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BGH zu der Frage, dass das Gericht, wenn es bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen und ihnen Gelegenheit geben muss, auf den Hinweis zu reagieren und ihren Tatsachenvortrag zu ergänzen

BGH zu der Frage, dass das Gericht, wenn es bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen und ihnen Gelegenheit geben muss, auf den Hinweis zu reagieren und ihren Tatsachenvortrag zu ergänzen

vorgestellt von Thomas Ax

1. Geht es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage, darf der Tatrichter auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde aufzuweisen vermag.
2. Das Gericht muss, wenn es bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen und ihnen Gelegenheit geben, auf den Hinweis zu reagieren und ihren Tatsachenvortrag zu ergänzen.
3. Allein eine längere Tätigkeit in einem Bausenat kann nicht ohne weiteres zuverlässige Kenntnisse über das – für die Prüfung einer Ausführungsplanung auf Vollständigkeit – erforderliche bautechnische Fachwissen verschaffen.
BGH, Beschluss vom 25.10.2023 – VII ZR 17/23
vorhergehend:
OLG Dresden, 06.12.2022 – 6 U 2337/20
LG Görlitz, 25.11.2020 – 6 O 138/18

Gründe:

1

Der Kläger verlangt von den Beklagten Architektenhonorar für Planungsleistungen nach den Mindestsätzen der HOAI.

 

 

2

Die Beklagte zu 1 erwarb im Jahr 2013 das Grundstück M.-Straße 20 in D., auf dem sich ein als Bürogebäude genutztes Hochhaus und eine Tiefgarage befanden. Der Kläger erbrachte im Einzelnen streitige Planungsleistungen für den auf dem Grundstück der Beklagten zu 1 vorgesehenen Neu- und Umbau des Gebäudes und zwar für die Teilprojekte:
– Neubau eines Wohngebäudes für studentisches Wohnen (TP 1),
– Umbau eines 11-geschoßigen Stahlbetonskelettbaus zum Wohngebäude (TP 2), 
– die Errichtung einer Tiefgarage unter Nutzung von Bestandskellerkonstruktionen (TP 3), 
– die Erstellung von Außenanlagen (TP 4),
– die Errichtung von Ingenieurbauwerken außerhalb des Gebäudes, befestigte Straßen und Wege (TP 5).

 

 

3

Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte zu 1 habe ihn mündlich mit der Erbringung der Grundlagenleistungen der Leistungsphasen 1 bis 4 der HOAI (2013) für alle Teilprojekte beauftragt. Anlässlich der Unterzeichnung des zwischen der Beklagten zu 1 und der O. GmbH geschlossenen Generalunternehmervertrags am 22. September 2015 sei ihm mündlich auch die Ausführungsplanung (Grundleistungen der Leistungsphase 5) für die Teilprojekte 1 und 3 mit der Maßgabe übertragen worden, die erforderlichen Pläne an die Generalunternehmerin zu senden. Eine gesonderte Honorarvereinbarung sei nicht getroffen worden.

 

 

4

Mit der letzten korrigierten Honorarrechnung vom 17. März 2019 machte der Kläger unter Zugrundelegung der Mindestsätze der HOAI (2013) und Anrechnung geleisteter Abschlagszahlungen in Höhe von 109.243,70 € netto (= 130.000 € brutto), ein Honorar in Höhe von 442.117,55 € brutto sowie den Ersatz der Kosten vorgerichtlicher Rechtsverfolgung in Höhe von 4.099,90 € jeweils nebst Zinsen geltend.

 

 

5

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 308.231,15 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.163,90 € nebst Zinsen verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung des Klägers zurückgewiesen. 

 

 

6

Hiergegen richten sich die Nichtzulassungsbeschwerden der Parteien, mit denen sie jeweils die Zulassung der Revision begehren, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.


II.

A.

 

 

7

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

 

 

8

1. Das Berufungsgericht hat, – soweit es von Interesse ist – ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Zahlung eines Honorars nach den Mindestsätzen für erbrachte Grundleistungen der Leistungsphasen 1 bis 4 der HOAI (2013) in Höhe von 281.659,31 € brutto zu. Er habe zudem einen Anspruch auf eine weitere Vergütung in Höhe von 26.571,84 € brutto für Teilleistungen, die er im Rahmen der Ausführungsplanung in der Leistungsphase 5 bei den Teilprojekten 1 und 3 erbracht habe. 

 

 

9

Soweit der Kläger ein nach den Mindestsätzen berechnetes Honorar für die Erbringung der Grundleistungen der Leistungsphase 5 bei den Teilprojekten 1 bis 3 beanspruche, sei es ihm nicht gelungen, darzulegen und zu beweisen, dass er von den Beklagten in diesem Umfang konkludentbeauftragt worden sei. Er habe zwar vorgetragen und durch Vorlage entsprechender Dokumente unter Beweis gestellt, dass er die vollständigen Grundleistungen der Leistungsphase 5 (Ausführungsplanung) für die Teilprojekte 1 und 3 erbracht und hierüber die Beklagte zu 1 fortlaufend unterrichtet habe. Damit habe der Kläger eine Entgegennahme der Architektenleistung durch die Beklagte zu 1 behauptet. Allerdings werde aus den von ihm vorgelegten Unterlagen (Ausführungs-, Detail- und Konstruktionszeichnungen, vgl. Anlagenkonvolut K VI) nicht deutlich, dass es sich dabei um eine vollständige Ausführungsplanung mit allen für die Ausführung notwendigen Einzelangaben (zeichnerisch und textlich) auf der Grundlage der Entwurfs- und Genehmigungsplanung bis zur ausführungsreifen Lösung als Grundlage für die weiteren Leistungsphasen handele. Es fehle der Nachweis, dass die von dem Kläger für die Leistungsphase 5 erstellten Ausführungspläne so detailliert ausgearbeitet und vermessen seien, dass aus den Zeichnungen die Mengen und Massen hätten ermittelt werden können, um damit die jeweiligen Bauleistungen umsetzen zu können. Diese Beurteilung sei dem Berufungsgericht aufgrund eigener Sachkunde möglich, weshalb es der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht bedürfe. 

 

 

10

Dass der Kläger über die mit Anlagenkonvolut VI vorgelegten Planungsleistungen hinaus, die nicht als vollständige Erbringung der Ausführungsplanung zu werten seien, weitere Leistungen der Leistungsphase 5 erbracht habe, gehe aus seinem Vortrag nicht hervor. Daher sei davon auszugehen, dass er hinsichtlich der Leistungsphase 5 nur mit Teilleistungen der Ausführungsplanung beauftragt worden sei, die von ihm – jeweils auf Anweisung der O. GmbH – erbracht worden seien. Diese Leistungen seien auf der Grundlage nachzuweisender Arbeitsstunden abzurechnen gewesen. Der Kläger habe auf der Grundlage des nachgewiesenen Zeitaufwands hilfsweise eine Vergütung in Höhe von 26.571,84 € brutto geltend gemacht, die der Höhe nach von den Beklagten anerkannt worden sei. 

 

 

11

Nach § 7 Abs. 5 HOAI (2013) werde zwar unwiderleglich vermutet, dass die jeweiligen Mindestsätze gemäß § 7 Abs. 1 HOAI (2013) vereinbart seien, wenn – wie hier – keine andere Vereinbarung schriftlich getroffen worden sei. Aus dem Vortrag des Klägers ergäben sich indes keine Anhaltspunkte, dass das – für die tatsächlich abgerufenen Leistungen zu ermittelnde – Mindestsatzhonorar höher ausfalle als das abgerechnete Zeithonorar. Ein Verstoß gegen das zwingende Preisrecht der HOAI sei von Amts wegen nur bei einem entsprechenden Vortrag der Parteien zu beachten. 

 

 

12

2. Mit dieser Begründung verletzt das Berufungsgericht – wie der Kläger zu Recht rügt – in entscheidungserheblicher Weise seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

 

 

13

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. BGH, Beschluss vom 6. März 2019 – VII ZR 303/16 Rn. 7, BauR 2019, 1011; Beschluss vom 28. Mai 2019 – VI ZR 328/18 Rn. 6, NJW 2019, 3236). 

 

 

14

b) Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe einen konkludenten Vertragsschluss über die Erbringung der Grundleistungen der Leistungsphase 5 für die Teilprojekte 1 und 3 nicht nachgewiesen, beruht auf einer unzureichenden Sachaufklärung (§ 286 ZPO), die zugleich das rechtliche Gehör des Klägers verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG). 

 

 

15

aa) Zwar handelt es sich bei der Frage, in welchem Umfang der Kläger mit der Erbringung der Grundleistungen der Leistungsphase 5 von der Beklagten zu 1 beauftragt wurde, um eine vom Berufungsgericht vorzunehmende Rechtsprüfung. Für die Würdigung der Gesamtumstände war für das Berufungsgericht allerdings von Bedeutung, ob der Kläger die vollständigen Grundleistungen der Leistungsphase 5 (Ausführungsplanung) für die Teilprojekte 1 und 3 erbracht hat. Diese Beurteilung betrifft eine Fachwissen voraussetzende Frage, deren Klärung einem Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zugänglich ist. Dies folgt aus den verwendeten fachsprachlichen Begriffen, aus dem Erfordernis der “notwendigen zeichnerischen und textlichen Einzelangaben”, aus der vorgeschriebenen Gestaltung der Zeichnungen nach “Art und Größe des Objekts im erforderlichen Umfang und dem Detaillierungsgrad unter Berücksichtigung aller fachspezifischen Anforderungen”, sowie aus der Koordinations- und Integrationspflicht, deren Erfüllung Kenntnisse der beteiligten Gewerke voraussetzt.

 

 

16

bb) Das Berufungsgericht hat sich gehörswidrig über den Antrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens hinweggesetzt und die Frage, ob er die Grundleistungen der Leistungsphase 5 erbracht hat, verfahrensfehlerhaft ohne die erforderliche Hinzuziehung eines Sachverständigen aus eigener, nicht ausgewiesener Sachkunde beantwortet.

 

 

17

(1) Wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, darf der Tatrichter auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde aufzuweisen vermag (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2018 – VI ZR 106/17 Rn. 16, NJW 2018, 2730; Beschluss vom 13. Januar 2015 – VI ZR 204/14 Rn. 5, NJW 2015, 1311; Beschluss vom 13. März 2008 – VII ZR 219/06 Rn. 20, BauR 2008, 1031; Urteil vom 23. November 2006 – III ZR 65/06 Rn. 14, NJW-RR 2007, 357 m.w.N.).

 

 

18

(2) Das Berufungsgericht durfte den Beweisantrag auf Einholung des Sachverständigengutachtens nicht unter Hinweis auf eine eigene Sachkunde ablehnen. Es hat keine Sachkunde aufzuweisen vermocht, die es zur Beurteilung befähigen könnte, ob die für das Bauobjekt vorgelegten Pläne den technischen Anforderungen genügen, die an die in der Leistungsphase 5 zu erbringende Ausführungsplanung zu stellen sind. Allein eine längere Tätigkeit in einem Bausenat kann nicht ohne weiteres zuverlässige Kenntnisse über das – für die Prüfung der vorgelegten Ausführungsplanung auf Vollständigkeit – erforderliche bautechnische Fachwissen verschaffen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – VII ZR 231/95 Rn. 9, BauR 1997, 692). 

 

 

19

cc) Das Berufungsgericht hat zudem den Parteien keinen dokumentierten Hinweis erteilt, dass es die Frage nach der Vollständigkeit der erbrachten Leistungen aufgrund eigener Sachkunde entscheiden will. 

 

 

20

Das Gericht muss, wenn es bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – VII ZR 231/95 Rn. 8, BauR 1997, 692 m.w.N.) und ihnen Gelegenheit geben, auf den Hinweis zu reagieren und ihren Tatsachenvortrag zu ergänzen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2005 – XI ZR 144/03 Rn. 12, FamRZ 2005, 700). Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2022 hat es den Parteien gehörswidrig keine Gelegenheit gegeben, zu den Grundlagen seiner Sachkunde Stellung zu nehmen. Vielmehr hat das Berufungsgericht – ohne Gewährung der von dem Kläger beantragten Frist zur schriftlichen Stellungnahme – die angefochtene Entscheidung nach Wiederaufruf der Sache am Ende des Sitzungstags verkündet (§ 310 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 ZPO).

 

 

21

3. Ein weiterer Gehörsverstoß des Berufungsgerichts ist in der fehlenden Einräumung der Gelegenheit zur Stellungnahme auf den in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2022 erteilten Hinweis zu sehen, wonach die vom Kläger vorgelegten Planungsleistungen den Anforderungen, die an die Grundleistungen der Leistungsphase 5 zu stellen seien, nicht genügen. 

 

 

22

Das Berufungsgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20. April 2021 zu erkennen gegeben, dass es das Bestreiten der Beklagten zur Vollständigkeit der Ausführungsplanung in Ermangelung der Angabe dessen, was fehlen soll, für nicht substantiiert hält. In dem Protokoll über diese Verhandlung ist folgender Hinweis dokumentiert: 

“Die Beklagten bestreiten zwar, dass der Kläger die Komplettleistung der Leistungsphase 5 erbracht habe und meinen, aus dem Anlagenkonvolut K VI Anlagen 1.22 bis 1.41 folge nicht die komplette Ausführungsplanung. Woran es aber konkret fehlen soll, tragen die Beklagten nicht vor.”

 

 

23

Diesen Hinweis durfte der Kläger dahin verstehen, dass das Berufungsgericht – wegen des fehlenden Bestreitens der Beklagten – weiteren Vortrag zur Beauftragung mit der Ausführungsplanung und zur Erbringung der Leistung nicht für erforderlich hielt. Eine davon abweichende Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ergibt sich allerdings aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2022, in dem Folgendes protokolliert ist:


“Der Kläger meint, der Senat habe erstmals zu nicht vollständig gemachten Leistungen der Leistungsphase 5 Ausführungen gemacht, und beantragt, ihm insoweit Schriftsatzrecht und auch Schriftsatzrecht zu den weiteren Hinweisen des Senats zu gewähren. Der Senat führt hierzu aus, dass er allein rechtliche Ausführungen gemacht habe, es sich hingegen nicht um rechtliche Hinweise handle.”

 

 

24

Daraus ist zu schließen, dass das Berufungsgericht das Bestreiten der Beklagten – trotz Fehlens neuen Sachvortrags – abweichend von der zuvor in der mündlichen Verhandlung vom 20. April 2021 vertretenen Rechtsansicht beurteilte und nunmehr die vom Kläger erstellte Ausführungsplanung nicht mehr als vollständig erachtete. Neben der Erteilung eines Hinweises auf die geänderte rechtliche Einschätzung hätte das Berufungsgericht dem Kläger Gelegenheit geben müssen, auf den für ihn überraschenden Hinweis zu reagieren und seinen Tatsachenvortrag zu ergänzen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2005 – XI ZR 144/03 Rn. 12, FamRZ 2005, 700). Nur auf diese Weise wäre das rechtliche Gehör des Klägers, zu dem neuen rechtlichen Gesichtspunkt Stellung nehmen zu können, gewahrt worden. Stattdessen hat das Berufungsgericht gehörswidrig seinen Antrag zur Stellungnahme auf den Hinweis abgelehnt und nach Schluss der mündlichen Verhandlung eine Entscheidung erlassen. 

 

 

25

4. Auf den Verletzungen des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör beruht das angefochtene Urteil. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei gebotener Berücksichtigung der aufgezeigten Gesichtspunkte zu einem für ihn günstigeren Ergebnis gelangt wäre.

 

 

26

5. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, soweit zum Nachteil des Klägers entschieden worden ist. 

B.

 

 

27

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten war zurückzuweisen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird insoweit gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

 

 

(Hinweis der Redaktion: Die Randnummern sind amtlich und damit besonders zitiergeeignet.)

 

BGH zu der Frage der Verwendung einer Klausel durch einen Bauträger in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Erwerbsvertrags, die die Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch eine von ihm als Erstverwalter bestimmte, mit ihm wirtschaftlich verbundene (Tochter)Gesellschaft ermöglicht

BGH zu der Frage der Verwendung einer Klausel durch einen Bauträger in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Erwerbsvertrags, die die Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch eine von ihm als Erstverwalter bestimmte, mit ihm wirtschaftlich verbundene (Tochter)Gesellschaft ermöglicht

vorgestellt von Thomas Ax

1. Eine von einem Bauträger in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Erwerbsvertrags verwendete Klausel, die die Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch eine von ihm als Erstverwalter bestimmte, mit ihm wirtschaftlich verbundene (Tochter)Gesellschaft ermöglicht, ist unwirksam (Anschluss an BGH, IBR 2013, 686).
2. Macht eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) als Prozessstandschafterin der Erwerber Mängelansprüche wegen Mängeln an der Bausubstanz des Gemeinschaftseigentums gegen den Bauträger geltend, so ist es diesem als Verwender der genannten unwirksamen Formularklausel nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich darauf zu berufen, dass sich der Vertrag mangels wirksamer Abnahme des Gemeinschaftseigentums insoweit noch im Erfüllungsstadium befinde, weshalb im Rahmen der Anspruchsbegründung die Abnahme des Gemeinschaftseigentums als Voraussetzung für die Geltendmachung von Mängelansprüchen zu unterstellen ist (Anschluss an BGH, IBR 2016, 521; IBR 2016, 456; IBR 2016, 275).*)
3. Zur Frage, ob ein rechtsmissbräuchliches widersprüchliches Verhalten einer GdWE vorliegt, wenn diese – als Prozessstandschafterin der Erwerber – in der Vergangenheit zweimal Mängelansprüche wegen Mängeln an der Bausubstanz des Gemeinschaftseigentums geltend gemacht hat, die von dem in Anspruch genommenen Bauträger jeweils reguliert wurden, und sie sich später bei der klageweisen Geltendmachung weiterer Mängelansprüche gegenüber der vom Bauträger erhobenen Einrede der Verjährung auf das Fehlen einer wirksamen Abnahme des Gemeinschaftseigentums beruft.*)
BGH, Urteil vom 09.11.2023 – VII ZR 241/22
vorhergehend:
OLG Schleswig, Urteil vom 18.11.2022 – 1 U 42/21
LG Kiel, 16.04.2021 – 11 O 74/20

Tatbestand:

1

Die Klägerin, eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE), macht – soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse – Mängelansprüche wegen angeblicher Mängel der im Gemeinschaftseigentum stehenden Bausubstanz gegen die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der B.-A. GmbH geltend.

 

 

2

Die betreffende Anlage ist in den Jahren 2005 und 2006 von der B.-A. GmbH (im Folgenden einheitlich nur: Beklagte) errichtet worden. Diese konnte alle Eigentumswohnungen noch im Jahr 2005 verkaufen. In dem exemplarisch vorgelegten Kaufvertrag vom 1. März 2005 wird das betroffene Grundstück als Grundstück, das “bebaut werden soll”, bezeichnet (§ 1 Abs. 2). Als Datum der voraussichtlichen Fertigstellung ist der 30. Juni 2005 angegeben (§ 3 Abs. 3). Die “Übergabe/Abnahme” sollte bei Fertigstellung erfolgen (§ 7 Abs. 2). Für die “Übergabe/Abnahme des gemeinschaftlichen Eigentums” beauftragte und bevollmächtigte der Käufer unwiderruflich den Verwalter (§ 7 Abs. 5 Satz 1), bei dem es sich um die B.-V. GmbH, eine Tochtergesellschaft der Rechtsvorgängerin der Beklagten, handelte (§ 11 Abs. 1).

 

 

3

In einem exemplarisch vorgelegten undatierten Kaufvertrag späterer Erwerber wird das betroffene Grundstück ebenfalls als Grundstück, das “bebaut werden soll”, bezeichnet (§ 1 Abs. 2) und von einer voraussichtlichen Fertigstellung im Jahr 2006 gesprochen (§ 3 Abs. 3). In § 7 Abs. 5 heißt es:

“Die Abnahme des gemeinschaftlichen Eigentums erfolgte durch den Verwalter – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen – im Mai 2005.”

 

 

4

Im Jahr 2007 rügte die Klägerin Planungs- und Ausführungsmängel im Bereich der Dach- und Balkonentwässerung. Diese wurden auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen der Beklagten, dem Generalbauunternehmer und dem planenden Architekturbüro beseitigt.

 

 

5

Weitere Mängel rügte die Klägerin im Jahr 2012; bezüglich dieser Mängel kam es zum Abschluss eines Vergleichs zwischen der Beklagten und der Klägerin, der im Jahr 2013 abgewickelt wurde.

 

 

6

Am 20. April 2014 wurde auf einer Eigentümerversammlung die Unwirksamkeit der Abnahme des Gemeinschaftseigentums “festgestellt”. In der Folge wandten sich einzelne Mitglieder der Klägerin und auch deren Verwalterin mit Mängelrügen und der Forderung nach einer Abnahme an die Beklagte. Die Beklagte stellte mit an die Verwalterin gerichtetem Schreiben vom 3. September 2015 Mängel in Abrede und berief sich auf Verjährung. Ein Vergleichsangebot der Beklagten vom 21. September 2017 nahm die Klägerin nicht an.

 

 

7

Auf einer Eigentümerversammlung vom 27. November 2018 wurde beschlossen, dass die Ausübung der Nacherfüllungs- und Mängelansprüche der Wohnungseigentümer als Erwerber gegen die Beklagte am gemeinschaftlichen Eigentum mit Ausnahme des großen Schadensersatzes und des Rücktritts auf die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer übertragen wird.

 

 

8

Nach weiteren vergeblichen Aufforderungen zur Mängelbeseitigung hat die Klägerin mit einem am 2. Juni 2020 eingegangenen Schriftsatz Klage eingereicht. Sie hat insbesondere die Zahlung eines Kostenvorschusses zur Mängelbeseitigung und wegen verschiedener Positionen Schadensersatz verlangt.

9

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

 

 

10

Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben.

 

 

11

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit über die Mängelansprüche betreffenden Berufungsanträge zu 1 und zu 3 bis 6 entschieden worden ist.

 

 

12

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge im Umfang der Zulassung weiter.


Entscheidungsgründe:

 

 

13

Die Revision der Klägerin hat Erfolg; sie führt im Umfang der Anfechtung des Berufungsurteils zu dessen Aufhebung und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

 

 

14

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung unter anderem in IBR 2023, 134 = BauR 2023, 1132 veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen ausgeführt:

 

 

15

Die Berufung der Klägerin sei unbegründet.

 

 

16

Die Klage sei zulässig. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sei kraft Gesetzes (§ 9a Abs. 1, Abs. 2 WEG) für die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie für solche Rechte der Wohnungseigentümer, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erforderten, prozessführungsbefugt. Als hiernach der Gemeinschaft zugewiesene Rechte gälten werkvertragliche Ansprüche auf Gewährleistung. Unabhängig davon könne sich die Klägerin auf eine Prozessführungsbefugnis aus gewillkürter Prozessstandschaft stützen. Die entsprechende Ermächtigung sei dem Beschluss vom 27. November 2018 zu entnehmen.

 

 

17

Die Klage sei jedoch mit allen Anträgen unbegründet.

 

 

18

Mit dem auf Kostenvorschuss nach § 637 Abs. 3 BGB gerichteten Klageantrag zu 1 mache die Klägerin eines der in § 634 BGB vorgesehenen werkvertraglichen Mängelrechte des Bestellers geltend. Sofern ein solcher Anspruch bestehen sollte, wäre er verjährt.

 

 

19

Mängelrechte nach § 634 BGB stünden dem Besteller grundsätzlich erst nach der Abnahme des Werkes zu. An einer solchen fehle es zwar, sie sei jedoch zugunsten der Klägerin zu unterstellen.

 

 

20

Wann und wie das Gemeinschaftseigentum abgenommen worden sei, sei nicht vorgetragen. Die Erwerbsverträge sähen in § 7 Abs. 5 eine Abnahme durch den unwiderruflich seitens des Käufers bevollmächtigten Verwalter vor, bei dem es sich unstreitig um eine mit der Bauträgerin wirtschaftlich verbundene Gesellschaft gehandelt habe. Eine solche Abnahmeregelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sei unwirksam. Eine – wie offenkundig hier – auf dieser Grundlage erfolgte Abnahme sei es dann auch. Ob eine andere Form der Abnahme an ihre Stelle getreten oder eine Abnahme ausnahmsweise entbehrlich sei, könne in diesem Zusammenhang offenbleiben. Soweit nämlich eine Abnahme Voraussetzung für die Geltendmachung von Mängelrechten sei, sei es der Beklagten als Verwenderin der unwirksamen Formularklausel nach Treu und Glauben verwehrt, sich darauf zu berufen, dass sich der Vertrag mangels Abnahme des Gemeinschaftseigentums insoweit noch im Erfüllungsstadium befinde. Im Rahmen der Anspruchsbegründung sei die Abnahme somit zugunsten der Klägerin zu unterstellen.

 

 

21

Davon zu unterscheiden sei die Frage, wie sich das Fehlen der Abnahme im Rahmen der Verjährung auswirke. Insoweit sei im vorliegenden Fall eine Abnahme spätestens im Jahr 2013 – nun zu Lasten der Klägerin – zu unterstellen mit der Folge, dass der Anspruch bei Klageerhebung bereits verjährt gewesen sei.

 

 

22

Nach welchen Voraussetzungen sich die Verjährung von Ansprüchen des Erwerbers gegen den Bauträger aus einem Bauträgervertrag richte, lasse sich nicht einheitlich beantworten. Für alle mit der Errichtung des Gebäudes zusammenhängenden Leistungen gelte Werkvertragsrecht. Der werkvertragliche Anspruch auf Herstellung unterliege der dreijährigen Regelverjährung des § 195 BGB ab dem Schluss des Jahres, in dem er entstanden sei (§ 199 Abs. 1 BGB). Daneben bestünden Gewährleistungsansprüche des Erwerbers gegen den Bauträger. Im Streitfall stehe allein die mangelhafte Bauleistung in Rede, für die Werkvertragsrecht gelte. Die werkvertragliche Gewährleistung ergebe sich aus § 634 BGB. Ihre Verjährung beginne grundsätzlich mit der Abnahme des Werks, die Frist betrage bei einem Bauwerk fünf Jahre (§ 634a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB).

