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VK Sachsen:

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Mündliche Kommunikation mit Bietern muss hinreichend dokumentiert werden

In sich widersprüchliche Angebote dürfen ohne vorherige Aufklärung des Angebotsinhalts weder bezuschlagt noch ausgeschlossen werden

Verweigerung der Mitwirkung an der Aufklärung kann für sich genommen bereits einen Ausschlussgrund darstellen

1. Ein öffentlicher Auftraggeber ist verpflichtet, die mündliche Kommunikation mit Bietern, die Einfluss auf Inhalt und Bewertung der Angebote haben könnte, in hinreichendem Umfang und in geeigneter Weise zu dokumentieren.
2. In sich widersprüchliche Angebote dürfen ohne vorherige Aufklärung des Angebotsinhalts weder bezuschlagt noch ausgeschlossen werden. Der öffentliche Auftraggeber hat vielmehr den betreffenden Bieter zu einer Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufzufordern und ihm Gelegenheit zu geben, die Widersprüchlichkeit nachvollziehbar auszuräumen.
3. Lässt der Bieter die ihm gesetzte angemessene Frist zur Aufklärung ohne Antwort verstreichen oder legt er lediglich untaugliche Unterlagen vor, oder gibt er untaugliche Antworten, kann dieses Verhalten als Verweigerung der Mitwirkung an der Aufklärung gewertet werden, was für sich genommen bereits einen Ausschlussgrund darstellen kann.
VK Sachsen, Beschluss vom 28.07.2023 – 1/SVK/011-23

Gründe:

I.

Mit Auftragsbekanntmachung vom 10. August 2022 veröffentlichte der Auftraggeber die beabsichtigte Vergabe des Auftrages “Lieferung und Implementierung einer Fachsoftwarelösung zur Unterstützung der digitalen Bearbeitung der Leistungen der unteren Bauaufsichtsbehörde” im Verhandlungsverfahren. Eine Aufteilung in Lose war nicht vorgesehen. Als Zuschlagskriterien waren gemäß Ziffer II 2.5 zum einen benannt:

Qualitätskriterium, Gewichtung: 60%, Kostenkriterium, Gewichtung: 40%.

Unter II 2.14 Zusätzliche Angaben waren für die Bewertung der Zuschlagskriterien weitere Regelungen verlautbart. Gemäß Ziffer IV 1.5 der Auftragsbekanntmachung hatte er sich zudem das Recht vorbehalten, den Auftrag auf der Grundlage der ursprünglichen Angebote zu vergeben, ohne Verhandlungen durchzuführen. Schlusstermin für den Eingang der Angebote war der 5. September 2022, 10:00 Uhr.

Die Antragstellerin beteiligte sich fristgerecht mit einem eigenen Angebot am Wettbewerb und füllte u. a. dabei auch das Formblatt Leistungskriterien aus. Im Zuge der Angebotswertung wurde sie sodann von dem Auftraggeber zu einer Bieterpräsentation eingeladen, deren Gesprächsführung von einem externen Berater geleitet wurde.

Mit Vorab-Informationsschreiben vom 2. März 2023 wurde der Antragstellerin vom Auftraggeber mitgeteilt, dass der Zuschlag nicht auf ihr Angebot erfolgen werde. Ihr Erstangebot sei gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 53 Abs. 7 VgV zwingend vom Wettbewerb auszuschließen, weil es verschiedene A-Kriterien nicht erfülle, so beispielsweise FA 14 sowie auch weitere B-Kriterien, in denen die Mindestpunktzahl im Rahmen der geforderten Leistungskriterien nicht erreicht worden sei. Soweit das Erstangebot nicht zwingend auszuschließen gewesen wäre und zuschlagsfähig gewesen wäre, hätte dieses ohnedies lediglich den zweiten Gesamtrang erhalten. Es liege ein wirtschaftlicheres Hauptangebot mit deutlichen Vorteilen im Kriterium der Leistungspunkte vor.

Die Antragstellerin rügte mit E-Mail vom 2. März 2023 sowie mit weiterem anwaltlichen Schreiben vom 9. März 2023 die beabsichtigte Zuschlagsentscheidung.

