Ax Vergaberecht

Nachprüfungsantrag ist unzulässig, soweit Vergaberechtsverstöße, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden

Nachprüfungsantrag ist unzulässig, soweit Vergaberechtsverstöße, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden

von Thomas Ax

Nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Vergaberechtsverstöße, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden.

Die Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ist objektiv zu bestimmen. Eine die Rügeobliegenheit auslösende Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ist – immer bezogen auf den konkreten Einzelfall – zu bejahen, wenn der Verstoß von einem durchschnittlichen fachkundigen Bieter des angesprochenen Bieterkreises bei üblicher Sorgfalt und üblichen Kenntnissen erkannt werden kann (Senat, Beschl. v. 03.04.2019 – VII Verg 49/18, juris Rn 183; Beschl. v. 26.07.2018 – VII Verg 23/18; Beschl. v. 28.03.2018 – VII Verg 54/17, juris Rn 17 und Beschl. v. 15.01.2020 – VII Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn 37). Dabei muss sich die Erkennbarkeit sowohl auf die den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen (Dicks, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 160 Rn 49).

In Bezug auf die zu rügenden Vergaberechtsverstöße, welche sich aus den Vergabeunterlagen ergeben (§ 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB) ist für eine Präklusion mithin erforderlich, dass der Inhalt der Unterlagen bei laienhafter rechtlicher Bewertung, also ohne Bemühung besonderen Rechtsrats, auf einen Vergaberechtsverstoß hindeutet. Das setzt regelmäßig voraus, dass die Rechtsvorschriften, gegen die verstoßen wird, zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der beteiligten Bieterkreise gehören (Senat, Beschl. v. 26.07.2018 – VII Verg 23/18; Beschl. v. 15.01.2020 – VII Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn 37; OLG München, Beschl. v. 22.10.2015 – Verg 5/15, juris Rn 43). Eine Rügepräklusion kommt damit in der Regel nur für auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhende und ins Auge fallende Rechtsverstöße in Betracht (vgl. Dicks, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 160 Rn 49).

Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem durchschnittlich erfahrenen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebotes beziehungsweise seiner Bewerbung auffallen muss (Senat, Beschl. v. 03.08.2011 – VII Verg 16/11, ZFBR 2021, 72, 74). Daher genügt es nicht, wenn die gerügten Verstöße gegen das Transparenz und Wirtschaftlichkeitsgebot bereits in der Leistungsbeschreibung angelegt waren (Senat, Beschl. v. 02.05.2018 – VII Verg 3/18, zitiert nach juris Rn 24 ff.). So können etwa von einem durchschnittlich fachkundigen Bieter, auf den abzustellen ist (vgl. Wiese, in: Kulartz / Kus / Portz / Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Auflage, § 160 GWB Rn. 157 mwN), vertiefte Rechtskenntnisse, die es erlauben, die Vergaberechtskonformität eines Bewertungssystems zu beurteilen, nicht zu erwartet werde (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.04.2015, VII-Verg 35/14, juris Rn. 59).

Auftraggeber kann Mindestanforderungen an die Referenzen stellen

Auftraggeber kann Mindestanforderungen an die Referenzen stellen

von Thomas Ax

Der Auftraggeber ist berechtigt, als Beleg der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit des Bewerbers je nach Art, Verwendungszweck und Menge oder Umfang der zu erbringenden Dienstleistungen die Vorlage von geeigneten Referenzen über früher ausgeführte Dienstleistungen zu verlangen. Die in den Referenzen benannten “Referenzaufträge” müssen zum Nachweis der beruflichen und technischen Leistungsfähigkeit geeignet sein. Welche Art von Aufträgen der Auftraggeber nach Leistungsinhalt und -umfang für “geeignet” hält, kann er vorab unter Berücksichtigung der zu vergebenden Leistungen definieren.

Der Auftraggeber kann auch Mindestanforderungen an die Referenzen festlegen. Dabei hat er wie bei der Festlegung der Eignungsanforderungen einen Festlegungsspielraum. Entscheidend ist, ob aus verständiger Sicht der Vergabestelle ein berechtigtes Interesse an der im Verfahren aufgestellten Forderung besteht, so dass diese als sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig erscheint und den Bieterwettbewerb nicht unnötig einschränkt. Der öffentliche Auftraggeber darf diejenigen Anforderungen an den Nachweis stellen, die zur Sicherstellung des Erfüllungsinteresses erforderlich sind, die mit den gesetzlichen Bestimmungen im Einklang stehen und die nicht unverhältnismäßig, nicht unangemessen und für den Bieter nicht unzumutbar sind.

Voraussetzung für den Erfolg eines Nachprüfungsantrags ist, dass der Antragsteller bei ordnungsgemäßem Vergabeverfahren eine Zuschlagschance hat oder gehabt hätte

Voraussetzung für den Erfolg eines Nachprüfungsantrags ist, dass der Antragsteller bei ordnungsgemäßem Vergabeverfahren eine Zuschlagschance hat oder gehabt hätte

von Thomas Ax

Das Nachprüfungsverfahren dient der Verwirklichung subjektiver Bieterrechte, nämlich der Wahrung der Zuschlagschancen im Rahmen eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens. Nur derjenige, dessen Chancen auf den Auftrag durch den Vergaberechtsverstoß beeinträchtigt werden können, wird durch ein fehlerhaftes Vergabeverfahren in seinen Bieterrechten beeinträchtigt (OLG München, Beschluss vom 12. Mai 2011, Verg 26/10 – Leittechnik, NZBau 2011, 630 [634, juris Rn. 73]; Opitz in Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, § 127 Rn. 178 m. w. N.).

Voraussetzung für den Erfolg des Nachprüfungsantrags ist daher, dass der Antragsteller bei ordnungsgemäßem Vergabeverfahren eine Zuschlagschance hat oder gehabt hätte. Scheidet ein Zuschlag zugunsten eines Bieters von vorneherein aus (etwa weil sein Angebot zwingend auszuschließen ist oder er in der Wertung zweifelsfrei weit abgeschlagen ist) und steht darüber hinaus fest, dass der Bieter selbst bei ordnungsgemäßer Korrektur des Vergabeverfahrens den Zuschlag nicht erhalten kann, ist sein Nachprüfungsantrag mangels Eingriffs in seine geschützten Bieterrechte unbegründet (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2019, Verg 13/19 – Ticketsystem, VergabeR 2021, 112 [juris Rn. 106]; KG, Beschluss vom 15. Februar 2019, Verg 9/17, juris Rn. 61).

Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind, werden von der Wertung ausgeschlossen

Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind, werden von der Wertung ausgeschlossen

von Thomas Ax

Nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV werden Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind, von der Wertung ausgeschlossen.

Grundsätzlich liegt eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht (vgl. OLG Düsseldorf, B.v. 22.03.2017, Verg 54/16). Ob eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont festzustellen.

Maßgeblich ist hinsichtlich der Vergabeunterlagen der Empfängerhorizont der potentiellen Bieter (vgl. BGH, B.v. 15.01.2013, X ZR 155/10). Für die Auslegung von Vergabeunterlagen ist auf die objektive Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters abzustellen, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist.

Maßgeblich ist nicht das Verständnis eines einzelnen Bieters, sondern wie der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung und Vergabeunterlagen versteht (vgl. OLG Karlsruhe, B.v. 29.04.2016 – 15 Verg 1/16). Hinsichtlich des Angebots des Bieters ist Maßstab der Auslegung, wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage die Vergabestelle das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste oder durfte, wobei es keinen Erfahrungssatz gibt, dass der Bieter stets das vom Ausschreibenden Nachgefragte anbieten will, auch wenn ihm redliche und interessensgerechte Absichten zu unterstellen sind (OLG Düsseldorf, B.v. 22.03.2017, Verg 54/17).

VergMan ® für öffentliche Auftraggeber – Tipps für Ihre Vergabe

VergMan ® für öffentliche Auftraggeber – Tipps für Ihre Vergabe

Verstöße gegen missverständliche mehrdeutige Angaben in den Vergabeunterlagen führen nicht zum Angebotsausschluss
von Thomas Ax

Ein Ausschluss nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV setzt voraus, dass Gegenstand und Inhalt der Leistung eindeutig beschrieben sind. Verstöße gegen missverständliche mehrdeutige Angaben in den Vergabeunterlagen führen aber nicht zum Angebotsausschluss (BGH, Urt. v. 03.04.2012, X ZR 130/10; OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.07.2017 – 11 Verg 6/12; OLG München, Beschl. v. 21.04.2017 – Verg 1/17; Senat, Beschl. v. 26.07.2005 – Verg 71/04).

Auftraggeber muss spätestens mit der Übersendung oder Bekanntgabe der Verdingungsunterlagen den Bietern alle Zuschlagskriterien mitteilen
von Thomas Ax

Der Auftraggeber muss spätestens mit der Übersendung oder Bekanntgabe der Verdingungsunterlagen den Bietern alle Zuschlagskriterien mitteilen, deren Verwendung er vorsieht, sofern er diese im Voraus festgelegt hat. In den Vergabeunterlagen detailliert anzugeben ist dabei, nach welchen Kriterien oder Rechenschritten der niedrigste Preis durch den Auftraggeber ermittelt wird (OLG Brandenburg, Senat, Beschl. v. 29.01.2013 – Verg W 8/12, BeckRS 2013, 3142).

Vergabeunterlagen müssen eindeutig sein
von Thomas Ax

Ob die Vergabeunterlagen in vergaberechtswidriger Weise nicht mehr eindeutig sind, ist durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Für die Auslegung der Vertragsunterlagen ist ein objektiver Maßstab anzulegen und auf den Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters, der mit der Leistung vertraut ist, abzustellen (BGH, Beschl. v. 07.02. 2014, X ZB 15/13; Senat, Beschl. v.01.04.2020 – Verg 33/19; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 18.07. 2017, 11 Verg 7/17). Maßgeblich ist hierfür nicht das Verständnis eines einzelnen Bieters, sondern es kommt darauf an, wie der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung verstehen muss (Senat, Beschl. v. 01.04.2020 – Verg 33/19; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.04. 2016, 15 Verg 1/16). In vergaberechtswidriger Weise nicht mehr eindeutig sind Vergabeunterlagen jedoch erst, wenn fachkundigen Unternehmen auch nach Auslegungsbemühungen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben oder das zutreffende Verständnis der Vergabeunterlagen eine besondere Gesamtschau erfordert, die von den Bietern oder Bewerbern im Vergabewettbewerb erfahrungsgemäß nicht geleistet wird (BGH, Urt. v. 10.06.2008, X ZR 78/07; Senat, Beschl. v. 13.12.2017 – Verg 19/17) oder nicht geleistet werden kann.

Nach § 182 Abs. 3 S. 5, Abs. 4 S. 2 und 3 GWB ist eine Billigkeitsentscheidung zu treffen
von Thomas Ax

Im Rahmen der nach § 182 Abs. 3 S. 5, Abs. 4 S. 2 und 3 GWB zu treffenden Billigkeitsentscheidung sind nicht nur die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses in den Blick zu nehmen. Gesichtspunkte der Billigkeit können es vielmehr im Einzelfall bei Vorliegen gravierender Umstände gebieten, von der Maßgeblichkeit des voraussichtlichen Verfahrensausgangs abzuweichen (OLG München, Beschl. v. 02.09.2015 – Verg 6/15) und beispielsweise einem Antragsteller die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der einen Nachprüfungsantrag unnötigerweise verfrüht stellt (vgl. Senat, Beschl. v. 13.01.2014 – Verg 11/13; Senat, Beschl. v. 11.05.2011 – Verg 10/11) beziehungsweise der Vergabestelle die Kosten des Nachprüfungsverfahren aufzuerlegen, wenn diese im Rahmen der Zurückweisung der Rüge dem Antragsteller den unzutreffenden Hinweis erteilt hat, er könne ein Nachprüfungsverfahren anstrengen (so OLG München, Beschl. v. 02.09.2015 – Verg 6/15).

LG Frankfurt/Main zu der Frage, dass für den Kransachkundigen die Grundsätze der Amtshaftung, die eine persönliche Inanspruchnahme grundsätzlich ausschließen würden, nicht gelten, weil die Durchführung der wiederkehrenden Prüfung von Kranen durch Sachkundige keine Ausübung eines öffentlichen Amtes darstellt

LG Frankfurt/Main zu der Frage, dass für den Kransachkundigen die Grundsätze der Amtshaftung, die eine persönliche Inanspruchnahme grundsätzlich ausschließen würden, nicht gelten, weil die Durchführung der wiederkehrenden Prüfung von Kranen durch Sachkundige keine Ausübung eines öffentlichen Amtes darstellt

vorgestellt von Thomas Ax

1. Der Kransachkundige und der Richtmeister sind jeweils verpflichtet, Krane (hier: die Bolzen und Federstecker sowie die Bolzenverbindungen auf dem Ausleger) im Rahmen einer visuellen Prüfung auf ihre Ordnungsgemäßheit und Betriebssicherheit hin zu kontrollieren und bei Feststellung von Unregelmäßigkeiten Maßnahmen zur Abwendung der damit verbundenen Gefahren zu ergreifen.
2. Bei der sachkundigen Kranprüfung handelt es sich um eine bei jeder Aufstellung vorgeschriebene Sicht- und Funktionsprüfung, die insbesondere die Funktion der Sicherheitseinrichtungen, die richtige Aufstellung sowie die Konstruktionsteile, die bei der Aufstellung montiert bzw. verändert werden müssen, umfasst.
3. Für den Kransachkundigen gelten die Grundsätze der Amtshaftung, die eine persönliche Inanspruchnahme grundsätzlich ausschließen würden, nicht. Die Durchführung der wiederkehrenden Prüfung von Kranen durch Sachkundige stellt keine Ausübung eines öffentlichen Amtes dar.
4. Bei einem Bauvorhaben hat zwar in erster Linie der Bauherr dafür zu sorgen, dass von seinem Bauvorhaben keine Gefahren ausgehen, durch die Dritte geschädigt werden können, weil der Bauherr die Gefahrenquelle eröffnet hat. Allerdings sind die am Bauvorhaben beteiligten Unternehmer nicht nur vertragsrechtlich verpflichtet, den Bauherrn vor etwaigen Schäden durch das Werk zu bewahren, sondern sie sind auch deliktsrechtlich zur Verkehrssicherung gegenüber Dritten verpflichtet, die vorhersehbar mit den Gefahren der baulichen Anlage in Berührung kommen und dadurch Schaden erleiden können.
5. Der ursprünglich Verkehrssicherungspflichtige bleibt zur Überwachung des eingesetzten Dritten verpflichtet und ist insofern neben diesem selbst noch verantwortlich. Die Verkehrssicherungspflicht des ursprünglich Verantwortlichen wird auf Auswahl- und Überwachungspflichten verengt.
LG Frankfurt/Main, Urteil vom 10.05.2024 – 2-33 O 110/17

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche der Klägerin infolge des Sturzes eines auf dem Grundstück ### aufgestellten Krans auf einen benachbarten Aldi-Markt.

Bei dem streitgegenständlichen Turmdrehkran handelte es sich um einen ### vom Typ “WK 122 SL 1” aus dem Baujahr 1992, Fabrik-Nr. 320619. Herstellerin war die Streithelferin zu 7. als Rechtsnachfolgerin der ###.

Eigentümerin und Vermieterin des Krans war die Beklagte zu 4. Mieterin war die Streithelferin zu 5. Der Kran verfügte über einen Laufkatzenausleger, der sich aus einzelnen Auslegerstücken zusammensetzte, die durch Einstecken von Bolzen miteinander verbunden werden. Um zu verhindern, dass diese Bolzen sich in den Bohrungen der Verbindungsstücke frei drehen, wandern und sich lösen, war herstellerseits eine zusätzliche Sicherung der Bolzen durch Federstecker vorgesehen. Diese Federstecker wurden jeweils in eine Bohrung im Bolzenschaft aufgesteckt. Es handelte sich hierbei um sicherheitsrelevante Bauteile, die die Bolzen sichern sollten, damit sie sich nicht aus der Position lösen.

Der Kran wurde am 10.09.2013 von einem Montageteam der Firma ### aus Heythuysen (NL) und dem Beklagten zu 2., einem Mitarbeiter der Beklagten zu 3., mit einem 40-m-Ausleger aufgestellt. Der Beklagte zu 2. war ferner als selbständiger Richtmeister mit der Überprüfung des Krans vor der Inbetriebnahme betraut. Der Beklagte zu 2. überprüfte den Kran nach dem Aufbau. Er stellte fest, dass der Ausleger zu lang war und untersagte die Inbetriebnahme. Weitere Mängel stellte er nicht fest. Am darauffolgenden Tag wurde der Kranausleger von Mitarbeitern der Firma ### und dem Streithelfer zu 9., einem Mitarbeiter der Beklagten zu 4., auf 35 m gekürzt. Die Zeugin Zahn, eine Mitarbeiterin der Beklagten zu 4., war als Elektrofachkraft dabei. Hierfür wurde das vordere 10-m-Auslegerstück demontiert und durch ein 5-m-Auslegerstück ersetzt. Der Streithelfer zu 9. gab als Kransachkundiger danach den Kran zum Betrieb frei.