 

 

23

Da die Entstehung und Verjährung der werkvertraglichen Ansprüche unterschiedlich geregelt seien, falle grundsätzlich auch das Ende ihrer Verjährung auseinander. Es könne sogar dazu kommen, dass der Erfüllungsanspruch verjährt sei, bevor das Werk abgenommen sei und damit die Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn der Gewährleistungsansprüche geschaffen worden seien. Ein solcher Fall liege hier vor. Der Erfüllungsanspruch aller Mitglieder der Klägerin sei im vorliegenden Fall zweifelsfrei verjährt. Alle Verträge der Bau- trägerin mit den Erwerbern datierten aus dem Jahre 2005. Die taggenaue Verjährungshöchstfrist von zehn Jahren nach § 199 Abs. 4 BGB habe durchweg im Laufe des Jahres 2015 geendet. Nach wie vor fehle es aber an einer Abnahme. Die sich in einem solchen Fall stellende Frage, ob trotz fehlender Abnahme auch Ansprüche auf Gewährleistung verjährt seien oder ob der Auftragnehmer die Gewährleistung wiederaufleben lassen könne, indem er Abnahme verlange und damit erst die Verjährungsfrist des § 634a BGB in Gang setze, müsse nicht grundsätzlich entschieden werden. Im vorliegenden Fall sei nämlich die Abnahme des Gemeinschaftseigentums im Rahmen der Verjährung zu Lasten der Klägerin zu unterstellen.

 

 

24

Dies ergebe sich zwar nicht aus der Ingebrauchnahme der Wohnungseigentumsanlage durch die Mitglieder der Klägerin. Die Parteien hätten die Unwirksamkeit der Abnahmeregelung nicht erkannt und seien deshalb von einer wirksam erfolgten Abnahme ausgegangen. Damit habe die Ingebrauchnahme des Gemeinschaftseigentums durch die Erwerber keinen eigenen Abnahmewillen zum Ausdruck gebracht.

 

 

25

Jedoch habe die Klägerin in der Vergangenheit bereits zweimal erfolgreich Gewährleistungsansprüche geltend gemacht. Sie hätten Mängel der Dach- und Balkonentwässerung in zwei verschiedenen Bereichen betroffen. Die erste Beanstandung habe die Beklagte in den Jahren 2007/2008 auf der Grundlage einer zwischen ihr, der Generalunternehmerin und den planenden Architekten getroffenen Vereinbarung beseitigt, mit der offenkundig aber auch die Klägerin einverstanden gewesen sei. Die zweite Beanstandung in den Jahren 2012/2013 habe mit einem Vergleich geendet.

 

 

26

Bereits bei der ersten Beanstandung sei das Gemeinschaftseigentum übergeben und – vermeintlich – abgenommen gewesen. Die nun erhobenen Mängelrügen müssten als Ausübung von Gewährleistungsansprüchen verstanden werden. Es wäre fernliegend, sie noch als Geltendmachung des Erfüllungsanspruchs anzusehen. Die Parteien hätten sie ersichtlich auch als Fall der Gewährleistung behandelt. Daraus folge aber auch, dass die Parteien bei der Regulierung der Mängelrügen übereinstimmend von einer bereits erfolgten Abnahme ausgegangen seien. Ohne Abnahme könnten Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB nur geltend gemacht werden, wenn der Besteller nicht mehr die Erfüllung des Vertrags verlangen könne und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen sei. Ein solcher Fall liege hier nicht vor.

 

 

27

Die Beklagte habe die Annahme der Klägerin, das Gemeinschaftseigentum sei abgenommen, gegen sich gelten lassen. Wäre es zum Rechtsstreit gekommen, wäre die Klägerin – jedenfalls auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung – mit ihrem Gewährleistungsbegehren nur durchgedrungen, wenn sie auf eine erfolgte Abnahme hätte verweisen können oder der Beklagten verwehrt worden wäre, sich auf das Fehlen der Abnahme zu berufen und die Abnahme zugunsten der Klägerin unterstellt worden wäre.

 

 

28

Vor diesem Hintergrund widerspräche es Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn sich die Klägerin darauf berufen könnte, es fehle an einer Abnahme. Sie verhielte sich widersprüchlich. Sie habe in den Jahren 2007/2008 und 2012/2013 aus der übereinstimmenden Auffassung der Parteien, dass es eine Abnahme gegeben habe, einen Vorteil gezogen und Ansprüche durchgesetzt, die zwingend eine Abnahme zur Voraussetzung gehabt hätten. Es wäre mit Treu und Glauben nicht vereinbar, wenn die Klägerin nun Ansprüche geltend machen könnte, die nur noch durchsetzbar wären, wenn es an einer Abnahme fehle. Die Klägerin habe den aus einer Abnahme folgenden rechtlichen Vorteil in Anspruch genommen. Dann müsste sie auch den mit der Abnahme einhergehenden Nachteil tragen.

 

 

29

Sei zu Lasten der Klägerin von einer spätestens im Jahr 2013 erfolgten Abnahme auszugehen, so folge daraus die Verjährung ihrer Ansprüche aus Gewährleistung spätestens im Laufe des Jahres 2018 (§ 634a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB). Die Klage habe die Verjährung nicht mehr hemmen können. Zu verjährungshemmenden Verhandlungen (§ 203 BGB), die den dazwischen- liegenden Zeitraum überbrückten, sei nichts vorgetragen.

 

 

30

Die Klageanträge zu 3 bis 6 könnten ebenfalls keinen Erfolg haben, weil auch sie ausschließlich auf Gewährleistung gegründet seien. Sie seien aus den dargelegten Gründen verjährt.

II.

 

 

31

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Zurückweisung der Berufung hinsichtlich der klägerischen Berufungsanträge zu 1 und zu 3 bis 6 nicht gerechtfertigt werden.

 

 

32

1. Allerdings hat das Berufungsgericht die Klage zu Recht für zulässig erachtet. Insbesondere ist es im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Klägerin bezüglich der geltend gemachten Mängelansprüche auch insoweit für prozessführungsbefugt erachtet hat, als die Klägerin einen Anspruch auf Vorschuss für Aufwendungen zur Beseitigung von Mängeln an der Bausubstanz des Gemeinschaftseigentums verlangt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 15. Februar 2023 – VII ZR 13/22, ZfBR 2023, 342; Beschluss vom 1. Februar 2023 – VII ZR 887/21, BauR 2023, 958; Urteil vom 11. November 2022 – V ZR 213/21 Rn. 18 ff., Rn. 24 ff., Rn. 30 ff., NJW 2023, 217) besteht bei einer GdWE die Prozessführungsbefugnis, die sich wie hier aus einem vor dem 1. Dezember 2020 erlassenen Vergemeinschaftungsbeschluss ergibt, auch nach der Neuregelung der Ausübungsbefugnis in § 9a Abs. 2 WEG fort. Das gilt nicht nur dann, wenn ein entsprechender (Nacherfüllungs-)Anspruch des Erwerbers auf eine kaufvertragliche Nachbesserungspflicht gestützt wird (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2022 – V ZR 213/21 Rn. 18 ff., Rn. 24 ff., Rn. 30 ff., NJW 2023, 217), sondern auch dann, wenn ein werkvertraglicher Anspruch auf Kostenvorschuss (§ 634 Nr. 2, § 637 Abs. 3 BGB) in Rede steht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2023 – VII ZR 13/22 m.w.N., ZfBR 2023, 342; Beschluss vom 1. Februar 2023 – VII ZR 887/21, BauR 2023, 958).

 

 

33

2. Gleichfalls rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht – von den Parteien unbeanstandet – angenommen, dass sich die von der Klägerin geltend gemachten Mängelansprüche nach Werkvertragsrecht richten (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – VII ZR 171/15 Rn. 20 ff., BGHZ 210, 206).

 

 

34

3. Auch die ebenfalls unangegriffene Annahme des Berufungsgerichts, die von der Beklagten gestellte formularmäßige Regelung bezüglich der Abnahme des Gemeinschaftseigentums in § 7 Abs. 5 der Erwerbsverträge (Anlage K 2) sei ebenso wie die auf dieser Grundlage erfolgte Abnahme unwirksam, lässt keine Rechtsfehler erkennen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2013 – VII ZR 308/12 Rn. 7 ff., BauR 2013, 2020, zu einer formularmäßigen Abnahmeklausel, die die Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch einen mit dem Bauträger wirtschaftlich oder rechtlich verbundenen Erstverwalter ermöglicht; Urteil vom 30. Juni 2016 – VII ZR 188/13 Rn. 22, BauR 2016, 1771 = NZBau 2016, 629).

 

 

35

Entsprechendes gilt für die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagten sei es als Verwenderin der unwirksamen Formularklausel nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich darauf zu berufen, dass sich der Vertrag mangels wirksamer Abnahme des Gemeinschaftseigentums insoweit noch im Erfüllungsstadium befinde (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2016 – VII ZR 188/13 Rn. 20 ff., Rn. 24 ff., BauR 2016, 1771 = NZBau 2016, 629; Urteil vom 12. Mai 2016 – VII ZR 171/15 Rn. 57 ff., BGHZ 210, 206; Urteil vom 25. Februar 2016 – VII ZR 49/15 Rn. 41 ff., BGHZ 209, 128), weshalb im Rahmen der Anspruchsbegründung die Abnahme des Gemeinschaftseigentums als Voraussetzung für die Geltendmachung von Mängelansprüchen zugunsten der Klägerin zu unterstellen sei.

 

 

36

4. Der rechtlichen Nachprüfung nicht stand hält jedoch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, im Rahmen der Verjährung sei eine Abnahme des Gemeinschaftseigentums spätestens im Jahr 2013 – nun zu Lasten der Klägerin – zu unterstellen mit der Folge, dass die mit der Klage geltend gemachten (Mängel-) Ansprüche bei Klageerhebung bereits verjährt gewesen seien, weil es der Klägerin wegen widersprüchlichen Verhaltens unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt sei, sich im Rahmen der Verjährung auf das Fehlen der Abnahme berufen zu dürfen.

 

 

37

a) Die im Einzelfall vorzunehmende wertende Betrachtung der Gesamtumstände unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB obliegt zwar in erster Linie dem Tatgericht, kann aber vom Revisionsgericht eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob das Tatgericht die maßgeblichen Tatsachen vollständig festgestellt und gewürdigt und ob es die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat (BGH, Urteil vom 6. Juli 2023 – VII ZR 151/22 Rn. 38, BauR 2023, 1672; Urteil vom 8. Juli 2021 – I ZR 248/19 Rn. 28 m.w.N., NJW 2022, 52).

 

 

38

b) Einer Überprüfung nach diesen Grundsätzen hält das Berufungsurteil nicht stand.

 

 

39

aa) Nicht jeder Widerspruch zwischen zwei Verhaltensweisen ist als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) zu werten (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2015 – VIII ZR 154/14 Rn. 24, BGHZ 204, 145). Vielmehr ist widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) dann rechtsmissbräuchlich, wenn das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2015 – XII ZB 508/14 Rn. 12, MDR 2015, 1101; Urteil vom 4. Februar 2015 – VIII ZR 154/14 Rn. 24, BGHZ 204, 145; Urteil vom 9. Mai 2014 – V ZR 305/12 Rn. 41 m.w.N., NJW 2014, 2790). Ist durch das frühere Verhalten einer Partei kein schutzwürdiges Vertrauen der Gegenpartei begründet worden, ist ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht zu ziehen, etwa bei einem unlösbaren Widerspruch zwischen früherer und späterer Rechtsausübung (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2015 – XII ZB 508/14 Rn. 12, MDR 2015, 1101; Urteil vom 4. Februar 2015 – VIII ZR 154/14 Rn. 26 m.w.N., BGHZ 204, 145).

 

 

40

bb) Nach diesen Grundsätzen kann ein im Sinne des § 242 BGB rechtsmissbräuchliches widersprüchliches Verhalten der Klägerin nicht angenommen werden.

 

 

41

(1) Soweit die Klägerin zunächst in den Jahren 2007 und 2012 – als Prozessstandschafterin der Erwerber – mehrfach Mängelansprüche wegen Mängeln der Dach- und Balkonentwässerung geltend gemacht hat, die von der Beklagten jeweils reguliert wurden, und sich später bei der klageweisen Geltendmachung weiterer Mängelansprüche gegenüber der von der Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung auf das Fehlen einer wirksamen Abnahme des Gemeinschaftseigentums berufen hat, resultiert hieraus bereits keine sachliche Unvereinbarkeit zwischen dem früheren und dem späteren Verhalten. Denn das Verhalten der Klägerin ist vor dem Hintergrund der von der Beklagten gestellten Formular- klausel zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums (§ 7 Abs. 5 Satz 1 des Vertrags Anlage K 2) und unter Berücksichtigung der Schutzrichtung der Inhaltskontrolle zu würdigen. Die genannte Formularklausel wirkt sich für die betroffenen Erwerber – und damit auch für die als deren Prozessstandschafterin agierende Klägerin – einerseits (bezüglich der Voraussetzungen für die Geltendmachung von Mängelansprüchen, insbesondere Kostenvorschussansprüchen) günstig und andererseits (bezüglich des Beginns der Verjährung der Mängelansprüche) ungünstig aus (vgl. Rodemann, BauR 2020, 519, 522 f.); die Inhaltskontrolle dient ausschließlich dem Schutz des Vertragspartners des Verwenders, nicht dem Schutz des Verwenders (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – VII ZR 171/15 Rn. 58 m.w.N., BGHZ 210, 206; Urteil vom 20. Juli 2017 – VII ZR 259/16 Rn. 31, BauR 2017, 1995 = NZBau 2018, 29). Vor diesem Hintergrund kann angesichts der erörterten Klauselambivalenz und der Schutzrichtung der Inhaltskontrolle bereits eine sachliche Unvereinbarkeit zwischen dem früheren und dem späteren Verhalten der Klägerin nicht angenommen werden.

 

 

42

(2) Im Übrigen ist durch das frühere Verhalten der Klägerin im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Mängelansprüchen in den Jahren 2007 und 2012 ebenso wenig wie durch die Regulierung dieser Ansprüche ein vorrangig schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten dahingehend begründet worden, dass sich die Klägerin bei etwaiger erneuter späterer Geltendmachung von Mängelrechten nach Ablauf eines Zeitraums, der die Frist des § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB übersteigt, gegenüber der von der Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung nicht auf das Fehlen einer wirksamen Abnahme des Gemeinschaftseigentums berufen würde. Die Interessen der Beklagten erscheinen insoweit im Hinblick darauf, dass sie als Verwenderin der Formularklausel § 7 Abs. 5 Satz 1 für den Nichtbeginn der Verjährung (vgl. § 634a Abs. 2 BGB) hinsichtlich der auf Mängel an der Bausubstanz des Gemeinschaftseigentums bezogenen Mängelansprüche verantwortlich ist, und im Hinblick darauf, dass sie im Antwortschreiben vom 3. September 2015 an die Verwalterin für eine erneute Abnahme des Gemeinschaftseigentums im Hinblick auf die bereits zuvor angeblich wirksam erfolgte Abnahme keinen Raum sah, nicht vorrangig schutzwürdig.

 

 

43

(3) Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin kann aus den vorstehend unter II. 4. b) bb) (1) genannten Gründen auch nicht wegen eines unlösbaren Widerspruchs zwischen dem früheren und dem späteren Verhalten der Klägerin angenommen werden.

III.

 

 

44

Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO) dar.

 

 

45

1. Ohne Erfolg macht die Revisionserwiderung geltend, die Beklagte dürfe dem Begehren der Klägerin die Einrede der Verjährung entgegenhalten, nachdem die Verjährungshöchstfrist des § 199 Abs. 4 BGB im Hinblick auf den Erfüllungsanspruch aus § 631 Abs. 1 BGB angeblich spätestens mit dem Ende des Jahres 2015 abgelaufen sei. Es kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls wann die genannte Verjährungshöchstfrist abgelaufen ist. Des Weiteren kann hier offenbleiben, ob und welchen Einfluss ein Ablauf der Verjährungshöchstfrist bezüglich des Erfüllungsanspruchs grundsätzlich auf die Verjährung von Mängelansprüchen hat. Im Rahmen der gegen die geltend gemachten Mängelansprüche erhobenen Verjährungseinrede könnte die Beklagte jedenfalls aus AGB-rechtlichen Gründen den angeblichen Ablauf der Verjährungshöchstfrist bezüglich des Erfüllungsanspruchs nicht mit Erfolg geltend machen (vgl. auch Vogel, IBR Werkstatt-Beitrag). Wie bereits erörtert, ist es der Beklagten als Verwenderin der unwirksamen Formularklausel § 7 Abs. 5 Satz 1 nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich darauf zu berufen, dass sich der Vertrag mangels wirksamer Abnahme des Gemeinschaftseigentums insoweit noch im Erfüllungsstadium befinde; die Klägerin kann, wie sie das nach den nicht angefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts getan hat, trotz der nicht wirksam erklärten Abnahme des Gemeinschaftseigentums Mängelansprüche gegen die Beklagte geltend machen.

 

 

46

2. Die Verjährung der geltend gemachten Mängelansprüche kann nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand auch nicht mit der Begründung angenommen werden, die Erwerber hätten das Gemeinschaftseigentum, nachdem sie Kenntnis von der Unwirksamkeit der im Jahr 2005 erklärten Abnahme erlangt oder Zweifel bezüglich der betreffenden Wirksamkeit bekommen hätten, jeweils konkludent abgenommen, womit die Verjährung der Mängelansprüche gemäß § 634a Abs. 2 BGB jeweils mit der Folge begonnen habe, dass die Verjährungsfrist (§ 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB) vor der Einreichung der Klage im Jahr 2020 abgelaufen sei. Denn das Berufungsgericht hat zu derartigen Abnahmen – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen getroffen.

 

 

47

3. Das Berufungsurteil kann nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand schließlich auch nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, der klägerischen Rechtsausübung stehe, wie die Revisionserwiderung meint, der Einwand der Verwirkung entgegen. Denn das Berufungsgericht hat zu den Voraussetzungen dieses Einwands – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen getroffen.

IV.

 

 

48

Das Berufungsurteil kann nach alledem, soweit hinsichtlich der Berufungsanträge zu 1 und zu 3 bis 6 zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist, nicht bestehen bleiben. Es ist insoweit aufzuheben. Die Sache ist im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da der Senat mangels hinreichender Feststellungen nicht in der Sache selbst entscheiden kann.

 

(Hinweis der Redaktion: Die Randnummern sind amtlich und damit besonders zitiergeeignet.)

Sicherstellung der Sanierung, des bedarfsgerechten Ausbaus und des Betriebs kommunaler Gebäude

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von Thomas Ax

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Oberlandesgericht Hamm, 24 U 48/20, zu der Frage, dass ein Architekt auch ohne ausdrückliche Vereinbarung verpflichtet sein kann, die Notwendigkeit der Kampfmittelüberprüfung zu berücksichtigen

Oberlandesgericht Hamm, 24 U 48/20, zu der Frage, dass ein Architekt auch ohne ausdrückliche Vereinbarung verpflichtet sein kann, die Notwendigkeit der Kampfmittelüberprüfung zu berücksichtigen

1. Nach § 308 Abs. 1 ZPO besteht eine Antragsbindung sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Das Gericht darf nicht mehr (kein „plus“) zusprechen als beantragt und nichts anderes (kein „aliud“) als begehrt. Ein Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO kann durch nachträgliche Genehmigung geheilt werden; beantragt der Kläger, dem mehr zugesprochen wurde, als er im 1. Rechtszug beantragt hatte, das Rechtsmittel des Beklagten zurückzuweisen, kann hierin eine prozessual zulässige Genehmigung liegen, da im Sichzueigenmachen der gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßenden Entscheidung eine Anschlussberufung verbunden mit einer – noch in der Berufungsinstanz möglichen – Klageerweiterung zu sehen sein könnte.

2. Ein Architekt kann auch ohne ausdrückliche Vereinbarung verpflichtet sein, die Notwendigkeit der Kampfmittelüberprüfung zu berücksichtigen.

G r ü n d e :

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatz infolge einer vor Ausführung eines Bauvorhabens unterlassenen Kampfmittelüberprüfung.

Die Klägerin beabsichtigte, auf dem mit notariellem Kaufvertrag vom 28.06.1980 von ihr erworbenen Grundstück an der A-Straße in B den Neubau einer Studentenwohnanlage zu realisieren. In dem am 29.11.1974 in Kraft getretenen und für diesen Bereich geltenden Bebauungsplan (Anlage B3, Bl. 72 d.A.) findet sich keine Kennzeichnung hinsichtlich etwaiger Kampfmittelverdachtspunkte.

Die Klägerin beauftragte die Beklagte – damals noch als C GmbH firmierend – auf Grundlage des Architektenvertrages vom 6./09.09.2010 (Anlage K1, Bl. 7-21 d.A.) mit der Erbringung von Architektenleistungen für das Bauvorhaben Studierendenwohnanlage der A-Straße in B (im Folgenden: das Bauvorhaben, Bl. 5 d.A.).

Der Architektenvertrag (Anlage K1, Bl. 7-21 d.A.) lautet auszugsweise wie folgt:

§ 4 Leistungen des AN

4.1 Der AN ist verpflichtet, für das in § 1 dieses Vertrages genannte Bauvor

haben sämtliche beauftragte Leistungen und die darin enthaltenen und dafür erforderliche Leistungs- bzw. Arbeitsschritte zu erbringen. Er hat dabei alle Pflichten zu erfüllen, die sich aus den beauftragten Leistungsinhalt und -umfang, den vereinbarten Vertragszielen und den Bestandteilen dieses Vertrages ergeben und die für die Herbeiführung der geschuldeten Teilerfolge und des geschuldeten (Gesamt-)Werkerfolges erforderlich sind. Hierbei hat der AN insbesondere die in den Leistungsbeschreibungen (Anlagen 1a bis 1b) genannten Leistungen mangelfrei und vollständig zu erbringen, die als wesentliche Arbeitsschritte selbständigen Teilerfolge des Gesamtwerkerfolgs sind.

4.3 Der AG überträgt dem AN mit Vertragsschluss zunächst als Beauftragungsstufe 1 die Leistungen der Leistungsphasen 1 und 2 (Grundlagenermittlung und Vorplanung).

Die Beauftragung der weiteren Leistungen der Leistungsphasen 3 (Entwurfsplanung) in einer 2. Beauftragungsstufe sowie 4 (Genehmigungsplanung) und 5 (Ausführungsplanung) in einer 3. Beauftragungsstufe sind dem Grunde nach vorgesehen, soweit der AN die Einhaltung der Vertragsziele nach § 3 nachweislich einhalten kann und das Studentenwerk die Refinanzierungszusagen der Fördermittelgeber hierfür jeweils erhält. Sollte der AN die Vertragsziele, insbesondere die gemäß § 3.2 nach Beauftragungsstufe 1 und 2 nicht einhalten, ist der AG berechtigt, vom AN eine Überarbeitung zu verlangen oder diese und die Planungsleistungen der weiteren Leistungsphasen einem anderen Anbieter zu übertragen. Auch besteht kein Anspruch auf Beauftragung der Leistungsphasen 3-5 wenn der AG die Weiterverfolgung des Bauvorhaben[s] aus anderem wichtigem Grunde aufgibt

In der Beauftragung der weiteren Beauftragung 4 (Leistungsphasen 6 und 7 (Vorbereitung der Vergabe und Mitwirkung bei der Vergabe), sowie 5 (Leistungsphase 8 / Objektüberwachung) und 6 (Leistungsphase 9 / Objektbetreuung und Dokumentation) oder einzelner Leistungen oder Teilleistungen ist der AG generell frei. Ein Anspruch des AN auf Beauftragung weiterer, über die ersten 3 Beauftragungsstufen hinausgehende Stufen oder Leistungsphasen oder (Teil-)Leistungen besteht generell nicht. Die Beauftragung dieser weiteren Leistungsphasen an den AN ist aber seitens des AG grundsätzlich beabsichtigt, soweit sich die Wirtschaftlichkeit der Umsetzung der Gesamt- oder einzelner Teilmaßnahmen darstellen lässt. Maßgeblich ist hierbei die Einschätzung des AG.                            …

Weitere Beauftragungen bedürfen zu ihrer Wirksamkeit einer schriftlichen Mitteilung durch den AG. Der AN verpflichtet sich die weiteren übertragenen Leistungen zu dem gemäß § 9 vereinbarten Honorar [zu] erbringen, sofern sie ihm spätestens 6 Monate nach der Fertigstellung und Freigabe der letztbeauftragten Stufe durch den AG beauftragt werden. Dies gilt auch dann, wenn der AG dem AN nur einzelne Leistungen oder Teilleistungen auf den der Beauftragung vorbehaltenen Leistungsphasen übertragen sollte.

4.5 Die Leistungsphasen beinhalten folgende Leistungsinhalte, die durch die in den Leistungsbeschreibungen (Anlagen 1a bis 1b) genannten Leistungen konkretisiert werden und die als jeweils geschuldeten Teilerfolge vereinbart werden:

(1) Grundlagenermittlung

Ermitteln der Voraussetzungen und Klären aller planerischen, organisatorischen und sonstigen relevanten Rahmenbedingungen für die Lösung der Planungs- und Bauaufgabe.

(2) Vorplanung

Erarbeiten eines Planungskonzeptes in seinen wesentlichen Teilen und Kostenschätzung nach DIN 276, Fassung Dezember 2008, sowie Zusammenfassung der Vorplanungsergebnisse.

§ 5 Pflichten des AN

5.1 Der AN verpflichtet sich, die Interessen des AG wahrzunehmen und seine Leistung vorrangig nach dem vom AG vorgegebenen Anforderungen an die Planung und an die Ausführung unter Berücksichtigung der allgemein anerkannten Regeln der Technik und den Grundsätzen der Funktionalität und der Wirtschaftlichkeit – auch hinsichtlich der Unterhaltungs- und Betriebskosten in der Nutzungsphase – zu erbringen.

Der AN hat dabei den AG umfassend bauliche und gestalterisch zu beraten und unter Berücksichtigung der Vertragsziele sinnvolle Alternativvorschläge zu unterbreiten.

5.2 Der AN ist verpflichtet, den AG über alle bei der Durchführung seiner Aufgaben wesentlichen Angelegenheiten Umstände unverzüglich schriftlich zu unterrichten.

Auf eventuelle Bedenken hinsichtlich der Genehmigungsfähigkeit der Planungswünsche und der Erfüllung der Planungsvorgaben des AG hat der AN frühzeitig hinzuweisen und Gegenvorschläge zu unterbreiten. Der AN hat sich rechtzeitig zu vergewissern, ob seiner Planung öffentlich-rechtliche Hindernisse und Bedenken entgegenstehen und diese dem AG unverzüglich schriftlich mitzuteilen.

