Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt

VOB/B für Einsteiger

VOB/B für Einsteiger

von Thomas Ax

Werkvertrag und AGB

Das Vertragsrecht ist allgemein im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Das BGB unterscheidet eine Reihe von unterschiedlichen Vertragsarten, z.B. Kaufvertrag, Dienstvertrag, Werkvertrag. Jeder Bauleistungsvertrag ist ein Werkvertrag nach §§ 631 bis 651 BGB. Wenn die VOB/B als Vertragsgrundlage vereinbart wird, handelt es sich hierbei um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) nach § 305 BGB. Die VOB/B hebelt also das BGB nicht aus, sondern ergänzt das BGB um bauspezifische Regelungen. Außerdem ändert die VOB/B einige Regelungen des BGB unter Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse bei Baumaßnahmen. Es ist deshalb übrigens eigentlich falsch, zwischen „BGB-Vertrag“ und „VOB-Vertrag“ zu unterscheiden. Richtig wäre „BGB-Vertrag“ und „BGB-Vertrag mit VOB als Vertragsbestandteil“. Zugegebenermaßen ist die übliche Unterscheidung nach BGB- und VOB-Vertrag umgangssprachlich einfacher.

AGB und Inhaltskontrolle

Gemäß § 307 BGB unterliegen AGBs der Inhaltskontrolle. Das bedeutet, dass im Streitfall überprüft wird, ob einzelne Klauseln in AGBs unwirksam sind, weil sie den Vertragspartner des Verwenders der AGB, also desjenigen, der die AGB zum Vertragsbestandteil gemacht hat, entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Nach § 307 Abs. 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

Sonderstellung der VOB

Für die VOB enthält das BGB nun aber eine Sonderregelung. Nach § 310 BGB entfällt die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB, wenn die VOB/B in der jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt einbezogen ist. Diese Bestimmung des BGB bedeutet aber auch, dass die VOB/B der Inhaltskontrolle zu unterwerfen ist, sobald eine einzige Klausel der VOB/B verändert wird. Das hat bereits der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil vom 22.01.2004 (Aktenzeichen VII ZR 419/02) so entschieden:

„Jede vertragliche Abweichung von der VOB/B führt dazu, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist. Es kommt nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff hat.“

Dieses BGH-Urteil war der Grund dafür, dass inzwischen im BGB festgehalten ist, dass die Inhaltskontrolle nur entfällt, wenn die VOB/B ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt einbezogen ist.

Beim Aufstellen von Vergabeunterlagen bei Ausschreibungen, zumindest bestehend aus Besonderen Vertragsbedingungen und der Leistungsbeschreibung, muss der Auftraggeber – und damit auch der für den Auftraggeber tätige Architekt oder Ingenieur – darauf achten, dass keine unzulässigen Änderungen der VOB/B vorgenommen werden. Das würde im Rechtsstreit dazu führen, dass im Zuge der Inhaltskontrolle alle Klauseln, die den Auftraggeber bevorteilen, entfallen und durch die entsprechenden Bestimmungen des BGB ersetzt werden. Alle Klauseln aber, die dem Vertragspartner, also dem Auftragnehmer, einen Vorteil einräumen, bleiben bestehen.

Der umgekehrte Fall liegt vor, wenn ein Auftragnehmer von sich aus einem Auftraggeber ein Angebot unterbreitet und darin die VOB/B als Vertragsbestandteil festlegt. Dann ist der Auftragnehmer der Verwender der AGB VOB/B. Wenn in diesem Fall der Auftragnehmer einzelne Klauseln der VOB/B verändert, wird sich das im Fall eines Rechtsstreits im Zuge der dann durchzuführenden Inhaltskontrolle zu seinen Ungunsten auswirken.

Zulässige Abweichungen von der VOB/B

Darf denn dann überhaupt von einer Klausel der VOB/B abgewichen werden?

Die Antwort lautet ja. Alle Klauseln der VOB/B, bei denen die VOB/B ausdrücklich sagt, dass abweichende Regelungen zulässig sind, dürfen selbstverständlich geändert werden. Die VOB/B empfiehlt bei einigen Klauseln sogar ausdrücklich, dass die Vertragsparteien etwas vereinbaren sollen. Nur wenn sie das unterlassen, greift die VOB/B mit einer eigenen Regelung ein. Ein Beispiel hierfür ist die Vereinbarung einer Verjährungsfrist für Mängelansprüche. Die VOB/B sagt in § 13 Abs. 4 ausdrücklich: „Ist für Mängelansprüche keine Verjährungsfrist im Vertrag vereinbart, so beträgt sie für Bauwerke 4 Jahre …“ Also ist es selbst verständlich zulässig, eine Verjährungsfrist von z.B. fünf Jahren zu vereinbaren.

