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Wer schreibt, der bleibt – oder die gefährliche Reichweite der Dokumentationsverpflichtung des § 6 Abs. 1 UVgO

Wer schreibt, der bleibt – oder die gefährliche Reichweite der Dokumentationsverpflichtung des § 6 Abs. 1 UVgO

von Thomas Ax

Nach der Dokumentationsverpflichtung des § 6 Abs. 1 UVgO ist das Vergabeverfahren von Anbeginn fortlaufend in Textform nach § 126b BGB zu dokumentieren, so dass Einzelstufen des Verfahrens, die einzelnen Maßnahmen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen festgehalten werden.

Es handelt sich dabei um die sogenannte ex-post Transparenz, die eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens ermöglicht und aus diesem Grunde für die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes essentiell ist. Alle Fakten, Umstände und Überlegungen, auf deren Grundlage die Zuschlagsentscheidung getroffen wurde, sind vollständig und wahrheitsgemäß in der Dokumentation aufzuführen. In zeitlicher Hinsicht stellt die Formulierung „von Anbeginn“ klar, dass die Dokumentation bereits auf der ersten Stufe mit der Bekanntmachung zu beginnen hat. Die Verpflichtung zur fortlaufenden Dokumentation setzt überdies voraus, dass der Auftraggeber vor und nach jeder relevanten Entscheidung bzw. Stufe entsprechende Feststellungen zu den Akten bringt, die den Verlauf des Verfahrens nachvollziehbar und überprüfbar machen. Die Dokumentation hat zeitnah zur entsprechenden Entscheidung zu erfolgen.

Die Erstellung einer Dokumentation bei Abschluss des Vergabeverfahrens genügt nicht.

Denn gerade die zeitnahe Führung des Vergabevermerks sichert die notwendige Transparenz des Verfahrens und wirkt Manipulationen entgegen. Vielmehr muss das Vergabeverfahren Schritt für Schritt und in den einzelnen Stufen vorgehensgetreu und nachvollziehbar beschrieben werden. Die Vergabestelle ist an die Dokumentation gebunden. Der Auftraggeber kann sich im Nachhinein nicht auf andere Erwägungen berufen. Die Dokumentation muss so ausführlich geführt werden, dass ein fachkundiger Dritter das gesamte Verfahren einschließlich aller Entscheidungen und Ergebnisse nachvollziehen kann (Petersen in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VOL/A, 1. Aufl. 2013, § 20 Rn. 2, 7 ff.; Weiner in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, 2. Aufl. 2017, § 1 Rn. 37).

Der Auftraggeber erfüllt seine Dokumentationspflicht, wenn der förmliche Verfahrensablauf und der materielle Inhalt der im Laufe des Verfahrens getroffenen Entscheidungen nebst Begründung aus der Vergabeakte erkennbar sind.

Dabei ist die Dokumentation chronologisch („fortlaufend“) aufzubauen. Zum Zwecke der Beweissicherung sind die einzelnen relevanten Schritte mit einem Datum zu versehen, gegebenenfalls auch mit der Uhrzeit, soweit es darauf ankommt. Weiter sollte aus der Dokumentation auch erkennbar sein, welcher Entscheidungsträger gehandelt hat. Alle wesentlichen Verfahrensschritte von der Beschaffungsentscheidung über die Bekanntmachung bis hin zur Öffnung der Angebote und der Entscheidung über den Zuschlag sind in der Vergabeakte zu dokumentieren. Einzelheiten und Ergänzungen oder Erläuterungen zu den einzelnen Unterlagen sind dann Teil des Vergabevermerks (Langenbach in Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2 (Hrsg. Burgi/Dreher), 3. Auflage 2019, § 8 VgV Rn. 12 ff.).

Neben der Kommunikation mit den Bietern erfasst die Dokumentationspflicht auch interne Beratungen, um das Vergabeverfahren auf jeder Stufe nachvollziehbar und transparent zu machen (Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl. 2018, VgV § 8 Rn. 5 u. 9).

Wenn der Vergabevermerk Auslassungen enthält oder bestimmte Vorgänge nur ungenau dokumentiert, kann eine solche unvollständige Dokumentation zu Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten des Bieters führen.

Enthalten die Vergabeakten etwa keinen Vermerk über einen Prüfungsvorgang, ist daher davon auszugehen, dass dieser Vorgang nicht stattgefunden hat (Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl. 2018, § VgV 8 Rn. 10). Liegen Dokumentationsmängel bzgl. des Mindestinhalts vor, können diese nach herkömmlicher Ansicht grundsätzlich nicht durch nachträgliche Erstellung eines Vergabevermerks behoben werden. Allerdings ist der Vortrag von Umständen und Gesichtspunkten, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidigt werden soll, möglich (Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl. 2018, § 8 VgV, Rn. 13).

Dokumentationspflichten sind kein Selbstzweck.

Wegen der besonderen Bedeutung der Dokumentation zur Gewährleistung von Transparenz, Gleichbehandlung und Wettbewerb im Vergabeverfahren sowie zur Korruptionsbekämpfung kommt eine Heilung von Dokumentationsmängeln grundsätzlich nicht in Betracht, soweit Entscheidungen überhaupt nicht dokumentiert worden sind. Dagegen ist eine Heilung von Dokumentationsmängeln im Einzelfall möglich, soweit es um das „Wie“ der Dokumentation geht. Gemeint ist die nachträgliche Ergänzung einer unzureichenden Begründung mit Umständen oder Gesichtspunkten, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidigt werden soll. In diesen Fällen ist abzuwägen zwischen dem Sinn und Zweck der Dokumentation, durch die zeitnahe Führung des Vergabevermerks die Transparenz des Vergabeverfahrens zu schützen und Manipulationsmöglichkeiten entgegenzuwirken, auf der einen Seite und dem vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatz auf der anderen Seite (Schneider in Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, Teil A/B, 6. Aufl. 2017, § 8 VgV Rn. 7 ff.).

Zwar ist die Dokumentationspflicht kein Selbstzweck. Unter gewissen Umständen mag auch eine Heilung möglich sein.

Jedoch scheint zB ein völliges Unterbleiben der Dokumentation des Abweichens von einer Regelvergabe bzw. nur mit einer dürftigen Begründung in einem Satz äußerst fraglich.

Nachgefragt bei … (4): Kann von der Pflicht zur Losaufteilung nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB abgesehen werden?

Nachgefragt bei … (4): Kann von der Pflicht zur Losaufteilung nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB abgesehen werden?

Gemäß § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB sind Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Unter dem Begriff “Fachlos” sind Leistungen zu verstehen, die von einem bestimmten Handwerks- oder Gewerbebetrieb ausgeführt werden, d. h. einem bestimmten Fachgebiet zuzuordnen sind. Für die Frage, ob die Bildung eines eigenständigen Fachloses geboten ist, kommt es darauf an, ob für die spezielle Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen seit längerem besteht oder sich gerade herausgebildet hat. Entscheidend ist mithin eine hinreichende Abgrenzbarkeit (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29. April 2022, 15 Verg 2/22; OLG München, Beschl. v. 9. April 2015, Verg 1/15; OLG Naumburg, Beschl. v. 14. Mär 2013, 2 Verg 8/12; Knauff in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, GWB § 97 Rn. 24; Kus in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 97 Rn. 197).

Besteht nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB grundsätzlich eine Pflicht zur Losaufteilung, kann hiervon nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern.

Bsp.:

Eine Pflicht zur Bildung von Fachlosen “Projektsteuerung allgemein / Teilprojekt Bau” und “Projektsteuerung Teilprojekt Ausstellungen” besteht nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB nicht.

Eine Aufteilung in Fachlose grundsätzlich zu erfolgen, wenn sich für die konkrete Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen herausgebildet hat. Ein derartiger Anbietermarkt für Projektsteuerungsleistungen für die Neugestaltung von Ausstellungen ist jedoch nicht ersichtlich. Wenn die Fachplanung für die Teilprojekte Bau und Ausstellungen unstreitig getrennt vergeben wurde, lässt das nicht den Schluss darauf zu, es bestünden auch im Bereich der Projektsteuerung entsprechende spezialisierte Anbietermärkte. Die Tatsache, dass der Antragsteller zwar über Referenzen im Bereich der Projektsteuerung Bau, aber nicht über Referenzen für die Projektsteuerung Ausstellungen verfügt, bedeutet ebenfalls nicht zwingend, dass es sich insoweit um einen getrennten Markt für entsprechende Projektsteuerungsleistungen handelt.

Nachgefragt bei … (3): Wann ist ein Vergabeverstoß erkennbar?

Nachgefragt bei … (3): Wann ist ein Vergabeverstoß erkennbar?

Die Erkennbarkeit des Verstoßes gegen eine Vergabevorschrift setzt einerseits die Erkennbarkeit der maßgeblichen Tatsachen, andererseits die Erkennbarkeit des Rechtsverstoßes voraus (OLG Frankfurt, Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG München, Beschl. v. 22. Oktober 2015, Verg 5/15; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 20. Aufl. 2020, GWB § 160 Rn. 48). Dabei muss der Verstoß so deutlich zutage treten, dass er einem verständigen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots beziehungsweise seiner Bewerbung auffallen muss; übersteigerte tatsächliche und rechtliche Anforderungen dürfen diesbezüglich nicht an einen Bieter gestellt werden (OLG München, Beschl. v. 24. März 2021, Verg 12/20; vgl. auch OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 27. Oktober 2022, 54 Verg 7/22; OLG Frankfurt, Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. September 2018, Verg 37/17).

Maßstab ist ein durchschnittlich fachkundiger Bieter, der die übliche Sorgfalt anwendet. Ob für die Erkennbarkeit des Vergabeverstoßes ein objektiver, auf den durchschnittlichen verständigen Bewerber oder ein subjektiver, auf die individuellen Verhältnisse des Bieters abstellender Maßstab anzuwenden ist, wurde und wird kontrovers diskutiert (für einen objektiven Maßstab: OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 27. Oktober 2022, 54 Verg 7/22; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7. September 2022, 15 Verg 8/22, NZBau 2022, 615; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Rostock, Beschl. v. 21. Januar 2019, 17 Verg 8/18; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. September 2018, Verg 37/17, NZBau 2019, 390; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, GWB § 160 Rn. 51; Summa in jurisPK-Vergaberecht, Stand 31. Mai 2023, § 160 Rn. 305; Wiese in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 160 Rn. 126; für einen Vergabeverstoß bezüglich der Zuschlagskriterien auch EuGH, Beschl. v. 12. März 2015, C-538/13, NZBau 2015, 306 Rn. 52 ff.; für einen subjektiven Maßstab: Horn/Hoffmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 160 Rn. 53 mit Zitaten aus der älteren Rechtsprechung; offengelassen: OLG München, Beschl. v. 24. März 2021, Verg 12/20; Beschl. v. 2. Juni 2016, Verg 15/15; OLG Celle, Beschl. v. 8. September 2011, 13 Verg 4/11).

Richtig ist die erste, inzwischen herrschende Meinung. Für diese spricht insbesondere die Übereinstimmung mit den Grundsätzen zur Auslegung der Vergabeunterlagen. Insoweit kommt es nicht auf das Verständnis des individuellen, konkreten Bewerbers an, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont eines potenziellen Bieters (BGH, Beschl. v. 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31; BGH, Beschl. v. 3. April 2012, X ZR 130/10 Rn. 10; BayObLG, Beschl. v. 26. Mai 2023, Verg 2/23); maßgeblich ist, wie ein verständiger, sachkundiger und mit derartigen Beschaffungsvorgängen vertrauter Bieter die Vergabeunterlagen verstehen muss (BayObLG, Beschl. v. 3. Juni 2022, Verg 7/22; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 5. November 2019, 11 Verg 4/19). Es liegt nahe, nach denselben Grundsätzen auch die Erkennbarkeit von Vergabeverstößen aus den Vergabeunterlagen zu bewerten. Der objektive Maßstab steht ferner im Einklang mit dem Wortlaut des § 160 Abs. 3 GWB. Während der Rügetatbestand in Ziffer 1 explizit auf den Erkenntnisstand des konkreten Bieters abstellt, wird die individuelle Ausprägung in den Ziffern 2 und 3 nicht wiederholt, also keine Erkennbarkeit “für den Antragsteller”, sondern nur die (generelle) Erkennbarkeit anhand der Bekanntmachung beziehungsweise der Vergabeunterlagen gefordert (so auch Dicks, a. a. O. Rn. 50).

BayObLG zu der Frage der Zulässigkeit von besonders hohen Anforderungen an die Eignung

BayObLG zu der Frage der Zulässigkeit von besonders hohen Anforderungen an die Eignung

vorgestellt von Thomas Ax

Im Rahmen des § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB können besonders hohe Anforderungen unangemessen sein, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten und diese nicht mehr durch gewichtige Gründe gerechtfertigt ist. Grundsätzlich steht dem Auftraggeber bei der Auswahl der Eignungskriterien ein Beurteilungsspielraum zu, der seine Grenzen in § 122 Abs. 4 GWB findet (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18). Es dürfen nur Eignungskriterien aufgestellt werden, die mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu ihm in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die Eignungskriterien müssen geeignet und erforderlich sein, um die Leistungsfähigkeit in Bezug auf den ausgeschriebenen Auftragsgegenstand nachzuweisen. Dabei sind unter anderem die Komplexität des Auftrags und das Gewicht, das die ordnungsgemäße Auftragserfüllung für den Auftraggeber hat, in den Blick zu nehmen. Je komplexer der Auftragsgegenstand, desto höhere Eignungsanforderungen können gestellt werden (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21; Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18). In die Angemessenheitsprüfung einzubeziehen sind aber auch die Auswirkungen auf den Wettbewerb. Der Auftraggeber hat abzuwägen zwischen einer möglichst großen Auswahl an Angeboten und der Gefahr nicht ordnungsgemäßer Ausführung. Besonders hohe Anforderungen können unangemessen sein, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten, weil nur ein oder wenige Unternehmen sie erfüllen. In einem solchen Fall ist es nötig, dass die Anforderungen durch gewichtige Gründe gerechtfertigt sind. Je einschneidender der Wettbewerb beschränkt wird, desto höher sind die Anforderungen an die gewichtigen Gründe (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18).

BayObLG, Beschluss vom 06.09.2023 – Verg 5/22
vorhergehend:
VK Südbayern, 30.03.2022 – 3194.Z3-3_01-21-60


Gründe:

I.

Im Rahmen der Sanierung des D. Museums beabsichtigt die Antragsgegnerin die Vergabe von Projektsteuerungsleistungen für den Realisierungsabschnitt 2 im offenen Verfahren. Beauftragt werden soll ausweislich der europaweiten Bekanntmachung vom 24. August 2021 die Projektsteuerung mit Schnittstellenmanagement für das Gesamtprojekt sowie für das Teilprojekt Bau und das Teilprojekt Ausstellungen, das die Neugestaltung von fünf Einzelausstellungen umfasst. Die Bekanntmachung führte unter Ziffer II 1.6) aus:

“Aufteilung des Auftrags in Lose: nein”.

Unter Ziffer III. 1.3) “Technische und berufliche Leistungsfähigkeit” forderte die Antragsgegnerin als “Mindeststandards” mindestens zwei Referenzen über Projektsteuerungsleistungen bei Bauvorhaben mit Baukosten jeweils über mindestens 100 Millionen Euro und einer Leistungszeit von mindestens fünf Jahren. Eines dieser zwei Referenzprojekte musste ein Sanierungsprojekt sein. Zusätzlich war mindestens eine Referenz zu benennen, die die Projektsteuerung der Planung und Ausführung der Neugestaltung von wenigstens drei Einzelausstellungen (Dauerausstellungen) im Rahmen der Sanierung / eines Umbaus eines Gebäudes einschließlich der Betreuung von Schnittstellen zum Bauprojekt und dem Aus- und Einzug der Ausstellungsprojekte zum Gegenstand hatte. Die Projektstufe 4 musste bei den Referenzprojekten innerhalb der letzten zehn Jahre abgeschlossen worden sein. Als weiterer Mindeststandard wurde die Beschäftigung von mindestens 80 Mitarbeitern, davon mindestens 50 Architekten und Bauingenieuren, gefordert.

Schlusstermin für die Angebotsabgabe war der 30. September 2021.

Mit Schreiben vom 7. September 2021 rügte der Antragsteller, die Forderung einer Referenz über die Projektsteuerung der Neugestaltung von Ausstellungen verstoße gegen § 75 Abs. 4 VgV, da unzulässig eine Realisierung von Objekten gleicher Nutzungsart gefordert werde. Auch die weiteren Anforderungen, drei Dauerstellungen mit Schnittstellenbetreuung sowie Umzugsmanagement seien überzogen. Eine sachliche Rechtfertigung dafür sei nicht ersichtlich. Da die Anforderungen exakt dem Beauftragungsumfang des bisher – im Realisierungsabschnitt 1 – tätigen Projektsteuerers entsprächen, dränge sich der Verdacht auf, dass eine Beschränkung des Teilnehmerkreises beabsichtigt sei.

Die Antragsgegnerin erklärte im Schreiben vom 16. September 2021, der Rüge (nur) teilweise abzuhelfen, und veröffentlichte am 21. September 2021 eine berichtigte Bekanntmachung. Danach musste eines der als Mindeststandard geforderten Referenzprojekte die Projektsteuerung der Planung und Ausführung der Neugestaltung von wenigstens drei Einzelausstellungen (Dauerausstellungen) im Rahmen des Neubaus, der Sanierung oder eines Umbaus eines Gebäudes einschließlich der Betreuung der Schnittstelle zum Bauprojekt zum Gegenstand haben. Auf die Betreuung der Schnittstelle zum Aus- und Einzug der Ausstellungsobjekte wurde verzichtet.

Mit Schreiben vom 30. September 2021 hat der Antragsteller ohne vorherige Einreichung eines Angebots die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens beantragt. Der Nachprüfungsantrag sei zulässig. Da der Antragsteller keine Referenz für die Projektsteuerung von Ausstellungen im Museumsbereich habe, sei er an der Teilnahme am Verfahren gehindert. Die Referenzanforderung verstoße gegen § 122 Abs. 4 GWB. Es fehle am Auftragsbezug, da es für die Leistung der Projektsteuerung nicht auf die konkrete Nutzung des Gebäudes ankomme. Außerdem seien die Anforderungen unverhältnismäßig. Die Anforderungen könnten praktisch nur vom Projektsteuerer des Realisierungsabschnitts 1 erfüllt werden, so dass ein Wettbewerb praktisch ausgeschlossen sei. Die Projektsteuerung für das fragliche Projekt unterscheide sich nicht wesentlich von der Projektsteuerung für komplexe Bauvorhaben, interdisziplinäre OP- und Diagnostikraumvorhaben oder Tierhäusern für Forschungszwecke, wie sie der Antragsteller bereits erbracht habe. Die Dokumentation leide an erheblichen Mängeln. Ferner hat der Antragsteller im Schriftsatz vom 11. November 2021 vorgetragen, die Antragsgegnerin hätte über eine Trennung der Leistungen für die Steuerung der Ausstellung einerseits und des Teilprojekts Bau andererseits zumindest nachdenken müssen, um nicht durch die Verknüpfung der Leistungen den Bietermarkt unnötig einzuschränken.

Der Antragsteller hat beantragt:

1. Das Vergabeverfahren wird aufgehoben.

2. Die Antragsgegnerin wird bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht und bei Einleitung eines neuen Vergabeverfahrens zur Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer verpflichtet.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hält die Referenzanforderungen für zulässig und angemessen. Mit der Rüge mangelnden Auftragsbezugs sei der Antragsteller schon präkludiert. Zudem bestehe ein berechtigtes Interesse, dass der Projektsteuerer vorliegend Erfahrungen mit der konkreten Nutzungsart habe, da es sich um ganz spezifische Steuerungsleistungen handle. Das Projekt beinhalte aufgrund der besonderen Nutzerstruktur und der Steuerung der inhaltlichen Entwicklungsprozesse für die Ausstellungen sehr spezifische, hoch komplexe Aufgaben. Die Nutzervorgaben müssten in einem Parallelprozess mit den Ausstellungen entwickelt und anschließend ins Gebäude integriert werden, was das Projekt ganz wesentlich von einem klassischen Bauprojekt unterscheide. Aufgrund des Projektplans bleibe keine Zeit, dass sich der Bieter die Kenntnisse für eine derartige Projektsteuerung erst während des Projekts aneigne. Eine wissenschaftliche Definition, was “eine” Ausstellung sei, kenne sie nicht, das definiere jedes Museum selbst. Sie habe mit den Referenzanforderungen hohe Hürden gesetzt. Die Anforderungen seien aber nicht spezifisch auf den Projektsteuerer des Realisierungsabschnitts 1 zugeschnitten. Es sei allgemein bekannt, dass in den letzten 10 Jahren eine Vielzahl von Projekten verwirklicht worden sei, so dass es einige Projektsteuerer geben müsse, die die Anforderungen erfüllen könnten. Die Dokumentation sei ordnungsgemäß.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Der Antragsteller sei mit der Rüge der unterbliebenen Losaufteilung nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB präkludiert. Dass die Antragsgegnerin keine Losaufteilung vorgenommen habe, sei aus der Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen ersichtlich gewesen. Der Präklusion stehe nicht entgegen, dass dem Antragsteller nicht bekannt gewesen sei, aus welchen Gründen gemäß § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB die Antragsgegnerin eine gemeinsame Vergabe vorgenommen habe. Im Übrigen hält die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag für unbegründet. § 75 Abs. 5 Satz 3 VgV sei nicht anwendbar. Die Eignungsanforderungen stünden gemäß § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB in einem angemessenen Verhältnis zum Auftragsgegenstand. Die Notwendigkeit einer Projektsteuerungsreferenz für die Neugestaltung von mindestens drei Einzelausstellungen als Dauerausstellungen sei nicht als besonders hohe Anforderung anzusehen. Eine Einschränkung hinsichtlich der Thematik oder Größe der Ausstellung, des Schwerpunkts oder der Besucherzahl des Gebäudes sowie der Anzahl oder Beschaffenheit der Exponate werde nicht vorgenommen. Die Antragsgegnerin habe vorgetragen, dass es in den letzten Jahren eine Vielzahl an Neukonzeptionen von Ausstellungen im Zusammenhang mit dem Neubau, Umbau oder einer Sanierung von Gebäuden gegeben habe. Die Vergabekammer gehe davon aus, dass die Eignungskriterien nur einen geringen Einfluss auf den Wettbewerb hätten. Auch habe der Antragsteller nicht dargelegt, inwieweit es aufgrund einer eingeschränkten Wettbewerbssituation nicht möglich gewesen sei, Nachunternehmer zur Eignungsleihe oder andere Projektsteuerer für eine Bietergemeinschaft zu finden. Es sei auch keine unangemessene Forderung, dass der Projektsteuerer bereits Erfahrung mit der Steuerung und Koordinierung von Ausstellungsprojekten vorweisen müsse. Die Leistungen insoweit unterschieden sich signifikant von den üblichen Projektsteuerungsleistungen bei Bauprojekten.

Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er seinen Vortrag vertieft. Die Eignungsanforderungen verstießen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB. Entgegen der Ansicht der Vergabekammer handele es nicht nur um geringe Anforderungen. Da mindestens drei Einzelausstellungen und Schnittstellen zum Bauprojekt gefordert seien, müsse ein entsprechend großvolumiges Projekt im Raum stehen. Zudem habe die Antragsgegnerin nicht vorab definiert, wann eine Referenz von ihr als tauglich angesehen werde. Wenn die Neugestaltung jeder Art von Ausstellungen, z. B. auch in einem “ländlichen Bauernmuseum”, genügen solle, stehe das in Widerspruch zur dokumentierten Erwägung, dass die Bewältigung von Projekten mit hoher Komplexität nachzuweisen sei. Ferner fehle eine taugliche Dokumentation. Die Antragsgegnerin habe die Referenzanforderungen ohne ausreichende Kenntnis der Marktlage und sachliche Basis festgelegt. Auch fehle eine ergebnisoffene Abwägung des Für und Wider der Anforderungen. Der Auftrag hätte in ein Los zur klassischen Projektsteuerung und die besondere Projektsteuerungsleistung “Ausstellung” aufgeteilt werden müssen. Diese Rüge sei nicht präkludiert, da sich die Gründe für das Unterbleiben der Losaufteilung nicht aus den Unterlagen ergeben hätten. Zudem sei davon auszugehen, dass eine erneute Frist zur Einreichung der Teilnahmeanträge gesetzt werde, wenn nach dem Ende des Nachprüfungsverfahrens die Aussetzung des Vergabeverfahrens aufgehoben werde.

Der Antragsteller beantragt daher:

1. Der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 30. März 2022 wird aufgehoben.

2. Auf den Nachprüfungsantrag des Antragstellers hin wird das Vergabeverfahren aufgehoben.

3. Hilfsweise zu 2: Die Antragsgegnerin wird bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht zur Gestaltung der Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Vergabesenats verpflichtet.

Die Antragsgegnerin beantragt:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin verteidigt den Beschluss der Vergabekammer und vertieft ihren Vortrag. Die Eignungskriterien seien angemessen. Die Steuerung von Ausstellungsprojekten beinhalte sehr spezielle Aufgabenstellungen wegen der besonderen Nutzerstruktur, der Steuerung der inhaltlichen Entwicklungsprozesse und deren Synchronisation mit den Planungsabläufen. Bei der Inhaltsproduktion gebe es spezielle Prozesse und Vorgehensweisen zwischen Kuratoren und Gestaltern. Zudem müssten die konservatorischen Vorgaben bekannt sein. Schließlich seien die Prozesse zur Erstellung der Begleitmedien (Vermittlung der Inhalte) sehr speziell. Die Herausforderung bestehe darin, die Prozesse der unterschiedlichen Ausstellungen mit den unterschiedlichen Anforderungen an die Exponate richtig einzuordnen, abzustimmen und die Vielzahl der fachlich Beteiligten zielgerichtet zu organisieren und zu steuern. Die Steuerung von Ausstellungsprojekten unterscheide sich daher wesentlich von der klassischen Bauprojektsteuerung. Die Forderung nach einer Referenz bezogen auf Dauerausstellungen sei gerechtfertigt, da die inhaltliche Entwicklung von Dauerausstellungen ganz andere Anforderungen stelle als die von temporären Ausstellungen. Ein Referenzprojekt mit drei Einzelausstellungen sei nötig, da unterschiedliche Ausstellungsgegenstände (z. B. Großexponate, klimasensible Exponate etc.) unterschiedliche Schwerpunkte in den einzelnen Prozessen verlangten und diese im Rahmen eines Gesamtkonzepts aufeinander abzustimmen seien. Es handle sich bei der geforderten Referenz nicht um eine unnötige Wettbewerbsbeschränkung, zumal der Einsatz von Nachunternehmern nicht ausgeschlossen werde. Eine Losaufteilung sei nicht möglich gewesen. Auf die einheitliche Verantwortung eines Projektsteuerers könne wegen der mannigfaltigen Schnittstellen und der notwendigen Synchronisation der Planungsabläufe nicht verzichtet werden. Ohnehin sei die Antragstellerin mit der Rüge präkludiert. Dem einschlägigen Bieterkreis müssten die Grundsätze der Losaufteilung bekannt sein. Aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis folge, dass ein Bieter nicht einfach annehmen dürfe, der Auftraggeber werde schon einen validen Grund für die Gesamtvergabe haben.

Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2023 verwiesen.

II.

Die gemäß § 172 GWB zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg. Die Antragsgegnerin hat bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht das Verfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats in den Stand vor der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen.

1. Der Nachprüfungsantrag ist insgesamt zulässig.

a) Der Antragsteller ist antragsbefugt, § 160 Abs. 2 GWB, auch wenn er kein Angebot abgegeben hat. Er trägt unbestritten vor, er habe keine Referenz für die Projektsteuerung einer Neugestaltung von Ausstellungen in Museen und sei daher an einer Angebotsabgabe gehindert. In einem derartigen Fall ist das nötige Interesse am Auftrag in ausreichender Weise durch eine Rüge nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB und die nachfolgende Stellung eines Nachprüfungsantrags dokumentiert (Horn/Hofmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB, 4. Aufl. 2022, § 160 Rn. 28). Der Antragsteller rügt im Nachprüfungsverfahren gerade die Forderung dieser Referenz als unverhältnismäßig gemäß § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB sowie die fehlende Aufteilung in ein Los zur Projektsteuerung allgemein einerseits und ein Los zur Projektsteuerung Ausstellung andererseits und die fehlende bzw. mangelhafte Dokumentation insoweit. Diese stellen auch mögliche Rechtsverletzungen gemäß § 97 Abs. 6, § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB dar (zum bieterschützenden Charakter des § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB OLG Rostock, Beschl. v. 9. Dezember 2020, 17 Verg 4/20; Kus in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 97 Rn. 223). Ferner erscheint es jedenfalls möglich, dass der Antragsteller ohne die Mindestanforderung bzw. im Fall einer Losaufteilung ein möglicherweise erfolgversprechendes Angebot hätte abgeben können, und ihm daher infolge der gerügten Rechtsverletzungen ein Schaden entstanden ist, § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB.

b) Der Antragsteller ist mit seinen Rügen nicht präkludiert, § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB.

aa) Bezüglich der Mindestanforderung einer Referenz über die Projektsteuerung der Neugestaltung von drei Ausstellungen (Dauerausstellungen) samt Schnittstellenmanagement liegt im Schreiben vom 7. September 2021 eine ausreichende und nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB rechtzeitige Rüge, die auch den im Nachprüfungsverfahren ebenfalls bemängelten fehlenden Auftragsbezug der Referenz abdeckt. Ein Verstoß gegen § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB liegt ebenfalls nicht vor.

bb) Soweit der Antragsteller nunmehr die fehlende Losaufteilung nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB beanstandet, ist er damit ebenfalls nicht präkludiert. Zwar hat der Antragsteller die fehlende Losaufteilung weder im Rügeschreiben vom 7. September 2021 noch im Nachprüfungsantrag vom 30. September 2023 erwähnt.

(1) Ein aufgrund der Bekanntmachung oder der Vergabeunterlagen erkennbarer Verstoß im Sinn des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 GWB liegt aber nicht vor.

Die Erkennbarkeit des Verstoßes gegen eine Vergabevorschrift setzt einerseits die Erkennbarkeit der maßgeblichen Tatsachen, andererseits die Erkennbarkeit des Rechtsverstoßes voraus (OLG Frankfurt, Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG München, Beschl. v. 22. Oktober 2015, Verg 5/15; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 20. Aufl. 2020, GWB § 160 Rn. 48). Dabei muss der Verstoß so deutlich zutage treten, dass er einem verständigen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots beziehungsweise seiner Bewerbung auffallen muss; übersteigerte tatsächliche und rechtliche Anforderungen dürfen diesbezüglich nicht an einen Bieter gestellt werden (OLG München, Beschl. v. 24. März 2021, Verg 12/20; vgl. auch OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 27. Oktober 2022, 54 Verg 7/22; OLG Frankfurt, Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. September 2018, Verg 37/17).

Maßstab ist nach Ansicht des Senats ein durchschnittlich fachkundiger Bieter, der die übliche Sorgfalt anwendet. Ob für die Erkennbarkeit des Vergabeverstoßes ein objektiver, auf den durchschnittlichen verständigen Bewerber oder ein subjektiver, auf die individuellen Verhältnisse des Bieters abstellender Maßstab anzuwenden ist, wurde und wird kontrovers diskutiert (für einen objektiven Maßstab: OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 27. Oktober 2022, 54 Verg 7/22; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7. September 2022, 15 Verg 8/22, NZBau 2022, 615; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Rostock, Beschl. v. 21. Januar 2019, 17 Verg 8/18; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. September 2018, Verg 37/17, NZBau 2019, 390; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, GWB § 160 Rn. 51; Summa in jurisPK-Vergaberecht, Stand 31. Mai 2023, § 160 Rn. 305; Wiese in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 160 Rn. 126; für einen Vergabeverstoß bezüglich der Zuschlagskriterien auch EuGH, Beschl. v. 12. März 2015, C-538/13, NZBau 2015, 306 Rn. 52 ff.; für einen subjektiven Maßstab: Horn/Hoffmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 160 Rn. 53 mit Zitaten aus der älteren Rechtsprechung; offengelassen: OLG München, Beschl. v. 24. März 2021, Verg 12/20; Beschl. v. 2. Juni 2016, Verg 15/15; OLG Celle, Beschl. v. 8. September 2011, 13 Verg 4/11). Der Senat schließt sich der ersten, inzwischen herrschenden Meinung an. Für diese spricht insbesondere die Übereinstimmung mit den Grundsätzen zur Auslegung der Vergabeunterlagen. Insoweit kommt es nicht auf das Verständnis des individuellen, konkreten Bewerbers an, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont eines potenziellen Bieters (BGH, Beschl. v. 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31; BGH, Beschl. v. 3. April 2012, X ZR 130/10 Rn. 10; BayObLG, Beschl. v. 26. Mai 2023, Verg 2/23); maßgeblich ist, wie ein verständiger, sachkundiger und mit derartigen Beschaffungsvorgängen vertrauter Bieter die Vergabeunterlagen verstehen muss (BayObLG, Beschl. v. 3. Juni 2022, Verg 7/22; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 5. November 2019, 11 Verg 4/19). Es liegt nahe, nach denselben Grundsätzen auch die Erkennbarkeit von Vergabeverstößen aus den Vergabeunterlagen zu bewerten. Der objektive Maßstab steht ferner im Einklang mit dem Wortlaut des § 160 Abs. 3 GWB. Während der Rügetatbestand in Ziffer 1 explizit auf den Erkenntnisstand des konkreten Bieters abstellt, wird die individuelle Ausprägung in den Ziffern 2 und 3 nicht wiederholt, also keine Erkennbarkeit “für den Antragsteller”, sondern nur die (generelle) Erkennbarkeit anhand der Bekanntmachung beziehungsweise der Vergabeunterlagen gefordert (so auch Dicks, a. a. O. Rn. 50).

Gemäß § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB sind Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Unter dem Begriff “Fachlos” sind Leistungen zu verstehen, die von einem bestimmten Handwerks- oder Gewerbebetrieb ausgeführt werden, d. h. einem bestimmten Fachgebiet zuzuordnen sind. Für die Frage, ob die Bildung eines eigenständigen Fachloses geboten ist, kommt es darauf an, ob für die spezielle Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen seit längerem besteht oder sich gerade herausgebildet hat. Entscheidend ist mithin eine hinreichende Abgrenzbarkeit (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29. April 2022, 15 Verg 2/22; OLG München, Beschl. v. 9. April 2015, Verg 1/15; OLG Naumburg, Beschl. v. 14. Mär 2013, 2 Verg 8/12; Knauff in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, GWB § 97 Rn. 24; Kus in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 97 Rn. 197).

Unter Anwendung dieser Grundsätze bestand vorliegend jedenfalls keine Rügepflicht des Antragstellers. Zwar war aus der Auftragsbekanntmachung ohne Weiteres ersichtlich, dass die Antragsgegnerin keine Losaufteilung vorgesehen hatte. Unter Ziffer II 1.6) ist ausdrücklich angeführt:

“Aufteilung des Auftrags in Lose: nein”.

Indessen hätte für den Antragsteller nur dann eine Rügepflicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB bestanden, wenn auch erkennbar gewesen wäre, dass eine Pflicht zur Bildung eines Fachloses “Projektsteuerung Teilprojekt Ausstellungen” bestand. Dabei kann unterstellt werden, dass einem durchschnittlichen Bieter die grundsätzliche, in § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB verankerte Pflicht zur Bildung von Fachlosen bekannt ist. Indessen genügt dies nicht. Eine Rügepflicht setzt ferner voraus, dass ein durchschnittlich fachkundiger Bieter unter Anwendung der üblichen Sorgfalt auch erkennen kann, dass es einen eigenständigen Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen im Bereich Projektsteuerung Ausstellungen gibt (vgl. OLG München, Beschl. v. 25. März 2019, Verg 10/18). Das Bestehen eines derartigen Markts kann in einzelnen Bereichen, wie etwa der Glasreinigung (vgl. Kus, a. a. O., Rn. 197; OLG München, Beschl. v. 25. März 2019, Verg 10/18) ohne Weiteres erkennbar sein. Vorliegend ist das Bestehen eines derart spezialisierten Markts aber weder nach dem Vortrag der Parteien noch sonst offensichtlich. Insbesondere war auch ein durchschnittlich fachkundiger Bieter unter Anwendung der üblichen Sorgfalt nicht verpflichtet, zunächst selbst eine Markterkundung durchzuführen, um sich Klarheit über das Bestehen eines speziellen Anbietermarkts und damit verbunden die Pflicht zur Fachlosbildung zu verschaffen. Allein aus der Tatsache, dass ein Bieter – wie vorliegend der Antragsteller – selbst über keine entsprechende Referenz verfügt, konnte und musste er auch noch nicht auf das Bestehen eines eigenen Anbietermarkts zur Projektsteuerung im Bereich Ausstellungen schließen.

Nur ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen: Besteht nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB grundsätzlich eine Pflicht zur Losaufteilung, kann hiervon nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Ob eine Rügepflicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 bzw. 3 GWB nur dann besteht, wenn auch die Gründe des Auftraggebers, von der Losbildung abzusehen, für den Bieter erkennbar waren, erscheint fraglich (abstellend auf die Erkennbarkeit der Gründe OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 14. Mai 2018, 11 Verg 4/18; Summa in jurisPK-Vergaberecht, 6. Aufl. Stand 31. Mai 2023, § 160 GWB Rn. 317 ff.; letztlich offengelassen von OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8. März 2017, Verg 39/16; nur auf die Erkennbarkeit der fehlenden Losaufteilung stellen ab OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 27. Oktober 2022, 54 Verg 7/22; Beschl. v. 13. Juni 2019, 54 Verg 2/19; OLG Celle, Beschl. v. 8. September 2011, 13 Verg 4/11). Dagegen spricht, dass bei Bestehen eines spezialisierten Marktes die Fachlosbildung den Regelfall und das Absehen davon die für den Auftraggeber begründungsbedürftige Ausnahme darstellt, so dass nach den Umständen ein Vergabeverstoß naheliegt. Mit Sinn und Zweck der Rügepflicht erscheint es nur schwer zu vereinbaren, wenn der Bieter in einer derartigen Situation sich die Rüge des – naheliegenden – Vergabeverstoßes für den Fall vorbehalten kann, dass sein Angebot nicht zum Zuge kommen soll. Letztlich würde die Rügepflicht in erheblichem Umfang leerlaufen, wenn der Bieter erst nach Erkennbarkeit der Gründe des Auftraggebers, also häufig erst nach Einsicht in den Vergabevermerk, zur Rüge verpflichtet sein könnte. Vorliegend bedarf dies aber keiner Entscheidung.