5.4 Der AN hat den AG über die Notwendigkeit der Einschaltung von Fachingenieuren und Sonderfachleuten (z.B. Baugrund, Statik, Brandschutz, Haustechnik, Bauphysik, vgl. auch Ziff. 7.3 des Vertrages) so rechtzeitig zu beraten und zu informieren, dass die Sonderfachleute ohne Planungsverzögerungen beauftragt werden können. Der AN hat die Leistungen der Sonderfachleute zeitlich zu koordinieren, zu steuern, mit seinen Leistungen abzustimmen und auf Plausibilität und Konformität zu seinen Leistungen zu prüfen. Forderungen und Bedingungen der Fachplaner hat der AN bei seinen Leistungen zu berücksichtigen und in seine Planung einzuarbeiten und dort übersichtlich zu integrieren. Hat der AN Bedenken gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Leistungen, hat er den AG darauf schriftlich hinzuweisen und einen Lösungsvorschlag zu erarbeiten.

Der AN hat seine Leistungen vor der Integration der Planungsbeiträge der Fachingenieure und Sonderfachleute…mit den jeweils fachlich Beteiligten abzustimmen und bei Übergabe der genehmigungsfähigen Entwurfslösung und der jeweils ausführungsreifen Planungslösung mit dem AG abzustimmen und zu erörtern.

7.3 Die weiteren erforderlichen Fachingenieuren Sonderfachleute:

Baugrundgutachten

hat der AG noch nicht beauftragt, beabsichtigt dies aber nach Vertragsschluß mit dem AN vorzubereiten. Der Architekt (AN) erhält diesbezüglich ein Vorschlagsrecht für mögliche Wettbewerbsteilnehmer.“

Am 03.09.2010 beauftragte die Klägerin die Beklagte mit den Leistungsphasen 1 und 2; am 14.10.2011 mit den Leistungsphasen 3 und 4, am 30.03.2012 mit den Leistungsphasen 5-7 und am 31.08.2012 mit den Leistungsphasen 8 und 9.

Die Klägerin holte die gutachterliche Stellungnahme Nr. 1 des Erdbaulabors D vom 03.03.2011 (Anlage B2, Bl. 46-71 d.A.; im Folgenden: Baugrundgutachten) ein.

Die Beklagte stellte den Bauantrag am 09.10.2011, der beim Bauordnungsamt am 28.10.2011 einging. Die Baugenehmigung (Anlage BLD 2, Bl. 93-98 d.A. = Anlage BLD 3, Bl. 171-176 d.A.) wurde am 19.09.2012 erteilt. Die Beklagte stellte hinsichtlich der Bestandsbauten den Abbruchantrag am 08.05.2012, der am 10.06.2012 genehmigt wurde. Das sich ursprünglich auf dem Grundstück bereits befindliche Haus mit Kellergeschoss sollte seitens der Klägerin zur Vorbereitung des Bauvorhabens abgerissen und eine glatte, plane Fläche hergestellt werden. Der Abriss gehörte nicht zum Leistungsumfang der Beklagten; inwieweit die Beklagte Leistungen im Zusammenhang mit dem Abbruch erbrachte, steht zwischen den Parteien im Streit.

Die Parteien schlossen am 13./21.05.2014 eine Ergänzungsvereinbarung zum Architektenvertrag.

Der Neubau wurde bis Mai 2014 errichtet.

Die Klägerin erhielt in der Folgezeit ein Schreiben der Feuerwehr der Streithelferin vom 12.12.2017 (Anlage K2, Bl. 22-23 d.A.), in welchem ausgeführt wurde, dass die Klägerin es versäumt habe, bei der Planung der Baumaßnahmen einen Antrag auf Luftbildauswertung zu stellen und anlässlich einer anderen Baumaßnahme – der Herstellung einer Busspur – nach der Stellungnahme des Kampfmittelbeseitigungsdienstes der Bezirksregierung Arnsberg vom 10.11.2017 sich Hinweise auf eine Kriegsbeeinflussung und ein spezifischer Hinweis auf eine Bombenblindgänger-Einschlagstelle gemäß dem beigefügten Lageplan ergeben hätten. Mit Schreiben vom 15.03.2018 (Anlage K3, Bl. 24-25 d.A.) forderte die Klägerin die Beklagte zur Äußerung und Mitwirkung an der angekündigten Maßnahme mit dem Hinweis auf, dass nach Auskunft der Bezirksregierung Arnsberg grundsätzlich keine telefonischen Auskünfte zu Kampfmittelverdachtspunkten erteilt würden. Die Beklagte antwortete mit E-Mail, dass sie im Rahmen ihrer Planungsarbeiten bei dem Bauordnungsamt telefonisch die Auskunft erhalten habe, es handele sich bei dem Grundstück nicht um eine Verdachtsfläche.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte wäre nach § 4 und § 5 des Architektenvertrages und nach dem Nachtrag vom 13./21.05.2014 verpflichtet gewesen, einen Antrag auf Luftbildauswertung zu stellen, um mögliche Verdachtspunkte auf dem Grundstück zu ermitteln. Planung und Baugrunduntersuchung stellten eine Pflicht des Architekten dar, die sich aus verschiedenen Vorschriften ergebe. Zwar liege das Baugrundgutachten vor; die Beklagte könne sich jedoch nicht auf dessen Inhalt berufen, da sie selbst – wie der E-Mail-Verkehr (Anlage K5, Bl. 104-109 d.A.) und die Rechnungsprüfung vom 13.03.2015 (Anlage K7, Bl. 113-120 d.A.) belege – mehrfach Nachträge damit begründet habe, dass das Gutachten nicht ausreichend gewesen sei. Insofern verhalte sich die Beklagte widersprüchlich, wenn sie einerseits zur Begründung höherer Ansprüche auf unklare Bodenverhältnisse abstelle, andererseits aber geltend mache, der Boden sei gründlichst und hinlänglich untersucht worden, worauf sie habe vertrauen dürfen. Überdies habe sie, die Klägerin, zu keinem Zeitpunkt eine Kampfmittelsondierung durchführen müssen, da eine solche bei dem bloßen Abbruch des Gebäudes nicht erforderlich sei, was sich auch aus den Richtlinien für die Zusammenarbeit zwischen Bauaufsichtsbehörden und dem staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst (Anlage B1, Bl. 42-45, 103 d.A.) ergebe. Das von der Beklagten behauptete Telefonat habe nicht stattgefunden. Die Zeugin E sei gar nicht die zuständige Sachbearbeiterin. Telefonische Auskünfte dürften zu solchen Fragen ohnehin nicht erteilt werden. Außerdem sei kein Aktenvermerk gefertigt worden. Wäre sie, die Klägerin, ordnungsgemäß durch die Beklagte auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Klärung der Kampfmittelfreiheit hingewiesen worden, hätte sie nach dem Grundsatz des beratungskonformen Verhaltens die Kampfmittelüberprüfung durchgeführt.

Die Kosten eines Kampfmittelfundes würden zum großen Teil ihr, der Klägerin, zur Last gelegt. Ihr stehe daher ein Anspruch auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten zu. Ihr Feststellungsinteresse ergebe sich bereits aus der drohenden Verjährung. Der Schaden sei nicht bezifferbar, da die entsprechenden Prüfungen liefen und ein Kampfmittelfund derzeit nicht ausgeschlossen werden könne.

Die Streithelferin hat gemeint, dass zwar grundsätzlich die Kampfmittelüberprüfung Aufgabe des Bauherrn sei; bediene sich dieser aber eines Architekten, der mit sämtlichen Planungsleistungen beauftragt sei, hafte der Architekt für die Mehrkosten die dadurch entstünden, dass eine Kampfmittelsondierung (zunächst) nicht veranlasst worden sei. Dies räume auch die Beklagte ein, weil sie behaupte, dass ihr Projektleiter, der Zeuge G, sich mit der zuständigen Baubehörde im Hinblick auf einen möglichen Kampfmittelverdacht in Verbindung gesetzt habe, da dieser anderenfalls keine Veranlassung gehabt hätte, dies zu tun. Das von der Beklagtenseite behauptete Telefongespräch habe jedoch nicht stattgefunden. Die Zeugin E hätte auch gar nicht beurteilen können, ob für das fragliche Grundstück ein Kampfmittelverdacht bestehe, weil diese Aufgabe in den Zuständigkeitsbereich der Feuerwehr falle. Ungeachtet dessen sei der Inhalt dieses behaupteten Telefonats nicht hinreichend substantiiert dargetan. Eine solche Frage könne überdies nicht so einfach am Telefon beantwortet werden. Der zuständige Ansprechpartner sei auch nicht die Zeugin E, die im Bauordnungsamt tätig sei, sondern die städtische Feuerwehr gewesen, wie die Beklagte aus dem der Baugenehmigung beigefügten Merkblatt (Anlage E1, Bl. 138-139 d.A.) habe entnehmen können. Diesen Hinweis habe die Beklagte als Sachwalter des Bauherrn nicht beachtet. Ungeachtet dessen handele es sich überdies um Standardwissen eines Architekten und angesichts der Lage – die Entfernung zur Altstadt betrage nur 4 km – sei ohne weiteres mit entsprechenden Blindgängern in dem streitgegenständlichen Bereich zu rechnen gewesen. Richtiger Ansprechpartner sei demgemäß die Feuerwehr gewesen, mit der sich die Beklagte auch nach eigenem Vortrag nicht in Verbindung gesetzt habe. Hätte sich die Beklagte mit ihr, der Streithelferin, in Verbindung gesetzt, hätte sie die Bezirksregierung Arnsberg kontaktiert, welche wiederum mitgeteilt hätte, dass ein Blindgängerverdacht bestehe. Soweit der Bebauungsplan betroffen sei, sei im Zeitpunkt des Erlasses eine Kennzeichnung von Verdachtsflächen noch nicht erforderlich gewesen, da eine solche Verpflichtung als „Soll-Vorschrift“ erst zum 01.07.1987 eingeführt worden sei. Im Jahre 2010 habe es ebenfalls noch keine Erkenntnisse zu etwaigen Blindgängern gegeben, obgleich sie, die Streithelferin, vor dem Hintergrund einer Entscheidung des OVG NRW in alle Bebauungspläne zur Rechtssicherheit den Hinweis darauf aufgenommen habe, dass die der Planung zu Grunde liegenden Vorschriften eingesehen werden könnten, was sich auch aus dem verwaltungsinternen Schreiben (Anlage G2, Bl. 150 d.A.) ersehen lasse. Soweit die Beklagte sich auf das Baugrundgutachten berufe, sei beachtlich, dass hiermit nicht der Zweck verfolgt worden sei, das Baugrundstück auf Kampfmittelfreiheit zu untersuchen. Inzwischen sei zwar die Busspur, die Anlass für den Hinweis der Bezirksregierung Arnsberg gewesen sei, ausgeführt worden; mit der Herstellung der Busspur sei aber keine energetische Einwirkung aufgetreten, so dass diese Maßnahme habe durchgeführt werden können. Indes sei der Gefahrenpunkt noch nicht beseitigt und es könne theoretisch jederzeit zu einer Detonation kommen.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr jeglichen Schaden zu ersetzen, der aus der unterlassenen Kampfmittelsondierung bezüglich der Studierendenwohnanlage A-Straße erwächst.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass der Klägerin keine Ansprüche zustünden. Soweit die Klägerin mit ihrem Feststellungsantrag auf die unterlassene Kampfmittelsondierung abstelle, habe schon keine vertragliche Pflicht zur Kampfmittelsondierung bestanden.

Die Baugenehmigung vom 19.09.2012 (Anlage BLD 2, Bl. 93-98 d.A.) sei – unstreitig – ohne Auflagen und Bedingungen hinsichtlich einer notwendigen Kampfmittelsondierung erteilt worden und bestätige damit die Kampfmittelfreiheit, da ansonsten mittels Nebenbestimmung angeordnet worden wäre, dass mit dem Beginn der Bauarbeiten erst begonnen werden dürfen, wenn hiergegen seitens der für die Räumung von Kampfmitteln zuständigen Stellen keine Einwände erhoben würden. Überdies fänden sich im Bebauungsplan der Streithelferin keine Hinweise auf etwaige Kampfmittel; derartige Hinweise seien jedoch nach § 9 Abs. 5 BauGB verpflichtend, so dass mithin feststehe, dass keine Erkenntnisse über das Vorhandensein von Kampfmitteln im fraglichen Bereich vorgelegen hätten. Dementsprechend habe sie, die Beklagte, davon ausgehen können, dass eine Kampfmittelüberprüfung bei der Erstellung und Aktualisierung des Bebauungsplanes erfolgt sei, zumal sie sich auf die fernmündlich erteilte Auskunft der Bauaufsichtsbehörde habe verlassen dürfen.

Sie sei nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin hinsichtlich der Einschaltung von Sonderfachleuten nach § 5 Abs. 4 des Architektenvertrages aufzuklären; Behörden seien nicht als Sonderfachleute anzusehen und bei Sonderfachleuten handele es sich um Fachleute bezüglich Fachplanungen oder Baugrundgutachten und Ähnliches, wie sich unter anderem aus § 7 Abs. 3 des Architektenvertrages ergebe. Soweit solche Sonderfachleute betroffen seien, habe sie ein Baugrundgutachten – unstreitig – eingeholt. Im Rahmen der Begutachtung seien – unstreitig – unter anderem 30 Rammkernsondierungsbohrungen auf der kompletten Fläche durchgeführt worden; deswegen habe sie auch ein berechtigtes Vertrauen auf die Kampfmittelfreiheit bilden können. Sofern die Ergänzungsvereinbarung zum Architektenvertrag betroffen sei, habe dem der erhebliche Mehraufwand im Leistungsbereich der Freianlagen zugrunde gelegen; mit unklaren Bodenverhältnissen habe dies nichts zu tun gehabt.

Auf dem kompletten Baugelände seien im Rahmen des Abbruchs umfangreiche Erd- und Kanalbauarbeiten durchgeführt, das Grundstück in einer Tiefe von 1 m bearbeitet, der Boden ausgetauscht und der neu eingebaute Boden mit schwerem Gerät auf die erforderliche Tragfähigkeit verdichtet worden. Auch seien Kanäle um jeden der 4 Blöcke mit einer Tiefe von ca. 1,3 m erstellt, verfüllt und verdichtet worden. Bei diesen umfangreichen Arbeiten habe es jedoch keinerlei Anzeichen von Kampfmitteln gegeben.

Zudem sei beachtlich, dass sich die Methodik und Genauigkeit entsprechender Untersuchungen in den letzten Jahren geändert habe und zur Zeit der Planung keine Kampfmittelverdachtsfläche vorgelegen habe und damit eine andere Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt nur daraus resultieren könne, dass sich die Untersuchungsmöglichkeiten verbessert hätten. Entsprechende Erkenntnisse oder Hinweise auf eine Kriegsbeeinflussung aus dem 2. Weltkrieg hätten im Zeitpunkt der Planung ohnehin nicht vorgelegen. Beachtlich sei auch, dass die Erschließungsstraßen in der Nachkriegszeit erstellt worden seien und bei der Planung und Errichtung dieser Straßen eine Kampfmittelüberprüfung hätte erfolgen müssen, so dass sie darauf habe vertrauen dürfen, dass eine weitere Kampfmittelüberprüfung nicht erfolgen müsse. Das Bauvorhaben habe sich überdies am südlichen Ende des F-Sees und damit fernab vom Zentrum der Stadt B befunden und die größten Zerstörungen hätten die B Altstadt betroffen.

Eine Verpflichtung zu weitergehenden Erkundigungen ergebe sich nicht aus dem Architektenvertrag, da die Durchführung der Kampfmittelerkundung nicht erforderlich gewesen sei und es sogar ihren Pflichten nach § 5 des Architektenvertrages widersprochen hätte, wenn sie kostenauslösende, aber überflüssige Maßnahmen beauftragt hätte.

Das der Baugenehmigung anliegende Merkblatt sei ihr, der Beklagten, nicht zugeleitet worden; die Baugenehmigung sei von der Baugenehmigungsbehörde direkt an die Klägerin geschickt worden und sie, die Beklagte, habe lediglich von der Klägerin eine Kopie der Baugenehmigung erhalten, der das Informationsblatt nicht beigelegen habe.

Überdies habe sie – überobligatorisch – durch den Zeugen G, ihrem Projektleiter, bei der zuständigen Bauordnungsbehörde an einen datumsmäßig nicht exakt erinnerlichen Telefonat im Herbst 2012 mit der zuständigen Sachbearbeiterin des Bauordnungsamtes der Streithelferin, der Zeugen E, die auch in der Baugenehmigung (Anlage BLD 3, Bl. 171-176 d.A.) als zuständige Sachbearbeiterin genannt werde und die die Baugenehmigung bearbeitet und bis zur Fertigstellung begleitet habe, telefoniert. Dem Zeugen G sei mitgeteilt worden, dass es sich nicht um eine Verdachtsfläche handele und ihm sei nicht mitgeteilt worden, dass sich aus den Luftbildern die Vermutung des Einschlags eines Blindgängers ergeben könne. Es habe keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die telefonisch erteilte Auskunft unrichtig gewesen sei. Ob daher die Bezirksregierung Arnsberg keine telefonischen Auskünfte erteile, sei insofern unbeachtlich. Denn Ansprechpartner für einen Bauherrn sei nicht die Bezirksregierung Arnsberg, sondern die Bauaufsichtsbehörde, was sich zweifelsfrei aus der Richtlinie für die Zusammenarbeit zwischen Bauaufsichtsbehörden und dem staatlichen Kampfmittelbeseitigung vom 08.05.2006 (Anlage B1, Bl. 42-45 d.A.; im Folgenden: Richtlinie) ergebe. Denn den örtlichen Ordnungsbehörden sei in der Regel bekannt, wo Kriegshandlungen stattgefunden hätten und eine Kampfmittelbelastung existiere, so dass sie, die Beklagte, die erteilte Auskunft nicht habe hinterfragen müssen. Zu einer Nachfrage bei der Feuerwehr sei sie, die Beklagte, nicht verpflichtet gewesen, da auch die Feuerwehr als Sonderordnungsbehörde eine Behörde der Streithelferin sei. Insofern sei es auch nicht Aufgabe des Bauherrn bzw. des Architekten, die Zuständigkeiten innerhalb der Behörde in Frage zu stellen. Es sei mithin Aufgabe der Streithelferin gewesen, mit Eingang des Antrags auf Erteilung der Baugenehmigung mit den zuständigen Stellen die Frage der Kampfmittelfreiheit abzustimmen. Auch wenn richtig sei, dass der Bauherr bzw. Architekt nicht ohne Klärung der Fragen zu Kampfmitteln los bauen dürfe, habe sie auf die ihr erteilte Auskunft vertrauen dürfen. Aber selbst, wenn sie sich bei der Feuerwehr erkundigt hätte, wäre ihr auch dort mitgeteilt worden, dass keine Kampfmittelverdachtsflächen vorlägen.

Eine Bombenblindgänger-Verdachtsüberprüfung sei überdies nicht erforderlich und nicht beabsichtigt. Aber selbst, wenn dies erforderlich und beabsichtigt sei, sei es rechtlich und tatsächlich nicht möglich, die Klägerin mit derartigen Kosten zu belassen, da die Kosten der Kampfmittelbeseitigung zulasten der öffentlichen Hand gingen, was sich auch aus der Auskunft der Bezirksregierung Düsseldorf auf deren Homepage vom 02.11.2017 (Anlage BLD1, Bl. 91-92 d.A.) ersehen lasse. Die mit der Kampfmittelerkundung einhergehenden Kosten seien solche, die der Klägerin ohnehin entstanden wären, da gerade keine Mehrkosten deswegen anfielen, weil das Grundstück teilweise überbaut sei und davon auszugehen sei, dass die Verdachtsflächen auch kostengünstig ohne Rückbaumaßnahmen überprüfbar seien. Ungeachtet dessen hätte die Klägerin bereits beim Abriss entsprechende Kosten tragen müssen.

Aber selbst eine entsprechende Schadensersatzverpflichtung dem Grunde nach unterstellt, sei der Klägerin ein derart überwiegendes Mitverschulden anzulasten, dass ein Anspruch nicht bestünde, da die Klägerin bereits bei Beantragung der Abrissgenehmigung eine Kampfmittelanfrage hätte stellen und im Rahmen der eigenständig durchgeführten vorherigen Abbrucharbeiten selbst eine Kampfmittelsondierung hätte durchführen lassen müssen. Dies sei ein weiterer Gesichtspunkt, aufgrund dessen sie, die Beklagte, davon habe ausgehen dürfen, dass der Boden kampfmittelfrei sei.

Überdies bestehe kein Feststellungsinteresse.

Das Landgericht hat nach Einholung einer amtlichen Auskunft der Bezirksregierung Arnsberg, Kampfmittelbeseitigungsdienst, vom 21.11.2019 (Bl. 163-164 d.A.) zur Frage, ob auch im Jahr 2012 bereits ein Blindgängerverdacht festgestellt worden wäre, der Klage vollumfänglich mit der Maßgabe stattgegeben, dass sich die Feststellung nicht auf die unterlassene Kampfmittelsondierung, sondern auf die unterlassene Kampfmittelüberprüfung beziehe. Der Antrag sei zunächst dahingehend auszulegen gewesen, dass es nicht um die unterlassene Kampfmittelsondierung, sondern um eine unterlassene Kampfmittelüberprüfung gehe. Das Feststellungsinteresse ergebe sich unter dem Gesichtspunkt der drohenden Verjährung und der Sachverhalt sei noch nicht abgeschlossen, weil der Gefahrenpunkt weiterhin bestehe und selbst bei Abschluss der durchgeführten Bauarbeiten an der Bushaltestelle die Klägerin als Grundstückseigentümer weitere Maßnahmen zur Sondierung ergreifen müssen.

Die Beklagte habe eine ihr obliegende Pflicht aus dem Architektenvertrag schuldhaft verletzt, da sie keine ausreichende Überprüfung auf möglicherweise vorhandene Kampfmittel vorgenommen habe. Sie sei zu einer derartigen Überprüfung verpflichtet gewesen. Zwar treffe grundsätzlich eine solche Pflicht den Eigentümer bzw. Bauherren als Zustandsstörer gemäß § 18 Abs. 1 OBG NRW. Indes habe die Klägerin diese Pflicht auf die Beklagte als beauftragte Architektin übertragen und die Beklagte habe in § 4 Nr. 1 und 5 des Architektenvertrages diese Verpflichtung ausdrücklich übernommen. Dieser Verpflichtung sei die Beklagte nicht nachgekommen, auch wenn unterstellt werde, dass sie den streitigen Anruf bei der Bauordnungsbehörde der Streithelferin getätigt habe. Denn zuständig für die Kampfmittelbeseitigung seien die örtlichen Ordnungsbehörden; diese würden durch die Kampfmittelbeseitigungsdienste bei den Bezirksregierungen Arnsberg und Düsseldorf unterstützt. Ansprechpartner für den Bauherren bleibe die örtliche Ordnungsbehörde, mithin nach § 3 OBG NRW die kreisfreien Städte, also die Streithelferin. Diese habe jedoch überzeugend dargetan, dass bei ihr die Feuerwehr als Sonderordnungsbehörde für den Bereich der Kampfmittelbeseitigung zuständig sei. Die Feuerwehr sei von der Beklagten unstreitig nicht kontaktiert worden. Bei der Bauordnungsbehörde und der Feuerwehr handele es sich um zwei unterschiedliche Sonderordnungsbehörden. In der Richtlinie für die Zusammenarbeit zwischen Bauaufsichtsbehörden und dem staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst (Anlage B1, Bl. 42-45 d.A.) werde lediglich das Innenverhältnis zwischen den Behörden untereinander geregelt, so dass die Richtlinie keinerlei Außenwirkung entfalte. Die Richtlinie bestimme damit auch nicht, dass die Bauaufsichtsbehörden zuständig zur Erteilung von Auskünften gegenüber den Bauherren seien. Gleiches gelte sinngemäß für das der Baugenehmigung beigefügte Merkblatt „Wichtige Informationen zu ihrem Bauvorhaben“; daraus gehe eindeutig hervor, dass der Bauherr sich zur Gefahrenabwehr an die Feuerwehr und gerade nicht an die Bauordnungsbehörde zu wenden habe. Unerheblich sei, ob die Klägerin als Bauherrin dieses Merkblatt an die Beklagte weitergeleitet habe. Als erfahrene Architektin hätte die Beklagte sich nicht auf etwaig erteilte telefonische Auskünfte der Bauordnungsbehörde verlassen dürfen, sondern vielmehr wissen müssen, dass eine Anfrage bei der Bezirksregierung Arnsberg durch die zuständige Ordnungsbehörde erforderlich sei. Gerade für Großprojekte öffentlicher Auftraggeber sei es nicht ungewöhnlich, dass solche Verdachtsflächen bestünden und untersucht werden müssten. Demgemäß komme es auch nicht darauf an, ob es ein Telefonat mit dem beklagtenseits behaupteten Inhalt gegeben habe, zumal unplausibel sei, dass keine schriftlichen Vermerke hinsichtlich dieses Telefonats hätten beigebracht werden können.

Die Beklagte habe die Pflichtverletzung auch zu vertreten. Auf das Fehlen von Verdachtsflächen im Bebauungsplan könne sie sich nicht berufen, da die Kennzeichnung solcher Flächen erst ab 1987 erforderlich sei; vorliegend stamme der Bebauungsplan indes aus 1974. Ungeachtet dessen handele es sich bei § 9 Abs. 5 Nr. 3 BauGB um eine Sollvorschrift, sodass keine umfassende Überprüfung aller Bebauungspläne mit der Einführung der Vorschrift habe stattfinden, sondern vielmehr gewonnene Erkenntnisse bei Änderungen der Bebauungspläne hätten berücksichtigt und kenntlich gemacht werden sollen. Dass das Grundstück sich nicht in der Nähe der Altstadt befinde, entlaste die Beklagte ebenfalls nicht, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass in diesem Bereich Blindgänger lägen. Auch der Umstand, dass man bei umfassenden Erdarbeiten nicht auf Blindgänger gestoßen sei, entlaste die Beklagte nicht, da es sich hierbei um Glück bzw. Zufall gehandelt haben könne. Soweit das Baugrundgutachten (Anlage B2, Bl. 46-71 d.A.) betroffen sei, sei beachtlich, dass hierbei der Boden geologisch untersucht werde und auch Altlasten aufgedeckt würden; hierunter fielen jedoch in der Regel keine Blindgänger, da sie nur in einem kleinen Punkt im Boden vorhanden seien, während sich Giftstoffe im ganzen Boden verteilten und durch die chemische Zusammensetzung im Boden ermittelt werden könnten. Ungeachtet dessen werde für das Baugrundgutachten nicht der gesamte Boden gescannt, sondern mithilfe von einzelnen Kernbohrungen an unterschiedlichen Punkten ein Querschnitt der einzelnen Bodenschichten ermittelt.