Am 3. März 2023 teilte der Auftraggeber mit, dass der Rüge nicht abgeholfen werde, da man nicht von einer Korrekturbedürftigkeit des Vergabeverfahrens ausgehe.

Nach Nichtabhilfe beantragte die Antragstellerin am 9. März 2023 die Durchführung eines Vergabenachprüfungsverfahrens.

Hierzu beantragte sie u. a. sinngemäß:

1. Dem Auftraggeber wird es untersagt, den Zuschlag zu erteilen.

2. Dem Auftraggeber wird aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Verfahren in den Stand vor Angebotswertung zurückzuversetzen und die Wertung entsprechend der bekanntgemachten Wertungskriterien, nach Maße der Rechtsauffassung der Vergabekammer, zu wiederholen.

Zur Begründung verwies sie darauf, dass ihr Angebot nicht hätte ausgeschlossen werden dürfen, da es sämtliche Anforderungen erfülle. Unklar bleibe, warum der Auftraggeber ihrem Angebot in mehreren Wertungskriterien keine Punkte zugewiesen habe. Das könne nur darauf zurückzuführen sein, dass die Auswertung der Angebote nicht ordnungsgemäß verlaufen sei, da Kriterien künstlich erweitert worden seien und zudem zuvor nicht verlautbarte Kriterien zur Wertung herangezogen worden seien. Die mangelnde Transparenz bei der Auswertung spreche zudem dafür, dass diese darauf abgezielt hätte, ihr Angebot schlechter zu bewerten, um ein Konkurrenzangebot annehmen zu können. Aufgrund der Überdehnung der Zuschlagskriterien und damit einhergehend der willkürlichen Wertung seien offensichtlich Ermessensfehler zu Lasten der Antragstellerin eingetreten.

So beträfe das Ausschlusskriterium FA 14 die grundsätzlichen Anforderungen an den digitalen Geschäftsgang. Weder in der Leistungsbeschreibung noch in den weitergehenden Unterlagen würden diese Anforderungen näher beschrieben oder definiert. Insoweit erfülle das Kriterium FA 14 bereits nicht die Anforderungen an Transparenz und Klarheit, die gemäß dem Transparenzgrundsatz bei öffentlichen Vergaben notwendig seien. Vor diesem Hintergrund verwundere es umso mehr, dass die Erfüllung dieses intransparenten Kriteriums ernsthaft in Abrede gestellt werde, da das Produkt der Antragstellerin die grundsätzlichen Anforderungen an den digitalen Geschäftsgang erfülle.

Die in Rede stehende, nachgewiesene Referenz 1 habe die abgeschlossene digitale Transformation einer unteren Bauaufsichtsbehörde unter Nutzung der angebotenen Fachsoftwarelösung samt weiterer Komponenten erfordert. Diese Anforderungen bedingten gerade, dass die genannte Behörde eine digitale Transformation durchgeführt habe, die u. a. auf einem grundsätzlich digitalen Geschäftsgang, bei welchem Geschäftsgänge digital bearbeitet würden, basiere. Da die Antragstellerin das Eignungskriterium unstreitig erfülle, sei das Kriterium FA 14 ebenfalls als erfüllt anzusehen. Es müsse somit davon ausgegangen werden, dass derjenige, der die Angebote geprüft habe, sich nicht mit den Produkten der Antragstellerin vertraut gemacht habe, oder schlicht ein anderes Produkt haben wollte. Dadurch, dass die grundlegenden Anforderungen vorliegend nachträglich interpretiert und mutmaßlich zugeschnitten worden wären, liege ein Wertungsfehler d.h. ein Ermessensfehlgebrauch vor.

Schließlich sei bei der Durchführung eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens zu erwarten gewesen, dass sich der Auftraggeber um Aufklärung und falls erforderlich, um Nachforderung bemüht hätte, sofern Zweifel hinsichtlich der Produkteigenschaften bestanden hätten. Da dies unterblieben sei, dränge sich der Verdacht auf, dass der Ausschluss in bewusst benachteiligender Weise intransparent erfolgt sei. Im Übrigen stellte das Kriterium gemäß den Vergabeunterlagen auch kein Ausschluss-, sondern ein Bewertungskriterium dar. Zwar heiße es im Formblatt Leistungskriterium unter II. 4 “Wenn für ein Bewertungskriterium […] die Mindestpunktzahl nicht erreicht wird, muss das Angebot ausgeschlossen werden. In der europaweiten Bekanntmachung habe es hingegen geheißen: “Für die als Bewertungskriterium gekennzeichneten Anforderungen werden nach den in der Leistungsbewertungsmatrix definierten Bewertungsmaßstäben und Punktesystemen Leistungspunkte vergeben.” Gemäß dieser Verlautbarung sei also das Nichterreichen von Mindestpunkten kein Ausschlussgrund.