Der Beklagte zu 1., der von der Berufsgenossenschaft Holz und Metallbau/Maschinenbau- und Metallverarbeitung als Sachverständiger bestellt war, führte am 07.10.2013 im Auftrag der Beklagten zu 4. die sogenannte wiederkehrende Prüfung nach § 26 der Unfallverhütungsvorschriften Krane (BGV D 6) durch. Er stellte dabei keine zur Untersagung des Betriebs führenden technischen Mängel an dem Kran fest (Anlage K6). Danach wurde der Kran auf der Baustelle weiter benutzt.

Am 11.12.2013 führte der Zeuge ###, ein Mitarbeiter der Streithelferin zu 8., den Kran. Um 11:33 Uhr verlor der Kran rücklings über den Konterballast das Gleichgewicht, stürzte nach hinten auf einen benachbarten Aldi-Markt und durchschlug dessen Dach. Dies verursachte einen Personen- und Sachschaden.

Die am 25.01.1939 geborene Klägerin stand zum Unfallzeitpunkt mit ihrer 45-jährigen Tochter, Frau ###, vor der Kasse des betreffenden Aldi-Marktes. Sie wurde durch den umgestürzten Kran schwer verletzt, während ihre Tochter tödliche Verletzungen erlitt. Die Klägerin erlitt aufgrund des Unfalls eine Hüftpfannen- sowie eine Beckenfraktur. Dazu kam ein Schädel-Hirn-Trauma I. Grades. Ferner kam es zu Rippenbrüchen, einer linksseitigen Gesichtslähmung, einer akuten Belastungsreaktion und Hautabschürfungen am Kopf (Anlagen K7 und K8). Die Klägerin wurde eine Woche stationär im Krankenhaus behandelt.

Am umgestürzten Kran fehlte ein Verbindungsbolzen am rechten Untergurt in der Verbindung zwischen dem zweiten und dem dritten Auslegerstück. Dieser Bolzen wurde auf der Baustelle wiedergefunden. Der dazugehörige Federstecker konnte hingegen nicht mehr gefunden werden.

Nach dem im darauffolgenden Strafverfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. S### vom 18.03.2014 (Anlage K1) war die unmittelbare Unfallursache “eindeutig das Lösen des Bolzens am rechten Untergurt, ausgelöst durch einen defekten, falsch montierten oder fehlenden Federstecker” (Bl. 36 d.A.). Ferner stellte der Sachverständige S### Folgendes fest: “Alle noch am verunfallten Kran befindlichen Bolzen waren mit Federsteckern gesichert, wobei verschiedene Typen verwendet wurden. … An allen von der Polizei sichergestellten Verbindungsbolzen war nur an einem ein gelb chromatierter Wolff Federstecker montiert.” (Bl. 28 und 31 d.A.). Der Sachverständige wies darauf hin, dass, die Streithelferin zu 2., die Herstellerin der WOLFF-Federstecker, im Jahr 2022 eine “Sicherheitsrelevante Service Information” (Anlage K4) bezüglich der Federstecker zur Bolzensicherung herausgegeben hatte, in der aus Sicherheitsgründen vorgeschrieben wurde, ab sofort nur zum Bolzendurchmesser passende Original Wolff Federstecker (gelb chromatiert) an Laufkatzenauslegern zu verwenden, um die Bolzen gegen ein Lösen zu sichern (Bl. 31 d.A.).

Nach einem weiteren im Strafverfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. H### vom 25.06.2016 (Anlage K2) lag die Unfallursache “eindeutig auf der Seite der Bolzenverbindung und deren Sicherung, weil der Federstecker defekt war, der Federstecker nicht richtig montiert wurde, der falsche Federstecker montiert wurde (kein Original WOLFF-Stecker), von Anfang an nicht vorhanden war – siehe zwei verschmutzte Bohrungen in aufgefundenen Bolzen (siehe Lichtbilder).” (Bl. 71 d.A.). Ferner stellte der Sachverständige H### Folgendes fest: “Die Lichtbildauswertung der von der Polizei angefertigten Fotos belegen, dass die geometrischen Formen der Federstecker erheblich voneinander abweichen, teilweise bereits das Drahtsteckseil beschädigt, d.h. gestaucht oder unterschiedlich lang waren. Es wurden somit verschiedene Typen verwendet, auch offensichtlich bei Sicherung der Verbindungsbolzen im Untergurt.” (Bl. 52 d.A.).

Die Klägerin behauptet, die Schadensursache gehe auf Montagefehler zurück. Die Beklagte zu 4. habe entgegen der Herstellerempfehlung keine Original-Federstecker dem Mieter des Krans zur Verfügung gestellt. Für den Beklagten zu 1. als Kransachverständigen und für den Beklagten zu 2. als Mitglied des Montageteams der Beklagten zu 3. und als Richtmeister wäre es ein Leichtes gewesen, die Montagefehler zu erkennen und den Unfall zu verhindern. Hätte die Beklagte zu 4. einwandfreie Bolzen und Wolff-Federstecker geliefert und hätten die Beklagten zu 1. und 2. die schadensursächliche Bolzenverbindung kontrolliert, wäre ihnen der fehlende bzw. falsche, defekte oder falsch montierte Federstecker aufgefallen. Der Kran hätte nicht in Betrieb gehen dürfen.

Nach der Krankenhausentlassung habe sich die Klägerin 6 Wochen lang nur mit Hilfe von Gehhilfen fortbewegen können. Vor dem Unfall habe sie zusammen mit ihrer verstorbenen Tochter in dem heute noch von ihr bewohnten 2-Familienhaus mit einem 800 qm Grundstück zusammengewohnt. Sie habe heute noch Schmerzen im Hüft- und Beckenbereich. Ferner habe sie einen Tinnitus im rechten Ohr, was auf den Unfall zurückgehe. Sie leide unter posttraumatischen Beschwerden und Depressionen. Sie habe körperliche Dauerschäden erlitten, deren Entwicklung nicht abzusehen sei. Die Klägerin hält ein Schmerzensgeld von 50.000,00 Euro für angemessen.

Sechs Wochen lang habe die Klägerin den Haushalt nicht führen können. Für ein weiteres halbes Jahr habe sie lediglich kochen und Wäsche waschen können. Die Klägerin macht einen Haushaltsführungsschaden von 4.256,00 Euro geltend sowie Arzt- und Zuzahlungskosten von 498,84 Euro (Anlage K9) geltend. Ferner verlangt sie Ersatz der Beerdigungskosten für ihre Tochter in Höhe von 9.272,90 Euro (Anlage K10).

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 06.06.2017 (Bl. 339 ff. d.A.) die Klage auf die Beklagten zu 3. und 4. erweitert, sie beantragt nunmehr,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 50.000,00 Euro Schmerzensgeld nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 14.027,74 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.879,09 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin zukünftige immaterielle sowie materielle Schäden aus dem Unfallereignis vom 11.12.2013 zu ersetzen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Streithelfer und die Nebenintervenientin beantragen,

die Klage abzuweisen und der Klägerin die Kosten der Nebenintervention aufzuerlegen.

Der Beklagte zu 1. behauptet, am 07.10.2013 habe sich der Kran in einem ordnungsgemäßen Zustand befunden und sei für die Nutzung ohne weiteres einsetzbar gewesen, ohne jeglichen technischen Defekt. Insbesondere seien die Federstecker ordnungsgemäß angebracht gewesen. Er habe am 07.10.2013 sämtliche Bolzenverbindungen und Federstecker überprüft. Alle seien vorhanden und ordnungsgemäß verbaut gewesen. Die Laufkatze habe einwandfrei funktioniert. Er habe den Kran begangen und jede Bolzenverbindung angeschaut. Es sei technisch unmöglich, dass ein Kran für ca. 2 ½ Monate genutzt werde, wenn eine entsprechende Bolzensteckverbindung nicht mit dem entsprechenden Federstecker gesichert sei. Die Schadensursache sei nicht in einem Montagefehler oder einer mangelhaften Gerätestellung, sondern in einem Konstruktions- bzw. Materialfehler zu sehen. Die nach der am 07.10.2013 dem Beklagten zu 1. bekannten Herstellervorgabe zu verwendende Befestigung der Bolzen sei – wie er später erfahren habe – weder geeignet noch ausreichend gewesen. Das Rundschreiben der Streithelferin zu 2. aus dem Jahr 2002 sei nicht publik gemacht worden.

Die Beklagten zu 2. und 3. behaupten, der Beklagte zu 2. sei auf der streitgegenständlichen Baustelle als Mitarbeiter der Beklagten zu 3. nur mit der Einsicherung des Stahlbaus und des Hubseils beauftragt gewesen. Der Beklagte zu 2. sei nur am 10.09.2013 auf der streitgegenständlichen Baustelle anwesend gewesen. Bei der Erstmontage seien sämtliche Bolzen ordnungsgemäß befestigt, die Federstecker ordnungsgemäß angebracht worden.

Sämtliche mit dem Kran gelieferten Federstecker seien beim Erstaufbau durch den Beklagten zu 2. intakt gewesen und hätten keine Hinweise auf Beschädigungen hingewiesen. Es seien auch Original Wolff Federstecker gewesen. Nach der Kürzung des Kranauslegers sei der Beklagte zu 2. nicht mehr beauftragt worden, den Kran nochmals zu überprüfen. Dass die Montagearbeiten korrekt ausgeführt worden seien, lasse sich bereits dadurch belegen, dass der Kran über drei Monate täglich seine Funktion erfüllt habe, ohne dass irgendetwas passiert sei.

Die Beklagte zu 4. behauptet, auch nach dem Umbau des Turmdrehkrans durch die Mitarbeiter der Beklagten zu 4. seien alle Bolzen gesteckt und mit Original-Wolff-Federsteckern gesichert gewesen. Die Federstecker seien richtig montiert und nicht defekt gewesen. Sie seien allesamt vorhanden gewesen. Die Monteure der Beklagten zu 4. hätten den Kran nach dem Rückbau des Katzauslegers einer erneuten Aufbauprüfung unterzogen und den Kran zum Betrieb freigegeben, da keine sicherheitsrelevanten Mängel bestanden hätten (Anlage B4 a). Zum Zeitpunkt des Aufbaus und der Übergabe des streitgegenständlichen Turmdrehkrans durch die Beklagte zu 4. sei der Kran vollständig in Ordnung gewesen. Alle Bolzensicherungen hätten ordnungsgemäß sowie sach- und fachgerecht gesteckt.

Im Übrigen ist die Beklagte zu 4. der Auffassung, dass sie sich auf das Ergebnis der Prüfung durch den Beklagten zu 1., einen selbstständigen und BG-ermächtigten Prüfingenieur, habe verlassen können und müssen. Der Beklagte zu 1. sei seit vielen Jahren Prüfingenieur für Krane und Turmdrehkrane und prüfe nach eigenen Angaben ca. 600 Krane pro Jahr. Die Beklagte zu 4. habe sich daher auf die Qualifikation und Eignung sowie die BG-Ermächtigung des Beklagten zu 1. Verlassen dürfen.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Akten der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main zu Az. 3690 Js 215547/14 sind beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Das Gericht hat gemäß Beschluss vom 21.08.2017 (Bl. 525 d.A.) und vom 15.10.2020 (Bl. 1576 d.A.) Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. H### vom 20.03.2019 (Bl. 959 ff. d.A.) und das Ergänzungsgutachten vom 03.08.2021 (Bl. 1662 ff. d.A.) hingewiesen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Klage ist bis auf den Teil des Klageantrags zu 4., der sich auf immaterielle Schäden bezieht, zulässig.

Für einen Feststellungsanspruch hinsichtlich immaterieller Schäden fehlt das Feststellungsinteresse. Die Klägerin hat nicht dargetan, noch ist es ersichtlich, dass ihr neben dem mit dem Klageantrag zu 1. geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch in Zukunft noch weitere immaterielle Schäden entstehen könnten. Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes werden mit dem Schmerzensgeld sämtliche Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar sind oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann (vgl. BGH Beschl. v. 23.8.2022 – 1 StR 252/22, BeckRS 2022, 25298 Rn. 3). Der Antrag zu 4. war insoweit als unzulässig abzuweisen.

B.

Soweit zulässig ist die Klage in vollem Umfang begründet.

I.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 50.000,00 Euro sowie eines Schadensersatzes in Höhe von 14.027,74 Euro aus §§ 823 Abs. 1, 840 Abs. 1, 253 Abs. 2, 249 Abs. 2 BGB zu.

1. Unstreitig wurde die Klägerin durch den Sturz des streitgegenständlichen, von der Beklagten zu 4. gelieferten, vom Beklagten zu 2. als Mitarbeiter der Beklagten zu 3. mit aufgebauten und geprüften, vom Beklagten zu 1. erneut geprüften Krans am Körper und an der Gesundheit geschädigt und hat somit eine Rechtsgutsverletzung erlitten. Diese Rechtsgutsverletzung wurde durch rechtswidrige Pflichtverletzungen der Beklagten schuldhaft verursacht.

Unstreitig ist der streitgegenständliche Kran deswegen gestürzt, weil sich im – Blickrichtung vom Turm Richtung Auslegerspitze – rechten Untergurt ein Verbindungsbolzen zwischen dem zweiten und dem dritten Auslegerstück herausgelöst hatte. Es kann offenbleiben, ob ein montierter falscher Federstecker oder ein nicht montierter Federstecker letztlich hierfür ursächlich war. Denn es steht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest, dass am streitgegenständlichen Kran unterschiedliche Federstecker eingesetzt wurden, die nicht vom Hersteller stammten und teilweise geometrisch nicht geeignet oder beschädigt waren.

Schon allein dieser Umstand zeigt, dass die Beklagte zu 4. als Eigentümerin und Vermieterin des Krans es pflichtwidrig unterlassen hat, passende, auf den jeweiligen Verbindungsbolzen abgestimmte Federstecker zum Aufbau des Krans zu liefern; dass die Beklagten zu 3. und zu 4. es pflichtwidrig unterlassen haben, zu überwachen, dass die von ihnen mit dem Aufbau und Freigabe des Krans beauftragten Mitarbeiter, den Beklagten zu 2. und den Streithelfer zu 9., das gelieferte Material auf dessen Geeignetheit überprüfen; dass die Beklagten zu 1. und 2. letztlich bei der Montage und Sachkundeprüfung des Krans bzw. dessen Sachverständigen-Prüfung es pflichtwidrig unterlassen haben, zu beanstanden, dass die Bolzenverbindungen am Laufkatzenausleger des streitgegenständlichen Krans, auch im Untergurt, teilweise durch nicht auf den jeweiligen Verbindungsbolzen abgestimmte Federstecker gesichert waren.

Dies haben die Beklagten in rechtswidriger und schuldhafter, weil jedenfalls fahrlässiger Weise unterlassen.

Nach dem in § 286 ZPO normierten Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist ein Beweis erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist. Dabei muss der Grad der Überzeugung keine absolute Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erreichen.

Vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr.; siehe nur BGH 11.06.2015 – I ZR 19/14, NJW 2016, 942, Rn. 40). Das ist hier der Fall.

Der Sachverständige H### stellt in seinem Gutachten vom 20.03.2019 fest, dass die am Unfallort von der Polizei gesicherten Federstecker überwiegend unterschiedliche geometrische Ausführungen, die nicht an die geometrische Form der zu sichernden Bolzen angepasst gewesen seien, und Materialveränderungen, insbesondere Einkürzungen, aufgewiesen hätten. Der Sachverständige stellt weiter fest, dass diese Mängel bei der Sachkunde- bzw. Sachverständigen-Kranprüfung hätte auffallen, erkannt und beanstandet werden müssen. Die Federstecker stellten bei nicht ordnungsgemäßer Montage und nicht bestimmungsgemäßer Ausführung ein erhöhtes Sicherheitsrisiko dar. Denn es sei nicht auszuschließen, dass der nicht passende Federstecker bei auftretender Gegenreaktionskraft wieder aus seinem mangelhaften Sitz herausgedruckt werde. Ein Austausch der nicht passenden Federstecker wäre bei der vorliegenden Sachlage (s. Polizei-Lichtbilder) zwingend vor dem Kranhub erforderlich gewesen. Dies alles hat der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten vom 03.08.2021 bestätigt.