Die Pflichtverletzung sei auch kausal für den entstandenen Schaden, da nach der amtlichen Auskunft feststehe, dass bei Nachfragen im Jahr 2012 der Verdachtspunkt mitgeteilt worden wäre, da der Verdachtspunkt auf mehreren Luftbildern eindeutig zu erkennen sei und sich die Methodik seither nicht verändert habe.

Dass die Klägerin ohnehin die Kosten der Kampfmittelsondierung zu tragen habe, führe nicht zur Verneinung einer Schadensersatzpflicht. Die Kosten für die eigentliche Entfernung von Blindgängern würden zwar von der öffentlichen Hand übernommen; hiervon seien jedoch nicht die Kosten für vor- und nachbereitenden Maßnahmen umfasst, da diese nach dem Runderlass des Innenministeriums vom 09.11.2007 der Zustandsstörer selbst zu tragen habe. Soweit die Beklagte auf eine Auskunft der Bezirksregierung Düsseldorf (Anlage BLD, Bl. 91 d.A.) abstelle, werde darauf hingewiesen, dass Kosten für vorbereitende Maßnahmen nicht vom Land Nordrhein-Westfalen übernommen würden. Hierin würden Maßnahmen, wie das Abschieben des Bodens bis auf das Niveau von 1945, freie Zufahrtsmöglichkeit für Bagger und Baugeräte, Entfernen des Bewuchses usw. genannt.

Ein Mitverschulden sei der Klägerin nicht anzulasten. Zwar habe diese die Abbrucharbeiten eigenständig durchgeführt; aus Nr. 4 der Richtlinie ergebe sich indes, dass die Ordnungsbehörden bei Abbrucharbeiten nicht verpflichtet seien, Anträge an den Kampfmittelbeseitigungsdienst zu stellen, da bei derartigen Abbrüchen der zuvor umbaute Raum nicht ausgeweitet werde. Zwar gelte dies im Innenverhältnis zwischen einzelnen Behörden; indes könne hier für die Klägerin nicht anders gelten.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie rügt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags, das Landgericht habe gegen § 308 ZPO verstoßen, weil es keinen Feststellungsanspruch hinsichtlich der unterlassenen Kampfmittelsondierung, zu deren Durchführung sie keinesfalls verpflichtet gewesen sei, getroffen habe, sondern unter Überschreitung der Grenzen zulässiger Auslegung einen Feststellungsanspruch hinsichtlich der unterlassenen Kampfmittelüberprüfung tenoriert habe, obgleich kein missverständlicher oder unklar gefasster Antrag vorgelegen habe und das Landgericht verpflichtet gewesen wäre, nach § 139 ZPO auf die Notwendigkeit einer Klarstellung hinzuweisen, zumal die Klägerin selbst nach ihrem, der Beklagten, Vorhalt ihren Antrag nicht umgestellt habe. Insofern hätte das Landgericht den unmissverständlich formulierten und keiner Auslegung zugänglichen Antrag als unbegründet abweisen müssen.

Verkannt habe das Landgericht zudem, dass die der Klägerin obliegende Pflicht, für Kampfmittelfreiheit zu sorgen, nicht auf sie, die Beklagte, übertragen worden sei. In § 4 und § 5 des Architektenvertrages finde sich hierzu nichts. Unzutreffend sei auch, dass der Architekt im Rahmen der Grundlagenermittlung und Vorplanung generell die Aufgabe habe, Bodenrisiken zu ermitteln, da dies nicht zu den Grundleistungen der Leistungsphasen 1 oder 2 gehöre; vielmehr sei die „Standortanalyse“ als „Besondere Leistung“ umschrieben, die damit explizit beauftragt werden müsse, was vorliegend nicht der Fall gewesen sei. Auch das „Erarbeiten und Erstellen von besonderen bauordnungsrechtlichen Nachweisen“ stelle eine besondere Leistung der Leistungsphase 2 der. Die sie treffende Pflicht zur Grundlagenermittlung habe sie durch die Beauftragung und Einholung des Baugrundgutachtens erfüllt. Wie bereits erstinstanzlich ausgeführt, hätten keine objektiven Anhaltspunkte vorgelegen, die eine Pflicht zur Prüfung ausgelöst hätten. Ungeachtet dessen habe das Landgericht selbst bei Annahme einer entsprechenden Pflicht verkannt, dass sie, die Beklagte, dieser Pflicht durch die fernmündliche Nachfrage bei der Bauordnungsbehörde, der Zeugin E, nachgekommen sei, da der Zeuge G im Herbst 2012 telefonisch von der Zeugin E die Auskunft erhalten habe, dass eine Kampfmittelverdachtsfläche nicht vorliege; ihr entsprechendes Beweisangebot habe das Landgericht verfahrensfehlerhaft übergangen. Das Landgericht sei offenbar in vorweggenommener Würdigung dem Einwand der Streithelferin gefolgt, dass ein solches Telefonat nicht stattgefunden habe mit dem Hinweis, dass ein Telefonvermerk nicht vorgelegt worden sei, obgleich die Annahme, dass über solche Telefonate stets ein Vermerk erstellt werde, einer tragfähigen Grundlage entbehre.

Fehlerhaft habe das Landgericht zudem angenommen, dass sie, die Beklagte, sich selbst und originär bei der Feuerwehr hätte erkundigen müssen, da die Feuerwehr als Sonderordnungsbehörde eine Behörde der Streithelferin sei und ebenso wie die Bauordnungsbehörde Aufgaben zum Schutz der Bevölkerung vor Gefahren wahrnehme. Da sie, die Beklagte, sich bei der Streithelferin selbst erkundigt habe, sei eine gesonderte Nachfrage bei der Feuerwehr nicht notwendig geworden; ungeachtet dessen verkenne das Landgericht, dass ein Außenstehender den Behördenaufbau nicht kennen müsse und auf die Richtigkeit der erteilten Auskunft habe vertrauen dürfen. Die Frage der Kampfmittelfreiheit sei allein Sache der Behörde, also der Streithelferin, und der Bauherr könne darauf vertrauen, dass die Frage der Kampfmittelfreiheit seitens der Behörde geklärt worden sei, zumal diese Frage schon bei der Aufstellung des Bebauungsplans zu beachten sei. Hierbei sei auch beachtlich, dass im Bebauungsplan das Baufeld nicht als Verdachtsfläche gekennzeichnet gewesen sei. Das Landgericht verkenne auch die Bedeutung der Richtlinie; es gehe darum, dass schon aus dem Bebauungsplan folge, dass sich die Behörde auch unter Einbeziehung der Sonderordnungsbehörden um die Kampfmittelfreiheit aus Sicht des Bauherrn bzw. Architekten gekümmert habe.

In der unterlassenen Kontaktaufnahme zu Feuerwehr könne ohnehin keine Pflichtverletzung gesehen werden, da in dem nur an die Klägerin gerichteten Merkblatt, welches sie, die Beklagte gerade nicht erhalten habe, allein die Rede davon sei, dass Kontakt bei „Entfernung gegebenenfalls vorhandener Kampfmittel“ aufzunehmen sei. Eine Kontaktaufnahme erübrige sich aber, wenn schon aus dem Bebauungsplan eine Gefahrenstelle überhaupt nicht ersichtlich sei. Dies gelte hier erst recht, da die Zeugin E bestätigt habe, dass kein Verdacht auf Kampfmittel bestehe.

Aber selbst eine Pflichtverletzung unterstellt, sei von einem fehlenden Verschulden ihrerseits auszugehen, da der Bebauungsplan keine negative Aussage zu Kampfmittelfreiheit treffe, zur Stellung des Baugrundgutachtens Rammkernsondierungen auf dem Baugrundstück durchgeführt worden seien und ein Architekt davon ausgehen dürfe, dass solche Sondierungen nicht ohne Erkundigung zur Kampfmittelbeseitigung durchgeführt würden und die Klägerin selbst den Abriss übernommen und das Baufeld hergerichtet habe. Warum beim Abriss keine Sondierung durchzuführen sei, erschließe sich nicht, da auch dort gleichermaßen tief und mit höheren Erschütterungen auf den Boden eingewirkt werde.

Überdies fehle es an der Kausalität zwischen vermeintlicher Pflichtverletzung und dem geltend gemachten Schaden, da die Zeugin E die Auskunft erteilt habe, dass keine Kampfmittelverdachtsfläche vorliege; diese Auskunft hätte sie, die Beklagte, auch dann erhalten, wenn sie sich an die Feuerwehr gewandt hätte. Das Landgericht habe insofern die eingeholte amtliche Auskunft der Bezirksregierung Arnsberg fehlerhaft gewürdigt und unterstellt, dass bei der Bezirksregierung im Jahre 2012 eine Einstufung der Fläche als Kampfmittelverdachtsfläche vorgelegen habe, obgleich sich aus der Auskunft ergebe, dass 2012 eine solche Einstufung gar nicht vorgelegen habe.

Überdies habe das Landgericht fehlerhaft ein Mitverschulden der Klägerin verneint. Soweit noch unberücksichtigten Beweisangeboten nachzugehen sei, müsse der Senat das Verfahren an das Landgericht zurückverweisen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Münster vom 26.02.2020 (Aktenzeichen 116 O 19/19) die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Sache unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Münster vom 26.02.2020 (Aktenzeichen 116 O 19/19) an das Landgericht Münster zurück zu verweisen und

vorsorglich für den Fall des Unterliegens,

die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt – unter Neufassung ihres Feststellungsantrags, festzustellen dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr jeglichen Schaden in Form der ihr entstehenden Mehrkosten zu ersetzen, die ihr dadurch entstanden sind bzw. entstehen werden, dass die Beklagte vor Ausführung des Bauvorhabens A-Straße es versäumt hat, den Antrag auf Kampfmittelüberprüfung zu stellen bzw. darauf hinzuweisen, dass ein solcher Antrag erforderlich sein könnte – sinngemäß

              die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil; sie rügt den neuen Sachvortrag der Beklagten als verspätet und meint, dass kein Verstoß gegen § 308 ZPO vorliege, da sie ihren Feststellungsantrag in der mündlichen Verhandlung soweit konkretisiert habe, dass das Landgericht in zulässiger Weise eine Auslegung vorgenommen habe; hätte das Landgericht überdies einen Hinweis gegeben, wäre auch ein sachdienlicher Antrag gestellt worden. Ungeachtet dessen sei die fehlende Kampfmittelüberprüfung auf das Verschulden der Beklagten zurückzuführen, so dass der ursprünglich angekündigte Antrag zwar unpräzise, aber sachlich nicht falsch gewesen wäre.

Bereits bei Einreichung des Bauantrages, welcher vor dem Abbruchantrag gestellt worden sei, hätte die Kampfmittelüberprüfung seitens der Beklagten beantragt werden müssen. Nach dem Architektenvertrag seien alle Leistungsphasen geschuldet gewesen. Die Beklagte habe sie, die Klägerin, nicht über die Problematik aufgeklärt; wäre eine entsprechende Aufklärung erfolgt, hätte sie, die Klägerin, – was sich auch aus der tatsächlichen Vermutung beratungskonformen Handelns ergebe – entsprechend gehandelt.

Eine telefonische Auskunft dahingehend, dass es sich bei dem Grundstück nicht um eine Kampfmittelverdachtsfläche handele, habe die Streithelferin der Beklagten nicht erteilt, zumal hierüber ein Vermerk gefertigt worden wäre. Die Zeugin E sei zudem unzuständig zur Erteilung einer Auskunft gewesen sei. Eine Nachfrage bei der zuständigen Feuerwehr sei nicht erfolgt; dass es sich um eine Verdachtsfläche gehandelt habe, sei als allgemeinkundig anzunehmen, da das Grundstück in der Einflugschneise der Bomber im Zweiten Weltkrieg gelegen habe und B im Zweiten Weltkrieg zu über 90 % zerstört worden sei, so dass ausnahmslos bei jedem neuen Bau die Möglichkeit von Blindgängern zu hinterfragen gewesen sei. Überdies habe sich am Anfang des F-Sees in der Nähe zum Bauprojekt ein bekanntes Gauhaus befunden, das sogar erklärtes Ziel der Alliierten gewesen sei.

Die Pflichtverletzung der Beklagten in Form der fehlenden Aufklärung und Antragstellung sei kausal geworden für die fehlende Kampfmittelüberprüfung. Inzwischen liege die Kalkulation der Gesamtkosten (Anlage K8, Bl. 451 d.A.) hinsichtlich der Nachholung der fehlenden Kampfmittelüberprüfung durch Abbruch des Gebäudeteils vor.

Die Streithelferin meint, dass die behauptete Nachfrage bei der Zeugin E unbeachtlich sei, da diese beim Bauordnungsamt, nicht aber bei der für Auskünfte zur Kampfmittelfreiheit und Kampfmittelverdachtsfällen zuständigen Feuerwehr beschäftigt sei. Ungeachtet dessen habe die Zeugin E eine solche Auskunft auch nicht erteilt.

Der Senat hat die Parteivertreter der Klägerin und den Parteivertreter der Beklagten persönlich angehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugin E und des Zeugen G in der mündlichen Verhandlung am 18.05.2021. Wegen des Ergebnisses der persönlichen Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Protokolls vom 18.05.2021 und den die wesentlichen Ergebnisse der persönlichen Anhörungen und der Zeugenvernehmungen zusammenfassenden Vermerk des Berichterstatters vom 18.05.2021 verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet und führt allein zur klarstellenden Neufassung des Tenors.

1.

Ob das Landgericht den erstinstanzlich gestellten Feststellungsantrag abweichend vom Wortlaut in der vorgenommenen Weise auslegen durfte, kann letztlich dahinstehen, da ein – unterstellter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO – dadurch geheilt worden ist, dass die Klägerin mit ihrem zweitinstanzlichen Prozessverhalten deutlich gemacht hat, dass sie den Antrag jedenfalls nunmehr mit dem vom Landgericht tenorierten Inhalt stellen will.

a)

Nach § 308 Abs. 1 ZPO besteht eine Antragsbindung sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Das Gericht darf nicht mehr (kein „plus“) zusprechen als beantragt und nichts anderes (kein „aliud“) als begehrt (vgl. BGH, Urteil vom 07. Dezember 1988 – IVb ZR 23/88 – FamRZ 1989, 483; BGH, Urteil vom 16-11-1989 – I ZR 15/88 – NJW-RR 1990, 997; OLG München, Urteil vom 08. Juni 2004 – 13 U 5690/03 – zitiert nach juris; Elzer, in: BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, Stand: 01.12.2020, § 308 ZPO Rn. 14; Feskorn, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 308 ZPO Rn. 2).

Zutreffend verweist die Beklagte zwar darauf, dass dann, wenn ein Klageantrag hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist, dieser im Regelfall keiner Auslegung zugänglich ist. Indes ist bereits zweifehlhaft, ob eine derartige Bestimmtheit vorliegt. Zwar ist der Antrag seinem Wortlaut nach auf das Unterlassen der „Kampfmittelsondierung“ gerichtet. Indes werden Inhalt und Reichweite des Klagebegehrens nicht allein durch den Wortlaut des Antrags bestimmt (vgl. BGH, Urteil vom 08. März 2019 – V ZR 330/17 – NJW-RR 2019, 519). Entscheidend ist vielmehr der erklärte Wille, wie er aus der Klagebegründung, den sonstigen Begleitumständen und nicht zuletzt der Interessenlage hervorgeht (vgl. BGH, Urteil vom 08. März 2019 – V ZR 330/17 – NJW-RR 2019, 519; Elzer, in: BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, Stand: 01.03.2021, § 308 ZPO Rn. 5a). Im Zweifel gilt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 08. März 2019 – V ZR 330/17 – NJW-RR 2019, 519; BGH, Versäumnisurteil vom 13. Mai 2016 – V ZR 152/15 – NJW-RR 2016, 1107).

Ob zwischen der beantragten Kampfmittelsondierung und der tenorierten Kampfmittelüberprüfung überhaupt ein wesentlicher Unterschied besteht, ist bereits zweifelhaft. Bei einer Kampfmittelbeseitigung handelt es sich um die Beseitigung von Kampfmitteln, also nach § 1 Abs. 2 der Ordnungsbehördlichen Verordnung zur Verhütung von Schäden durch Kampfmittel (Kampfmittelverordnung) vom 12.11.2003, gewahrsamslos gewordener Gegenstände militärischer Herkunft und Teile solcher Gegenstände, die Explosivstoffe enthalten oder aus Explosivstoffen bestehen oder Kampfstoffe enthalten. Nach Ziffer 2.2.3 Satz 5 der Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen und Ziffer 1 Abs. 2 Satz 2 Anlage 1 der Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen überprüft der Kampfmittelbeseitigungsdienst den hinreichenden Indikator der Kampfmittelbelastung durch Erkundung, Detektion und feststellenden Bodeneingriff vor Ort (vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte u.a., in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte u.a., Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, 59. Update Januar 2021, 4. Geeignetheit von Baugrundstücken, § 16 Rn. 44). Die Kampfmitteluntersuchung erfolgt mittels Magnetometern (vgl. Ziffer 5 der Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen) durch Oberflächendetektion (vgl. Ziffer 2.2.6 Satz 6; 6.2.4 der Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen), Bohrlochdetektion (Ziffer 6.2.7 der Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen) oder Tiefensondierung über Geomagnetik, Elektromagnetik, Georadar oder Bodenradar, oder aus einer Kombination der vorgenannten Maßnahmen. Insofern mag ein inhaltlicher Unterschied zwischen den Begriffen der Kampfmittelsondierung einerseits und der Kampfmittelüberprüfung andererseits in der Form anzunehmen sein, dass die Kampfmittelsondierung der engere Begriff ist, weil diese durch die oben beschriebenen Detektionsmaßnahmen erfolgt, während die Kampfmittelüberprüfung als Oberbegriff neben der Kampfmitteldetektion nach Ziffer 2.2.3 Satz 5 der Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen und Ziffer 1 Abs. 2 Satz 2 Anlage 1 der Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen auch die Erkundung und den feststellenden Bodeneingriff vor Ort erfasst. Ob damit das Landgericht mehr tenoriert hat als beantragt, kann aber letztlich dahinstehen.

b)

Ist nämlich anzunehmen, dass das Landgericht mehr tenoriert hat als beantragt, ist der Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO durch nachträgliche Genehmigung geheilt worden.

Beantragt der Kläger, dem mehr zugesprochen wurde, als er im 1. Rechtszug beantragt hatte, das Rechtsmittel des Beklagten zurückzuweisen, so wird durch die darin liegende Genehmigung der Mangel geheilt, denn im Sichzueigenmachen der gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßenden Entscheidung liegt eine – noch in der Berufungsinstanz mögliche – Klageerweiterung (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2004 – VII ZR 174/03 – MDR 2005, 645; Feskorn, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 308 ZPO Rn. 7). Die Klageerweiterung ist nach § 533 ZPO zulässig. Die Voraussetzungen des § 533 Nr. 1, 2. Alt. ZPO liegen vor. Maßgeblich ist der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, wobei nicht die beschleunigte Entscheidung des anhängigen Prozesses, sondern die Erledigung der Streitpunkte zwischen den Parteien entscheidend ist (vgl. Wulf, in: BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, Stand: 01.12.2020, § 533 ZPO Rn. 11). Auch die weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit von im Berufungsrechtszug erstmalig geltend gemachten Ansprüchen gemäß § 533 Nr. 2 ZPO liegt vor, denn diese können hier auf Tatsachen gestützt werden, die der Senat ohnehin nach § 529 ZPO seiner Verhandlung und Entscheidung zu Grunde zu legen hat (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 22. Februar 2019 – 4 U 8/17 – zitiert nach juris).

2.

Für den Senat bestand aber Anlass, nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Stellung eines sachdienlichen Feststellungsantrag anzuregen.

a)

Unstreitig schuldete die Beklagte persönlich weder einer Kampfmittelsondierung noch eine Kampfmittelüberprüfung. Denn hierzu ist ausschließlich der Kampfmittelbeseitigungsdienst der Bezirksregierung Arnsberg zuständig. Die Beklagte ist hierzu weder vertraglich verpflichtet noch in der Lage, da die Durchführung von jeglichen Erkundungsarbeiten nach Kampfmitteln nur speziell geschulten und zugelassenen Fachunternehmen nach §§ 7, 20 SprengG gestattet ist und § 3 der Kampfmittelverordnung das Suchen von Kampfmitteln sowie deren Besitz nur den Stellen gestattet, die durch die Bezirksregierung mit der Beseitigung der Kampfmittel beauftragt sind, hier also nach § 1 Abs. 2 der Kampfmittelverordnung dem staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst bei den Bezirksregierungen Arnsberg und Düsseldorf. Auch die Klägerin stellt nicht darauf ab, dass die Beklagte die Kampfmittelüberprüfung selbst vorzunehmen hätte, sondern meint, dass die Beklagte den Antrag auf Kampfmittelüberprüfung hätte stellen bzw. sie jedenfalls über die Notwendigkeit eines derartigen Antrages hätte aufklären müssen.

b)

Diesem Anliegen der Klägerin entspricht die vom Landgericht vorgenommene Auslegung nicht, so dass der Senat auf die Stellung eines sachdienlichen Antrages, der diesem Anliegen der Klägerin entspricht, hinzuwirken hatte. Da hiermit kein Hinweis auf neue, im Vortrag der Parteien noch nicht andeutungsweise enthaltene Klagegründe verbunden war (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2003 – I ZR 17/01 – NJW-RR 2004, 495; BGH, Urteil vom 27. September 2006 – VIII ZR 19/04 – NJW 2007, 2414 Rn. 22), hat die Klägerin in zulässiger Weise auf Hinweis des Senats in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihren Feststellungsantrag klarstellend formuliert und klargestellt, dass sie eine Feststellung allein hinsichtlich der Mehrkosten begehrt, die nun auf sie zukommen, weil die Kampfmittelüberprüfung nicht schon vor Erstellung des Neubaus im Jahre 2012 veranlasst worden ist.

3.

Der Feststellungsantrag ist zulässig.

a)

Das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ist zu bejahen, da damit eine mögliche Verjährung verhindert werden soll (vgl. OLG München, Urteil vom 06. Dezember 2016 – 28 U 2388/16 Bau – BauR 2017, 1041). Es kommt in Betracht, dass auf die Klägerin als Zustandsstörerin Kosten im Zusammenhang mit der nachträglichen Kampfmittelüberprüfung zukommen werden, da nach Fußnote 1 des Runderlasses des Innenministeriums – 75-54.01- vom 9.11.2007 (Kampfmittelbeseitigung Erstattung der anfallenden Kosten) bei Vorliegen hinreichend konkreter Anhaltspunkte, dass sich auf einem Grundstück bislang verborgen gebliebene Kampfmittel befinden und von dem Grundstück selbst eine Gefahr ausgeht, der Eigentümer des Grundstücks als Zustandsstörer iSd §§ 14, 18 OBG NRW verantwortlich ist (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03. Juni 1997 – 5 A 4/96 – zitiert nach juris). Die Klägerin ist als Grundstückseigentümerin Störerin und damit gem. § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Übernahme der entstehenden Kosten verpflichtet, wobei nach Fußnote 1 des Runderlasses des Innenministeriums – 75-54.01- vom 9.11.2007 die Ordnungsbehörde im Ermessenswege darüber entscheidet, wie der Verpflichtung nachzukommen ist.

Beachtlich ist zwar, dass die Kosten der Kampfmittelbeseitigung als solche von der öffentlichen Hand – der örtlichen Ordnungsbehörde (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 19. März 2015 – 6 K 7535/13 – zitiert nach juris) – getragen werden. Nach Ziffer 2 des Runderlasses des Innenministeriums – 75-54.01- vom 09.11.2007 (Kampfmittelbeseitigung, Erstattung der anfallenden Kosten) in Verbindung mit §§ 19 Abs. 1 Nr. 1 AKG, 1004 BGB tragen der Bund und die Länder als staatliche Stellen aber nur die Kosten für die eigentliche Kampfmittelbeseitigung, d. h. nur die Kosten, die zur Beseitigung einer „unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben” erforderlich sind. Die Gefahrenerforschung wird von den zuständigen Stellen (Land, Kommunen) grundsätzlich kostenfrei wahrgenommen. Die aus der Kampfmittelbeseitigung entstehenden Kosten trägt das Land NRW.

Aber alle die Kampfmittelbeseitigung vorbereitenden oder sonst begleitenden Maßnahmen werden von § 19 Abs. 2 Ziff. 1 AKG nicht erfasst, sondern sind nach den Vorschriften des Ordnungsbehördengesetzes NRW in Verbindung mit § 1004 BGB von der örtlichen Ordnungsbehörde bzw. vom Grundstückeigentümer auf dessen Kosten zu erledigen. Hier kommen insbesondere die Kosten für den Abbruch bereits erstellter Gebäudeteile und deren Wiederherstellung oder Bohrungen durch die Bodenplatte eines Gebäudes in Betracht.

b)

Dass die Klägerin – gestützt auf ihre eigene Berechnung (Anlage K8, Bl. 451 d.A.) – nunmehr eine Leistungsklage erheben könnte, steht der Zulässigkeit des Feststellungantrags nicht entgegen.

Befindet sich ein anspruchsbegründender Sachverhalt im Zeitpunkt der Klageerhebung noch in der Entwicklung, so steht der Umstand, dass im Zeitpunkt der Klageerhebung eine teilweise Bezifferung möglich ist, der Bejahung des Feststellungsinteresses jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Anspruch seiner Natur nach sinnvollerweise erst nach Abschluss seiner Entwicklung beziffert werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2016 – VI ZR 506/14 – zitiert nach juris); der Geschädigte kann zwar hinsichtlich des bereits bezifferbaren Teils des Schadens Leistungsklage und im Übrigen Feststellungsklage erheben (vgl. Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 256 ZPO Rn. 7a). Er muss dies aber nicht.

Ist – wie hier – die Feststellungsklage nach diesen Grundsätzen zulässig erhoben worden, braucht der Kläger auch dann nicht zur Leistungsklage überzugehen, wenn im Laufe des Rechtsstreits der gesamte Schaden bezifferbar wird (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2011 − VIII ZR 212/08 – NJW 2011, 3361; BGH, Urteil vom 4. 11. 1998 – VIII ZR 248/97 – NJW 1999, 639; Bacher, in: BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, Stand: 01.03.2021, § 256 ZPO Rn. 27).

4.

Der Feststellungsantrag ist auch begründet.

Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nach §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB auf Ersatz der der Klägerin entstehenden Mehrkosten, die ihr dadurch entstanden sind bzw. entstehen werden, dass die Beklagte vor Ausführung des Bauvorhabens A-Straße es versäumt hat, den Antrag auf Kampfmittelüberprüfung zu stellen bzw. darauf hinzuweisen, dass ein solcher Antrag erforderlich sein könnte, zu.

a)

Die Planungsleistung der Beklagten ist bereits deswegen mangelhaft, weil ein Kampfmittelverdacht hinsichtlich der mit den Neubauten überbauten Grundstücksflächen besteht.

aa)

Die Beklagte war auch ohne ausdrückliche Vereinbarung im Hinblick auf die Kampfmittelfreiheit verpflichtet, das Problem der Kampfmittelüberprüfung zu berücksichtigen. Insofern kann dahinstehen, ob die Beklagte letztlich für die Leistungsphase 1, in deren Umfang sie unter anderem den Baugrund abzuklären hatte (vgl. OLG Rostock, Urteil vom 03. März 2010 – 2 U 68/07 – zitiert nach juris), ein Honorar berechnet oder insofern diese Leistungsphase in ihrer Schlussrechnung „auf Null“ gesetzt hat. Denn spätestens mit der Baugenehmigungsantragstellung – Leistungsphase 4 – hätte die Beklagte die Klägerin auf die Nachweispflicht des § 16 BauO NRW a.F. bzw. auf die Notwendigkeit zur Feststellung der Kampfmittelfreiheit durch die zuständige Stelle gemäß den dargestellten gesetzlichen Vorgaben hinweisen müssen.

Denn die Berücksichtigung der Kampfmittelproblematik durch die Beklagte war erforderlich, da dies aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen zur sachgerechten Umsetzung des Bauvorhabens aus dem Pflichtenkreis der Klägerin als Bauherrin erforderlich erschienen ist und die Beklagte nicht davon ausgehen konnte, dass die Kampfmittelprüfung bereits stattgefunden hatte. Dies gilt insbesondere deswegen, weil es sich um ein Großprojekt mit zahlreichen Wohnungen handelt und eine große Personenzahl gefährdet sein kann.

(1)

Der Einwand der Beklagten, dass es sich um eine mangels gesonderter Vereinbarung nicht geschuldete „Besondere Leistung“ der Standortanalyse gehandelt habe, verfängt nicht.

Besondere Leistungen sind solche, die erforderlich sind, um besonderen Anforderungen des Auftrags gerecht zu werden, für deren Erfüllung der Katalog der Leistungen, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags im Allgemeinen erforderlich sind, nicht ausreicht (vgl. Wirth, in: Korbion/Mantscheff/Vygen, Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, 8. Auflage 2013, § 3 HOAI Rn. 46). Zutreffend verweist die Beklagte zwar darauf, dass die Standortanalyse (Ziffer 2.6.1 der Anlage 2 § 3 Abs. 3 in der hier vom 18.08.2009 bis 16.07.2013 geltenden und damit maßgeblichen HOAI 2009, so auch Ziffer 10. 1 LPH 1 Grundlagenermittlung der Anlage 10 zu §§ 34 Abs. 4, 35 Abs. 7 HOAI 2013) eine „Besondere Leistung“ ist. Eine „Standortanalyse“ stellt indes eine betriebswirtschaftliche Aufgabe dar; sie steht im Zusammenhang mit der Standortplanung und Standortsuche (vgl. Seifert/G, in: G/Berger/Seifert, HOAI, 1. Auflage 2016, § 34 HOAI Rn. 48; Seifert/G, in: G/Berger/Seifert, Beck’scher HOAI- und Architektenrechtskommentar, 2. Auflage 2020, § 34 HOAI Rn. 48). Zum einen können darunter immobilienwirtschaftliche Untersuchungen zur Frage der Vermarktungsmöglichkeiten durch Verkauf, Vermietung oder Verpachtung an einem angedachten oder noch zu findenden Standort zu verstehen sein; es kann aber auch darum gehen, den idealen Standort für ein Unternehmen herauszufinden (vgl. Seifert/G, in: G/Berger/Seifert, HOAI, 1. Auflage 2016, § 34 HOAI Rn. 48; Seifert/G, in: G/Berger/Seifert, Beck’scher HOAI- und Architektenrechtskommentar, 2. Auflage 2020, § 34 HOAI Rn. 48). Dafür müssen zunächst Kriterien für Standortfaktoren gebildet und ein Anforderungsprofil definiert werden (vgl. Seifert/G, in: G/Berger/Seifert, HOAI, 1. Auflage 2016, § 34 HOAI Rn. 48; Seifert/G, in: G/Berger/Seifert, Beck’scher HOAI- und Architektenrechtskommentar, 2. Auflage 2020, § 34 HOAI Rn. 48). Ist – wie hier – ein Grundstück bereits gefunden, kann analysiert werden, ob dieses den gestellten Anforderungen genügt (vgl. Seifert/G, in: G/Berger/Seifert, HOAI, 1. Auflage 2016, § 34 HOAI Rn. 48; Seifert/G, in: G/Berger/Seifert, Beck’scher HOAI- und Architektenrechtskommentar, 2. Auflage 2020, § 34 HOAI Rn. 48).

Hieraus aber folgt, dass es sich bei der Frage der Kampfmittelfreiheit gerade nicht um eine „Standortanalyse“, sondern um die Beurteilung der Frage handelt, ob das bereits ausgewählte Grundstück erst nach Abklärung der Kampfmittelbelastung bebaubar ist; damit aber handelt es sich jedenfalls um eine Grundleistung der Leistungsphase 2. Nach § 5.2 Satz 3 des Architektenvertrages war die Beklagte zudem ausdrücklich verpflichtet, auf Bedenken gegen die Umsetzbarkeit der Planung hinzuweisen.

(2)

Nach den konkreten Umständen bestand die Pflicht des Bauherren und damit der Beklagten, eine Kampfmittelbelastung abklären zu lassen.

Nach § 16 Abs. 1 BauO NRW in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung (im Folgenden a.F., entspricht § 13 Abs. 1 BauO NRW n.F.) muss der Bauherr vor Beginn eines Bauvorhabens die Kampfmittelfreiheit nachweisen. § 16 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW a.F. fordert, dass Baugrundstücke für die jeweiligen baulichen Anlagen entsprechend geeignet sein müssen. Das betrifft neben der Beschaffenheit des Grund und Bodens (vor allem Ungeeignetheit wegen Altlasten, Lage im Überschwemmungsgebiet oder Strahlenbelastung) auch die vorgesehene Nutzung (vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte u.a., in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte u.a., Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, 59. Update Januar 2021, 4. Geeignetheit von Baugrundstücken, § 16 Rn. 44). Auch nach Ziffer 2 Satz 1 der Richtlinie müssen Baugrundstücke im Hinblick auf ihre Kampfmittelfreiheit für bauliche Anlagen geeignet sein.

Die Klägerin hat zweitinstanzlich – unwidersprochen – vorgetragen, dass das Grundstück in der Einflugschneise der Bomber im Zweiten Weltkrieg lag, B im Zweiten Weltkrieg zu über 90 % zerstört wurde und sich überdies am Anfang des F-Sees in der Nähe zum Bauprojekt ein bekanntes Gauhaus befand, dass sogar erklärtes Ziel der Alliierten war. Soweit die Beklagte vorträgt, dass sich das Bauvorhaben am südlichen Ende des F-Sees und damit fernab vom Zentrum der Stadt B befinde und die größten Zerstörungen die B Altstadt betroffen hätten, ist nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin davon auszugehen, dass wegen der erheblichen Mengen an abgeworfenen Bomben im gesamten Stadtgebiet mit Blindgängern zu rechnen ist. Dass nach Kriegsende eine Erschließung durch zwei Straßen erfolgte, führt ebenfalls nicht zur zwingenden Annahme, dass anlässlich der Planung und Errichtung dieser Straße eine Kampfmittelüberprüfung erfolgt war, zumal die festgestellte Bombenblindgängereinschlagsstelle VP #### sich auf dem Gelände, nicht aber auf den Erschließungsstraßen befindet.

(3)

Die Beklagte konnte auch nicht davon ausgehen, dass die Kampfmittelfreiheit bereits geklärt war.

(a)

Aus der Baugenehmigung (Anlage BLD 2, Bl. 93-98 d.A. = Anlage BLD 3, Bl. 171-176 d.A.) konnte die Beklagte nicht entnehmen, dass die Kampfmittelfreiheit im Genehmigungsverfahren geprüft worden war. Dies gilt unabhängig davon, ob die Beklagte das der Baugenehmigung anliegende Merkblatt (Anlage E1, Bl. 148 f. d.A.) erhalten hat. Die Baugenehmigung wurde nämlich nach § 63 BauO NRW a.F.  (entspricht § 60 BauO NRW n.F.) erteilt. Nach Ziffer 3 Abs. 2 der Richtlinie wird die Gemeinde gemäß Nr. 16.22 Verwaltungsvorschrift zur Landesbauordnung (VV BauO NRW) vom 12. Oktober 2000 (SMBl. NRW. 23210) im Baugenehmigungsverfahren von der Bauaufsichtsbehörde beteiligt. Nach Nr. 16.22 Abs. 2 VV BauO NRW sind allein Baugenehmigungen für Sonderbauten nach § 68 Abs. 1 Satz 3 BauO NRW, die Bauvorhaben mit nicht unerheblichen Erdeingriffen in Kampfmittelverdachtsflächen betreffen, eine Nebenbestimmung anzufügen, wonach mit dem Beginn der Bauarbeiten erst begonnen werden darf, wenn hiergegen seitens der für die Räumung von Kampfmitteln zuständigen Stellen keine Einwände erhoben werden. Der feststellende Teil der Baugenehmigung, der die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit dem geltenden Recht bestätigt, bleibt unangetastet, der verfügende Teil, der die sogenannte „Baufreigabe” beinhaltet, wird damit aufschiebend bedingt. Nur bei Sonderbauten erhält der Bauherr damit einen ausdrücklichen Hinweis, da dort die Kampfmittelüberprüfung Teil des Baugenehmigungsverfahrens ist. Vorliegend ist indes kein Sonderbau betroffen, da in der Baugenehmigung auf die Regelung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach § 68 Abs. 2 BauO NRW abgestellt wird, so dass ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren gemäß § 68 BauO NRW durchgeführt worden ist. Nach Nr. 16.22 Abs. 3 VV BauO NRW wird aber im vereinfachten Genehmigungsverfahren § 16 BauO NRW a.F. von der Bauaufsichtsbehörde nicht geprüft.

(b)

Auch die Tatsache, dass im Bebauungsplan keine Hinweise auf eine mögliche Kampfmittelbelastung genannt waren, war nicht aussagekräftig, weil der Bebauungsplan aus dem Jahre 1974 stammte.

Nach Ziffer 3.1 Abs. 3 der Richtlinie ist zwar bei der Aufstellung von Bebauungsplänen der Kampfmittelbeseitigungsdienst im Rahmen der Beteiligung der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange zu beteiligen; er wertet die Kampfmittelbelastung für die gesamte Fläche aus und teilt das Auswertungsergebnis und das staatliche Handlungserfordernis der Gemeinde mit. Die betroffenen Flächen sollen nach § 9 Abs. 5 BauGB im Bebauungsplan gekennzeichnet werden.

Allerdings stammen die vorgenannten Normen erst auf der Zeit nach Erlass des Bebauungsplans; § 9 Abs. 5 BauGB wurde mit Gesetz vom 08.12.1986 (BGBl. I S. 2191) zum 01.07.1987 neu gefasst und die Richtlinie datiert vom 08.05.2006. Die textlichen Ergänzungen zum Bebauungsplan vom 08.11.2010 (Anlage E2, Bl. 150 d.A.) bezogen sich auf einen gänzlich anderen Punkt, nämlich die Einsichtnahmemöglichkeit in DIN-Vorschriften.

(c)

Auch aus dem Inhalt des Baugrundgutachtens konnte die Beklagte nicht darauf schließen, dass die Frage der Kampfmittelbelastung geklärt war.

Unstreitig hat die Klägerin zwar das Baugrundgutachten vom 03.03.2011 (Anlage B2, Bl. 46-71 d.A.) eingeholt. Indes hat das Landgericht zutreffend darauf verwiesen, dass hiermit Baugrunduntersuchungen durchgeführt und ein Vorbericht zum geotechnischen Gutachten ausgearbeitet werden sollte. Die Zielrichtung des Gutachtens war daher Auskunft über den Aufbau des Baugrunds und dessen bodenmechanische Eigenheiten wie z. B. seine Tragfähigkeit oder sein Setzungsverhalten zu geben und Erkenntnisse zum Grundwasservorkommen sowie der ggf. benötigten Bodenverbesserung zu liefern. Auch die Beklagte hat durch ihren Parteivertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt, dass es nicht Auftrag des Geologen ist, die Kampfmittelfreiheit zu untersuchen.

Soweit zur Erstellung des Baugrundgutachtens 30 Rammkernsondierungsbohrungen auf der kompletten Fläche durchgeführt worden sind, konnte die Beklagte aber weder annehmen, dass vor den Rammkernsondierungsbohrungen eine Kampfmittelüberprüfung stattgefunden hatte, noch dass bei den Rammkernsondierungsbohrungen Blindgänger aufgefallen wären, da Kampfmittel –weil sie in der Regel ferromagnetisch sind – mittels Magnetometern (vgl. Ziffer 5 der Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen) durch Oberflächen- oder Bohrlochdetektion oder Tiefensondierung, nicht aber durch Rammkernsondierungsbohrungen ermittelt werden. Dass anlässlich der Rammkernsondierungsbohrungen keine Detonation ausgelöst worden ist, bietet keine tragfähige Grundlage für die Annahme, dass deswegen von einer Kampfmittelfreiheit auszugehen ist, da es ebenso denkbar ist, dass zwar Kampfmittel vorhanden sind, aber aufgrund eines glücklichen Zufalls die durch die Rammkernsondierungsbohrungen bewirkten Erschütterungen nicht zur Detonation geführt haben.

(d)

Dass die Klägerin das Altgebäude samt Keller hatte abreißen lassen, war für die Beklagte ebenfalls nicht hinreichend aussagekräftig dafür, dass zuvor eine Kampfmittelüberprüfung stattgefunden haben könnte.

Hierbei kann dahinstehen, ob für den Abbruch nach Ziffer 4 der Richtlinie kein Nachweis erforderlich war. § 16 Abs. 1 BauO NRW a.F. verlangt, dass Grundstücke für bauliche Anlagen geeignet sein müssen. Da es gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW a.F. für die Errichtung, die Änderung, die Nutzungsänderung, und den Abbruch baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW a.F. der Baugenehmigung bedarf, kommt es allein darauf an, ob mit dem Abbruch ein Erd- oder Bodeneingriff, also eine Maßnahme, bei der in den Boden eingegriffen werden soll, vorliegt. Die Beklagte hat unwidersprochen behauptet, auf dem kompletten Baugelände seien umfangreiche Erd- und Kanalbauarbeiten durchgeführt, das Grundstück in einer Tiefe von 1 m bearbeitet, der Boden ausgetauscht und der neu eingebaute Boden mit schwerem Gerät auf die erforderliche Tragfähigkeit verdichtet worden. Auch seien Kanäle um jeden der 4 Blöcke mit einer Tiefe von ca. 1,3 m erstellt, verfüllt und verdichtet worden.

Ist zu Gunsten der Beklagten davon auszugehen, dass vor der Ausführung der Abbrucharbeiten der Nachweis der Kampfmittelfreiheit hätte geführt werden müssen, war für die Beklagte jedenfalls unklar, ob eine Überprüfung tatsächlich stattgefunden hat, was erst recht gilt, wenn sie nach eigenem Vortrag die Abbrucharbeiten weder planerisch noch bauüberwachend begleitet hat. Dass bei den vorangehenden Abbrucharbeiten nichts passiert ist, schließt eine Kampfmittelbelastung nicht aus, sondern kann allein einer glücklichen Fügung geschuldet sein.

Gleiches gilt sinngemäß für die in der Vergangenheit nach 1945 und insbesondere im Jahre 1972 ausgeführten Baumaßnahmen auf dem Grundstück, da die hierbei bewirkten Erschütterungen auch aufgrund eines glücklichen Zufalls nicht zur Detonation im Erdboden verbliebener, aber unentdeckt gebliebener Kampfmittel geführt haben könnten.

(e)

Überdies ist die Beklagte auch nach eigenem Vortrag nicht davon ausgegangen, dass die Frage der Kampfmittelfreiheit geklärt war.

Denn ihr Projektleiter, der Zeuge G, soll nach bestrittenem Vortrag der Beklagten bei der zuständigen Sachbearbeiterin der Streithelferin, der Zeugin E, telefonisch nachgefragt haben. Eine solche Nachfrage wäre indes entbehrlich gewesen, wenn aus Sicht der Beklagten die Frage der Kampfmittelfreiheit hinreichend geklärt gewesen wäre.

Der Zeuge G hat zudem im Rahmen seiner zeugenschaftlichen Vernehmung bekundet, dass sie, die Beklagte, seinerzeit vom Rohbauunternehmen H die Nachfrage erhalten habe, ob Kampfmittelfreiheit bestehe. Die Beklagte habe der Anfrage des Rohbauunternehmen sicherheitshalber nachgehen wollen, so dass er deswegen fernmündlich nachgefragt habe. Damit aber war auch aus Sicht des Zeugen G die Frage der Kampfmittelfreiheit nicht hinreichend sicher geklärt, anderenfalls es keinen Anlass für diese fernmündliche Nachfrage gegeben haben könnte.

bb)

Die Klägerin war hinsichtlich der Notwendigkeit einer Kampfmittelüberprüfung aufklärungsbedürftig.

Ein Hinweis könnte zwar entbehrlich gewesen sein, wenn die Klägerin Kenntnis von der Kampfmittelfreiheitnachweispflicht gehabt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 – VII ZR 8/10 – NJW 2011, 1442; OLG Düsseldorf, Urteil vom 24. März 2015 – I-21 U 62/14 – zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Februar 2011 – I-23 U 218/09 – zitiert nach juris, jeweils zur Bedenkenhinweispflicht).

Eine solche Kenntnis ist indes weder dargetan, noch anderweit erkennbar. Der Parteivertreter der Klägerin, Herr I, hat im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat unwidersprochen vorgetragen, dass der Klägerin bei dem streitgegenständlichen Objekt das Kampfmittelproblem nicht bekannt gewesen sei. Erst in den Jahren hiernach sei die Klägerin anlässlich anderer Bauvorhaben von den jeweils damit betrauten Planungsbüros „vehement“ auf die Erforderlichkeit der Stellung eines Antrags zur Kampfmittelfreiheitsüberprüfung hingewiesen worden.

Zwar hat die Klägerin das Merkblatt (Anlage E1, Bl. 148-149 d.A.) erhalten. Die hierin enthaltenen Angaben waren zu den Voraussetzungen einer Kampfmittelüberprüfung aber derart wenig aussagekräftig, dass die Klägerin keine gesicherte Kenntnis von der Erforderlichkeit der Kampmittelüberprüfung haben konnte. Im Merkblatt ist lediglich die Rede von „ggf. vorhandener Kampfmittel“, deretwegen „vor Beginn der Ausschachtungsarbeiten Verbindung mit der städtischen Feuerwehr – Abteilung Vorbeugender Brandschutz…aufzunehmen“ sei. Da aber das Merkblatt keine Aussage dazu enthält, ob im Vorfeld eine Abstimmung oder gar der Nachweis der Kampfmittelfreiheit erforderlich ist, vermag der Zugang bei der Klägerin keine Kenntnis von der Kampfmittelnachweispflicht zu begründen. Ungeachtet dessen konnte die Klägerin davon ausgehen, dass sich die Beklagte um die Kampfmittelproblematik kümmern oder ihr zumindest einen Hinweis auf das Erfordernis der Kampfmittelüberprüfung erteilen würde.

cc)

Die Beklagte hat die Klägerin weder über die Relevanz der Kampfmittelüberprüfung beraten noch anderweit das Problem der Kampfmittelfreiheit hinreichend abgeklärt.

(1)

Unstreitig hat die Beklagte die Klägerin nicht auf die Erforderlichkeit der Stellung eines Antrags auf Kampfmittelüberprüfung hingewiesen.

(2)

Auch hat die Beklagte das Problem der Kampfmittelfreiheit vor Ausführung der Neubauarbeiten nicht hinreichend geklärt. Die Beklagte hat zwar behauptet, der Zeuge G habe bei der Zeugin E zu einem nicht mehr erinnerlichen Zeitpunkt angerufen und die Zeugin E habe ihm erklärt, dass keine Kampfmittelverdachtsfläche vorliege. Auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme steht aber fest, dass es ein derartiges Telefonat nicht gegeben hat und damit die Beklagte die Frage der Kampfmittelfreiheit nicht anderweit hinreichend geklärt hat.

Zwar hat der Zeuge G bekundet, dass es im Rahmen der Abwicklung des Bauvorhabens zwischen ihm und der Zeugin E mehrere Telefonate informeller Art zur Abklärung anstehender Fragen gegeben habe. Nachdem nach Hinweis des Rohbauunternehmens die Frage nach der Kampfmittelfreiheit „aufgepoppt“ sei, habe er bei der Bauaufsicht angerufen und dort von der Zeugin E die Erklärung erhalten, dass keine Kampfmittelverdachtsfläche vorliege.

Demgegenüber hat die Zeugin E jedoch bekundet, dass sie sich zwar an ein derartiges Gespräch nicht erinnern und es sein könne, dass es ein Telefonat gegeben habe, in dem die Frage hinsichtlich Kampfmittel aufgeworfen worden sei. Aber sie könne hierzu in einem Telefonat gar keine Aussage machen, so dass sie diesbezüglich keine Auskünfte erteile. Sie verfahre in dieser Weise in den letzten 30 Jahren, in denen sie bei der Streithelferin beschäftigt sei. Wenn sie also jemand anrufe, dann verweise sie den Anrufer an die Feuerwehr. Mehr könne sie hierzu nicht sagen, weil ihr kein Verzeichnis oder Ähnliches vorliege, anhand derer sie eine Kampfmittelbelastung bewerten könne. Hätte es also eine Nachfrage der Beklagten gegeben, hätte sie die Beklagte an die intern zuständige Feuerwehr verwiesen.

Der Senat folgt der glaubhaften Bekundung der Zeugin E. Sie hat zunächst einen nachvollziehbaren und damit plausiblen Grund dafür genannt, weswegen sie grundsätzlich keine entsprechenden Auskünfte am Telefon erteile. Nicht nur sei nach ihrer Aussage die Feuerwehr für die Beantwortung derartiger Fragen zuständig. Vielmehr könne sie auch gar keine verlässliche Auskunft erteilen, weil ihr überhaupt keine entsprechenden aussagekräftigen Unterlagen vorlägen. Auch vor dem Hintergrund einer engen Abstimmung zwischen den Mitarbeitern der Beklagten und ihr hätte sie eine derartige Auskunft weder erteilt noch erteilen können. Für die Richtigkeit ihrer Bekundung streitet auch, dass sie entsprechende Unsicherheiten offen zugegeben und nicht etwa in Abrede gestellt hat, dass es ein derartiges Telefonat gegeben haben kann, in dem die Beklagte die Frage der Kampfmittelbelastung gestellt hat.

Der Umstand, dass der Zeuge G bekundet hat, die Zeugin E habe ihm erklärt, dass keine Kampfmittelverdachtsfläche vorliege, streitet nicht gegen die inhaltliche Richtigkeit ihrer Aussage. Denn die Aussage des Zeugen G weist Plausibilitätsdefizite auf. Nach der Bekundung des Zeugen G sei die Frage der Kampfmittelfreiheit erst aufgrund der Nachfrage des Rohbauunternehmens „aufgepoppt“, weswegen sich die Beklagte veranlasst gesehen habe „sicherheitshalber“ bei der Bauaufsicht nachzufragen. Ist die Beklagte jedoch bis zur Nachfrage des Rohbauunternehmen nach eigenem Vortrag davon ausgegangen, dass entweder keine Kampfmittelproblematik vorliegt oder aber die Frage der Kampfmittelfreiheit bereits geklärt war, ist unplausibel, weswegen sie dann dem Rohbauunternehmen nicht ihre entsprechende Erkenntnis mitgeteilt, sondern – aus ihrer Sicht in unnötiger Weise – weitere Ermittlungen angestellt haben will. Insofern hätte es nahegelegen, dass die Beklagte dem Rohbauunternehmen mitgeteilt hätte, dass die Frage der Kampfmittelfreiheit geklärt war bzw. keine Kampfmittelproblematik vorlag. Denn der Zeuge G hat ausgesagt, dass für ihn die Frage der Kampfmittelfreiheit „eh klar“ gewesen sei. Warum trotz dieser bestehenden Klarheit, dass keine Kampfmittelproblematik gegeben war, gleichwohl weiterer Handlungsbedarf bei der Beklagten gesehen worden ist, erschließt sich mithin nicht. Überdies erscheint wenig nachvollziehbar, dass die Beantwortung der Anfrage des Rohbauunternehmen – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es weitere Anfragen hinsichtlich anderer Umstände gegeben hatte – nicht dokumentiert worden ist. Ein Vermerk hinsichtlich des Telefonats ist nach Bekundung des Zeugen G nicht gefertigt worden. Unterlagen, aus denen sich die Beantwortung der Frage nach der Kampfmittelfreiheit ergeben konnte, soll es nach Aussage des Zeugen G nicht geben. Dass also das Rohbauunternehmen gerade vor dem Hintergrund des Umfangs des Bauvorhabens auf eine schriftliche Beantwortung der gestellten Frage nach der Kampfmittelfreiheit verzichtet haben könnte, erscheint kaum lebensnah.

Allein der Umstand, dass es sich bei der Zeugin E um eine Mitarbeiterin der Streithelferin handelt, streitet nicht gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin E.