(2) Der Antragsteller ist mit der Rüge entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB präkludiert. Der Einwand der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe nicht innerhalb von 10 Tagen nach Inanspruchnahme von Rechtsrat die fehlende Losaufteilung gerügt, überzeugt nicht. Eine Beratung durch eine Syndikusanwältin ist ebenso wie die Beauftragung einer externen Rechtsanwaltskanzlei nicht automatisch gleichzusetzen mit der Kenntnis sämtlicher denkbarer Verstöße gegen Vergabevorschriften.

(3) Mangels Präklusion kommt es weder auf die vom Antragsteller aufgeworfene Frage an, ob der Verstoß gegen die Losaufteilungspflicht von Amts wegen aufzugreifen ist, noch darauf, ob der Antragsgegner nach Beendigung der Aussetzung des Vergabeverfahrens nochmals eine Frist zur Angebotsabgabe zu setzen hat.

2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Zwar bestand keine Pflicht zur Fachlosbildung (dazu unten a]), jedoch verstößt die Forderung einer Referenz zur Projektsteuerung der Planung und Ausführung der Neugestaltung von wenigstens drei Dauerausstellungen im Rahmen des Neubaus, der Sanierung oder des Umbaus eines Museums gegen § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB (dazu unten b]).

a) Eine Pflicht zur Bildung von Fachlosen “Projektsteuerung allgemein / Teilprojekt Bau” und “Projektsteuerung Teilprojekt Ausstellungen” bestand nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB nicht. Wie bereits ausgeführt (siehe oben Ziffer 1 b] bb] [1]) hat eine Aufteilung in Fachlose grundsätzlich zu erfolgen, wenn sich für die konkrete Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen herausgebildet hat. Ein derartiger Anbietermarkt für Projektsteuerungsleistungen für die Neugestaltung von Ausstellungen ist jedoch nicht ersichtlich. Weder dem schriftsätzlichen Vortrag der Beteiligten noch den vorgelegten Unterlagen lässt sich entnehmen, dass ein solcher spezialisierter Anbietermarkt vorhanden wäre. Dass die Fachplanung für die Teilprojekte Bau und Ausstellungen unstreitig getrennt vergeben wurde, lässt nicht den Schluss darauf zu, es bestünden auch im Bereich der Projektsteuerung entsprechende spezialisierte Anbietermärkte. Die Tatsache, dass der Antragsteller zwar über Referenzen im Bereich der Projektsteuerung Bau, aber nicht über Referenzen für die Projektsteuerung Ausstellungen verfügt, bedeutet ebenfalls nicht zwingend, dass es sich insoweit um einen getrennten Markt für entsprechende Projektsteuerungsleistungen handelt. Ferner konnten in der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2023 auf Nachfrage des Senats weder der Antragsteller noch die Antragsgegnerin bestätigen, dass ein entsprechender Spezialmarkt existiert.

Ob ausreichende wirtschaftliche und technische Gründe für eine Gesamtvergabe nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB vorlagen und ob diese dokumentiert wurden, bedarf daher keiner Entscheidung mehr.

b) Die von der Antragsgegnerin auch nach der Teilabhilfe noch als Mindeststandard geforderte Referenz einer “Projektsteuerung der Planung und Ausführung der Neugestaltung von wenigstens drei Einzelausstellungen (Dauerausstellungen) im Rahmen des Neubaus / der Sanierung / eines Umbaus eines Gebäudes einschließlich der Betreuung der Schnittstelle zum Bauprojekt” verstößt gegen § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB.

aa) Die als Mindeststandard für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit geforderte Referenz ist an § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB zu messen. Wenn eine Referenz gefordert wurde ohne Rückbezug zu eigenständig aufgestellten Eignungskriterien, definiert die Referenz konkludent auch die materiellen Eignungskriterien (BayObLG, Beschl. v. 29. Juli 2022, Verg 16/21; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18).

bb) Grundsätzlich steht dem Auftraggeber bei der Auswahl der Eignungskriterien ein Beurteilungsspielraum zu, der seine Grenzen in § 122 Abs. 4 GWB findet (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18). Es dürfen nur Eignungskriterien aufgestellt werden, die mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu ihm in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die Eignungskriterien müssen geeignet und erforderlich sein, um die Leistungsfähigkeit in Bezug auf den ausgeschriebenen Auftragsgegenstand nachzuweisen. Dabei sind unter anderem die Komplexität des Auftrags und das Gewicht, das die ordnungsgemäße Auftragserfüllung für den Auftraggeber hat, in den Blick zu nehmen. Je komplexer der Auftragsgegenstand, desto höhere Eignungsanforderungen können gestellt werden (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21; Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18). In die Angemessenheitsprüfung einzubeziehen sind aber auch die Auswirkungen auf den Wettbewerb. Der Auftraggeber hat abzuwägen zwischen einer möglichst großen Auswahl an Angeboten und der Gefahr nicht ordnungsgemäßer Ausführung. Besonders hohe Anforderungen können unangemessen sein, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten, weil nur ein oder wenige Unternehmen sie erfüllen. In einem solchen Fall ist es nötig, dass die Anforderungen durch gewichtige Gründe gerechtfertigt sind. Je einschneidender der Wettbewerb beschränkt wird, desto höher sind die Anforderungen an die gewichtigen Gründe (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30. März 2021, 11 Verg 18/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juni 2018, Verg 4/18).

cc) Unter Anwendung dieser Grundsätze genügt die geforderte Referenz nicht mehr den Anforderungen des § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB. Zwar kann die geforderte Referenz nach Ansicht des Senats zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit als – noch – geeignet angesehen werden (dazu unten [1]). Jedoch sind die Anforderungen, soweit der Nachweis von Projektsteuerungsleistungen bezüglich dreier Dauerausstellungen gefordert wird, unter Berücksichtigung der damit notwendigerweise verbundenen Wettbewerbsbeschränkung unangemessen hoch (dazu unten [2]). Bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht obliegt es der Antragsgegnerin, im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats jedenfalls die gerügte Mindestreferenz neu zu fassen, sowie die Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Referenz zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit für die ausgeschriebene Projektsteuerungsleistung konkret und unter Berücksichtigung etwaiger wettbewerbsbeschränkender Wirkungen zu dokumentieren. Gegebenenfalls wäre auch klarzustellen, in welchem Umfang Nachunternehmer eingesetzt werden können und für welche konkreten Projektsteuerungsleistungen (z. B. in Bezug auf Teilprojekte oder das Gesamtprojekt) es der Referenz bedarf (vgl. dazu unten [2] [ee]).

(1) Die geforderte Referenz ist zwar auftragsbezogen, da sie gerade einen Teilbereich genau der Leistungen umfasst, die ausgeschrieben sind. Zugunsten der Antragsgegnerin kann auch angenommen werden, dass sie zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit geeignet ist, obwohl dies bereits gewissen Bedenken begegnet.

Zum einen bleibt mangels konkreter Definition schon unklar, wann aus Sicht der Antragsgegnerin “eine” Ausstellung und wann daher “drei” Ausstellungen vorliegen. Vorgaben zur Größe und zu den Themen der drei Ausstellungen finden sich ebenfalls nicht. Ob die Projektsteuerung der Neugestaltung von drei kleinen Einzelausstellungen beispielsweise eines Bauernhofmuseums tatsächlich den Rückschluss auf die Eignung für die Projektsteuerung im vorliegenden Großprojekt zulässt, mag zweifelhaft erscheinen, ist aber noch vom Beurteilungsspielraum gedeckt.

Zum anderen begründet die Antragsgegnerin das Erfordernis der drei Ausstellungen damit, dass Objekte mit unterschiedlichen konservatorischen Anforderungen, Klimaempfindlichkeit oder Transportgewicht wie etwa Flugzeuge oder Eisenbahnen einerseits und optische Geräte andererseits, auch zu unterschiedlichen Prozessen im Rahmen der Ausstellungsneugestaltung führten. Diese unterschiedlichen Prozesse müssten auch dem Projektsteuerer bekannt sein. Zweifelhaft erscheint indessen, ob zum Nachweis hierfür die konkret geforderte Referenz geeignet ist. Denn diese verlangt zwar die Neugestaltung von drei Ausstellungen, lässt aber offen, ob es sich tatsächlich um Ausstellungen mit deutlich unterschiedlichen Exponaten handelt. Von der Referenzanforderung gedeckt wären auch drei Ausstellungen mit Exponaten, bei denen sich z. B. die konservatorischen Anforderungen, Klimaempfindlichkeit und Transportgewicht kaum unterscheiden. Dennoch erscheint auch dies als noch vom Beurteilungsspielraum der Auftraggeberin gedeckt, zumal bei einer größeren Zahl an Ausstellungen sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es sich um Ausstellungen mit deutlich unterschiedlichen Arten von Exponaten handelt. Ferner würden weitergehende Vorgaben zu den geforderten Ausstellungen den Wettbewerb noch weiter einschränken (dazu noch unten [2]).

(2) Indessen stellt die Mindestreferenz zum Nachweis der Leistungsfähigkeit unangemessen hohe Anforderungen, insbesondere unter Berücksichtigung der damit notwendigerweise verbundenen Wettbewerbsbeschränkung.

(a) Nachvollziehbar und im Grundsatz nicht zu beanstanden ist die Vorgabe der Antragsgegnerin, dass der Bieter Erfahrungen mit der Steuerung und Koordinierung der Neugestaltung gerade von Ausstellungen in Museen vorweisen müsse.

Insoweit hat die Antragsgegnerin darauf verwiesen, dass vorliegend die konkreten Neugestaltungen der Ausstellungen in einem Parallelprozess entwickelt würden. Dazu gehörten auch die Prozesse zur Erstellung der Begleitmedien und zur Entwicklung der didaktischen Inhaltsvermittlung. Der Auftrag umfasse daher gerade auch die Organisation und Steuerung der inhaltlichen Entwicklungsprozesse in allen fünf vom Realisierungsabschnitt 2 betroffenen Ausstellungen. Hierbei seien eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Projektbeteiligter (Kuratoren, Grafikverantwortliche, Ausstellungsarchitekten, Textplaner, Ausstellungsplaner, Medienplaner, technische Planer, museumsinterne Planungs- und Ausführungsbeteiligte) mit den von ihnen verantworteten Prozessen zielgerichtet zu organisieren und zu steuern. Zudem müsse der Umgang mit konservatorischen Vorgaben bekannt sein, um eine entsprechende Organisation aufzubauen und gegebenenfalls korrigierend eingreifen zu können. Es gehe um die Synchronisierung der gesamten inhaltlichen Entwicklungsprozesse mit den übrigen Planungsabläufen und die Integration in das Bauprojekt und Gebäude.

Diese Erwägungen sind jedenfalls nachvollziehbar. Dabei verkennt der Senat nicht, dass Auftragsgegenstand nicht die Planung, sondern die Projektsteuerung ist, und dass auch im Rahmen von reinen Bauprojekten unter Umständen umfangreiche und schwierige Prozesse etwa betreffend Innenausbau einerseits und Außenaufbau andererseits zu koordinieren sind. Auch verweist der Antragsteller zutreffend darauf, dass es hochkomplexe Bauvorhaben mit ganz speziellen, sensiblen Nutzeranforderungen gibt wie etwa den Krankenhausbau, OP- und Diagnostikraumausstattungen, Tierforschungshäuser oder Museumsbau mit besonderen gestalterischen Anforderungen, bei denen ebenfalls eine Vielzahl verschiedener Projektbeteiligter samt der maßgeblichen Prozesse zu steuern sind. Indessen unterscheiden sich derartige Projekte von dem vorliegenden insoweit, als die vom Antragsteller angeführten, zu beachtenden (Nutzer-) Vorgaben wie Hygiene- oder Tierschutzvorschriften, raumklimatische, Beleuchtungs- und Akkustikanforderungen regelmäßig bereits bei Beginn des Projekts weitgehend absehbar sind oder sogar feststehen. Dagegen sind im hiesigen Projekt die Nutzervorgaben aufgrund der gleichzeitig mit der Gebäudesanierung laufenden Neugestaltung von Ausstellungen vorab nicht bekannt, sondern werden in Parallelprozessen erst entwickelt. Dadurch ist mit einer Vielzahl höchst unterschiedlicher Beteiligter und parallel ablaufenden, komplexen Prozessen zu rechnen. Dass sich daraus weitergehende Anforderungen auch an die Projektsteuerung, die Koordinierung der Prozesse und Termine, die Einhaltung von Qualitätsvorgaben und Kostenrahmen ergeben, erscheint jedenfalls nachvollziehbar.

Ferner handelt es sich um ein äußerst umfangreiches Projekt mit der gleichzeitigen Neugestaltung nicht einer, sondern von fünf Ausstellungen. Es ist aus Sicht des Senats daher per se nicht zu beanstanden, wenn als Mindestanforderung eine Referenz mit Erfahrung in der Projektsteuerung der Neugestaltung von Ausstellungen gefordert wird.

(b) Allerdings sind in der Gesamtschau die von der Antragsgegnerin geforderten Mindeststandards unverhältnismäßig hoch und geeignet, den Wettbewerb in einer Weise zu beschränken, die sich auch mit der ganz erheblichen Bedeutung des Projekts nicht mehr rechtfertigen lässt.

(aa) Die Zahl möglicher als Referenz in Betracht kommender Projekte wird bereits dadurch deutlich eingeschränkt, dass es sich um die Neugestaltung von Dauerausstellungen handeln muss. Die Projektsteuerung in Bezug auf die Neugestaltung von temporären oder Wanderausstellungen genügt hingegen nicht. Weshalb die Neugestaltung einer Dauerausstellung erforderlich sein soll, erschließt sich nicht. Die Antragsgegnerin trägt dazu vor, es gebe einen grundlegenden Unterschied zwischen temporären und Dauerausstellungen in Bezug auf die Programmatik, die Dauerhaftigkeit und Qualität, die Komplexität der technischen Anlagen, die Planungen für spätere Aktualisierungsmöglichkeiten und die konservatorischen Anforderungen. Auch würden nur bei Dauerausstellungen sogenannte “Mock-Ups” (insbesondere zum Test der Haltbarkeit) erstellt. Zwar erscheinen die angeführten Unterschiede nachvollziehbar. Jedoch vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die dargestellten Differenzen nicht nur die Planung und Gestaltung der Ausstellung, sondern auch die Projektsteuerung signifikant beeinflussen. Dass sich auf der Ebene der Projektsteuerung spürbare Unterschiede zwischen der Neugestaltung von temporären und von Dauerstellungen ergeben, hat die Antragsgegnerin auch unter Berücksichtigung ihrer ergänzenden Erläuterung in der mündlichen Verhandlung (insbesondere zu den Mock-Ups) nicht hinreichend darzustellen vermocht.

(bb) Eine weitere erhebliche Einschränkung in Bezug auf mögliche Referenzen folgt daraus, dass diese sich auf die Neugestaltung von drei Dauerausstellungen beziehen müssen. Insoweit hat die Antragsgegnerin insbesondere darauf verwiesen, dass unterschiedliche Ausstellungsgegenstände wie etwa große Maschinen oder Fahrzeuge einerseits oder klimasensible Exponate wie optische Geräte andererseits auch verschiedene Schwerpunkte in den jeweils zu koordinierenden Prozessen bedingten. Aufgabe des Projektsteuerer sei es, ganz unterschiedliche Prozesse zu verschiedenen Zeiten anzustoßen. In der mündlichen Verhandlung hat die Antragsgegnerin hierzu ergänzt, bei der Forderung nach einer Referenz mit drei Dauerausstellungen sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich um Exponate mit unterschiedlichen Anforderungen gehandelt habe. Man habe aber auch keine zu spezifischen Anforderungen an den Ausstellungsinhalt festlegen wollen. Auch wenn es daher keine Vorgaben bezüglich des Inhalts der drei Dauerausstellungen (und auch nicht bezüglich der Größe und Themen) gibt, handelt es sich um hohe Anforderungen, wie die Antragsgegnerin selbst eingeräumt hat. Die Vorgabe der drei Dauerstellungen ist jedenfalls geeignet, den möglichen Bewerberkreis erheblich einzuschränken. Es mag, wie die Antragsgegnerin ausgeführt hat, eine Vielzahl an Museen geben, die innerhalb der letzten zehn Jahre Umbauten und eine Neugestaltung ihrer Ausstellungen vorgenommen und dabei Projektsteuerer beschäftigt haben. Die Eignung als Referenz erfordert aber, dass es sich um Museen handelte, die über mindestens drei Dauerausstellungen verfügten und diese gleichzeitig mit Neubau-, Umbau- oder Sanierungsmaßnahmen neu gestalteten. Erschwerend kommt hinzu, dass es auch nach dem Vortrag der Antragsgegnerin keine einheitliche Definition gibt, was überhaupt unter “einer” Ausstellung zu verstehen ist. Sofern daher ein Museum seine gesamten Exponate als eine einheitliche Sammlung und Dauerausstellung versteht, könnte ein mit der Neugestaltung beauftragter Projektsteuerer dies dennoch nicht als taugliche Referenz für die hiesige Ausschreibung angeben, selbst wenn es sich um ein großes Museum mit einer Vielzahl unterschiedlichster Arten von Exponaten handelte. Unter diesem Aspekt erscheint ferner fraglich, ob zum Nachweis der Erfahrung im Umgang mit unterschiedlichsten Exponaten es tatsächlich erforderlich ist, dass eine Referenz bezogen auf drei Dauerausstellungen nachgewiesen wird.

(cc) Die dargestellten hohen Referenzanforderungen sind schon an sich geeignet, den Wettbewerb erheblich einzuschränken. Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin als weitere Mindestanforderung zwei Referenzen über eine Projektsteuerung bei Bauvorhaben mit Baukosten über mindestens 100 Millionen Euro brutto und einer Mindestlaufzeit von fünf Jahren fordert. Weitere Mindestvoraussetzung ist eine Beschäftigung von mindestens 80 Mitarbeitern, davon mindestens 50 Architekten und Bauingenieure. Der Senat verkennt nicht, dass diese Mindestanforderungen vom Antragsteller nicht gerügt wurden. Indessen können bei der Prüfung, in welchem Umfang die (gerügte) Mindestanforderung einer Ausstellungsreferenz wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfaltet, die weiteren Mindestanforderungen nicht gänzlich außer Betracht bleiben. Dass es überhaupt eine nennenswerte Anzahl von Projektsteuerungsbüros dieser Größe gibt, die zudem über die geforderten Referenzen in Bezug auf die Neugestaltung dreier Dauerausstellungen verfügen, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt. Die Behauptung, bei Internetrecherchen fänden sich allein in Berlin mindestens fünf große Museumsprojekte aus den Jahren 2010 bis 2020, die von unterschiedlichen Projektsteuerungsbüros als Referenzen angeführt würden, genügt nicht. Die Antragsgegnerin hat schon nicht dargetan, dass die Projekte in Berlin jeweils die Neugestaltung von mindestens drei Dauerausstellungen umfasst hätten. Auch ist von ihr weder ausgeführt noch sonst ersichtlich, dass die recherchierten Projektsteuerungsbüros die geforderte Zahl an Mitarbeitern, Architekten und Bauingenieuren hätten.

(dd) Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem tatsächlichen Verlauf des Vergabeverfahrens ableiten. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin ist nur ein Angebot (des P.) eingegangen. Dies stellt allenfalls ein Indiz für, aber nicht gegen eine erhebliche wettbewerbsbeschränkende Wirkung der Referenzanforderungen dar. Dass sich fünf bis sechs Unternehmen für die Ausschreibung interessiert hätten, wie die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung weiter ausgeführt hat, ändert hieran nichts. Wenn ein Interessent nach Einblick in die Auftragsbekanntmachung von der Abgabe eines Angebots absieht, spricht dies eher dafür, dass die gestellten Anforderungen (zu) hoch waren. Jedenfalls lässt sich aus dem bloßen Interesse der Unternehmen nicht folgern, der Wettbewerb sei durch die Referenzanforderungen nicht übermäßig beschränkt worden.

(ee) Zu keinem anderen Ergebnis führt es, dass den Bietern der Einsatz von Nachunternehmern oder die Bildung von Bietergemeinschaften offen gestanden hätte. Zwar ergibt sich aus dem “Formblatt Referenzen”, dass die Referenzangaben sich auch auf das jeweilige Mitglied der Bietergemeinschaft oder den Nachunternehmer beziehen können. Auch ist in der Auftragsbekanntmachung unter III. 1.3) zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit vorgesehen, dass die Anteile des Auftrags, die an Unterauftragnehmer vergeben werden sollen und der Name des jeweiligen Unterauftragnehmers samt gesonderter Eigenerklärung anzugeben sei. Ob es sich aus den Unterlagen hinreichend klar ergibt, dass – wie von der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung dargestellt – nur der Teilprojektleiter Ausstellungen, nicht aber der Gesamtprojektleiter von dem Büro gestellt werden muss, das über die Ausstellungsreferenz verfügt, mag fraglich erscheinen, kann aber vorliegend zugunsten der Antragsgegnerin unterstellt werden. Denn auch dies ändert nichts daran, dass selbst bei Einsatz eines Nachunternehmers für die Steuerung des Teilprojekts Ausstellungen jedenfalls dieser die dargestellten hohen Referenzanforderungen (Projektsteuerung der Neugestaltung von drei Dauerausstellungen im Rahmen des Neubaus, des Umbaus oder der Sanierung eines Museums samt Betreuung der Schnittstellen zum Bauprojekt) zu erfüllen hätte. Im Übrigen wurde, wie ausgeführt, tatsächlich nur ein Angebot abgegeben. Dass die Möglichkeit, Nachunternehmer einzusetzen, die wettbewerbsbeschränkende Wirkung der hohen Referenzanforderungen signifikant abgemildert hätte, erschließt sich daher nicht.

(ff) Der Senat verkennt nicht, dass es sich vorliegend um ein äußerst umfangreiches und komplexes Projekt handelt, das erhebliche Herausforderungen auch für die Projektsteuerung mit sich bringt und von großer Bedeutung für die Antragsgegnerin ist. Auch dies vermag jedoch die streitgegenständliche Mindestanforderung nicht mehr zu rechtfertigen.

c) Ob die Vergabedokumentation den Vorgaben des § 8 VgV genügte und in welchem Umfang etwaige Defizite durch die Erläuterungen in den Schriftsätzen und in den mündlichen Verhandlungen geheilt wurden, bedarf keiner Entscheidung.

d) Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist der Nachprüfungsantrag nicht deshalb unbegründet, weil es an einer (zumindest nicht ausschließbaren) Beeinträchtigung der Chance des Antragstellers auf den Zuschlag fehlte.

Wurde ein Bieter in seinem Recht auf Einhaltung der Vergabevorschriften verletzt, bleibt sein Nachprüfungsantrag dennoch ohne Erfolg, wenn ihm tatsächlich weder ein Schaden entstanden noch ein solcher wahrscheinlich ist. Die Vergabekammer und der Vergabesenat sind keine allgemeinen Kontrollinstanzen, die abstrakt für die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der objektiven Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens sorgen (BayObLG, Beschl. v. 11. Januar 2023, Verg 2/21; Beschl. v. 29. Juli 2022, Verg 13/21; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. Dezember 2019, Verg 18/19).

Vorliegend hat der Antragsteller zwar unstreitig keine eigene Referenz für die Projektsteuerung Ausstellungen vorzuweisen, auch nicht bezogen auf nur eine temporäre oder eine Dauerausstellung. Indessen bedeutet dies nicht, dass im Fall einer Rückversetzung und Neugestaltung der Auftragsbekanntmachung in Bezug auf die Mindestanforderungen der Antragsteller keinerlei Aussichten auf den Zuschlag hätte. Dem Antragsteller stünde gegebenenfalls die Möglichkeit offen, sich eines Nachunternehmers zu bedienen oder eine Bietergemeinschaft zu bilden. Zudem kommt der Antragsgegnerin ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu, wie sie die Mindestanforderung neu fassen möchte. Zwar hat sie die Rechtsauffassung des Senats zu beachten; dies schließt aber eine deutlich umfassendere Neugestaltung nicht aus. Insbesondere ist die vorliegende Situation gerade nicht mit der Fallkonstellation vergleichbar, in der zwar eine Rechtsverletzung festzustellen ist, das Angebot des Antragstellers aber aus anderen Gründen ohnehin vom Vergabeverfahren auszuschließen wäre und somit keinerlei Chancen auf den Zuschlag hätte.

EuGH: Nachweis der Leistungsfähigkeit bei Eignungsleihe nicht erst nach Auftragsvergabe

EuGH: Nachweis der Leistungsfähigkeit bei Eignungsleihe nicht erst nach Auftragsvergabe

Art. 63 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit Art. 59 und dem 84. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24/EU ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nehmen möchte, die Unterlagen über die Befähigung dieses Unternehmens und dessen verpflichtende Zusage erst nach der Auftragsvergabe einreichen muss

EuGH, Beschluss vom 10.01.2023 – Rs. C-469/22

Beschluss

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65).

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA (im Folgenden: Ambisig) und der Fundação do Desporto wegen deren Entscheidung, Ambisig von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auszuschließen und den betreffenden Auftrag an die Link Consulting – Tecnologias de Informação SA (im Folgenden: Link) zu vergeben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Im 84. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 heißt es:

“Nach Auffassung vieler Wirtschaftsteilnehmer – und nicht zuletzt der [kleinen und mittleren Unternehmen] – ist eines der Haupthindernisse für ihre Beteiligung an öffentlichen Vergabeverfahren der Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit der Beibringung einer Vielzahl von Bescheinigungen oder anderen Dokumenten, die die Ausschluss- und Eignungskriterien betreffen. Eine Beschränkung der entsprechenden Anforderungen, beispielsweise durch die Verwendung einer Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung, die aus einer aktualisierten Eigenerklärung besteht, könnte eine erhebliche Vereinfachung zum Nutzen sowohl der öffentlichen Auftraggeber als auch der Wirtschaftsteilnehmer bedeuten.

Der Bieter, dem der Zuschlag erteilt werden soll, sollte jedoch die relevanten Nachweise vorlegen müssen; öffentliche Auftraggeber sollten keine Verträge mit Bietern schließen, die dazu nicht in der Lage sind. Öffentliche Auftraggeber sollten auch berechtigt sein, jederzeit sämtliche oder einen Teil der unterstützenden Unterlagen zu verlangen, wenn dies ihrer Ansicht nach zur angemessenen Durchführung des Verfahrens erforderlich ist. Insbesondere könnte dies der Fall sein bei zweistufigen Verfahren – nichtoffenen Verfahren, Verhandlungsverfahren, wettbewerblichen Dialogen und Innovationspartnerschaften -, bei denen die öffentlichen Auftraggeber von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Anzahl der zur Einreichung eines Angebots aufgeforderten Bewerber zu begrenzen. Zu verlangen, dass unterstützende Unterlagen zum Zeitpunkt der Auswahl der einzuladenden Bewerber vorgelegt werden, ließe sich damit begründen, zu vermeiden, dass öffentliche Auftraggeber Bewerber einladen, die sich später in der Vergabestufe als unfähig erweisen, die zusätzlichen Unterlagen einzureichen, und damit geeigneten Bewerbern die Möglichkeit der Teilnahme nehmen.

Es sollte ausdrücklich angegeben werden, dass die Einheitliche Europäische Eigenerklärung auch die relevanten Informationen hinsichtlich der Unternehmen, deren Kapazitäten ein Wirtschaftsteilnehmer in Anspruch nimmt, enthalten sollte, so dass die Überprüfung der Informationen über diese Unternehmen zusammen mit der Überprüfung bezüglich des Hauptwirtschaftsteilnehmers und unter den gleichen Voraussetzungen durchgeführt werden kann.”

Art. 57 dieser Richtlinie zählt die verschiedenen Gründe für den Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auf.

In Art. 59 (“Einheitliche Europäische Eigenerklärung”) der Richtlinie 2014/24 heißt es:

“(1) Zum Zeitpunkt der Übermittlung von Teilnahmeanträgen und Angeboten akzeptieren die öffentlichen Auftraggeber die Einheitliche Europäische Eigenerklärung in Form einer aktualisierten Eigenerklärung anstelle von Bescheinigungen von Behörden oder Dritten als vorläufigen Nachweis dafür, dass der jeweilige Wirtschaftsteilnehmer alle nachfolgend genannten Bedingungen erfüllt:

a) Er befindet sich in keiner der in Artikel 57 genannten Situationen, in der Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden oder ausgeschlossen werden können;

b) er erfüllt die einschlägigen Eignungskriterien nach Artikel 58;

c) er erfüllt gegebenenfalls die objektiven Regeln und Kriterien nach Artikel 65.

Nimmt der Wirtschaftsteilnehmer die Kapazitäten anderer Unternehmen gemäß Artikel 63 in Anspruch, so muss die Einheitliche Europäische Eigenerklärung auch die [im ersten Unterabsatz] des vorliegenden Absatzes genannten Informationen in Bezug auf diese Unternehmen enthalten.

Die Einheitliche Europäische Eigenerklärung besteht aus einer förmlichen Erklärung des Wirtschaftsteilnehmers, dass der jeweilige Ausschlussgrund nicht vorliegt und/oder dass das jeweilige Auswahlkriterium erfüllt ist, und enthält die einschlägigen vom öffentlichen Auftraggeber verlangten Informationen. Ferner sind darin der öffentliche Auftraggeber oder der für die Ausstellung der zusätzlichen Unterlagen zuständige Dritte genannt und es ist darin eine förmliche Erklärung enthalten, dass der Wirtschaftsteilnehmer in der Lage sein wird, auf Anfrage und unverzüglich diese zusätzlichen Unterlagen beizubringen.

(4) Ein öffentlicher Auftraggeber kann Bieter und Bewerber jederzeit während des Verfahrens auffordern, sämtliche oder einen Teil der zusätzlichen Unterlagen beizubringen, wenn dies zur angemessenen Durchführung des Verfahrens erforderlich ist.

Vor der Auftragsvergabe fordert der öffentliche Auftraggeber – außer in Bezug auf Aufträge, die auf Rahmenvereinbarungen beruhen, sofern diese Aufträge gemäß Artikel 33 Absatz 3 oder Artikel 33 Absatz 4 Buchstabe a geschlossen werden – den Bieter, an den er den Auftrag vergeben will, auf, aktualisierte zusätzliche Unterlagen gemäß Artikel 60 sowie erforderlichenfalls gemäß Artikel 62 beizubringen. Der öffentliche Auftraggeber kann Wirtschaftsteilnehmer auffordern, die gemäß den Artikeln 60 und 62 erhaltenen Bescheinigungen zu vervollständigen oder zu erläutern.

(5) Ungeachtet des Absatzes 4 müssen Wirtschaftsteilnehmer keine zusätzlichen Unterlagen oder sonstigen dokumentarischen Nachweise vorlegen, sofern und soweit der öffentliche Auftraggeber die Bescheinigungen oder die einschlägigen Informationen direkt über eine gebührenfreie nationale Datenbank in einem Mitgliedstaat, z. B. ein nationales Vergaberegister, eine virtuelle Unternehmensakte (Virtual Company Dossier), ein elektronisches Dokumentenablagesystem oder ein Präqualifikationssystem, erhalten kann. …”

Art. 60 (“Nachweise”) Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

 “Die öffentlichen Auftraggeber können die in den Absätzen 2, 3 und 4 und in Anhang XII genannten Bescheinigungen, Erklärungen und anderen Nachweise als Beleg für das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen gemäß Artikel 57 und für die Erfüllung der Eignungskriterien gemäß Artikel 58 anfordern.

Die öffentlichen Auftraggeber verlangen keine weiteren Nachweise als die in diesem Artikel und in Artikel 62 genannten. Die Wirtschaftsteilnehmer können sich in Bezug auf Artikel 63 auf alle geeigneten Mittel stützen, um dem öffentlichen Auftraggeber nachzuweisen, dass sie über die erforderlichen Ressourcen verfügen werden.”

Art. 63 (“Inanspruchnahme der Kapazitäten anderer Unternehmen”) der Richtlinie 2014/24 lautet:

“(1) In Bezug auf die Kriterien für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit gemäß Artikel 58 Absatz 3 und die Kriterien für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit gemäß Artikel 58 Absatz 4 kann ein Wirtschaftsteilnehmer gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag die Kapazitäten anderer Unternehmen – ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen – in Anspruch nehmen. In Bezug auf die Kriterien für Ausbildungsnachweise und Bescheinigungen über die berufliche Befähigung gemäß Anhang XII Teil II Buchstabe f oder für die einschlägige berufliche Erfahrung können die Wirtschaftsteilnehmer jedoch nur die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch nehmen, wenn diese die Arbeiten ausführen beziehungsweise die Dienstleistungen erbringen, für die diese Kapazitäten benötigt werden. Beabsichtigt ein Wirtschaftsteilnehmer, die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch zu nehmen, so weist er dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nach, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen werden, indem er beispielsweise die diesbezüglichen verpflichtenden Zusagen dieser Unternehmen vorlegt.

Der öffentliche Auftraggeber überprüft gemäß den Artikeln 59, 60 und 61, ob die Unternehmen, deren Kapazitäten der Wirtschaftsteilnehmer in Anspruch nehmen möchte, die entsprechenden Eignungskriterien erfüllen und ob Ausschlussgründe gemäß Artikel 57 vorliegen. Der öffentliche Auftraggeber schreibt vor, dass der Wirtschaftsteilnehmer ein Unternehmen, das ein einschlägiges Eignungskriterium nicht erfüllt oder bei dem zwingende Ausschlussgründe vorliegen, ersetzt. Der öffentliche Auftraggeber kann vorschreiben, oder ihm kann durch den Mitgliedstaat vorgeschrieben werden, vorzuschreiben, dass der Wirtschaftsteilnehmer ein Unternehmen, bei dem nicht-zwingende Ausschlussgründe vorliegen, ersetzt.

Nimmt ein Wirtschaftsteilnehmer im Hinblick auf Kriterien für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch, so kann der öffentliche Auftraggeber vorschreiben, dass der Wirtschaftsteilnehmer und diese Unternehmen gemeinsam für die Auftragsausführung haften.

Unter denselben Voraussetzungen können Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern nach Artikel 19 Absatz 2 die Kapazitäten von Mitgliedern der Gruppe oder von anderen Unternehmen in Anspruch nehmen.

(2) Die öffentlichen Auftraggeber können im Falle von Bauaufträgen, Dienstleistungsaufträgen sowie Verlege- oder Installationsarbeiten im Zusammenhang mit einem Lieferauftrag vorschreiben, dass bestimmte kritische Aufgaben direkt vom Bieter selbst oder – wenn der Bieter einer Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern gemäß Artikel 19 Absatz 2 angehört – von einem Gruppenteilnehmer ausgeführt werden.”

Portugiesisches Recht

Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, müssen nach Art. 77 Abs. 2 Buchst. a und c in Verbindung mit den Art. 81, 92 und 93 des Código dos Contratos Públicos (Gesetzbuch über öffentliche Aufträge, im Folgenden: CCP) dann, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer für die Ausführung der ausgeschriebenen Dienstleistung die Kapazitäten eines Dritten in Anspruch nimmt, sowohl die Unterlagen über die Befähigung dieses Dritten als auch die Vorlage seiner verpflichtenden Zusage erst nach der Auftragsvergabe verlangt werden, sofern die Auftragsbekanntmachung nichts Gegenteiliges bestimmt. Folglich besteht die Verpflichtung, diese vorzulegen, nur im Rahmen nichtoffener Verfahren mit Vorauswahl nach Art. 168 Abs. 4 CCP bereits bei Angebotsabgabe.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

Aus dem Rechtsmittelvorbringen von Ambisig, wie es im Vorabentscheidungsersuchen wiedergegeben ist, ergibt sich, dass die Fundação do Desporto ein Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge organisiert hatte. Der betreffende Auftrag wurde an Link vergeben.

Ambisig erhob beim Tribunal Administrativo e Fiscal de Leiria (Verwaltungs- und Finanzgericht Leiria, Portugal) eine verwaltungsgerichtliche Klage im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe, mit der sie sowohl ihren Ausschluss von dem Vergabeverfahren als auch die Auftragsvergabe an Link anfocht.

Ambisig warf der Fundação do Desporto im Wesentlichen vor, diese habe ihr Angebot als Gruppenangebot betrachtet, obwohl Ambisig vielmehr beabsichtigt habe, einen Unterauftragnehmer einzusetzen, und deshalb nicht gehalten gewesen sei, ihrem Angebot eine verpflichtende Zusage dieses Unterauftragnehmers beizufügen. Ambisig vertritt in dieser Hinsicht die Auffassung, die entsprechende Anwendung von Art. 168 Abs. 4 CCP, der Art. 63 der Richtlinie 2014/24 in portugiesisches Recht umsetze, auf das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vergabeverfahren sei rechtswidrig, ihr Ausschluss von der Teilnahme an diesem Verfahren auf der Grundlage von Art. 70 Abs. 2 Buchst. a und b CCP sei rechtsfehlerhaft.

Mit Urteil vom 28. September 2021 wies das Tribunal Administrativo e Fiscal de Leiria (Verwaltungs- und Finanzgericht Leiria) die Klage von Ambisig ab. Nach seiner Auffassung war zwar das Erfordernis einer verpflichtenden Zusage Dritter nicht ausdrücklich in der Auftragsbekanntmachung vorgesehen und es handelte sich um eine Bedingung der Auftragsausführung, die folglich nach der Auftragsvergabe erfüllt werden konnte. Die Vergabe eines Unterauftrags falle jedoch in den Anwendungsbereich von Ziff. 12 der Vergabebedingungen, wonach die Vergabe von Unteraufträgen der vorherigen Genehmigung des öffentlichen Auftraggebers bedarf. Die unterbliebene Vorlage dieser Vorabgenehmigung habe daher einen Grund für den Ausschluss der betroffenen Wirtschaftsteilnehmerin von dem Vergabeverfahren dargestellt. Der Ausschluss folge ferner auch aus der entsprechenden Anwendung von Art. 168 Abs. 4 CCP.