Nur dürfen die anderen Regelungen zur Regelung von Mängelansprüchen nach § 13 VOB/B, bei denen nicht der ausdrückliche Hinweis auf zulässige andere Vereinbarungen zu finden ist, nicht verändert werden.

Auswirkungen auf die Gestaltung der Vergabeunterlagen

In den Vergabeunterlagen ist vorzuschreiben, dass die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) Bestandteile des Vertrags werden. Das gilt auch für etwaige Zusätzliche Vertragsbedingungen und etwaige Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen, soweit sie Bestandteile des Vertrags werden sollen. Die Allgemeinen Vertragsbedingungen bleiben grundsätzlich unverändert. Sie können von Auftraggebern, die ständig Bauleistungen vergeben, für die bei ihnen allgemein gegebenen Verhältnisse durch Zusätzliche Vertragsbedingungen ergänzt werden. Diese dürfen den Allgemeinen Vertragsbedingungen nicht widersprechen. Für die Erfordernisse des Einzelfalles sind die Allgemeinen Vertragsbedingungen und etwaige Zusätzliche Vertragsbedingungen durch Besondere Vertragsbedingungen zu ergänzen. In diesen sollen sich Abweichungen von den Allgemeinen Vertragsbedingungen auf die Fälle beschränken, in denen dort besondere Vereinbarungen ausdrücklich vorgesehen sind und auch nur soweit es die Eigenart der Leistung und ihre Ausführung erfordern. Die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen bleiben grundsätzlich unverändert. 2Sie können von Auftraggebern, die ständig Bauleistungen vergeben, für die bei ihnen allgemein gegebenen Verhältnisse durch Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen ergänzt werden. 3Für die Erfordernisse des Einzelfalles sind Ergänzungen und Änderungen in der Leistungsbeschreibung festzulegen.

In den Zusätzlichen Vertragsbedingungen oder in den Besonderen Vertragsbedingungen sollen, soweit erforderlich, folgende Punkte geregelt werden:

a)           Unterlagen (§ 8b Absatz 3; § 3 Absatz 5 und 6 VOB/B),

b)           Benutzung von Lager- und Arbeitsplätzen, Zufahrtswegen, Anschlussgleisen, Wasser- und Energieanschlüssen (§ 4 Absatz 4 VOB/B),

c)           Weitervergabe an Nachunternehmen (§ 4 Absatz 8 VOB/B),

d)           Ausführungsfristen (§ 9; § 5 VOB/B),

e)           Haftung (§ 10 Absatz 2 VOB/B),

f)            Vertragsstrafen und Beschleunigungsvergütungen (§ 9a; § 11 VOB/B),

g)           Abnahme (§ 12 VOB/B),

h)           Vertragsart (§§ 4, 4a), Abrechnung (§ 14 VOB/B),

i)            Stundenlohnarbeiten (§ 15 VOB/B),

j)            Zahlungen, Vorauszahlungen (§ 16 VOB/B),

k)           Sicherheitsleistung (§ 9c; § 17 VOB/B),

l)            Gerichtsstand (§ 18 Absatz 1 VOB/B),

m)         Lohn- und Gehaltsnebenkosten,

n)           Änderung der Vertragspreise (§ 9d).

Im Einzelfall erforderliche besondere Vereinbarungen über die Mängelansprüche sowie deren Verjährung (§ 9b; § 13 Absatz 1, 4 und 7 VOB/B) und über die Verteilung der Gefahr bei Schäden, die durch Hochwasser, Sturmfluten, Grundwasser, Wind, Schnee, Eis und dergleichen entstehen können (§ 7 VOB/B), sind in den Besonderen Vertragsbedingungen zu treffen. Sind für bestimmte Bauleistungen gleichgelagerte Voraussetzungen im Sinne von § 9b gegeben, so dürfen die besonderen Vereinbarungen auch in Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen vorgesehen werden.

VOB und Verbraucher

Eine Besonderheit stellen Verträge zwischen einem Auftragnehmer und einem Verbraucher dar. In § 310 Abs. 3 BGB wird festgelegt, dass die Inhaltskontrolle bei Verbraucherverträgen nur dann entfällt, wenn die VOB/B durch den Verbraucher als AGB verwendet, also zum Vertragsbestandteil gemacht wird.