Da mithin aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme feststeht, dass die Beklagte gerade nicht bei der Zeugin E und damit dem Bauordnungsamt hinsichtlich der Kampfmittelproblematik nachgefragt hat, steht ebenfalls fest, dass die Beklagte die Kampfmittelfreiheit nicht hinreichend abgeklärt hat. Insofern kann auch dahinstehen, ob der von der Beklagten behauptete Anruf überhaupt ausreichend gewesen wäre, um anzunehmen, dass die Beklagte nicht pflichtwidrig oder jedenfalls nicht schuldhaft gehandelt haben könnte. Da feststeht, dass sich die Beklagte gerade nicht bei der Zeugen E nach der Kampfmittelfreiheit erkundigt hat, bleibt es bei der Pflichtwidrigkeit ihres Verhaltens und dabei, dass sie den ihr nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB obliegenden Beweis (vgl. Lorenz, in: BeckOK BGB, Hau/Poseck, Stand: 01.02.2021, § 280 BGB Rn. 78) des Nichtvertretenmüssens nicht erbracht hat.

b)

Das Unterlassen der Antragstellung bzw. des an die Klägerin zu erteilenden Hinweises auf die Kampfproblematik ist auch schadensursächlich geworden.

aa)

Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin, wenn sie ordnungsgemäß von der Beklagten auf die Pflicht nach § 16 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW zum Nachweis der Kampfmittelfreiheit hingewiesen worden wäre, einen Antrag auf Kampfmittelüberprüfung vor Beginn der eigentlichen Arbeiten zur Errichtung des Neubaus gestellt hätte. Da die Beklagte eine Hinweispflicht verletzt hat, muss sie darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung dem Rat nicht gefolgt wäre, sie also keinen Antrag auf Kampfmittelüberprüfung gestellt hätte, so dass es ebenfalls zu dem Schaden gekommen wäre. An einer solchen Darlegung fehlt es. Zudem streitet eine Vermutung beratungsgerechten Verhaltens für die Klägerin (vgl. Ernst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 280 Rn. 149), so dass davon auszugehen ist, dass die Klägerin einen entsprechenden Antrag auf Überprüfung gestellt hätte, zumal angesichts des erheblichen Umfangs der Neubaumaßnahmen nicht ernsthaft angenommen werden kann, dass die Klägerin das Risiko eingegangen wäre, ohne Abklärung der Kampfmittelproblematik die Gebäude zu errichten und damit die – sich letztlich tatsächlich realisierte – Gefahr in Kauf zu nehmen, im Nachhinein Gebäude teilweise abreißen oder jedenfalls nur mit erheblichem zusätzlichen Aufwand die Kampfmittelüberprüfung durchführen lassen zu können.

Hätte die Beklagte alternativ statt des gebotenen Hinweises selbst den Antrag gestellt, so wäre eine Kampfmittelüberprüfung vor Beginn der Neubauarbeiten erfolgt. Vor diesem Hintergrund kann der Senat es dahinstehen lassen, ob die unterlassene Antragstellung durch die Beklagte oder die unterlassene Hinweiserteilung sich schadensursächlich ausgewirkt hat, weil in beiden Fällen der Schaden adäquat kausal verursacht worden wäre.

Wäre entweder aufgrund des gebotenen Hinweises der Beklagten ein Antrag durch die Klägerin auf Kampfmittelüberprüfung bei der zuständigen Ordnungsbehörde gestellt worden oder aber ein Antrag durch die Beklagte selbst eingereicht worden, hätte die bei der Streithelferin zuständige Abteilung die Angelegenheit an die Bezirksregierung Arnsberg weitergeleitet. Der Einwand der Beklagten, dass im Falle der Stellung eines Antrags auf Kampfmittelüberprüfung gerade keine Weiterleitung an die Bezirksregierung Arnsberg erfolgt wäre, verfängt angesichts der feststehenden Umstände nicht. Im Falle einer Antragstellung wäre zunächst die Feuerwehr der Streithelferin mit der Angelegenheit befasst worden. Beachtlich ist hierbei, dass die Feuerwehr, die die Streithelferin gemäß §§ 1 Abs. 1, 10 Abs. 1 Satz 2 Feuerschutzhilfeleistungsgesetz (FSHG) in der vom 21.02.2004 bis 31.12.2015 geltenden Fassung zu unterhalten hatte, zwar auch Aufgaben der Gefahrenabwehr erfüllte, in Nordrhein-Westfalen indes keine (Sonder-)Ordnungsbehörde (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 28.05.2010 – 11 U 304/09 – BeckRS 2010, 16648; OLG Hamm, Urteil vom 15.06.1988 – 11 U 295/87 – BeckRS 2015, 19436), sondern lediglich eine Untergliederung der Ordnungsbehörde, also der Streithelferin, ist. Insofern wäre ein entsprechender Antrag intern an die Feuerwehr weitergeleitet worden, die dann die Bezirksregierung Arnsberg eingeschaltet hätte. Anhaltspunkte dafür, dass die Streithelferin es gleichwohl unterlassen hätte, auf einen entsprechend gestellten Antrag hin die Bezirksregierung Arnsberg einzuschalten, sind weder erkennbar noch dargetan. Insbesondere hat die Zeugin E bekundet, dass der intern zuständigen Feuerwehr zwar auch Luftbildaufnahmen vorlägen; indes liege der Feuerwehr nur ein Teil der Luftbildaufnahmen vor, so dass die Feuerwehr gerade wegen des Umstandes, dass ihr nicht sämtliche Luftbildaufnahmen vorliegen, ohne Einschaltung der Bezirksregierung Arnsberg überhaupt nicht verlässlich beurteilen konnte, ob sich ein Blindgängerverdachtspunkt ergeben könnte.

bb)

Soweit die Beklagte behauptet, dass selbst dann, wenn sie sich direkt an die Feuerwehr gewandt hätte, ihr die Feuerwehr die Auskunft erteilt hätte, dass keine Kampfmittelverdachtsfläche vorliege, unterstellt die Beklagte, dass die Feuerwehr ihr eine falsche Auskunft gegeben hätte. Hierfür sind indes keinerlei Umstände erkennbar oder dargetan, zumal aufgrund bestehenden Gesetzesbindung der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 GG, gerade nicht ohne weiteres angenommen werden kann, dass die Feuerwehr entgegen ihrer Pflicht zur Erteilung einer richtigen Auskunft eine falsche Auskunft erteilt hätte. Denn wie bereits ausgeführt, lag der Feuerwehr nur ein Teil der Luftbildaufnahmen vor, so dass die Annahme, die Feuerwehr hätte gleichwohl auf einer erkannt unsicheren Auswertungsgrundlage eine verbindliche, aber im Ergebnis unzutreffende Auskunft erteilt, einer tragfähigen Grundlage entbehrt.

cc)

Nach der eingeholten amtlichen Auskunft der Bezirksregierung Arnsberg (Bl. 163-164 d.A.) steht fest, dass bei einer entsprechenden Antragstellung auf Kampfmittelüberprüfung eine Luftbildauswertung vorgenommen worden und auch im Jahre 2012 ein entsprechender Blindgängerverdachtspunkt aufgefallen und das Grundstück deshalb als Verdachtsfläche eingestuft worden wäre. Soweit die Beklagte einwendet, dass auch bei einem rechtzeitigen Hinweis und Stellung eines Antrags auf Kampfmittelüberprüfung angesichts des seinerzeitigen Standes der Technik entsprechende Erkenntnisse oder Hinweise auf eine Kriegsbeeinflussung aus dem 2. Weltkrieg im Zeitpunkt der Planung ohnehin nicht vorgelegen hätten, ist dies durch den Inhalt der amtlichen Auskunft vom 21.11.2019 (Bl. 163-164 d.A.) widerlegt, da sich hiernach die Auswertemethodik und die Qualität der Bilder seit 2012 nicht verändert hätten. Dann aber wären bei entsprechender Antragstellung vor dem Baubeginn entsprechende Sondierungsmaßnahmen veranlasst worden.

c)

Zutreffend hat das Landgericht auch einen Schaden bejaht. Wie bereits ausgeführt, tragen der Bund und die Länder nach Ziffer 2 des Runderlasses des Innenministeriums – 75-54.01- vom 09.11.2007 (Kampfmittelbeseitigung, Erstattung der anfallenden Kosten) in Verbindung mit §§ 19 Abs. 1 Nr. 1 AKG, 1004 BGB nur die Kosten für die eigentliche Kampfmittelbeseitigung. Alle die Kampfmittelbeseitigung vorbereitenden oder sonst begleitenden Maßnahmen werden von § 19 Abs. 2 Ziff. 1 AKG nicht erfasst, sondern sind nach den Vorschriften des Ordnungsbehördengesetzes NRW in Verbindung mit § 1004 BGB vom Grundstückeigentümer auf dessen Kosten zu erledigen. Bezugsebene für die Bewertung der Kampfmittelbelastung nach Ziffer 2 Satz 10 der Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen ist die Geländeoberkante zum 08.05.1945, woraus folgt, dass zwar diejenigen Kosten, die dadurch entstanden sind oder entstehen, dass nach den Abbrucharbeiten das Gelände über der Bezugsebene entsprechend verfüllt oder verdichtet worden ist, nicht von der Beklagten zu tragen sind. Ersatzfähig sind indes diejenigen Mehrkosten, die gerade dadurch entstanden sind oder entstehen, dass vor dem Beginn der eigentlichen Bauarbeiten kein Antrag auf Kampfmittelüberprüfung gestellt worden ist und deswegen Gebäude entweder teilweise rückgebaut werden müssen oder aber aufgrund der nunmehr bestehenden Bebauung nur mit erheblichem zusätzlichem Aufwand Kampfmittelüberprüfungsarbeiten möglich sind.

d)

Ein anspruchsminderndes Mitverschulden der Klägerin im Sinne des § 254 BGB ist nicht gegeben.

aa)

Soweit die Beklagte meint, ein Mitverschulden der Klägerin sei deswegen anzunehmen, weil sie vor Vornahme der Abbrucharbeiten verpflichtet gewesen sei, einen entsprechenden Antrag auf Kampfmittelüberprüfung zu stellen, ist beachtlich, dass die Klägerin mit ihren Abbrucharbeiten einen Zustand geschaffen hat, bei dem der Kampfmittelbeseitigungsdienst sogar in deutlich leichterer Weise die Bodensondierung hätte durchführen können. Denn durch den Abriss der vorhandenen Bebauung ist der Zugang zur maßgeblichen Bezugsebene für die Bewertung der Kampfmittelbelastung deutlich erleichtert worden. Erst infolge der Neubebauung ohne vorherige Abklärung der Kampfmittelbelastung ist der Zugang zur Bezugsebene durch die Bebauung erheblich erschwert worden und kann nur noch durch aufwändige Maßnahmen wieder gewährleistet werden, wobei dahinstehen kann, ob ein Abriss des auf dem Blindgängerverdachtspunkt aufstehenden Gebäudes oder ein großräumiger Aufbruch der Bodenplatte des Gebäudes erforderlich sein wird oder aber eine seitliche Ausschachtung neben dem Gebäude mit einer horizontalen Beprobung sich als ausreichend erweisen sollte.

bb)

Ein Mitverschulden kann auch nicht damit begründet werden, dass die Klägerin es nach bestrittenem Vortrag der Beklagten unterlassen hätte, der Beklagten das Merkblatt (Anlage E1, Bl. 148 f. d.A.) zu übermitteln. Wie bereits ausgeführt, war hierin zwar ein allgemeiner Hinweis zu Kampfmittelüberprüfung enthalten; die Angaben zur Erforderlichkeit und Voraussetzungen einer Kampfmittelüberprüfung waren indes – wie bereits gezeigt – wenig aussagekräftig und hätten die Beklagte nicht zwingend auf die Erforderlichkeit einer Kampfmittelüberprüfung hingewiesen.

5.

Der Hilfsantrag der Beklagten auf Aufhebung und Zurückverweisung ist unbegründet. Als wesentliche Verfahrensmängel im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kommen insbesondere Verstöße gegen 286 ZPO in Betracht (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 13. Februar 2020 – 13 UF 127/17 – zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 09. Mai 2019 – 2 U 66/18 – zitiert nach juris). Hier ist das Vorbringen der Beklagten so zu verstehen, dass sie meint, das Landgericht habe in vorweggenommener Beweiswürdigung unter Berücksichtigung des Fehlens entsprechender Vermerke vom behaupteten Gespräch mit der Zeugin E festgestellt, dass es dieses Gespräch nicht gegeben habe. Ob bei unterstellter Richtigkeit des Vortrags der Beklagten von einem Verfahrensfehler auszugehen wäre, ist zweifelhaft, da das Landgericht gerade nicht unterstellt hat, dass es dieses Telefonat nicht gegeben habe, sondern das genaue Gegenteil. Es hat ausdrücklich ausgeführt, dass – den streitigen Anruf als erfolgt unterstellt – die Beklagte ihrer Pflicht nicht nachgekommen sei, weil sie bei der Feuerwehr hätte anrufen müssen. Indes kann dies dahinstehen, da keine aufwändige Beweisaufnahme droht, da vorliegend lediglich zwei Zeugen zu vernehmen waren.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97, 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Das Urteil hat keine über den Einzelfall hinausgehende, grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Kurz beleuchtet – Außerordentliches Kündigungsrecht des Auftraggebers

Kurz beleuchtet - Außerordentliches Kündigungsrecht des Auftraggebers

Nach bislang richterrechtlich geprägten Grundsätzen, die zwischenzeitlich. Eingang in die seit dem 1. Januar 2018 geltende, hier gemäß Art. 229 § 39 EGBGB noch nicht unmittelbar anwendbare Vorschrift des § 648a BGB gefunden haben, besteht in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 314 BGB ein – eine Vergütungspflicht für nicht erbrachte Leistungen ausschließendes – außerordentliches Kündigungsrecht des Auftraggebers, wenn der Werkunternehmer Vertragspflichten derart verletzt, dass das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört oder die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (vgl. nur BGH, NJW 2016, 1945 [1949], Rdnr. 40 mit weiteren Nachweisen; beispielhaft aus dem Schrifttum Joussen/Vygen in: Ingenstau/Korbion, VOB, 21. Aufl. 2020, vor §§ 8, 9 VOB/B Rdnr. 14).

Unabhängig von § 8 Abs. 3 VOB/B ist der Auftraggeber also nur dann berechtigt, das Vertragsverhältnis außerordentlich zu kündigen, wenn der Auftragnehmer seine Vertragspflichten in dem vorbezeichneten Sinn gravierend verletzt.

Ein solcher Sachverhalt kann auch gegeben sein, wenn es zu einer vom Auftragnehmer zu vertretenden ganz beträchtlichen Verzögerung des Bauvorhabens gekommen ist und es dem Auftraggeber bei der gebotenen Gesamtwürdigung nicht zugemutet werden kann, eine weitere Verzögerung durch Nachfristsetzung hinzunehmen oder eine solche von vornherein keinen Erfolg verspricht (BGH, Urteil vom 08. März 2012 –VII ZR 118/10). Eine vorherige Fristsetzung und Kündigungsandrohung ist in Fällen der schwerwiegenden Vertragsverletzung grundsätzlich nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 23. Mai 1996 – VII ZR 140/95). Eine fristlose Kündigung ohne Nachfristsetzung ist jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Auftragnehmer trotz Abmahnungen des Auftraggebers mehrfach und nachhaltig gegen eine Vertragspflicht verstößt und wenn das Verhalten des Auftragnehmers ein hinreichender Anlass für die Annahme ist, dass der Auftragnehmer sich auch in Zukunft nicht vertragstreu verhalten wird (BGH, Urteil vom 23. Mai 1996 –VII ZR 140/95). Insbesondere ist der Auftraggeber berechtigt, einen Bauvertrag aus wichtigem Grund zu kündigen, wenn der Auftragnehmer die Erfüllung des Vertrags unberechtigt und endgültig verweigert und es deshalb der vertragstreuen Partei nicht zumutbar ist, das Vertragsverhältnis fortzusetzen (BGH, Urteil vom 28. Oktober 1999 – VII ZR 393/98).

Kurz beleuchtet – Zur Prüffähigkeit der Schlussrechnung

Kurz beleuchtet - Zur Prüffähigkeit der Schlussrechnung

Prüfbar i. S. d. § 14 Nr. 1 VOB/B ist die Rechnung, wenn sie – ggf. unter Beifügung von Aufmaßen und anderen Unterlagen – nachvollziehbar angibt, welche Massen der Auftragnehmer für welche Positionen berechnet, welche Leistungen mit diesen Positionen gemeint sind und welcher Einheitspreis für sie angesetzt wird. Eine prüffähige Abrechnung setzt voraus, dass der Besteller die Berechtigung der Forderung, gemessen an den vertraglichen Vereinbarungen, überprüfen kann. Die Voraussetzungen, unter denen diese Prüfung möglich ist, hängen von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1999, Az. VII ZR 399/97, NJW 1999, 1867 [1868]). In vielen Fällen sind Aufmaßzeichnungen erforderlich, um dem Auftraggeber die Feststellung zu ermöglichen, worauf sich bestimmte Aufmaßblätter bzw. Aufmaßberechnungen beziehen (vgl. KG, Urteil vom 9. Juni 2009, Az. 21 U 182/0). Die Prüffähigkeit der Schlussrechnung ist aber kein Selbstzweck, sondern richtet sich danach, in welchem Umfang der Besteller im Einzelfall des Schutzes nach § 14 Nr. 1 VOB/B bedarf (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2005, Az. X ZR 191/02, NJW-RR 2005, 1103). Außerdem ist der Teil der Forderung fällig, der prüfbar abgerechnet ist und der nach Abzug der Abschlags- und Vorauszahlungen verbleibt (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2003, Az. VII ZR 288/02, NJW-RR 2004, 445 [446]).

VK Südbayern, Beschluss vom 19.10.2023 3194.Z3-3_01-23-20, zu der Frage, dass auch bei einer Dienstleistungskonzession bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten die Gefahr bestehen kann, dass der Konzessionsnehmer zu den von ihm angebotenen Konditionen die Leistung nur unzureichend erbringt oder zusätzliche Leistungen des Konzessionsgebers fordert

VK Südbayern, Beschluss vom 19.10.2023 3194.Z3-3_01-23-20, zu der Frage, dass auch bei einer Dienstleistungskonzession bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten die Gefahr bestehen kann, dass der Konzessionsnehmer zu den von ihm angebotenen Konditionen die Leistung nur unzureichend erbringt oder zusätzliche Leistungen des Konzessionsgebers fordert

1. Eine Rügepräklusion hinsichtlich der Wahl der falschen Verfahrensart kommt nicht in Betracht, wenn in den Vergabeunterlagen zwar Informationen zur Verfahrenswahl enthalten sind, diese jedoch nicht geeignet sind, der Antragstellerin eine in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ausreichende Grundlage zu vermitteln, einen Vergaberechtsverstoß betreffend die Wahl der Verfahrensart zu rügen. Um einschätzen zu können, ob der öffentliche Auftraggeber die richtige Verfahrensart gewählt hat, ob insbesondere eine Dienstleistungskonzession in Abgrenzung zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages vorliegt, bedarf es weitergehender Informationen, als dass gegebenenfalls Zuschusszahlungen notwendig werden, sowie der Kenntnis der tatsächlichen Grundlagen, die den Auftraggeber zu seiner Entscheidung für einen Dienstleistungsauftrag bewogen haben. Fehlen diese, kommt eine Rügepräklusion nicht in Betracht.
2. Es bedarf vor Ausschreibung eines Vergabeverfahrens einer klaren Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers und entsprechenden Ausgestaltung der Vergabeunterlagen auf der Grundlage eines Dienstleistungsauftrages oder einer Dienstleistungskonzession.
3. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit kann eine Überprüfung eines ungewöhnlich niedrigen Angebotes auch im Rahmen einer Vergabe einer Dienstleistungskonzession gebieten, da auch hier die Gefahr einer letztlich unwirtschaftlichen Beschaffung für den öffentlichen Auftraggeber besteht. Auch bei einer Dienstleistungskonzession kann bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten die Gefahr bestehen, dass der Konzessionsnehmer zu den von ihm angebotenen Konditionen die Leistung nur unzureichend erbringt oder zusätzliche Leistungen des Konzessionsgebers fordert.
4. Der in §
12 Abs. 1 KonzVgV enthaltene Grundsatz der freien Verfahrensgestaltung räumt dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit ein, sich ein Recht zur Prüfung der Auskömmlichkeit in entsprechender Anwendung der Regelungen des § 60 VgV in den Vergabeunterlagen vorzubehalten, von dem er dann nach pflichtgemäßem Ermessen Gebrauch machen kann.*)
VK Südbayern, Beschluss vom 19.10.2023 – 3194.Z3-3_01-23-20

Gründe:

I.

Mit Auftragsbekanntmachung vom 03.06.2020, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union unter 2020/S …, schrieb die Antragsgegnerin einen Dienstleistungsauftrag über die Errichtung und den Betrieb von Ladeeinrichtungen im öffentlichen Raum (AC- und DC-Ladeeinrichtungen) im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb aus.

In Abschnitt II.2.4) der Bekanntmachung teilte die Antragsgegnerin folgendes mit:

[…] “Maßstab für die Ausschreibung sind dabei die Vorgaben zur Vergabe öffentlicher Aufträge nach der Vergabeverordnung (VgV). Dies liegt daran, dass nach Abschluss der Markterkundungsgespräche nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Zahlung der … M… erforderlich wird. Dann kann die zu vergebende Leistung als ein öffentlicher Auftrag (und nicht als Konzession) zu bewerten sein, weil die … M… der obsiegenden Bieterin bzw. dem obsiegenden Bieter einen (ggf. überwiegenden Teil) des wirtschaftlichen Risikos abnimmt. Das Verhandlungsverfahren unterliegt bei der Annahme eines öffentlichen Auftrags höheren Anforderungen als bei einer Konzessionsvergabe.” […]

Bestandteil der Vergabeunterlagen war unter anderem die Aufforderung zum finalen Angebot vom 20.07.2022. Dies enthielt folgende Formulierungen:

[…] “Ein Zuschuss für die Errichtung und den Betrieb der Ladeinfrastruktur durch die … bleibt optional weiter möglich. (…) Bei der Auftragsbekanntmachung strebte die … M… an, dass für den Auftrag keine Vergütung der Auftraggeberin an die künftige Betreiberin bzw. den künftigen Betreiber gezahlt wird, sondern dass durch die exklusive Zurverfügungstellung des öffentlichen Raumes für den Betrieb der Ladeeinrichtungen ein tragfähiges Geschäftsmodell entsteht. Gleichwohl besteht die Möglichkeit der Zahlung einer Vergütung, soweit diese aus Sicht der künftigen Betreiberin bzw. des künftigen Betreibers notwendig sein sollte. Zur Deckung der Zuschüsse sollten die Fördermittel genutzt werden, die nun nicht mehr zur Verfügung stehen; daneben sicherte die Auftraggeberin sich für diesen Fall weitere Mittel. Soweit die Vergütung durch die Auftraggeberin weniger als 1 Mio. Euro beträgt, bedarf es zum Zuschlag nur einer förmlichen Entscheidung des Stadtrats der … M…. Der hierfür notwendige Prozess wird voraussichtlich innerhalb von drei Monaten abgeschlossen werden können. Soweit der Zuschussbedarf mehr als 1 Mio. Euro beträgt, müssen zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Wie bereits in den Bietergesprächen erläutert, muss der Stadtrat der … M… dann sowohl mit der Höhe des Zuschussbedarfs als auch mit der Entscheidung über den Zuschlag befasst werden. In diesem Fall wird der Zuschlag voraussichtlich erst im 4. Quartal 2022 erteilt werden können.” […]

Die Antragstellerin reichte innerhalb der auf den 21.09.2022 festgesetzten Angebotsfrist ein Angebot ein.

Am 05.10.2022 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sich bei dem Angebot der Antragstellerin ein Aufklärungsbedarf ergeben habe. Sie fragte an, ob das Angebot der Antragstellerin so verstanden werden könne, dass jegliche Zahlungen der Antragsgegnerin in Form eines Betreiberentgeltes an die Antragstellerin ausgeschlossen seien und es zutreffend sei, dass das Betreiberentgelt höchstens null Euro betrage bzw. unter den von der Antragstellerin geschilderten Voraussetzungen ab dem 3. Vertragsjahr an AC-Ladeeinrichtungen auch negativ sein könne. Die Antragstellerin bejahte beide Fragestellungen noch am selben Tag.

Am 23.11.2022 bat die Antragsgegnerin die Antragstellerin um weitere Aufklärung ihres Angebotes. Sie teilte mit, dass sich bei der Prüfung der Angemessenheit der Preise das Angebot der Antragstellerin als ungewöhnlich niedrig i.S.d. § 60 VgV darstelle und sie daher verpflichtet sei, den Angebotspreis aufzuklären. Hierzu lud die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu einem Aufklärungsgespräch ein und teilte ihr im Vorfeld den Gegenstand der Aufklärung mit. Die Antragsgegnerin bat um Erläuterung der aufgeworfenen Aspekte im Rahmen des Aufklärungsgespräches sowie um Zusendung einer schriftlichen Stellungnahme im Anschluss an das Gespräch. Das Aufklärungsgespräch fand am 29.11.2022 statt. Mit Schreiben vom 01.12.2022 reichte die Antragstellerin zwei Stellungnahmen der Mitglieder der Bietergemeinschaft ein. Mit Schreiben vom 05.12.2022 teilte die Antragsgegnerin mit, dass die Stellungnahmen der Antragstellerin nur zum Teil die geforderten Informationen enthielten. Sie wies darauf hin, dass Ausführungen zur DC-Ladeinfrastruktur vollständig fehlten. Zudem wies sie auf weitere aufklärungsbedürftige Punkte hin. Mit Schreiben vom 07.12.2022 reichte die Antragstellerin eine Stellungnahme zum Aufklärungsersuchen ein. Am 14.12.2022 erfolgte dann ein weiteres Aufklärungsersuchen von Seiten der Antragsgegnerin, in dem die Antragsgegnerin die ihrer Auffassung nach weiter aufklärungsbedürftigen Punkte darlegte und um weitere Aufklärung bat. Am 16. und 17.12.2022 gingen die Stellungnahmen der Antragstellerin auf das Aufklärungsersuchen bei der Antragsgegnerin ein.

Nach einer wirtschaftlichen und rechtlichen Prüfung durch die von der Antragsgegnerin beauftragten Wirtschaftsprüfer am 26.01.2023 und 02.02.2023 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit Schreiben vom 09.03.2023 mit, dass ihr Angebot nach § 60 Abs. 3 S. 1 VgV von der Wertung ausgeschlossen werden müsse, da der ungewöhnlich niedrige Preis nicht aufgeklärt werden konnte. Zudem begründete sie ihre Entscheidung.

Mit Schreiben vom 18.03.2023 beanstandete die Antragstellerin den Ausschluss ihres Angebotes durch die Antragsgegnerin als vergaberechtswidrig und begründete ihre Rüge.

Mit Schreiben vom 27.03.2023 antwortete die Antragsgegnerin der Antragstellerin, dass ihren Rügen nicht abgeholfen werde.

Nachdem den Rügen der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 11.04.2023 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.