Dieses Urteil wurde in zweiter Instanz mit Urteil des Tribunal Central Administrativo Sul (Zentrales Verwaltungsgericht Süd, Portugal) vom 3. Februar 2022 bestätigt. Dieses Gericht wies darauf hin, dass die Vergabe von Unteraufträgen gemäß Ziff. 12 der Vergabebedingungen der vorherigen Genehmigung des öffentlichen Auftraggebers bedürfe und die Vorlage der Unterlagen über die Befähigung des potenziellen Unterauftragnehmers eine unerlässliche Voraussetzung dafür darstelle, dem Wirtschaftsteilnehmer diese Genehmigung zu erteilen.

Ambisig, die dieses Urteil in dreierlei Hinsicht für fehlerhaft hält, legte hiergegen ein Rechtsmittel beim Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal) ein. Erstens dürfe die Vorlage von Unterlagen über die Befähigung des Dritten nicht verlangt werden, weil sie sich weder aus der Auftragsbekanntmachung noch aus dem CCP ergebe, denn Art. 168 Abs. 4 CCP sei im Ausgangsverfahren nicht anwendbar. Zweitens sei Ziff. 12 der Vergabebedingungen im Rahmen der vorvertraglichen Phase des im Streit stehenden Vergabeverfahrens nicht anwendbar. Drittens verpflichte Art. 63 der Richtlinie 2014/24 den Bieter nicht, bereits bei Angebotsabgabe eine verpflichtende Zusage des Unterauftragnehmers beizufügen.

Das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) verweist auf den Sachverhalt, wie er im Urteil vom 3. Februar 2022 festgestellt wurde, wobei die Sachverhaltsdarstellung gemäß Art. 663 Abs. 6 des Código de Processo Civil (Zivilprozessordnung) als vollständig wiedergegeben gilt, und hält auf dieser Grundlage die ersten beiden in der vorstehenden Randnummer genannten Rügen von Ambisig für begründet.

Zu entscheiden bleibe mithin noch, ob dann, wenn ein Bieter im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge einen Dritten präsentiert, dessen technische Leistungsfähigkeit er für die Ausführung eines Teils des öffentlichen Auftrags in Anspruch nehmen möchte, aus Art. 63 der Richtlinie 2014/24 die Verpflichtung des Bieters folgt, zusammen mit seinem Angebot die Unterlagen über die Befähigung dieses Dritten und dessen bindende Erklärung, sich zur Ausführung des von ihm zu übernehmenden Auftragsteils zu verpflichten, vorzulegen.

Das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) hat das Verfahren daher ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Steht die Lösung des nationalen Rechts, wonach in Vergabeverfahren, bei denen für die Ausführung der Leistung die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch genommen werden, sowohl die Unterlagen über die Befähigung des Unterauftragnehmers als auch die Vorlage einer verpflichtenden Zusage des Unterauftragnehmers erst nach der Auftragsvergabe verlangt werden müssen, mit dem Unionsrecht, insbesondere mit Art. 63 der Richtlinie 2014/24, im Einklang?

Zum Antrag auf Durchführung eines beschleunigten Verfahrens

Das vorlegende Gericht hat beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.

Angesichts der Entscheidung des Gerichtshofs, nach Art. 99 der Verfahrensordnung durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, erübrigt sich jedoch eine Entscheidung über diesen Antrag (Beschluss vom 17. Mai 2022, Estaleiros Navais de Peniche, C-787/21, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:414, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zur Vorlagefrage

Nach Art. 99 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung dieser Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.

Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 63 der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit dem 84. Erwägungsgrund dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nehmen möchte, die Unterlagen über die Befähigung dieses Unternehmens und dessen verpflichtende Zusage erst nach der Auftragsvergabe einreichen muss.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 das Recht eines Wirtschaftsteilnehmers vorsieht, für einen bestimmten Auftrag die Kapazitäten anderer Unternehmen – ungeachtet des Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden rechtlichen Beziehungen – in Anspruch zu nehmen, um sowohl die in Art. 58 Abs. 3 der Richtlinie genannten Kriterien zur wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit als auch die in Art. 58 Abs. 4 der Richtlinie genannten Kriterien zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit zu erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Oktober 2013, Swm Costruzioni 2 und Mannocchi Luigino, C-94/12, EU:C:2013:646, Rn. 29 und 33, sowie vom 7. September 2021, Klaip?dos regiono atliek? tvarkymo centras, C-927/19, EU:C:2021:700, Rn. 150).

Ein Wirtschaftsteilnehmer, der von diesem Recht Gebrauch machen möchte, kann sich nach Art. 60 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 auf alle geeigneten Mittel stützen, um dem öffentlichen Auftraggeber nachzuweisen, dass er über die erforderlichen Ressourcen verfügen wird. In dieser Hinsicht nennt Art. 63 Abs. 1 Satz 3 der Richtlinie beispielhaft die Möglichkeit, zu diesem Zweck verpflichtende Zusagen dieser Unternehmen vorzulegen. Der Wirtschaftsteilnehmer kann nach Art. 59 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 der Richtlinie unter Beachtung des dritten Absatzes ihres 84. Erwägungsgrundes bei Einreichung seines Teilnahmeantrags oder seines Angebots auch eine Einheitliche Europäische Eigenerklärung übermitteln, mit der er insbesondere bestätigt, dass sich weder er selbst noch eines der Unternehmen, deren Kapazitäten er in Anspruch nehmen möchte, in einer der in Art. 57 der Richtlinie genannten Situationen befindet, in der Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden oder ausgeschlossen werden können, und dass die jeweiligen Eignungskriterien erfüllt sind. In jedem Fall muss ein Wirtschaftsteilnehmer, der die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch nehmen möchte, dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen werden, um die in Art. 58 der Richtlinie 2014/24 genannten Eignungskriterien zu erfüllen.

Daher obliegt dem öffentlichen Auftraggeber nach Art. 63 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 erstens die Prüfung, ob die Unternehmen, deren Kapazitäten der Wirtschaftsteilnehmer in Anspruch nehmen möchte, die einschlägigen Eignungskriterien gemäß den Art. 59 bis 61 der Richtlinie erfüllen, und zweitens, ob hinsichtlich dieser Unternehmen in Art. 57 der Richtlinie genannte Ausschlussgründe vorliegen.

Diese Prüfung muss der öffentliche Auftraggeber vor der Auftragsvergabe vornehmen können. Hierzu heißt es im zweiten und dritten Absatz des 84. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2014/24, der insoweit Aufschluss über die Reichweite von Art. 63 der Richtlinie gibt, ausdrücklich, zu verlangen, dass unterstützende Unterlagen zum Zeitpunkt der Auswahl der einzuladenden Bewerber vorgelegt werden, ließe sich damit begründen, zu vermeiden, dass öffentliche Auftraggeber Bewerber einladen, die sich später in der Vergabestufe als unfähig erweisen, die zusätzlichen Unterlagen einzureichen, und damit geeigneten Bewerbern die Möglichkeit der Teilnahme nehmen.

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass Art. 63 der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit Art. 59 und dem 84. Erwägungsgrund der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nehmen möchte, die Unterlagen über die Befähigung dieses Unternehmens und dessen verpflichtende Zusage erst nach der Auftragsvergabe einreichen muss.

Kosten

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer)

für Recht erkannt:

Art. 63 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit Art. 59 und dem 84. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24/EU ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nehmen möchte, die Unterlagen über die Befähigung dieses Unternehmens und dessen verpflichtende Zusage erst nach der Auftragsvergabe einreichen muss.

VK Bund: Verzug und/oder Mängel bei früherem Auftrag sind ein Ausschlussgrund

VK Bund: Verzug und/ oder Mängel bei früherem Auftrag sind ein Ausschlussgrund

vorgestellt von Thomas Ax

1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Bieterunternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen kann, wenn es eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt und dies u. a. zu einer vorzeitigen Beendigung geführt hat.
2. Eine wesentliche Anforderung wird u. a. bei Nichtleistung sowie bei erheblichen Mängeln der ausgeführten Bauleistung, die sie für den beabsichtigten Zweck unbrauchbar machen, nicht erfüllt.
VK Bund, Beschluss vom 17.08.2023 – VK 2-56/23

Gründe:

I.

1. Die Antragsgegnerin (Ag) veröffentlichte am […] eine unionsweite Auftragsbekanntmachung für ein offenes Verfahren zur Beschaffung von Wärmedämmarbeiten an mehreren Wohngebäuden. […].

Einziges Zuschlagskriterium ist […] der Preis.

Der hiesigen Ausschreibung vorausgegangen waren zwei in separaten Vergabeverfahren an die Antragstellerin (ASt) vergebene Aufträge. Die mit der ASt geschlossenen Verträge wurden von der Ag allerdings wie folgt außerordentlich gekündigt:

– Vertrag betr. […] Wärmedämmverbundsystem, gekündigt durch die Ag am 31. März 2023 unter Berufung auf Leistungsverzug der ASt nach § 5 Abs. 4 VOB/B;

– Vertrag betr. […] Innenputzarbeiten, gekündigt durch die Ag am 9.  Mai 2023 unter Berufung auf mangelhafte/vertragswidrige Leistung nach § 4 Abs. 7 oder 8 VOB/B.

Die ASt widersprach diesen Kündigungen jeweils.

Die besonderen Vertragsbedingungen, die den Vergabeunterlagen der vorangegangenen Aufträge zugrunde lagen, enthielten u.a. folgende Regelung:

“Der Auftragnehmer hat zu den Baustellenbesprechungen, die der Auftraggeber regelmäßig durchführt, einen geeigneten Vertreter zu entsenden. Die Besprechungen finden jeweils wöchentlich und nach Bedarf statt.”

Der Kündigung des Vertrages betreffend die Wärmedämmverbundarbeiten ging der folgende Sachverhalt voraus, wobei hier insbesondere nicht sämtliche zwischen den Beteiligten gewechselten Schreiben aufgeführt sind: 

Die Ausführungsfristen für die ersten Häuser begannen am 11. Oktober 2022. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2022 gab die ASt eine Bedenkenanmeldung wegen der Schlagregendichtigkeit der Fensterbänke ab, mit weiterem Schreiben vom selben Tag dann eine Behinderungsanzeige. Am 14. Oktober 2022 wies die Ag Behinderungsanzeige und Bedenkenanmeldung zurück und mahnte den Beginn der Dämmarbeiten an den beiden ersten Häusern an. Diese wurden daraufhin begonnen, jedoch nicht zu Ende geführt. An zwei weiteren Häusern wurde mit der Fassade nicht begonnen, jedoch die […] zu 95% fertiggestellt. An weiteren zwei Häusern wurde weder an der Fassade noch in der […] mit der Arbeit begonnen. 

Die ASt bemängelte insbesondere, dass an den zu dämmenden Gebäuden, ihrer Auffassung nach abweichend von der ursprünglichen Planung, bereits Fensterbänke angebracht seien und ein entsprechender Anschluss des von ihr zu errichtenden Wärmedämmverbundsystems in diesem Bereich geboten sei. Dies erfordere deutlichen Zusatzaufwand. Über die korrekte Ausführung der Dämmarbeiten stritten ASt und Ag auch unter Hinzuziehung von Gutachtern. 

Am 9. März 2023 übersandte die Ag der ASt eine Abhilfeaufforderung wegen unzureichender Förderung der Baumaßnahme. Die Arbeiten an den Häusern seien teils nicht fortgeführt, teils auch gar nicht begonnen worden, obwohl die Außentemperaturen dies zugelassen hätten. Abhilfe werde bis spätestens zum 13. März 2023 erwartet. 

Die ASt forderte daraufhin eine geänderte Ausführungsplanung hinsichtlich der ausgeführten Probeflächen, damit sie in der Lage sei, ein entsprechendes Nachtragsangebot auszuarbeiten. 

Mit Schreiben vom 14. März 2023 mahnte die Ag die ASt. Die Baustelle sei nicht besetzt, die Ausführung der Leistung werde nicht fortgesetzt bzw. begonnen. Unter Androhung der Vertragskündigung wurde eine Nachfrist bis spätestens zum 20. März 2023 gesetzt, um der Abhilfeaufforderung nachzukommen.

Die Ag übersandte der ASt am 20. März 2023 ein Nachtrags-Leistungsverzeichnis, welches Modifikationen im Bereich der Dämmarbeiten an Fensterbänken bzw. Gesimsblechen enthielt. Die ASt sollte zu diesem bis zum 27. März 2023 ein Angebot abgeben, was sie im weiteren Verlauf auch tat. In einem Schreiben der Ag an die Verfahrensbevollmächtigten der ASt ebenfalls vom 20. März 2023 hieß es u.a. weiter:

“in vorbezeichneter Angelegenheit übersenden wir Ihnen unsere heutige E-Mail an die [ASt] nebst der gewünschten Pläne und dem gewünschten Nachtrags-LV zur Kenntnisnahme. Wir ordnen an, die dort beschriebene Leistung zu erbringen. Die dafür erforderlichen Mehrkosten werden wir vergüten.”

Weiter wurde ausgeführt, dass, unabhängig vom jetzt vorgelegten Nachtragsleistungsverzeichnis, auch die bisherige Planung schon mangelfrei gewesen sei und daher kein Leistungsverweigerungsrecht der ASt bestanden habe. Auch sei die ASt mit der Leistungserbringung in Verzug.

“Es ist nicht ersichtlich, warum Ihre Partei nicht auf der Baustelle arbeitet. Selbst wenn noch Details in Abstimmung waren, hätte Ihre Partei beispielsweise schon längst mit den beauftragten Leistungen

1. Untergrundvorbereitung

2. Sockeldämmung

3. […]

4. Balkonaußenseiten einschließlich Bewegungsfugenprofil

5. […]

6. Mineralwolledämmung in allen Erdgeschossen

7. Dämmung […], arbeiten können.

Mithin haben wir Zweifel an der Leistungsfähigkeit Ihrer Partei. Fehlt es der [ASt] an Personal oder ist dieses noch auf anderen Baustellen gebunden?

Wir fordern Ihre Partei hiermit nochmals auf, die beauftragten Arbeiten unverzüglich zu beginnen bzw. fortzuführen und die Baustelle spätestens bis zum 27.03.2023 angemessen zu besetzen.

Wir behalten uns die Geltendmachung von Verzugskosten ausdrücklich vor. […]

Wir weisen außerdem darauf hin, dass Ihre Partei im Fall des fruchtlosen Ablaufs der vorgenannten Frist mit der Kündigung des Vertrags nach § 8 Absatz 3 in Verbindung mit § 5 Absatz 4 VOB/B rechnen muss.

4. Verstoß gegen Kooperationspflichten

Wir mussten feststellen, dass Ihre Partei zuletzt bei telefonischen Anfragen für uns nicht erreichbar war. Mitarbeiter der [ASt] teilten mit, dass sie nicht berechtigt seien Auskünfte zu erteilen. Mithin verweigerte Ihre Partei auch den Kontakt zu unseren Bauleitern. Die wöchentliche Abstimmung der Feintermine – wie im Aufklärungsgespräch am 09.08.22 vereinbart -, werden von Ihrer Partei nicht eingehalten. Ihre Partei verstößt gegen ihre verträglichen Nebenpflichten. Wir fordern ihre Partei hiermit auf, ab sofort die wöchentlichen Abstimmungstermine mit unseren Bauleitern vertragsgemäß einzuhalten und als kooperativer Vertragsparther für uns und für die von uns eingesetzten Bauleiter erreichbar zu sein. Wir setzen Ihrer Partei hiermit eine Frist zur Abhilfe bis zum 03.04.2023.”

Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 24. März 2023 teilte die ASt mit, dass die Planungen weiterhin fehlerhaft seien, auf Wunsch aber dennoch umgesetzt würden. 

Am 27. März 2023 erinnerte die Ag die ASt per E-Mail an die wöchentlichen Jour fixe-Termine.

Die Teilnahme der ASt werde erwartet. Diese antwortete am 28. März 2023:

“da die Ausführung derzeit nach wie vor im Klärungsprozess ist derzeit eine Teilnahme am jour-fixe nicht erforderlich. Natürlich werden wir wie gewohnt teilnehmen sobald dies angebracht ist.”

Am 30. März übermittelte die ASt das bepreiste Nachtragsangebot an die Ag.

Am 31. März 2023 kündigte die Ag den Vertrag über die Wärmedämmarbeiten außerordentlich. 

Der Sachverhalt betreffend die Kündigung des Vertrages der ASt hinsichtlich der Innenputzarbeiten stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar: 

Die Kündigung erfolgte am 9. Mai 2023. Dem vorangegangen waren u.a. eine Behinderungsanzeige der ASt wegen angeblich fehlender Treppenbeläge, die von der Ag zurückgewiesen worden war. Weiter bestanden Streitigkeiten zwischen Ag und ASt über die Frage, ob die ASt fehlerhaft in einzelnen der Häuser eine Eckschutzschiene statt einer Putzabschlussschiene eingesetzt habe, wohingegen die ASt der Ansicht war, dass das fragliche Detail aus den Planunterlagen nicht ersichtlich sei und insoweit auch kein Fehler der ASt vorliege. Die ASt reichte hinsichtlich der angeblich fehlenden Planunterlagen am 3. Mai 2023 Behinderungsanzeige ein. 

Das hier streitgegenständliche Vergabeverfahren betrifft die erneute Vergabe der Wärmedämmarbeiten.

Die ASt gab im streitgegenständlichen Vergabeverfahren ein Angebot ab und rangierte gemäß der Mitteilung des Ausschreibungsergebnisses nach Angebotsöffnung am 6. Juni 2023 preislich auf dem ersten Platz. Ein drittes Unternehmen, das preislich zwischen ASt und Beigeladener (Bg) lag, wurde ausgeschlossen, weil die von diesem Bieter nachgeforderten Unterlagen nicht fristgerecht eingereicht worden sind. Infolgedessen belegte die Bg Platz zwei der Wertungsrangfolge. 

Die ASt reichte mit ihrem Angebot das von der Ag angeforderte Formblatt 124 ein und erklärte dort, es lägen für das Unternehmen der ASt keine Ausschlussgründe gemäß § 6e EU VOB/A vor.  

Die Ag teilte der ASt mit Schreiben vom 14. Juni 2023 mit, die Erklärung zum Nichtvorliegen von Ausschlussgründen nach § 6e EU VOB/A sei wegen der Kündigungen der ursprünglichen Aufträge zwischen ihr und der ASt nach Auffassung der Ag falsch. Es sei der Ausschlussgrund nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A verwirklicht. Vor diesem Hintergrund hörte die Ag die ASt zur Frage einer Selbstreinigung im Hinblick auf die von der Ag vorgebrachten Kündigungsgründe an. Die ASt antwortete der Ag fristgemäß mit Schreiben vom 20. Juni 2023, es gebe von ihrer Seite keine Schlechtleistungen, die Kündigungen seien unbegründet, es bestehe daher kein Bedarf für eine Selbstreinigung der ASt.

Die Ag dokumentierte in einem Vermerk vom 26. Juni 2023 den ihrer Ansicht nach den Kündigungen zugrunde liegenden Sachverhalt und prognostizierte, die ASt habe in den gekündigten Vertragsverhältnissen gezeigt, dass sie für die im streitgegenständlichen Vergabeverfahren erneut ausgeschriebenen Leistungen nicht leistungsfähig und offensichtlich leistungsunwillig sei. Eine nochmalige Zusammenarbeit mit der ASt sei der Ag daher nicht zuzumuten. Die ASt habe die ihr eingeräumte Möglichkeit zur Selbstreinigung nicht wahrgenommen; sie habe kein Problembewusstsein entwickelt und die Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigungen bestritten. Daher sei die ASt nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 EU VOB/A von der Teilnahme am Vergabeverfahren auszuschließen. 

In einem Vermerk vom 27. Juni 2023 dokumentierte das von der Ag mit der Erarbeitung eines Vergabevorschlags betraute Architektenbüro, es sei nicht davon auszugehen, dass die ASt die ausgeschriebene Leistung in Bezug auf Qualitäten und Termine vertragsgerecht ausführen werde. Es werde von einer Beauftragung der ASt dringend abgeraten und ihr Angebot unter Bezugnahme auf die Prognoseentscheidung der Ag vom 26. Juni 2023 aus der Wertung genommen. Hintergrund seien die Kündigungen der bisherigen Verträge mit der ASt über die nunmehr neu ausgeschriebenen Leistungen. Die wesentlichen Gründe der Kündigung seien zum einen, dass die ASt trotz mehrfacher Aufforderung nicht an wöchentlichen Baubesprechungen teilgenommen habe, so dass Arbeiten nicht mit den anderen vor Ort tätigen Gewerken koordiniert werden könnten. Ferner sei die für die Vermeidung von Schwitzwasserbildung erforderliche Wärmedämmung trotz Aufforderung und entsprechender Witterung nicht montiert worden, so dass für Trocknung und Beheizung hohe Mehrkosten entstanden seien und die nicht gedämmten Gebäude einem erheblichen Schadensrisiko ausgesetzt seien. Zum anderen habe die ASt im Hinblick auf die Innenputzarbeiten einen festgestellten Mangel im Treppenhaus (keine schallschutztechnische Trennung des Innenputzes am Treppengeländer) trotz schriftlicher Aufforderung nicht behoben, so dass in allen Treppenhäusern Zusatzkosten und Bauzeitverzug entstünden.

Mit Vermerken vom 3. und 4. Juli 2023 stellten die intern zuständigen Stellen der Ag fest, dass die ASt nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A auszuschließen sei. Das Angebot eines preislich an zweiter Stelle rangierenden Bieters sei auszuschließen, weil dieser Bieter nachgeforderte Unterlagen nicht fristgerecht eingereicht habe. Es sei daher dem drittplatzierten Angebot der Zuschlag zu erteilen.

Die Ag teilte der ASt mit Schreiben vom 6. Juli 2023 gemäß § 134 GWB mit, sie beabsichtige, der Bg den Zuschlag zu erteilen. Die ASt werde ausgeschlossen, weil diese wesentliche Anforderungen bei der Ausführung von öffentlichen Aufträgen erheblich und fortdauernd mangelhaft erfüllt habe. Aus diesem Grund seien die entsprechenden Aufträge für das Wärmedämmverbundsystem und für die Innenputzarbeiten gekündigt worden. Bei dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren handele es sich um die nach der Kündigung erforderliche Neuausschreibung des Wärmedämmverbundsystems. Nach Prüfung der Bewerbung der ASt sehe die Ag keine Anhaltspunkte, die eine ordnungsgemäße und zuverlässige Vertragserfüllung von Seiten der ASt erwarten ließen.

Die ASt rügte ihren Ausschluss mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 12. Juli 2023 gegenüber der Ag. Die von der Ag ausgesprochenen fristlosen Kündigungen seien zumindest hoch streitig und könnten daher keine Grundlage für die Annahme vorangegangener Schlechtleistungen i.S.d. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A sein. 

Die Ag half der Rüge der ASt nicht ab und teilte dies der ASt mit Schreiben vom 13. Juli 2023 mit.

2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 14. Juli 2023, eingegangen bei der Vergabekammer und übermittelt an die Ag am gleichen Tag, beantragt die ASt die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

a) Zur Begründung des Nachprüfungsantrags führt die ASt wie folgt aus:

Die ASt hält die Voraussetzungen des § 6e EU Abs. 1 Nr. 7 VOB/A für nicht gegeben. Es fehle bereits daran, dass die ASt keine wesentlichen Anforderungen mangelhaft erfüllt habe, weshalb die von der Ag ausgesprochenen Kündigungen unwirksam seien, die geltend gemachten Kündigungsgründe lägen nicht vor: 

– Die ASt habe die Ag ab Februar 2023 darauf hingewiesen, dass die für die Einarbeitung des Wärmedämmverbundsystems im Fensterbereich und insbesondere an den Fensterbänken bzw. den Sonnenschutzelementen erforderliche Ausführungsplanung nicht vorliege bzw. keine sachgerechte Ausführung der Arbeiten möglich sei. Die Errichtung eines Musterelements habe sich lediglich durch die Lieferzusage des Systemherstellers verzögert, nicht durch Verschulden der ASt. Die Ag sei am 8. März 2023 aufgefordert worden, eine aktualisierte Ausführungsplanung und ein zu bepreisendes Nachtragsleistungsverzeichnis für die geänderte Leistung vorzulegen. Mit Schreiben vom 9. März 2023 habe die Ag die ASt aufgefordert, Abhilfe zu schaffen, obwohl das konkrete Leistungssoll weiter unklar gewesen sei. Die ASt habe die Ag daher am 13. März 2023 aufgefordert, entsprechend geänderte Planungsunterlagen zu übermitteln, um ein Nachtragsangebot ausarbeiten zu können. Am 20. März 2023 habe die Ag der ASt diese Planungsunterlagen und ein Nachtragsleistungsverzeichnis übermittelt und die ASt aufgefordert, die Baustelle bis zum 27. März 2023 zu besetzen und die Arbeiten fortzuführen. Die ASt habe der Ag darauf mit Schreiben vom 24. März 2023 mitgeteilt, dass die vorgelegten Planungsunterlagen fehlerhaft seien und dass sie bereit sei, die fehlerhafte Planung umzusetzen, wenn dies durch die Ag angeordnet werde. Das bepreiste Nachtragsangebot habe die Ag am 30. März 2023 übermittelt. Es sei vereinbart worden, die Arbeiten am 3. April 2023 fortzuführen. Die Ag habe das Vertragsverhältnis dann jedoch am 31. März 2023 gekündigt.

– Hinsichtlich der Innenputzarbeiten habe die ASt die Kündigung vom 9. Mai 2023 am 19. Mai 2023 zurückgewiesen. Zum Zeitpunkt der Kündigung seien 95% der Leistung bereits erbracht gewesen, lediglich Restleistungen betr. Filzputz in den Treppenhäusern hätten ausgestanden. Soweit die Ag die Kündigung darauf gestützt habe, die ASt habe in den Treppenhäusern […] die Leibungskante falsch verputzt und fälschlich eine Eckschutzschiene gesetzt, obwohl aus den Planungsunterlagen eine Abdeckung durch eine Putzabschlussschiene aus Stahlblech ersichtlich gewesen sein solle, hätten insofern keine Planungsunterlagen betreffend den Innenputz im Treppenhausbereich vorgelegen. Die ASt habe die einschlägigen Toleranzen eingehalten. Die von der Ag bemängelte Schallbrücke sei darauf zurückzuführen, dass die im Auftrag der Ag vorproduzierten Abdeckbleche nicht gepasst hätten. 

Vor diesem Hintergrund könne nicht von den seitens der Ag in den beiden Kündigungen geltend gemachten vertraglichen Pflichtverletzungen ausgegangen werden, was aber für einen Ausschluss nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A bzw. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB erforderlich sei. Es fehle bereits an der von der Rechtsprechung herausgearbeiteten niedrigeren Anforderung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Pflichtverletzung. Die Ag könne schon nicht aufklären, warum sie trotz des behaupteten Nichtbestehens der von der ASt vorgetragenen Mängel ein Nachtragsleistungsverzeichnis ausgearbeitet und die ASt um Abgabe eines neuen Angebotes aufgefordert habe. Hinsichtlich der Leistungen für das Wärmedämmverbundsystem sei höchst streitig, ob die von der Ag vorgesehene Ausführung mangelfrei möglich sei. 

Die Ag habe in der streitgegenständlichen Ausschreibung wesentliche Aspekte, die die ASt im Hinblick auf die ursprünglich vorgesehene Ausführung vorgebracht habe und die von der Ag damals als unzutreffend zurückgewiesen worden seien, im nun neuen Leistungsverzeichnis berücksichtigt. Ursprünglich sollten die Fensterbänke und Fassadengesimsbleche nach Einbau des Wärmedämmverbundsystems eingebaut werden. Dies sei in der neuen Ausschreibung dahin angepasst worden, dass der Einbau der Fensterbänke vor dem Einbau des Wärmedämmverbundsystems erfolgen solle, der Einbau der umlaufenden Fassadengesimsbleche erst nach Einbau des Wärmedämmverbundsystems. Dies belege, dass der ASt für den gekündigten Auftrag keine geeigneten Planungsunterlagen vorgelegen hätten, so dass es ihr auch unmöglich gewesen sei, die von der Ag geforderten Teilleistungen auszuführen, da diese bei einer späteren Montage des Wärmedämmverbundsystems wieder zurückzubauen gewesen wären. Die ASt habe durch Beauftragung eines eigenen Sachverständigen und Einbeziehung des Systemherstellers des Wärmeverbundsystems konstruktiv auf eine Lösung der Situation hingearbeitet. 

Die ASt habe ihre Leistungsbereitschaft stets hervorgehoben und mitgeteilt, dass sie den Anordnungen wie zur Vorhaltung entsprechender Arbeitskräfte umgehend nachkomme. Eine entsprechende Beauftragung bzw. Anordnung sei jedoch durch die Ag nicht erfolgt. Die Kündigung durch die Ag wenige Tage nach Erhalt der überarbeiteten Planungsunterlagen sei nicht nachvollziehbar.

Hinsichtlich des gekündigten Vertrags zu den Innenputzarbeiten sei festzustellen, dass zwischen Ag und ASt streitig sei, ob überhaupt eine Schlechtleistung vorliege bzw. ob angesichts des Leistungsstands eine wesentliche Anforderung mangelhaft erfüllt worden sein könne.

Soweit die Ag die Kündigungen auf die unterbliebene Teilnahme der ASt an den Jour fixe-Terminen stütze, habe sie schon nicht dargelegt, an welchen Terminen konkret die ASt unentschuldigt nicht teilgenommen habe und warum es hierdurch zu einer Beeinträchtigung der Kooperation gekommen sein soll. Die Jour fixe-Termine seien aufgrund der Vielzahl der Teilnehmer für eine konkrete Problembesprechung ungeeignet, hier könnten nur die Leistungsstände der einzelnen Arbeiten zum Zwecke der Koordinierung besprochen werden. Zwischen ASt und Ag seien jedoch über einen Zeitraum von mehreren Wochen Gespräche geführt und E-Mails ausgetauscht worden, so dass der ASt keine mangelnde Kommunikation zu unterstellen sei. 

Die Vergabeakte sei unvollständig insoweit, als in der Sachverhaltsdarstellung etliche Kontakte zwischen ASt und Ag nicht wiedergegeben würden. Diese unvollständige Sachverhaltsermittlung stelle eine fehlerhafte Ermessensausübung dar. Auch sei die Prognoseentscheidung einzig mit dem Ziel des Ausschlusses der ASt erstellt. Die ASt habe selbst nach den erfolgten Kündigungen noch das Gespräch mit der Ag gesucht, diese habe jedoch das ausdrückliche Leistungsangebot der ASt ignoriert. 

Die Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten hält die ASt für notwendig. Für die Ag sei jedoch die Hinzuziehung von Bevollmächtigten nicht notwendig. In seinem originären Aufgabenbereich habe sich der Auftraggeber die notwendigen Sach- und Rechtskenntnisse selbst zu beschaffen. Die Ag verfüge vorliegend auch über ein Justiziariat. 

Die ASt beantragt,

1. die Ag in Textform über den Antrag auf Nachprüfung gemäß § 169 Abs. 1 GWB zu informieren,

2. die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß §§ 160 ff. GWB,

3. der Ag zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Bg zu erteilen,

4. der Ag aufzugeben, den Ausschluss der ASt zurückzunehmen, das Vergabeverfahren in den Zeitpunkt der Angebotswertung zurückzuversetzen und den Antrag bei fortbestehender Beschaffungsabsicht unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu vergeben,

5. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der ASt für notwendig zu erklären,

6. der ASt Einsicht in die Vergabeakte gemäß § 165 Abs. 1 GWB zu gewähren, sobald diese bei der Vergabekammer eingegangen ist,

7. der Ag die Kosten des Verfahrens sowie die Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung einschließlich der vorprozessualen Anwaltskosten aufzuerlegen.

b) Die Ag beantragt mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 21. Juli 2023:

1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Akteneinsicht wird versagt.

3. Die ASt trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Ag.

4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten der Ag wird für notwendig erklärt.

Die Ag hält den Nachprüfungsantrag für zulässig, aber unbegründet. Der von der Ag geltend gemachte Ausschlussgrund des § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A sei gegeben. Die ASt habe zweimal aufeinanderfolgend in den vorausliegenden gekündigten Vertragsverhältnissen innerhalb kürzester Zeit schlecht geleistet.

Soweit es den gekündigten Vertrag über die Errichtung des Wärmedämmverbundsystems betreffe, habe die ASt über einen Zeitraum von fast einem halben Jahr die Leistung verweigert bzw. diese nur schleppend ausgeführt. Eine von der ASt angebrachte Bedenkenanmeldung sei schon nicht formgerecht gewesen, weil es an der Mitteilung gefehlt habe, welche Konsequenzen aus der Nichtberücksichtigung dieser Bedenken folgen würden. Auch bei der von der ASt angebrachten Behinderungsanzeige habe der Hinweis auf die konkreten Auswirkungen der angeblichen Behinderung gefehlt. Auch habe die Ag diese beiden Anzeigen bereits im Oktober 2022 zurückgewiesen, so dass die ASt zur Leistungserbringung verpflichtet gewesen sei. Im Übrigen hätte die ASt sämtliche anderen Arbeiten, die nicht von ihren Bedenken betroffen gewesen seien, ausführen können, was rund 65 % der geschuldeten Leistung ausgemacht hätte. Auf Gesprächsangebote der Ag habe die ASt nicht oder nur mit wochenlanger Verzögerung reagiert. Die bei einem gemeinsamen Gespräch dann vereinbarte Erstellung einer Musterfassade habe die ASt nur verzögert umgesetzt. Entgegen ihrer Verpflichtung habe die ASt im Jahr 2023 auch nur an einem Jour fixe-Termin teilgenommen und sei auch für die Ag und die örtliche Bauleitung nahezu nie erreichbar gewesen. Die Ag habe mit der ASt Termine außerhalb der Jour fixe-Tage absprechen müssen, was auch nicht immer gelungen sei. Als Folge des Verhaltens der ASt sei mit einer verspäteten Fertigstellung des Bauvorhabens um mindestens 10 Monate zu rechnen, was u.a. zu Mietausfällen, Zusatzkosten für erforderliche Trocknung und Beheizung, längere Standzeiten für das Gerüst und Verzögerungen der Tiefbauten führe. Entgegen der Behauptungen der ASt sei die Planung der Ag fehlerfrei gewesen. Die erfolgten Anpassungen hätten nur der Arbeitserleichterung für die ASt gedient. Während sich die ASt geweigert habe, die Arbeiten auszuführen, seien diese in baugleichen Gebäuden durch einen anderen Auftragnehmer erfolgreich fertiggestellt worden. Die ASt habe wesentliche Anforderungen aus dem Vorauftrag daher erheblich und fortdauernd mangelhaft erfüllt, was die vorzeitige Kündigung rechtfertige. Dass die ASt die Baustelle Anfang Mai 2023 geräumt habe, sei dahin zu verstehen, dass sie etwaige Vorbehalte gegen die ausgesprochene Kündigung nicht weiter aufrechterhalte. 

Hinsichtlich des gekündigten Vertrages über die Innenputzarbeiten habe sich die ASt im Leistungsverzug befunden. Die Behinderungsanzeige der ASt habe weitestgehend auf unzutreffenden Behauptungen beruht. Auch habe die ASt ebenfalls in diesem Vertragsverhältnis ihre Pflicht zur Teilnahme an den Jour fixe-Terminen nicht erfüllt. Einer Aufforderung zur Mängelbeseitigung sei die ASt nicht nachgekommen. Soweit die ASt dann Behinderung wegen angeblich fehlender Planunterlagen angemeldet habe, habe die Ag auf das Vorhandensein eindeutiger Unterlagen hingewiesen, wie auch darauf, dass die ASt die entsprechenden Arbeiten in anderen Gebäuden auch korrekt ausgeführt habe. Soweit sich die ASt auf den Standpunkt stelle, dass wesentliche Ausführungsdetails gefehlt hätten, hätte sie Bedenken anmelden müssen und in jedem Fall eine mangelfreie Leistung erbringen müssen. Da sie jedoch anstelle der Putzabschlussschiene eine Eckschutzschiene ausgeführt habe, die eine Schallbrücke erzeuge, liege ein erheblicher Mangel vor, den die ASt auch nach Abhilfeaufforderung nicht beseitigt habe. Dies rechtfertige die außerordentliche Kündigung. 

Die ASt habe, gemäß der vorgelegten Übersicht, von den insgesamt 31 Jour fixe-Terminen während der Laufzeit der beiden vorangegangenen Vertragsverhältnisse nur an 9, von der Ag konkret benannten, Terminen teilgenommen.

Bei dem Ausschlussgrund des § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A handele es sich um einen fakultativen Ausschlussgrund, dessen Überprüfung durch die Vergabekammer nur eingeschränkt möglich sei. Soweit in der Dokumentation zur Eignungsprüfung der ASt angegeben sei, dass eine Verfehlung nach § 124 GWB einen zwingenden Ausschlussgrund darstelle, handele es sich um einen Programmierfehler im verwendeten Programm. Die Ag habe ihr Ermessen sachgerecht ausgeübt. Hinsichtlich der ASt liege eine negative Prognose vor, da dieser ausreichend Personal zu fehlen scheine. Bei erneuter Beauftragung sei zu erwarten, dass die Konflikte aus der Vergangenheit seitens der ASt fortgesetzt würden. So habe die ASt insbesondere auch kein Problembewusstsein entwickelt, so dass sie die Frage nach einer Selbstreinigung mit dem bloßen Hinweis, dass aus ihrer Sicht die Kündigungen unwirksam gewesen seien, zurückgewiesen habe. Hinzu komme, dass zwei Kündigungen in kurzem zeitlichem Abstand hätten ausgesprochen werden müssen. Hinsichtlich der Kündigung des ersten Vertrages betreffend die Wärmedämmung sei zu beachten, dass die Diskussion um den richtigen Anschluss der Fenster- und Gesimsbleche völlig untergeordnet sei im Vergleich zu den anderen Arbeiten, die hätten ausgeführt werden können. Die Ag habe sich bei der Entscheidung mit der Nichtteilnahme an den Jour fixe-Terminen befasst und mit dem Stand der Arbeiten an den Gebäuden. Diesbezüglich habe sie den Sachverhalt exakt erfasst. 

Die Verhältnismäßigkeit sei gewahrt. Vorliegend gehe es um die Fertigstellung eines großen Bauvorhabens mit […] Wohnungen. Durch das Verhalten der ASt werde die Fertigstellung um viele Monate verzögert. 

c) Mit Beschluss vom 18. Juli 2023 ist die Bg zum Verfahren hinzugezogen worden. Sie hat sich schriftsätzlich nicht zum Nachprüfungsantrag eingelassen und auch an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen. 