Nachdem die Beklagten am 23.02.2024 verhandelt haben, ohne zuvor einen (erneuten) Antrag auf Ladung des Sachverständigen H### zu stellen, haben sie auf dessen Anhörung schlüssig verzichtet (§ 295 Abs. 1 ZPO).

Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme hat das Gericht einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit darüber, dass die Bolzenverbindungen des streitgegenständlichen Krans vorwiegend durch nicht passende Federstecker gesichert waren und der Beklagte zu 1. als Kransachverständiger, der Beklagte zu 2. als Monteur und selbständiger Richtmeister, die Beklagte zu 3. als mit der Montage und Freigabe des Krans beauftragte Firma, die Beklagte zu 4. als Eigentümerin und Vermieterin des Krans dies auch hätten erkennen können und müssen. Vernünftige Zweifel schweigen. Das Gericht folgt den überzeugenden Angaben des Sachverständigen H###, der für die vorliegende Begutachtung besonders qualifiziert ist. Das Gutachten ist in sich schlüssig und nachvollziehbar. Der Sachverständige ist insbesondere auch von zutreffenden Tatsachen ausgegangen und hat die daraus folgenden Ergebnisse logisch und widerspruchsfrei dargestellt. Der Sachverständige hat seine Schlussfolgerungen stets umfassend begründet.

Die Beklagten zu 1. und 2. haben bei ihren Kranprüfungen jeweils ihre Sorgfaltspflichten verletzt. In ihrer Funktion als Prüfingenieur bzw. Richtmeister waren sie verpflichtet, die Bolzen und Federstecker sowie die Bolzenverbindungen auf dem Ausleger des streitgegenständlichen Krans im Rahmen einer visuellen Prüfung auf ihre Ordnungsgemäßheit und Betriebssicherheit hin zu kontrollieren und bei Feststellung von Unregelmäßigkeiten Maßnahmen zur Abwendung der damit verbundenen Gefahren zu ergreifen.

Der Beklagte zu 2. führte seine Prüfung nach der Montage und vor der Inbetriebnahme durch. Es handelt sich um die gemäß § 26 Abs. 2 DGUV Krane bei jeder Aufstellung vorgeschriebene Prüfung. Hierbei handelt es sich um eine Sicht- und Funktionsprüfung, die insbesondere die Funktion der Sicherheitseinrichtungen, die richtige Aufstellung sowie die Konstruktionsteile, die bei der Aufstellung montiert bzw. verändert werden müssen, umfasst. Neben der Kontrolle auf augenfällige Mängel gehört hierzu auch die Kontrolle von Bolzen (vgl. hierzu Durchführungsanweisung zu § 26 Abs. 2 DGUV Krane). Hierbei handelt es sich um eine vollständige Prüfung des Krans, die nicht etwa endet, sobald eine Beanstandung festgestellt wird, selbst wenn diese Beanstandung – so wie hier – eine Umrüstung i.S.d. § 26 Abs. 2 DGUV Krane erforderlich macht, nach deren Vornahme eine erneute Prüfung durchzuführen ist. Der Beklagte zu 1. prüfte den Kran im Rahmen der wiederkehrenden Prüfung (§ 26 Abs. 1 und 4 DGUV Krane), während dieser bereits in Betrieb genommen war.

Es kann dahinstehen, ob sich zum Zeitpunkt der jeweiligen Prüfung in der streitgegenständlichen Bolzenverbindung kein Federstecker oder ein Federstecker mit einer zu kurzen Nadel befand, denn jedenfalls haben die Beklagten zu 1. und 2. sorgfaltswidrig nicht bemerkt, dass sich in den Bolzenverbindungen des Krans lediglich ein einziger Original Wolff Federstecker mit gelber Chromatierung befand und dass mehrere Federstecker beschädigt waren und unterschiedliche Längen aufwiesen. Dass die Beklagten zu 1. und 2. diese Federstecker nicht beanstandet haben, obwohl sich diese erkennbar in einem nicht zulässigen Zustand befunden haben, lässt für die Kammer nur den Schluss zu, dass die Beklagten zu 1. und 2. geraden den Bolzenverbindungen nicht die gebotene Aufmerksamkeit geschenkt haben.

Der Beklagte zu 1. ist auch passivlegitimiert. Für ihn gelten die Grundsätze der Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG), die eine persönliche Inanspruchnahme grundsätzlich ausschließen würden, nicht. Die Durchführung der wiederkehrenden Prüfung von Kranen durch Sachkundige nach § 26 Abs. 1 der berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschriften für Krane (DGUV Krane) stellt keine Ausübung eines öffentlichen Amtes dar, da die öffentlich-rechtlichen Vorschriften den Auftraggeber selbst verpflichteten, die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen zu ergreifen. Der Auftraggeber ist zwar rechtlich verpflichtet, hierzu einen Sachkundigen einzuschalten und vertraglich zu verpflichten, die Behörde ist jedoch an die Ergebnisse der Sachkundigen-Prüfung nicht gebunden. Der Sachkundige selbst ist nicht befugt, Maßnahmen selbst zu treffen und braucht die Behörde auch nicht über das Ergebnis seiner Prüfung zu unterrichten. Die Prüfung erfolgt stattdessen unabhängig von amtlichen Prüfungen. Die Aufgabe des Sachkundigen beschränkt sich darauf, den Sachverhalt zu prüfen und das Prüfungsergebnis zu dokumentieren, in welches die Behörden nur Einsicht nehmen können. Die Prüfung ist daher nicht aufs Engste mit einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe verbunden (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2009 – III ZR 86/08, NJW-RR 2009, 1398).

Die Beklagten zu 3. und 4. haben ihre Versicherungspflicht verletzt, indem sie es unterließen, zum einen ihre Mitarbeiter darin zu unterweisen, dass die Bolzenverbindungen beim Aufbau des Krans besonders sorgfältig überprüft werden müssen und nicht passende, beschädigte und nicht Original-Wolff-Federstecker zu beanstanden und auszutauschen sind, und zum anderen die von ihnen beauftragten Prüfer stichprobenartig zu überwachen. Die Beklagte zu 4. hat zudem als Vermieterin des Krans nicht passende Federstecker geliefert.

Die Verkehrssicherungspflicht beruht auf der Erwägung, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft, auch die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz Dritter zu treffen hat. Bei einem Bauvorhaben hat zwar in erster Linie der Bauherr dafür zu sorgen, dass von seinem Bauvorhaben keine Gefahren ausgehen, durch die Dritte geschädigt werden können, weil der Bauherr die Gefahrenquelle eröffnet hat. Allerdings sind die am Bauvorhaben beteiligten Unternehmer nicht nur vertragsrechtlich verpflichtet, den Bauherr vor etwaigen Schäden durch das Werk zu bewahren, sondern sie sind auch deliktsrechtlich zur Verkehrssicherung gegenüber Dritten verpflichtet, die vorhersehbar mit den Gefahren der baulichen Anlage in Berührung kommen und dadurch Schaden erleiden können (BGH, NJW 1997, 582).

Dies bedeutet, dass auch etwa die Beklagten zu 3. und 4., die die Montage und Freigabe des Krans übernommen hatten, für ihren Arbeitsbereich verkehrssicherungspflichtig waren. Dass daneben auch andere – etwa wie die Nebenintervenientin zu 8. – Pflichten übernommen haben, lässt die Pflicht der Beklagten zu 3. und 4. für die von ihnen übernommene Tätigkeit, Gewähr zu übernehmen, nicht entfallen. Die Haftung der Beklagten zu 3. und 4. entfällt auch nicht, weil sie jeweils Dritte, nämlich die Beklagten zu 2. und 1., mit der der Überprüfung der Einsatzfähigkeit des streitgegenständlichen Krans beauftragt haben und sich auf das Ergebnis dieser selbständigen Prüfungen hätten verlassen dürfen. Denn der ursprünglich Verkehrssicherungspflichtige bleibt zur Überwachung des eingesetzten Dritten verpflichtet und ist insofern neben diesem selbst noch verantwortlich. Die Verkehrssicherungspflicht des ursprünglich Verantwortlichen wird auf Auswahl- und Überwachungspflichten verengt. In Grenzen kann der ursprünglich Verpflichtete zwar darauf vertrauen, dass der Dritte der Pflicht auch nachkommt. Dennoch muss er sich durch stichprobenartige Kontrollen ein Bild davon verschaffen, ob der beauftragte Dritte seinen Pflichten grundsätzlich nachkommt. Dass die Beklagten zu 3. und 4. irgendwelche Kontrollmaßnahmen getroffen hätten, tragen sie selbst nicht vor.

Die unstreitig gebliebenen Verletzungen der Klägerin, welche unstreitig durch das Unfallereignis verursacht wurden, sind adäquat-kausal auf die Pflichtverletzungen der Beklagten zurückzuführen. Da die Pflichtverletzung objektiv feststeht und sich gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, der die betreffende Pflicht entgegenwirken soll, nämlich den Kran vor dem Umstürzen zu bewahren, kommt der geschädigten Klägerin der Beweis des ersten Anscheins zugute. Die Beklagten haben diesen Anscheinsbeweis nicht erschüttert, da sie keine Tatsachen vorgetragen haben, die die Möglichkeit eines anderen (atypischen) Geschehensablaufs im Einzelnen ernsthaft in Betracht kommen lassen. Zwar ist – was auch das Gericht nicht verkennt – eine anderweitige Ursache für den Sturz des Krans theoretisch denkbar, etwa, durch mutwillige Beschädigung durch unbekannte Dritte oder etwaige verborgene Konstruktions- bzw. Materialfehler. Dafür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte und es erscheint insgesamt als fernliegend, weshalb sich auf dieser Grundlage beim Gericht kein “vernünftiger Zweifel” einstellt. Demnach ist davon auszugehen, dass der Sturz des Krans verhindert worden wäre, wenn die Beklagten ihrer Pflichten nachgekommen wären, weil ihnen dann die mangelhaften Federstecker aufgefallen und daraufhin Schutzvorkehrungen getroffen worden wären. Dies hätte dazu geführt, dass der Kran am 11.12.2013 nicht eingestürzt wäre.

2. Der Klägerin ist aufgrund der Rechtsgutsverletzung ein immaterieller Schaden entstanden, weshalb die Beklagten ihr ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 Euro gemäß § 253 Abs. 2, 844 Abs. 3 BGB schulden.

Die Höhe zuzubilligenden Schmerzensgeldes wird maßgeblich durch die sogenannte Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes bestimmt. Danach soll das Schmerzensgeld dem Geschädigten einen Ausgleich für den erlittenen nicht vermögensrechtlichen Schaden gewähren. Die sogenannte Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, die insbesondere bei vorsätzlichen oder zumindest grob fahrlässigen Schädigungen eingreift, tritt demgegenüber in den Hintergrund. Vorliegend ist den Beklagten kein grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten vorzuwerfen.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes waren daher insbesondere das Ausmaß und die Schwere der Verletzungen sowie deren Folgen, zu berücksichtigen. Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt.

Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (vgl. OLG München, Urteil v. 16.2.2022 – 10 U 6245/20, BeckRS 2022, 3890 Rn. 38 m.w.N.). Die Klägerin wurde durch das Unfallereignis schwer verletzt.

Das belegen die unstreitig gebliebenen ärztlichen Berichte. Dass eine starke psychische Belastung der Klägerin in der Zeit nach dem Unfall, bei dem ihre 45-jährige Tochter starb, darf ohne weiteres angenommen werden. Alles in allem erscheint der Kammer hier die Zuerkennung des verlangten Schmerzensgeldes in Höhe von 50.000,00 Euro nicht als übersetzt.

3. Zum Ausgleich ihrer materiellen Schäden kann die Klägerin von den Beklagten die Zahlung von insgesamt 14.027,74 Euro fordern. Das einfache Bestreiten der Beklagten ist angesichts der unstreitigen Gesundheitsschäden der Klägerin und deren Tochter aufgrund des streitgegenständlichen Kranunfalls unbeachtlich.

Zu erstatten sind der Klägerin Arzt- und Zuzahlungskosten in Höhe von 498,84 Euro. Insoweit sind Positionen betroffen, welche nachvollziehbar durch die Beeinträchtigungen der Klägerin verursacht worden sind.

Gemäß § 844 Abs. 1 hat die Klägerin gegen die Beklagten als Gesamtschuldner Anspruch auf Ersatz der Kosten der Beerdigung der Tochter in Höhe von 9.272,90 Euro, die unstreitig infolge des Kranunfalls gestorben ist.

Für die Zeit bis zu 6 Monaten nach dem Kranunfall kann die Klägerin gegenüber den Beklagten schließlich einen Haushaltsführungsschaden in Höhe von 4.256,00 Euro geltend machen. Der Haushaltsführungsschaden ist nach §§ 842, 843 BGB auszugleichen. Dafür muss der verletzte Haushaltsführende darlegen und im Rahmen der Beweiserleichterung des § 287 ZPO beweisen, welche Tätigkeiten er ohne den Unfall im Haushalt ausgeübt hätte und welche Aufgaben er infolge der konkreten, unfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr oder nur noch in reduziertem Umfang ausüben kann. Soweit die Klägerin für den Zeitraum von 6 Wochen nach dem Unfall eine Beeinträchtigung von 100% und für weitere 6 Monate eine Beeinträchtigung von 50% geltend macht, ist dies in Anbetracht der Folgen des Kranunfalls für die Kammer nachvollziehbar. Die Klägerin führte nach dem Tod der Tochter einen 1-Personen-Haushalt in einem 2-Familienhaus mit einem 800 qm Grundstück. Ein wöchentlicher Stundenbedarf von 22,4 h ist anzusetzen.

Ein Stundensatz in Höhe von 10,00 Euro erscheint angemessen. Die Berechnung des Haushaltsführungsschadens auf Seite 12 der Klageschrift kann durch das Gericht im Ergebnis ohne weiteres übernommen werden (425,6 Stunden x 10 Euro = 4.256,00 Euro).

4. Der Anspruch der Klägerin ist auch durchsetzbar. Er ist insbesondere nicht verjährt.

Für Ansprüche aus § 823 BGB gilt die dreijährige Verjährungsfrist gemäß §§ 195, 199 BGB. Da die Klägerin am 11.12.2013 verletzt wurde, wären an sich sämtliche Ansprüche mit Ablauf des 31.12.2016 verjährt. Die Verjährungsfrist beginnt allerdings gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder aufgrund grob fahrlässiger Unkenntnis nicht erlangt hat, zu laufen. Die Klägerin konnte erst im März 2014 überhaupt Kenntnis von den Tatsachen, aus denen die Verantwortlichkeit der Beklagten folgte, erlangen, als das Gutachten des Sachverständigen S### vorgelegt wurde. Die Verjährungsfrist begann daher frühestens mit Ablauf des 31.12.2014 zu laufen, so dass die Verjährung durch die am 06.09.2017 eingegangene Klage rechtzeitig gehemmt wurde (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).

II.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner auch einen Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 2.879,09 Euro aus §§ 823, 249 BGB.

III.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

IV.

Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf die begehrte Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für zukünftig aus dem Unfallereignis entstehende materielle Schäden (§§ 823 Abs. 1, 249 BGB, 256 Abs. 1 ZPO). Dies allerdings nur, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige leistende Dritte im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs übergegangen sind oder übergehen werden, da die Klägerin nur insoweit aktivlegitimiert ist (§ 116 SGB X). Das Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) besteht; dass die diesbezügliche Schadensentwicklung vollständig abgeschlossen ist, steht nicht sicher fest.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Ziffer 1, 100 Abs. 4 ZPO und betreffend die Nebeninterventionen aus § 101 Abs. 1 ZPO.

VI.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

VII.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO.