Das ist logischerweise immer der Fall, wenn ein Verbraucher Bauleistungen ausschreibt und in den Vergabeunterlagen vorgibt, dass die VOB/B Vertragsbestandteil sein soll.

Bei einem Verbraucher, der die VOB üblicherweise nicht kennen muss, ist es aber zwingend erforderlich, dass der für ihn ausschreibende Architekt oder Ingenieur seinen Auftraggeber über die Vor- und Nachteile, die sich aus der VOB/B (und auch VOB/C!) für ihn ergeben, aufklärt. Der Verbraucher muss dann entscheiden, ob er die VOB als Vertragsbestandteil vorgeben will oder nicht. Diese Entscheidung darf dem Verbraucher seinem Architekten oder Ingenieur nicht vorenthalten, indem er einfach von sich aus die VOB/B in den Vergabeunterlagen vorgibt. Das kann zu Haftungsansprüchen des Auftraggebers gegenüber seinem Architekten/Ingenieur führen!

Wer ist nun ein Verbraucher? Das definiert § 13 BGB. Danach ist ein Verbraucher jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zwecke abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Nach dieser Definition ist also z.B. auch ein Architekt Verbraucher, wenn er privat sein eigenes Haus neu- oder umbaut. Betrifft der Neu- oder Umbau dagegen sein Büro, steht das im Zusammenhang mit seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit und damit ist er in dem Fall kein Verbraucher.

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (5)

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (5)

Ein Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB erfordert nicht nur eine Ermessensausübung sondern auch eine Prognoseentscheidung

von Thomas Ax

Ein Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB erfordert nicht nur eine Ermessensausübung sondern auch eine Prognoseentscheidung, aus der hervorgeht, dass nachvollziehbare sachliche Gründe vorliegen, die die Integrität des Unternehmens infrage stellen. Dabei steht dem Auftraggeber ein durch die Kammer nur eingeschränkt kontrollierbarer Beurteilungsspielraum zu (vgl. nur BayObLG, Beschluss vom 09.04.2021 – Verg 3/21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.10.2018 – 15 Verg 6/18).

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (4)

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (4)

Bei dem Tatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 9a GWB handelt es sich um einen sehr weiten Auffangtatbestand, der nach seinem Wortlaut her sehr viele Konstellationen umfassen könnte

von Thomas Ax

Daher ist dieser bereits aus Gründen der Verhältnismäßigkeit restriktiv auszulegen (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 17.03.2021 – 1/SVK/031-20; Ziekow/Völlink/Stolz GWB § 124 Rn. 48). Grundsätzlich sind nur Manipulationsversuche geeignet, einen Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 9a GWB darzustellen, dabei muss das angestrebte Ziel ein rechtswidriges Ergebnis sein (vgl. jurisPK/Summa, § 124 GWB Rn. 189 ff; Immenga/Mestmäcker/Kling GWB § 124 Rn. 107-120; Müller-Wrede/Conrad, § 124 GWB, Rn. 176). Welche Schwere die Einflussnahme haben muss, ist nicht abschließend geklärt, angesichts der Schwere der Folge genügt jedenfalls nicht jedweder Versuch. Dabei muss es sich entweder um den Versuch strafrechtlich relevanten Verhaltens handeln bzw. um Versuche, die in der Schwere einer schweren Verfehlung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB gleichkommen (VK Sachsen, Beschluss vom 17.03.2021 – 1/SVK/031-20; Ziekow/Völlink/Stolz GWB § 124 Rn. 48), die wiederum in ihrer Schwere den Ausschlussgründen des § 123 GWB nahekommen müssen (Ziekow/Völlink/Stolz GWB § 124 Rn. 20, 21).

Die dem auszuschließenden Unternehmen vorgeworfenen Handlungen sind durch den öffentlichen Auftraggeber nachzuweisen (VK Sachsen, Beschluss vom 17.03.2021 – 1/SVK/03120).

Dazu muss vor einem Ausschluss noch eine Anhörung zu dem jeweiligen Ausschlussgrund durchgeführt werden (OLG München, Beschluss vom 29.11.2021 – Verg 11/20; MüllerWrede/Conrad, § 124 GWB Rn. 14).