3. Der ASt ist Akteneinsicht in mit der Ag abgestimmtem Umfang gem. § 165 Abs. 2 GWB gewährt worden. Die Kammer hat den Beteiligten einen rechtlichen Hinweis zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erteilt. In der mündlichen Verhandlung wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten umfassend erörtert. Auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten, die Vergabeakte der Ag, soweit sie der Kammer vorlag, sowie die Verfahrensakte wird Bezug genommen. 

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, jedoch nicht begründet.

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Insbesondere richtet er sich gegen die Vergabeentscheidung eines dem Bund zuzurechnenden öffentlichen Auftraggebers, wobei der Auftragswert – unter Berücksichtigung der Gesamtbaumaßnahme – auch oberhalb des einschlägigen Schwellenwertes für eine verpflichtende europaweite Bekanntmachung liegt, §§ 98, 99 Nr. 2, § 103 Abs. 1 Abs. 3 S. 1, § 106 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 159 Nr. 2 GWB, § 1 EU Abs. 1 und 2 VOB/A i.V.m. § 3 VgV.

Die ASt ist auch antragsbefugt i.S.d. § 160 Abs. 2 GWB. Sie hat ein auf Rang 1 der Wertungsreihenfolge liegendes Angebot eingereicht, durch den von der Ag verhängten Angebotsausschluss droht sie jedoch ihre Zuschlagschance zu verlieren. 

Den Ausschluss des Angebotes, der der ASt mit Schreiben vom 6. Juli 2023 mitgeteilt worden ist, hat die ASt mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 12. Juli 2023 und damit innerhalb der Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB gerügt. Auch die Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB ist mit dem Nachprüfungsantrag vom 14. Juli 2023 eingehalten. 

2. Der Nachprüfungsantrag ist jedoch nicht begründet. Die Ag hat die ASt zu Recht von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen, da sie bei vorangehenden Bauaufträgen erheblich und fortdauernd mangelhaft geleistet hat. 

§ 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A bestimmt, dass der öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen kann, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies u.a. zu einer vorzeitigen Beendigung geführt hat. Erwägungsgrund 101 der Richtlinie 2014/24/EU nennt als Beispiele Lieferungs- oder Leistungsausfall sowie erhebliche Defizite der gelieferten Waren oder Dienstleistungen, die sie für den beabsichtigten Zweck unbrauchbar machen. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der ASt vor.

a) Die ASt hat in den beiden vorangegangenen Aufträgen betreffend die Wärmedämmung bzw. den Innenputz mangelhaft erfüllt. 

aa) Hinsichtlich des Vertrages zur Anbringung des Wärmedämmverbundsystems ist die Schlechtleistung zum einen darin zu sehen, dass die ASt die Dämmarbeiten nicht fristgerecht durchgeführt hat. Hierbei muss nicht entscheidend darauf abgestellt werden, ob die Bedenken der ASt gegen die Art der von der Ag vorgesehenen Anbindung der Wärmedämmung in den Fenster- und Gesimsflächen berechtigt waren. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung war letztlich unstreitig, dass es technisch möglich gewesen wäre, unter Außenvorlassen der Bereiche unmittelbar an den Fenstern und Gesimsen jedenfalls die übrigen auftragsgegenständlichen Flächen zu dämmen. Im Schreiben der Ag vom 20. März 2023 sind hier insgesamt 7 weitere Bereiche aufgeführt, die von den geltend gemachten Bedenken der Ag nicht betroffen waren. Laut der Bekanntmachung des hier streitgegenständlichen Dämmauftrages, der ja die im ursprünglichen Auftrag von der ASt zu erbringenden Leistungen enthält, handelt es sich insgesamt um eine Fläche von knapp […] qm. In der mündlichen Verhandlung führte die ASt aus, dass die streitigen Verarbeitungsschritte eine Fläche von rund […] qm beträfen. Dies deckt sich in etwa mit der schriftsätzlichen Angabe der Ag, dass rund 65 % der ursprünglich beauftragten Dämmarbeiten nicht von der Behinderungsanzeige der ASt betroffen seien und somit hätten durchgeführt werden können. Die ASt hat diese Arbeiten jedoch nicht vorgenommen, sondern unter Berufung auf die streitigen Punkte letztlich fast keine Leistungen, in jedem Fall deutlich weniger als die wie vorstehend beschrieben möglichen Leistungen erbracht. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die ASt sich insoweit auf den Gesichtspunkt der Unwirtschaftlichkeit berufen, wenn die Arbeiten nicht am Stück von unten nach oben durchgeführt werden könnten, sondern immer wieder Lücken gelassen werden müssten. Dieser Vortrag ist jedoch nicht nur völlig unsubstantiiert geblieben, sondern insbesondere auch vorab der Ag gegenüber nie zur Begründung der unterbliebenen Arbeiten angebracht worden. Da die ASt somit einen Gutteil der Gesamtarbeiten nicht ausgeführt hat, obwohl sie insoweit keine Behinderungsanzeigen etc. geltend gemacht hat, liegt schon hierin eine Pflichtverletzung. Auf den Umstand, dass die Ag die Bedenken- und Behinderungsanzeige der ASt hinsichtlich der Anbindung des Wärmedämmsystems im Bereich der Fensterbänke bereits im Oktober 2022 zurückgewiesen hat und die ASt also auch insoweit die Arbeiten hätte durchführen können, kommt es nicht mehr entscheidend an. Selbst wenn in den trotz der Zurückweisung zwischen Ag und ASt geführten Diskussionen ein jedenfalls implizites Einverständnis der Ag zu sehen sein sollte, die diesbezüglichen Arbeiten vor einer Klärung der fachlichen Fragen nicht durchzuführen, ist spätestens der Darstellung der unabhängig davon durchführbaren Arbeiten im Schreiben der Ag vom 20. März 2023 zu entnehmen, dass diese übrigen Arbeiten in jedem Fall unverzüglich durchzuführen waren, ohne dass die ASt dem nachgekommen wäre. 

bb) Ein weiterer Mangel der Leistungen, diesmal bezogen sowohl auf den Auftrag zur Anbringung des Wärmedämmverbundsystems wie auch des Innenputzes, ist darin zu sehen, dass die ASt die überwiegende Anzahl der Jour fixe-Termine nicht wahrgenommen hat. Gemäß der von der Ag erstellen Übersicht, die von der ASt letztlich nicht angegriffen worden ist, waren Vertreter der ASt nur bei 9 von insgesamt 31 Terminen anwesend. Im Jahr 2023 handelte es sich insoweit, bis zur Kündigung des Vertrages über die Wärmedämmarbeiten Ende März, um lediglich einen Jour fixe, an dem die ASt teilnahm. Eine zweite Teilnahme im April 2023 erfolgte sodann im Rahmen der Arbeiten zur Anbringung des Innenputzes. Eine Schlechtleistung i.S.d. § 6e EU abs. 6 Nr. 7 VOB/A kann nicht nur bei Verletzung einer direkt den Vertragsgegenstand ausmachenden Pflicht vorliegen, wie hier insbesondere betreffend die unmittelbaren Wärmedämm- bzw. Putzarbeiten. Auch ein Verstoß gegen den kaufmännischen Teil des Vertrages kann als Schlechtleistung in diesem Sinne eingestuft werden (vgl. EuGH v. 3. Oktober 2019 – C 267/18 sowie OLG Frankfurt v. 3. Mai 2018 – 11 Verg 5/18, jeweils zum ungenehmigten Nachunternehmereinsatz). Vorliegend war die Teilnahme an den wöchentlichen Jour fixe-Besprechungen in den zusätzlichen Vertragsbedingungen ausdrücklich vereinbart. Die Nichtteilnahme an diesen Veranstaltungen stellt damit einen Mangel der Leistung dar. Soweit sich die ASt im Rahmen der mündlichen Verhandlung ohne weitere Substantiierung darauf berufen hat, sie sei den Besprechungen ferngeblieben, wenn entweder das eigene Unternehmen geschlossen gewesen sei oder wegen Schlechtwetters ohnehin keine Arbeiten auf der Baustelle möglich gewesen seien, so gibt schon die vertragliche Verpflichtung zur Teilnahme eine solche Einschränkung nicht her. Die E-Mail der ASt vom 28. März 2023, nach der die Ausführung der (Dämm-)Arbeiten derzeit noch im Klärungsprozess und eine Teilnahme am Jour fixe daher nicht erforderlich sei, spricht im Übrigen auch dagegen, dass die Nichtteilnahme lediglich aufgrund von Betriebsferien oder Schlechtwetter erfolgte. Die Aussage, man werde teilnehmen, sobald dies angebracht sei, dürfte vielmehr so zu verstehen sein, dass die ASt hier auf ihre eigene Einschätzung zur Sinnhaftigkeit der Teilnahme abstellte und diese zum Maßstab einer Teilnahmepflicht machte. Ohne dass es noch darauf ankäme, entspräche ein solches Vorgehen jedenfalls nicht der vertraglichen Verpflichtung der ASt. 

b) Die Einschätzung der Ag, dass sich die dargestellte Mangelhaftigkeit der Leistungen auf wesentliche Anforderungen bezog und sowohl erheblich als auch fortdauernd war, ist nicht zu beanstanden. 

Hinsichtlich der unterbliebenen Wärmedämmarbeiten, einschließlich der von der Ag in ihrem Schreiben vom 20. März 2023 gegenüber der ASt angemahnten Leistungen, handelt es sich um Hauptleistungspflichten aus dem vorangegangenen Auftrag, was für die Wesentlichkeit der Anforderung spricht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018 –Verg 7/18). Diese wesentliche Anforderung wurde auch erheblich und fortdauernd verletzt. Die Ag legt insoweit nachvollziehbar dar, dass es nicht nur zu Verzögerungen dieser unmittelbaren Dämmarbeiten kam, sondern auch weitere Gewerke auf der Baustelle mit betroffen wurden. So z.B. kam es zu Behinderungen bei Tiefbauarbeiten, für die ein Gerüst, welches für die Dämmarbeiten erforderlich ist, zwischenzeitlich ab- und wieder aufgebaut werden musste. Neben diesen Koordinationsproblemen auf der Baustelle, die auch zu zusätzlichen Vorhaltekosten führen, stützt die Ag ihre Entscheidung insbesondere auch auf die Gefahren, die sich durch Schwitzwasserbildung infolge der unzureichenden Dämmung der Häuser ergeben haben und denen durch Trocknung und Beheizung begegnet werden musste. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Außenarbeiten an den Häusern nunmehr womöglich bis zum Winter nicht fertiggestellt werden können und die Schlechtwetterunterbrechungen so zusätzliche Verzögerungen bewirken werden. Schließlich führt der insgesamt verursachte Verzug der Bauarbeiten auch zu einer späteren Bereitstellung des Wohnraumes und damit auch zu verringerten Mieteinnahmen der Ag. Die insgesamt mehrmonatigen Verzögerungen selbst auch nur derjenigen Arbeiten, die grundsätzlich ohne abschließende Klärung der Verarbeitungsweise an Fensterbänken und Gesimsblechen möglich gewesen wären, sind damit erheblich und aufgrund der zeitlichen Dauer über mehrere Monate auch fortdauernd. 

Auch bei der Teilnahme an den Jour fixe-Terminen handelt es sich um eine wesentliche Anforderung beider Voraufträge. Ausschlaggebend ist für das Kriterium der Wesentlichkeit, welche Bedeutung der jeweiligen Anforderung für den öffentlichen Auftraggeber zukommt, mithin wie sich eine mangelhafte Erfüllung für ihn auswirkt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018, a.a.O.). Dies ergibt sich schon aus der expliziten vertraglichen Verpflichtung zur Teilnahme, die die Wichtigkeit der Jour fixes für die Ag hervorhebt. Soweit die ASt im Rahmen der mündlichen Verhandlung von einem gescheiterten Versuch berichtete, Baumaterial anzuliefern, aufgrund der Nichtbefahrbarkeit einer Rampe für den Gabelstapler die Lieferung jedoch nicht durchführen konnte, zeigt auch gerade dieses Beispiel die Relevanz der koordinierenden Besprechungen zwischen den einzelnen Gewerken auf größeren Baustellen und damit die Erheblichkeit der Pflicht, an den Jour fixes teilzunehmen. Die Ag führt nachvollziehbar aus, dass gerade auch in den kritischen Phasen, in denen die ASt die Arbeiten ihrer Auffassung nach nicht erledigen konnte, erhöhter Absprachebedarf bestanden habe. Die Nichtteilnahme an vom Auftraggeber verpflichtend vorgeschriebenen regelmäßigen Jour fixe-Besprechungen, trotz mehrfacher Aufforderungen zur Teilnahme durch die Ag, stellt eine erhebliche Pflichtverletzung dar. Der Erheblichkeit steht dabei nicht entgegen, dass ASt und Ag über die Frage der fachgerechten Anbringung der Dämmstoffe außerhalb der wöchentlichen Baustellenbegehungen in Kontakt standen. Selbst bei Unterstellung des, von der Ag bestrittenen, Vortrags der ASt, nach dem am Jour fixe nur die Baustände der einzelnen Gewerke erhoben würden und für die Diskussion der konkreten Bedenken der ASt keine Zeit gewesen wäre, wirken sich Verzögerungen bei der ASt ersichtlich auch auf andere Gewerke aus. Allein aus diesem Grunde wäre eine Teilnahme an den Besprechungen erforderlich gewesen, um jedenfalls zu Dauer und Umfang der Verspätung Auskunft zu geben. Auch hinsichtlich des zweiten Vorauftrages betreffend den Innenputz hätte auf diesen Besprechungen z.B. die Frage der Ag geklärt werden können, wann die wenigen restlichen Arbeiten zum Abschluss des Auftrages erbracht werden. Der Verpflichtung zur Teilnahme ist die ASt auch über die gesamte Dauer beider Voraufträge und damit fortlaufend nur sehr unregelmäßig nachgekommen.  

c) Diese erheblichen Schlechtleistungen haben auch in beiden Voraufträgen zu einer vorzeitigen Beendigung der Aufträge durch fristlose Kündigung von Seiten der Ag geführt. Die ASt hat den Kündigungen jeweils widersprochen. Eine gerichtliche Prüfung, die zur rechtskräftigen Feststellung der Rechtmäßigkeit der Kündigungen geführt hätte, ist bislang nicht erfolgt, jedoch für die Nachprüfung des von der Ag verfügten vergaberechtlichen Ausschlusses nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A auch nicht erforderlich. Ausreichend ist, dass der Auftraggeber von der Schlechterfüllung Gewissheit hat, also eine Überzeugung gewonnen hat, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018 – Verg 7/18). 

Hiervon ist auszugehen. Die oben genannten Umstände, nämlich die Nichtvornahme der Dämmarbeiten, einschließlich der von der Ag in ihrem Schreiben vom 20. März 2023 als ausführbar aufgeführten sieben Leistungen, selbst an solchen Stellen, an denen die ASt keine Bedenken angemeldet hatte, wie auch die Nichtteilnahme an den Jour fixes ohne tragfähige Entschuldigung, sind letztlich auch als Ergebnis der mündlichen Verhandlung als unstreitig feststehend anzusehen. Die Beurteilung dieser Umstände als erhebliche und fortdauernde Verletzung wesentlicher Anforderungen der vorangegangen Aufträge steht auch aus Sicht der Vergabekammer entsprechend den vorstehenden Ausführungen nicht ernsthaft in Zweifel.

Soweit die ASt in der mündlichen Verhandlung Zweifel an der Gewissheit der Ag geäußert hat, weil insbesondere ihr Vorbringen zur Nichtteilnahme an den Jour fixes den Kündigungen nicht zugrunde gelegen habe, sondern erst im Zuge des Nachprüfungsverfahrens nachgeschoben worden sei, geht dieser Einwand fehl. Die Ag hat bereits in ihrem Schreiben vom 20. März 2023 die Nichtteilnahme der ASt an den Jour fixes als Verstoß gegen die Kooperationspflicht abgemahnt und die ASt zur Abhilfe aufgefordert. Im Zusammenhang mit der diesem Aspekt vorangegangenen Aufforderung an die ASt, die von der Ag benannten übrigen Leistungen fortzuführen bzw. aufzunehmen und die Baustelle angemessen zu besetzen, hatte die Ag zudem auf die Möglichkeit der Kündigung bei fruchtlosem Ablauf der insoweit gesetzten Frist explizit hingewiesen. Für einen verständigen Empfänger dieses Schreibens war damit ohne Weiteres ersichtlich, dass auch die von der Ag zusätzlich angemahnte unbedingte Erfüllung der vertraglichen Nebenpflichten für den Fortbestand des Auftrags relevant war. 

Es ist auch nicht davon auszugehen, der Ag habe die für den Ausschluss nötige Gewissheit gefehlt, weil sie im Schreiben vom 20. März 2023 die ASt einerseits zur Abgabe eines Nachtragsangebots bis zum 27. März 2023 und andererseits die Besetzung der Baustelle bzw. Fortführung/Aufnahme der übrigen Arbeiten binnen derselben Frist gefordert habe. Diese parallelen Anforderungen waren für einen verständigen Empfänger nicht widersprüchlich, sondern unmissverständlich kumulativ zu verstehen. Die Ag hat im Schreiben vom 20. März 2023 explizit darauf hingewiesen, dass bei fruchtlosem Ablauf der Frist für die Besetzung der Baustelle und den Beginn bzw. die Fortführung der benannten sieben Leistungen mit der Kündigung des Vertrages zu rechnen sei. In diesem Zusammenhang hat die Ag zudem darauf hingewiesen, dass sie Zweifel an der Leistungsfähigkeit der ASt habe. Für einen verständigen Empfänger dieser Informationen war damit ohne Weiteres ersichtlich, dass die Ag unabhängig von der Nachtragsthematik entsprechend vorgehen werde, weil sie auf der Grundlage ihrer Darlegungen davon ausging, dass die ASt nicht vertragskonform leiste und ein weiteres Zuwarten nicht akzeptieren werde. Die folgenden Ausführungen im Schreiben vom 20. März 2023 zur bemängelten Nichtteilnahme der ASt an den Jour fixes stützen diesen Eindruck. 

d) Die Ag hat bei der Entscheidung über den Ausschluss der ASt ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. 

Der grundsätzlichen Ausübung von Ermessen hinsichtlich der Frage, ob die vorangegangenen Kündigungen zweier Auftragsverhältnisse zum Ausschluss der ASt führen sollen, steht nicht entgegen, dass im von der Ag verwendeten Fragebogen zur Eignungsprüfung im Erläuterungstext zu Ziffer […] – Schwere Verfehlung gem. § 124 GWB noch der Klammerzusatz “zwingender Ausschlussgrund” angegeben ist. Die Ag hat insoweit erklärt, dass es sich um einen Programmierfehler des Herstellers der entsprechenden Software handelt, die Ag habe hier ihr Ermessen ausgeübt und sei nicht von einem zwingenden Ausschlussgrund ausgegangen. 

Entscheidend kann es hier auch nur darauf ankommen, ob sich aus der Vergabeakte dokumentierte Ermessenserwägungen ergeben, nicht hingegen darauf, ob ein vorgegebener Formulartext richtig oder falsch ist. Aus der Vergabeakte lässt sich unmissverständlich entnehmen, dass die Ag hinsichtlich des Ausschlusses der ASt Ermessenserwägungen angestellt hat. So findet sich schon im vorbereitenden Vermerk vom 26. Juni 2023 nicht nur eine ausführliche Sachverhaltsdarstellung und Begründung der Kündigung beider Voraufträge, sondern insbesondere auch eine Prognose zur (nicht) zu erwartenden zukünftigen Vertragserfüllung durch die ASt. Wäre die Ag davon ausgegangen, dass das Vorliegen vorangegangener Vertragskündigungen aufgrund Nichterfüllung wesentlicher Verpflichtungen einen zwingenden Ausschlussgrund darstellt, wären solche weiteren Überlegungen nicht erforderlich gewesen. Auch der weitere Vermerk vom 27. Juni 2023 enthält unter […] eine (negative) Prognose und rät von der Beauftragung dieses Angebotes ab, was sich bei Annahme eines zwingenden Ausschlussgrundes erübrigen würde. Die beiden abschließenden Vermerke vom 3. und 4. Juli 2023 nehmen jeweils auf die Prognose Bezug und führen Argumente auf, um die Ausschlussentscheidung zu begründen. Insoweit ist sichergestellt, dass die Ag hier eine Entscheidung getroffen hat, ohne fehlerhaft von einer Bindung infolge eines zwingenden Ausschlussgrundes auszugehen. Der von der ASt insoweit behauptete Fehler liegt somit nicht vor.

Das Ermessen ist auch sachgerecht ausgeübt worden. Insbesondere ist nicht deshalb von einer unvollständigen Sachverhaltsermittlung der Ag auszugehen, weil im Vermerk vom 26. Juni 2023 der Sachverhaltsteil nicht sämtliche Kontakte zwischen Ag und ASt aufführt. So betreffen die von der ASt als unberücksichtigt monierten Kontakte den in der Sachverhaltsdarstellung unter “Detailabstimmungen zur zweiten Dichtungsebene” dargestellten Zeitraum. Entscheidend für die Darstellung der Kündigung des ersten Vertragsverhältnisses betreffend die Dämmarbeiten ist in dieser Sachverhaltsdarstellung dann jedoch der unter “Formaler Ablauf bis zur Kündigung” beschriebene Ablauf, der u.a. die Abhilfeaufforderung vom 9. März 2023, die Mahnung vom 14. März 2023 und das Schreiben vom 20. März 2023 enthält, in dem die Ag u.a. ausdrücklich zur Durchführung der übrigen Arbeiten auffordert, die von den Streitigkeiten betreffend die korrekte Anbindung der Dämmung an Fensterbänke und Gesimse nicht betroffen sind. Im Vermerk auf […] wird dann ausgeführt: “Die wesentlichen Gründe der Kündigung waren, die unberechtigte Leistungsverweigerung (wirksame Behinderungsanzeigen liegen nicht vor) sowie die Weigerung an den wöchentlichen Jour-fixe Terminen teilzunehmen, so dass die Arbeiten nicht mit den anderen vor Ort tätigen Gewerken koordiniert werden konnten.” Die Aufzählung weiterer Schreiben der ASt zur Frage der korrekten Anbindung der Dämmung an den nach Ansicht der ASt bestehenden Problemstellen Fensterbänke und Gesimse hätte nichts daran geändert, dass Behinderungsanzeigen jedenfalls hinsichtlich der von der Ag mit Schreiben vom 20. März 2023 nochmals ausdrücklich zusammengestellten übrigen sieben Arbeitsbereichen nicht vorlagen und eine Teilnahme an den Jour fixes nicht wie geschuldet erfolgt ist. Insoweit ist die Sachverhaltsdarstellung in der Vergabeakte sachgemäß. 

Auch im Übrigen hat die Ag ihr Ermessen sachgerecht ausgeübt. Die Ag stellt auf die von ihr ausgesprochenen Kündigungen ab und auf unterbliebene Maßnahmen der ASt, die für den jetzt ausgeschriebenen Auftrag eine möglichst reibungslose Durchführung erwarten lassen. Unschädlich ist insoweit, dass die Prognoseentscheidung abwertende Urteile zur ASt enthält wie “nicht leistungsfähig” und “nicht leistungswillig” oder “unzuverlässig”. Dies belegt entgegen der Auffassung der ASt nicht, dass die Ag zum Zeitpunkt der Prognoseentscheidung die Ausschlussentscheidung bereits getroffen hatte, sondern begründet vielmehr diese Ausschlussentscheidung. Schließlich hatte die Ag bereits in ihrem Schreiben vom 20. März 2023 Zweifel an der Leistungsfähigkeit der ASt geäußert und dies schlüssig mit den von der Ag aufgeführten übrigen Leistungen begründet, die die ASt habe ausführen können, dies aber nur unzureichend getan habe. Die ASt hatte es nach der hierfür gesetzten Frist bis zum 27. März 2023 in der Hand gehabt, den explizit geäußerten Verdacht der Ag, die ASt sei möglicherweise nicht leistungsfähig, zu zerstreuen, indem sie gemäß der Aufforderung der Ag die Arbeiten aufgenommen bzw. fortgeführt und die Baustelle angemessen besetzt gehabt hätte. Zu Recht hat die Ag auch die Folgen für das Gesamtbauvorhaben, wie längere Standzeiten für Gerüste, Arbeitsunterbrechung im Tiefbau, Vorhaltekosten für z.B. Rollläden, Schadensrisiko für das Gebäude durch Schwitzwasser sowie erhöhte Heizkosten einfließen lassen. 

e) Die Entscheidung, die ASt vom Vergabeverfahren auszuschließen, ist unter Berücksichtigung der Schwere der Pflichtverletzung wie auch des Ausmaßes des dadurch verursachten Schadens verhältnismäßig. 

Die ASt hat es unterlassen, selbst die “unstreitigen” Arbeiten, gegen deren Durchführung sie keine fachlichen Bedenken angemeldet hat, durchzuführen. Dies trotz mehrfacher Aufforderung der Ag, mit den Arbeiten zu beginnen, wobei die Möglichkeit der ggf. auch nur teilweisen Durchführung ebenfalls ausdrücklich im Raum stand. Die Aufforderung der Ag in ihrem Schreiben vom 20. März 2023, die ASt möge mit den dort genannten sieben Leistungen beginnen bzw. diese fortführen und die Baustelle angemessen besetzen, ließen der ASt entsprechenden Spielraum. Gleichzeitig hat die ASt zusätzliche Möglichkeiten, durch Teilnahme an den Jour fixe-Terminen zu einer Problemlösung zu finden oder jedenfalls die Auswirkungen auf die restlichen Bauarbeiten durch Absprachen hinsichtlich der zu erwartenden Verzögerungen zu minimieren, ohne tragfähige Entschuldigung ausgelassen. Die Ag hatte der ASt im Schreiben vom 20. März 2023 eine zusätzliche Frist bis zum 3. April 2023 gesetzt, um die Teilnahme an den regelmäßigen Jour fixe-Terminen sicherzustellen. Dass die Ag die Mitteilung der ASt in ihrer E-Mail vom 28. März 2023, sie halte bis zur weiteren Klärung eine Teilnahme für nicht erforderlich, als eine Verweigerung der der ASt eingeräumten Abhilfemöglichkeit eingeordnet und im Hinblick auf die Kündigung des Dämmauftrags berücksichtigt hat, ferner vor diesem Hintergrund keine Basis für eine vertrauensvolle und zuverlässige Zusammenarbeit mit der ASt in einem auf das streitgegenständliche Vergabeverfahren zu erteilenden Auftrag sah, ist keine unangemessene Vorgehensweise. Die Auswirkungen des Verhaltens der ASt sind in Bezug auf die gekündigten Voraufträge wie bereits dargestellt erheblich. Die Ag hat vor diesem Hintergrund eine Prognose angestellt, nach der sie nachvollziehbar zu der Einschätzung gelangt, dass der ASt eine hinreichende Zuverlässigkeit fehlt, im hier streitgegenständlichen Auftrag mangel- bzw. verzögerungsfrei zu leisten bzw. mit dem Auftraggeber hinreichend zu kooperieren. Wenn der Auftraggeber – wie hier – keine Gewähr für ein kooperatives Zusammenarbeiten infolge der mit hinreichender Gewissheit bejahten Schlechtleistungen und ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen sieht, ist ein Ausschluss nicht unangemessen. Dies auch unter Berücksichtigung der Folgen einer weiteren Verzögerung der Arbeiten, die von einem gemäß der Prognose als unzuverlässig einzuschätzenden Unternehmen ausgehen könnte. Insoweit hat die Ag in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen dargelegt, dass in angrenzenden sanierungsbedürftigen Altbauten zahlreiche Mieter auf den Umzug in die fertigzustellenden Wohnungen warten. In Anbetracht dieser Umstände erscheint der Ausschluss der ASt auch bei Berücksichtigung des wirtschaftlichen Interesses der ASt am Auftrag als verhältnismäßig. 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, 2 und 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 VwVfG.

Die Kosten (Gebühren und Auslagen) wie auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag sind der ASt aufzuerlegen, da sie im Verfahren unterliegt. 

Die Bg hat sich nicht am Verfahren beteiligt und ist damit kein Kostenrisiko eingegangen. Es entspricht daher der Billigkeit, ihr auch keinen Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich ihrer notwendigen Aufwendungen zuzugestehen. 

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Ag war notwendig. Diese Frage ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden. Maßgeblich ist hier, ob die Ag in der Lage gewesen wäre, das für eine sinnvolle Rechtsverteidigung Gebotene gegenüber der Vergabekammer selbst vorzubringen. Hinsichtlich auftragsbezogener Sach- und Rechtsfragen hat sich die Vergabestelle die erforderlichen Rechtskenntnisse zu verschaffen und bedarf daher grundsätzlich keiner anwaltlichen Unterstützung. Vorliegend ist der Ausschluss eines Bieters aufgrund vorheriger Schlechtleistungen zu prüfen. Dabei handelt es sich im Ausgangspunkt um eine Frage, die in jedem Vergabeverfahren auftreten kann und die daher als zum originären Aufgabengebiet einer Vergabestelle zugehörig zu qualifizieren ist. Besonders zu berücksichtigen ist, dass die Ag über ein eigenes Justiziariat verfügt, welches auch die mündliche Verhandlung vor der Vergabekammer begleitet hat. Gleichzeitig ist jedoch zu berücksichtigen, dass für die Prüfung des Ausschlussgrundes des § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A auch außervergaberechtliche Fragestellungen zu beantworten waren, da die Rechtmäßigkeit der beiden vorangegangenen Kündigungen nicht gerichtlich bestätigt war. Erforderlich war für die Ag daher eine Entscheidung in der komplexen Gemengelage von Vergaberecht und Bauvertragsrecht unter Berücksichtigung der für das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes erforderlichen Sicherheit hinsichtlich des Vorliegens der Schlechtleistungen. Dies stellt eine besondere Schwierigkeit des vorliegenden Falles dar und rechtfertigt die Zuziehung spezialisierter anwaltlicher Bevollmächtigter. Auch der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit zur ebenfalls anwaltlich vertretenen ASt stützt dieses Ergebnis. 

IV.

(…)

Kurz belichtet

Kurz belichtet

Nachweis der Leistungsfähigkeit bei Eignungsleihe nicht erst nach Auftragsvergabe

EuGH, Beschluss vom 10.01.2023 – Rs. C-469/22

Art. 63 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit Art. 59 und dem 84. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24/EU ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nehmen möchte, die Unterlagen über die Befähigung dieses Unternehmens und dessen verpflichtende Zusage erst nach der Auftragsvergabe einreichen muss.

Verzug und/ oder Mängel bei früherem Auftrag sind ein Ausschlussgrund

VK Bund, Beschluss vom 17.08.2023 – VK 2-56/23

Der öffentliche Auftraggeber kann ein Bieterunternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen kann, wenn es eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt und dies u. a. zu einer vorzeitigen Beendigung geführt hat. Eine wesentliche Anforderung wird u. a. bei Nichtleistung sowie bei erheblichen Mängeln der ausgeführten Bauleistung, die sie für den beabsichtigten Zweck unbrauchbar machen, nicht erfüllt.

Preis ungewöhnlich niedrig: Bieter muss „Seriosität“ des Angebots nachweisen

OLG Schleswig, Beschluss vom 19.07.2023 – 54 Verg 3/23

Kann der öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Preisprüfung die geringe Höhe eines angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären, darf er den Zuschlag auf dieses Angebot ablehnen. Die Verwendung des Verbs “dürfen” ist nicht so zu verstehen, dass es im Belieben des Auftraggebers steht, den Auftrag trotz weiterbestehender Ungereimtheiten doch an den betreffenden Bieter zu vergeben. Die Ablehnung des Zuschlags ist vielmehr grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären kann. Auf die Aufforderung des Auftraggebers hin hat der Bieter Gelegenheit, den Nachweis der “Seriosität” seines Angebots zu erbringen. Der Bieter muss konkrete Gründe darlegen, die den Anschein widerlegen, dass sein Angebot nicht seriös ist. Dazu muss er seine Kalkulation und deren Grundlagen erläutern. Die Erläuterungen des Bieters müssen umfassend, in sich schlüssig und nachvollziehbar sowie gegebenenfalls durch geeignete Nachweise objektiv überprüfbar sein. Formelhafte, inhaltsleere bzw. abstrakte Erklärungen ohne Bezug zu den einzelnen Positionen, wie etwa allgemeine Hinweise auf innerbetriebliche Strukturen oder wirtschaftliche Parameter, reichen nicht aus, um die Seriosität des Angebots nachzuweisen. Ohne Ausübung eines Ermessens hat der Auftraggeber ein Angebot abzulehnen, wenn er festgestellt hat, dass der Preis oder die Kosten des Angebots ungewöhnlich niedrig sind.

Mündliche Kommunikation mit Bietern muss hinreichend dokumentiert werden

VK Sachsen, Beschluss vom 28.07.2023 – 1/SVK/011-23

Ein öffentlicher Auftraggeber ist verpflichtet, die mündliche Kommunikation mit Bietern, die Einfluss auf Inhalt und Bewertung der Angebote haben könnte, in hinreichendem Umfang und in geeigneter Weise zu dokumentieren. In sich widersprüchliche Angebote dürfen ohne vorherige Aufklärung des Angebotsinhalts weder bezuschlagt noch ausgeschlossen werden. Der öffentliche Auftraggeber hat vielmehr den betreffenden Bieter zu einer Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufzufordern und ihm Gelegenheit zu geben, die Widersprüchlichkeit nachvollziehbar auszuräumen. Lässt der Bieter die ihm gesetzte angemessene Frist zur Aufklärung ohne Antwort verstreichen oder legt er lediglich untaugliche Unterlagen vor, oder gibt er untaugliche Antworten, kann dieses Verhalten als Verweigerung der Mitwirkung an der Aufklärung gewertet werden, was für sich genommen bereits einen Ausschlussgrund darstellen kann.

Rüge “ins Blaue” hinein: Nachprüfungsantrag unzulässig

VK Hessen, Beschluss vom 26.06.2023 – 96 e 01.02/23-2023

Die Anforderungen an die Darlegung einer Vergaberechtsverletzung bzw. an die Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber dürfen nicht zu hoch angesetzt werden. Ein Mindestmaß an Substanziierung ist jedoch einzuhalten. Reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen (sog. Rüge ins Blaue hinein) reichen nicht aus. Die bloße Behauptung eines Mitbewerbers, der Bestbieter erfülle die Anforderungen der Ausschreibung nicht und sei daher auszuschließen, ohne Anhaltspunkte oder Indizien darzulegen, aus denen er diese Erkenntnis nimmt, erfüllt nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge.

Ausschreibungsfreie “Schwester-Schwester-Vergabe” nur bei alleiniger Kontrolle

OLG Naumburg, Beschluss vom 03.06.2022 – 7 Verg 1/22

Die Ausschreibungsfreiheit eines Vertrags nach § 108 Abs. 3 Alt. 2 GWB (sog. Schwester-Schwester-Vergabe) ist davon abhängig, dass die beiden vertragsschließenden juristischen Personen von demselben öffentlichen Auftraggeber kontrolliert werden. An einer solchen Identität des kontrollierenden öffentlichen Auftraggebers fehlt es, wenn zwar die zu betrauende Einrichtung von dem öffentlichen Auftraggeber i.S.v. § 108 Abs. 1 Nr. 1 GWB kontrolliert wird, aber die beauftragende juristische Person von diesem öffentlichen Auftraggeber nur gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern i.S.v. § 108 Abs. 4 GWB kontrolliert wird.

OLG Frankfurt zur Frage der Korrektur einer vergaberechtswidrigen Wertung in einer späteren Phase des Vergabeverfahrens

OLG Frankfurt zur Frage der Korrektur einer vergaberechtswidrigen Wertung in einer späteren Phase des Vergabeverfahrens

Ein Vertrauen der Bieter auf die Beibehaltung einer vergaberechtswidrigen Wertung ist nicht schützenswert. Die Vergabestelle kann deshalb grundsätzlich eine Wertung, nach der ein Bieter wegen fehlender Eignung ausgeschlossen wurde, in einer späteren Phase des Vergabeverfahrens korrigieren, wenn sie vergaberechtswidrig ist.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.2.2009, 11 Verg 16/08

Gründe

I. Die Antragsgegnerin gab am 4.10.2007 die Vergabe von Bauarbeiten für die Straßenbahnanbindung “A” in der Stadt … europaweit bekannt. In einem Vermerk der mit der technischen Prüfung beauftragten Ingenieurgesellschaft vom 30.1.2008 „Prüfung und Wertung der Angebote zur Ausschreibung“ -(Bl. 219 ff. d.A.) – heißt es unter 2. Prüfung der Eignung in Bezug auf Bieter Nr. 9 ( Beigeladene): „ … Für die Tiefbauarbeiten in geschlossenen Bauweisen aus dem Los 3 liegt der entsprechende Nachweis nach RAL Gütezeichen Kanalbau VO nicht vor. Aus den vorgelegten Referenzobjekten sind solche Arbeiten nicht zu entnehmen, damit auch keine Fachkunde und Leistungsfähigkeit nachvollziehbar dargestellt. … “

Im selben Vermerk heißt es unter 8. Vergaberelevante Hinweise:

„Bieter 9 hat in einem Bietergespräch zu folgenden Punkten Aufklärung zu verschaffen: … Aufklärung über die Art der Ausführung der Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise (siehe auch Kapitel 2 Eignung der Bieter) …“ In einem ebenfalls das Datum 30.1.2008 tragenden „Ergänzungsbericht (nach den Erläuterungsgesprächen)“ – (Bl. 238 ff. d.A.) – heißt es unter 3. Zusammenfassung der Ergebnisse Bieter Nr. 9:

„3.2 Aufklärung über zu erbringende Eigenleistungen und Nachunternehmerleistungen In einem Bietergespräch wurde die Bietergemeinschaft gebeten, nochmals einige Erläuterungen bzgl. einiger fachspezifischen Leistungen aus den Losen 1 bis 6 anzugeben, ob diese in Eigenleistung ausgeführt werden. … Bzgl. der Kanalbauarbeiten (offene Bauweisen) aus Los 3 und Los 4 teilte der Bieter im Erläuterungsgespräch mit, dass diese Arbeiten in Eigenleistung erbracht werden. Mit Schreiben vom 30.1.2008 (Anlage C) wurde durch den bevollmächtigten Vertreter der Bietergemeinschaft –Hr. B von C Bau – mitgeteilt, dass es der Bietergemeinschaft nicht möglich ist, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen. Wir möchten darauf hinweisen, dass aus formalen Gründen die Bietergemeinschaft aus dem Vergabeverfahren auszuschließen ist.