OVG Schleswig-Holstein zu der Frage, dass wenn Streit über die Richtigkeit der Höhe der von den Sachverständigen ermittelten Kosten für den für die Mängelbeseitigung erforderlichen und gutachterlich festzustellenden Mängelbeseitigungsaufwand besteht, hierüber nicht im Verfahren zur Festsetzung des Streitwertes zu entscheiden ist, sondern insoweit das Beweisverfahren fortzusetzen gewesen wäre

OVG Schleswig-Holstein zu der Frage, dass wenn Streit über die Richtigkeit der Höhe der von den Sachverständigen ermittelten Kosten für den für die Mängelbeseitigung erforderlichen und gutachterlich festzustellenden Mängelbeseitigungsaufwand besteht, hierüber nicht im Verfahren zur Festsetzung des Streitwertes zu entscheiden ist, sondern insoweit das Beweisverfahren fortzusetzen gewesen wäre

vorgestellt von Thomas Ax

1. Auch für selbständige Beweisverfahren im Verwaltungsprozess (§ 98 VwGO i.V.m. § 485 Abs 2 ZPO) gilt, dass sich der Streitwert grundsätzlich nach dem Hauptsachewert richtet. Er ist nach Durchführung der Beweiserhebung und unter Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse zu ermitteln.*)
2. Ausgangspunkt der Bemessung ist die sich für den Antragsteller bei Einleitung des Verfahrens aus seinem Antrag ergebende Bedeutung der Sache, §§ 40, 52 Abs. 1 GKG 2004. Dient das Beweisverfahren der Feststellung von (Bau-)Mängeln, bestimmt sich dessen Wert nach dem für die Mängelbeseitigung erforderlichen und gutachterlich festzustellenden Mängelbeseitigungsaufwand, da dieser regelmäßig Gegenstand eines späteren Hauptsacheverfahrens ist.*)
3. Unerheblich bleibt, wie die Beteiligten die eingeholten Gutachten später bewerten und dass sie durch Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs ein Hauptsacheverfahren vermeiden.*)
4. Besteht Streit über die Richtigkeit der Höhe der von den Sachverständigen ermittelten Kosten, ist hierüber nicht im Verfahren zur Festsetzung des Streitwerts zu entscheiden, sondern das Beweisverfahren fortzusetzen.*)
OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.05.2024 – 6 O 14/24
vorhergehend:
VG Schleswig, 11.05.2023 – 9 E 2/16


Gründe

Über die Streitwertbeschwerden entscheidet gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG die nach der Geschäftsverteilung des Senats zuständige Berichterstatterin als Einzelrichterin, da die angefochtene Streitwertfestsetzung von einem Einzelrichter der Vorinstanz getroffen worden ist.

Die durch die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin und des Beigeladenen zu 1. jeweils im eigenen Namen eingelegte Streitwertbeschwerde gegen die Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11. Mai 2023 ist gemäß § 32 Abs. 2 RVG zulässig. Beide sind durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beschwert, da eine höhere Streitwertfestsetzung dazu führen würde, dass sie entsprechend höhere Anwaltsgebühren geltend machen könnten. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 200,- Euro (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG); die Gebührendifferenz zwischen dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwert von 5.000,- Euro einerseits und den Gebühren aus dem von den Beschwerdeführern erstrebten Streitwert von 668.592,26 Euro bzw. 558.000,- Euro andererseits liegt über dem Beschwerdewert von 200,- Euro.

Die Beschwerden sind auch begründet, da der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens mit dem Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG fehlerhaft bemessen ist. Vielmehr bietet der bisherige Sach- und Streitstand genügend Anhaltspunkte, den Streitwert nach der sich aus dem Antrag der Antragstellerin ergebenden Bedeutung der Sache gemäß § 52 Abs. 1 GKG zu bestimmen.

In der zivilgerichtlichen Praxis wird der Streitwert für selbstständige Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO grundsätzlich mit dem Hauptsachewert oder mit dem Teil des Hauptsachewertes angesetzt, auf den sich die Beweiserhebung bezieht. Das Gericht hat den Hauptsachewert nach Durchführung der Beweiserhebung und unter Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse zum Hauptsachewert – insbesondere aus einem Sachverständigengutachten – festzusetzen und dies bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und das Interesse des Antragstellers (BGH, Beschl. v. 16.09.2004 – III ZB 33/04 -; Kratz in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 52. Ed. 01.03.2024, § 485 Rn. 42; Schreiber in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2020, § 494a Rn. 13). Dient das Beweisverfahren der Feststellung von (Bau-) Mängeln, bestimmt sich dessen Wert nach dem für die Mängelbeseitigung erforderlichen und gutachterlich festzustellenden Aufwand (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 31.05.2010 – 4 W 17/10 -; OLG Hamburg, Beschl. v. 01.02.2000 – 9 W 2/00 -). Dieser entspricht regelmäßig dem im späteren Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruch. Insoweit ist anhand der Antragstellung, aber aus objektiver Sicht zu ermitteln, welchen Anspruch der Antragsteller bei Verfahrenseinleitung im späteren Hauptsacheverfahren verfolgen will. Werden im Beweisverfahren nicht alle behaupteten Mängel bestätigt, sind für die Streitwertfestsetzung diejenigen Kosten zu schätzen, die sich ergeben hätten, wenn jene Mängel festgestellt worden wären (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 31.05.2010 – 4 W 17/10 -; OLG Celle, Beschl. v. 05.03.2008 – 14 W 6/08 -).

Dem ist gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 485 Abs. 2 ZPO für selbstständige Beweisverfahren im Verwaltungsprozess im Grundsatz zu folgen (vgl. OVG Magdeburg, Beschl. v. 17.08.2022 – 2 M 79/22 -; OVG Münster, vgl. Beschl. v. 12.07.2017 – 15 E 70/17 -, m.w.N., OVG Bautzen, Beschl. v. 08.10.2012 – 5 E 81/12 -). Dies gilt insbesondere in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem sich die Beteiligten über behauptete Mängel bei der Herstellung von Erschließungsanlagen auseinandersetzen und für die Auseinandersetzung der zu erwartende Mängelbeseitigungsaufwand maßgeblich ist (vgl. nur OVG Münster, Beschl. v. 23.03.2009 – 15 E 31/09 -). Bei alledem versteht sich von selbst, dass die sich im Rahmen der Wertbemessung ergebenden Fragen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und im Rahmen der maßgeblichen Regelungen des § 52 GKG, gegebenenfalls in Verbindung mit den Bestimmungen des für die Verwaltungsgerichtsbarkeit erstellten Streitwertkataloges, zu klären sind.

Ausgangspunkt der Bemessung ist deshalb auch hier § 52 Abs. 1 GKG und damit die sich für die Antragstellerin bei Einleitung des Verfahrens aus ihrem Antrag ergebende Bedeutung der Sache. Für die Bestimmung dieser Bedeutung räumt § 52 Abs. 1 GKG dem Gericht Ermessen ein, wobei mit dem Begriff des Ermessens die Möglichkeit einer mit § 3 ZPO vergleichbaren Schätzung der Streitwerthöhe eingeräumt wird (OVG Bautzen, Beschl. v. 23.06.2010 – 4 E 33/10 -; Toussaint in: BeckOK KostR, 45. Ed. 01.04.2024, § 52 GKG Rn. 10; Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Aufl. 2021, § 52 GKG Rn. 5 m.w.N.). Bei der Ausübung des Ermessens wiederum kommt es auf das objektiv zu beurteilende Interesse des jeweiligen Antragstellers zum Zeitpunkt der den Rechtszug einleitenden Antragstellung (§ 40 GKG) an (BVerwG, Beschl. v. 08.12.2022 – 2 KSt 2.22 -).

Maßgeblich bei der Bestimmung der sich für die Antragstellerin bei Einleitung des Verfahrens aus ihrem Antrag ergebenden Bedeutung der Sache ist deshalb, dass sie gegenüber der Antragsgegnerin offenkundig einen vertraglichen Gewährleistungsanspruch verfolgt hat, gestützt auf § 7 des zwischen ihnen geltenden “Städtebaulichen – und Erschließungs-Vertrages” vom 10. Juli 2000. Dabei kann unterstellt werden, dass sie diesen Anspruch unter Anführung der von ihr bei Einleitung des Verfahrens unter Beweis gestellten Mängel in einem späteren Hauptsacheverfahren geltend gemacht hätte.

Dass Ausmaß und Beseitigungsaufwand hinsichtlich der Mängel von den Beteiligten im Nachhinein unterschiedlich bewertet werden, ist für sich betrachtet kein Grund, auf § 52 Abs. 2 GKG zurückzugreifen. Dies käme vielmehr erst dann in Betracht, wenn sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, worauf ein späteres Hauptsacheverfahren hätte gerichtet sein können (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 24.07.2023 – 7 OB 33/23 -) – so, wie es in dem vom Verwaltungsgericht zitierten Verfahren des OVG Bautzen der Fall war. Die dortigen Antragsteller hatten nicht dargelegt, welcher durch das selbstständige Beweisverfahren zu sichernde Anspruch ihnen zustehen sollte, falls der Sachverständige die begehrten Feststellungen trifft (OVG Bautzen, Beschl. v. 08.10.2012 – 5 E 81/12 -). Wie aufgezeigt, liegt es hier jedoch nicht so.

Auf Grundlage der beiden vom Verwaltungsgericht eingeholten Gutachten und der darin jeweils geschätzten Kosten für die Beseitigung der behaupteten und gutachterlich festgestellten Mängel bei Erstellung der Erschließungsanlage im 3. Bauabschnitt des B-Planes Nr. 5 der Antragstellerin ergibt sich ein Streitwert von insgesamt 668.592,26 Euro. Davon entfallen 558.000,- Euro auf den Rückbau und die Neuerstellung der gesamten Straßenbauarbeiten und 110.592,26 Euro auf den Umbau der straßenbegleitenden Grünflächen. In der Wertermittlung enthalten sind auch die sog. “Sowieso-Kosten” für eine erforderliche, aber von Anfang an fehlende Drainage; derartige Kosten reduzieren den Wert nur, wenn der Antrag entsprechend beschränkt worden ist (OLG Rostock, Beschl. v. 15.04.2008 – 3 W 36/08 -). Dies war hier nicht der Fall. Im Übrigen sind beide Gutachter davon ausgegangen, dass nach erfolgter Mangelbeseitigung kein Minderwert der Erschließungsanlage verbleibt. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin bei Einleitung des Verfahrens einen technischen oder merkantilen Minderwert, der den Streitwert noch erhöhen würde, geltend gemacht hat oder machen wollte, bestehen nicht.

Vom objektiven Interesse der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung ausgehend kommt es schließlich nicht darauf an, wie die Beteiligen die eingeholten Gutachten später bewerteten und dass sie, statt ein Hauptsacheverfahren einzuleiten, eine vergleichsweise Regelung fanden. Besteht Streit über die Richtigkeit der Höhe der von den Sachverständigen ermittelten Kosten, ist hierüber nicht im Verfahren zur Festsetzung des Streitwertes zu entscheiden; insoweit wäre vielmehr das Beweisverfahren fortzusetzen gewesen (Herget in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 3 Rn. 16.151 m.w.N.). Vorliegend haben die Beteiligten jedoch trotz angemessener zeitlicher Möglichkeit davon abgesehen, im Rahmen des Beweisverfahrens Einwendungen gegen die beiden Gutachten zu erheben. Dessen ungeachtet bleibt die im vorliegenden Verfahren geübte Kritik der Antragsgegnerin am Gutachten des Sachverständigen ### auch zu unsubstantiiert, als dass daraus eine sachgerechte Reduzierung des Streitwertes hätte abgeleitet werden können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

BGH zu der Frage, dass ein Ablehnungsgesuch völlig ungeeignet ist, wenn seine Begründung von vornherein untauglich ist, eine Befangenheit des abgelehnten Richters aufzuzeigen, und für seine Verwerfung deshalb jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist

BGH zu der Frage, dass ein Ablehnungsgesuch völlig ungeeignet ist, wenn seine Begründung von vornherein untauglich ist, eine Befangenheit des abgelehnten Richters aufzuzeigen, und für seine Verwerfung deshalb jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist

vorgestellt von Thomas Ax

1. Ein völlig ungeeignetes Ablehnungsgesuch ist eindeutig unzulässig und kann daher durch den Spruchkörper in seiner regulären Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters beschieden werden.
2. Ein Ablehnungsgesuch ist völlig ungeeignet, wenn seine Begründung von vornherein untauglich ist, eine Befangenheit des abgelehnten Richters aufzuzeigen, und für seine Verwerfung deshalb jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist.
3. Bei der Rüge “vieler” übergangener Anträge und Gehörsverletzungen sowie Form- und Rechtsverstößen handelt es sich um Pauschalbehauptungen und Wertungen ohne Tatsachensubstanz, die von vornherein nicht geeignet sind, eine Besorgnis der Befangenheit aufzuzeigen.
BGH, Beschluss vom 14.05.2024 – XI ZB 16/23
vorhergehend:
LG Frankfurt/Main, 01.03.2022 – 2-09 T 37/22
AG Frankfurt/Main, 27.07.2020 – 31 C 2327/19

Gründe:

I.

1

Ein völlig ungeeignetes Ablehnungsgesuch ist eindeutig unzulässig und kann daher durch den Spruchkörper in seiner regulären Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters beschieden werden. Ein Ablehnungsgesuch ist völlig ungeeignet, wenn seine Begründung von vornherein untauglich ist, eine Befangenheit des abgelehnten Richters aufzuzeigen, und für seine Verwerfung deshalb jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11. März 2013 – 1 BvR 2853/11, und vom 20. August 2020 – 1 BvR 793/19, Rn. 14; BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – AnwZ (Brfg) 28/20, Rn. 10). So verhält es sich hier. Soweit der Kläger “viele” übergangene Anträge und Gehörsverletzungen sowie Form- und Rechtsverstöße rügt, handelt es sich um Pauschalbehauptungen und Wertungen ohne Tatsachensubstanz, die von vornherein nicht geeignet sind, eine Besorgnis der Befangenheit aufzuzeigen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 – VII ZA 15/11, Rn. 2; BVerwG, Beschluss vom 7. August 1997 – 11 B 18.97, NJW 1997, 3327). Die Rüge einer unzureichenden Aufsicht über die Geschäftsstelle des Senats verkennt, dass ein Richter des Senats nicht die Fachaufsicht über die Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ausübt.

II.

2

Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den ihm am 14. November 2023 zugestellten Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2023, als die seine Rüge eines Verstoßes “gegen das rechtliche Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG” auszulegen ist, ist unzulässig, weil der Kläger sie nicht innerhalb der Notfrist des § 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO erhoben hat. Darüber hinaus fehlt es an der gemäß § 321a Abs. 2 Satz 5 ZPO vorgeschriebenen Darlegung einer konkreten entscheidungserheblichen Gehörsverletzung durch den Senat. Soweit sich die Anhörungsrüge gegen die Verwerfung der Rechtsbeschwerde des Klägers richtet, hätte sie zudem durch einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden müssen. Der im Rechtsbeschwerdeverfahren bestehende Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO) gilt auch für eine in diesem Verfahren erhobene Anhörungsrüge (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 18. Mai 2005 – VIII ZB 3/05, NJW 2005, 2017, vom 21. Juli 2021 – I ZB 28/21, Rn. 2 und vom 2. August 2023 – IX ZB 11/23, Rn. 2).

3

Davon abgesehen wäre die Anhörungsrüge auch unbegründet, weil der Senat bei seiner Entscheidung die Ausführungen des Klägers in vollem Umfang zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen, aber für nicht durchgreifend erachtet hat. Insbesondere ändert sein Vorbringen nichts daran, dass gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 1. März 2022 kein Rechtsmittel eröffnet ist und deshalb sein Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts zurückzuweisen sowie seine Rechtsbeschwerde zu verwerfen war, ohne dass es eines Eingehens auf den Gegenstand des Verfahrens bedurfte. Aus diesem Grund fehlte den Anträgen des Klägers auf Übersendung von Abschriften der Akten das Rechtsschutzbedürfnis, denn diese Anliegen waren unter keinem Gesichtspunkt geeignet, der Verwirklichung seines Rechtsschutzziels zu dienen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2022 – AnwZ (Brfg) 28/21, Rn. 17; BFH, Beschlüsse vom 20. Juni 2006 – X B 55/06, und vom 14. Oktober 2010 – II S 24/10 (PKH); BayVGH, Beschluss vom 18. Mai 1998- 20 ZB 98.1342).

(Hinweis der Redaktion: Die Randnummern sind amtlich und damit besonders zitiergeeignet.)