Ebenfalls sei nicht ersichtlich, warum das Kriterium FA 16 zur digitalen Abbildung von Geschäftsvorgängen nicht erfüllt sein sollte. Dazu solle das angebotene Produkt u. a. das Anbringen von Geschäftsgangverfügungen an Vorgängen oder an digitalen Dokumenten umsetzen können und darüber hinaus in der Lage sein, Geschäftsgangverfügungen anzupassen und an andere Nutzer weiterzuleiten. Die Umsetzung der Erledigung von Geschäftsgangverfügungen sowie eine übersichtliche Darstellung, Filterung, Sortierung und flexible Markierung von Geschäftsgangverfügungen sei ebenfalls erforderlich gewesen. Die Antragstellerin habe angegeben, diese Kriterien vollumfänglich zu erfüllen und habe das auch mit einem entsprechenden Screenshot veranschaulicht und dargelegt.

Das Kriterium FA 33 betreffe das Verwalten von objekt- und ortsbezogenen Informationen. Es sei knapp zu beschreiben, auf welche Weise das angebotene System ein ausschließlich digitales Baulastenverzeichnis führe. Es sollte darauf eingegangen werden, wie Baulastenblätter und die zugehörigen Anlagen in einer oder mehreren rechtskonformen digitalen Akte abgelegt würden. Die Antwort sollte einen groben Überblick darüber geben, wie die Verwaltung eines digitalen Baulastenverzeichnisses in der Praxis erfolge. Es werde darauf verwiesen, dass Denkmäler und Brandschutzobjekte separat gespeichert würden und dass es einen eigenen Anwendungsbereich für Baulasten gebe, der digitale Akten enthalte. Die zur Erreichung von Maximalpunktzahlen erforderliche, knappe Beschreibung sei vorhanden. Hier sei das Kriterium als vollumfänglich erfüllt angegeben worden, eine weitere Erläuterung sei mithin nicht erforderlich gewesen. Letztlich habe sie in ihrer Stellungnahme zum Protokoll darauf hingewiesen, dass die Anforderungen “digitales Baulastenverzeichnis” erfüllt würden.

Das Kriterium FA 34 habe lediglich die Angabe erfordert, in welchem Umfang die Dokumentation von Bearbeitungszeiten und -unterbrechungen erfüllt würde. Die Antragstellerin habe diesbezüglich eine vollumfängliche Erfüllung angegeben, so dass hier keine weiteren Angaben erforderlich gewesen seien. Es sei unverständlich, warum der Auftraggeber der Meinung sei, dass dieses Kriterium nicht erfüllt sei.

Auch hinsichtlich des Kriteriums FA 57 sei nicht ersichtlich, warum die Antragstellerin dieses angeblich nicht erfüllt habe. Auch hier dränge sich der Verdacht auf, dass die Wertung nicht anhand der bekannt gemachten Zuschlagskriterien erfolgt sei.

Anders sei das Wertungsergebnis nicht erklärbar. Zusammenfassend sei festzustellen, dass die Antragstellerin sämtliche Kriterien erfüllt habe.

Auch die Begründung für den vermeintlich erzielten zweiten Rang aufgrund eines angeblich wirtschaftlicheren Hauptangebotes sei intransparent. Sinn und Zweck dieses Vortrages sei, die Antragstellerin von einem Nachprüfungsverfahren abzuschrecken, wissend, dass die Wertung in nicht haltbarer Art und Weise erfolgt sei und einer Nachprüfung nicht standhalten könne. Wenn jedoch die Wertung evident unzutreffend erfolgt sei, sei auch die Feststellung, dass nicht der erste Platz erreicht worden sei, wertlos, denn natürlich würde sich die Punktwertung und somit auch die Rang- und Reihenfolge ändern, wenn, wie vorgetragen, anders gewertet werden müsste und gewertet werden würde.