3.3 Aufklärung über Ausführung der Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise
Wie auch in der Niederschrift zum Erläuterungsgespräch festgehalten ist, teilte die Bietergemeinschaft mit, dass diese Arbeiten in Eigenleistung ausgeführt werden. Im Rahmen des Erläuterungsgesprächs wurde seitens der Bietergemeinschaft mitgeteilt, dass die gewünschten Nachweise für die Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise innerhalb der Unternehmen vorliegen. Seitens des AG erfolgte einvernehmlich die Einräumung einer Nachlieferungsfrist für die bisher nicht vorgelegten Nachweise bis 30.1.2008, 12:00 Uhr. In einem weiteren Schreiben vom 30.1.2008 (per Fax: Eingang 12.32 Uhr, siehe auch Anl. E) erfolgte die aus Sicht der Bietergemeinschaft als nicht verpflichtend angesehene Nachsendung der Nachweise zum Stollenbau. Der Nachweis der Fachkunde konnte auf der Basis der vorgelegten Unterlagen nicht eindeutig nachgewiesen werden, da die vorgelegten Unterlagen aus technischer Sicht die Art und den Umfang der ausgeschriebenen Leistungen nicht ausreichend sicherstellen.

Aufgrund der o.g. Punkte ist die Eignung des Bieters Nr. 9 für das Los 3 und 4 als nicht gegeben anzusehen.“

Abschließend heißt es in dem ergänzenden Bericht:

„5 Angebotsbeurteilung der Bieter Nr. 7 und 9 nach Erläuterungsgesprächen

Da der Bieter Nr. 9 sowohl aus den zuvor genannten formalen Gründen (s. Pkt. 3.2) und des fehlenden Eignungsnachweises für die Teilleistungen „Tiefbau geschlossene Bauweise“ ( siehe Punkt 3.3) aus dem Vergabeverfahren auszuschließen wäre, empfehlen wir die Vergabe der in den Losen 1 bis 6 ausgeschriebenen Leistungen an den auf Rang 2 liegenden Bieter…“.

Das in diesem Vermerk erwähnte Schreiben der C Bau GmbH & Co. KG vom 30.1.2008 (Anlage Bf. 3 = GA 76) lautet:

„… wir bedauern sehr Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir die von Ihnen geforderten Nachweise und Zertifikate für eigenes Fachpersonal, für die in Los 3 und 4 beschriebenen Stollenbauarbeiten nicht nachweisen können. Ebenso ist es uns nicht möglich, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen, welche wir bei Angebotsabgabe nicht benannt haben. …“

Das in dem Ergänzungsbericht erwähnte weitere Schreiben (Fax) der Beigeladenen vom 30.1.2008 enthält als Anlage eine Liste von Referenzobjekten zum Stollenbau.

Im Schreiben der Antragsgegnerin vom 31.1.2008, mit welchem sie der Beigeladenen mitteilte, dass deren Angebot aus der Wertung ausgeschlossen werden müsse, heißt es u.a. (Anl. Bf 5 = GA 78 f):

„Unabhängig von den Gründen des Ausschlusses möchten wir Sie darüber informieren, dass der Versuch des Nachweises der Fachkunde durch die von Ihnen per Fax 30.1. vorgelegten Unterlagen, weder eindeutig noch ausreichend ist, den in den Ausschreibungsunterlagen gestellten Anforderungen zu genügen“

In der Vorlage zu Punkt 4 der TO der Geschäftsführersitzung 06/2008 am 11.2.2008 (Anl. AG 6 – vertraulich) heißt es u.a. (dies zitiert die Antragsgegnerin):

„ Die auf Platz 1 liegende Bietergemeinschaft hatte keinen Nachweis zur Eignung und Fachkunde eingereicht und erhielt im Erläuterungsgespräch die Gelegenheit, den Nachweis zu erbringen. Dies ist der Bietergemeinschaft nicht gelungen, was zum formalen Ausschluss gemäß der VOB-Richtlinien führte.“

Mit Telefax vom 11.2.2008 (Bl. 39 VK) informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin, sie beabsichtige deren Angebot nach Ablauf der Frist des § 13 VgV anzunehmen.

Unter dem 19.2.2008 (Bl. 40 VK) teilte die Antragsgegnerin den Bietern dann mit, die Ausschreibung werde aufgehoben, weil kein Angebot eingegangen sei, das den Ausschreibungsbedingungen entspreche, und ein anderer schwerwiegender Grund in Form der Unwirtschaftlichkeit einer Bezuschlagung bestehe.

Mit Telefax vom selben Tag (Bl. 41 VK) teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie ihr Angebot von der Wertung habe ausschließen müssen, weil sie nicht über das geforderte Zertifikat RAL-GZ 962 verfüge. Mit Schreiben vom 21.2.2008 (Bl. 43 VK) rügte die Antragstellerin die Aufhebung des offenen Verfahrens und machte geltend, ihr Angebot sei annehmbar und bezugschlagbar. Die Forderung eines Gütezeichens verstoße in einem europaweit durchgeführten Wettbewerb gegen das Diskriminierungsverbot, da es sich um eine rein nationale Zertifizierung handele. Der Nachweis habe überdies nicht verlangt werden dürfen, weil er nicht bereits in der Bekanntmachung gefordert worden sei. Der Grund für die Aufhebung des offenen Verfahrens sei in keiner Weise für sie nachvollziehbar. Da die Antragsgegnerin der Rüge nicht abgeholfen hat, leitete die Antragstellerin am 4.3.2008 ein Nachprüfungsverfahren ein.

Die Vergabekammer hat diese Nachprüfungsanträge mit Beschluss vom 22.4.2008 zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat der Senat durch Beschluss vom 15.7.2008 (11 Verg 4/08) diesen Beschluss der Vergabekammer (Az.: 69 d VK -12/2008) aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, die Ausschlussentscheidung gegenüber der Antragstellerin zurückzunehmen und die Antragstellerin wieder zum Vergabeverfahren zuzulassen. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, die Antragsgegnerin habe die Antragstellerin zu Unrecht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen, weil sie mit ihrem Angebot nicht auch den geforderten Gütesicherungsnachweis RAL-GZ 962 vorgelegt hat. Die Anforderung des Gütenachweises sei vergaberechtswidrig gewesen, der Ausschluss der Antragstellerin habe deshalb nicht auf den fehlenden Nachweis gestützt werden dürfen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der Begründung wird auf den Senatsbeschluss vom 15.7.2008 (Anl. Bf 1 = GA 39 ff.) Bezug genommen.

Die Antragsgegnerin hat daraufhin beschlossen, die Aufhebung des offenen Verfahrens zurückzunehmen und das Verfahren in den Stand vor der erstmaligen Bieterinformation von Februar 2008 zurückzuversetzen. Zugleich hat sie den Ausschluss des Angebots der Beigeladenen zurückgenommen und unter dem 2.7.2008 der Antragstellerin mitgeteilt, sie beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, da es das wirtschaftlichste sei.

In einem Vermerk vom 29.7.2008 (Anl. AG 1 = GA 173) heißt es:

„…konnte sich die Vergabestelle bei der Prüfung der Unterlagen zulässigerweise nur auf die tatsächlich von den Bietern vorgelegten Unterlagen stützen. Diese Unterlagen stellten indes eine ausreichende Tatsachengrundlage für eine ordnungsgemäße Eignungsprüfung dar, insbesondere lagen zum Nachweis der jeweiligen Fähigkeiten jeweils zahlreiche Referenzen aus vergleichbaren Projekten sowie die Ausbildungs- und Qualifikationsnachweise der jeweiligen Mitarbeiter einschließlich der Eintragungen in das Berufsregister vor. Mithin waren unabhängig von den fehlenden formalen Nachweisen ausreichende materielle Nachweise für eine Prüfung und Feststellung der Eignung gegeben….“

Nachdem die Antragstellerin mit Telefax vom 4.7.2008 die beabsichtigte Zuschlagserteilung gerügt und die Antragsgegnerin der Rüge nicht abgeholfen hat, hat sie am 14.7.2008 ein weiteres Nachprüfungsverfahren eingeleitet.

Die Antragstellerin hat beantragt, 1. der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Bietergemeinschaft C/D-E zu erteilen, 2. hilfsweise, Zuschlag auf das Angebot der Bietergemeinschaft C/D-E zu erteilen, 2. hilfsweise, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen, 3. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist 4. die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 05.9.2008 zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss (Anl. Bf 2 = GA 62 ff.) Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt:

Der angefochtene Beschluss vermittle den unzutreffenden Eindruck, der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen sei allein wegen des fehlenden RAL-Gütezertifikats erfolgt. Bei der formalen Wertung auf der ersten Wertungsstufe seien tatsächlich aber zahlreiche Gründe festgestellt worden, die gegen eine Eignung der Beigeladenen sprächen. Das Mitglied der Beigeladenen, die C GmbH und Co KG, habe zudem mit Schreiben vom 30.1.2008 selbst mitgeteilt, dass sie die geforderten Nachweise und Zertifikate für eigenes Fachpersonal für die in Los 3 und 4 beschriebenen Stollenbauarbeiten nicht nachweisen könne. Ebenso sei es ihr nicht möglich, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen, welche sie jedoch bei Angebotsabgabe nicht benannt habe. Dieses Schreiben habe die Antragsgegnerin bei der Wertung der Angebote gemäß Ziffer 3.2 ihres Ergänzungsberichts vom 30.1.2008 auch berücksichtigt und dementsprechend mit Schreiben vom 31.1.2008 die Beigeladene vom weiteren Verfahren ausgeschlossen.

Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, nach Angebotsabgabe auftretende Hinweise auf die mangelnde Eignung eines Bieters zu berücksichtigen. Dies gelte erst recht für eigene Erklärungen des Bieters. Das Schreiben der C GmbH und Co. KG vom 30.1.2008 sei der Beigeladenen gemäß § 164 BGB zuzurechnen, da die C GmbH & Co. KG bevollmächtigte Vertreterin der Beigeladenen ist. Die Erklärung sei von der C GmbH & Co KG im Namen der Bietergemeinschaft abgegeben worden. Deshalb könnten sich die Aussagen über die mangelnde Eignung der in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten nur auf die Bietergemeinschaft insgesamt beziehen. Der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen sei mithin erfolgt, weil sie selbst erklärt habe, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten weder selbst ausführen zu können, noch mit dem Angebot Nachunternehmererklärungen vorgelegt habe. Ein Zusammenhang mit den RAL-Zertifikaten bestehe nicht.

Die Antragstellerin beantragt,

1. die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Landes Hessen beim Regierungspräsidium Darmstadt vom 5. September 2008 – Az.: 69 d – VK – 39/2008 aufzuheben,
2. der Beschwerdegegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen,
3. hilfsweise die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die von dem angerufenen Senat festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen,

Die Antragsgegnerin beantragt,

1. die Anträge der Antragstellerin abzuweisen,
2. die Kosten des Nachprüfungsverfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen,
3. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin notwendig war.

Die Antragsgegnerin trägt vor, nach der Rechtsauffassung des Senats dürfe sie die Gütezeichen RAL 961 und 962 von den Bietern mangels ausreichender

Bekanntmachung nicht fordern. Sie habe daher eine neue Eignungsprüfung auf der Grundlage der von den Bietern eingereichten Unterlagen durchgeführt. Auf der Grundlage dieser Unterlagen sei sie zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beigeladene zur Ausübung der geforderten Leistungen in der Lage sei.

Insbesondere habe sich zweifelsfrei gezeigt, dass die Beigeladene die von den

Gütezeichen RAL 961 und 962 (Kanalbau in Stollenbauweise, Kabelleitungstiefbau)

Gütezeichen RAL 961 und 962 (Kanalbau in Stollenbauweise, Kabelleitungstiefbau)

umfassten Leistungen mit eigenem Fachpersonal auszuführen in der Lage sei, wie sich aus dem Vergabevermerk vom 29. Juli 2008 ergebe. Der seinerzeitige Ausschluss sei ausschließlich aufgrund der Tatsache erfolgt, dass die Beigeladene nicht über die geforderten Gütezeichen verfüge und die Leistungen deshalb nicht selbst erbringen konnte. Infolgedessen hätte sie die relevanten Leistungen nur mit Nachunternehmern, die über ein entsprechendes Zertifikat verfügen, erbringen können. Solche habe sie im Angebot nicht benannt. Andere Ausschlussgründe habe es nicht gegeben.

Die Vermerke der beratenden Ingenieursgesellschaft BGS vom 30.1.2008 seien nicht maßgebend, weil die Antragsgegnerin sich diese nicht zu Eigen gemacht habe. Die Einschätzung im Prüfbericht der externen Firma sei ihr nicht zuzurechnen. Die Antragsgegnerin habe allein aufgrund des Vergabevermerks vom 4.2.2008 (Anl. AG 5) und der Vorlage zu Punkt 4 der TO der Geschäftsführersitzung 06/2008 am 11.2.2008 (Anl. AG 6) entschieden. Dies ergebe sich aus der Ergebnisniederschrift zu dieser Sitzung (Anl. AG 7).

Maßgebend seien allein das fehlende RAL-GZ 961 (Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise) und die fehlenden Nachunternehmernachweise gewesen. Über die materielle Eignung, die sich aus den Referenzen ergibt, habe sie sich keine irgendwie verfestigte Meinung gebildet. Dies belege die Vorlage zu Punkt 4 der TO der Geschäftsführersitzung 06/2008 am 11.2.2008 (Anl. AG 6). Im Gegensatz zum RAL-GZ 962 (Kabeltiefbauarbeiten), das der Antragstellerin fehlte, habe das RAL-GZ 961 (Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise) eine deutlich größere Bedeutung gehabt, da eine 30 m lange Unterquerung einer verkehrsreichen Hauptstraße zu erstellen sei. Aus der Absicht, den Zuschlag der Antragstellerin trotz Fehlens des RAL-GZ 962 zu erteilen, könne daher kein Rückschluss auf die Willensbildung der Antragsgegnerin erfolgen.

Eine ergänzende Eignungsprüfung sei bis zum Zuschlag möglich. Jedenfalls aber könne die Verneinung der Eignung nicht auf die unzureichenden Referenzen gestützt werden, da nicht bekannt gemacht worden sei, dass deren Vorlage erforderlich ist. Maßgebend müssten daher die tatsächlich vorgelegten Unterlagen und nicht die geforderten Referenzen sein. Die Vergabestelle sei auch nicht an ihre ursprüngliche Beurteilung der Eignung gebunden.

Sie, die Antragsgegnerin, habe die vollumfängliche Eignung der Beigeladenen im Rahmen der neuen Eignungsprüfung positiv festgestellt. Tatsachen, die einer Eignung der Beigeladenen entgegenstünden, lägen nicht vor. Da die Beigeladene das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe, sei ihr der Zuschlag zu erteilen. Die neue Eignungsprüfung sei allein auf die von den Bietern schon mit dem Angebot eingereichten Unterlagen gestützt worden. Die Entscheidung über die Eignung der Beigeladenen sei auf Grundlage der als Anlagen AG 10a und 10b zur Akte gereichten Unterlagen erfolgt. Entsprechend sei bei der Antragstellerin an Hand der als Anlage 11a und 11b zur Akte gereichten Unterlagen verfahren worden. Die Feststellung sowohl der Eignung der Antragstellerin wie der Beigeladenen beruhe somit auf vergleichbaren Unterlagen.

Das Schreiben der C GmbH & Co. KG vom 30.1.2008 stehe dem nicht entgegen.

Es sei keineswegs in dem von der Antragstellerin behaupteten Sinne gemeint.

Andere Ausschlussgründe als das Fehlen der Gütezeichen RAL 961 und 962 habe es nicht gegeben. Damit stehe fest, dass die Beigeladene infolge des vom Senat vorgegebenen Verzichts auf das Gütezeichen RAL 962 selbst ausführen könne.

Die Beigeladene beantragt,

1. die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Landes Hessen beim Regierungspräsidium Darmstadt vom 5. September 2008 – Az.: 69 d – VK – 39/2008 zurückzuweisen,
2. die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin aufzuerlegen,
3. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladene notwendig war.

Die Beigeladene trägt vor, sie habe der Antragsgegnerin im Rahmen eines Bietergesprächs am 29.1.2008 dargelegt, dass alle im Leistungsverzeichnis beschriebenen Stollen- und Kanalbauarbeiten durch das Mitglied der Bietergemeinschaft D-E GmbH & Co. KG durchgeführt würden, weil das andere Mitglied, die C GmbH & Co. KG, nicht in der Lage sei, diese Arbeiten auszuführen.

Mitglied, die C GmbH & Co. KG, nicht in der Lage sei, diese Arbeiten auszuführen.

Die Antragsgegnerin habe daraufhin die D-E GmbH & Co KG aufgefordert, ihre Eignung zur Vornahme der im Los 3 und 4 beschriebenen Stollenbauarbeiten mittels Nachweisen und Zertifikaten zu belegen. Diesbezügliche Nachweise seien weder in den Verdingungsunterlagen noch in der Bekanntmachung gefordert worden. Die Vorgehensweise der Antragsgegnerin sei deshalb als vergaberechtswidrig gerügt worden. Zusätzlich habe die C GmbH & Co. KG gegenüber der Antragsgegnerin nochmals bestätigt, dass sie mangels eigener fachlicher Eignung nicht in der Lage sei, die Arbeiten durchzuführen. Da dies nur die fachliche Eignung des ersten Mitglieds der Bietergemeinschaft betroffen habe, sei die Erklärung nicht auf dem Briefkopf der Bietergemeinschaft abgegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die zulässige Beschwerde (§§ 116, 117 GWB) hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Vergabekammer hat den zulässigen Nachprüfungsantrag zutreffend als unbegründet zurückgewiesen.

Die Antragstellerin kann nicht mit Erfolg geltend machen, die Absicht der Antragsgegnerin, den Zuschlag der Beigeladenen zu erteilen, sei vergaberechtswidrig.

Die Antragsgegnerin durfte nach erneuter Prüfung die Eignung der Beigeladenen bejahen.

Die Antragsgegnerin war nicht gehindert, die Eignung der Beigeladenen erneut zu prüfen.

Welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Eignung maßgeblich ist, ist umstritten.

Teilweise wird vertreten, Eignungsgesichtspunkte könnten generell auch zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt werden.

Nach anderer Auffassung müssen die Kriterien der Fachkunde und der Zuverlässigkeit spätestens zum Zeitpunkt der Angebotswertung vorliegen (OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.12.2007, Verg W 21/07 zit. nach juris; zum Meinungsstreit vgl. etwa Müller-Wrede/Noch, VOL/A 2. Aufl. § 25 Rn. 189 ff.)

Nach einer weiteren Auffassung ist hinsichtlich aller Eignungsmerkmale im Interesse der Transparenz, der Gleichbehandlung und des fairen Wettbewerbs allein auf den Zeitpunkt der Angebotsabgabe abzustellen.

Unabhängig davon stellt sich hier die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine bereits durchgeführte Eignungsprüfung wiederholt und ggfs. revidiert werden kann.

Grundsätzlich ist der Auftraggeber an eine einmal getroffene Ermessensentscheidung zur Eignung eines Bieters gebunden (OLG Frankfurt, VergabeR 01, 243), wenn er in Ausübung seines Beurteilungsspielraums die Zuverlässigkeit, fachliche Eignung und Leistungsfähigkeit bejaht hat (Weyand, Vergaberecht, 2. Aufl., § 97 GWB Rn. 809 ff).

Eine erneute Eignungsprüfung kann allerdings geboten sein, wenn der Auftraggeber andernfalls einem ungeeigneten Bieter den Auftrag erteilen müsste.

Ein nach Angebotsabgabe eintretender Wegfall der Eignung ist danach stets beachtlich. Werden dem Auftraggeber nachträglich solche Umstände bekannt, so muss er seine Wertung wiederholen. Das Wettbewerbsinteresse bzw. das Interesse der Allgemeinheit daran, dass nur geeignete Unternehmen die Leistung ausführen, überwiegt gegenüber dem Vertrauensinteresse des Bieters (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.07.2003 Verg 11/03; Beschl. v. 5.5.2004 – VII Verg 10/04; Weyand, a.a.O. Rn. 809 ff).

Es ist darüber hinaus grundsätzlich unbedenklich und kann sogar geboten sein, eine Eignungsprüfung nachträglich zu korrigieren, wenn sich zwischenzeitlich aufgrund neuer Erkenntnisse herausgestellt haben sollte, dass die ursprüngliche Eignungsprüfung letztlich auf falschen Tatsachen beruhte (Weyand, a.a.O. Rn. 810 m.w.N.).

Das gilt grundsätzlich nicht nur für Umstände, die die bereits bejahte Eignung eines Bieters in Frage stellen, sondern muss umgekehrt auch Geltung eines Bieters in Frage stellen, sondern muss umgekehrt auch Geltung beanspruchen in Fällen, in denen die Eignung eines Bieters aufgrund „falscher Tatsachen“ zunächst verneint worden war. Denn der öffentliche Auftraggeber ist nicht gehindert, im Zuge einer ihm durch die Nachprüfungsinstanzen aufgegebenen erneuten Angebotswertung bislang vorhandene Wertungsfehler zu beseitigen. Das gilt unabhängig davon, ob sie Gegenstand der betreffenden Nachprüfungsentscheidung waren oder nicht. Ein Vertrauen der Bieter auf Beibehaltung der bisherigen vergaberechtswidrigen Wertung ist rechtlich nicht schützenswert und deshalb schon aus Rechtsgründen nicht anzuerkennen (Weyand, a.a.O. Rn. 807 m.w.N.).

So liegt der Fall auch hier. Vorliegend war die Antragsgegnerin an ihre frühere Eignungsprüfung, aufgrund derer die Beigeladene ausgeschlossen wurde, nicht gebunden, weil sie vergaberechtswidrig war und auf falschen Voraussetzungen beruhte. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass die Forderung nach dem RAL – Gütezeichen 961 – wie der Senat für das Zeichen RAL 962 entschieden hat (Beschl. v. 15.07.2008 11 Verg 4/08). – vergaberechtswidrig war. Darüber hinaus war auch die Forderung nach weiteren Referenzunterlagen anlässlich des „Aufklärungsgesprächs“ am 29.01.2008 vergaberechtswidrig, so dass die nachgereichten Unterlagen ebenso wenig zur Eignungsprüfung hätten verwendet werden dürfen (VK Bund, Beschluss v. 04.09.2007, VK 1 – 89/07, IBR 2008, 43). Nicht – ordnungsgemäß – mit der Bekanntmachung geforderte Unterlagen, die ein Bieter gleichwohl vorlegt, darf der Auftraggeber für die Prüfung der Eignung jedenfalls zu Lasten eines Bieters nicht heranziehen.

Zwar ist die Beigeladene gegen ihren Ausschluss nicht mit einer Rüge bzw. einem Nachprüfungsverfahren vorgegangen. Die Vergabestelle kann aber – wie dargelegt – von sich aus Mängel des Verfahrens in einem späteren Stadium korrigieren, soweit sie dabei die allgemeinen Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung beachtet. Gegen ihre Vorgehensweise, das (vergaberechtswidrig) ausgeschlossene Angebot der Beigeladenen wieder in die Wertung mit einzubeziehen, nachdem der Senat entschieden hatte, dass bei der Eignungsprüfung das RAL Gütezeichen nicht hätte berücksichtigt werden dürfen, sind vergaberechtliche Bedenken deshalb weder ersichtlich noch geltend gemacht worden. Auch die Antragstellerin hat nicht grundsätzlich gerügt, dass das Angebot der Beigeladenen überhaupt wieder in die Wertung einbezogen worden ist. Eine neue Eignungsprüfung der Beigeladene ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin auch nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil sich die Beigeladene mit Schreiben vom 30.1.2008 unabhängig von den vergaberechtswidrig geforderten RAL-Gütezeichen selbst für ungeeignet erklärt hätte.

Das Schreiben der C Bau GmbH & Co. KG vom 30.1.2008 (GA 76) bezieht sich insgesamt nur auf die Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise. Denn für die Kanalbauarbeiten in offener Bauweise hatte die Beigeladene das RAL-GZ 961 Anforderungen Gruppe AK1 und AK 2 mit den Angebotsunterlagen (Anlage 5.1) vorgelegt. Auch war Gegenstand des Erläuterungsgesprächs am 29.1.2008 nur der Nachweis der eigenen Fachkunde der Beigeladenen für die Ausführung der Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die C Bau GmbH & Co. KG der Antragsgegnerin durch das vorerwähnte Schreiben mitteilt, die Beigeladene könne weder die geforderten Zertifikate für eigenes Fachpersonal nachweisen, noch die Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise mit RAL-zertifizierten Nachunternehmern ausführen, weil deren Benennung in den Angebotsunterlagen unterblieben ist.

Ausgehend davon bezieht sich auch die Feststellung unter 3.2 des Ergänzungsberichts vom 30.1.2008, wonach mit Schreiben vom 30.1.2008 (Anlage C) mitgeteilt worden sei, dass es der Bietergemeinschaft nicht möglich sei, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen, auf die Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise. Insofern ist der sich an diese Feststellung anschließende Hinweis folgerichtig, dass aus formalen Gründen – nämlich wegen der fehlenden RAL-Zertifikate Anforderungen Gruppe VO für die geschlossene Bauweise – die Beigeladene aus dem Vergabeverfahren auszuschließen ist.

Aus dem Ergänzungsbericht vom 30.1.2008 (Punkt 3.3) wie aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 31.1.2008 (Anl. Bf 5 = GA 78 f), mit welchem sie der Beigeladenen mitteilte, dass deren Angebot aus der Wertung ausgeschlossen Beigeladenen mitteilte, dass deren Angebot aus der Wertung ausgeschlossen werden müsse, geht zwar hervor, dass die Eignung der Beigeladenen auch im Hinblick auf die mit dem weiteren Schreiben vom 30.1.2008 nachgereichten Unterlagen verneint wird.

Die Verwertung dieser nachgeforderten Unterlagen zum Nachteil der Beigeladenen war jedoch – wie ausgeführt – nicht zulässig, weil es der Vergabestelle grundsätzlich nicht erlaubt ist, Nachweise für die Prüfung eines Eignungsmerkmals heranzuziehen, die von den Bietern tatsächlich vorgelegt wurden, obwohl dies in der Bekanntmachung nicht gefordert war (VK Bund, Beschluss v. 04.09.2007, VK 1 – 89/07, IBR 2008, 43).

Der Vergabevermerk vom 29.7.2008 steht auch nicht im Widerspruch zu den früheren Feststellungen im Schreiben der Antragsgegnerin vom 31.1.2008. Die tatsächlich von den Bietern vorgelegten Unterlagen, auf die dieser Vermerk abstellt, sind nicht die mit dem Schreiben vom 30.1.2008 nachgereichten Unterlagen. Bei den zum Nachweis der jeweiligen Fähigkeiten vorgelegten Referenzen aus vergleichbaren Projekten sowie den Ausbildungs- und Qualifikationsnachweisen der jeweiligen Mitarbeiter handelt es sich vielmehr um die als Anlagen AG 10a und 10b zur Akte gereichten Unterlagen. Soweit ein Dokumentationsmangel darin begründet sein sollte, dass aus dem Vergabevermerk vom 29.7.2008 nicht ohne weiteres ersichtlich war, auf welche Unterlagen die Antragsgegnerin abgestellt hat, kann dies nicht zu Gunsten der Antragstellerin berücksichtigt werden, da diese einen Dokumentationsmangel nicht gerügt hat.

Die von Anfang an mit den Angebotsunterlagen eingereichten Eignungsunterlagen durfte die Antragsgegnerin – ebenso wie bei der Antragstellerin – als Erkenntnisgrundlage verwerten. Es lag im Rahmen ihres Prüfungsermessens, diese Unterlagen als eine ausreichende Tatsachengrundlage für eine ordnungsgemäße Eignungsprüfung anzusehen. Diese Unterlagen lagen zwar schon im Zeitpunkt der ersten Prüfung vor. Die erste Wertung, die zur Verneinung der Eignung der Beigeladenen führte, beruht jedoch nicht auf diesen Unterlagen, sondern – wie dargelegt – auf dem fehlenden RAL – Gütezeichen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 97 Abs. 1 ZPO. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren war angesichts der Komplexität des vorliegenden Falles für notwendig zu erklären. Für die Beigeladene folgt die Notwendigkeit, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, schon aus dem Gesetz (§ 120 Abs. 1 S. 1 GWB), weshalb es einer dahingehenden Tenorierung nicht bedurfte. Der Streitwert war gemäß § 50 Abs. 2 GKG festzusetzen (5% der Bruttoangebotssumme der Antragstellerin).

OLG Frankfurt zu der Frage der Wertung von Nebenangeboten bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte

OLG Frankfurt zu der Frage der Wertung von Nebenangeboten bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte

1. Da gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A-EU Nebenangebote bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte nur dann gewertet werden können, wenn sie vom Auftraggeber ausdrücklich zugelassen worden sind, muss sich aus den Ausschreibungsbedingungen unter dem maßgeblichen Blickwinkel eines verständigen und sachkundigen Bieters hinreichend klar ergeben, ob und wenn ja, in welchem Umfang der Auftraggeber Nebenangebote zugelassen hat.

Die Vorschrift folgt einem völlig anderen Regelungsmechanismus, wie er für den Unterschwellenbereich im ersten Abschnitt der VOB/A gem. § 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A vorgeschrieben ist. Während der Auftraggeber dort angeben muss, ob er Nebenangebote nicht oder nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zulässt (andernfalls sie vom Bieter abgegeben werden durften und gewertet werden müssen), kann der Bieter hier nur dann auf eine Wertung seiner Nebenangebote hoffen, wenn der Auftraggeber Nebenangebote entweder uneingeschränkt oder eingeschränkt für den vom Bieter angebotenen Bereich ausdrücklich zugelassen hat (vgl. Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, VOB-Kommentar, 7. Aufl., Rn 12 zu § 8 VOB/A-EU).

Ein Nebenangebot liegt vor, wenn ein Bieter eine von den Vertragsunterlagen abweichende Art der Leistung anbietet, unabhängig von dem Umfang und dem Gegenstand der Änderung. Eine Abweichung kann daher in technischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht erfolgen (Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, aaO., Rn 54 zu § 8 VOB/A; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2.11.2011 – VII Verg 22/11, OLG Jena, Beschluss vom 21.9.2009, 9 Verg 7/09). Ein technisches Nebenangebot enthält eine abweichende Lösung von den Vorgaben in den Vergabeunterlagen. Rechtliche Abweichungen betreffen in der Regel den Inhalt des Bauvertrags. Ein wirtschaftliches oder kaufmännisches Nebenangebot liegt beispielsweise im Angebot einer abweichenden Vergütungsform oder im Angebot bestimmter Preisnachlässe unter bestimmten Bedingungen, wie der Beauftragung mehrerer Lose (vgl. dazu Liebschwager in: Burgi/Dreher Beck`scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., Rn 8 zu § 35 VgV).

Der Auftraggeber kann bei der Zulassung von Nebenangeboten differenzieren, z.B. nur technische oder nur kaufmännische Nebenangebote zulassen bzw. diese auf bestimmte Teile der Leistung beschränken. Dies wird auch durch § 8 Abs. 2 Nr. 3 lit a) und b) VOB/A-EU verdeutlicht, wenn dort vorgeschrieben ist, dass der Auftraggeber anzugeben hat, in welcher Art und Weise Nebenangebote einzureichen sind und wenn ihm vorgeschrieben wird, Mindestbedingungen an Nebenangebote zu stellen.

Der Erklärungswert von Vergabeunterlagen richtet sich nicht nach dem subjektiven Verständnis des Antragstellers eines Nachprüfungsverfahrens, sondern nach dem objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, so dass der Senat die Unterlagen aus der Sicht eines verständigen, mit der Materie vertrauten Bieters auslegen muss (vgl. BGH, Urteil vom 10.6.2008 – X ZR 78/07 – Nachunternehmererklärung, Rn 10 bei juris).

2. Die Abgabe eines Pauschalpreisnebenangebots ist nicht zulässig, wenn der beabsichtigte Bauvertrag ersichtlich als Einheitspreisvertrag konzipiert war und wenn der Auftraggeber in der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten (unter Verwendung des Formblatts 211 – EU) lediglich für einzelne Titel technische Nebenangebote, z.B. in Form eines alternativen Bauverfahrens, zugelassen und insoweit formale und qualitative Mindestanforderungen an die technische Ausführung gestellt hat.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25.11.2021 – 11 Verg 4/21

Gründe

I.

Mit EU-Bekanntmachung vom 23.10.2020 schrieb die Antragsgegnerin das streitgegenständliche Vergabeverfahren “A, Referenznummer der Bekanntmachung: B-…” aus. Gegenstand der Ausschreibung ist der Kanalneubau des A in Stadt1-Stadtteil1 und Stadt1-Stadtteil2 in 4 Bauabschnitten.

Gemäß Amtsentwurf beinhaltet die Ausschreibung im Wesentlichen ca. 580 m offenen Kanalbau einschließlich Schachtbauwerken, einigen Anschlusskanälen, der Übernahme von Hausanschlüssen und Straßeneinläufen und der vollständigen Wiederherstellung der Oberflächen. Die Ausschreibung erfolgte im Offenen Verfahren. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis.

Der Sammler entlang des X-Stadions (Bauabschnitt 2) soll aus Fertigteilen in offener Bauweise hergestellt werden, der Sammler in den Bauabschnitten 3 und 4 in Ortbetonbauweise. Gemäß Ziffer 6.2 der Angebotsaufforderung waren dazu Nebenangebote in folgendem Umfang zugelassen:

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Der Angebotsaufforderung lag das Formblatt 212 bei, wo es wörtlich wie folgt lautet:

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Das rund 300 Seiten lange Leistungsverzeichnis gliedert sich in Ordnungszahlen, Leistungsbeschreibung, Mengenansätze, Einheitspreis und Gesamtpreis, vereinzelt finden sich auch Positionspauschalpreise (Bl. 71 – 374 VA).

Die Antragstellerin stellte am 20. November 2020 unter anderen eine Frage zur Zulässigkeit der Nebenangebote, die ihrer Ansicht nach nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben worden sind. In der Bieteranfrage heißt es wörtlich wie folgt:

“… Gemäß Ziffer 6.2 der Aufforderung zur Angebotsabgabe sind Nebenangebote nur für die Titel 30.10 und 40.41 zulässig. Liest man sodann jedoch weiter, sind Änderungen, die sich aus Nebenangeboten zu diesen Titeln ergeben, titelübergreifend in den betroffenen LV-Positionen abzubilden. Das resultiert daraus, dass die zulässigen Änderungen auch Einfluss auf weitere Titel der Ausschreibung haben. Denn bei genauerer Betrachtung ist durch die gemäß Mindestbedingungen zugelassenen Varianten die Mehrheit der ausgeschriebenen Titel (BE, Erdarbeiten, Abbrucharbeiten, Stahlbetonarbeiten, Bauwerke, Grundwasserhaltung, Wasserhaltung) betroffen. Demnach müssen Nebenangebote auch für andere Titel zulässig sein. Die in Ziffer 6.2 gewählte Formulierung ist widersprüchlich bzw. nicht eindeutig. Um ihr eine erforderliche Klarheit für den Wettbewerb zu schaffen, sollten die Mindestbedingungen so formuliert werden, dass klar benannt wird, wo keine Nebenangebote zulässig sind…”

Die Antragsgegnerin beantwortete die von der Antragstellerin gestellten Bieteranfragen durch Schreiben vom 23. November 2020 auszugsweise wie folgt:

“Die B hat für die auszuführenden Arbeiten das Leistungsbestimmungsrecht… Aufgrund der Auflagen bzw. Abstimmungen mit dem Stadionbetreiber wurden ausnahmsweise Fertigteile entlang des Stadions durch die B zugebilligt, da die Bauzeit in diesem Bereich verkürzt werden sollte. Ansonsten sind Ortbetonkastenkanäle auszuführen. Durch die nunmehr zeitlich verschobene Baumaßnahme in die Jahre 2021/2022 wurde unter weitestgehend Aufrechterhaltung der B Standards die Verlegung von Kastenkanalfertigteilen durch die B toleriert. Dafür können durch die Bieter Nebenangebote eingereicht werden. Diese Nebenangebote müssen selbstverständlich die sich ändernden anderen dafür notwendigen Leistungen erfassen (Erdarbeiten etc.). (Unterstreichung durch den Senat)” (Anlage ASt 3).

Die Antragstellerin gab am 8.12.2020 fristgerecht ein Hauptangebot sowie sechs Nebenangebote ab. Das Nebenangebot 1 bezieht sich auf die Herstellung des Kanals im Bauabschnitt 3 und 4 (Titel 40.41) mit Hilfe von Fertigbauteilen anstatt Ortbetonbauweise und wird mit einer pauschalen Angebotssumme angeboten. Die Antragstellerin legte unter Ziffer 1.5 ihres Angebots dar, dass i. E. die alternative Bauweise Auswirkungen auf “fast jede(n) Titel des Leistungsverzeichnisses” habe, weswegen es sich bei ihrem Nebenangebot um eine weitreichende Planungs- und Verfahrensänderung handle, “die nicht eins zu eins im LV des Amtsentwurfs abgebildet werden könne” (Anlage ASt 4 Vergabekammerakte, im folgenden VKA). Deshalb fügte sie ihrem Nebenangebot 1 ein nach eigenen Positionsnummern umformuliertes Leistungsverzeichnis (Kurz-LV – N1) sowie die Aufstellung “Angebotserläuterung und Zuordnung” bei, in der sämtliche Positionen des Amts-Leistungsverzeichnisses denjenigen des Nebenangebots zugeordnet werden, wobei das Nebenangebot etwaig entfallende Positionen explizit als solche ausweist (Anlagen ASt 21 + AStV 22 VKA).

Das Nebenangebot 2 ist eine optionale Ergänzung zum Nebenangebot 1 und hat einen alternativen Rohrvortrieb im Bauabschnitt 2 (Titel 30.10) zum Gegenstand, der ebenfalls mit einer pauschalen Angebotssumme angeboten wird, um die sich die Angebotssumme des Nebenangebots 1 erhöht (Anlage ASt 5 VKA).