OLG Bamberg zu der Frage, dass die schlüssige Darlegung eines Unterlassungsanspruchs nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 37 Abs. 1 WHG den Vortrag dazu voraussetzt, dass es sich bei dem eindringenden Wasser um “wild abfließendes Wasser” i.S.v. § 37 Abs. 1, Abs. 4 WHG handelt, von welchem natürlichen Abflusszustand auszugehen und zu welcher Veränderung des Wasserabflusses es gekommen ist

OLG Bamberg zu der Frage, dass die schlüssige Darlegung eines Unterlassungsanspruchs nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 37 Abs. 1 WHG den Vortrag dazu voraussetzt, dass es sich bei dem eindringenden Wasser um "wild abfließendes Wasser" i.S.v. § 37 Abs. 1, Abs. 4 WHG handelt, von welchem natürlichen Abflusszustand auszugehen und zu welcher Veränderung des Wasserabflusses es gekommen ist

vorgestellt von Thomas Ax

1. § 37 WHG regelt das wasserrechtliche Nachbarrecht (Anschluss an BGH, Urteil vom 12.05.2015 – V ZR 168/14, IBRRS 2015, 2392 = IMR 2015, 425; BGH, Urteil vom 20.04.2023 – III ZR 92/22, IBRRS 2023, 1588 = IMRRS 2023, 0740).*)
2. Gegen Einwirkungen durch wild abfließendes Wasser auf sein Grundstück kann sich der Eigentümer grundsätzlich mit dem auf Unterlassung gerichteten Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB zur Wehr setzen (Anschluss an BGH, Urteil vom 09.05.2019 – III ZR 388/17, IBRRS 2019, 1717 = IMR 2019, 342).*)
3. Die schlüssige Darlegung eines Unterlassungsanspruchs nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 37 Abs. 1 WHG setzt Vortrag dazu voraus, dass es sich bei dem eindringenden Wasser um “wild abfließendes Wasser” i.S.v. § 37 Abs. 1, Abs. 4 WHG handelt, von welchem natürlichen Abflusszustand auszugehen und zu welcher Veränderung des Wasserabflusses es gekommen ist. Weiter ist darzulegen, wie die Veränderung des natürlichen Wasserabflusses zu Beeinträchtigungen des betroffenen Grundstücks geführt hat, da ein Unterlassungsanspruch nur bei einem Verstoß gegen das Veränderungsverbot anzunehmen ist (Bestätigung von BGH, Urteil vom 09.05.2019 – III ZR 388/17, IBRRS 2019, 1717 = IMR 2019, 342; BGH, Urteil vom 20.04.2023 – III ZR 92/22, IBRRS 2023, 1588 = IMRRS 2023, 0740).*)
OLG Bamberg, Beschluss vom 06.02.2024 – 10 U 61/23
vorhergehend:
LG Coburg, 25.10.2023 – 12 O 725/20

Gründe:

I.

Die Kläger verlangen vom Beklagten Unterlassung und Ausgleichzahlungen wegen vom Grundstück des Beklagten auf das Grundstück der Klägerin eindringendem Wasser.

Die Klägerin zu 1) (im Folgenden nur Klägerin) ist Eigentümerin des Grundstücks mit der Flur-Nr. xx/001 der Gemarkung A. (Grundbuch des Amtsgerichts … von A., Blatt …) mit der Anschrift Z-weg 01, 02, 03, 04, …. Dem Kläger zu 2) (im Folgenden nur Kläger) räumte die Klägerin mit notariellen Überlassungsvertrages vom 23.11.2016 (Anlage K 1) ein Nießbrauchsrecht an dem vorgenannten Grundstück ein. Die Grundstücke 02, 03, 04 sind teilweise mit Garagen bebaut, vor denen sich als Einfahrt eine gepflasterte Fläche befindet.

Das Anwesen Z-weg 01 ist mit einem Wohnhaus bebaut. Der Beklagte ist Eigentümer des Grundstücks mit der Flur-Nr. xx/002 der Gemarkung A. mit der Anschrift D., …, das unmittelbar an das Grundstück der Klägerin angrenzt. Das Anwesen “D.” liegt an einem nach Nordwesten zur Talaue der X. hin geneigten Hanggelände. Am Fuß des Hangbereichs verläuft der Z-weg, an dessen südlichem Ende sich das Grundstück der Klägerin befindet. Der Höhenunterschied zwischen dem Gebäude “D. ” und dem Garagenhof auf dem Grundstück der Klägerin beträgt etwa zehn Meter. Westlich des Grundstücks der Klägerin fließt der Fluß “X.” von Nord nach Süd. Auf dem Grundstück des Beklagten befindet sich – nach dem vom Beklagten bestrittenen Vortrag der Kläger – eine “Quellstube“. Die “Quellstube” wird derzeit nicht genutzt und ist – nach dem Vortrag der Kläger – nicht mehr funktionstüchtig. Das Quellwasser fließt daher derzeit über den Rand des Entnahmebeckens in einem betonierten, fliesenverkleideten Gerinne als Haupteinspeicherung in einem auf dem Grundstück des Beklagten befindlichen Gartenteich. Vom Teich wird es in einen verrohrten Ablauf geleitet, welcher an das Abwasserableitungssystem des Nachbargrundstücks angeschlossen ist.

Die Kläger haben in erster Instanz vorgetragen, das Grundstück der Klägerin werde “durch dauernden Hangwasserandrang erheblich geschädigt/beeinträchtigt” (S. 9 der Klageschrift ). Ursprung des Hangwasserandrangs sei die “Quellstube” (S. 10 K, S. 10 der Replik ; S. 5 SS KV 14.07.21, S. 3 SS KV 07.09.21). Dies sei vom Privatsachverständigen T. u. a. aufgrund wasserchemischer Untersuchungen festgestellt worden (Anlage K 2). Die nicht vorgenommene Ertüchtigung und entsprechende Umbauten im Bereich der Teichanlage und der Quellstube stellten einen Eingriff in die natürliche Eigenart des Grundstücks dar, wonach sich eine mittelbare Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks “aufgrund des wild abfließenden Oberflächenwassers” ergebe (S. 24 K, S. 6 Re; vgl. auch S. 5 SS KV 03.11.21). Anfang des Jahres 2018 sei es zu Absenkungen auf dem Grundstück der Klägerin gekommen. Im April 2018 sei “Wasser aus der Böschung gelaufen“. Ab diesem Zeitpunkt habe sich der Schotter hinter den Garagen 5 bis 8 immer mehr abgesenkt und auch im Hof des Anwesens Z-weg 02, 03 und 04 sei es zu Absenkungen gekommen. Der Kläger habe versucht, dass “aus der Böschung austretende Wasser” mit Schottersteinen und einem ca. 1 Meter langen Rohr zu kanalisieren. Er habe dabei ab dieser Zeit eine Wassermenge von ca. 18 bis 21 ³/Tag Wasser festgestellt. Das “aus der Böschung austretende Wasser” stamme vom Nachbargrundstück des Beklagten (S. 17 K). Seit Jahren komme es nun zu einem “täglichen oberflächlichen Wassereingang” von ca. 20-25 ³ Wasser vom Grundstück des Beklagten kommend auf das Grundstück der Klägerin (S. 3 SS BV 14.07.21).

Dem Kläger seien zur Beseitigung der durch das Wasser entstandenen Schäden an dem Grundstück und durch die Beauftragung des Privatsachverständigen Aufwendungen in einer Gesamthöhe von 47.148,29 Euro entstanden (Anlagen K 10 bis K 17, K 24 bis K 35). Das Pflaster habe sich gesetzt. Die gesamten Pflasterstellen hätten ertüchtigt und neu befestigt werden müssen, weil durch den Wasserandrang sich der gesamte Boden gesenkt und bewegt habe. Zudem habe der Kläger Eigenleistungen im Wert von 3.700,00 Euro erbracht. Es sei Mutterboden gekauft, das Pflaster ausgebaut, seitlich gelagert, neuer Boden eingebaut und verdichtet worden.

Die Kläger haben in erster Instanz zuletzt – nach dem Tod der ehemaligen Klägerin zu 3), die vom Kläger allein beerbt wurde – beantragt,

I. Der Beklagte wird verurteilt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, durch welche verhindert wird, dass unkontrolliertes Oberflächenwasser / Quellwasser vom Grundstück des Beklagten (D.) auf das Grundstück der Klägerin zu 1.), Z-weg 01, 02, 03, 04, …, eindringt / einsickert.

II. Der Beklagte wird ferner verurteilt EUR 56.435,84 an den Kläger zu 2.) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p. a. über den Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit der Klage zu bezahlen.

Der Beklagte hat in erster Instanz beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Auf das Klagevorbringen hat er im Wesentlichen erwidert, das angeblich schadensursächliche Wasser erreiche das klägerische Grundstück unterirdisch in einer Tiefe von ca. 2,5 m bis 4 m unter der Geländeoberfläche. Es sei völlig unklar, wo jenes Wasser seinen Ursprung und welchen Weg es unterwegs genommen habe. An dem gesamten Hang fließe über zahlreiche Grundstücke Wasser. Die Stadtwerke hätten im Herbst 2018 eigens das Schöpfbecken der Quellstube ausgepumpt, um festzustellen, ob dem klägerischen Grundstück über die vorhandene Abflussleitung Quellwasser zugeführt werde. Trotz dieses Abschöpfens hätten sich keinerlei Änderungen des Wasserflusses hinter den klägerischen Garagen in Richtung Gewässer gezeigt (vgl. Anlage B 1). Wie die Kläger selbst einräumten, träten die behaupteten Beeinträchtigungen durch Wasser nicht seit jeher auf, obwohl Quelle und Teich seit jeher vorhanden seien. Vielmehr räumten die Kläger jedenfalls mittelbar ein, dass die Schäden erst aufgetreten seien, nachdem auf dem klägerischen Grundstück und sonst wo, jedenfalls nicht auf dem Grundstück des Beklagten und auch nicht von ihm veranlasst, Eingriffe und Arbeiten durchgeführt worden seien.

Das sachverständig beratene Landgericht die Klage mit Endurteil vom 25.10.2023 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Ein Anspruch auf Ergreifung geeigneter Maßnahmen durch welche verhindert wird, dass unkontrolliertes Oberflächenwasser/Quellwasser vom Grundstück des Beklagten auf das Grundstück der Klägerin eindringt/einsickert, bestehe nicht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hätten die insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass aus der “Quellstube des Beklagten” abfließendes Wasser in das klägerische Grundstück eindringe oder einsickere.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen fließe das Wasser aus der “Quellstube” kontrolliert über ein offenes Gerinne in eine Gartenteichanlage und vom dortigen Auslauf in einer Rohrleitung bis zu einem Schacht auf dem klägerischen Grundstück (“Schacht 2“). Die Wassermenge, welche aus der Quellstube über den Ablaufgraben in den Teich fließt, entspreche in etwa der Wassermenge im Bereich des Auslaufs.

Denn das Wasser in dem “Schacht 2” fließe nur mit geringer Intensität und dürfte in etwa dem Abfluss aus der Teichanlage entsprechen. Hinweise auf ein unkontrolliertes Eindringen oder Einsickern von Wasser aus der Quellstube in das klägerische Grundstück hätten sich nicht ergeben. Zwischen der Teichanlage und dem klägerischen Grundstück seien an keiner Stelle des einsehbaren Hangbereichs Wasseraustritte zu beobachten gewesen und es hätten sich auch keine Hinweise oder Spuren von oberflächlich abfließenden größeren Wassermengen (z.B. Ausspülungen oder Erosionsrinnen) gezeigt. Auch eine Versickerung von Wasser aus der Teichanlage sei auszuschließen. Die auf dem klägerischen Grundstück aus dem “Auslauf 1” austretende Wassermenge sei um ein Vielfaches höher als die am Auslauf der Teichanlage und im “Schacht 2” festgestellte Wassermenge. Es sei daher “offensichtlich“, dass im Bereich des klägerischen Grundstücks unterirdisch Wasser anderer Herkunft als aus der “Quellstube des Beklagten” auf dem Grundstück der Klägerin zufließen müsse.

Das Landgericht schließe sich den widerspruchsfreien und von hoher Sachkunde getragenen Ausführungen des gerichtsbekannt sehr erfahrenen Sachverständigen, die dieser auf Grundlage einer Auswertung der ihm vorgelegten Gerichtsakte einschließlich der schriftlichen Stellungnahmen des klägerseits beauftragen Privatsachverständigen und der im Rahmen der Ortstermine getroffenen Feststellungen und Messungen erstattete, vollumfänglich an. Auch “in Auseinandersetzung mit den widersprechenden Ausführungen des Privatgutachters” sei der Sachverständige nachvollziehbar bei seiner gutachterlichen Einschätzung im schriftlichen Gutachten verblieben.

Die Voraussetzungen für ein Obergutachten lägen nicht vor, denn dafür fehle “es bereits am Vorliegen mehrerer Gutachten“. Soweit die Kläger erstmals mit Schriftsatz vom 20.10.2023 und damit nach Ablauf der mit Verfügung vom 25.10.2022 und mit Beschluss vom 20.09.2023 gesetzten Fristen weitere Einwendungen gegen das Gutachten erhoben haben, handele es sich um verspätetes Vorbringen, das nach §§ 411 Abs. 4 Satz 2, 296 Abs. 1, Abs. 4 ZPO nicht zu berücksichtigen sei. Doch auch im Falle ihrer Berücksichtigung könnten diese Ausführungen keine Zweifel am Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen und dessen Sachkunde zu wecken.

Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Ersturteil (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).

Gegen das vorgenannte Endurteil richtet sich die Berufung der Kläger, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vortragen:

Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei falsch. Es habe die Klageabweisung ausschließlich auf das Gutachten des Sachverständigen R. gestützt und dieses zu Unrecht als schlüssig und widerspruchsfrei erachtet. Das Landgericht habe dabei nicht einmal, wie geboten, abgefragt, ob der Sachverständige R. private und/oder geschäftliche Beziehungen zu den Prozessbeteiligten unterhalte, obwohl dies “zwingend sei“. Zudem habe das Landgericht nicht bereits vor Beauftragung abgefragt, ob der Sachverständige R. überhaupt fachlich geeignet ist. Zudem habe der Sachverständige die in dem Schriftsatz vom 05.12.2022 gestellten ergänzenden Fragen in seiner mündlichen Anhörung vom 20.09.2023 nicht beantwortet. Das Landgericht hätte schließlich hinsichtlich der “dezidierten Ergänzungsfragen” im Schriftsatz vom 04.10.2023 nicht aus eigener Sachkunde heraus annehmen dürfen, dass es sich lediglich um eine Wiederholung und Vertiefung des bisherigen Vortrages zum schriftlichen Sachverständigengutachten gehandelt habe.

Das Gutachten des Sachverständigen R. sei unrichtig. Bereits die Tatsachenfeststellung durch den Gutachter R. sei fehlerhaft. Das Gutachten sei “äußerst rudimentär”. Die Tatsachenfeststellung des Sachverständigen beschränke sich auf Sichtprüfungen und Wassermengenmessungen, die der Sachverständige “ausgerechnet in einem Jahrhundertsommer und ausgerechnet noch in einer sommerlichen Trockenperiode und auch an einem ausgesprochenen Trockentag” vorgenommen habe. Da seien Messungen teilweise nicht möglich gewesen. Erforderlich gewesen seien “verifizierte Messungen” wie durch den Privatsachverständigen, sowohl “geologisch als auch die Wasserchemie betreffend“. Ein “Färbeversuch” bzw. “Farbuntersuchungen” seien ebenfalls nicht durchgeführt worden. Der Sachverständige habe auch “die sich aufdrängende Auffälligkeit” übersehen, dass die Senkung auf dem klägerischen Grundstück in exakter gerader Flucht zum Grundstück des Beklagten hangaufwärts verlaufe und dort exakt in Richtung Quellstube münde. Weiter habe sich der Sachverständige nicht zu dem Erhaltungszustand der Quellstube des Beklagten erklärt, auch nicht zum Zustand des Ablaufgrabens zwischen Quellstube und Teich, obwohl diese jeweils objektiv sanierungsbedürftig seien. Das Gutachten sei zudem auch fachlich falsch. Es setze sich nicht mit den Feststellungen des Privatsachverständigen und den Analysen des Institutes S. und des Chemisches Labor E. auseinander, die eindeutig die Identität des Quellwassers aus der Quellstube zu dem austretenden Wasser im klägerischen Anwesen festgestellt hätten. Es sei inhaltlich auch widersprüchlich. Die gerichtliche Beweisfrage verneine der Sachverständige zwar, gebe aber anderseits in Widerspruch hierzu an, dass überschüssiges Wasser von der Quellstube in die Teichanlage und von der Teichanlage in einen Gully fließe und von dort über eine Rohrleitung zum Grundstück des Klägers gelange.

Das Landgericht habe auch Art. 103 Abs. 1 GG verletzt und gegen das Willkürverbot verstoßen:

Zunächst habe das Landgericht bezüglich des Klageantrages zu I verkannt und übergangen, dass unstreitig vom Grundstück des Beklagten Wasser in erheblichen Mengen durch eine Rohrleitung mit zwei Kontrollschächten auf den klägerischen Grundstück Wasser vom Grundstück des Beklagten auf das Grundstück der Klägerseite geleitet werde. Dies allein begründe den Unterlassungsanspruch “des Klägers“, da eine dingliche Sicherung dieser Rohrleitung nicht bestehe.

Das Landgericht habe zudem die mit Schriftsatz vom 20.10.2023 erhobenen Einwände (“Fragen“, “Beweisfragen“) gegen das Gutachten des Sachverständigen R. zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen.