Die Leistungsbeschreibung sei schließlich auch in unzulässiger Weise auf ein Produkt, nämlich …, der Firma … zugeschnitten, welches hier wohl durch einen Subunternehmer angeboten worden sei. Eine verdeckt produktspezifische Ausschreibung verletze die Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit.

Letztlich sei darauf zu verweisen, dass der beabsichtigte Zuschlag auf die Beigeladene nicht erteilt werden dürfe, da diese auf ihrer Webseite keine Produkte oder Dienstleistungen im Bereich der Ausschreibung anböte, insbesondere nicht in Bereichen des Baugenehmigungsverfahrens und des digitalen Bauantrages. Außerdem sei festzustellen, dass die Leitung der Präsentation und Ausschreibung einem externen Berater oblegen hätte, der bereits im Vorfeld der Ausschreibung falsche Aussagen über die Arbeit der Antragstellerin getroffen habe und ihr gegenüber negativ eingestellt gewesen sei. Der externe Berater sei somit offensichtlich voreingenommen und habe dadurch eine unfaire Bewertung begünstigt.

Mit Schriftsatz vom 14. März 2023 nahm der Auftraggeber zum Sach- und Streitstand Stellung und beantragte u. a.,

den Antrag der Antragstellerin hinsichtlich des Zuschlagsverbotes abzuweisen.

Ebenso beantragte er,

den Antrag hinsichtlich einer durchzuführenden Neuwertung sowie hinsichtlich der vermeintlichen Voreingenommenheit der Verfahrensbetreuerin ### mangels Beweises abzuweisen.

Zur Begründung legte er dar, dass die Vorträge zu etwaigen Unklarheiten der Leistungskriterien, der Vergabeunterlagen oder deren vermeintlich produktspezifischen Ausgestaltung bereits präkludiert seien, da Inhalte des nunmehr gerügten Vortrages gerade nicht erst durch Übermittlung des Informationsschreibens vom 2. März 2023, sondern bereits anhand der Vergabeunterlagen des Teilnahmewettbewerbes vom 5. August 2022 für einen fachkundigen Bieter hinreichend transparent und offenkundig gewesen seien. Die monierten Punkte seien durch die Antragstellerin nachweislich gerade nicht bis zum Ablauf des Teilnahmewettbewerbes oder der Angebotsphase gerügt worden. Die Einreichung der Rügen vom 2. März und 9. März 2023 sei verfristet, eine Präklusion sei bereits eingetreten.

Es sei zudem darauf zu verweisen, dass die Bewertung anhand der bekannt gemachten Zuschlagskriterien (Leistungspunkte 60% und Kostenpunkte 40%) erfolgt sei. Nach Eingang der Erstangebote sei die Angebotsöffnung am 18. November 2022 erfolgt, woran sich sodann die fachliche Auswertung angeschlossen hätte. Diese vorläufige Auswertung der verbindlichen Erstangebote hätte auch bei der Antragstellerin zu einer konkreten Aufklärung geführt. Entgegen den Ausführungen der Verfahrensbevollmächtigten sei das Angebot der Antragstellerin bereits mehrfach aufgeklärt worden und dieser sei die Möglichkeit eingeräumt worden, die in Bezug genommenen Punkte konkret zu erläutern. Dies sei auch im Informationsschreiben nach § 134 GWB festgehalten worden, in dem darauf verwiesen worden sei, dass die Ausschlussentscheidung nach erfolgter Angebotsaufklärung erfolgt sei.

Sowohl die Bieterpräsentation als auch die schon dort verabredete nachgelagerte Aufklärung in Textform hätte der weiteren Aufklärung des Angebotes gedient, die Antragstellerin habe hierauf auch fristgerecht am 30. Januar 2023 geantwortet.