Mit Schreiben vom 9. März 2021 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin gemäß § 134 GWB mit, dass sie beabsichtige den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Das Hauptangebot der Antragstellerin sei nicht zu berücksichtigen, weil ein wirtschaftlicheres Nebenangebot der Mitbieterin vorliege. Das Nebenangebot 1 der Antragstellerin erfülle nicht die geforderten Mindestanforderungen, da es u.a. eine Pauschalierung der Gesamtsumme vorsehe, was den Vorgaben der Bekanntmachung widerspreche. Die Nebenangebote 2 – 6 seien als Option zum Nebenangebot 1 definiert und daher ebenfalls nicht zu werten (Anlage AST 7 VKA).

Einer entsprechenden Rüge der Antragstellerin half die Antragsgegnerin nicht ab, führte allerdings nun zur Begründung aus, dass die Nebenangebote der Antragstellerin aus formalen Gründen auszuschließen seien (Anlage AST 13).

Auf erneute Rüge der Antragstellerin teilte die Antragsgegnerin ihr unter Verweis auf eine gutachterliche Stellungnahme ihres Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 30. April 2021 mit, die eingereichten Nebenangebote seien als “nicht zugelassene Nebenangebote” gemäß § 16 EU Nr. 5 VOB/A von der Wertung auszuschließen. Die Antragsgegnerin habe lediglich Nebenangebote für technische Alternativen zu den Titeln 30.10 und 40.41, nicht aber wirtschaftliche oder preisliche Nebenangebote, wie z.B. Pauschalpreisangebote zugelassen. Als solches stelle sich das Nebenangebot 1 der Antragstellerin dar. Die vorangegangenen Vergabeentscheidungen, bei denen der Ausschluss der Nebenangebote auf die Nichterfüllung von Mindestanforderungen bzw. auf formale Gründe gestützt wurden, werden durch diese Stellungnahme zurückgenommen (Anlagen AST 17 und 18).

Die Antragstellerin hat daraufhin ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet. Sie hat dazu vorgetragen, ein Ausschlussgrund nach § 16 EU Nr. 5 VOB/A liege hinsichtlich ihrer Nebenangebote 1 und 2 nicht vor. Die Antragsgegnerin habe in der Auftragsbekanntmachung und in ihrer Angebotsaufforderung Nebenangebote grundsätzlich zugelassen und in technischer Hinsicht eine Einschränkung nur in Bezug auf explizit benannte Bereiche vorgenommen. Pauschalpreis-Nebenangebote seien weder in der Bekanntmachung noch in den Vergabeunterlagen ausgeschlossen worden. Dies lasse sich bei verständiger Würdigung auch aus der Formulierung in dem beigefügten Formblatt 212 entnehmen. Sie – die Antragstellerin – habe sich daran orientiert und im Nebenangebot 1 lediglich eine technische Alternative zu der im Titel 40.41 beschriebenen Leistung angeboten, wie es in der Ausschreibung schon vorgesehen worden sei. Dass dieser Alternative Auswirkungen auf nahezu alle anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses habe, ergebe sich aus dem damit geänderten Leistungsprofil. Dies sei auch bereits in der oben dargestellten Bieteranfrage problematisiert worden, die die Antragsgegnerin abschlägig beantwortet habe.

Durch das Kurz-Leistungsverzeichnis und die Konversionstabelle (Anlagen AST 21 und 22 VKA) habe die Antragstellerin der Antragsgegnerin eine Zuordnung der im Nebenangebot enthaltenen Leistungen zu den im ausgeschriebenen Leistungsverzeichnis enthaltenen Positionen ermöglicht. Ihre Nebenangebote erfüllten daher die Mindestvoraussetzungen. Es könne auch nicht angenommen werden, dass sich das Nebenangebot 1 als vollständig autarkes Nebenangebot darstelle. Daher seien die formalen Anforderungen gemäß § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 a VOB/A erfüllt.

Die Vergabekammer hat der Antragstellerin ursprünglich mitgeteilt, sie beabsichtige, ohne mündliche Verhandlung nach Aktenlage zu entscheiden, weil der Nachprüfungsantrag offensichtlich unbegründet sei. Das Angebot der Antragstellerin sei schon wegen § 16 Nr. 6 VOB/A – EU auszuschließen, weil sie mit ihrem Nebenangebot 1 unzulässigerweise ein zweites Hauptangebot abgegeben habe. Ferner ergebe sich ein Ausschlussgrund aus § 16 Nr. 5 VOB/A-EU, weil die Antragstellerin ein Pauschalpreisangebot eingereicht habe, obwohl dies nach den Ausschreibungsunterlagen nicht zugelassen worden sei (Bl. 226 f. VKA). Dem ist die Antragstellerin entgegengetreten.

Die Vergabekammer hat dann nach mündlicher Verhandlung den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin sei nicht gegeben, denn ihre Nebenangebote seien gemäß § 16 a EU Abs. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A zwingend vom Vergabeverfahren auszuschließen. Die Kammer hat es offengelassen, ob nach den Vergabeunterlagen tatsächlich auch ein Pauschalpreisvertrag zulässig gewesen wäre, so dass die Nebenangebote der Antragstellerin gegebenenfalls als wirtschaftliche Nebenangebote zu werten seien. Der Annahme eines Pauschalpreisvertrages erfordere jedenfalls eine eindeutige, darauf abzielende pauschalierte Pauschalierungsabrede, die sich hier in den Vergabeunterlagen nicht finde.

Unabhängig davon wäre die Antragstellerin nach Ansicht der Vergabekammer verpflichtet gewesen, ihre beiden Nebenangebote nicht nur nach Mengenansätzen sondern auch nach Einheitspreisen aufzugliedern, was hier nicht geschehen sei. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Antragstellerin das Risiko von Ausführungs- und Mengenabweichungen übernommen habe. In den Vergabeunterlagen seien Nebenangebote ausschließlich unter der Bedingung zugelassen worden, dass sämtliche Positionen bepreist würden. Es fehlten hier auch Preispositionen, die nicht als unwesentlich betrachtet werden könnten und bei denen eine Nachforderung von Unterlagen durch die Vergabestelle bzw. eine Aufklärung und Verhandlung über den Angebotsinhalt daher nicht möglich sei.

Die Vergabekammer sei nicht an die rechtliche Begründung gebunden, die die Antragsgegnerin für den Ausschluss der Nebenangebote gegeben habe. Der Ausschluss sei hier zwingend, so dass eine Ermessensentscheidung der Vergabestelle nicht in Betracht komme.

Die Antragstellerin hat gegen die abweisende Entscheidung der Vergabekammer, die ihr am 15. Juli 2021 zugestellt worden ist, mit dem am 30. Juli 2021 beim Gericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Sie wirft der Vergabekammer vor, ihren Prüfungsspielraum überschritten zu haben, indem sie die Nebenangebote wegen angeblich fehlender Preisangaben ausgeschlossen habe, ohne dass die Antragsgegnerin als Vergabestelle eine solche Beurteilung zuvor vorgenommen habe.

Der den Vergabekammern zustehende Prüfungsmaßstab beschränke sich gemäß § 168 Abs. 1 GWB auf eine reine Rechtskontrolle. Zweckmäßigkeitsüberlegungen müssten außen vor bleiben, weswegen die Vergabekammer ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle derjenigen des öffentlichen Auftraggebers setzen dürfe. Hier habe sich die Antragstellerin mit dem Nachprüfungsverfahren gegen den Ausschluss ihrer Nebenangebote gewehrt, den die Antragsgegnerin auf § 16 EU Nr. 5 VOB/A gestützt habe. Die Vergabekammer habe mit § 16 a EU Abs. 2 i.V. § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A einen neuen Ausschlussgrund herangezogen, ohne zu beachten, dass dem Ausschluss von Angeboten nach dieser Vorschrift eine eigenständige Prüfung der Vergabestelle vorangehen müsse, die hier nicht durchgeführt worden sei. Ein Ausschluss nach dieser Vorschrift setze nämlich voraus, dass die Vergabestelle prüft ob (a) wesentliche Preisangaben überhaupt fehlen sowie (b) ob diese gegebenenfalls nachzufordern sind. Diesen Ausschlussgrund habe die Vergabestelle hier überhaupt nicht in Betracht gezogen, so dass es an einem entsprechenden Überprüfungsgegenstand für die Vergabekammer fehle.

Unabhängig davon sei ein Ausschlussgrund nach § 16 a EU Abs. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A hier auch nicht gegeben. Die rechtliche Bewertung der Vergabekammer sei falsch, denn im Hinblick auf die Prüfung von § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A liege dem angefochtenen Beschluss eine Fehlvorstellung zu Grunde. Die Antragsgegnerin habe in den Vergabeunterlagen nicht vorgegeben, das Nebenangebote in Mengenansätze und Einheitspreisen zu gliedern seien. In den oben bereits zitierten Teilnahmebedingungen werde unter Ziffer 4.3 vielmehr klargestellt, dass Nebenangebote, soweit sie Teilleistungen des Leistungsverzeichnisses beeinflussen, nach Mengenansätze und Einzelpreisen (und nicht nach Einheitspreisen) aufzugliedern seien (auch bei Vergütung durch Pauschalsumme). Genau das habe die Antragstellerin mit ihrem Kurz- Leistungsverzeichnis des Nebenangebotes 1 auch getan und darüber hinaus der Antragsgegnerin eine Handreichung gegeben, in dem durch die Konversionstabelle eine Zuordnung der im Nebenangebot aufgeführten Einzelleistungen zu dem Amts-Leistungsverzeichnis vorgenommen worden sei.

Der Antragsgegnerin habe auch nicht vorgegeben, dass in den Nebenangeboten sämtliche Positionen “bepreist” werden müssten. Vielmehr schreibe Ziffer. 6.2 der Angebotsaufforderung lediglich vor, dass sämtliche notwendigen Arbeiten sowie alle hierfür entfallenden bzw. zusätzlichen Leistungen, die im Hauptangebot beschrieben sind, positionsweise in dem Nebenangebot mit den entsprechenden Mengenvordersätzen zu erfassen und preislich darzustellen sind. Die Antragsgegnerin habe keine weiteren Anforderungen an die Art der Darstellung von Nebenangeboten gemacht, so dass nicht verlangt werden könne, dass die Bieter über eine Aufgliederung der notwendigen Arbeiten hinaus auch noch Einzelpositionen mit Einheitspreisen angegeben müssten.

Aus der Konversionstabelle ergebe sich, dass alle Positionen und damit alle Leistungen des Amtsleistungsverzeichnisses in ihrem Nebenangebot enthalten seien. Die Antragsgegnerin habe eine derartige Gestaltung des Angebotes ermöglicht, indem sie bereits in Ziffer 4.2 des der Angebotsaufforderung beiliegenden Formblatts 212 klargestellt habe, dass die Gliederung des Leistungsverzeichnisses nur beizubehalten sei, “soweit dies möglich” ist. Dem sei die Antragstellerin auch nachgekommen, habe aber in ihrem Anschreiben klargestellt, dass durch die alternative Ausführung der Leistung gem. Ziffer 40.41 des Amts-LV mit Fertigbauteilen Änderungen bei fast jedem Titel des Leistungsverzeichnisses einträten und dass deswegen ein exaktes “Runterbrechen” der veränderten Leistungen auf die Positionen nicht in Gänze möglich sei. Besondere Eile in Bezug auf die Zuschlagsentscheidung sei nicht gegeben, es sei auch nicht ersichtlich, dass die zu erbringende Leistung durch eine verzögerte Realisierung gefährdet wäre.

Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten und hat vorgebracht, die Nebenangebote 1 und 2 der Antragstellerin müssten vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, denn dort habe es die Antragstellerin versäumt, beide Nebenangebote nicht nur nach Mengen, sondern auch nach Einheitspreisen aufzugliedern. In den Vergabeunterlagen seien Nebenangebote ausdrücklich nur unter der Bedingung zugelassen worden, dass sämtliche Leistungen mit den entsprechenden Mengenvordersätzen positionsweise erfasst und preislich dargestellt würden. Dies habe die Antragstellerin versäumt. Die Antragsgegnerin trägt weiter vor, sie habe sich im Vergabeverfahren ausdrücklich vorbehalten, eine Preisermittlung auf Einheitspreisebene vorzunehmen. Sinn und Zweck sei es gewesen, jeder einzelnen Leistung einen nachvollziehbaren Preis zuzuordnen, damit etwaige Mengenanpassungen oder anderer Nachträge preislich korrekt bewertet werden könnten. Mit den von ihr ausgeschlossenen Nebenangeboten 1 und 2 in der Antragstellerin sei dies nicht möglich.

Der Senat hat zum einen die Fa. E zum Beschwerdeverfahren beigeladen und dieser Einsicht in die wesentlichen Unterlagen des Vergabenachprüfungsverfahrens gegeben. Ferner hat der Senat durch Beschluss vom 6. September 2021 antragsgemäß die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängert und der Antragstellerin Einsicht in das geschwärzte Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen gewährt.

Die Antragstellerin wiederholt ihren Vorwurf, die Vergabekammer habe § 16a Abs. 2 VOB/A-EU nicht als Ausschlussgrund heranziehen dürfen, weil dies voraussetze, dass die Vergabestelle nach einer technischen Prüfung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass sich die Änderungen im Nebenangebot 1 hinsichtlich der Mengen, Qualitäten und Preise auf die Einzelpositionen im Amtsentwurf auswirken. Eine solche Prüfung sei nicht erfolgt und habe auch von dem Verfahrensbevollmächtigen der Antragsgegnerin mangels hinreichender Fachkenntnis nicht durchgeführt werden dürfen. Die Antragstellerin untermauert ihren Sachvortrag durch ein Privatgutachten des Bausachverständigen C (Anlage Bf 2).

Der direkte Vergleich der angebotenen Leistungen belege ferner, dass das von der Beigeladenen zum Titel 40.41 des Leistungsverzeichnisses vorgelegte Nebenangebot von der Wertung ausgeschlossen werden müsse, weil ihm eine titelübergreifende Darstellung der entfallenden und der zusätzlichen Leistungen fehle und es namentlich nicht berücksichtige, dass sich durch die Umstellung von Ort- auf Fertigbeton die Preisgestaltung für andere Titel des Leistungsverzeichnisses, wie z.B. des Titels 20 “Erd- und Verbauarbeiten” zwingend ändern müsse. Im Hinblick auf die Frage, ob kaufmännische Nebenangeboten zugelassen worden seien, verweist die Antragstellerin nochmals auf Ziffer II.2.3. der Vergabebekanntmachung (Anlage AST 1 VKA), wo sich keine entsprechende Differenzierung finde.

Die Antragstellerin beantragt,

1. den Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 8. Juli 2021 aufzuheben und der Antragsgegnerin aufzugeben, den Ausschluss der Nebenangebote 1 und 2 der Antragstellerin in dem Vergabeverfahren “A, Referenznummer der Bekanntmachung: B-…” zurückzunehmen und der Antragsgegnerin aufzugeben, das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen von der Wertung auszuschließen und die Prüfung und Wertung der Angebote unter Einbindung der Nebenangebote 1 und 2 der Antragstellerin zu wiederholen,

2. festzustellen, dass die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten seitens der Antragstellerin erforderlich war und

3. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Vergabekammer habe ihre Prüfungskompetenz nicht überschritten, denn sie habe auf Grundlage der von ihr als richtig angesehenen tatsächlichen Sacherwägungen der Antragsgegnerin lediglich eine andere rechtliche Wertung vorgenommen, was ihr unbenommen sei. Die Nebenangebote 1 und 2 der Antragstellerin müssten vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, denn dort habe es die Antragstellerin versäumt, beide Nebenangebote nicht nur nach Mengen, sondern auch nach Einheitspreisen aufzugliedern. Die Antragsgegnerin habe sich im Vergabeverfahren ausdrücklich vorbehalten, eine Preisermittlung auf Einheitspreisebene vorzunehmen. Sinn und Zweck sei es gewesen, jeder einzelnen Leistung einen nachvollziehbaren Preis zuzuordnen, damit etwaige Mengenanpassungen oder anderer Nachträge preislich korrekt bewertet werden könnten.

Mit den von ihr ausgeschlossenen Nebenangeboten 1 und 2 in der Antragstellerin sei dies nicht möglich, denn die Antragstellerin habe in ihrer Konversationstabelle, die sie mit dem Kurz-Leistungsverzeichnis zum Nebenangebot (Kurz-LV NA 1) vorgelegt habe, in zahlreichen Fällen einzelne Positionen des Amts-Leistungsverzeichnisses mehreren Positionen ihres Kurz-LV NA 1 zugeordnet, ohne dass nachvollziehbar wäre, welcher Bruchteil welcher Amtsentwurfsposition in welche Position des Kurz-LV übergegangen wäre und welche Mengenangaben maßgeblich seien. Dies wird in Ergänzung zu dem bereits im Vergabenachprüfungsverfahren vorgelegten Schriftsatz vom 20.Mai 2021 nochmals anhand mehrerer Einzelpositionen des Amtsentwurfs erläutert und veranschaulicht.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Beigeladene ist der Ansicht, dass die Antragsgegnerin hier keine kaufmännischen Nebenangebote zugelassen habe. Maßgeblich seien die Festlegungen in Ziffer 6 der mit dem Formblatt 211 EU-Hessen bekannt gemachten Aufforderung zur Angebotsabgabe, die dem Auftraggeber insgesamt vier Optionen für die Zulassung von Nebenangeboten eröffne. Die Antragsgegnerin habe sich dafür entschieden, lediglich für zwei konkret genannte Bereiche technische Nebenangebote zuzulassen, darüber hinaus vorgegeben, welchen Inhalt die technischen Nebenangebote zu diesen Bereichen überhaupt haben durften und Mindestbedingungen dafür festgelegt.

Die Antragstellerin habe sich ausweislich des ihr vorliegenden Vergabevermerks schon in technischer Hinsicht nicht an die Vorgaben der Ausschreibung gehalten und statt der geforderten Spundwand eine nur vermeintlich gleichwertige Verfahrensweise nach dem von ihr patentierten “D” angeboten. Im Übrigen sei sie von der vorgegebenen Vergütungssystematik abgewichen. Schon bei unverändertem Leistungsinhalt sei ein Pauschalpreisangebot nicht mit einer Angebotssumme auf Basis der im Leistungsverzeichnis genannten Vordersätze vergleichbar. Dies gelte umso mehr, wenn sich der Pauschalpreis – wie hier – eine vom Bieter alternativ angebotene, in weiten Teilen andere Leistung beziehe. Die mit den Nebenangeboten 1 und 2 von der Antragstellerin unterbreiteten Pauschalpreisnebenangebote seien daher zwingend von der Wertung auszuschließen.

Die Beigeladene tritt dem Vorwurf, ihr Nebenangebot Nr. 5 erfülle nicht die Vorgaben der Ausschreibung, entgegen und trägt vor, sämtliche notwendigen Änderungen seien erfasst worden.

II.

Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Antragsgegnerin hat das Nebenangebot 1 und das optional darauf bezogene Nebenangebot 2 der Antragstellerin mit Recht gem. § 16 Nr. 5 VOB/A-EU von der Wertung ausgeschlossen, weil es sich um ein nicht zugelassenes Pauschalpreisnebenangebot handelt. Mit Recht wurde auch das Nebenangebot der Beigeladenen nicht ausgeschlossen, so dass die erst im Beschwerdeverfahren erhobene Rüge ebenfalls ins Leere geht. Dazu im Einzelnen:

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 Abs. 1 S. 1 GWB).

2. Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zwar zulässig. Dies hat die Vergabekammer bereits zutreffend festgestellt und begründet, so dass auf die Erwägungen in der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden kann.

Der Nachprüfungsantrag ist aber nicht begründet.

a) Die Antragstellerin wehrt sich ohne Erfolg gegen den Ausschluss ihrer Nebenangebote, denn diese sind zu Recht von der Antragsgegnerin als nicht zugelassene Nebenangebote von der Wertung ausgenommen worden (§§ 16 Nr. 5, 1. Alt., 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A-EU). Es kann daher offenbleiben, ob die Rechtsauffassung der Vergabekammer zutrifft, wonach diese Nebenangebote gem. § 16a Abs. 2 S. 2 VOB/A-EU zwingend von der Wertung ausgenommen waren, weil sie nicht die geforderten Preise enthielten (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU).

Nach der hier maßgeblichen Regelung in § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A-EU können Nebenangebote bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte nur dann gewertet werden, wenn sie vom Auftraggeber ausdrücklich zugelassen worden sind. Die Vorschrift folgt einem völlig anderen Regelungsmechanismus, wie er für den Unterschwellenbereich im ersten Abschnitt der VOB/A gem. § 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A vorgeschrieben ist. Während der Auftraggeber dort angeben muss, ob er Nebenangebote nicht oder nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zulässt (andernfalls sie vom Bieter abgegeben werden durften und gewertet werden müssen), kann der Bieter hier nur dann auf eine Wertung seiner Nebenangebote hoffen, wenn der Auftraggeber Nebenangebote entweder uneingeschränkt oder eingeschränkt für den vom Bieter angebotenen Bereich ausdrücklich zugelassen hat (vgl. Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, VOB-Kommentar, 7. Aufl., Rn 12 zu § 8 VOB/A-EU).

Ein Nebenangebot liegt vor, wenn ein Bieter eine von den Vertragsunterlagen abweichende Art der Leistung anbietet, unabhängig von dem Umfang und dem Gegenstand der Änderung. Eine Abweichung kann daher in technischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht erfolgen (Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, aaO., Rn 54 zu § 8 VOB/A; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2.11.2011 – VII Verg 22/11, OLG Jena, Beschluss vom 21.9.2009, 9 Verg 7/09). Ein technisches Nebenangebot enthält eine abweichende Lösung von den Vorgaben in den Vergabeunterlagen. Rechtliche Abweichungen betreffen in der Regel den Inhalt des Bauvertrags. Ein wirtschaftliches oder kaufmännisches Nebenangebot liegt beispielsweise im Angebot einer abweichenden Vergütungsform oder im Angebot bestimmter Preisnachlässe unter bestimmten Bedingungen, wie der Beauftragung mehrerer Lose (vgl. dazu Liebschwager in: Burgi/Dreher Beck`scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., Rn 8 zu § 35 VgV).

Der Auftraggeber kann bei der Zulassung von Nebenangeboten differenzieren, z.B. nur technische oder nur kaufmännische Nebenangebote zulassen bzw. diese auf bestimmte Teile der Leistung beschränken. Dies wird auch durch § 8 Abs. 2 Nr. 3 lit a) und b) VOB/A-EU verdeutlicht, wenn dort vorgeschrieben ist, dass der Auftraggeber anzugeben hat, in welcher Art und Weise Nebenangebote einzureichen sind und wenn ihm vorgeschrieben wird, Mindestbedingungen an Nebenangebote zu stellen.

Der Erklärungswert von Vergabeunterlagen richtet sich nicht nach dem subjektiven Verständnis des Antragstellers eines Nachprüfungsverfahrens, sondern nach dem objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, so dass der Senat die Unterlagen aus der Sicht eines verständigen, mit der Materie vertrauten Bieters auslegen muss (vgl. BGH, Urteil vom 10.6.2008 – X ZR 78/07 – Nachunternehmererklärung, Rn 10 bei juris). Es war daher zu untersuchen, ob aus dieser Sicht den Vergabeunterlagen hinreichende Anhaltspunkte für die Zulassung kaufmännischer Nebenangebote, etwa in Form von Pauschalpreisnebenangeboten, zu entnehmen waren. Das ist bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung der Vergabeunterlagen nicht der Fall:

aa) Die Antragstellerin kann sich nicht darauf berufen, dass bereits durch die Auftragsbekanntmachung (Anlage AST 1 VKA, dort Ziffer II.2.10) Nebenangebote einschränkungslos zugelassen worden wären. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beigeladenen und der Antragsgegnerin bot die von der Vergabestelle zwingend zu verwendende elektronische Vorlage für die Auftragsbekanntmachung (https://simap.ted.europa.eu/ documents/10184 /99158/DE_Fo2. pdf) keinen Raum für eine konkrete Festlegung des Umfangs der Zulassung von Nebenangeboten. Vielmehr sieht das Bekanntmachungsformular nur die Ankreuzoptionen “ja/nein” vor und bleibt damit hinter Optionen zurück, die der Gesetzgeber den Vergabestellen eröffnet hat. Der Umstand, dass die Antragsgegnerin hier “ja” angekreuzt hat, lässt dementsprechend keine Rückschlüsse darauf zu, dass sie damit einschränkungslos Nebenangebote zulassen wollte. Es kommt vielmehr darauf an, ob nach einer Gesamtschau der Vergabeunterlagen festgestellt werden kann, dass Nebenangebote in dem hier streitgegenständlichen Umfang ausdrücklich zugelassen waren.

bb) Maßgeblich ist in erster Linie die ebenfalls mit Hilfe der einschlägigen Vorlagen (Formblatt 211 EU-Hessen) bekannt gemachte “Aufforderung zur Abgabe eines Angebots”. Dieses Formblatt bietet der Vergabestelle unter Ziffer 6. die Möglichkeit, Nebenangebote entweder für die gesamte Leistung, eingeschränkt für konkret zu benennende Bereiche, grundsätzlich in weitem Umfang aber mit Ausnahme konkret benannter Bereiche und zuletzt unter konkreten weiteren Bedingungen, wie z.B. nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zuzulassen.

Hier hat die Antragsgegnerin durch Ankreuzen der Option 6.2 für die Ausführung von zwei Titeln des Leistungsverzeichnisses (Titel 30.10 und Titel 40.41) Nebenangebote zugelassen. Die Antragsgegnerin differenziert dort zwar bezüglich der Zulassung von Nebenangeboten nicht zwischen technischen und kaufmännischen Nebenangeboten. Ein verständiger Bieter wird aber dem Fließtext in Ziffer 6.2 entnehmen, dass nur technische, nicht aber kaufmännische Abweichungen von den Vergabeunterlagen zulässig sein sollten. Die Antragsgegnerin hat dort nämlich konkret vorgegeben, welchen Inhalt Nebenangebote zu diesen Bereichen überhaupt haben dürfen: ein alternatives Bauverfahren zu Titel 30.10 und die Errichtung des Kanals aus Fertigbauteilen anstatt aus Ortbeton zu Titel 40.41. Darüber hinaus hat sie den gesetzlichen Vorgaben entsprechend formale und qualitative Mindestanforderungen an die technische Ausführung aufgestellt, denen ein Nebenangebot in dem eingeschränkt zugelassenen Rahmen genügen muss, um gewertet zu werden. Mindestanforderungen für etwaige kaufmännische Nebenangebote zu diesen Titeln sind dagegen nicht erkennbar, was bereits indiziert, dass die Antragsgegnerin diese auch gar nicht zulassen wollte.

Auch die in Ziffer 6.2 enthaltene Passage “…Sämtliche dafür notwendigen Arbeiten sind im Nebenangebot zu erfassen sowie alle entfallenden bzw. zusätzlichen Leistungen, die im Hauptangebot beschrieben sind (auch titelübergreifend), positionsweise mit den entsprechenden Mengenvordersätzen zu erfassen und preislich darzustellen…” [Unterstreichung durch den Senat] führen die angesprochenen Bieter nicht zu der Erkenntnis, dass es ihnen erlaubt wäre, eigene Positionen anstatt der Einzelpositionen aus dem Amtsleistungsverzeichnis zu formulieren. Diese Passage ist vielmehr so verstehen, dass die Antragsgegnerin realisiert hat, dass sich die alternative Bauausführung auf weitere Titel auswirken kann, dass sie aber an der Kalkulationsgrundlage des Baupreises festhalten wollte, wie sie in dem von ihr vorgegebenen Leistungsverzeichnis festgelegten worden war.

Der beabsichtigte Bauvertrag war von der Antragsgegnerin erkennbar als Einheitspreisvertrag konzipiert, denn die Leistungsbeschreibung war von den Bietern nach Mengen und Einheitspreisen, teilweise auch nach Positionspreisen aufzugliedern. Mangels einer eindeutigen gesetzlichen Regelung wird der Pauschal(preis)vertrag in Abgrenzung zum Einheitspreisvertrag definiert. Während beim Einheitspreisvertrag die Vergütung immer erst nach Ausführung der Leistung feststeht, weil sie gem. § 2 Abs. 2 VOB/B aus der Multiplikation der ausgeführten Mengen mit dem jeweiligen Einheitspreis ermittelt wird, ist es beim Pauschalvertrag genau umgekehrt: Die Vergütung steht grundsätzlich schon vor der Ausführung fest, nämlich in Form einer “festen” Summe, eben des Pauschalpreises (vgl. Kapellmann/Messerschmidt-Kapellmann, VOB-Kommentar, 7. Aufl., Rn 447 zu § 2 VOB/B). Wenn die Antragsgegnerin somit für die beiden o.g. Titel des Leistungsverzeichnisses auch kaufmännische Nebenangebote, beispielsweise in Form von Pauschalpreisangeboten hätte zulassen wollen, so wäre ihr Verlangen nach einer positionsweisen Aufschlüsselung der Mengenvorder-sätze mit entsprechender preislicher Darstellung nicht notwendig und auch nicht sinnvoll gewesen.

cc) Die Antragstellerin kann sich auch darauf berufen, dass der in Ziffer 6.2 des Formulars 211 EU Hessen vorgegebene Text den Passus “…- ausgenommen Nebenangebote, die ausschließlich Preisnachlässe mit Bedingungen beinhalten…” enthält. Die Antragstellerin will daraus ableiten, dass die Frage einer Zulassung kaufmännischer Nebenangebote quasi “vor die Klammer” gezogen wurde und dass die Antragsgegnerin nur diese Variante von kaufmännischen Nebenangeboten ausschließen und sie im Übrigen uneingeschränkt zulassen wollte.

Dem kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn man außer Acht lässt, dass dieser Text bei Verwendung des Formulars bereits vorgegeben war und schon von daher in seinem Aussagewert erheblich eingeschränkt ist, spricht entscheidend gegen die Argumentation der Antragstellerin, dass das Formular den Vergabestellen nachfolgend die Option eröffnet, Nebenangebote “…nur für nachfolgend genannte Bereiche…” zuzulassen, womit die Möglichkeit geschaffen wird, den Vorgaben des § 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A-EU entsprechend ausdrücklich ganz bestimmte Nebenangebote, wie beispielsweise ausschließlich technische Nebenangebote zuzulassen. Hiervon hat die Antragsgegnerin – wie schon dargestellt – auch explizit Gebrauch gemacht. Wenn man das anders sehen und der Argumentation der Antragstellerin folgen würde, so wäre den Vergabestellen bereits durch die Gestaltung des Formulars ein erheblicher Teil ihres Spielraums zur Bestimmung der “Art und Weise” von Nebenangeboten (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 3 a VOB/A-EU) genommen, denn sie wären in allen Fällen der Zulassung von Nebenangeboten gem. Ziffer 6.2 des Formulars gezwungen, mindestens auch kaufmännische Nebenangebote zuzulassen.

dd) Die Antragstellerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Antragsgegnerin durch die Verwendung des von den Bewerbungsbedingungen des VHB Bund übernommenen Formblatts “Teilnahmebedingungen 212 EU” (vgl. dazu Kapellmann/Messerschmidt-Planker, aaO.,Rn 41 zu § 13 VOB/A) Pauschalpreisnebenangebote zu den o.g. Titeln des Leistungsverzeichnisses bzw. sogar zur gesamten Bauleistung zulassen wollte. Sie verweist ohne Erfolg auf den Umstand, dass dort in Ziffer 4.3 im Klammerzusatz die Passage (“…auch bei Vergütung durch Pauschalsumme…”) enthalten ist.

Es ist nicht nachvollziehbar, wieso ein verständiger, mit der Materie vertrauter Bieter annehmen sollte, dass der Auftraggeber durch die Verwendung dieses Formblatts eine Erweiterung der Zulassung auch auf kaufmännische Pauschalpreisangebote intendiert haben könnte. Viel näher liegt dagegen ein Verständnis, dass der Auftraggeber damit zum Ausdruck bringen will, dass er eine Aufgliederung der Teilleistungen in dem geforderten Sinn auch dann verlangt, wenn in der Aufforderung zur Angebotsabgabe kaufmännische Pauschal(preis)angebote ausdrücklich zugelassen worden sind.

Entsprechendes gilt für die oben bereits wörtlich wiedergegebene Antwort der Antragsgegnerin auf die Bieterfragen vom 23.11.2020 (Anlage ASt 3), denn diesem Schreiben sind nicht einmal ansatzweise Anhaltspunkte zu entnehmen, wonach kaufmännische Nebenangebote zu den Titeln 30.10 und 40.41 des Leistungsverzeichnisses zulässig sein sollten.

ee) Für die dargelegte Einschätzung spricht zuletzt auch, dass sich die Antragsgegnerin mit der Zulassung von Pauschalpreisnebenangeboten – sei es nur zu den genannten Titeln des Leistungsverzeichnisses, sei es zu weiteren damit einhergehenden Bauleistungen – letztlich unlösbare Probleme bei der Wertung des besten Preis-Leistungsverhältnisses geschaffen hätte. Die Beigeladene hat mit Recht darauf hingewiesen, dass ein angebotener Pauschalfestpreis und eine Angebotssumme auf Basis vorgegebener Vordersätze prinzipiell nicht vergleichbar sind. Er hat an dieser Stelle zutreffend auf eine Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 2.12.2002 (Verg 24/02) hingewiesen, in der folgendes ausgeführt wird:

“…Der vertraglichen Abrechnung nach Einheitspreisen wohnt die Tendenz inne, dass qualitativ so gebaut wird, wie es sich der Auftraggeber vorstellt. Dieser Anreiz fehlt bei einer Pauschalierung. Die damit einhergehende Gefahr, für die beiden Leistungen mehr bezahlen zu müssen, als dies nach Einheitspreisen notwendig ist, erlaubt den Ausschluss der Nebenangebote.[…] Preislich vorteilhafter ist für den Auftraggeber eine Pauschalierung vielmehr in der Regel nur, wenn die Ersparnis in jeder denkbaren Variante einer noch vertragsgerechten Leistungserbringung größer ist, als wenn nach Einheitspreisen abgerechnet würde. (Rn 63 bei juris).”

Auch wegen dieser grundsätzlichen Wertungsprobleme kann daher mangels hinreichender konkreter Anhaltspunkte in den Ausschreibungsunterlagen nicht angenommen werden, dass die Antragsgegnerin bereit war, eine vom vorgegebenen Leistungsverzeichnis abweichende Vergütungsform zuzulassen.

ff) Es kann offenbleiben, ob die Antragstellerin auch in technischer Hinsicht von den einschlägigen Vorgaben der Antragsgegnerin abgewichen ist, wie die Beigeladene unter Bezugnahme auf den Vergabevermerk reklamiert. Hierauf kommt es nicht an, denn das Pauschalpreisnebenangebot NA 1 der Antragstellerin hält sich als kaufmännisches Nebenangebot nicht innerhalb der von der Antragsgegnerin in Ziffer 6.2 der Aufforderung zur Angebotsabgabe festgelegten engen Grenzen und muss aus diesem Grund von der Wertung ausgeschlossen werden.

Die Nebenangebote 1 und 2 pauschalieren den Werklohn sowohl für die Herstellung der Titel 30.10 und 40.41 als auch für alle weiteren Titel des Leistungsverzeichnisses und weichen damit von der vorgegebenen Vergütung nach Einheitspreisen ab. Bereits aus diesem Grund kann das Nebenangebot 1 und das optional darauf bezogene Nebenangebot 2 als nicht zugelassenes Nebenangebot nicht in die Wertung eingehen. Dementsprechend spielt es im Ergebnis auch gar keine Rolle, ob die Antragstellerin mit ihrem Kurz-Leistungsverzeichnis und der Konversionstabelle eine Zuordnung der Einzeltitel des von der Antragsgegnerin vorgegebenen (amtsseitigen) Leistungsverzeichnisses zu dem Kurz-Leistungsverzeichnis ermöglicht hat oder nicht. Vielmehr bleibt als Ergebnis festzuhalten, dass die Antragsgegnerin die Nebenangebote der Antragstellerin mit Recht ausgeschlossen hat.

b) Ohne Erfolg bleibt auch die im Beschwerdeverfahren erhobene Rüge, das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen sei von der Wertung auszuschließen, weil es die ausschreibungsseitig geforderten Preise nicht enthalte.

aa) Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin zwar bereits mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2021 das Nebenangebot Nr. 5 als unzureichend beanstandet hatte, nachdem ihr am 29. September 2021 Akteneinsicht in das geschwärzte Nebenangebot gewährt worden war. Ihre Rüge ist aber erst durch die Antragserweiterung in der mündlichen Verhandlung zum Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens gemacht worden.

Ein Beschwerdeführer bestimmt mit seiner Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, den Gegenstand der Entscheidungsfindung, also den Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens (vgl. Steck in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., Rn 5 zu § 178 GWB; Schäfer in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., Rn 8 zu § 178 GWB, jeweils m.w.N.). Dies lässt sich u.a. daraus ableiten, dass die für den Beschwerdesenat maßgebliche Vorschrift des § 178 (S. 4) GWB lediglich § 168 Abs. 2 GWB für entsprechend anwendbar erklärt, nicht aber § 168 Abs. 1 GWB, der für die Vergabekammern eine umfassende Rechtsprüfung vorschreibt, die nicht an die gestellten Anträge gebunden ist (vgl. Jaeger in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 4. Aufl., Rn 3 zu § 178 GWB).

Die Antragstellerin hatte ihren Beschwerdeantrag zu Ziffer 1.) ursprünglich darauf gerichtet, der Antragsgegnerin aufzugeben, den Ausschluss ihrer eigenen Nebenangebote zurückzunehmen und die Prüfung und Wertung unter Einschluss dieser Angebote zu wiederholen. Erst durch die in der mündlichen Verhandlung erklärte Antragserweiterung war der vom Beschwerdegericht zu prüfende Streitstoff auch auf eine Untersuchung des Angebots der Beigeladenen erstreckt worden.

Es bestand dementsprechend auch für die Antragsgegnerin und die Beigeladene bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Veranlassung, auf den dazugehörigen Vortrag der Antragstellerin einzugehen. Vor diesem Hintergrund muss auch die Erwiderung der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung gewertet werden. Sie ist dem Vorwurf der Antragstellerin dezidiert entgegengetreten und hat dargelegt, dass ihr Angebot sowohl in preislicher Hinsicht vollständig war als auch sämtliche durch die alternative technische Ausführung erforderlichen entfallenden und zusätzlichen Leistungen beinhaltet.

bb) Auf dieser Grundlage lässt sich weder feststellen, dass das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen gem. §§ 16a Abs. 2 i.V. 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU wegen fehlender Preisangaben, noch, dass es gem. §§ 16 Nr. 5 i.V. 8 Abs. 2 Nr. 3b VOB/A-EU von der Wertung ausgeschlossen werden müsste.