Noch innerhalb der im Termin vom 20.09.2023 gesetzten Stellungnahmefrist zum Ergebnis der Beweisaufnahme bis zum 04.10.2023 sei am 27.09.2023 ein Anwaltswechsel erfolgt, wobei unverzüglich Akteneinsicht beantragt worden sei. Das Passwort zur Einsichtnahme in die elektronisch übersandte Akte sei beim Prozessbevollmächtigten der Kläger allerdings erst am 05.10.2023 eingegangen, sodass eine fristgerechte Stellungnahme unmöglich gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 17.10.2023 sei daher Fristverlängerung bis zum 30.11.2023 beantragt worden. Angesichts der Dauer des Rechtsstreits und des Umfangs der Akte habe der Prozessbevollmächtigte der Kläger davon ausgehen können, dass seinem Antrag entsprochen werde. Nachdem der Verkündungstermin erst für den 25.10.2023 bestimmt gewesen sei, könne “denknotwendig” durch die Beantwortung der “Beweisfragen” im Schriftsatz vom 20.10.2023 keine Verfahrensverzögerung eintreten, zumal neuer Sachvortrag gerade nicht getätigt worden sei.

Da das Landgericht ungeachtet des Schriftsatzfristverlängerungsantrages des Klägervertreters vom 17.10.2023 und ungeachtet dessen Schriftsatzes vom 20.10.2023 aber auch ungeachtet des fristgerecht eingegangenen Schriftsatzes der Rechtsanwälte L. vom 04.10.2023 am 25.10.2023 entschieden habe, spreche ferner viel dafür, dass das Landgericht sein Endurteil “fertig erstellt” oder “vorgefertigt” gehabt und es sich “ein rechtswidriges Stuhlurteil” gehandelt habe.

Die Kläger beantragen im Berufungsverfahren:

I. Unter Abänderung des Endurteils des Landgerichtes Coburg vom 25.10.2023, Az. 12 O 725/20, zugestellt am 31.10.2023, wird der Beklagte verurteilt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, durch welche verhindert wird, dass unkontrolliertes Oberflächen-/Quellwasser vom Grundstück des Beklagten (D.) auf das Grundstück der Klägerin zu 1, Z-weg 01, 02, 03, 04 in … eindringt/einsickert.

II. Unter Abänderung des Endurteils des Landgerichtes Coburg vom 25.10.2023, Az. 12 O 725/20, zugestellt am 31.10.2023, wird der Beklagte verurteilt, 56.435,84 Euro an den Kläger zu 2 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz jährlich seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen.

II.

Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung der Kläger offensichtlich unbegründet, so dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bietet. Das Landgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

1. Im Ansatzpunkt noch zutreffend geht die Klägerin davon aus, dass sich die Rechtsbeziehungen zwischen ihr und dem Beklagten nach §§ 903 ff., 1004 BGB i.V.m. § 37 WHG beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2019 – III ZR 388/17, NJW-RR 2019, 1035 Rn. 12; Urteil vom 20. April 2023 – III ZR 92/22, MDR 2023, 837 Rn. 11).

a) § 37 WHG regelt das wasserrechtliche Nachbarrecht (BGH, Urteil vom 12. Juni 2015 – V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24 Rn. 7; Urteil vom 20. April 2023 – III ZR 92/22, MDR 2023, 837 Rn. 29). § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG bestimmt, dass der natürliche Ablauf wild abfließenden Wassers nicht zum Nachteil eines tiefer gelegenen Grundstücks verstärkt oder auf andere Weise verändert werden darf. Dies bedeutet, dass durch die veränderten Abflussverhältnisse keine “Belästigung” für den betroffenen Grundstückseigentümer entstehen darf, die von einigem Gewicht und spürbar ist, wodurch das Grundstück erheblich beeinträchtigt wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2019 – III ZR 388/17, NJW-RR 2019, 1035, Rn. 21; Urteil vom 20. April 2023 – III ZR 92/22, MDR 2023, 837 Rn. 11). Wild abfließendes Wasser ist gemäß § 37 Abs. 1 und 4 WHG solches, das außerhalb von Betten abfließt und aus Hochwasser, Quellen oder Niederschlägen stammen kann, mithin zum Wasserschatz der Natur gehört und auf unversiegelte Flächen trifft. Durch § 37 Abs. 1 WHG sind die früheren landesrechtlichen Vorschriften verdrängt worden (Art. 72 Abs. 1 GG), denn bei § 37 WHG handelt es sich um eine vollständige und aus sich heraus vollzugsfähige Regelung mit abschließendem Charakter (BGH, Urteil vom 20. April 2023 – III ZR 92/22, MDR 2023, 837 Rn. 12).

aa) Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG ist die – künstliche (BGH, Urteil vom 9. Mai 2019 – III ZR 388/17, NJW-RR 2019, 1035 Rn. 20) – Veränderung des natürlichen Ablaufs, der sich nach den vorhandenen Boden- und Geländeverhältnissen richtet, zwar verboten. Nach den naturgesetzlichen Gegebenheiten fließt Wasser allerdings nun einmal bergab, was der Unterlieger grundsätzlich hinzunehmen hat (BGH, Urteil vom 31. Oktober 2019 – III ZR 64/18, MDR 2020, 97 Rn. 15; Urteil vom 20. April 2023 – III ZR 92/22, MDR 2023, 837 Rn. 25). Der Oberlieger ist mithin insoweit privilegiert, als er den Unterlieger vor dem natürlichen Zufluss des abfließenden Oberflächenwassers nicht bewahren muss, sondern der Unterlieger selbst etwaige Vorkehrungen zu treffen hat. Zweck des § 37 Abs. 1 WHG ist es demnach lediglich, Eingriffe in das natürliche Abflussverhalten zu vermeiden (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 2023 – III ZR 92/22, MDR 2023, 837 Rn. 25).

bb) Der Eigentümer eines Grundstücks kann sich gegen Einwirkungen hierauf durch wild abfließendes Wasser, die von einem Nachbargrundstück ausgehen und sein Eigentum beeinträchtigen, grundsätzlich mit dem auf Unterlassung gerichteten Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB zur Wehr setzen (BGH, Urteil vom 9. Mai 2019 – III ZR 388/17, NJW-RR 2019, 1035 Rn. 13). Lässt sich die drohende Beeinträchtigung nicht anders verhindern, kann unter Umständen auch ein aktives Eingreifen des Anspruchsgegners in Form “geeigneter Maßnahmen” – wie von der Klägerin beantragt – geboten sein (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2015 – V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24 Rn. 27; Urteil vom 9. Mai 2019 – III ZR 388/17, NJW-RR 2019, 1035 Rn. 13).

b) Nach diesen auch für den Streitfall maßgeblichen Grundsätzen hat die Klägerin die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs nicht ausreichend dargelegt (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2019 – III ZR 64/18, MDR 2020, 97 Rn. 21 f.).

aa) Nach dem Vortrag der Klägerin bleibt bereits offen, ob der Anwendungsbereich von § 37 WHG überhaupt eröffnet ist. Wild abfließendes Wasser ist zwar auch das aus Quellen zutage tretende Wasser sowie in der Regel auch sog. Hangdruckwasser (Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG, Werkstand: 58. EL August 2023, § 37 WHG Rn. 14). Die Klägerin hat indes – jedenfalls zeitweise – auch vorgetragen, das auf ihr Grundstück eindringende Wasser sei “Grundwasser” (vgl. Schriftsatz vom 14.07.2021, dort Seite 3). Dies korrespondiert mit den Ausführungen des Privatsachverständigen, der in seiner Stellungnahme vom 22.12.2019 (Anlage K 2) von einer “Anströmtiefe, die zwischen 2,5 und 4 Meter unter Gelände schwankt” ausgeht (Seite 3 der Stellungnahme). Grundwasser unterfällt indes nicht § 37 WHG.

Ebenfalls vom Anwendungsbereich der Vorschrift nicht erfasst ist Wasser, das nicht zum natürlichen Wasserkreislauf zählt, wie beispielsweise Wasser, das aus geborstenen Leitungen (Czychowski/Reinhardt, WHG, 13. Aufl. 2023, § 37 Rn. 12) oder sonst aus einem geschlossenen System unkontrolliert austritt (Riedel, in: BeckOK-Umweltrecht, 68. Edition Stand: 01.04.2022, § 37 WHG Rn. 6). Gerade letzteres scheint die Klägerin indes gerade zum Gegenstand ihrer Klage machen zu wollen.

bb) Weiter ist darzulegen, von welchem natürlichen Abflusszustand auszugehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 – III ZR 465/15; Urteil vom 31. Oktober 2019 – III ZR 64/18, MDR 2020, 97 Rn. 16; vgl. auch BGH, Urteil vom 9. Mai 2019 – III ZR 388/17, NJW-RR 2019, 1035 Rn. 20) und zu welcher Veränderung des Wasserabflusses es gekommen ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 – III ZR 465/15).

(1) Dem umfangreichen Vortrag der Parteien lässt sich der natürliche Abschlusszustand allerdings nicht entnehmen. Auch fehlt jeglicher Vortrag insbesondere der Klägerin, ob und wie der natürliche Wasserabschluss sich verändert hat. Nach den tatsächlichen Gegebenheiten erscheint naheliegend, dass etwaig vom Grundstück des Beklagten abfließendes Wasser auch ohne Zutun eines Dritten “den naturgesetzlichen Gegebenheiten” folgend (BGH, Urteil vom 20. April 2023 – III ZR 92/22, MDR 2023, 837 Rn. 25) bergab und mithin auf das klägerische Grundstück fließt.

(2) Der natürliche Abflusszustand ist zudem nach den Rechtsverhältnissen zu beurteilen, die im Zeitpunkt der Geltendmachung von Abwehransprüchen des Nachbarn bestehen (BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 – III ZR 465/15). Dabei ist nicht allein auf den im engen Sinn natürlichen Ursprungszustand, sondern auch darauf abzustellen, ob der vorhandene Zustand in seiner Gesamtheit rechtmäßig besteht und damit zugleich den Zustand des natürlichen Gefälles mitbestimmt. Im Falle eines zeitlich lang zurückliegenden Eingriffs in die natürlichen Verhältnisse kann der daraus folgende Zustand selbst im Rechtssinne zum natürlichen Zustand werden, wenn dieser Eingriff mit Zustimmung des Betroffenen erfolgt ist oder er ihn für einen längeren Zeitraum unwidersprochen hingenommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 – III ZR 465/15; Urteil vom 31. Oktober 2019 – III ZR 64/18, MDR 2020, 97 Rn. 16).

Nach den Ausführungen des Privatsachverständigen wurde die Quellstube “vor 120 bis 150 Jahren installiert” (Seite 13 der Anlage K 2). Nach dem Vortrag des Beklagten ist die Teichanlage ähnlich alt. Dies wird von der Klägerin jeweils nicht in Zweifel gezogen. Mangels abweichenden Vortrags der Klägerin wäre folglich der Ist-Zustand als der natürliche Abflusszustand anzusehen.

cc) Schließlich hat die Klägerin darzulegen, welche Veränderungen am natürlichen Wasserabfluss zu Beeinträchtigungen ihres Grundstücks geführt haben (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2019 – III ZR 64/18, MDR 2020, 97 Rn. 22). Ein Unterlassungsanspruch ist nur bei einem Verstoß gegen das Veränderungsverbot anzunehmen (BGH, Urteil vom 9. Mai 2019 – III ZR 388/17, NJW-RR 2019, 1035 Rn. 24; Urteil vom 20. April 2023 – III ZR 92/22, MDR 2023, 837 Rn. 33), sodass dieser darzulegen und zu konkretisieren ist. Dass die Klägerin dem Beklagten letztlich Untätigkeit vorwirft, also die Beibehaltung des Ist-Zustands, ist vor diesem Hintergrund zur Darlegung des Unterlassungsanspruchs offenkundig kein ausreichender Sachvortrag. Eine gezielte Veränderung des natürlichen Wasserabschlusses, gar durch den Beklagten selbst, lässt sich dem Klagevorbringen jedoch nicht entnehmen.

c) Angesichts dieser Darlegungsmängel kommt es nicht auf die von der Klägerin behauptete Unrichtigkeit des Sachverständigengutachtens an. Das – durchaus knappe – Gutachten ist allerdings auch nach Auffassung des Senats im Ergebnis nachvollziehbar. Es begegnet daher keinen grundsätzlichen Bedenken, wenn das Landgericht sich dieses Gutachten zu Eigen gemacht hat.

Ergänzend ist anzumerken, dass der Sachverständige vor seiner Beauftragung standardmäßig vom Landgericht ein Anschreiben erhalten hat – hier ein Anschreiben vom 25.04.2022 (Bl. 145 ff. der eAkte) – in dem es unter anderem heißt:

Prüfen Sie bitte unverzüglich, ob der Auftrag in Ihr Sachgebiet fällt und ohne die Hinzuziehung weiterer Sachverständiger sowie innerhalb der oben gesetzten Frist erledigt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so verständigen Sie das Gericht unverzüglich.

Nach § 408 Abs. 1 i.V. mit §§ 383, 384 ZPO kann ein Sachverständiger berechtigt sein, die Erstattung des Gutachtens zu verweigern. Ebenso kann nach § 406 Abs. 1 i.V. mit §§ 41, 42 ZPO ein Sachverständiger abgelehnt werden. Auf die im Merkblatt A abgedruckten gesetzlichen Bestimmungen wird Bezug genommen. Bitte prüfen Sie unverzüglich, ob ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen Ihre Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Ist dies der Fall, so haben Sie dem Gericht solche Gründe unverzüglich mitzuteilen. Unterlassen Sie dies, kann gegen Sie ein Ordnungsgeld festgesetzt werden.

Entgegen der Behauptung in der Berufungsbegründung hat das Landgericht folglich sehr wohl “abgefragt, ob der Sachverständige R. private und/oder geschäftliche Beziehungen zu den Prozessbeteiligten unterhalte” und, “ob der Sachverständige R. überhaupt fachlich geeignet ist“.

2. Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog ist ebenfalls nicht schlüssig dargelegt.

a) Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch setzt voraus, dass von einem Grundstück rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen Gründen jedoch nicht gemäß § 1004 Abs. 1 BGB unterbinden kann (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2015 – V ZR 55/15, NJW-RR 2016, 588 Rn. 20; Urteil vom 27. Oktober 2017 – V ZR 8/17, NJW 2018, 1010 Rn. 11). Im Streitfall behauptet nicht einmal der Kläger selbst, dass er den Wassereintritt aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen zu dulden habe. Dass der von der Klägerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch bislang nicht substantiiert dargelegt ist, steht dem nicht entgegen.

b) Zudem übersieht der Kläger, dass nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht Schadensersatz, sondern lediglich ein nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung zu bestimmender Ausgleich verlangt werden kann, wonach nur der unzumutbare Teil der Beeinträchtigung auszugleichen ist (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2013 – V ZR 230/12, NJW 2014, 458 Rn. 24). Der Kläger hat allerdings zur Begründung seines Anspruchs nur von ihm getätigte Aufwendungen an Drittfirmen sowie Eigenaufwand beziffert und seinen Anspruch somit wie einen Schadensersatzanspruch berechnet.

III.

Die Berufungsangriffe erfordern keine Erörterung in mündlicher Verhandlung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Verfahren wie in der Klageschrift dargelegt festzusetzen, mithin den nur von der Klägerin geltend gemachten Unterlassungsanspruch mit 10.000,00 Euro und den nur vom Kläger geltend gemachten Zahlungsanspruch mit 56.435,84 Euro zu bewerten (vgl. Seiten 3 und 30 der Klageschrift).

Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme der Berufung an, die zwei Gerichtsgebühren spart (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis GKG).

OLG Frankfurt zu der Frage, dass wenn ein Bau- oder Werkvertrag keine Regelung zu Mengenmehrungen oder -minderungen enthält, der vereinbarte (Einheits-)Preis auch bei Mengenabweichungen von über 10 % grundsätzlich unverändert bleibt

OLG Frankfurt zu der Frage, dass wenn ein Bau- oder Werkvertrag keine Regelung zu Mengenmehrungen oder -minderungen enthält, der vereinbarte (Einheits-)Preis auch bei Mengenabweichungen von über 10 % grundsätzlich unverändert bleibt

vorgestellt von Thomas Ax

1. Enthält ein Bau- oder Werkvertrag keine Regelung zu Mengenmehrungen oder -minderungen, bleibt der vereinbarte (Einheits-)Preis auch bei Mengenabweichungen von über 10 % grundsätzlich unverändert.
2. Die Vertragsauslegung hat Vorrang vor den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage. Was nach dem Vertragstext Vertragsinhalt ist, kann nicht Geschäftsgrundlage sein.
3. Sind die zu erwartenden Mengen Teil der Kalkulation des vereinbarten Einheitspreises, gehört die Vorstellung der Parteien über den Anfall bestimmter Entsorgungsmengen zur Geschäftsgrundlage des Vertrages.
4. Eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage setzt u. a. voraus, dass der Vertrag nicht oder nicht mit demselben Inhalt geschlossen worden wäre, wenn die davon betroffene Partei Kenntnis von den Mehr- oder Mindermengen gehabt hätte. Außerdem muss die Hinnahme der Mehr- oder Mindermengen unzumutbar sein (beides hier verneint).
OLG Frankfurt, Beschluss vom 29.04.2024 – 23 U 86/23
vorhergehend:
LG Wiesbaden, Urteil vom 20.06.2023 – 9 O 314/21

Gründe:

I.