Sowohl im Angebot, in den Aussagen während der Bieterpräsentation als auch mit den im verbindlichen Erstangebot eingereichten Verhandlungsvorschlägen sei deutlich geworden, dass die Antragstellerin zum Kriterium FA 14 – entgegen ihren Angaben im Angebot – die vollständige Abbildung des digitalen Geschäftsgangs konzeptionell nicht als Funktion des angebotenen Systems vorsehe und stattdessen davon ausgehe, dass wesentliche Aufgaben der Sachbearbeitung im angeschlossenen ### auszuführen seien. Damit stünden Konzept- und Realisierungsstand des angebotenen Systems im Gegensatz zu den grundlegenden Paradigmen der Leistungsbeschreibung. Im Ergebnis einer sorgfältigen Anforderungserhebung im Bauaufsichtsamt des … sei in der Leistungsbeschreibung gefordert gewesen, dass alle für die vollständige digitale Sachbearbeitung notwendigen Funktionen im angebotenen System verfügbar sein müssten, so dass für die Sachbearbeitenden kein Wechsel der Benutzungsschnittstelle notwendig werde. Diese Paradigmen seien auch von keinem der Mitbewerber in Frage gestellt worden. Infolge des abweichenden Konzeptes der Antragstellerin seien jedoch unverzichtbare Forderungen des digitalen Geschäftsganges aktuell im angebotenen System nicht abgebildet (Zeichnungen, Geschäftsfangverfügung, Kenntnisnahme, Unterscheidung zwischen Entwurf und Reinschrift digitaler Dokumente, etc.). In der Bieterpräsentation habe die Antragstellerin deutlich gemacht, dass eine Umsetzung der Anforderungen der Leistungsbeschreibung technisch möglich wäre, Konzepte dafür müssten jedoch während der Projektlaufzeit zunächst entwickelt und abgestimmt werden. Zudem habe sie alle Weiterentwicklungen dieser Art unter den Vorbehalt gestellt, dass von Seiten des im ### genutzten ### entsprechende Metadatenfelder bereitgestellt würden, ohne dies im Rahmen der Angebotsdarstellung selbstständig geprüft zu haben. Angesichts des prinzipiell abweichenden Anwendungskonzeptes, des notwendigen Konzept- und Entwicklungsaufwandes sowie der Realisierungsvorbehalte seitens der Antragstellerin würde eine anforderungsgerechte Weiterentwicklung des Systems während der Projektlaufzeit erhebliche Risiken in sich bergen. Da die geforderten Funktionen im Rahmen des verbindlichen Erstangebotes hiernach nicht bestünden bzw. auch nicht abgebildet seien, werde die Anforderung folgerichtig als nicht erfüllt gewertet.

Die Anforderungen des Kriteriums FA 14 in der Leistungsbeschreibung verwiesen sowohl auf die Notwendigkeit, die verwaltungsmäßige Bearbeitung von Vorgängen und deren rechtskonforme Dokumentation vollständig digital zu ermöglichen als auch darauf, dass dabei die anerkannten Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltungsarbeit einzuhalten seien. Der Einsatz des von der Antragstellerin angebotenen Systems in anderen Behörden beweise die Erfüllung der in diesem Verfahren gestellten Anforderungen nicht. Bei der Bewertung seien auch keine vergabefremden Kriterien angewendet worden. Auch eine Aufklärung sei nicht unterlassen worden. Der Vorwurf der Bewertung einer in bewusst benachteiligenden Weise werde entschieden zurückgewiesen. Im Übrigen ergäben sich die Anforderungen aus den Unterlagen, die durch die Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt vor Angebotsabgabe gerügt worden wären.

Das schriftliche Angebot der Antragstellerin sei inkonsistent und lückenhaft. Deshalb sei in der Bieterpräsentation und in der nachgelagerten Aufklärung in Textform mit besonderer Sorgfalt der Aufklärungsbedarf dargelegt und thematisiert worden, so dass eine objektive und transparente Bewertung des Angebotes möglich gewesen sei. Konsequenz der Aufklärungsergebnisse sei, dass diese ihre teilweise widersprüchlichen Auskünfte und Angaben gegen sich gelten lassen müsse, insbesondere, wenn diese – wie hier – auch im Rahmen der nachgelagerten Aufklärungsmöglichkeit in Textform nicht ausgeräumt werden konnten.