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (3)

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (3)

Bei der Wertung der Angebote genießen öffentliche Auftraggeber einen Beurteilungsspielraum, der von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 04.04.2017; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.03.2017; OLG München, Beschluss vom 17.09.2015

von Thomas Ax

Die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreitet die Vergabestelle erst dann, wenn sie entweder ein vorgeschriebenes Verfahren nicht einhält, wenn sie von einem unzutreffenden oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, wenn sachwidrige Erwägungen für die Entscheidung verantwortlich waren oder wenn bei der Entscheidung ein sich sowohl im Rahmen des Gesetzes als auch im Rahmen der Beurteilungsermächtigung haltender Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewandt wurde (vgl. OLG Frankfurt a. M. VergabeR 2009, 629 (636); OLG Schleswig, Beschl. v. 20.3.2008 – 1 Verg 6/07; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.4.2009 – Verg 76/08; VK Münster, Beschl. v. 16.12.2010 – VK 9/10; Beschl. v. 14.1.2010 – VK 24/09).

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (2)

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (2)

Die Formulierung “abgeschlossene Geschäftsjahre” ist bei einer Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters mehrdeutig und lässt unterschiedliche Interpretationen zu

von Thomas Ax

Auftraggeber fordern u. a. in der Auftragsbekanntmachung und der Eigenerklärung zur Eignung Liefer- / Dienstleistungen – Formblatt 124 LD – VHB von den Bietern Angaben zu Umsätzen der letzten drei “abgeschlossenen Geschäftsjahre”.

Die Formulierung “abgeschlossene Geschäftsjahre” ist bei einer Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters mehrdeutig und lässt unterschiedliche Interpretationen zu.

Die Forderung kann einerseits so verstanden werden, dass es sich grundsätzlich um die letzten drei Kalenderjahre vor Beginn des Vergabeverfahrens handelt (so auch das Verständnis des Antragsgegners). Hiernach kommt es auf das Vorliegen von Jahresabschlüssen nicht an. Hierfür spricht, dass der Auftraggeber an möglichst aktuellen Zahlen interessiert ist. Aus seiner Sicht ist auf die gegenwärtige Situation des Bieters abzustellen, um dessen Eignung beurteilen zu können. Diese Auffassung hat auch die 3. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vertreten (vgl. Beschluss vom 12.06.2014 – Az. 3 VK LSA 36/14). Ferner spricht dafür, dass der Antragsgegner von der Möglichkeit Gerbrauch gemacht hat, als Beleg für die erforderliche wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit des Bieters lediglich eine Eigenerklärung über den Umsatz zu verlangen (vgl. § 45 Abs. 4 Nr. 4 VgV). Er hat davon abgesehen, i. S. d. § 45 Abs. 4 Nr. 3 VgV die Vorlage von Jahresabschlüssen zu fordern.

Dieses Verständnis ist jedoch nicht zwingend. Auch aus kaufmännischer Sicht setzt ein “abgeschlossenes Geschäftsjahr” das Vorliegen eines Jahresabschlusses voraus (vgl. Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht / Hövelberndt, 4. Aufl. 2022, VOB/A § 6a, Rn 39; so auch VK Berlin, Beschluss vom 05.05.2023 – Az. VK B 1-19/22). In entsprechender Weise hat das für Bauwesen des Bundes zuständige Ministerium mit Erlass vom 26.02.2020 (“Interpretation VOB/A 2019 – Az.: 70421/21) diesen Begriff interpretiert. Nach diesem Erlass sind für die Umsatzangaben die letzten drei Geschäftsjahre zugrunde zu legen, für die entsprechende Jahresabschlüsse beim jeweiligen Bieter vorliegen. Angaben zu Umsätzen aus noch nicht abgeschlossenen Geschäftsjahren schulde der Bieter auch dann nicht, wenn er sein Geschäftsjahr während des Vergabeverfahrens, aber nach Ablauf der Angebotsfrist abschließe. Auch wenn sich dieser Erlass auf die VOB/A bezieht, ist Gegenstand der Auslegung der Begriff “abgeschlossene Geschäftsjahre”. Einem Bieter kann nicht angelastet werden, diesen Begriff wie das Ministerium zu verstehen.