Die Klägerin verfolgt einen Ausgleichsanspruch in Form der Mehrvergütung wegen verminderter Entsorgungsmengen von pechhaltigem Straßenaufbruch, den die Beklagte der Klägerin geliefert hat.

Unstreitig fiel eine Mindermenge von insgesamt 28.642,24 t im Vergleich zu den Mengenangaben des im Vergabeverfahren zugrunde gelegten Leistungsverzeichnisses an. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts nebst den dort gestellten Anträgen verwiesen; § 540 Abs.1, Ziffer 1 ZPO.

Zu ergänzen ist, dass die Beklagte mit Datum vom 03.11.2017 ein sog. “Zuschlagsschreiben” (Bl. 76 d.A.) an die Klägerin verfasst hat, mit welchem in Bezug auf die zugeschlagenen Lose 2 bis 6 eine Auftragssumme von Euro 10.914.680,- (brutto) festgehalten wird. Die finale Vertragsfassung stammt vom 23.11.2016 (Anlagenkonvolut B1, “Vertrag über die Entsorgung von pechhaltigem Straßenbruch 2017/2018“). Die Beauftragung der Klägerin erfolgte am 03.11.2017. Dort war zunächst das Ende der Vertragslaufzeit zum 31.12.2018 vorgesehen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob das Formblatt 632 (Anlage SR2, Anlageband), welches Teil der Ausschreibungsunterlagen war, und für “Lieferleistungen” vorsah, dass Mehrleistungen bzw. Minderungen bis 10 % der vertraglich vereinbarten Mengen den vereinbarten Einheitspreis unberührt lassen, Teil des Vertrages wurde.

Die Parteien schrieben den Auftrag fort. Hierzu fand am 21.11.2018 eine Besprechung statt, die protokollarisch festgehalten wurde. Auf das Protokoll vom 21.11.2018 wird wegen seiner Einzelheiten verwiesen (Anlage SR3, Anlageband). Die Parteien vereinbarten jedenfalls eine Preiserhöhung anhand der Urkalkulation und der Kalkulationstabellen in Bezug auf die noch ausstehenden Entsorgungsmengen.

Zudem wurde die Vertragslaufzeit bis zum 31.12.2019 verlängert. Diese Vereinbarungen wurden im Nachtragsvertrag vom 21.12.2018 (Anlage SR4, Anlageband) festgehalten, wobei je Los eine “noch ausstehende” Entsorgungsmenge festgehalten und mit einem neuen Preis versehen wurde. Die “Gesamtauftragssumme” wurde nunmehr mit Euro 12.634.000,- (brutto) angegeben.

Zudem kam es zu einer weiteren Nachtragsvereinbarung, mit welchem die Vertragslaufzeit erneut, nunmehr bis zum 30.05.2020, verlängert wurde. Auf das Besprechungsprotokoll vom 23.03.2020, vorgelegt bereits mit der Replik (Bl. 56 d.A.), wird verwiesen. Zu diesem Zeitpunkt existierte bereits ein neuer Vertrag über die Entsorgung von pechhaltigem Straßenaufbruch für die Periode 2020/2021 (sog. Anschlussvergabe). Ob die erneute Vertragsverlängerung nötig war, um der Klägerin die weitere Entsorgung von Mengen aus dem Ursprungsauftrag vom 03.11.2017 zu ermöglichen, so die Klägerin, oder ob die Verlängerung dem Umstand geschuldet war, dass ein Mitbewerber ein Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer zum AZ 11 Verg 8/19 eingeleitet hatte und eine Interimslösung gefunden werden musste, so die Beklagte, ist zwischen den Parteien streitig.

Die Beklagte hat unstreitig Mengen aus dem Los 2 des Vertrags vom 03.11.2017 dem Unternehmer, der den Zuschlag für Los 1 erhalten hatte, zum Teil zugewiesen. Mindermengen ergaben sich auch in den Losen 4 und 6. In den Losen 3 und 5 erfüllte die Klägerin Mehrmengen. Wegen der Einzelheiten der Ist-Mengen im Vergleich zu den Mengenangaben des Leistungsverzeichnisses wird auf die Tabelle in der Klageschrift (Bl. 6 d.A.) verwiesen. Es ergibt sich im Ergebnis in der Gesamtbetrachtung aller Lose eine Mindermengenquote von 14,2 %.

Das Landgericht hat die Klage mit den Anträgen:

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ### EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. November 2020 zu zahlen.

II. Die Beklagte wird zudem verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von ### EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

abgewiesen.

Der Klägerin stehe kein Zahlungsanspruch wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs.1 BGB zu. Die Klägerin könne keine Mehrvergütung verlangen, weil die Hinnahme einer Mengenunterschreitung von ca. ### % zumutbar sei. Dabei sei bei Vergleich zwischen vereinbarter und tatsächlich angefallener Menge die Gesamtmenge zu betrachten und nicht das einzelne Los. Die Betrachtung der einzelnen Lose komme schon deshalb nicht in Betracht, denn schließlich hätten die Parteien einen einheitlichen Vertrag geschlossen. Zu unterscheiden sei zwischen der vergaberechtlichen Auftragserteilung einerseits und dem schuldrechtlichen Vertragsschluss andererseits. Es erscheine als willkürlich und nicht dem Parteiwillen entsprechend, den Vertragsgegenstand entsprechend der einzelnen Lose aufzuspalten. So hätten die Parteien schließlich ein Vertragsmuster vorgelegt, welches das komplette Angebot der Klägerin in dem einheitlichen Vertrag als Vertragsbestandteil einbeziehe. Das Risiko der Mindermenge falle in die Sphäre der Klägerin, was aus dem allgemeinen Grundsatz folge, dass Gefahren jeweils in die Risikosphäre derjenigen Partei falle, auf die sie sich negativ auswirke. Dies sei vorliegend die Klägerin, denn Mindermengen wirkten sich bei dieser als Umsatzeinbußen aus. Auch die Ausführungsbeschreibung für die Entsorgung von pechhaltigem Straßenaufbruch nehme eine derartige Risikoverteilung vor. Auch sei die Störung für beide Parteien vorhersehbar gewesen, denn die anfallenden Entsorgungsmengen hingen von vielen Faktoren ab, die auch der Klägerin bekannt sein mussten. Es habe auf der Hand gelegen, dass es sich bei den ausgeschriebenen Mengen lediglich um Erfahrungswerte gehandelt habe. Eine Unzumutbarkeitsschwelle von 10 % werde auch nicht in dem Formblatt 632, dort Ziffer 1, formuliert. Diese Ziffer regle nur den Abweichungsbereich bis 10 %. Daraus könne aber nicht geschlossen werden, dass eine Unterschreitung von mehr als 10 % eine Vertragsanpassung rechtfertige.

Die Klägerin verfolgt den Anspruch auf Vergütung der Mindermenge weiter. Das Landgericht habe die einschlägige Anspruchsgrundlage falsch angewendet und die zugrundeliegenden Parteiabsprachen unzutreffend gewürdigt. So sei bereits die Annahme des Landgerichts falsch, es liege eine einheitliche Auftragserteilung vor, ohne dass die einzelnen Lose berücksichtigt werden müssten. Die Klägerin habe schließlich ein Angebot für jedes einzelne Los abgegeben, was die Beklagte jeweils mit einer separaten Mitteilung über das jeweils gewonnene Los bestätigt habe.

Die Klägerin dürfe nicht schlechter als Bieter gestellt werden, die nur ein einziges Los gewonnen hätten.

Fehlerhaft addiere die Beklagte die einzelnen Mengen zu einer Gesamtmenge und komme so zu einer nicht erstattungsfähigen Fehlmenge.

Auch habe das Landgericht fehlerhaft unterlassen, die Nachtragsvereinbarung vom 21.12.2018 in die Bewertung mit einzubeziehen. Dort würden die noch zu erbringenden Mengen als Garantiemengen festgehalten werden, und zwar für jedes Los getrennt. Es sei mithin irrelevant, dass es sich um bloße Schätzmengen handeln soll. Darüber hinaus hätte die Beklagte Schätzmengen anpassen müssen, denn im Zeitpunkt der Beauftragung der Klägerin am 03.11.2017 sei die Beklagte bereits seit 10 Monaten tätig gewesen und hätte die Mengenangaben präzisieren können. Jedenfalls ab dem Nachtrag vom 21.12.2018 könne sich die Beklagte nicht mehr auf angebliche Schätzungen berufen. Auch die Auswertung des Schriftverkehrs der Parteien zeige, dass Garantiemengen vereinbart worden seien. Die Klägerin hätte dem Nachtrag auch nicht zustimmen brauchen, da zu diesem Zeitpunkt eine Fehlmenge von ### % vorgelegen habe. Der Folgevertrag sei nur deshalb abgeschlossen worden, weil die Parteien von Garantiemengen ausgegangen seien. Mit dem Nachtrag, der sogar unstreitig bis zum 31.05.2020 verlängert worden sei, hätten Fehlmengen beseitigt werden sollen.

Auch habe das Landgericht die Gesamtbetrachtung vernachlässigt. Im Nachtrag hätten 126 t als Fehlmengen festgehalten werden müssen. Mit Ablauf des Nachtrags zum 31.05.2020 habe unstreitig eine Fehlmenge von ca. 28 t bestanden, was einer Quote von ### % entsprochen habe. Das Landgericht habe im Ergebnis verkannt, dass eine Zielgröße vereinbart gewesen sei und ein Toleranzbereich von 10 % bei der Betrachtung maßgebend sei.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 179 ff. d.A.) und den Schriftsatz vom 03.04.2024 (Bl. 222 d.A.) verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgericht Wiesbaden vom 12.06.2023, Az. 9 O 314/21, wird abgeändert und der Klage stattgegeben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt unter Vertiefung und Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die landgerichtliche Entscheidung.

Zutreffend sei das Landgericht davon ausgegangen, dass die Lose nicht separat zu betrachten seien. Sofern unterschiedliche Preise in den Losen angeboten worden seien, folge daraus nichts anderes, denn es sei normal, dass für unterschiedliche Leistungen unterschiedliche Preise vereinbart werden. Auch sei die Beauftragung in einer einheitlichen Urkunde erfolgt. Es liege im Ergebnis nur ein Vertragsverhältnis vor.

Eine Schlechterstellung der Klägerin sei ebenfalls nicht ersichtlich, denn Bezugsgröße sei eben die Gesamtmenge der Lose. Diese Gesamtbetrachtung entspreche auch § 2 Abs.3 Nr. 3 S.1 VOB/B, wonach bei einem Erhöhungsverlangen in Bezug auf einen vereinbarten Einheitspreis zu berücksichtigen sei, dass der Auftragnehmer evtl. einen Ausgleich bei anderen Ordnungszahlen (Positionen) auf andere Weise erhalte. So erhalte die Klägerin schließlich auch keinen reduzierten Tonnagepreis bei den Losen 3 und 5, in welchen es unstreitig zu Mehrmengen gekommen sei. Die Behandlung der einzelnen Lose als getrennte Verträge sei nicht vereinbart worden. Die losweise Vergabe habe alleine vergaberechtliche Gründe gehabt. Das Vergaberecht ende aber mit Vertragsschluss, der vorliegend einheitlich in Bezug auf alle Lose erfolgt sei.

Auch vorgerichtlich habe die Beklagte bereits mit Email vom 08.04.2020 (SR 10, Bl. 58 d.A.) auf die Gesamtmengenbilanz hingewiesen.

Auch die Nachtragsvereinbarung befasse sich mit der “Nachtragssumme” der Lose 2-6 und der “Gesamtauftragssumme“. Von garantierten Mengen sei entgegen der Behauptung der Klägerin dort gar nicht die Rede.

Die Ausschreibungsunterlagen verwiesen durchgängig auf Schätzungen bzw. Annahmen. Darüber hinaus sei die Beklagte auch nicht verpflichtet gewesen, ausschließlich der Klägerin pechhaltigen Straßenschutt zu liefern, weshalb auch die Annahme scheitere, es seien Garantiemengen vereinbart worden.

Bis zum Wiegen bleibe der Beklagten gar nichts anderes übrig als zu schätzen. Gewogen werde aber erst bei Anlieferung an den Entsorger. Mit dem Nachtrag würden auch keine abweichenden vertraglichen Pflichten begründet werden. Es würden dort lediglich die Fortführung der Ausführungstermine sowie Preiserhöhungen erfasst werden.

Der Vortrag zur Verlängerung des Nachtrages bis zum 31.05.2020 sei in der Berufungsinstanz verspätet. Im Übrigen sei die Verlängerung des Nachtrags einzig dem Umstand geschuldet gewesen, eine Interimsphase zu überbrücken, weil ein Mitbewerber ein Vergabenachprüfungsverfahren in Bezug auf die Anschlussvergabe eingeleitet habe.

Die Gesamtbetrachtung führe zu keinem anderen Ergebnis. Jedenfalls liege die Schwelle zur Unzumutbarkeit nach der Rechtsprechung bei 20 %, die vorliegend nicht erreicht sei.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung (Bl. 204 ff. d.A.) verwiesen.

II.

Die Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet. In der Sache hat die Berufung aber keinen Erfolg.

Es liegt kein Berufungsgrund im Sinne des § 513 ZPO vor, denn weder beruht die Entscheidung des Landgerichts auf einer Rechtsverletzung nach § 546 ZPO noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung. Mit dem Landgericht ist im Ergebnis der hier verfolgte Anspruch auf Zahlung einer Mindervergütung zu verneinen. Ein derartiger Zahlungsanspruch besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.

1. Der Klägerin steht zunächst kein vertraglicher Anspruch auf Ausgleichszahlungen wegen realisierter Mindermengen bei der Entsorgung des pechhaltigen Straßenaufbruchs zu.

Der zwischen den Parteien am 03.11.2017 (Anlage B1, Anlageband) abgeschlossene Vertrag in Reaktion auf den erhaltenen Zuschlag der Klägerin im Vergabeverfahren sieht eine Mindermengenvergütung nicht ausdrücklich vor. Eine derartige ausdrückliche Vereinbarung zeigt auch die Klägerin nicht auf.

Es kann auch nicht im Wege der Vertragsauslegung ein derartiger Parteiwille ermittelt werden.

Die Parteien und das Landgericht sind zwar auf das Instrument der Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage fokussiert. Allerdings gilt, dass das, was nach dem Vertragstext Vertragsinhalt ist, nicht Geschäftsgrundlage sein kann, weshalb die Vertragsauslegung Vorrang hat. Eine Anpassung des Vertrages gemäß § 313 BGB scheidet deshalb aus, wenn bereits der Vertrag nach seinem ggf. durch ergänzende Auslegung gemäß den §§ 133, 157 BGB zu ermittelnden Inhalt Regelungen für Wegfall, Änderung oder Fehlen bestimmter Umstände enthält (vgl. Grüneberg in Grüneberg, BGB, 83. Al. 2024, § 313, Rn. 10).

Die Vertragsauslegung hat in erster Linie den von den Parteien gewählten Wortlaut der Vereinbarungen und den diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen zu berücksichtigen. Zu den allgemein anerkannten Auslegungsregeln gehört der Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung.

Dieser Grundsatz bezweckt, die Abrede auf einen vertretbaren Sinngehalt zurückzuführen. Es geht hierbei nicht darum, dem Rechtsgeschäft zu dem Inhalt zu verhelfen, der dem Richter im Entscheidungszeitpunkt als interessengemäß erscheint. Maßgeblich ist vielmehr der Einfluss, den das Interesse der Partei auf den objektiven Erklärungswert ihrer Äußerungen bei deren Abgabe hatte (vgl. BGH, Urteil vom 05.03.2015 – IX ZR 133/14, Rn. 21).

Zunächst ist auf Ziffer 2 des Vertrages vom 03.11.2017 (Anlage B1) zu verweisen, wonach die Parteien einen Einheitspreis je entsorgter Tonne vereinbart haben. Der objektive Erklärungswert des Vertrages besagt mithin, dass die Vergütung der tatsächlich erbrachten Leistung entsprechen soll.

