Sicherheit in der Vergabe: Das 1×1 der Angebotsbewertung

Thema: Sicherheit in der Vergabe: Das 1x1 der Angebotsbewertung

von Thomas Ax

Ein Bieter ist auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn zwar die Bewertung seines eigenen Angebots vom Beurteilungsspielraum des Auftraggebers gedeckt ist, die Bewertung des Angebots des zum Zuschlag vorgesehenen Bieters aber derart fehlerhaft ist, dass sich eine andere Bieterreihenfolge ergeben könnte. Bei der Umrechnung von Preisen in Bewertungspunkte muss der Auftraggeber eine mathematisch nachvollziehbare Methode vor Kenntnis der Angebote festgelegt haben und diese auch anwenden. Eine Preisbewertungsmethode darf wegen der hohen Manipulationsgefahr nicht nachträglich in Kenntnis der Angebote festgelegt werden. Auch bei der Preisbewertung von Honorarangeboten von Architekten und Ingenieuren, die in Anlehnung an die Vorschriften der HOAI erstellt werden, dürfen nur solche Methoden eingesetzt werden, die zum einen rechnerisch nachvollziehbar sind und zum anderen die relativen Preisabstände zwischen den Angeboten widerspiegeln können. Die Angebotswertung ist ureigene Aufgabe des Auftraggebers und darf nicht vollständig an einen Verfahrensbetreuer delegiert werden. Aus diesem Grund darf der Verfahrensbetreuer auch nicht nach Befassung des zuständigen Gremiums des Auftraggebers die diesem vorgelegte Benotung eines Angebots eigenmächtig ändern.

Thema: Vereinfachung in der Vergabe: Das Absehen von der Losaufteilung kommt gut in Betracht

Thema: Vereinfachung in der Vergabe: Das Absehen von der Losaufteilung kommt gut in Betracht

von Thomas Ax

Das Absehen von der Losaufteilung kommt in Betracht, wenn sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinandersetzt und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange trifft, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen. Objektiv zwingender Gründe für die zusammenfassende Vergabe bedarf es demgegenüber nicht. Bei der Prognose der Vor- und Nachteile der Losvergabe, deren Gewichtung und der Abwägung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu. Bei der Abwägung der für und gegen die Losaufteilung sprechenden Gründe sind die typischen Vor- und Nachteile mit der vom Gesetzgeber vorgegebenen Gewichtung zu berücksichtigen und um die im Einzelfall bestehenden Besonderheiten zu ergänzen.