Die Antragstellerin trägt vor, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet sei. Die Antragstellerin wendet sich gegen den Ausschluss ihres Angebots aus dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren. Sie führt aus, dass der Ausschluss vergaberechtswidrig sei, weil die Voraussetzungen, unter denen § 60 Abs. 3 S. 1 VgV einen solchen Ausschluss zulasse, nicht vorlägen bzw. jedenfalls aufgrund der zweigliedrigen Bietergemeinschaft eine Sonderkonstellation gegeben sei, in der das gebundene Ermessen der Antragsgegnerin gegen den Ausschluss spreche. Es sei bereits fraglich, ob die Voraussetzungen einer Aufklärung nach § 60 Abs. 1 VgV gegeben seien. Die Antragsgegnerin stütze sich auf einen ungenügenden Vergleichsmaßstab, indem sie lediglich darauf abstelle, dass die Antragstellerin kein Errichtungs- und/oder Betreiberentgelt von der Antragsgegnerin verlange, ohne den Gesamtrahmen des Auftrages in den Vergleich mit einzubeziehen. Selbst wenn man das Erreichen der Aufgreifschwelle unterstelle, habe die Antragstellerin die Kalkulation ihrer Angebote genügend erläutert und belegt, um der Antragsgegnerin eine Prüfung hinsichtlich der in § 60 Abs. 2 Satz 2 VgV genannten Punkte ebenso zu ermöglichen, wie die Prüfung der Auskömmlichkeit des Angebotes als solchem. Auch, soweit die Antragsgegnerin meine, dass Zweifel an der Auskömmlichkeit bestünden, lege sie solche nicht auf der Basis der von der Antragstellerin (bzw. ihrer beiden Mitglieder) vorgelegten Kalkulationen dar, sondern ziehe lediglich deren Verlässlichkeit bzw. die den Kalkulationen zugrundeliegenden Ansätze und Prognosen in Zweifel. In sich seien die Kalkulationen jedoch schlüssig bzw. brächte die Antragsgegnerin keine Schlüssigkeitsbedenken vor. Die Antragsgegnerin werfe der Antragstellerin gleichwohl vor, unzureichend an der Aufklärung mitgewirkt zu haben. Die Antragsgegnerin moniere dabei insbesondere Unterschiede zwischen den Darlegungen und vermeintliche Inkonsistenzen, die für sie Zweifel an der Verlässlichkeit der Darlegungen und Kalkulation begründen. Sie habe im Laufe der Bemühungen der Parteien um eine Klärung jedoch immer wieder nur neue vermeintliche Inkonsistenzen aufgeworfen, ohne jemals konkret festzustellen, dass sich die Angebotshöhe nicht erklären lasse. Die Antragsgegnerin vermeide eine inhaltliche Entscheidung mit formalistischen Argumenten. Auch könnten der Antragstellerin nicht Abweichungen zwischen den Kalkulationen ihrer Mitglieder vorgehalten werden, so lange die Antragsgegnerin keine allgemeinen Kalkulationsvorgaben mache und eine mehrjährige Prognose mit einer Vielzahl variabler Faktoren gefordert sei. Die Antragsgegnerin lege einen unzutreffenden Maßstab an ihre eigene Überzeugungsbildung und in der Folge an die vermeintlichen Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten der Antragstellerin und der Mitglieder der Antragstellerin an. Sie müsse eine objektiv nachvollziehbare Erklärung und Darlegung ausreichen lassen, auch wenn sie sich ggf. selbst nicht überzeugt sehe. Die Antragsgegnerin scheine die Vorgabe in § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV, dass sie das Angebot ablehnen darf, wenn sich die Höhe “nicht zufriedenstellend aufklären” lässt, jedoch als subjektiven Freibrief für jegliche Art von Zweifel misszuverstehen. Die Antragsgegnerin berücksichtige in ihrer Bewertung der Angaben der Antragstellerin nicht die Ungewissheiten der den Kalkulationen zugrundeliegenden tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die Prognoseentscheidungen erforderten, die nicht abschließend richtig oder falsch seien. Außerdem müssten sie dem Umstand Rechnung tragen, dass das wirtschaftliche Umfeld für die ausgeschriebenen Leistungen in einem dynamischen Wandel begriffen sei, der sich auf die Grundlagen der Prognoseentscheidungen auswirke und im Laufe des Verhandlungsverfahrens zu Anpassungen der Kalkulationen und der zugrundeliegenden Parameter führe. Die Antragsgegnerin müsse auch die Tatsache berücksichtigen, dass die Antragstellerin eine Bietergemeinschaft aus zwei erfahrenen Marktteilnehmern mit vielfältigen Referenzen sei, die jeweils beide in der Lage seien, die angebotenen Leistungen zu erbringen und hierfür jeweils einzustehen, sodass an der Nachhaltigkeit des Angebots objektiv keine Zweifel bestehen könnten. Zudem hätte sie den Umstand beachten müssen, dass das Vergabeverfahren sich seit nunmehr mehr als 2 ½ Jahren ziehe, was gerade in dem dynamischen Umfeld zu erheblichen Änderungen führe.

Die Antragstellerin beantragt

1. Es wird festgestellt, dass der Ausschluss der Antragstellerin vom Vergabeverfahren rechtswidrig ist.

2. Das Vergabeverfahren wird in den Zustand unmittelbar vor der Ausschlussentscheidung am 09.03.2023 zurückversetzt.

3. Die Antragstellerin wird wieder am weiteren Vergabeverfahren beteiligt.

4. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.

5. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für das Verfahren vor der Vergabekammer durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

Die Antragsgegnerin beantragt

1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

2. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.

3. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin.

Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin unbegründet sei. Der Ausschluss der Antragstellerin vom Vergabeverfahren der Antragsgegnerin gemäß § 60 Abs. 3 S. 1 VgV sei rechtmäßig. Der Angebotspreis stelle sich als ungewöhnlich niedrig im Sinne von § 60 Abs. 1 VgV dar. Eine Überprüfung der Auskömmlichkeit des Angebots der Antragstellerin sei vorzunehmen gewesen, da die Bietergemeinschaft ein Angebot zum Preis von null Euro abgegeben habe, während das Konkurrenzangebot einen hohen Zuschussbedarf vorgesehen habe. Dadurch lägen die Gesamtpreise der konkurrierenden Angebote so erheblich auseinander, sodass Zweifel an der Auskömmlichkeit des Angebots der Antragstellerin entstanden seien. Die Antragsgegnerin kam ihrer Aufklärungspflicht nach, indem sie die Antragstellerin aufgefordert habe, ihre Angaben zu plausibilisieren und die Preise zu erläutern. Die Antragstellerin sei jedoch nicht in der Lage, den Angebotspreis hinreichend zu erläutern, so dass die von der Bietergemeinschaft behauptete Auskömmlichkeit des Angebots wirtschaftlich und rechtlich nicht nachvollziehbar belegt worden sei. Die Antragsgegnerin habe der Antragstellerin insgesamt drei Mal die Gelegenheit gegeben, ihre Angaben plausibel zu erklären und darzulegen und habe damit ihre vergaberechtlich vorgesehene Aufklärungspflicht übererfüllt. Insbesondere habe die Antragsgegnerin in ihrem zweiten Schreiben die konkreten Punkte deutlich gemacht, zu denen eine Stellungnahme der Antragstellerin erforderlich gewesen sei. Jedoch seien die Angaben zum Angebotspreis auch nach der dritten Stellungnahme widersprüchlich geblieben und seien während des Aufklärungsverfahrens mehrfach geändert und revidiert worden, ohne dass dafür die Gründe dargelegt wurden. Vor diesem Hintergrund sei die Preisaufklärung erfolglos geblieben, sodass die Bietergemeinschaft vom Vergabeverfahren ausgeschlossen worden sei.

Mit Schriftsatz vom 17.08.2023 trug die Antragstellerin nach erfolgter Akteneinsicht vor, dass das Vorliegen einer signifikanten Preisdifferenz von der Antragsgegnerin nicht dargelegt worden sei. Auf die Frage, ob ein Zuschuss gefordert wird oder nicht, könne sich die Antragsgegnerin nicht stützen, weil es sich hier nur um einen verhältnismäßig geringen Teil der Gesamtkosten handeln könne, die im Übrigen über die Ladeentgelte finanziert würden. Feststellungen hierzu würden jedoch fehlen. Hinzu käme, dass der Verzicht auf einen Zuschuss ein erklärtes Ziel der Antragsgegnerin gewesen und sie die Möglichkeit, dass ein Zuschuss notwendig werden könnte, nur optional mit in der Ausschreibung berücksichtigt habe, weil nicht sicher gewesen sei, ob ein zwingender Zuschussbedarf bestehen könne. Die Antragsgegnerin habe auch sonst keine Umstände festgestellt, die die Bewertung des Angebots als ungewöhnlich niedrig rechtfertigen. Marktpreise seien nach Ansicht der Antragsgegnerin nicht feststellbar bzw. nicht relevant. Es bestünde sodann nur noch ein wertungsfähiges anderes Angebot. Abweichungen zwischen den Angeboten eigneten sich nicht als Grundlage für eine Aufgreifentscheidung. In jedem Fall hätte eine Ermessensentscheidung getroffen werden müssen. Das sei nicht erfolgt, vielmehr sei die Antragsgegnerin von einem gebundenen Ermessen zum Nachteil der Antragstellerin ausgegangen. Selbst, wenn die Antragsgegnerin zur Preisprüfung berechtigt gewesen wäre, hätte das Ergebnis nicht zum Ausschluss der Antragstellerin führen können. Die Mitarbeiter der beauftragten Rechtsanwaltskanzlei kämen in ihrer initialen Bewertung zur Feststellung, dass die Angebote rechnerisch auskömmlich seien. Sie hätten sodann festgestellt, dass noch Fragen – insbesondere aus den Unterschieden zwischen den Kalkulationen der Mitglieder der Antragstellerin und aus dem Verlauf der Aufklärungsgespräche geblieben seien. Dass diese Fragen geeignet seien, die Feststellung der positiven Rendite als solche in Zweifel zu ziehen, würden sie aber nicht darlegen. Eine Gefährdung der Ziele des § 60 VgV sei nicht erkennbar und hätte in der auch hier notwendigen Ermessensentscheidung zur Ablehnung (und nicht zur Bejahung) des Ausschlusses führen müssen. Vor dem Hintergrund der der Entscheidung zugrundeliegenden Empfehlung der verfahrensbegleitenden Rechtsanwälte sei unklar, ob sich die Antragsgegnerin ihres Ermessens(spielraums) überhaupt bewusst gewesen sei. In der vorliegenden 1:1 Situation hätte ein Ausschluss nicht ohne eine Prüfung auch der Kalkulation der einzigen noch verbliebenen Mitbewerberin erfolgen dürfen. Hierauf stütze sich die Antragstellerin jedoch lediglich hilfsweise. Die Antragstellerin sei wieder zum Verfahren zuzulassen.

Mit Schriftsatz vom 29.08.2023 erwiderte die Antragsgegnerin auf den Schriftsatz der Antragstellerin und vertiefte ihre bisherigen Ausführungen.

Mit rechtlichen Hinweis vom 31.08.2023 teilte die Vergabekammer Südbayern mit, dass sie es nach eingehender Prüfung des Nachprüfungsantrags und der beigefügten Unterlagen für wahrscheinlich halte, dass das Vergabeverfahren keinen Dienstleistungsauftrag, sondern eine Dienstleistungskonzession darstelle. Nach der vorläufigen Rechtsauffassung der Vergabekammer trage die von der Antragsgegnerin im Vergabevermerk und in den Vergabeunterlagen angegebene Begründung für einen Dienstleistungsauftrag, nämlich, dass möglicherweise in den Verhandlungsrunden hohe Entgelte an die Betreiber zu zahlen seien, so dass kein wirtschaftliches Risiko beim Betreiber verbleibt, nicht. Die Vergabekammer sei der vorläufigen Rechtsauffassung, dass für den Betreiber der Ladeinfrastruktur auch bei einer Zuzahlung ein ausreichendes wirtschaftliches Risiko verbleibe, nämlich zumindest wie häufig und von welchen Nutzern seine Infrastruktur genutzt werde, mit welchen Mobilitätsanbietern er Verträge schließen könne und zu welchen Konditionen sowie der Preisentwicklung auf dem Strommarkt. Soweit die Antragsgegnerin ausführe, dass bei der Einleitung des Vergabeverfahrens nach der Markterkundung noch nicht klar gewesen sei, ob sich für eine Konzession genügend Marktteilnehmer finden würden oder ob in den Verhandlungsrunden sich herausstellen würde, dass so hohe Zuschüsse gezahlt werden müssten, dass es sich um einen Dienstleistungsauftrag handele, hätte die Antragsgegnerin diese Frage vorab klären müssen und Vergabereife herstellen müssen.

In der mündlichen Verhandlung vom 05.09.2023 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme. Die Beteiligten erhielten Schriftsatzfrist zu allen Punkten des Nachprüfungsverfahrens.

Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 25.09.2023 trug die Antragsgegnerin vor, dass sie zurecht ein Verfahren nach der VgV für die hiesige Ausschreibung gewählt habe. Zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Verfahrenswahl, der Bekanntmachung, habe die Antragsgegnerin davon ausgehen müssen, dass sich das Verfahren nach der VgV richten müsse, da es sich bei dem Auftrag um einen öffentlichen Auftrag nach § 103 GWB handele. Die Gesamtbewertung der Umstände des Einzelfalls habe ergeben, dass zum Zeitpunkt der Bekanntmachung ein Zuschuss in erheblichem Umfang realistisch gewesen sei. Die Antragsgegnerin führte als Begründung die im Jahr 2019 erfolgten Markterkundungsgespräche und deren Ergebnisse sowie die Erfahrungen aus dem Betrieb der Bestandsladeinfrastruktur an. Die Antragsgegnerin habe sich aufgrund der Ungewissheit, ob dem künftigen Betreiber das Betriebsrisiko abgenommen werde, für das strengere Vergaberechtsregime entschieden. Dabei handele es sich um die VgV. Die Antragsgegnerin verwies in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des OLG München, Beschluss vom 21.05.2008, Verg 5/08. Zudem könne die Wahl der Verfahrensart nicht mehr gerügt werden, da sie präkludiert sei. Sie vertiefte zudem ihren Vortrag im Hinblick auf den ihrer Ansicht nach rechtmäßig erfolgten Ausschluss des Angebots der Antragstellerin nach erfolgter Preisprüfung.

Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 28.09.2023 rügte die Antragstellerin die fehlerhaft gewählte Verfahrensart der Auftrags- statt der Konzessionsvergabe. Zudem rügte die Antragstellerin die Durchführung der Preisprüfung, da eine Konzessionsvergabe vorliege und die Antragsgegnerin nicht berechtigt gewesen sei, “im Zweifel” eine Auftragsvergabe nach der VgV durchzuführen. Der von der Antragsgegnerin ausgeschriebene Gegenstand stelle sich eindeutig als Konzession dar. Wie jetzt deutlich sei, hätte die Antragsgegnerin aber auch nicht “im Zweifel” eine Auftragsausschreibung vornehmen dürfen, weil sie solche “Zweifel” berechtigterweise gar nicht hätte haben können. Dieser Umstand schlage auf die von der Antragsgegnerin zu Lasten der Antragstellerin eingeleitete Preisprüfung gem. § 60 VgV durch. Die Antragstellerin vertiefte zudem ihre bisherigen Ausführungen.

Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet.

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

1.1. Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV. Es kann an dieser Stelle offenbleiben, ob es sich bei dem streitgegenständlichen Auftrag um einen Dienstleistungsauftrag nach § 103 Abs. 1, 4 GWB oder eine Dienstleistungskonzession nach § 105 Abs. 1 Nr. 2 GWB handelt, da jedenfalls eine der beiden Verfahrensarten gegeben ist und jedenfalls der höhere der beiden EU-Schwellenwerte, der der Konzession, nach überschlägiger Berechnung durch die Vergabekammer überschritten ist. Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107109 GWB liegt nicht vor.

1.2. Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt. Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Angebots nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerin hat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere durch den ihrer Ansicht nach vergaberechtswidrigen Ausschluss ihres Angebots geltend gemacht.

1.3. Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und 3 GWB entgegen. Nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Auftragsbekanntmachung (Nr. 2) bzw. aufgrund der Vergabeunterlagen (Nr. 3) erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Für die Erkennbarkeit nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB gilt ein objektiver Maßstab. Erkennbar sind Verstöße, die vom durchschnittlichen Unternehmen des angesprochenen Bieterkreises bei üblicher Sorgfalt und üblichen Kenntnissen bereits in tatsächlicher und in laienhaft rechtlicher Hinsicht erkannt werden können (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.10.2020 – Verg 33/20). Dabei ist es erforderlich, dass der geltend gemachte Fehler nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in einer rechtlichen Hinsicht erkennbar ist für den durchschnittlichen Bieter; der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem durchschnittlich erfahrenen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebotes auffallen muss (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.02.2023 – Verg 6/22.). Nach diesen Grundsätzen liegt eine Erkennbarkeit der Wahl der falschen Verfahrensart nicht vor. Der Antragsgegner hatte ausweislich der Auftragsbekanntmachung vom 03.06.2020 einen Dienstleistungsauftrag ausgeschrieben und begründete dies zwar ausweislich Ziffer II.2.4) der Bekanntmachung wie folgt: […] “Maßstab für die Ausschreibung sind dabei die Vorgaben zur Vergabe öffentlicher Aufträge nach der Vergabeverordnung (VgV). Dies liegt daran, dass nach Abschluss der Markterkundungsgespräche nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Zahlung der … M… erforderlich wird. Dann kann die zu vergebende Leistung als ein öffentlicher Auftrag (und nicht als Konzession) zu bewerten sein, weil die … M… der obsiegenden Bieterin bzw. dem obsiegenden Bieter einen (ggf. überwiegenden Teil) des wirtschaftlichen Risikos abnimmt. Das Verhandlungsverfahren unterliegt bei der Annahme eines öffentlichen Auftrags höheren Anforderungen als bei einer Konzessionsvergabe.” […] Den weiteren Vergabeunterlagen war zudem in der Allgemeinen Bieterinformation vom 29.05.2020 und 19.08.2020 unter Teil 2 Auftragsgegenstand, B. Angebotsgrundlagen und -bedingungen im Einzelnen, Ziffer IV. Vergütung folgendes zu entnehmen: […] “Die … M… strebt an, dass sie keine Vergütung an die Bieterin bzw. den Bieter zahlt. Sollte sich im Verlauf der Vertragsverhandlungen zeigen, dass eine Vergütungsvereinbarung dennoch erforderlich sein sollte, wird der Vertrag zwischen einem Errichtungs- und einem Betreiberentgelt unterscheiden. Hinzu kämen Sondervergütungen für Leistungen, die zu Vertragsbeginn nicht abschließend absehbar sind.” […] Auf Seite 6 der Allgemeinen Bieterinformation vom 29.05.2020 und 19.08.2020 wurde der Hinweis aus Ziffer II.2.4) der Bekanntmachung wiederholt. Auf Seite 3 und 4 der Aufforderung zum finalen Angebot vom 20.07.2022 war darüber hinaus folgender Hinweis enthalten: […] “Bei der Auftragsbekanntmachung strebte die … M… an, dass für den Auftrag keine Vergütung der Auftraggeberin an die künftige Betreiberin bzw. den künftigen Betreiber gezahlt wird, sondern dass durch die exklusive Zurverfügungstellung des öffentlichen Raumes für den Betrieb der Ladeeinrichtungen ein tragfähiges Geschäftsmodell entsteht. Gleichwohl besteht die Möglichkeit der Zahlung einer Vergütung, soweit diese aus Sicht der künftigen Betreiberin bzw. des künftigen Betreibers notwendig sein sollte.” […] Diese in den Vergabeunterlagen enthaltenen Informationen waren jedoch nicht geeignet, der Antragstellerin eine in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ausreichende Grundlage zu vermitteln, die es ihr ermöglicht hätte, einen Vergabeverstoß betreffend die Wahl der Verfahrensart zu rügen. Um einschätzen zu können, ob der öffentliche Auftraggeber die richtige Verfahrensart gewählt hat, ob insbesondere eine Dienstleistungskonzession in Abgrenzung zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages vorliegt, bedarf es weitergehender Informationen, als dass gegebenenfalls Zuschusszahlungen notwendig werden, sowie der Kenntnis der tatsächlichen Grundlagen, die den Auftraggeber zu seiner Entscheidung für einen Dienstleistungsauftrag bewogen haben. Diese Umstände sind der Antragstellerin jedoch nur teilweise und auch erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung sowie durch Gewährung der erweiterten Akteneinsicht in die Markterkundungsgespräche offengelegt geworden. Eine Rügepräklusion kommt auf dieser Grundlage nicht in Betracht.

Zudem hat die Antragstellerin fristgerecht nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB am 11.04.2023 einen Antrag auf Nachprüfung bei der Vergabekammer gestellt, nachdem die Antragsgegnerin ihr am 27.03.2023 mitgeteilt hat, der Rüge der Antragstellerin nicht abhelfen zu wollen.

2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.

Die Erwägungen der Antragsgegnerin, mit denen sie sich gegenwärtig für eine Ausschreibung als Dienstleistungsauftrag und die Anwendung der Vorgaben zur Vergabe öffentlicher Aufträge nach der VgV entschieden hat, tragen die von der Antragsgegnerin gefundene Entscheidung hinsichtlich der Wahl der Verfahrensart nicht (dazu 2.1.). Sofern die falsche Verfahrensart gewählt wurde, geht dies nicht zwangsläufig mit einer Verletzung der Rechte des Antragstellers aus § 97 Abs. 6 GWB einher. Das Ziel des Vergabeverfahrens besteht nicht in einer Beseitigung von Vergaberechtsverstößen von Amts wegen (Antweiler, in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Auflage 2022, § 168 Rn. 24). Der Vergaberechtsverstoß muss daher zu einer Rechtverletzung geführt haben, sich demzufolge ausgewirkt haben auf die Rechte des Antragstellers. Vorliegend hat sich die Wahl der Verfahrensart auf die Rechte der Antragstellerin ausgewirkt, da die vorgenommene Preisprüfung zwar grundsätzlich auch bei der Vergabe einer Dienstleistungskonzession für zulässig erachtet wird (dazu 2.2.), die konkret durchgeführte Preisprüfung aber vergaberechtlichen Bedenken begegnet (dazu 2.3.).

2.1. Die Entscheidung der Antragsgegnerin für die Ausschreibung als Dienstleistungsauftrag wird von den zugrundeliegenden Erwägungen nicht getragen. Die Abgrenzung einer Dienstleistungskonzession von einem Dienstleistungsauftrag ist anhand der Vorgaben in § 105 Abs. 2 GWB vorzunehmen. Eine Dienstleistungskonzession unterscheidet sich von einem Dienstleistungsauftrag dadurch, dass die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistung entweder ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht. Ob und inwieweit der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung tatsächlich den Risiken des Marktes ausgesetzt ist und er das Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt, hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs von den Umständen des Einzelfalls ab (EuGH, Urteile vom 10.03.2011, C-274/09 -, und vom 10.11.2011, C-348/10 -; BGH, Beschluss vom 08.02.2011, X ZB 4/10, BGHZ 188, 200 -). Maßgeblich ist, ob der Auftragnehmer das Betriebsrisiko vollständig oder zumindest zu einem wesentlichen Teil trägt. Unter dem Betriebsrisiko ist das Risiko zu verstehen, den Unwägbarkeiten des Marktes ausgesetzt zu sein, das sich im Risiko der Konkurrenz durch andere Wirtschaftsteilnehmer, dem Risiko eines Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage, dem Risiko der Zahlungsunfähigkeit derjenigen, die die Bezahlung der erbrachten Dienstleistungen schulden, dem Risiko einer nicht vollständigen Deckung der Betriebsausgaben durch die Einnahmen oder dem Risiko der Haftung für einen Schaden im Zusammenhang mit einem Fehlverhalten bei der Erbringung der Dienstleistung äußern kann. Hingegen sind Risiken, die sich aus einer mangelhaften Betriebsführung oder aus Beurteilungsfehlern des Wirtschaftsteilnehmers ergeben, für die Einordnung eines Vertrags als öffentlicher Dienstleistungsauftrag oder als Dienstleistungskonzession nicht entscheidend, da diese Risiken jedem Vertrag immanent sind, gleichgültig ob es sich dabei um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag oder um eine Dienstleistungskonzession handelt. Die Zahlung eines Zuschusses hindert grundsätzlich nicht die Annahme einer Dienstleistungskonzession. Soll neben dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung zusätzlich ein Preis gezahlt werden, kann der Vertrag jedoch dann nicht als Dienstleistungskonzession angesehen werden, wenn die zusätzliche Vergütung oder (Aufwands-)Entschädigung ein solches Gewicht hat, dass ihr bei wertender Betrachtung kein bloßer Zuschusscharakter mehr beigemessen werden kann, sondern sich darin zeigt, dass die aus der Erbringung der Dienstleistung möglichen Einkünfte allein ein Entgelt darstellen würden, das weitab von einer äquivalenten Gegenleistung läge (EuGH, Urteile vom 10. März 2011, C-274/09 -, und vom 10. November 2011, C-348/10 -; BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011, X ZB 4/10, BGHZ 188, 200 -; Senatsbeschluss vom 21. Juli 2010 – Verg 19/10).

Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, kann die Vergabekammer die von der Antragsgegnerin getroffene Entscheidung, dass vorliegend ein Dienstleistungsauftrag auszuschreiben sei, anhand der vorgelegten Dokumentation der Antragsgegnerin nicht nachvollziehen.

Ausweislich der Auftragsbekanntmachung soll eine Dienstleistung ausgeschrieben werden (Ziff. II.1.3 der Bekanntmachung) und Maßstab für die Ausschreibung sollen gemäß Ziffer II.2.4 der Bekanntmachung die Vorgaben zur Vergabe öffentlicher Aufträge nach der VgV sein. Diese Ausführungen finden sich ebenfalls im Vergabevermerk auf Seite 4. Dass die Antragsgegnerin im hiesigen Nachprüfungsverfahren vom Vorliegen eines Dienstleistungsauftrages ausgeht, bestätigte sie auch noch einmal im Nachprüfungsverfahren. Aus dem Vertragsentwurf des Vertrages über die Errichtung und Betrieb von Ladeeinrichtungen für Elektrofahrzeuge, der als Anlage den Vergabeunterlagen beigefügt ist, sowie den weiteren Vergabeunterlagen, dem vorgelegten Vergabevermerk sowie den Ausführungen der Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren ergibt sich indes nicht zweifelsfrei, dass die Antragsgegnerin dem zukünftigen Auftragnehmer zu einem wesentlichen Teil das Betriebsrisiko abnehmen würde, was aber zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Dienstleistungsauftrages ist.