(1) Das Angebot eines Bieters muss gem. § 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU die im Leistungsverzeichnis bzw. den sonstigen Vergabeunterlagen zweifelsfrei geforderten Preisangaben enthalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss jeder in der Leistungsbeschreibung vorgesehene Preis, so wie gefordert, vollständig und mit dem Betrag angegeben werden, der für die betreffende Leistung beansprucht wird. Dies wird damit begründet, dass ein transparentes, auf Gleichbehandlung aller Bieter beruhendes Auswahlverfahren nur dann gewährleistet werden kann, wenn in jeder sich aus den Verdingungsunterlagen ergebender Hinsicht vergleichbare Angebote abgegeben werden (BGH, Beschluss vom 7.1.2003, X ZR 50/01, Rn 23 bei juris; BGH, Beschluss vom 18.5.2004, X ZB 7/04 – Mischkalkulationen, Rn 24 bei juris). Demzufolge liegt eine unvollständige Preisangabe schon dann vor, wenn zumindest bezüglich einer einzigen Ordnungsziffer des Leistungsverzeichnisses kein Preis angegeben wird (Kapellmann/Messerschmidt-Fister aaO., Rn 28 zu § 16a EU VOB/A).

Es ist auch nach den Ausführungen der Antragstellerin nicht ersichtlich, dass das in Verbindung mit dem Hauptangebot abgegebene Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen insoweit unvollständig wäre. Im Nebenangebot werden die bei entsprechender Wertung des Angebots entfallenden Positionen zum Titel 40.41 aufgeführt und die alternativ dazu angebotenen Positionen dargestellt, während im Übrigen das Hauptangebot maßgeblich sein soll.

(2) Mit ihrem Vorwurf, im Nebenangebot Nr. 5 habe es die Beigeladene versäumt, bautechnisch notwendige Änderungen bei der Bepreisung anderer Titel des Leistungsverzeichnisses zu berücksichtigen, zielt die Antragstellerin auch in eine andere Richtung. Sie reklamiert nämlich explizit einen Verstoß gegen Ziffer 6.2. der Aufforderung zur Angebotsabgabe, wo eine titelübergreifende Erfassung und Darstellung der entfallenden und der zusätzlichen Leistungen gefordert wird.

Ein Ausschluss des Nebenangebots Nr. 5 käme auf dieser Tatsachengrundlage somit dann in Betracht, wenn die erwähnte Vorgabe als Mindestanforderung i.S. von § 8 VOB/A-EU anzusehen wäre, bei deren Fehlen ein zwingender Ausschluss gem. § 16 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EU die Folge ist. Ein Verstoß lässt sich aber nicht feststellen.

Dabei kann offenbleiben, ob die Antragsgegnerin in Ziffer 6.2 der Aufforderung zur Angebotsabgabe lediglich technische Mindestanforderungen für die zugelassene alternative Bauausführung gestellt hat, wofür der innere Zusammenhang zwischen der Zulassung des Nebenangebots und deren geforderter Qualität spricht (“…Die in diesem Titel beschriebenen Kastenprofilkanäle (…) können alternativ auch als Fertigteile geliefert und eingebaut werden. Es hat sämtliche Eigenschaften und die Vorgaben der ZTV-Emscher zu erfüllen…”).

Auch wenn man die titelübergreifende Erfassung der entfallenden und der zusätzlichen Leistungen als Mindestanforderung betrachtet, kommt ein Ausschluss des Nebenangebots Nr. 5 der Beigeladenen nicht in Betracht, weil sich ein entsprechendes Defizit nicht feststellen lässt.

Die Antragstellerin trägt unter Bezugnahme auf ein Privatgutachten des Sachverständigen C (Anlage Bf 2) vor, die Herstellung in Ortbetonbauweise nehme deutlich längere Zeit in Anspruch, als die Herstellung in Fertigbauweise. Es ergäben sich u.a. Auswirkungen durch den Entfall der Schalung auf der Baustelle, die Verringerung von Montagezeiten auf der Baustelle, die Verkürzung von Bauzeiten vor Ort, Änderungen der Baubehelfe (Kräne) etc. (Anlage Bf 2, Seite 5 – Bl. 240 d. A.).

Weder aus dem Privatgutachten von Herrn C noch aus dem weiteren Vortrag der Antragstellerin im Schriftsatz vom 11. Oktober 2021 lassen sich hinreichende Anhaltspunkte dafür finden, dass das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen unter diesen Umständen den Vorgaben der Ausschreibung nicht entsprechen und etwaige entfallende bzw. zusätzliche Leistungen nicht enthalten würde. Es ist durch die Antragstellerin kein einziger Untertitel des amtsseitigen Leistungsverzeichnisses, etwa aus den Titeln “Erdarbeiten, Grundwasserabsenkung, Baustelleneinrichtung” benannt worden, der konkret durch das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen hinzugekommen oder in Wegfall geraten wäre.

Die Beigeladene hat vielmehr durch Bezugnahme auf ihr Nebenangebot Nr. 5 dargelegt, dass sie die erforderlichen Änderungen, wie beispielsweise den Entfall der Schalung auf der Baustelle, berücksichtigt hat. Sie hat ferner zutreffend ausgeführt, dass sie der Antragsgegnerin auch einen auf das Nebenangebot bezogenen Bauzeitenplan vorgelegt hat. Sofern die Beigeladene davon abgesehen haben sollte, im Hinblick auf die geänderte Bauweise Preisermäßigungen bei anderen Titeln anzubieten, bewegte sie sich nicht außerhalb der Vorgaben der Antragstellerin.

3. Da die Beschwerde erfolglos bleibt, sind der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen (§§ 175 Abs. 2, 71 S. 1 GWB).

4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens beträgt gem. § 50 Abs. 2 GKG 5 Prozent der Bruttoauftragssumme.

OLG Frankfurt zu der Frage der Ermessensentscheidungen gemäß § 56 Abs. 2 VgV über das Nachfordern von Unterlagen

OLG Frankfurt zu der Frage der Ermessensentscheidungen gemäß § 56 Abs. 2 VgV über das Nachfordern von Unterlagen

1. Bei Ermessensentscheidungen gemäß § 56 Abs. 2 VgV über das Nachfordern von Unterlagen bedarf es der Abschätzung der konkret zu erwartenden Verzögerung und deren Auswirkungen auf das Verfahren. Es ist auch zu berücksichtigen, ob die Vergabestelle diese Auswirkungen durch eine frühere Nachforderung hätte abmildern oder vermeiden können.

2. Bei der Ermessensentscheidung ist es besonders zu berücksichtigen, wenn bei Ausschluss eines Bewerbers nur noch ein einziger Bewerber übrigbleiben wird.

3. Hilft die Vergabestelle einer Rüge ab, ohne dass dies von anderen Bietern erfolgreich angefochten wird, ist für das weitere Verfahren von einer berechtigten Rüge auszugehen, deren Erheben kein Kriterium bei einer zu Lasten des Rügenden gehenden Ermessensentscheidung sein kann.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25.11.2021 – 11 Verg 2/21

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Ausschluss ihres Angebots von einem vom Hessischen Competence Center für neue Verwaltungssteuerung (Vergabestelle) des beschwerdeführenden Landes und Antragsgegners durchgeführten Vergabeverfahren, an dem neben ihr nur die Beigeladene beteiligt war. Gegenstand des zuletzt als Verhandlungsverfahren ohne Teilnehmerwettbewerb betriebenen Vergabeverfahrens (Vergabenr. …) ist die “Anmietung einer gasbetriebenen mobilen Brandsimulationsanlage zur Ausbildung von Atemschutzgeräteträgern inklusive Ausbildung für die hessische Landesfeuerwehrschule”.

Die Vergabekammer hat den Sachverhalt und die bei ihr gestellten Anträge wie folgt festgestellt:

Der Antragsgegner schrieb mit europaweiter Bekanntmachung vom 29. November 2019 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union unter der Ausschreibungsnummer … die Ausbildung von Atemschutzgeräteträgern durch Nutzung einer mobilen Brandsimulationsanlage nach DIN 14097 Teil 1 und 2 – Mai 2018 zunächst im offenen Verfahren aus. Unter Ziffer II.2.4) der Auftragsbekanntmachung hieß es wie folgt:

“Ausbildung von Atemschutzgeräteträgern durch Nutzung einer mobilen Brandsimulationsanlage nach DIN 14097 Teil 1 und 2 -Mai 2018. Das Land Hessen beabsichtigt zur Ausbildung der Atemschutzgeräteträger der Feuerwehren eine mobile gasbetriebene Brandsimulationsanlage anzumieten. Die Anlage soll in den Jahren 2021 und 2022 für jeweils 15 Wochenangemietet und an wechselnden Standorten jeweils für etwa eine Woche zur Verfügung gestellt werden. Die Ausbildung soll in beiden Jahren im Zeitraum von April bis September durchgeführt werden. Die Betriebszeit pro Woche beträgt 54 Stunden.” (Blatt 116 der Vergabeakte Bd. I).

Hinsichtlich der Teilnahmebedingungen hatten die Bieter im Hinblick auf die Befähigung zur Berufsausübung eine Eigenerklärung bezüglich des Nichtvorliegens einer Vergabesperre vorzulegen. Bezüglich der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit hatte der Antragsgegner keine Anforderungen formuliert. Als Nachweis für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit hatten die Bieter eine Liste mit geeigneten Referenzen der in den letzten drei Jahren erbrachten wesentlichen Leistungen mit folgenden Angaben vorzulegen: Art und Umfang, Erbringungszeitpunkt, Angabe des Wertes, öffentlicher oder privater Empfänger mit den jeweiligen Kontaktdaten, wobei Referenzen dann geeignet sind, wenn diese in Art und Umfang dem hier zu vergebenden Auftrag entsprechen (Blatt 114 der Vergabeakte Bd. I).

Antragstellerin und Beigeladene reichten als einzige Bieter jeweils fristgerecht ein Angebot ein. Der Antragsgegner hob mit Schreiben vom 16. März 2020 (Blatt 318 bis 324 der Vergabeakte Bd. I) das Vergabeverfahren gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 VgV in Verbindung mit § 63 Abs. 1 Nr. 3 VgV auf.

Grund hierfür war, dass das Angebot der Beigeladenen erheblich über der Kostenschätzung lag, das Angebot der Antragstellerin der Leistungsbeschreibung nicht entsprach. Gleichzeitig teilte der Antragsgegner den Bietern mit, die ausgeschriebene Leistung solle in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 1 VgV vergeben werden.

In der Folgezeit überarbeitete der Antragsgegner die Vergabeunterlagen (Blatt 1 bis 96 der Vergabeakte Bd. I). Unter dem 24. August 2020 (Blatt 102 der Vergabeakte Bd. I) forderte der Antragsgegner nur die beiden im offenen Verfahren beteiligten Bieter, die Antragstellerin und die Beigeladene, zur Abgabe eines Angebotes auf. Beide Bieter reichten bis zum Ablauf der Angebotsfrist am 21. September 2020 indikative Angebote ein. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2020 forderte der Antragsgegner sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene zur Preisaufklärung auf, da der jeweilige Angebotspreis die Kostenschätzung des Antragsgegners teilweise um

mehr als 30 % überstieg bzw. um mehr als 20 % unterschritt. Gleichzeitig lud der Antragsgegner in den jeweiligen Schreiben vom 13. Oktober 2020 die beiden Bieter zu einem Verhandlungsgespräch, das jeweils am 28. Oktober 2020 stattfinden sollte, ein. Beide Bieter erhielten jeweils eine individuelle Agenda für den Verhandlungstermin, die ebenfalls mit dem Schreiben vom 13. Oktober 2020 übersandt wurde (Blatt 249 bis 258 der Vergabeakte Bd. II). Diese Agenda enthält folgende Einleitung:

“Gemäß dem “Hinweis zu Verhandlungsrunden” aus der “Ergänzung zur Angebotsaufforderung”, kann sich der Bieter in den Verhandlungsterminen präsentieren und Anregungen zu den Vergabeunterlagen geben. Vor der Aufforderung zur Einreichung der endgültigen Angebote gemäß § 17 Abs. 14 VgV wird der Auftraggeber entscheiden, ob und welche Änderungen er an den Vergabeunterlagen vornimmt und dies den Bietern mitteilen.” (Blatt 256,250 der Vergabeakte Bd. Il).

Ausweislich der Vergabeakte (Blatt 255 bis 256 der Vergabeakte Bd. Il) sollte mit der Antragstellerin vor allen Dingen über den Neubau des von ihr angedachten Brandübungscontainers und des Neubaus bzw. der Neukonzeption des Orientierungsraumes in dem Verhandlungstermin gesprochen werden.

Mit Zusatzschreiben vom 20. September 2020, ihrem Angebot beigefügt, teilte diese mit, im Falle einer Auftragserteilung käme ein neuer Brandübungscontainer zum Einsatz, der gleichermaßen alle in der Ausschreibung geforderten Kriterien erfülle (Blatt 180 der Vergabeakte Bd. II). Zu diesem von der Antragstellerin angedachten neuen Brandübungscontainer lagen aus Sicht des Antragsgegners keine weiteren Informationen vor. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2020 (Blatt 277 bis 278 der Vergabeakte Bd. II) legte die Antragstellerin eine Übersicht ihrer Kalkulation vor, die Beigeladene mit Schreiben vom 19. Oktober 2020 (Blatt 270 bis 272 der Vergabeakte Bd. Il). In dem Verhandlungsgespräch vom 28. Oktober 2020 (Blatt 291 bis 292 der Vergabeakte Bd. II) erläuterte die Antragstellerin, dass der Neubau des Brandübungscontainers durch die Firma B, Stadt1, erfolgen solle. Des Weiteren erläuterte sie mündlich Ideen und verschiedene Möglichkeiten der technischen Umsetzung. Zur technischen Umsetzung des Orientierungsraumes konnte die Antragstellerin aus Sicht des Antragsgegners ebenfalls nur Ideen präsentieren. Hinsichtlich des Logistikkonzeptes gebe es nach Auffassung des Antragsgegners lediglich Vermutungen zu einer möglichen Umsetzung. Nach dem Protokoll des Verhandlungsgespräches soll die Antragstellerin gesagt haben:

“Das muss ich dann noch mal prüfen, ob der Spediteur das leisten kann.” (Blatt 291 der Vergabeakte Bd. II).

Darüber hinaus habe die Antragstellerin mitgeteilt, sie plane mittelfristig wahrscheinlich mit der Firma B zusammenzuarbeiten und gehe deshalb davon aus, für den Neubau des Brandübungscontainers bessere Konditionen als andere Kunden bekommen zu können. Ausweislich des Protokolls zu dem Verhandlungsgespräch (Blatt 291 der Vergabeakte Bd. Il) habe die Antragstellerin zu den Anschaffungskosten auch auf mehrmalige Nachfrage keine Aussage treffen können. Ein neuer Container habe für sie, die Antragstellerin, Vorteile. Sie habe sowieso einen Neubau geplant und alles sei überschaubar.

Aus dem Protokoll des Verhandlungsgespräches mit der Beigeladenen vom 28. Oktober 2020 (Blatt 287 bis 288 der Vergabeakte Bd. Il) geht unter der Überschrift zu 3) – Neubau bzw. Neukonzeption Orientierungsraum – hervor, dass diese einen Bau des Orientierungsraumes plane und einen Bauzeitenplan vorgelegt hat. Zudem resultiere ein hoher Kostenanteil aus dem Bau und der Implementierung der beiden Zusatzcontainer, mit Unterkonstruktion sowie Verbindung (mechanisch und steuerungstechnisch) an den Brandübungscontainer.

Nach dem Verhandlungsgespräch vom 28. Oktober 2020 informierte der Antragsgegner die Antragstellerin nach § 134 Abs. 1 GWB über die Nichtberücksichtigung ihres Angebotes und teilte ihr mit, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen erteilen zu wollen (Blatt 314 bis 316 der Vergabeakte Bd. Il). Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, das Angebot der Antragstellerin müsse nach Abschluss der Verhandlungen gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV ausgeschlossen werden, da das Angebot noch immer unvollständig, aber auch gemäß § 60 Abs. 3 VgV abzulehnen sei (Blatt 315 bis 316 der Vergabeakte Bd. 11).

Mit anwaltlichen Schreiben vom 11. November 2020 rügte die Antragstellerin den Angebotsausschluss und die im November 2020 beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene (Blatt 331 bis 348 der Vergabeakte Bd. Il). Der Antragsgegner nahm mit Schreiben vom gleichen Tag die ergangene Vorabinformation nach § 134 Abs. 1 GWB zurück (Blatt 408 der Vergabeakte Bd. Il). Mit Schreiben vom 10. Dezember 2020 (Blatt 409 bis 414 der Vergabeakte Bd. Il) half der Antragsgegner der Rüge der Antragstellerin ab, da die Antragstellerin die Aufforderung zur Abgabe eines endgültigen Angebotes erwarten durfte und setzte das Verhandlungsverfahren in den Zeitpunkt vor Abschluss der Verhandlungen zurück. Die Bieter sollten unter Einbeziehung der sich aus den Verhandlungsgesprächen vom 28. Oktober 2020 ergeben – den Erkenntnissen zu einem finalen Angebot aufgefordert werden. Die Vergabeunterlagen sollten insoweit eine Anpassung erfahren. Sowohl die bisher geltenden Mindestanforderungen als auch die Zuschlagskriterien sollten unverändert fortgelten. Die Einreichung eines neuen, endgültigen (modifizierten) Angebotes sei erforderlich, zuvor eingereichte Angebote seien erloschen. Hierbei soll es sich sodann um das endgültige (finale) Angebot handeln. Die endgültigen Angebote seien auch nicht mehr nachverhandelbar.

In der Folgezeit überarbeitete der Antragsgegner die Vergabeunterlagen. Ausweislich der “Ergänzung zur Angebotsaufforderung” (Version 2) und dort Ziffer 2.3 ff. sind Unterlagen aufgeführt, die vollständig – soweit erforderlich – ausgefüllt mit dem elektronischen Angebot einzureichen sind (Blatt 521 der Vergabeakte Bd. Il). Die Ziffern 2.3.3 (Verpflichtungserklärung Tariftreue/Mindestentgelt), 2.3.4 (Ausschluss wegen schwerer Verfehlungen) und 2.3.5 (Erklärung über die Unternehmensdaten) werden wie folgt eingeleitet: “Entfällt/liegt mit Erstangebot schon vor…” (Blatt 520 bis 521

der Vergabeakte Bd. II). Bei den Ziffern 2.3.3 und 2.3.4 findet sich der Zusatz, dass bei geplantem Einsatz von Unterauftragnehmern diese durch den Bieter zusätzlich von jedem Unterauftragnehmer einzureichen sind, bei Bietergemeinschaften von jedem Mitglied der Bietergemeinschaft (Blatt 520 bis 521 der Vergabeakte Bd. Il). Bei geplanten Einsatz von Nachunternehmern (Blatt 518 der Vergabeakte Bd. Il) ist gemäß Ziffer 2.3.31 ein Verzeichnis der Leistungen anderer Unternehmer vorzulegen, die Verpflichtungserklärung anderer Unternehmen erst auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle (2.3.32, Blatt 518 der Vergabeakte Bd. Il). Darüber hinaus seien bei geplantem Einsatz von Nachunternehmern die Ziffern 2.3.3, 2.3.4 und 4 zu beachten (Blatt 518 der Vergabeakten Bd. II). Gemäß Ziffer 3.2 (Blatt 518 der Vergabeakte) erfolgt die Nachforderung, Vervollständigung, Berichtigung von Unterlagen bzw. Aufklärung in diesem Ausschreibungsverfahren, sofern dies vergaberechtlich zulässig und geboten ist. Unter Ziffer 7 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung (Blatt 515 der Vergabeakte Bd. II) wird den Bietern mitgeteilt, dass mit der hier ergehenden Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes die Aufforderung zur Abgabe eines endgültigen Angebotes nach Maßgabe dieser Vergabeunterlage ergehe. Die endgültigen Angebote seien nicht mehr nachverhandelbar. Die im Laufe des Verfahrens zuvor eingereichten Angebote seien erloschen und die Möglichkeit eines Rückgriffs auf vorangegangene Angebote bestünde nicht. Ausgenommen hiervon seien

die vorstehenden Ziffern 2.3.3, 2.3.4 und 2.3.5.

Nach der Leistungsbeschreibung unter Ziffer 1. “Allgemeines” (Blatt 482 der Vergabeakte Bd. II) beabsichtigt der Antragsgegner zur Ausbildung der Atemschutzgeräteträger der Feuerwehren eine mobile gasbetriebene Brandsimulationsanlage anzumieten. Die Anlage soll in den Jahren 2022 und 2023 für jeweils 15 Wochen angemietet und an wechselnden Standorten jeweils für etwa eine Woche zur Verfügung gestellt werden. Die Betriebszeit pro Woche beträgt 54 Stunden.

Die Anlage soll durch den Bieter an die von der zuständigen Behörde vorgesehenen Stellen transportiert und dort von den Mitarbeitern des Auftragnehmers bedient werden. Eine autarke Versorgung der Anlage mit Betriebsmitteln durch den Bieter ist erforderlich. Die gasbetriebene Brandsimulationsanlage soll durch ein zusätzliches Übungsobjekt erweitert und mit diesem baulich verbunden werden. Im Vorfeld der Ausbildung ist es notwendig, vom Auftraggeber benannte Personen zu Multiplikatoren auszubilden. Diese sollen den Bieter beim späteren Betrieb der Anlage unterstützen und die Ausbildung der örtlichen Atemschutzausbilder durchführen. Alle organisatorischen Belange liegen im Verantwortungsbereich der zuständigen Behörde. Der Preis für die bereitgestellte Brandsimulationsanlage muss als Stundenpreis, für tatsächlich geleistete Stunden, inklusive aller geforderten Leistungen, angegeben werden. Ausweislich der Leistungsbeschreibung unter Ziffer 2.1.”Technische Anforderungen” (Blatt 481 der Vergabeakte Bd. Il) kann mit den finalen Angeboten optional eine Brandsimulationsanlage angeboten werden, die noch nicht nach der geforderten Art vorhanden ist, was bislang so noch nicht in den Vergabeunterlagen formuliert war. Nach Ziffer 2.2 “Organisatorische Anforderungen” der Leistungsbeschreibung (Blatt 477 der Vergabeakte Bd. Il) haben eventuell erforderliche Wartungsarbeiten außerhalb der Betriebszeiten durch den Auftragnehmer zu erfolgen. Weitere Anforderungen an die Wartungsarbeiten lassen sich den Vergabeunterlagen nicht entnehmen.

Der Transport der Brandsimulationsanlagen sowie des Orientierungsraumes zu den verschiedenen Veranstaltungsorten hat durch den Auftragnehmer nach Rücksprache mit der zuständigen Behörde in eigener Regie und auf eigene Kosten zu erfolgen. Weitere Anforderungen an den Transport der Brandsimulationsanlage sowie des Orientierungsraumes sind in den Vergabeunterlagen nicht enthalten, auch finden sich im Leistungsverzeichnis hierzu keinerlei Angaben bzw. Preispositionen.

Hinsichtlich der Organisation der Ausbildung (Ziffer 3.1 der Leistungsbeschreibung, Blatt 476 der Vergabeakte Bd. Il) muss das vom Auftragnehmer eingesetzte Bedienpersonal die Anlage in Absprache mit den vor Ort gestellten Ausbildern bedienen, in die besonderen Gefahren der Anlage eingewiesen sein sowie lebensrettende Sofortmaßnahmen sicher beherrschen. Die Qualifikation des Bedienpersonales ist nachzuweisen. Der Nachweis über die Ausbildung der lebensrettenden Sofortmaßnahmen darf bei der Durchführung der Ausbildung nicht älter als 12 Monate sein.

Die vom Auftraggeber benannten Multiplikatoren sind durch den Auftragnehmer so zu unterweisen, dass diese beim Betrieb der Anlage unterstützend tätig werden können. Im Leistungsverzeichnis finden sich hinsichtlich der Preiskalkulation noch die Angaben, dass hierin auch 2 Multiplikatoren-Schulungen an der an der Hessischen Landesfeuerwehrschule und Abstimmungstermine zur Festlegung der Ausbildungsinhalte enthalten sein müssen.

Am 4. Januar 2021 forderte der Antragsgegner die Bieter zur finalen Angebotsabgabe auf (Blatt 530 der Vergabeakte Bd. Il). Die zunächst systembedingte fehlerhafte Angabe der Angebotsabgabe auf den 12. Januar 2021 korrigierte der Antragsgegner auf den 19. Januar 2021, 12:00 Uhr. Aufgrund der Rüge der Antragstellerin vom 14. Januar 2021, die Angebotsfrist für das finale Angebot sei zu kurz bestimmt und nicht angemessen, verlängerte der Antragsgegner die Angebotsfrist auf den 2. Februar 2021, 12:00 Uhr. Die Beigeladene rügte die Verlängerung der Angebotsfrist mit Schreiben vom 21. Januar 2021 und forderte die Rücknahme der Verlängerung der Angebotsfrist, wobei der Antragsgegner dieser Rüge mit Schreiben vom 22. Januar 2021 nicht abhalf.

Die Antragstellerin reichte am 2. Februar 2021 ihr Angebot ein. In dem beigefügten Schreiben vom 13. Januar 2021 (Blatt 777 bis 778 der Vergabeakte Bd. Il) nimmt sie Bezug auf das im Oktober erfolgte Verhandlungsgespräch und die Kosten einer neuen Brandsimulationsanlage, was sie weiter ausführt. Des Weiteren teilte sie mit, die Erhöhung des Stundenpreises komme insbesondere auch durch die Ausführung aller Arbeiten durch die Firma B GmbH zustande. Darüber hinaus fügte sie ihr Ausbildungskonzept bei (Blatt 719 bis 776 der Vergabeakte Bd. Il). Ebenfalls mit dem Angebot legte sie, so wie in den Vergabeunterlagen verlangt, eine Liste der notwendigen Einzelgewerke und der ausführenden Firmen gemäß Ziffer 2.3.13 in Verbindung mit 2.1.2 der Leistungsbeschreibung für den Fall, dass die Brandsimulationsanlage noch nicht in der geforderten Art vorhanden sein sollte, vor (Blatt 481 und 520 der Vergabeakte Bd. Il).

Die Antragstellerin legte ihrem Angebot auch ein Schreiben vom 10. Januar 2021 bei, indem sie ausführt, dass das Bedienpersonal durch den Hersteller der Brandsimulationsanlage umfassend geschult werde, um neben der Möglichkeit, die Anlage korrekt bedienen zu können, auch ein umfassendes technisches Verständnis zu vermitteln. Dies gelte auch für alle sicherheitsrelevanten Belange. Dadurch werde das Bedienpersonal auch in die Lage versetzt, kleinere Reparaturen, wie das Wechseln von Zündkerzen oder Temperatursensoren, selbstständig ohne Hinzuziehung eines Servicemonteurs durchführen zu können. Darüber hinaus werde das Bedienpersonal regelmäßig vom Betreiber der Anlage geschult. Es sei auch in Erster Hilfe ausgebildet (Blatt 717 bis 718 der Vergabeakte Bd. Il).

Die Beigeladene und Zuschlagsprätendentin reichte mit ihrem Angebot unter anderem das Formblatt 235 (Verzeichnis über Art und Umfang der Leistungen, für die sich der Bieter der Kapazitäten anderer Unternehmen bedienen wird, Blatt 1066 der Vergabeakte Bd. Il) ein, in welchem sie angab, sich hinsichtlich Transport, Aufbau und Inbetriebnahme der Brandübungsanlage am jeweiligen Standort und der trainingsbegleitenden Bedienung der Brandübungsanlange der Kapazitäten anderer Unternehmen bedienen zu wollen. Gleichzeitig benannte sie ausführende Firmen für die Durchführung notwendiger Einzelgewerke (Blatt 816 der Vergabeakte Bd. Il).

Ausweislich der Vergabeakte (Blatt 1.126 der Vergabeakte Bd. Il) entschied sich der Antragsgegner aufgrund des schwierigen Verfahrensverlaufes dazu, einen Fachanwalt für Vergaberecht hinzuzuziehen. Dieser wurde anschließend beauftragt, aufgrund seiner bisherigen Einschätzung den notwendigen Vergabevermerk zu formulieren. Dieser sollte dann umgehend an die Vergabestelle weitergeleitet und umgesetzt werden (Blatt 1.125 der Vergabeakte Bd. Il). Ausweislich dieses fachanwaltlich gefertigten Vergabevermerkes ohne Datum (Blatt 1.115 bis 1.124 der Vergabeakte Bd. Il) hat die Beigeladene ihrem finalen Angebot die Verpflichtungserklärung Tariftreue/Mindestentgelt, Ausschluss wegen schwerer Verfehlungen und die Erklärung Unternehmensdaten nicht beigefügt, was jedoch unschädlich sei, da sie sie bereits im offenen Verfahren bzw. mit dem indikativen Angebot diese Unterlagen vorgelegt habe und auch eine Firma als Unterauftragnehmer für die Leistungsbereiche Logistik und Bedienung angegeben habe (Blatt 1.123 der Vergabeakte Bd. Il).

Des Weiteren finden sich auf Seite 1.122 der Vergabeakte Bd. II in diesem Vergabevermerk folgende Ausführungen zu dem Angebot der Beigeladenen:

“Da die Anlage inklusive des weiteren Übungsobjektes (Orientierungsraum) noch nicht in geforderter Art vorhanden ist, legt der Bieter, wie unter Ziffer 2.3.13 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung gefordert, technische Zeichnungen entsprechend En ISO 7200 /ISO 128/ ISO 5455, den Fertigungszeitplan vom Rohbau bis zur Abnahme durch einen Sachverständigen (Bauzeitenplan im Ausbildungskonzept vorgelegt) sowie die Namen der Unternehmen vor, die die notwendigen Einzelgewerke ausführen. Da es sich bei den Unternehmen, die den Orientierungsraum als Anbau für die bereits bestehende Brandsimulationsanlage des Bieters herstellen lediglich um Lieferanten und nicht um Unterauftragnehmern handelt, waren die Unternehmen […] nicht als Unterauftragnehmer zu benennen.”

Hinsichtlich des Angebotes der Antragstellerin wird in dem fachanwaltlichen Vergabevermerk ausgeführt, dass der Bieter mit dem finalen Angebot erstmals angab, dass die “Ausführung aller Arbeiten durch die B GmbH” erfolgen solle, er also ein Unterauftragnehmer nach § 36 VgV einsetzen wolle und sodann mit seinem Angebot das Formblatt 235 (Verzeichnis der Leistungen/Kapazitäten anderer Unternehmen), die Verpflichtungserklärung Mindestentgelt/Tariftreue für Unterauftragnehmern sowie die Erklärung betreffend den Ausschluss wegen schwerer Verfehlungen für Unterauftragnehmern (Fa. B GmbH) hätte vorlegen müssen. Diese Unterlagen/Erklärungen fehlten jedoch in dem finalen Angebot (Blatt 1.120 der Vergabeakte Bd. Il). Des Weiteren findet sich auf Blatt 1.120 der Vergabeakte Bd. Il folgender Absatz in dem Vergabevermerk:

“Da die Anlage inklusive des weiteren Übungsobjektes (Orientierungsraum) noch nicht in geforderter Art vorhanden ist, legt der Bieter, wie unter Ziffer 2.3.13 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung gefordert, technische Zeichnungen entsprechend En ISO 7200 /ISO 128/ ISO 5455, den Fertigungszeitplan vom Rohbau bis zur Abnahme durch einen Sachverständigen vor. Weiterhin wird der Name des Unternehmens angegeben, dass die notwendigen Einzelgewerke ausführen soll (Fa. B GmbH).”

Mit Vorabinformationsschreiben nach § 134 GWB vom 26. März 2021 (Blatt 1.132 bis 1.136 der Vergabeakte II) teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, sie sei gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV vom weiteren Verfahren auszuschließen. Der Antragsgegner führte unter anderem aus, gemäß §§ 122 Abs. 1, 2 GWB in Verbindung mit § 17 Abs. 5 VgV könnten in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb dabei überhaupt nur solche Bewerber zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert werden, die aufgrund der notwendigen Fachkunde und Leistungsfähigkeit die erforderliche Eignung aufwiesen. Maßstab für die Auswahl der aufzufordern Unternehmen zur Abgabe der Angebote sei im Verhandlungsverfahren dabei die bereits zuvor im aufgehobenen offenen Verfahren (…) festgestellte Eignung. Insoweit prüfe der Auftraggeber die erforderliche Eignung der Bewerber/Bieter nicht lediglich einmal, sondern fortlaufend. Diese müsse mithin im gesamten Vergabeverfahren gegeben sein. Insbesondere stünde es dem Auftraggeber zu, im Falle von nachträglichen Zweifeln an der Eignung des Bewerbers/Bieters nach den §§ 42ff. VgV erneut die Eignung des Bewerbers/Bieters zu prüfen. Weil die Antragstellerin mit dem finalen Angebot erstmalig angegeben habe, die Ausführung aller Arbeiten solle nunmehr ausschließlich durch die Firma B GmbH erfolgen, und sie weder das erforderliche Formblatt 235 EU noch die für unter Auftragnehmer erforderliche Verpflichtungserklärung “Mindestentgelt/Tariftreue oder die ebenfalls für jeden Unterauftragnehmer zwingend erforderliche Erklärung “Ausschluss wegen schwerer Verfehlungen” mit dem finalen Angebot nicht beigefügt habe, bestünden ernsthaft Zweifel an der Fachkunde und Leistungsfähigkeit der Antragstellerin, sodass von der erforderlichen Eignung nichtmehr ohne weiteres ausgegangen werden könne (Blatt 1.133 bis 1.134 der Vergabeakte Bd. II). Eine Nachforderung der fehlenden Unterlagen gemäß § 56 Abs. 2 VgV sei vorliegend weder geboten noch erforderlich, denn nach Ausübung des Ermessens unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit würde eine Nachforderung zu einer weiteren, unzumutbaren Verzögerung des Vergabeverfahrens führen. Darüber hinaus habe er, der Antragsgegner, auf Bitten der Antragstellerin die Angebots- und Ausschlussfrist zur Abgabe der finalen Angebote bereits um zehn Kalendertage verlängert. Insoweit würde eine entsprechende Nachforderung auch zu einer Besserstellung der Antragstellerin und damit zu einer unzulässigen Diskriminierung anderer Verfahrensteilnehmer führen (Blatt 1.133 der Vergabeakte Bd. Il).

Mit anwaltlichen Schreiben vom 30. März 2021 rügte die Antragstellerin ihren Ausschluss aus dem Vergabeverfahren (Blatt 1.145 bis 1.152 der Vergabeakte Bd. Il). Zum einen sei das Unternehmen B GmbH kein Nachunternehmer der Antragstellerin, vielmehr sei es lediglich damit beauftragt, die bereitzustellenden Komponenten zu fertigen. In dem vom Antragsgegner zitierten Anschreiben ging es um die Erläuterung des nunmehr erhöhten Angebotspreises. Die Anmerkung “Ausführung aller Arbeiten durch die Firma B GmbH” beziehe sich ausschließlich auf die Fertigung der gesamten Anlage und ausdrücklich nicht auf die zu erbringende Leistung gemäß der Ausschreibung, die die Bereitstellung und den Betrieb des Brandübungscontainers nebst Orientierungsraumes vorsehe. Insofern sei die Einreichung der Unterlage 235 EU überhaupt nicht erforderlich gewesen. Im Übrigen habe es dem Auftraggeber oblegen, dieses vermeintliche Missverständnis aufzuklären. Dies gelte vor allem deshalb, weil ein Ausschluss eines Angebotes regelmäßig nur das “letzte Mittel” sei. Darüber hinaus sei ein Ausschluss nach § 56 Abs. 2 GWB regelmäßig die Ausnahme und nicht die Regel. Der Antragsgegner habe hier gemäß § 56 Abs. 2 Satz 2 GWB in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen nicht festgelegt, dass er keine Unterlagen nachfordern werde.

Mit Schreiben vom 1. April 2021 (Blatt 1.183 bis 1.194 der Vergabeakte Bd. II) teilte der Antragsgegner mit, der Rüge nicht abzuhelfen, da die Firma B GmbH Unterauftragnehmer sei, das finale Angebot der Antragstellerin im Sinne von § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV nicht alle geforderten Unterlagen enthalte und keine Nachforderungspflicht bestehe.

Mit anwaltlichen Schreiben vom 1. April 2021 beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Zur Begründung nimmt sie zunächst im wesentlichen Rückgriff auf ihr Rügeschreiben vom 30. März 2021. Die Leistung des Unternehmens B GmbH stelle eine reine Zuliefererleistung dar. Die Antragstellerin habe eine neue Brandsimulationsanlage in Auftrag gegeben die unter anderem auch im Rahmen der hier ausgeschriebenen Leistung zum Einsatz kommen solle. Eingesetzt werde diese neue Brandsimulationsanlage von der Antragstellerin selbst.

Wesentlicher Vertragsbestandteil sei die Anmietung und Gestellung der Brandsimulationsanlage in den Jahren 2022 und 2023 für jeweils 15 Wochen und die Bereitstellung der Anlage an verschiedenen Standorten einschließlich ihres Betriebes durch Mitarbeiter des Auftragnehmers.

Die Antragstellerin erwerbe die Brandsimulationsanlage von dem Unternehmen B GmbH, sodass es sich insoweit um eine bloße Hersteller- bzw. Zulieferleistung handele.

Auch die Tatsache, dass der Hersteller bei Auslieferung bzw. vor Erstinbetriebnahme eine umfassende Schulung des Bedienpersonales, also des Personals der Antragstellerin, vornehme, führe auch nicht zu einer Nachunternehmerschaft. Diese Vorgehensweise sei nicht ungewöhnlich, denn gerade bei Spezialmaschinen und Spezialfahrzeugen, die besondere Kenntnisse bei deren Einsatz fordern, sei es Gang und Gäbe, dass das hierauf eingesetzte Personal häufig auch vom Hersteller besonders geschult und eingewiesen werde.