Nach § 97 Abs. 4 S. 1 bis 3 GWB – dessen Inhalt von § 5 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 bis 3 EU VOB/A wiederholt wird – sind Leistungen in Losen zu vergeben und kann hiervon nur dann abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Bereits vor Inkrafttreten war zum Schutz des Mittelstands die Aufteilung von Aufträgen in Teil- und Fachlose vorgesehen. Es sollten die Nachteile der mittelständischen Wirtschaft gerade bei der Vergabe großer Aufträge mit einem Volumen, das die Kapazitäten mittelständischer Unternehmen überfordern könnte, ausgeglichen werden. Mit der 2009 eingeführten Regelung des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB sollten der aus Sicht des Mittelstands zunehmenden Praxis der Bündelung von Auftragsvergaben entgegengewirkt und die Mittelstandsklausel in ihrer Wirkung verstärkt werden. Deshalb sollte von dem Gebot der Losvergabe nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden können (BT-Drucksache 16/10117, S. 15). Dieses klare Regel-/Ausnahmeverhältnis bedeutet allerdings entgegen einer teilweise in der Literatur vertretenen, hier von der Antragstellerin zitierten Auffassung (Antweiler in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 97 Abs. 4 GWB Rn. 51; wohl auch Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 97 GWB Rn. 95) nicht, dass eine Gesamtvergabe überhaupt nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen darf. § 97 Abs. 4 GWB ist im Kontext der primären Ziele des Vergaberechts auszulegen, zu denen insbesondere auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung gehört. Dabei sind auch die weiteren Grundsätze des Vergaberechts (Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit) sowie die vom Gesetzgeber in § 97 Abs. 3 GWB normierten strategischen Ziele (Qualität, Innovation, soziale und umweltbezogene Aspekte) im Blick zu behalten. Allerdings ergibt sich aus der klaren Wertung des Gesetzgebers, dass es nicht ausreicht, wenn der Auftraggeber anerkennenswerte Gründe für die Gesamtvergabe vorbringen kann; auch vermag die Entlastung des Auftraggebers von typischerweise mit einer losweisen Vergabe verbundenen Koordinierungsaufgaben oder sonstigem organisatorischem Mehraufwand für sich allein ein Absehen von einer Losvergabe nicht zu rechtfertigen. Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinandersetzt und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange trifft, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 11 Verg 4/18 -; OLG München, Beschluss vom 25. März 2019 – Verg 10/18 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 – Verg 10/20 -, Beschluss vom 25. Mai 2022 – Verg 33/21 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. April 2022 – 15 Verg 2/22 -). Wortlaut, Systematik und Zweck des Gesetzes gebieten kein abweichendes Verständnis des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB. Auch den Materialien zum Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009 (BGBl. I, S. 790) ist hierfür nichts zu entnehmen. Der Gesetzgeber wollte der – empfundenen – Praxis der Auftragsbündelung entgegenwirken, also die tatsächliche Wirkung der Mittelstandsklausel verstärken und Auftraggeber zur Dokumentation der Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen verpflichten (vgl. BT-Drucksache 16/10117, S. 15). Die Rechtsprechung hatte demgegenüber bereits unter Geltung des § 97 Abs. 3 GWB a.F. strenge Maßstäbe angelegt und ist von dem Regel-/Ausnahmeverhältnis ausgegangen. Dass der Gesetzgeber auch diese Maßstäbe ändern wollte, ist weder dem Wortlaut noch der Begründung der Gesetzesänderung zu entnehmen. Dementsprechend hat die vergaberechtliche Rechtsprechung auch unter Geltung des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB hieran festgehalten.

Ein anderer Maßstab folgt nicht daraus, dass der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 BwBBG eine Gesamtvergabe in Abweichung von § 97 Abs. 4 GWB bereits dann zulässt, wenn wirtschaftliche, technische oder zeitliche Gründe dies (nur) “rechtfertigen”. Zwar ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, es handele sich um einen niedrigeren Maßstab als das “Erfordern” nach § 97 Abs. 4 S. 3 GWB (BT-Drucksache 20/2353, S. 15). Dies lässt aber nicht den Rückschluss zu, ein Erfordern könne nur bei objektiv zwingenden Gründen – also dem maximalen Grad – bejaht werden. Ohnehin könnte eine entsprechende Annahme des aktuellen Gesetzgebers das Verständnis des § 97 Abs. 4 GWB nicht ändern. Angesichts der gefestigten Rechtsprechung hätte der Gesetzgeber es vielmehr in der Hand gehabt, den Maßstab durch Änderung des § 97 Abs. 4 GWB anzupassen. Macht er das nicht, war dies offenbar nicht gewollt und besteht kein Anlass, die einheitliche Linie der Rechtsprechung zu ändern.
Ist die Entscheidung somit Ergebnis einer Abwägung, ist die von der Antragstellerin aufgeworfene Frage, ob der öffentliche Auftraggeber im Hinblick auf die Zielerreichung keine Wagnisse und Risiken eingehen muss und einen sicheren Weg wählen darf (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 – Verg 10/20 -) oder die Gesamtvergabe – wie sie meint – nicht mit einem sicheren Weg begründet werden darf (so auch Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl., § 97 GWB Rn. 94 a.E.), in dieser Allgemeinheit im erstgenannten Sinn zu beantworten. Eigenständige Bedeutung kommt dem indes nicht zu. Jedenfalls bei konkreten und erheblichen Risiken der Fachlosvergabe kann der Auftraggeber nicht gezwungen sein, sehenden Auges diesen Weg zu beschreiten. Andererseits ist der Antragstellerin zuzugeben, dass die Gesamtvergabe nicht mit jeglichen, ggf. fernliegenden Risiken begründet werden kann (“sicherster Weg”). Das Gewicht des einzelnen Risikos ist nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß – nach den oben dargestellten Grundsätzen – im Einzelfall zu bestimmen.