Auch in Bezug auf die Anforderung im Kriterium FA 16 sei das Angebot inkonsistent. Im verbindlichen Erstangebot werde einerseits die Erfüllung der Anforderungen im angebotenen System ohne Einschränkungen zugesichert.

Im Gegensatz dazu sei in der Bieterpräsentation deutlich geworden, dass die Antragstellerin die Umsetzung von Geschäftsgangverfügungen und deren Dokumentation in Metainformationen zu Fällen und Dokumenten nicht als Funktion des angebotenen Systems verstehe und stattdessen auf die Nutzung von ###-Funktionen verweise. Infolgedessen würden wesentliche Aspekte der Anforderungen im angebotenen System aktuell nicht erfüllt (Abbildung von Geschäftsgangverfügungen in Metainformationen zu Fällen und Dokumenten, leistungsabhängige Kataloge von Geschäftsgangverfügungen, effiziente Verwaltung einer großen Zahl von Geschäftsgangverfügungen etc.). In der Bieterpräsentation habe die Antragstellerin erklärt, dass sie die geforderten Funktionen inclusive der Übermittlung der dabei entstehenden Metainformationen in das angeschlossene ### erst während der Projektlaufzeit realisieren würde. Auch hier seien die in den Bewertungen zu FA 14 geäußerten Risiken relevant.

Bezogen auf die Anforderung zum Kriterium FA 33 sei das verbindlichen Erstangebot ebenso inkonsistent, denn in diesem werde die Erfüllung der Anforderung im angebotenen System ohne Einschränkung zugesichert. Im Gegensatz dazu sei in der Bieterpräsentation deutlich geworden, dass zentrale Spezifikationen der Anforderungen im System aktuell nicht abgebildet würden. Insbesondere verfüge dieses nicht über Funktionen zum Anlegen, Verwalten und Nutzen binärischer Verzeichnisse von Objekten, inklusive der zugehörigen Fachinformationen. In der Bieterpräsentation habe die Antragstellerin diese Anforderung als nicht sinnvoll bezeichnet, mit einer Umsetzung während der Projektlaufzeit könne daher nicht gerechnet werden. Zudem werde das digitale Baulastenverzeichnis aktuell nicht in einer digitalen Akte in ### gespeichert, dessen rechtskonforme Umsetzung sei daher aktuell nicht möglich.

Gleiches gelte für das Kriterium Kriterium FA 34. Im verbindlichen Erstangebot werde die Erfüllung der Anforderungen im angebotenen System ohne Einschränkung zugesichert. Im Gegensatz dazu sei in der Bieterpräsentation deutlich geworden, dass das System nicht über Funktionen zur Erfassung, Verwaltung und Auswertung von Bearbeitungsunterbrechungen verfüge. Eine zusammenhängende Auswertung und übersichtliche visuelle Darstellung der Bearbeitungszeiten und Bearbeitungsunterbrechungen werde nicht ermöglicht. Mit einer Umsetzung während der Projektlaufzeit könne nicht gerechnet werden.

Nichts Anderes gelte für das Kriterium FA 57. Hier sei im verbindlichen Erstangebot und in der Bieterpräsentation unklar geblieben, in welchem Maß und wie die Anforderung erfüllt werden würde. Die im Erstangebot enthaltenen Screenshots einer mobilen Anwendung ließen allenfalls einen ersten Prototyp vermuten, nicht aber eine bereits praxistaugliche Systemkomponente. Nach Aussagen der Antragstellerin sei mit der Bereitstellung der Mobilanwendung nicht vor Jahresmitte 2023 zu rechnen. Dies deute einen fortgeschrittenen Arbeitsstand an. Im Gegensatz dazu sei die Antragstellerin jedoch nicht in der Lage gewesen, die Mobilkomponente praktisch zu demonstrieren. Auch die Antwort auf eine entsprechende Aufklärungsfrage enthalte keinerlei Beschreibungen und Illustrationen, wie die geforderten Funktionen umgesetzt werden sollten. Soweit die Antragstellerin also zum Zuschlagskriteriums FA 57 angegeben hatte, dass dieses vollumfänglich erfüllt werde, habe sich im Rahmen der Angebotsaufklärung deutlich gezeigt, dass diese Angabe unzutreffend sei.