Herausgeber des VHB ist ebenfalls das für Bauwesen des Bundes zuständige Ministerium. Das Ministerium hat die Abänderungen überdies lediglich mit der Entlastung von kleinen und mittleren Unternehmen sowie Bürokratieabbau begründet (vgl. Anlage “Dokumentation der Änderungen” des Erlasses zur Einführung des VHB 2017 vom 08.12.2017 – B I 7 – 81064.02/01 – hier Verzicht auf die Bestätigung der Angaben zum Umsatz in der Eigenerklärung u. a. durch Jahresabschlüsse).
Vor diesem Hintergrund wäre der Auftraggeber gehalten, seine Vorgaben zu präzisieren, um unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten zu vermeiden. Soweit er lediglich von den Bietern Angaben zu Umsätzen der Kalenderjahre 2021, 2022 und 2023 fordern will, ohne dass hierfür ein Jahresabschluss vorliegen muss, müsste er dies unmissverständlich zum Ausdruck bringen.

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (1)

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (1)

Ausschluss eines Angebots wegen Änderungen der Vergabeunterlagen nur wenn der Auftraggeber die Vorgaben, die der Bieter modifiziert haben soll, eindeutig und unmissverständlich formuliert hat

von Thomas Ax

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs korrespondiert mit der Ausschlusssanktion für Angebote, welche geforderte Erklärungen nicht enthalten (§ 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV), die Verpflichtung der Auftraggeber, die Vergabeunterlagen so eindeutig zu gestalten, dass die Bieter ihnen deutlich und sicher entnehmen können, welche Erklärungen von ihnen in welchem Stadium des Vergabeverfahrens abzugeben sind. Genügen die Vergabeunterlagen dem nicht, darf der Auftraggeber ein Angebot nicht ohne weiteres wegen Fehlens einer entsprechenden Erklärung aus der Wertung nehmen, sondern muss dieses Defizit der Vergabeunterlagen ausgleichen und den Bietern Gelegenheit geben, die fraglichen Erklärungen nachzureichen (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2013 – X ZR 155/10 und Urteil vom 3. April 2012 – X ZR 130/10). Auch ein Ausschluss eines Angebots wegen Änderungen der Vergabeunterlagen gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV kommt nur in Betracht, wenn der Auftraggeber die Vorgaben, die der Bieter modifiziert haben soll, eindeutig und unmissverständlich formuliert hat.

VergabePrax 07-25 – Von der Redaktion

VergabePrax 07-25

Von der Redaktion

Kaum ein Rechtsgebiet befindet sich so im Wandel wie das Vergaberecht und hat so viele Fallstricke. Gleichzeitig bestehen im formalen Korsett des Vergaberechts für die Vergabestellen nicht unerhebliche Gestaltungsspielräume. So regelt das Vergaberecht beispielsweise nicht, wann Bieter als geeignet anzusehen sind und anhand welcher Kriterien mit welchem Gewicht das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln ist. Mit unserer VergabePrax geben wir Auftraggebern einen umfassenden Überblick über die rechtssichere Durchführung von Vergabeverfahren im Liefer-, Dienstleistungs- und Baubereich. Wir verschaffen dem Einsteiger in das Vergaberecht einen profunden Überblick über die Rechtsmaterie. Zugleich dient die VergabePrax dem Beschaffungsprofi, der bereits in den verschiedenen Vergabeordnungen “zu Hause” ist, als strukturiertes Update. Nur wer den aktuellen formalen Rahmen, aber auch die bestehenden Gestaltungsspielräume, typische Fehlerquellen und die Möglichkeiten zur Fehlerheilung im laufenden Verfahren kennt, kann Beschaffungsverfahren zielgerichtet und zeitnah zum Abschluss bringen. Die VergabePrax  vermittelt das nötige Rüstzeug und zeigt die bestehenden Möglichkeiten und Grenzen praxisgerecht auf. Ziel unserer VergabePrax ist es aber auch und insbesondere, Bewerbern und Bietern das für sie relevante Vergabewissen zu vermitteln, um sich erfolgreich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen. Vergaberecht wird praxisbezogen dargestellt und zwar auf dem neusten Stand der Rechtsprechung. Es ergeben sich Bewerber- und Bieterstrategien. Es werden beleuchtet und eigeordnet typische Problemkonstellationen im Vergabeverfahren. Auch in Heft 7 haben wir wieder praktische Problemstellungen, Tipps und Tricks aus der Praxis sowie konkrete Fragestellungen aus der Rechtsprechung erörtert und beantwortet. Und zwar für beide Seiten am Tisch! VergabePrax: eine Fachzeitschrift von Expertinnen und Experten für Praktikerinnen und Praktiker!