Bei der Prognose der Vor- und Nachteile der Losvergabe, deren Gewichtung und der Abwägung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. jeweils zur Fachlosaufteilung OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 11 Verg 4/18 -; OLG München, Beschluss vom 25. März 2019 – Verg 10/18 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 – Verg 10/20 -, Beschluss vom 25. Mai 2022 – Verg 33/21 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. April 2022 – 15 Verg 2/22 -). Die Entscheidung des Auftraggebers über die Gesamtvergabe ist deshalb von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur darauf zu überprüfen, ob sie auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruht. Den Nachprüfungsinstanzen ist es im Umkehrschluss verwehrt, die Entscheidung des Auftraggebers durch eine eigene Beurteilung zu ersetzen, solange sie nicht auf eine einzige Entscheidungsmöglichkeit verdichtet ist. Soweit das Kammergericht (Beschluss vom 26. März 2019 – Verg 16/16 -) – worauf die Antragstellerin verweist – in einem obiter dictum (a.a.O.) und damit nicht im Sinn des § 179 Abs. 2 GWB zur Vorlage veranlassend die Auffassung vertreten hat, anders als bei Teillosen bestehe bei Fachlosen kein Beurteilungsspielraum und sei die Entscheidung des Auftraggebers uneingeschränkt nachprüfbar, folgt der Senat dem nicht. Gründe für die Unterscheidung zwischen Teil- und Fachlosen sind nicht zu erkennen. Vielmehr ist an der bereits zuvor begründeten Rechtsprechung festzuhalten.

Unter technischen und wirtschaftlichen Gründen im Sinne des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB sind solche zu verstehen, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen. Dabei sind technische Gründe alle Aspekte, die zu einem vom Auftraggeber vorgegebenen Leistungsprofil in einem unauflöslichen Zusammenhang stehen. Dies kann auch bei komplexen, miteinander verflochtenen Dienstleistungen der Fall sein oder wenn die Aufteilung in Fachlose unverhältnismäßige Kostennachteile mit sich bringen oder zu einer starken Verzögerung des Vorhabens führen würde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Mai 2022 – Verg 33/21 -). Wirtschaftliche Gründe können auch darin liegen, dass es sich um ein eilbedürftiges Vorhaben wie die Fertigstellung eines Bauabschnitts einer vielbefahrenen Autobahn handelt. Weil es sich um auftragsbezogene Besonderheiten handelt, kann die mit einer Gesamtvergabe verbundene Straffung und Beschleunigung der Abläufe das Vorliegen der Voraussetzungen des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB begründen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 – Verg 10/20 -, dort naheliegende Verzögerung um mehrere Jahre und Folgekosten in Millionenhöhe, in anderen Entscheidungen auch weniger; Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 97 GWB Rn. 90).

Im Rahmen der Abwägung können die typischen Vor- und Nachteile einer losweisen Aufteilung eines Auftrags – insbesondere der typische Ausschreibungs-, Prüfungs- und Koordinierungsaufwand sowie ein höherer Aufwand bei Gewährleistungen – lediglich mit der vom Gesetzgeber vorgezeichneten Gewichtung Berücksichtigung finden und insoweit für sich genommen die zusammenfassende Vergabe nicht begründen. Hierfür kommt es deshalb darauf an, in welchem Umfang vorhabenspezifische Vor- und Nachteile hinzutreten, deren Gewichtung im Einzelfall vorzunehmen ist.

Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt
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