Die Feststellungen zu den Wertungsergebnissen zu den zuvor in Bezug genommenen Kriterien FA 16, FA 33, FA 34 und FA 57 hätten den Ausführungen des Informationsschreibens nach § 134 GWB entnommen werden können. Ausweislich der Bekanntmachung vom 10. August 2022 seien die Zuschlagskriterien (Leistungspunkte 60% und Kostenpunkte 40%) transparent bekannt gegeben. Diese ließen sich zudem den jeweiligen Ausführungen der besonderen Bewerbungsbedingungen entnehmen. Außerdem seien sie nochmals als Sonderdokumente “Berücksichtigung der Leistung (Leistungspunkte)” und “Berücksichtigung der Angebotspreise (Kostenpunkte)” am Ende der Vergabeunterlagen beigefügt gewesen. Im Informationsschreiben seien die Gründe objektiv und ausreichend dargelegt gewesen. Auf eine vollständige Übermittlung der Einzelbewertung hätten die Bieter nach der herrschenden Rechtsprechung keinen Anspruch.

Im Übrigen sei darauf zu verweisen, dass die vorliegende Leistungsbeschreibung – Ausfluss des dem Vergaberecht vorgelagerten Leistungsbestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers – sei. Es gehe nicht darum, die Leistung auf einen Anbieter zuzuschreiben, sondern die derzeit auf dem Markt verfügbaren technischen Möglichkeiten mit den Anforderungen der Bedarfsstelle in Einklang zu bringen.

Grundlage der Leistungsbeschreibung resp. der Leistungskriterien sei eine umfassende Erhebung der Anforderungen an die digitale Transformation der Geschäftsprozesse des Bauaufsichtsamts des …, die in allen Details dem Stand der Technik sowie den maßgeblichen rechtlichen und fachlichen Regelungen zur digitalen Aktenführung und zum digitalen Geschäftsgang entsprechen würde. Diese seien beispielsweise im “Organisationskonzept elektronische Verwaltungsarbeit des Bundes sowie in Fachdokumenten der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Landesrechnungshöfe dokumentiert. Leistungsbeschreibung und Leistungskriterien seien bereits mit den Vergabeunterlagen im Teilnahmewettbewerb vom 5. August 2022 für einen fachkundigen Bieter transparent ersichtlich gewesen und hätten sich bis zuletzt auch nicht verändert. Die Wertung sei gemäß § 56 VgV ausschließlich unter Beachtung der verbindlichen Angebotsunterlagen, Aufklärungsergebnisse sowie den transparent bekannt gegebenen Zuschlagskriterien erfolgt. Der Vorwurf, die Wertung sei entgegen den ausdrücklichen Bieterangaben erfolgt, entbehre daher jeder Grundlage.

Mit Beschluss vom 14. April 2023 wurde die Beigeladene zum Verfahren hinzugezogen.

Am 29. März 2023 nahm die Antragstellerin abermals zum Streitstand Stellung und verwies darauf, dass ihr ein uneingeschränktes Recht auf Akteneinsicht zustünde und eine Selektion der Vergabeunterlagen durch den Auftraggeber unzulässig sei. Eine Präklusion der Rügevorbringen etwaig zu den Ausschlusskriterien FA 14 oder FA 57 sei offenkundig nicht eingetreten, da eine Rügepräklusion vor dem Hintergrund des beliebig gefassten Wertungsmaßstabes fernliege. Eine derart willkürliche Wertung sei im Vorfeld nicht erkennbar gewesen, habe auch nicht antizipiert werden können und unterfalle mithin keiner Rügepräklusion.