Auch der Transport der Anlage werde von der Antragstellerin selber vorgenommen. Das Unternehmen B GmbH sei und bliebe lediglich Hersteller der neuen Anlage und nicht mehr. Dass die Brandsimulationsanlage regelmäßig, so wie auch gesetzlich vorgesehen, durch das Unternehmen B GmbH gewartet und geprüft werde, führe ebenfalls nicht zu einem Unterauftrag, denn diese Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen an der Anlage selbst hätten nichts mit der ausgeschriebenen Leistung im engeren Sinne zu tun.

Die Antragstellerin beantragt,

1. den Antragsgegner zu verpflichten, den Zuschlag unter Berücksichtigung des Angebotes der Antragstellerin zu erteilen;

2. der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, bei der Firma B GmbH handle es sich um einen Unterauftragnehmer im Sinne des § 36 VgV. Da sich die Antragstellerin in ihrem finalen Angebot eindeutig auf die Einbindung einer Unterauftragnehmerin festgelegt habe, habe sie das Formularschreiben “235” ausfüllen müssen. Weiterhin fehlten die Verpflichtungserklärung Tariftreue/Mindestentgelt und die Erklärung betreffend “Ausschluss wegen schwerer Verfehlungen”. Nach objektiver Auslegung des Angebotes der Antragstellerin wolle diese alle ausgeschriebenen Leistungen durch die Firma B GmbH ausführen lassen. Aus der Leistungsbeschreibung ergebe sich, dass neben der Anmietung einer mobilen Brandschutzsimulationsanlage, diese Anlage an verschiedenen Standorten der Feuerwehr des Antragsgegners auf- und abzubauen sei. Hierbei handele es sich nicht lediglich um Hilfs- oder Lieferleistungen, sondern um eine Leistung, bei der der werkvertragliche Erfolg geschuldet sei und die eindeutig Bestandteil der ausschreibungsgegenständlichen Leistung sei.

Zudem ergäben sich aus der Leistungsbeschreibung weitere Leistungen, die zu erbringen seien. So seien im Vorfeld der Ausbildung vom Auftraggeber benannte Personen zu Multiplikatoren vom Auftragnehmer auszubilden. Überdies sei die Anlage von Mitarbeitern des Auftragnehmers zu den zuständigen Behörden/Dienststellen des Auftraggebers zu transportieren und zu bedienen. Weiterhin sei die zu liefernde Anlage vom Auftragnehmer mit den erforderlichen Betriebsmitteln zu versorgen. Auch die Wartung der Anlage falle in den Aufgabenbereich des Auftragnehmers. Überdies sei der Preis der Anlage als Stundenpreis, “inklusive aller geforderter Leistungen” von den Bietern anzugeben gewesen. Eine Nachforderungspflicht aus § 56 Abs. 2 VgV ergebe sich nicht. Vielmehr habe der Antragsgegner ermessensfehlerfrei entschieden, von einer Nachforderung abzusehen.

Außerdem sei ein Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin auch nach § 57 Abs. 1 Nr. 3 VgV gerechtfertigt, weil ihr Angebot nicht nur vollständig, sondern auch inhaltlich zweifelsfrei sein müsse, was dieses aber nicht sei. Eine Aufklärung habe nicht stattzufinden. Gleiches gelte auch für eine Nachforderung nach § 56 Abs. 2 VgV.

Im Übrigen seien auch die vorhergehenden Angebote aus dem Verhandlungsverfahren nicht erloschen. Die Mitteilung des Antragsgegners habe sich eindeutig auf die Angebote im offenen Verfahren bezogen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie ist der Auffassung, die Antragstellerin habe mit ihrem finalen Angebot vom 2. Februar 2021 klar und unmissverständlich erklärt, dass die Ausführung der gegenständlichen Leistungen nicht durch sie selbst, sondern durch die B GmbH erfolgen solle. Die widersprüchlichen Angaben der Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren würden sich nicht mit den Angaben in ihrem Angebot decken. Diese Widersprüchlichkeiten ließen sich auch nicht mit den tatsächlichen Unternehmensverhältnissen der Antragstellerin in Einklang bringen. Sie verfüge ausweislich der eingeholten Creditreform-Auskunft über nur einen Mitarbeiter, einen Jahresumsatz von ca. 80.000 € und einer Bilanzsumme von ca. 50.000 €. Es handele sich um ein Einmann-Unternehmen des alleinigen Gesellschafters und Geschäftsführers C.

Zu dem Auftragsgegenstand gehöre nicht nur die Vermietung der Brandsimulationsanlage, sondern auch die Ausbildung für die Hessische Landesfeuerwehrschule. Die Antragstellerin könne den gegenständlichen Auftrag vertragsgemäß nicht mit eigenem Personal ausführen. Sie könne ohne Einsatz eines weiteren Unternehmens weder den Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit noch den Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit erbringen. Angebote mit mehrdeutigen Angaben, mit Mehrdeutigkeiten und Widersprüchen führten zum Angebotsausschluss. Die von der Antragstellerin erzeugten Widersprüche ließen sich nicht ohne weiteres aufklären, sodass dieses “non liquet” zu ihren Lasten ginge. Im Übrigen nimmt die Vergabekammer Bezug auf den Schriftsatz der Beigeladenen vom 25. Juni 2021 nebst Anlagen.

Hinsichtlich dieser Feststellungen der Vergabekammer ist klarzustellen, dass der Antragstellerin durch das Schreiben vom 26.03.2021 nicht nur mitgeteilt wurde, dass sie auszuschließen sei, sondern dass der Ausschluss erfolgt und nunmehr beabsichtigt sei, den Zuschlag am 06.04.2021 auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.

In den nach dem Verhandlungstermin im HMdIS aktualisierten Vergabeunterlagen heißt es in Nr. 6 der (ergänzenden) Bewerbungsbedingungen für die Vergabe von Leistungen (Bl. 513 Vergabeakte II, Unterstreichungen durch den Senat):

6 Kapazitäten anderer Unternehmen (Unteraufträge, Eignungsleihe)

Beabsichtigt der Bieter, Teile der Leistung von anderen Unternehmen ausführen zu lassen oder sich bei der Erfüllung eines Auftrags im Hinblick auf die erforderliche wirtschaftliche, finanzielle, technische oder berufliche Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen zu bedienen, so muss er die hierfür vorgesehenen Leistungen/Kapazitäten in seinem Angebot benennen. Der Bieter hat auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle zu einem von ihr bestimmten Zeitpunkt nachzuweisen, dass ihm die erforderlichen Kapazitäten der anderen Unternehmen zur Verfügung stehen und diese Unternehmen geeignet sind. Er hat den Namen, die gesetzlichen Vertreter sowie die Kontaktdaten dieser Unternehmen anzugeben und entsprechende Verpflichtungserklärungen vorzulegen.

(…)

Der Bieter hat andere Unternehmen, bei denen Ausschlussgründe vorliegen oder die das entsprechende Eignungskriterium nicht erfüllen, innerhalb einer von der Vergabestelle gesetzten Frist zu ersetzen.

Der “fachanwaltliche Vergabevermerk”, Bl. 1124 der Vergabeakte II, ist in dieser Form nicht von der Vergabestelle umgesetzt worden. Der Vergabeakte lässt sich nicht entnehmen, dass die Vergabestelle sich entschlossen hätte, den “fachanwaltlichen Vergabevermerk” so in ihren Willen aufzunehmen; vielmehr hat sie einen eigenen Vermerk erstellt (Bl. 1208 ff Vergabeakte II).

Die Vergabekammer hat den Antragsgegner verpflichtet, die Wertung der Angebote einschließlich des Angebotes der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen.

Zur Begründung, für deren Einzelheiten auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen wird, hat sie ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei zulässig und begründet. Der Ausschluss der Antragstellerin wegen fehlender Unterlagen sei rechtswidrig, weil die Antragstellerin keine Unterauftragnehmer im Sinne des § 36 VgV einsetze und somit dem finalen Angebot das Formular 235, die Verpflichtungserklärung Tariftreue/Mindestentgelt und die Erklärung betreffend den Ausschluss wegen schwerer Verfehlungen für Unterauftragnehmer nicht habe beifügen müssen. Weder habe die Antragstellerin erklärt, Unterauftragnehmer einsetzen zu wollen, noch handele es sich bei dem Neubau der Brandsimulationsanlage einschließlich des Orientierungsraums durch die B GmbH (nachfolgend B genannt) und dem Transport dieser Anlagen ggfls. durch einen Spediteur zu verschiedenen Veranstaltungsorten um Nachunternehmerleistungen im Sinne des § 26 VgV.

Mit seiner sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsgegner seinen Zurückweisungsantrag weiter. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen vor der Vergabekammer und macht außerdem geltend, die Antragstellerin sei auch deshalb als ungeeignet auszuschließen, weil sie keine ausreichenden Referenzen vorgelegt habe. Da die Antragstellerin – was hinsichtlich des Unternehmensträgers unbestritten ist – erst am 07.02.2017 gegründet worden sei, sei ihr die erste der sechs angegeben Referenzen wegen des Ausführungszeitraums “2009” nicht zuzuordnen. Sie falle auch aus der Dreijahresfrist, gerechnet vom Schluss der Angebotsfrist, heraus. Die übrigen Referenzen seien nicht geeignet, die Eignung nachzuweisen. Sie seien zwar zu prüfen, sie erreichten aber den gegenständlichen Auftragswert nicht einmal annähernd. Sie seien daher mit dem Auftragsgegenstand nicht vergleichbar.

Der Antragsgegner beantragt nunmehr

den Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 01.07.2021, Az. 69d-VK2-16/2021 aufzuheben und den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 01.04.2021 zurückzuweisen;

hilfsweise, die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts über die Sache erneut zu entscheiden;

die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie des Nachprüfungsverfahrens (69d-VK2-16/2021) einschließlich der jeweiligen notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners der Antragstellerin aufzuerlegen;

die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner für notwendig zu erklären.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen;

die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin dem Antragsgegner aufzuerlegen;

die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Antragstellerin und die Beigeladene wiederholen und vertiefen ihr Vorbringen vor der Vergabekammer.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, § 172 GWB.

2. In der Sache hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg. Die Beschwerde ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Vergabestelle nunmehr an die Rechtsauffassung des Senats gebunden wird und sie das Angebot der Antragstellerin – auch hinsichtlich der Eignungsanforderungen an etwaige Subunternehmer – neu zu prüfen hat.

a) Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Insoweit wird auf die unangefochtenen Ausführungen der Vergabekammer Bezug genommen.

b) Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Vergabestelle hat den Anspruch der Antragstellerin auf ein bestimmungsgemäß durchgeführtes Vergabeverfahren aus § 97 VI GWB verletzt.

aa) Die Vergabestelle hat das Angebot der Antragstellerin gem. § 57 I Nr. 2 VgV mangels Erfüllung der Eignungsanforderungen aufgrund fehlender Unterlagen ausgeschlossen (Bl. 1136, 1134 Vergabeakte II). Diese Begründung des Ausschlusses hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Insoweit kann dahinstehen, ob B nach dem Angebot der Antragstellerin überhaupt – wie von dem Antragsgegner angenommen – Subunternehmer hinsichtlich der ausgeschriebenen Leistungen sein sollte.

(1) Allerdings darf die Vergabestelle die Eignung eines Bewerbers jedenfalls dann neu beurteilen, wenn die Zweifel an der Eignung nachträglich, also nach einer vorherigen Prüfung und Bejahung der Eignung, aufgrund eines geänderten Sachverhaltes entstanden sind (vgl. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage, § 122 GWB, Rn. 25). Die Prüfung, ob die erstmalige Erklärung der Antragstellerin im Begleitschreiben vom 13.01.2021, alle Arbeiten würden durch B erbracht, Einfluss auf die Erfüllung der Eignungskriterien hatte, war daher zulässig.

(2) Nach der unter I. wiedergegebenen, an § 36 V VgV anknüpfenden Regelung unter Nr. 6. der (ergänzenden) Bewerbungsbedingungen für die Vergabe von Leistungen (Bl. 513 Vergabeakte II) hätte die Vergabestelle bei Verneinung der Eignung von B als Subunternehmerin oder bei Annahme eines diese betreffenden Ausschlussgrundes nicht die Eignung der Antragstellerin verneinen dürfen, sondern diese zur Ersetzung des Subunternehmers binnen zu bestimmender Frist auffordern müssen. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob die Eignung wegen des Inhalts vorgelegter Unterlagen oder wegen fehlender Unterlagen nicht als gegeben angenommen werden kann.

bb) Der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin rechtfertigt sich auch nicht aus § 57 I Nr. 2, § 53 VII VgV. Auch insoweit kann dahinstehen, ob die Annahme der Vergabestelle, die Antragstellerin wolle alle ausgeschriebenen Leistungen durch B als Subunternehmerin ausführen lassen, zutrifft.

(1) Nach § 53 VII 2 VgV müssen die Angebote vollständig sein, und alle geforderten Angaben und Erklärungen enthalten. Dazu gehört bei Einsatz von Subunternehmern nach Abschnitt B der Angebotsaufforderung Bl. 526 Vergabeakte II und gem. Nr. 2.3.31 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung das Formular 235 (Verzeichnis der Leistungen/Kapazitäten anderer Unternehmen), das bei Annahme einer Subunternehmerstellung der B fehlen würde.

Demgegenüber war die Verpflichtungserklärung Tariftreue/Mindestentgelt sowohl nach Nr. 2.3.32 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung, als auch nach Nr. 6 der ergänzenden Bewerbungsbedingungen noch nicht mit dem Angebot, sondern erst auf Aufforderung vorzulegen. Soweit die ursprüngliche Auftragsbekanntmachung vom Dezember 2019 (Bl. 1158 f. Vergabeakte I) die Vorlage der Verpflichtungserklärung für schon bekannte Nachunternehmer bereits mit dem Angebot vorsah (S. 3, Bl. 114 Vergabeakte I unter III.2.2), ist dies durch die überarbeiteten Vergabebedingungen des neuen Vergabeverfahrens überholt.

Hinsichtlich der Erklärung betreffend den Ausschluss der Subunternehmer wegen schwerer Verfehlungen fehlt zwar eine entsprechende ausdrückliche Regelung unter 2.3.32, insoweit ergibt sich jedoch aus Nr. 6 der ergänzenden Bewerbungsbedingungen, dass die Eignung der Subunternehmer erst auf Aufforderung nachzuweisen ist, d.h. die Erklärung als Subunternehmer-Eignungsnachweis ebenfalls noch nicht mit dem Angebot vorzulegen war.

(2) Auf Grundlage des von der Vergabestelle angenommenen Angebotsinhalts hatte diese daher unter dem Gesichtspunkt des § 57 VgV eine Ermessensentscheidung gem. § 56 II VgV über ein Nachfordern der fehlenden Unterlage 235 zu treffen. Bezüglich der beiden anderen vorgenannten Unterlagen greift § 56 II VgV nicht ein. Das erstmalige Anfordern von Unterlagen, deren spätere Anforderung sich der öffentliche Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen zunächst vorbehalten hat, ist kein “Nachfordern” im Sinne der Norm (MüKoEuWettbR/Pauka, 2. Aufl. 2018, § 56 VgV, Rn. 30).

Soweit es unter 3.2 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung heißt, eine Aufforderung betreffend Nachforderung, Vervollständigung, Berichtigung von Unterlagen bzw. eine Aufklärung erfolge, wenn dies “vergaberechtlich zulässig und geboten” sei (Bl. 518 der Vergabeakte II), folgt daraus weder eine von § 57 VgV abweichende Rechtsfolge, noch eine Änderung hinsichtlich der im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigenden Umstände. Vielmehr ist – etwas anderes macht auch der Antragsgegner nicht geltend – das Merkmal der Zulässigkeit der Nachforderung auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 56 II VgV und das Merkmal der Gebotenheit auf das Ergebnis der Ermessensausübung nach § 56 II VgV zu beziehen.

(3) Die Ermessensentscheidung der Vergabestelle hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

(a) Die Vergabestelle hat den Ausschluss der Antragstellerin damit begründet, dass die erforderliche Eignung der Antragstellerin – die während des gesamten Verfahrens zu prüfen sei – nicht festgestellt werden könne, weil sie für alle Arbeiten die Fa. B GmbH als Subunternehmerin einsetzen wolle und hinsichtlich dieser die notwendigen Unterlagen nicht vorgelegt habe. Eine Nachforderung dieser Unterlagen sei weder geboten noch erforderlich. Dabei findet sich die Wendung zur Ausführung aller Arbeiten durch B nicht in den Angebotsunterlagen selbst, sondern in einem Begleitschreiben vom 13.01.2021, Bl. 777 der Vergabeakte II, und lautet wörtlich (Unterstreichung durch den Senat):

“(…) Aufgrund der neuen Version der Unterlagen wurde unsere Kalkulation entsprechend angepasst. Die Erhöhung des Stundenpreises kommt insbesondere zustande durch:

– Ausführung aller Arbeiten durch die Firma B GmbH

– Neubewertung der Inflationsgefahren für die kommenden Jahre

– Konkretisierung der geplanten Ausführung des Orientierungsraumes durch den Auftraggeber

(…)”

In dem Ausschlussschreiben heißt es zur Ermessensausübung (Bl. 1133 der Vergabeakte II, Hervorhebung im Original):

“Eine Nachforderung der fehlenden Unterlagen gem. § 56 Abs. 2 VgV ist vorliegend weder geboten noch erforderlich. Ergibt die Prüfung auf Vollständigkeit wie vorliegend, dass Unterlagen fehlen, unvollständig oder (bei unternehmensbezogenen Unterlagen) fehlerhaft sind, können diese nach den Regelungen des § 56 Abs. 2 und Abs. 3 VgV bis zum Ablauf einer vom Auftraggeber zu bestimmenden Nachfrist grundsätzlich nachgefordert werden. Es besteht insoweit jedoch keine Verpflichtung des Auftraggebers zur Nachforderung.

Nach Ausübung des Ermessens und unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach § 97 Abs. 1 S. 2 GWB ist vorliegend keine Nachforderung geboten. Insoweit würde eine Nachforderung zu einer weiteren, unzumutbaren Verzögerung des Vergabeverfahrens führen. Weiterhin wurde auf Bitten Ihres Unternehmens die Angebots- und Ausschlussfrist zur Abgabe der finalen Angebote bereits um 10 Kalendertage verlängert. Insoweit würde eine entsprechende Nachforderung nicht nur zu einer Besserstellung Ihres Unternehmens und damit zu einer unzulässigen Diskriminierung anderer Verfahrensteilnehmer führen. Dies ist jedoch mit den vergaberechtlichen Grundsätzen der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung i.S.v. § 97 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GWB nicht zu vereinbaren.”

Im Nichtabhilfeschreiben vom 01.04.2021, Bl. 1194 ff. Vergabeakte II, wird die Ermessensentscheidung verteidigt. Im Zuge allgemeiner Rechtsauführungen zum Ermessen, zur Auslegung des § 56 II VgV und den Grenzen gerichtlicher Kontrolle heißt es, das Gleichbehandlungsgebot zwinge dazu, von einer Nachforderungsmöglichkeit nur zurückhaltend Gebrauch zu machen. Die Regelung sei nicht als Soll-Vorschrift zu lesen. Im Übrigen wird für den vorliegenden Fall ausgeführt, es habe keine Ermessensreduzierung auf Null vorgelegen. Es werden Ermessenserwägungen aus dem Ausschlussschreiben wiederholt. Ergänzend wird ausgeführt, sofern die Antragstellerin trotz der verlängerten Angebots- und Ausschlussfrist “nicht Willens oder faktisch nicht in der Lage” sei, die “geforderten Unterlagen bis zum Fristablauf entsprechend den transparent und diskriminierungsfrei aufgestellten Anforderungen beizubringen”, sei es “nicht an der Vergabestelle, diese Versäumnisse zu Lasten der anderen Wettbewerbsteilnehmer zu heilen”. Vielmehr würde eine entsprechende “Bevorzugung” der Antragstellerin “gegen die Grundpfeiler des (Kartell-)Vergaberechts in Form der Gleichbehandlung, der Transparenz und der Nichtdiskriminierung verstoßen” (S. 10, Bl. 1185 Vergabeakte II).

(b) Die Ermessensentscheidung ist von den Nachprüfungsinstanzen nur beschränkt und zwar analog § 114 VwGO daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Neben einem Ermessensnichtgebrauch (Ermessensausfall) und einer Ermessensüberschreitung kommt dabei – hier allein relevant – ein Ermessensfehlgebrauch in Betracht.

Hierher gehören zum einen die Fälle, in denen die Behörde nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt oder nicht alle für die Entscheidung bedeutsamen Tatsachen ermittelt hat. Zum anderen handelt es sich um die Fälle, in denen die Behörde den Zweck der Ermächtigung verkannt hat. Schließlich geht es um die Fälle, in denen die Behörde bewusst aus unsachlichen Motiven gehandelt hat. Ein Ermessensfehlgebrauch führt auch dann zur Rechtswidrigkeit der Ermessensentscheidung, wenn die gewählte Rechtsfolge im Ergebnis auch auf der Grundlage vollständiger und fehlerfreier Ermessenserwägungen hätte angeordnet werden können. Denn beim Ermessensfehlgebrauch geht es um einen Verstoß gegen die “inneren” Grenzen des Ermessens, während die Ermessensüberschreitung die “äußeren” Grenzen des Ermessens betrifft und voraussetzt, dass die angeordnete Rechtsfolge nicht von der Ermessensermächtigung gedeckt ist, im Ergebnis also unabhängig von den zugrunde liegenden Ermessenserwägungen nicht angeordnet werden durfte (BeckOK VwVfG/Aschke, 52. Ed. 1.7.2021, § 40 VwVfG, Rn. 85 f., 87).

(c) Gemessen an diesen Grundsätzen kann die Ermessensentscheidung der Vergabestelle keinen Bestand haben.

Zum einen ist die Ermessensausübung schon deshalb defizitär, weil sie die Nachforderung der Unterlagen unter dem Gesichtspunkt des Ausschlusses des Angebots wegen fehlenden Eignungsnachweises der Subunternehmer und nicht (nur) der Nichteinhaltung der Anforderungen des § 53 VII VgV prüft. Das Formular 235 ist selbst kein Eignungsnachweis, sondern gibt nur Auskunft darüber, ob die Eignungs- und Ausschlussprüfung auf Subunternehmer erstreckt werden kann oder gar muss.

Die Ermessensentscheidung berücksichtigt auch nicht, dass eine zeitliche Verzögerung bei jeder Nachforderung gegeben ist, Nachforderungen aber gleichwohl grundsätzlich zulässig sind und der pauschale Hinweis auf Verzögerungen allein daher keine tragfähige Erwägung darstellen kann. Grundsätzlich bedarf es vielmehr der Abschätzung der konkret zu erwartenden Verzögerung und deren Auswirkungen auf das Verfahren und ist auch zu berücksichtigen, ob die Vergabestelle diese Auswirkungen durch frühere Nachforderung hätte abmildern oder vermeiden können. Dabei wäre vorliegend eine Nachreichung des Formulars 235 auch ohne besondere Eile binnen weniger Tage, bei Eilbedürftigkeit notfalls auch binnen weniger Stunden möglich gewesen. Ebenso ist unberücksichtigt geblieben, dass die im Formular vermisste Information auf Grundlage der Auslegung der Vergabestelle – Erbringung aller Leistungen durch B – schon vorlag, so dass die Vergabestelle noch innerhalb der Angebotsfrist informiert, der Fehler also rein formal war. Die Vergabestelle hat ferner nicht berücksichtigt, dass es – wie oben ausgeführt – auch bei Vorlage eines in ihrem Sinne ausgefüllten Formulars weiterer Nachfragen bedurft hätte, das Verfahren im Vergleich zu einem Angebot ohne den angenommenen Fehler also nicht verzögert wurde, da die weiteren Nachweise mit dem Formular gemeinsam hätten angefordert werden können.

Rechtsfehlerhaft ist die Erwägung der Vergabestelle, gegen die Nachforderung sprächen frühere “Verzögerungen” sowie die Verlängerung der Angebots- und Ausschlussfrist zur Abgabe der finalen Angebote um 10 Kalendertage. Es ist nicht ersichtlich, dass aufgrund der Verlängerungen eine die Nachforderung infrage stellende Eilbedürftigkeit eingetreten wäre. Soweit das Vergabeverfahren insgesamt länger gedauert hat, als bei Beginn erwartet, beruht dies auf Entscheidungen der Vergabestelle bzw. darauf, dass diese Rügen der Antragstellerin abgeholfen hat. Hilft die Vergabestelle aber einer Rüge ab, ohne dass dies von anderen Bietern erfolgreich angefochten wird, ist für das weitere Verfahren von einer berechtigten Rüge auszugehen, deren Erheben kein Kriterium bei einer zu Lasten der Antragstellerin gehenden Ermessensentscheidung sein kann.

Ferner hat die Vergabestelle bei ihrer Ermessensentscheidung nicht berücksichtigt, dass bei Ausschluss der Antragstellerin nur noch die Beigeladene als einzige Bewerberin übrigbleiben wird und damit der Zweck des Vergabeverfahrens, die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers zu den bestmöglichen Konditionen zu befriedigen (EuG, Urteil vom 13. September 2011 – T-8/09 -, juris), allenfalls unzulänglich erreicht werden kann. Unberücksichtigt ist auch geblieben, dass § 56 II VgV auf eine möglichst weitgehende Berücksichtigung von Bieterangeboten zielt (Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, 2. Auflage, § 15 VgV, Rn. 20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.10.2015 – Verg 35/15 “Traggerüst”, Rn. 35 zur VOB/A-EG). Die Vorschrift bezweckt, im Interesse eines umfassenden Wettbewerbs den Ausschluss von Angeboten aus vielfach nur formalen Gründen zu verhindern und die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig zu reduzieren (BGH, Urteil vom 19. Juni 2018 – X ZR 100/16 “Uferstützmauer”, juris, Rn. 11 = BGHZ 219, 108).

Soweit § 56 II VgV auf die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung abstellt, ist dies nicht dahin zu verstehen, andere Gesichtspunkte und insbesondere der Zweck des Vergabeverfahrens seien unerheblich. Vielmehr sind die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung bei der unter Einbeziehung anderer Gesichtspunkte zu treffenden Entscheidung zu beachten.

cc) Das Angebot der Antragstellerin war auch nicht deshalb wegen unklarer Angaben gem. § 57 I VgV auszuschließen, weil die Antragstellerin entgegen § 53 VII VgV mehrdeutige Angaben gemacht hat.

(1) Zwar führt 57 VgV unter Nr. 3 nur wegen Änderungen und Ergänzungen an den Bietereintragungen in den Vergabeunterlagen nicht zweifelsfreie Angebote als insbesondere auszuschließende Angebote auf. Ausschlussgrund ist bei Nr. 3 jedoch die Unsicherheit über den Angebotsinhalt, die auch auf den unveränderten – für sich genommen klaren – Vergabeunterlagen beigefügten weiteren Erklärungen – hier dem Begleitschreiben vom 13.01.2021 – beruhen kann.

(2) Das Angebot der Antragstellerin ist unter Einbeziehung des Begleitschreibens vom 13.01.2021 widersprüchlich und unklar. Es lässt sich weder eindeutig dahin auslegen, dass die Antragstellerin sämtliche ausgeschriebenen Leistungen durch die B als Subunternehmerin erbringen will, noch dass B nur als Lieferantin und für Hilfsdienste einbezogen würde (wie die Vergabekammer angenommen hat).

Zwar deutet der Wortlaut “Ausführung aller Arbeiten durch die Firma B GmbH” für sich genommen auf eine Einschaltung der B als Subunternehmerin hinsichtlich des gesamten Auftragsgegenstandes hin, dessen genaue Abgrenzung insoweit dahinstehen kann. Dagegen spricht jedoch das Nichtausfüllen des Formblatts 235 sowie der Umstand, dass eine solch weitgehende Befassung der B in den erst am 02.02.2021 (vgl. Bl. 810 Vergabeakte II) abschließend erstellten Angebotsunterlagen nicht berücksichtigt worden ist. Auch kann die Wendung im weiteren Begleitschreiben vom 10.01.2021, der Hersteller werde das Bedienpersonal schulen, dahin gedeutet werden, es handele sich nicht um Personal des Herstellers B selbst, sondern um solches der Antragstellerin. Gegen ein Verständnis der Wendung im Begleitschreiben vom 13.01.2021 im Sinne einer umfassenden Subunternehmerstellung von B spricht auch, dass sie nicht im Zusammenhang mit den Leistungsumfang betreffenden Fragen steht, sondern nur die Preisdifferenz zum vorangegangenen indikativen Angebot erläutern soll. Dies drängt aber entgegen der Auffassung der Vergabekammer gleichwohl nicht hinreichend eindeutig zu einer Auslegung dahingehend, B solle nur die Herstellung der Brandsimulationsanlage als Lieferantin erbringen (VKB20). Denn die Antragstellerin hatte im Verhandlungsgespräch im HMdIS bereits ausgeführt, der Brandübungscontainer solle von B gebaut werden (Bl. 292 Vergabeakte II). Sie gehe davon aus, dass sie für den Neubau bessere Konditionen bekomme als andere Kunden, da sie wahrscheinlich mittelfristig mit B zusammenarbeiten werde (Bl. 291 Vergabeakte II). Es sei ohnehin ein Neubau geplant, alles sei überschaubar und sie habe wegen ihrer schlanken Unternehmensstruktur praktisch keine fixen Kosten. Der Preis scheine gering zu sein, sei aber auskömmlich. Vor diesem Hintergrund kann die Erläuterung der Preiserhöhung dahingehend, alle Arbeiten würden durch B ausgeführt, auch so verstanden werden, B mache nun mehr, als noch im Verhandlungsgespräch zu Grunde gelegt.

Danach lässt sich dem Angebot der Antragstellerin unter Berücksichtigung des Begleitschreibens nur sicher entnehmen, dass B Hersteller der Simulationsanlage sein soll, nicht aber, ob und in welchem Umfang B weitere Tätigkeiten verrichten wird; insoweit ist das Angebot widersprüchlich.

(3) Diese Widersprüchlichkeit rechtfertigt jedoch den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin nicht.

Da das Angebot nicht eindeutig war, kam eine Aufklärung nach §§ 16 IX, 15 V 1 VgV in Betracht (vgl. Dieckmann aaO, § 15 VgV, Rn. 23). Es kann dahinstehen, ob die Vergabestelle bei widersprüchlichen Angeboten vor einem Ausschluss zum Versuch einer Aufklärung verpflichtet ist (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.12.2017 – Verg 33/1 “Personalkonzept”, Rn. 94; Beschluss vom 21.10.2015 – Verg 35/15 “Traggerüst” Rn. 35 f.; allgemein Diekmann aaO, § 15 VgV, Rn. 24) oder nur eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen hat, ob und inwieweit sie Aufklärung betreiben will (so wohl Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 06. September 2011 – 6 U 2/11, juris, Rn. 49, Pünder/Klafki in Pünder/Schellenberg, VergabeR, 3. Auflage, § 15 VgV, Rn. 32). Denn die Vergabestelle, die rechtsfehlerhaft angenommen hat, das Angebot sei eindeutig, hat insoweit kein Ermessen ausgeübt; es läge ggfls. ein Ermessensausfall vor.

(4) Hätte die Antragstellerin im Zuge einer Aufklärung klargestellt, dass B nur mit der Herstellung der Brandsimulationsanlage beauftragt werden solle, wie sie im Nachprüfungsverfahren geltend macht, wäre von keiner Nachunternehmerstellung der B auszugehen und das Formular 235 nicht auszufüllen gewesen. Das Angebot hätte dann nicht unter diesem Gesichtspunkt ausgeschlossen werden dürfen.

Nachunternehmer ist eine natürliche oder juristische Person, die im Auftrag und auf Rechnung des Auftragnehmers eine Teilleistung des öffentlichen Auftrags erbringt und dabei in keiner vertraglichen Verbindung zu dem öffentlichen Auftraggeber steht. Der Nachunternehmer schuldet gegenüber dem (Haupt-) Auftragnehmer einen vertraglichen Erfolg und deckt damit einen Teil der vom (Haupt-) Auftragnehmer gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber übernommenen Primärleistung selbständig ab (Scharf in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal/Scharf, 2. Aufl. 2019, VgV § 36 Rn. 7). Die Unterauftragsleistung ersetzt als Teilleistung die Erfüllung einer Leistungsverpflichtung des Auftragnehmers nach Außen (Peshteryanu in BeckOK VergabeR, 21. Ed. 31.1.2021, § 36 VgV, Rn. 3). Damit unterscheidet sich der Nachunternehmer von Lieferanten, Verleihern von Personal und Geräten, Transportunternehmern und Erbringern von sonstigen Hilfsleistungen, die selbst keinen Teil der Primärleistung übernehmen (Scharf aaO).

Gegenstand des ausgeschriebenen öffentlichen Auftrags ist, wie die Vergabekammer zu Recht angenommen hat, die Vermietung und Zurverfügungstellung der Brandsimulationsanlage an wechselnden Standorten sowie die Mitwirkung an der Ausbildung. Der Aufragnehmer schuldet dem Aufraggeber nicht unmittelbar den Bau der Anlage oder Instandhaltungsarbeiten an dieser, weshalb der Hersteller nicht Subunternehmer des Auftragnehmers ist, auch nicht, soweit er Wartungen und Reparaturen ausführt. Dies gilt auch, soweit der Hersteller oder ein sonstiger Dritter die Mitarbeiter der Antragstellerin (!) schult.

Ob im vorliegenden Einzelfall die Übernahme des Transports oder anderer zur Auftragserfüllung notwendiger Leistungen eine Subunternehmerstellung begründen würde, bedarf keiner Entscheidung.

dd) Das Angebot der Antragstellerin ist entgegen der Auffassung der Beschwerde auch nicht deshalb mangels Eignung der Antragstellerin gem. § 122 I GWB auszuschließen, weil die Antragstellerin keine vergleichbaren Referenzobjekte benannt hatte.

Zwar nimmt die überarbeitete Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, Bl. 526 ff. Vergabeakte II, unter 3.1 auf die ursprüngliche Auftragsbekanntmachung vom 02.12.2019, Bl. 104 ff. Vergabeakte I, Bezug und verlangt diese unter III.3 zur technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit

“eine Liste mit geeigneten Referenzen der in den letzten drei Jahren im wesentlichen erbrachten Leistungen mit folgenden Angaben: Art und Umfang, Erbringungszeitpunkt, Angabe des Wertes, öffentlicher oder privater Empfänger mit jeweiligen Kontaktdaten (Referenzen sind dann geeignet, wenn diese in Art und Umfang dem hier zu vergebenden Auftrag entsprechen.)”.

Entsprechende Angaben finden sich auch in der damaligen Angebotsaufforderung Bl. 64 ff. Vergabeakte I bei der Auflistung der Angebotsbestandteile unter 2.3.5.

Damit sind zwar keine Eignungskriterien – die systematisch von den Eignungsnachweisen zu unterscheiden sind – ausdrücklich formuliert. Sie können aber aus dem geforderten Nachweis insofern abgeleitet werden (vgl. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage, § 122 GWB, Rn. 52), als dass die Bewerber durch frühere vergleichbare Projekte über hinreichende Erfahrungen verfügen sollen.

Trotz der Bezugnahme auf die Angebotsaufforderung durfte ein verständiger Bieter jedoch davon ausgehen, dass dieses Erfordernis nach Überarbeitung der Ausschreibungsunterlagen durch die Vergabestelle nicht mehr aufrechterhalten worden ist. Denn die hier maßgebliche überarbeitete Angebotsaufforderung Bl. 526 ff. Vergabeakte II enthält in der Liste der Angebotsbestandteile keine Referenzliste mehr. Die hiesige Nr. 2.3.5 betrifft die Erklärung Unternehmensdaten (Nr. 2.3.6 der ursprünglichen Angebotsaufforderung Bl. 64 ff. Vergabeakte I). Die Passage zur Referenzliste aus der früheren Angebotsaufforderung Bl. 64 ff. Vergabeakte I ist ersatzlos weggefallen. Dies ist nicht so zu verstehen, dass damit nur dem Umstand Rechnung getragen würde, dass eine Referenzliste bereits vorgelegt worden war. Denn bei anderen Unterlagen, die nur wegen der schon erfolgten früheren Einreichung nicht mehr verlangt werden, ist dies jeweils vermerkt worden; sie wurden nicht ersatzlos aus dem Text gestrichen.

Deshalb kann dahinstehen, ob überhaupt neue Erkenntnisse vorliegen, die bei einem Verhandlungsverfahren eine nachträgliche Verneinung der Eignung ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 07. Januar 2014 – X ZB 15/13 “Stadtbahnprogramm Gera”, juris, Rn. 33 = BGHZ 199, 327; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage, § 122 GWB, Rn. 25). Die erste Referenz lag von Anfang an und unabhängig vom Gründungszeitpunkt der Antragstellerin außerhalb des Referenzzeitraums und die Auftragswerte der übrigen Referenzen waren ebenfalls von Anfang an bekannt. Neu ist lediglich, dass die übrigen Referenzprojekte bereits vor Gründung der Antragstellerin begonnen, aber nach ihrer Gründung abgeschlossen wurden.

c) Hinsichtlich der Kosten vor der Vergabekammer verbleibt es bei der dortigen Kostengrundentscheidung, die der Antragsgegner für den Fall eines Unterliegens in der Hauptsache ebenso wenig angreift, wie die dortige Kostenfestsetzung. Dies gilt auch, soweit die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin gem. § 1824 S. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 3 S. 2 VwVfG für notwendig erklärt worden ist.

3. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 175 II, 71 GWB. Da die sofortige Beschwerde im Wesentlichen erfolglos geblieben ist, entspricht es billigem Ermessen, die Kosten dem beschwerdeführenden Antragsgegner vollumfänglich aufzuerlegen. Hinsichtlich der – nicht § 71 S. 2 GWB unterfallenden – Kosten des Beigeladenen, der an den sonstigen Verfahrenskosten nicht zu beteiligen ist (Bechtold/Bosch in dies., GWB, 10. Aufl. 2021, § 71 Rn. 9), entspricht es billigem Ermessen, dass diese vom Beigeladenen, der die angefochtene Entscheidung im Wesentlichen erfolglos verteidigt hat, selbst getragen werden.

Unter “Kosten” des Verfahrens im Sinne des § 71 GWB sind dabei sowohl die Gerichtskosten als auch die außergerichtlichen Kosten der Parteien zu verstehen (Bechtold/Bosch aaO, § 71 Rn. 2), einer Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten bedarf es insoweit nicht.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 50 II GKG.