2.1.1. Die Antragsgegnerin hat keine Aussagen, respektive Vertragsklauseln zu einer etwaigen Defizitfinanzierung gegenüber dem zukünftigen Auftragnehmer getroffen. Solche hätten Aufschluss darüber geben können, ob und inwiefern die Antragsgegnerin dem zukünftigen Auftragnehmer das Betriebsrisiko zu einem wesentlichen Teil abnehmen würde, weil dieser dadurch gerade nicht mehr den Risiken des Marktes ausgesetzt wäre.

2.1.2. Ein Anhaltspunkt für die Übernahme eines wesentlichen Teils des Betriebsrisikos durch den Auftraggeber ließe sich auch der eigenen Auftragswertschätzung in Kombination mit der Aussage, in welcher Höhe die Bereitschaft zur Zahlung von Zuschüssen besteht, ableiten. Wenn nämlich die Zuschüsse für sich genommen oder zumindest in der Gesamtschau geeignet wären, das Betriebsrisiko des Bieters zu neutralisieren, würde dies für die Übernahme eines wesentlichen Teils des Betriebsrisikos durch den Auftraggeber sprechen und das gefundene Ergebnis, die Ausschreibung als Dienstleistungsauftrag, stützen. Informationen darüber kann die Vergabekammer der vorgelegten Dokumentation jedoch ebenfalls nicht entnehmen. Aus der Dokumentation geht nicht hervor, von welchem Gesamtauftragswert die Antragsgegnerin ausgeht. Eine eigene Auftragswertschätzung der Antragsgegnerin, die Aufschluss darüber geben könnte, fehlt gänzlich.

Zudem finden sich keine Aussagen darüber, in welcher konkreten Höhe die Antragsgegnerin bereit wäre, Zuschüsse zu zahlen. Zwar hat die Antragsgegnerin vorgetragen, dass sie aufgrund der durch sie im Jahr 2019 durchgeführten Markterkundungsgespräche davon ausgegangen ist, dass Zuschüsse notwendig werden würden. Zusätzlich hat sie mit Schriftsatz vom 25.09.2023 mitgeteilt, dass auch die Erfahrungen aus dem Betrieb der Bestandsladeinfrastruktur für die Annahme eines Zuschusses sprachen. Die im Schriftsatz vom 25.09.2023 getroffene Aussage der Antragsgegnerin, dass […] “ein Zuschuss in einem Umfang, der zu einer Abnahme des Betriebsrisikos führt, realistisch war” […], reicht für sich genommen jedoch nicht aus, da auf der Grundlage dessen keine Entscheidung für oder gegen die Übernahme eines Betriebsrisikos getroffen werden kann. Es handelt sich hierbei schlicht um eine unsubstantiierte Schätzung der Antragsgegnerin, die gerade nicht durch betriebswirtschaftliche Erwägungen unterfüttert wurde. Die Antragsgegnerin hat vielmehr ausdrücklich offengelassen, in welcher Höhe sie bereit wäre, Zuschüsse zu zahlen. Der Vertragsentwurf geht in §§ 28 ff. im Rahmen der Vorschriften zur Vergütung, bestehend aus Errichtungs- und Betreiberentgelt sowie einer Sondervergütung, davon aus, dass diese optional von Seiten des Antragsgegners gewährt werden sollen. Außerdem ist die Passage mit dem Hinweis versehen, dass […] “Ziel der Ausschreibung ist, dass die Errichtung und der Betrieb der Ladeeinrichtungen ohne die Zahlung eines Zuschusses durch die … erfolgt.” […]. Das Offenlassen der genauen Zuschusshöhe eröffnet Vertragsgestaltungen in einem breiten Spektrum von Angeboten ohne Zuschuss und mit vollständigem Betriebsrisiko auf Seiten des zukünftigen Auftragnehmers bis hin zu Angeboten mit derart hohen Zuschüssen, die ein Betriebsrisiko auf Seiten des zukünftigen Auftragnehmers komplett entfallen lassen. Das wirft für die Vergabekammer zum einen die Fragestellung auf, ob überhaupt eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung gegeben ist und die eingegangen Angebote miteinander verglichen werden können, vgl. § 121 Abs. 1 GWB. Die Kalkulationsgrundlagen der eingegangenen Angebote dürften vollkommen verschieden sein. Während der eine Bieter mit hohen Zuschüssen und damit ohne eigenes Betriebsrisiko sein Angebot kalkuliert haben dürfte, rechnet ein anderer Bieter mit weniger oder gar keinem Zuschuss und dürfte dabei das bei ihm bestehende überwiegende Betriebsrisiko entsprechend mit einkalkuliert haben. Zum anderen zweifelt die Vergabekammer die notwendige Vergabereife des vorliegenden Verfahrens an. Eine der Voraussetzungen für die Erfüllung der Vergabereife besteht, jedenfalls bei der Ausschreibung eines Dienstleistungsauftrages darin, dass die Finanzierung gesichert ist. Die Ausführungen in der Aufforderung zum finalen Angebot vom 20.07.2022 auf Seite 4, dass […] “soweit die Vergütung durch die Auftraggeberin weniger als 1 Mio. Euro beträgt, (…) es zum Zuschlag nur einer förmlichen Entscheidung des Stadtrats der … M… [bedürfe] und […] “soweit der Zuschussbedarf mehr als 1 Mio. Euro beträgt, müssen zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Wie bereits in den Bietergesprächen erläutert, muss der Stadtrat der … M… dann sowohl mit der Höhe des Zuschussbedarfs als auch mit der Entscheidung über den Zuschlag befasst werden.” […] lassen zum einen bezweifeln, dass die Finanzierung eines Dienstleistungsauftrages gesichert ist, da die notwendigen Finanzierungsentscheidungen offen sind. Zum anderen zweifelt die Vergabekammer auf der Grundlage dieser Äußerungen auch die Übernahme des Betriebsrisikos durch die Antragsgegnerin an, da bei einer Zuschusshöhe von 1 Mio. Euro keinesfalls das überwiegende Betriebsrisiko auf Seiten des Auftragnehmers entfallen dürfte und für darüberhinausgehende Zuschussbeträge zunächst zusätzliche Mittel bereitgestellt werden müssten, wobei dies einer Befassung durch den Stadtrat der … M… bedürfte, dessen Ergebnis offen ist.

2.1.3. Auch die weiteren Anmerkungen in den Vergabeunterlagen und Aussagen der Antragsgegnerin geben keinen Aufschluss darüber, ob die Antragsgegnerin das Betriebsrisiko zu einem wesentlichen Anteil übernehmen wird. In der Aufforderung zum finalen Angebot vom 20.07.20222 wird auf Seite 3/4 angemerkt, dass […] “Bei der Auftragsbekanntmachung (…) die … M… [anstrebte], dass für den Auftrag keine Vergütung der Auftraggeberin an die künftige Betreiberin bzw. den künftigen Betreiber gezahlt wird, sondern dass durch die exklusive Zurverfügungstellung des öffentlichen Raumes für den Betrieb der Ladeeinrichtungen ein tragfähiges Geschäftsmodell entsteht.” […] Diese Aussage bestätigte die Antragsgegnerin auch noch einmal in der mündlichen Verhandlung, indem sie vortrug, dass sie von dem gegenwärtigen Modell, bei dem das Betriebsrisiko vollständig bei ihr liege, weg wolle hin zu einem Modell, bei dem sie das Betriebsrisiko nicht mehr übernehme wolle. Beides spricht nach Auffassung der Vergabekammer eher gegen die Annahme, dass die Antragsgegnerin einen wesentlichen Anteil des Betriebsrisikos übernimmt und es sich somit um einen Dienstleistungsauftrag handelt.

2.1.4. Damit ist unklar, durch welchen Vertragspartner das Betriebsrisiko übernommen werden soll. Die Antragsgegnerin durfte sich auf dieser Grundlage nicht im Zweifel für die Verfahrensart des Dienstleistungsauftrages und die Anwendbarkeit der Regelungen der VgV entscheiden.

Die von der Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung des OLG München, Beschluss vom 21.05.2008, Verg 5/08, in der dieses entschied, dass im Zweifel von einem Dienstleistungsauftrag auszugehen sei, da sonst die Möglichkeit bestünde, dass ein Auftrag, der sich nach Angebotsabgabe als Dienstleistungsauftrag herausstellt, nicht ausgeschrieben und zu Unrecht dem Vergaberecht entzogen worden sei, kann nach Auffassung der Vergabekammer nicht für den hiesigen Fall herangezogen werden. Sie datiert auf einen Zeitraum, in dem öffentliche Dienstleistungskonzessionen vom Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50 und damit vom Nachprüfungsverfahren ausgeschlossen waren. Die tragende Erwägung der Entscheidung greift auf der Grundlage der gegenwärtigen Rechtsprechung nicht mehr durch. Dienstleistungskonzessionen unterliegen heute der Nachprüfung durch die Vergabekammern, sodass eine rechtwirksame Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen sichergestellt ist und sich die drohende Möglichkeit, dass ein Auftrag zu Unrecht dem Vergaberecht entzogen werden kann, gegenwärtig nicht mehr stellt.

Es hätte nach Ansicht der Vergabekammer einer klaren Entscheidung der Antragsgegnerin und entsprechenden Ausgestaltung der Vergabeunterlagen entweder auf der Grundlage eines Dienstleistungsauftrages und der Anwendbarkeit der Regelungen der VgV oder einer Dienstleistungskonzession und der Anwendbarkeit der Regelungen der KonzVgV bedurft. Beide Verfahrensarten sind unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen unterworfen. Während sich die Ausschreibung eines Dienstleistungsauftrages an den Vorgaben der VgV zu orientieren hat, trifft die KonzVgV Regelungen für die Vergabe von Konzessionen in einem eigens dafür vorgesehenen rechtlichen Rahmen. Eine klare Entscheidung wäre der Antragsgegnerin auch möglich gewesen, denn sie hätte sich beispielsweise entscheiden können, entweder keine oder nur geringe Entgelte an die Betreiber zu zahlen oder einen echten Dienstleistungsauftrag ohne Betriebsrisiko für die Bieter auszuschreiben, indem sie beispielsweise die Investitionen erstattet, entstehende Defizite übernimmt oder Umsatzgarantien verspricht. Die Antragsgegnerin hätte es jedoch nicht den Verhandlungsrunden überlassen dürfen, die Marktlage und damit das einschlägige Vergaberegime herauszufinden.

Die Antragstellerin wurde dadurch in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt, denn die Wahl der Verfahrensart hat vorliegend einen entscheidenden Einfluss darauf, ob die durchgeführte Preisprüfung und der darauf erfolgte Ausschluss des Angebots der Antragstellerin rechtmäßig erfolgt ist.

2.2. Die Vergabekammer erachtet die Durchführung einer Auskömmlichkeitsprüfung auch im Rahmen einer Dienstleistungskonzession grundsätzlich für zulässig.

Die Prüfung ungewöhnlich niedriger Angebote ist in der KonzVgV, anders als bei Verfahren der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen, wo in § 60 VgV explizit die Prüfung ungewöhnlich niedriger Preise sowie ein darauf gegründeter Angebotsausschluss geregelt sind, nicht vorgesehen. Allerdings gilt nach § 12 Abs. 1 KonzVgV der Grundsatz der freien Verfahrensgestaltung, der es dem Konzessionsgeber erlaubt, die Bedingungen des Verfahrens frei zu gestalten. Dem Konzessionsgeber steht es nach Ansicht der Vergabekammer frei, sich in den Vergabeunterlagen ein Recht zur Prüfung der Auskömmlichkeit in entsprechender Anwendung der Regelungen des § 60 VgV vorzubehalten, von dem er dann nach pflichtgemäßem Ermessen Gebrauch machen kann. Die Regelungen in § 60 VgV über den möglichen Ausschluss von ungewöhnlich niedrigen Angeboten und die damit korrespondierende Prüfungspflicht basieren auf dem Erfahrungswissen, dass niedrige Preise für die öffentlichen Belange von einem bestimmten Niveau an nicht mehr von Nutzen sein, sondern diese umgekehrt sogar gefährden können, weil sie das gesteigerte Risiko einer nicht einwandfreien Ausführung von Bauleistungen einschließlich eines Ausfalls bei der Gewährleistung oder der nicht einwandfreien Lieferung bzw. Erbringung der nachgefragten Dienstleistung und damit einer im Ergebnis unwirtschaftlichen Beschaffung bergen. Geschützt wird dementsprechend in erster Linie das haushaltsrechtlich begründete Interesse des Auftraggebers und der Öffentlichkeit an der jeweils wirtschaftlichsten Beschaffung. Die Berechtigung des Auftraggebers, den Zuschlag auf Angebote, deren geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten mit der Prüfung nicht zufriedenstellend aufgeklärt werden können, abzulehnen, trägt dem Anliegen des Vergabewettbewerbs Rechnung, die wirtschaftlichste Beschaffung zu realisieren. Unangemessen niedrige Angebotspreise bergen insoweit gesteigerte Risiken, die sich in vielfältiger Weise verwirklichen können. Dies gilt etwa für die in der Rechtsprechung der Vergabesenate angeführte Möglichkeit, dass der Auftragnehmer infolge der zu geringen Vergütung in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und den Auftrag deshalb nicht vollständig ausführen kann. Der Schutz der öffentlichen Interessen setzt aber nicht erst bei derart gravierenden Gefährdungen ein. Öffentliche Interessen sind in schützenswerter Weise auch dadurch gefährdet, dass der betreffende Anbieter in Anbetracht des zu niedrigen Preises versuchen könnte, sich des Auftrags so unaufwändig wie möglich und insoweit auch nicht vertragsgerecht zu entledigen, durch möglichst viele Nachträge Kompensation zu erhalten oder die Ressourcen seines Unternehmens auf besser bezahlte Aufträge zu verlagern, sobald sich die Möglichkeit dazu bietet (BGH, Beschluss vom 31.01.2017, X ZB 10/16). Bei Dienstleistungskonzessionen, bei denen die Entgelte üblicherweise durch Dritte, nämlich die Nutzer, und nicht durch den Konzessionsgeber, gezahlt werden, besteht zwar für den Konzessionsgeber nicht dieselbe Gefahr durch unauskömmliche Preise wie bei einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag. Jedenfalls kann aber eine vergleichbare Gefahrensituation gegeben sein. Auch bei Dienstleistungskonzessionen kann es bei einem unauskömmlichen Angebot durch den Konzessionsnehmer dazu kommen, dass die nachgefragte Dienstleistung nicht einwandfrei erbracht wird, was sich dann zwar nicht vorrangig in einer Diskrepanz von Leistung des Konzessionsnehmers und Gegenleistung durch den Konzessionsgeber zeigt, aber dennoch im Ergebnis die Gefahr einer unwirtschaftlichen Beschaffung für den öffentlichen Auftraggeber birgt. Der wirtschaftliche Gesamtvorteil ist für den Konzessionsgeber bei Angeboten, die nicht auskömmlich sind, dann nicht mehr gegeben, was gegebenenfalls darin münden kann, dass der Konzessionsgeber den Bürgern nur eine unzureichende Leistungserbringung zur Verfügung stellen kann oder die Leistung im Rahmen eines weiteren Vergabeverfahrens neu ausschreiben müsste und Zeit sowie zusätzliche finanzielle Mittel aufwenden müsste. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, der als allgemeiner vergaberechtlicher Grundsatz auch bei der Vergabe von Konzessionen gilt, gebietet daher die Überprüfung eines ungewöhnlich niedrigen Angebotes auch bei Dienstleistungskonzessionen.

Da die Antragsgegnerin vorliegend davon ausgegangen ist, einen Dienstleistungsauftrag auszuschreiben, lassen sich den Vergabeunterlagen unweigerlich keine Ausführungen dazu entnehmen, dass sich die Antragsgegnerin ein Recht zur Prüfung der Auskömmlichkeit der Angebote ausbedungen hat.

2.3. Die konkret durchgeführte Preisprüfung begegnet jedoch vergaberechtlichen Bedenken (dazu 2.3.1.), sodass der darauf gegründete Ausschluss des Angebots der Antragstellerin nicht rechtmäßig war (dazu 2.3.2.) und die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt.

2.3.1. Für die Vergabekammer ist bereits der von der Antragsgegnerin gewählte Bezugspunkt für die Angemessenheitsprüfung nicht nachvollziehbar. Soweit sie das Angebot eines weiteren Bieters im Verfahren herangezogen hat und im Vergabevermerk angegeben hat, zur Überprüfung der Angemessenheit des Angebots der Antragstellerin verpflichtet gewesen zu sein, da das Angebot der Antragstellerin keinen Zuschuss vorsieht, wohingegen das Angebot eines weiteren Bieters im Verfahren einen immensen Zuschussbedarf vorsieht, handelt es sich hierbei nach Ansicht der Vergabekammer bereits um einen ungeeigneten Bezugspunkt. Wie bereits unter Gliederungspunkt II.2.1.2. dieses Beschlusses ausgeführt, geht die Vergabekammer davon aus, dass es sich bereits um nicht vergleichbare Angebote handelt, da diesen vollkommen unterschiedliche Kalkulationsgrundlagen zugrunde liegen dürften. Während das eine Angebot wohl darauf basiert, das Betriebsrisiko zum überwiegenden Teil zu übernehmen, dürfte das andere Angebot ohne bzw. mit geringem eigenen Betriebsrisiko kalkuliert worden sein. Diese Annahme bestätigt auch die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 25.09.2023. Derart auf unterschiedlichen Grundlagen kalkulierte Angebote und deren Abweichung zueinander sind nach Ansicht der Vergabekammer bereits nicht geeignet, einen brauchbaren Bezugspunkt bei der Frage des Vorliegens eines ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises zu bilden. Zumal sich hier für die Vergabekammer bereits die Frage aufdrängt, wie der Antragsgegnerin das Angebot der Antragstellerin unauskömmlich erscheinen konnte, während dieses doch ihrer eigenen Zielvorgabe in der Ausschreibung entsprach, dass die Errichtung und der Betrieb der Ladeeinrichtungen ohne die Zahlung eines Zuschusses durch sie erfolgt, vgl. Anmerkung auf Seite 36 des Vertragsentwurfes. Weitere Bezugspunkte für die Durchführung der Preisprüfung hat die Antragsgegnerin nicht aufgeführt. Eine eigene Auftragswertschätzung, die herangezogen werden könnte, existiert nicht. Die Antragsgegnerin könnte auch nicht auf die ihr vorliegenden historischen Zahlen für die Bestandsladeinfrastruktur als Bezugspunkt abstellen, da gegenwärtig ein gänzlich anderes Vertragskonstrukt vorliegt, das mit dem ausgeschriebenen Vertrag nicht vergleichbar sein dürfte.

2.3.2. Die Vergabekammer weist der Vollständigkeit halber ergänzend auf nachfolgende Aspekte hin: Selbst wenn man der Antragsgegnerin die Durchführung einer Preisprüfung hinsichtlich des Angebots der Antragstellerin zugestehen wollte und die Preisprüfung nach Ansicht der Vergabekammer auch inhaltlich ordnungsgemäß erfolgt ist, erachtet die Vergabekammer den vorliegend erfolgten Ausschluss des Angebots auf der Grundlage eines ungeschriebenen Ausschlussgrundes für nicht mit den Vorgaben des Vergaberechts vereinbar.

Die Antragsgegnerin dürfte die Preisaufklärung ordnungsgemäß durchgeführt haben. Insbesondere hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin in insgesamt drei Aufklärungsrunden vollumfänglich die Möglichkeit gegeben, den Eindruck eines ungewöhnlich niedrigen Angebots zu entkräften bzw. beachtliche Gründe dafür aufzuzeigen, dass ihr Angebot dennoch annahmefähig ist. Für die Vergabekammer nachvollziehbar ist die Antragsgegnerin jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass die Aufklärung bei dem Mitglied der Bietergemeinschaft, …, in sich widersprüchlich war und der Angebotspreis nicht aufgeklärt werden konnte. So stellt die Antragsgegnerin zutreffend fest, dass die Kosten für den Betrieb, wie sie … in ihren Stellungnahmen darlegt, nicht nachvollziehbar sind. Auch die Feststellungen der Antragsgegnerin in Bezug auf die Nichtnachvollziehbarkeit der Angaben von … zu internen Zinsaufwänden, dem Anteil von Eigenmitteln und Höhe des unterstellten Zinssatzes begegnen keinen vergaberechtlichen Bedenken. Ebenfalls nachvollziehbar für die Vergabekammer ist die Feststellung der Antragsgegnerin, dass die Aufklärungsversuche der Antragstellerin zu ihrem Angebot auch insgesamt widersprüchlich und daher nicht nachvollziehbar waren, so dass der Angebotspreis auch unter diesem Blickwinkel als nicht aufgeklärt durch die Antragsgegnerin eingeschätzt wurde. Bietergemeinschaften geben ein einheitliches Angebot ab. Daraus folgt, wie die Antragsgegnerin zutreffend festgestellt hat, dass im Fall einer Preisaufklärung das einheitliche Angebot auch in sich schlüssig zu erläutern ist. Die Antragsgegnerin hat, für die Vergabekammer nachvollziehbar, festgestellt, dass Abweichungen in den Stellungnahmen der Mitglieder der Bietergemeinschaft vorlagen, die bis zuletzt nicht nachvollziehbar erklärt werden konnten. So hat die Antragsgegnerin berechtigt festgestellt, dass die Antragstellerin Gründe für die erhebliche Abweichung der Kosten für den Betrieb nicht aufklären konnte. Auch hinsichtlich der unterschiedlichen Einnahmen im ersten Jahr hat die Antragsgegnerin zutreffend festgestellt, dass die Unterschiede nicht nachvollziehbar sind und durch die Antragstellerin nicht aufgeklärt werden konnte. Die Vergabekammer kann schlussendlich auch in der durch die Antragsgegnerin getroffenen Feststellung, dass hinsichtlich der Angabe unterschiedlicher Erlöse aus THG-Zertifikaten eine abschließende Aufklärung nicht möglich war, keine vergaberechtlichen Verstöße erkennen.

Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Ermessensentscheidung in Bezug auf den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin dürfte jedoch fehlerhaft sein. § 60 Abs. 3 S. 1 VgV sieht zwar einen Ausschlussgrund für Dienstleistungsaufträge nach der VgV vor. Wie bereits festgestellt, liegen jedoch die Voraussetzungen für die Annahme einer Ausschreibung als Dienstleistungsauftrag nicht vor. Im Konzessionsvergaberecht gibt es keinen geschriebenen Ausschlussgrund für ein ungewöhnlich niedriges Angebot. Die KonzVgV eröffnet dem Konzessionsgeber aber, das Verfahren frei auszugestalten, sodass dem Konzessionsgeber grundsätzlich das Recht aber auch die Pflicht obliegt, einen Ausschlussgrund entsprechend dem in § 60 Abs. 3 S. 1 VgV normierten selber zu regeln, um ein Angebot auf dieser Grundlage vom weiteren Vergabeverfahren auszuschließen. Die Verschriftlichung eines Ausschlussgrundes ist vor dem Hintergrund der Durchbrechung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit in Gestalt der Bezuschlagung des Angebots mit dem wirtschaftlichsten Gesamtvorteil auch zwingend notwendig. Ein Ausschlussgrund, der die Antragsgegnerin zum Ausschluss des Angebots der Antragstellerin aufgrund dessen, dass der ungewöhnlich niedrige Angebotspreis nicht aufgeklärt werden konnte, berechtigte, ist den Vergabeunterlagen nicht zu entnehmen, sodass der Ausschluss nicht rechtmäßig erfolgt ist.

Das Vergabeverfahren ist aufgrund der festgestellten Mängel in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen, da nur hierdurch der Mangel der falschen Verfahrensart behoben werden kann. Die Entscheidung der Vergabekammer konnte dabei auch über das Begehren der Antragstellerin hinausgehen. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 28.09.2023 unter anderem beantragt, dass das Vergabeverfahren in den Zustand unmittelbar vor der Ausschlussentscheidung am 09.03.2023 zurückzuversetzen sei.

Ihrem Sachvortrag ist jedoch zu entnehmen, dass nach ihrer Ansicht der festgestellte Mangel dazu führen müsse, dass das Vergabeverfahren ab dem Zeitpunkt, in dem das Verfahren fehlerbehaftet ist, in diesem Umfang zu wiederholen ist bzw. sofern eine Wiederholung des Verfahrens ab dem Zeitpunkt der Mangelhaftigkeit nicht möglich sei, eine Aufhebung des gesamten Verfahrens und eine neue Ausschreibung zu erfolgen habe. Damit gibt sie bereits zu verstehen, dass ihr Begehren über den tatsächlich gestellten Antrag hinausgeht. Zudem ist die Vergabekammer hinsichtlich ihrer Entscheidungsmöglichkeiten zwar an die Rechtsverletzung des Antragstellers gebunden. Bereits bei der Auswahl der geeigneten Maßnahmen ist die Vergabekammer zudem an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Die Vergabekammer darf aber dem Antragsgegner ein anderes als das im Nachprüfungsantrag des Antragstellers begehrte Verhalten aufgeben, mit ihrer Entscheidung auch hinter den gestellten Anträgen zurückbleiben oder über das Begehren des Antragstellers hinausgehen (Fett, in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage, § 168 GWB Rn. 34). Eine Zurückversetzung, wie tenoriert, war geboten.

3. Kosten des Verfahrens

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend die Antragsgegnerin.

Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.

Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Eine Ermäßigung der Gebühr aus Gründen der Billigkeit kommt nicht in Betracht.

Die Antragsgegnerin ist als Gemeinde von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit.

Von der Antragstellerin wurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraft erstattet.

Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da es sich beim Vergaberecht und dem Nachprüfungsverfahren um einen komplexen Problemkreis handelt und die Antragstellerin nicht über die für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendigen personellen Kapazitäten verfügt und daher auf eine vertiefte rechtliche Begleitung im Nachprüfungsverfahren durch einen Anwalt angewiesen war. Die im Nachprüfungsverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen waren jedenfalls hinsichtlich der Wahl der korrekten Verfahrensart, der Durchführung der Preisprüfung im Spannungsfeld Dienstleistungsauftrag und Dienstleistungskonzession sowie des Ausschlusses des Angebots der Antragstellerin, da der ungewöhnlich niedrige Angebotspreis nicht habe aufgeklärt werden können, durchaus komplex und von der Antragstellerin ohne anwaltliche Beratung nicht zu bewältigen.

Rechtsmittelbelehrung



München, 19.10.2023