Auch die außerhalb der Vertragsurkunde liegenden Umstände sprechen nicht dafür, dass die Parteien den tatsächlichen Willen gefasst haben, dass Mehr- oder Mindermengen – entgegen dem Wortlaut des Vertrages – zu vergüten sind. Einen greifbaren Anhaltspunkt für einen derartigen Parteiwillen vermag der Senat nicht in den sog. ergänzenden Bewerbungsbedingungen des Landes Hessen, Formular 632 (Teil des Anlagenkonvoluts SR 2, Anlageband) zu erkennen. Zunächst hat die Beklagte hierzu vorgetragen, dass diese Unterlage nicht Vertragsbestandteil geworden ist. Ausweislich des als Anlage B1 (Anlageband) vorgelegten Vertrages in seiner endgültigen Fassung ist diese Unterlage nicht in Ziffer 1 aufgeführt und gehört damit gerade nicht zu den Unterlagen, die Vertragsbestandteil werden sollen. Sofern die Klägerin gleichwohl argumentiert, dass diese Unterlage bei der Vertragsauslegung zu berücksichtigen sei, weil diese Unterlage Gegenstand des Ausschreibungsverfahrens gewesen sei und daher Rückschlüsse auf den Parteiwillen zulasse, kann offenbleiben, ob dem zu folgen ist. Denn selbst im Falle der Berücksichtigung des Aussagegehaltes des Formulars 632 und im Falle der Unterstellung, dass die von der Klägerin geschuldeten Entsorgungsleistungen “Lieferleistungen” i.S.v. Ziffer 1 der ergänzenden Bewerbungsunterlagen sind, ergibt sich daraus nicht der Rückschluss, dass Mehr und Mindermengen zu vergüten sind. Die Aussage unter Ziffer 1 des Formulars 632 bezieht sich nämlich auf die Gestaltung des Einheitspreises, der jedenfalls solange verbindlich ist, solange Mehr- oder Minderleistungen bis zu 10 % zur Rede stehen.

Die Klausel sagt indes nichts dazu aus, ob Mengen zu vergüten sind, die tatsächlich nicht entsorgt wurden.

Im Lichte dessen sind auch die Mengenangaben zu werten, die in den Ausschreibungs- und Vertragsunterlagen Erwähnung finden.

Der Klägerin kann nicht darin gefolgt werden, die Parteien hätten feste Mengen je Los vereinbart, so dass im Nichterreichensfalle Mindermengen zu vergüten seien. Zwar finden sich im Leistungsverzeichnis pro Los konkrete Mengenangaben. Indes dient die Mengenangabe ausschließlich der Preisfindung. Alle Anbieter kalkulierten ihr Angebot auf Basis der zu erwartenden Mengen im Zeitpunkt des abzugebenden Angebots.

Aus dem Umstand, dass im Vergabeverfahren Mengen definiert werden müssen, um den Anbietern eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation zu ermöglichen, kann nicht der Schluss gezogen werden, die Mengen seien zugesichert und führten im Nichterreichensfalle zu einem Vergütungsanspruch.

Diese Wertung findet ihre Bestätigung auch in der Nachtragsvereinbarung aus Dezember 2018, mit welcher dem Umstand Rechnung getragen wurde, dass das vereinbarte Ende vom 31.12.2018 auf den 31.12.2019 verschoben werden musste und dies für die noch nicht entsorgten Mengen eine Überarbeitung des vereinbarten Einheitspreises rechtfertigte. So hält der Nachtragsvertrag vom 21.12.2018 (Anlage SR 4) im zweiten Absatz fest, dass der Nachtrag 1 die Fortschreibung der Ausführungstermine und die damit verbundenen Preiserhöhungen umfasse. Die Parteien nahmen also eine Preisanpassung vor, weil die Kalkulationsgrundlagen im November 2018 eben andere waren als im November 2016. Nach dem Wortlaut des Protokolls vom 21.11.2018 (Anlage SR3) steht fest, dass die Parteien zu diesem Zweck die Urkalkulation der Klägerin gemeinsam erörtert haben. Aus dem ausdrücklich fixierten Sinn und Zweck des Nachtrags kann also gerade nicht geschlussfolgert werden, dass nunmehr -in Abweichung zu dem Ausgangsvertrag vom 03.11.2017- auch für tatsächlich nicht entsorgte Mengen gezahlt werden soll.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass in dem Protokoll vom 21.11.2018 (Anlage SR3) von “festgesetzten Gesamtmengen” die Rede ist und der Nachtragsvertrag vom 21.12.2018 (Anlage SR4) für jedes Los eine “noch ausstehende Menge” definiert. Die Mengenangaben sind lediglich Kalkulationsgrundlagen. So ist auch an dieser Stelle darauf zu verweisen, dass entgegen der Behauptung der Klägerin weder in dem Protokoll vom 21.11.2018 noch im Nachtragsvertrag vom 21.12.2018 selbst von “Garantiemengen” oder “garantierten Mengen” die Rede ist.

Im Übrigen ging auch nach dem Vortrag der Klägerin in der Berufungsinstanz die Beklagte im Rahmen des Vergabeverfahrens von Schätzungen bei den Mengenangaben aus, die auf Erfahrungswerten beruhten.

Hinzu kommt, dass in Bezug auf die lediglich geschätzten Massen viele weitere unabwägbare Faktoren hinzukommen, so z.B. in Bezug auf die konkret anzutreffenden Inhaltsstoffe, die wiederum auf unterschiedliche Bauweisen zurückzuführen sind, wie der verantwortliche Dezernent bei der Beklagten, Herr ###, in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 09.05.2023 (Bl. 127 d.A.) ausgeführt hat.

Im Lichte gerade dieser nicht validen Tatsachengrundlagen spricht nichts dafür, dass die Beklagte gleichwohl den Parteiwillen gehabt haben soll, der Klägerin konkrete, vergütungspflichtige Mengen zu garantieren. Zutreffend hat das Landgericht, wenn auch in anderem Zusammenhang, darauf hingewiesen, dass der Klägerin als Fachunternehmen im Bereich der thermischen Behandlung von teerhaltigem Asphalt dies bewusst gewesen sein musste. Jedenfalls wird in der bereits erwähnten Unterlage “Ausführungsbeschreibung” auf Seite 2 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beklagte keine “Deklarationsanalysen” (2. Absatz) durchführen wird, die pechhaltigen Materialen mit hydraulisch gebundenen Schichten des Straßenaufbruchs oder sonstigen Werksteinen behaftet sein können (3. Absatz), was sich auf den Entsorgungsaufwand auswirken kann, und dass lediglich voraussichtlich eine Mengenaufteilung in Schollen zu 15% bis 20% und in kleinstückiges Fräsgut zu 80% bis 85% zu erwarten ist, was ebenfalls einen unterschiedlichen Entsorgungsaufwand zur Folge habe. Auch damit wurde der Klägerin verdeutlicht, dass mangels Vorhersehbarkeit der Menge und des konkreten inhaltlichen Zustands des Entsorgungsmaterials keine abschließend validen Aussagen möglich sind.

Und schließlich spricht gegen die Lesart der Klägerin, die im Leistungsverzeichnis und im Nachtrag genannten Mengen seien vergütungspflichtige Garantiemengen, dass sich die Beklagte in der “Ausführungsbeschreibung” (Anlagenkonvolut SR2, Anlageband) gerade vorbehalten hat, pechhaltiges Material auch anderen Unternehmen zu liefern. Ausdrücklich ist in der Ausführungsbeschreibung festgehalten: “Es besteht seitens des Bundes und des Landes keine Verpflichtung, pechhaltiges Material ausschließlich dem Vertragspartner anzuliefern“.

Zwar ist richtig, dass in der Email vom 07.04.2020 der Mitarbeiterin der Beklagten ### (Bl. 58, 59 d.A.) von “entgangenem Gewinn” die Rede ist. Indes ist zum einen dort der Zusatz enthalten “eventuell“. Zum anderen wird in dem nachfolgenden Email vom 08.04.2020 (Bl. 58 d.A.) das eindeutige Verständnis kommuniziert, dass die “Gesamtbilanz” zu betrachten sei. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass die Aussage zum etwaigen entgangenem Gewinn auf eine vertragliche Vereinbarung referenziert.

Sofern die Klägerin schließlich geltend macht, die zweite Vertragsverlängerung sei erfolgt, um Fehlmengen zu verkleinern, ist dies streitig. Die Beklagte führte zur Begründung der erneuten Verlängerung demgegenüber an, dass ein Konkurrent ein Vergabeprüfverfahren eingeleitet habe. Die zweite Vertragsverlängerung um 5 Monate wurde jedenfalls nicht mit einer Änderung des geltenden Einheitspreises begleitet. Dass mit der Verlängerung die Vertragsgrundlagen geändert werden sollten und ein vertraglicher Anspruch auf Ausgleich der Mindervergütung geschaffen werden sollte, ist nicht ersichtlich, auch wenn in dem Protokoll vom 23.03.2020 (Anlage SR 9, Bl. 56 d.A.) davon die Rede ist, dass ein Abgleich zwischen den tatsächlichen Mengen und den vertraglich vereinbarten stattfinden soll.

2. Die Klägerin kann ihr Zahlungsbegehren auch nicht im Gewand eines Anpassungsanspruches nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB mit Erfolg verfolgen.

Gemäß § 313 Abs.1 BGB kann eine Anpassung des Vertrages verlangt werden, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Dabei kann eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Gemäß § 313 Abs.2 BGB steht es einer Veränderung der Umstände gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, sich als falsch herausstellen.

Die Geschäftsgrundlage eines Vertrages wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebildet durch die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen der Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (st. Rsp des BGH; vgl. BGH Urteil vom 24.03.2010 – VIII ZR 160/09; BGH, Urteil vom 11.12.2019 –VIII ZR 234/18, Rn.20). Für die Berücksichtigung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist kein Raum, wenn sich damit ein Risiko verwirklicht hat, das nach der vertraglichen Regelung in den Risikobereich der betroffenen Partei fällt (vgl. BGH, Urteil vom 09.07.2021 V ZR 30/20, Rn.9).

Geschäftsgrundlage ist im vorliegenden Fall die Vorstellung der Parteien über den Anfall bestimmter Entsorgungsmengen betreffend pechhaltigen Straßenaushub, denn nach den obigen Ausführungen sind die zu erwartenden Mengen Teil der Kalkulation des vereinbarten Einheitspreises.

Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist vorliegend bereits nicht deshalb unanwendbar, weil das Risiko der Mengenabweichung nur in die Risikosphäre einer Partei fällt. Anders als das Landgericht meint, tragen hier beide Parteien das Risiko der Mengenabweichung, denn die Beklagte hat auch dann nach Maßgabe des vereinbarten Einheitspreises je Tonne zu zahlen, wenn die “vereinbarten Mengen“, die Teil der Kalkulationsgrundlage waren, überschritten werden.

Fraglich ist indes, ob vorliegend die Feststellung getroffen werden kann, dass die Klägerin den Vertrag nicht oder nicht mit demselben Inhalt geschlossen hätte, wenn sie Kenntnis davon gehabt hätte, dass tatsächlich geringere Mengen zur Entsorgung anstehen können.

Dies ist hier zu verneinen, denn die Möglichkeit der Mindermengen musste der Klägerin schon deshalb bekannt gewesen sein, weil im Rahmen des Vergabeverfahrens in der Ausführungsbeschreibung darauf hingewiesen wurde, dass die Beklagte gerade nicht verpflichtet ist, pechhaltiges Material ausschließlich dem Vertragspartner anzuliefern. Darüber hinaus ist in dem Nachtragsvertrag vom 21.12.2018 ein gewichtiges Indiz dafür zu sehen, dass der Eintritt von Mindermengen die Klägerin nicht am Vertragsschluss gehindert hätte. In Kenntnis des eingetretenen Rückstandes im Vergleich zur avisierten Menge hat die Klägerin an der Fortschreibung des Vertrages mitgewirkt. Die sodann vereinbarte Preiserhöhung war wie oben dargelegt nicht dem Risiko der Mindermenge geschuldet, sondern der Fortschreibung der Ausführungstermine und den veränderten Kalkulationsbedingungen. Die Klägerin kannte zudem im Zeitpunkt des Abschlusses des Nachtrags die jeweiligen Losbedingungen und konnte ihrerseits abschätzen, welche tatsächlichen Mengen zu erwarten waren. Nach Maßgabe des neu verhandelten Einheitspreises hat sie sich auf die Fortführung des Vertrages eingelassen.

Selbst wenn man dies anders sieht und von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ausgeht, liegen die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vor, die eine Vertragsanpassung in Form der Zahlung eines Ausgleiches für Mindermengen rechtfertigen würden.

Die Hinnahme der Mengenabweichung von unstreitig ca. ### Tonnen ist nämlich nicht unzumutbar. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und der vertraglichen Risikoverteilung ist der Klägerin zumutbar, unverändert am Vertrag festzuhalten.

Mit dem Landgericht ist zunächst davon auszugehen, dass die Mindermenge unter Bezugnahme auf die insgesamt ausgeschriebene Menge zu betrachten ist und dies eine Abweichung von -unstreitig- ### % ergibt. Sowohl in dem Zuschlagsschreiben vom 03.11.2017 (Anlage B7, Bl. 76 d.A.) und im Nachtrag vom 21.12.2018 wird das Gesamtauftragsvolumen benannt. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die Parteien, auch wenn die Ausschreibung losweise erfolgt ist, von einem einheitlichen Vertrag ausgegangen sind. Die Klägerin steh auch nicht schlechter als ein Bieter, der nur ein einzelnes Los gewonnen hat, denn Bezugspunkt ist die jeweils kalkulierte Gesamtmenge, die vom Auftrag erfasst ist.

Es ist der Klägerin auch nicht darin zu folgen, als Bezugspunkt die noch offene Menge im Zeitpunkt des Abschlusses des Nachtrages am 21.12.2018 zu wählen, mit der Folge, dass eine noch abzuarbeitende Menge von 126 Tonnen anzunehmen wäre und sich mithin eine Minderquote von ### % ergäbe. Wie oben geschildert, haben die Parteien mit dem Nachtrag nicht etwa ihr Vertragsverhältnis auf eine völlig neue Grundlage gestellt, sondern lediglich den Beendigungstermin neu bestimmt und wegen des eingetretenen zeitlichen Verzugs den Einheitspreis neu kalkuliert, weshalb der Nachtrag nicht zu einer Zäsur im Vertragsverhältnis führte.

Der Klägerin ist die Hinnahme einer Mindermenge von ### % zumutbar.

Entgegen der Auffassung der Klägerin haben die Parteien keine Zumutbarkeitsschwelle von 10 % vereinbart. Wie oben dargelegt, wurde das Formular 632 aus dem Vergabeverfahren, in welchem eine 10 % Grenze thematisiert wird, nicht Vertragsbestandteil. Darüber hinaus befasst sich die 10%-Klausel aus den Ausschreibungsunterlagen (Anlage SR2, Anlageband) mit der Bindung an den vereinbarten Einheitspreis und nicht mit der Frage, ob Mindermengen mit dem vertraglich vereinbarten Einheitspreis ohne weiteres zu vergüten sind.

Da die Umstände des Einzelfalles im Rahmen der Erörterung der Zumutbarkeit zu berücksichtigen sind, muss hier eingestellt werden, dass die Parteien in Kenntnis der Fehlmengen zum 21.12.2018 (Nachtrag) den Einheitspreis neu verhandelt haben und den Tonnagepreis um Euro ### erhöht haben.

Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt bereits für die Lose seit 07.11.2017 tätig und konnte ihrerseits Rückschlüsse aus den bis zu diesem Zeitpunkt entsorgten Mengen auf die noch zu erwartenden Mengen ziehen, weshalb das Argument der Klägerin über das Herrschaftswissen der Beklagten zum Zustand des Straßenschutts nicht so recht überzeugen kann.

Es kann dahinstehen, ob sich in der Rechtsprechung eine Zumutbarkeitsgrenze von ### % entwickelt hat; eine Unterschreitung von ### % ist jedenfalls hinzunehmen in der vorliegenden Fallkonstellation, da das Risiko der Mengenabweichung vorliegend in beide Richtungen geht und nach dem oben Gesagten auch beiden Parteien bekannt war.

Die Beklagte musste nach dem unstreitigen Parteivortrag auch Mehrmengen zu den vereinbarten Einheitspreisen vergüten, wie die Tabelle auf Seite 6 der Klageschrift zeigt. Die Klägerin konnte das Risiko der Mindermengen durch Erwirtschaftung von Mehrmengen in anderen beauftragten Losen ausgleichen.

In Anbetracht der obigen Hinweise regt der Senat die Rücknahme der Berufung an.

Etwaiger neuer Vortrag ist nach der ZPO nur in sehr engen Grenzen zulässig. Die Rücknahme hätte die Halbierung der Gerichtskosten zweiter Instanz zur Folge; § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. KV 1222 Nr. 1, 1220.

Ax Vergaberecht
Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.