Aus der VergabePraxis: Nachforderungen nach § 56 VgV oder Aufklärung des Angebotsinhalts?

Aus der VergabePraxis: Nachforderungen nach § 56 VgV oder Aufklärung des Angebotsinhalts?

von Thomas Ax

Zwischen Nachforderungen nach § 56 VgV und der Aufklärung des Angebotsinhalts ist streng zu unterscheiden. Eine Nachforderung von Unterlagen ist nur im Rahmen der Grenzen des § 56 Abs. 2 und 3 VgV zulässig. Danach ist die Nachreichung von Unterlagen nur für leistungsbezogene Unterlagen, die nicht die Wirtschaftlichkeitsbewertung betreffen und unternehmensbezogene Unterlagen zulässig. Die Korrektur fehlerhafter Unterlagen ist nach § 56 Abs. 2 VgV nur für unternehmensbezogene Unterlagen zulässig. Die Aufklärung nach § 15 Abs. 5 VgV wiederum erlaubt keine Änderung des Angebots, also keine Nachreichung von Unterlagen und auch weder die Anforderung fehlender Bestandteile des Angebots noch die Korrektur von Angebotsunterlagen (vgl. Ziekow/Völlink/Steck VgV § 15 Rn. 22; Beck VergabeR/Dörn VgV § 15 Rn. 28). Die Aufklärung ist nur zulässig, soweit die Angaben für die ordnungsgemäße Prüfung des Angebots benötigt werden (Ziekow/Völlink/Steck VgV § 15 Rn. 21). Nach § 56 Abs. 3 VgV ist eine Nachforderung von Unterlagen, die der Wirtschaftlichkeitsbewertung dienen, nicht zulässig. Eine Nachforderung von fehlenden Unterlagen ist im Übrigen auch nur dann möglich, wenn die fraglichen Unterlagen nicht mit dem Angebot eingereicht wurden, nicht aber, wenn sie fehlerhaft waren. Eine Korrektur von Unterlagen ist nach § 56 Abs. 2 VgV nur für unternehmensbezogene Unterlagen vorgesehen. Darum handelt es sich bei den Tourenplänen allerdings nicht. Die Korrektur von wertungsrelevanten Unterlagen ist hingegen ausgeschlossen, soweit es nicht um offensichtliche Fehler geht (vgl. EuGH, Urteil vom 29. 03. 2012 − C-599/10; Beck VergabeR/Haak/Hogeweg VgV § 56 Rn. 42; Ziekow/Völlink/Steck VgV § 56 Rn. 12a). Ist bereits die Nachforderung als solche rechtswidrig und hätte gar nicht erfolgen dürfen, können aus nachgeforderten Unterlagen keine negativen Rechtsfolgen für den Bieter gezogen werden.

Pressemitteilung – AxVergaberecht: GeoLaB mit auf den Weg gebracht

Pressemitteilung - AxVergaberecht: GeoLaB mit auf den Weg gebracht

AxVergaberecht hat das Vergabeverfahren zur Beauftragung der Erkundungsbohrungen erfolgreich vergabe- und vertragsrechtlich begleitet

GeoLaB ist ein Forschungsprojekt zur zukünftigen Nutzung von Erdwärme (Geothermie) für eine sichere Energieversorgung. Besonders viel von dieser Wärme schlummert tief unter der Erde in heißem, kristallinem Gestein. Mit GeoLaB soll in einem Forschungslabor unter der Erde erforscht werden, wie man diese Wärmequelle nachhaltig erschließen und nutzen kann, um Häuser und Wohnungen in Zukunft zu heizen. Das Forschungslabor GeoLaB umfasst einen etwa 1 bis 2 km langen, horizontalen Stollen. Mit einem Durchmesser von etwa sechs Metern führt er in den Berg hinein. Von diesem Stollen gehen kleine Seitenbohrungen in das Tromm-Gesteinsmassiv für unterschiedliche Versuche. Hier können Experimente gut kontrolliert direkt im Gestein durchgeführt und mit einem dichten Netzwerk an Sensoren und Analysewerkzeugen beobachtet werden.

Erkundungsbohrungen

Auf der Tromm wird in die Tiefe gebohrt, um die geologischen Schichten noch genauer zu erkunden (Erkundungsbohrungen). Der Bohrplatz liegt südwestlich des Naturspielortes auf der Tromm. Die Bohrbaustelle wurde mit einer 10 Meter hohen Schallschutzwand umbaut, um die Schallemissionen stark zu reduzieren.

Die erste Bohrung wurde in den Monaten Februar und März 2025 ca. 500 Meter tief in den Untergrund gebohrt. Sie wurde über die gesamte Bohrstrecke hinweg gekernt. Diese Kerne werden im Nachgang der Bohrung von Forschenden des GeoLaB Teams intensiv untersucht. Beispielsweise gehen wir der Frage nach, welche Permeabilität, also Durchlässigkeit, oder Porosität das Gestein aufweist. Nach der Bohrung fanden im April Tests und Messungen im Bohrloch statt, um die geologischen Eigenschaften noch genauer zu bestimmen. Es wurde insbesondere untersucht, wie geklüftet der Untergrund ist und ob und wie deutlich der Untergrund wasserdurchlässig ist.

Die Ergebnisse der ersten Bohrung sind für GeoLaB sehr interessant: In der Bohrung wurden über 500 Meter Granitoide vorgefunden. Aktuell laufen noch die Ergebnisauswertungen der Untersuchungen. Man kann jedoch schon sagen, dass in vielen Tiefenbereichen geklüftete Zonen identifiziert werden konnten, die Hinweis auf gewisse Wasserdurchlässigkeiten des Untergrundes geben.

Wegen der interessanten ersten Ergebnisse wird eine zweite Erkundungsbohrung vom selben Bohrplatz aus durchgeführt. Diese wird abgelenkt durchgeführt, damit ein weiterer Bereich des Tromm-Massivs unter die Lupe genommen werden kann. Die Bohrung ist am 26. Mai gestartet und wird Ende Juli beendet sein. 

Geplant ist, nach Abschluss aller Untersuchungen nach der zweiten Bohrung die gesamte Baustelle zurückbauen.

Unsere VergabePrax Heft 6/2025

Unsere VergabePrax Heft 6/2025

Vergaberechtliches Spezialwissen ist für alle Auftraggeber und Auftragnehmer gleichermaßen wichtig.

Wir sprechen mit unserer VergabePrax alle Personen an, die am Beschaffungsprozess und der strategischen Ausrichtung von Beschaffungsstellen auf der Auftraggeberseite und am Vertrieb auf der Bieterseite beteiligt sind (z. B. Vergabestellen, Fachbereichs-, Abteilungs-, Amts- und Referatsleiter, Architekten, Mitarbeiter der Beschaffungsstellen, des Vertriebs und der Rechtsabteilungen). Das Vergaberecht ist in den letzten Jahren immer umfangreicher und komplizierter geworden und hat durch seine umfassende Reform im Oberschwellenbereich sowie die Einführung der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) für den Unterschwellenbereich ein neues Gesicht bekommen. Auch die VOB/A wurde in diesem Jahr renoviert. Dabei zeigt sich jedoch, dass es nach wie vor dieselben kritischen Punkte sind, die eine reibungslose Vergabe bzw. eine erfolgreiche Bewerbung gefährden.

Unsere VergabePrax beleuchtet Heft für Heft immer wieder aufs Neue und immer topaktuell diese “Dauerbrenner” aus vergaberechtlicher Sicht unter Berücksichtigung der neuesten Rechtsprechung. Unsere VergabePrax schärft das Bewusstsein für Fallstricke. Unsere VergabePrax zeigt die gebotenen rechtssicheren Vorgehensweisen auf. Wir legen immer Wert darauf, die Problemstellungen mit aktuellen Beispielen aus der Rechtsprechung darzustellen. Ein wesentlicher Vergabegrundsatz besagt, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt wird. Grundlage dafür ist die Wertung des öffentlichen Auftraggebers, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt. Das wirtschaftlichste Angebot bestimmt sich nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Zu dessen Ermittlung können neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden.

Unsere VergabePrax hilft, diesen Grundsatz in der Praxis praktikabel und rechtssicher umzusetzen. Dies ist vor allem dann nicht ganz einfach, wenn Preis und Leistung unterschiedlich gewichtet werden sollen. Wir helfen Ihnen dabei, Fehler bei der Vorbereitung und Durchführung der Wertung zu vermeiden. Mit uns sind Sie auf dem vergaberechtskonformen und sicheren Weg!

VORSPRUNG durch Knowhow
aus der PRAXIS für die PRAXIS

VergabePrax mit Beiträgen zum aktuellen Vergaberecht

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