Sodann führte die Antragstellerin inhaltlich zum Auswertungsvorgang bezogen auf das Kriterium FA 14 aus und brachte ihre Verwunderung zum Ausdruck, dass der Auftraggeber für die Nichterfüllung des Kriteriums FA 14 weitere Ausschlusskriterien und weitere Bewertungskriterien herangezogen habe. Soweit dieser sich damit verteidigt habe, dass es zu diesem Kriterium eine Angebotsaufklärung gegeben habe, so sei nicht erkennbar, dass diese Aufklärung sich auf das Kriterium FA 14 bezogen hatte. Insbesondere das Protokoll verhalte sich nicht zu diesem Kriterium, so dass nunmehr offensichtlich der Versuch unternommen werde, andere B-Kriterien in ein nie vorgesehenes Verhältnis zum Kriterium FA 14 zu setzen, um die Antragstellerin letztlich doch noch ausschließen zu können. Der Umstand, dass der Auftraggeber die Aufklärungen zum Kriterium FA 15 auch auf das Kriterium FA 14 bezogen habe, belege eindeutig, dass der Wertungsmaßstab ermessensfehlerhaft gesetzt wurde / die Wertung ermessensfehlerhaft erfolgt sei und das Verfahren aufzuheben, mindestens aber zurückzuversetzen sei. Sodann wies die Antragstellerin abermals darauf hin, dass sich aus der Homepage der Beigeladenen ergebe, dass diese keine Produkte oder Dienstleistungen im Bereich der Ausschreibungen vorhalte, insbesondere keine solchen zu Baugenehmigungsverfahren, so dass deren Eignung nach wie vor in Frage zu stellen sei.

Die Ausführungen des Auftraggebers zum Bewertungskriterium FA 16, dass in Zweifel zu ziehen sei, dass die Umsetzung der dortigen Funktionen noch während der Projektlaufzeit erfolgen werde, sei unzutreffend. Die von der Antragstellerin im Rahmen der Bieterpräsentation getroffene Aussage, dass eine Umsetzung der Funktionen derzeit nicht möglich sei, lasse nicht den Schluss zu, dass dies auch bis zur Leistungserbringung so bleiben werde, zumal die Antragstellerin zugesichert habe, diese Funktionen umzusetzen. Der Auftraggeber verkenne den maßgeblichen Zeitpunkt der Leistungserfüllung. Entscheidend sei gerade nicht, dass die erforderlichen Mittel bereits bei Angebotsabgabe zur Verfügung stünden.

Auch zu FA 33 ergänzt und vertieft die Antragstellerin ihre Ausführungen. Hier hätte sie die Baulastenblätter zum Zeitpunkt der schriftlichen Aufklärung bereits als verfügbar erklärt. Infolge dessen sei das Baulastenverzeichnis im Rahmen der schriftlichen Aufklärung zugesichert worden. Daher sei der Einwand des Auftraggebers, dass das Angebot inkonsistent sei, gegenstandslos. Auch zu den Kriterien FA 34 und FA 57 ergänzt und vertieft die Antragstellerin ihr bisheriges Vorbringen.

Am 13. April 2023 replizierte der Auftraggeber auf die antragstellerseitige Stellungnahme, wiederholte seinen Rechtsvortrag zur Rügepräklusion und betonte zum Kriterium FA 14, dass es nicht erforderlich gewesen sei, darüber zu spekulieren, was unter den Kriterien zu verstehen sei, denn die Leistungsbeschreibung habe unzweifelhaft folgendes gefordert:

“Das System muss die verwaltungsmäßige Bearbeitung von Vorgängen und deren rechtskonforme Dokumentation vollständig digital ermöglichen. Dabei sind die anerkannten Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltungsarbeit einzuhalten.”

Daraus lasse sich ableiten, dass das System selbst, also nicht das Dokumentenmanagementsystem oder eine andere Anwendung des Systemkontextes, die Anforderung FA 14, also die verwaltungsmäßige Bearbeitung von Vorgängen und deren rechtskonforme Dokumentation, vollständig digital ermöglichen können müsse, und nicht lediglich in Teilen. Dahingegen sei sowohl in der Bieterpräsentation als auch aus dem verbindlichen Erstangebot deutlich geworden, dass die Antragstellerin diese vollständige Abbildung des digitalen Geschäftsganges konzeptionell nicht als Funktion des von ihr anzubietenden Systems verstanden hatte, sondern stattdessen davon ausgegangen sei, dass wesentliche Aufgaben vielmehr im ### auszuführen seien. Das widerspreche jedoch dem Kriterium FA 14. In der eigenen Produkterläuterung habe die Antragstellerin bezüglich des digitalen Geschäftsvorganges Folgendes ausgeführt:

“Wir bieten die Anbindung des ###-Systems, also ablegen, abrufen und löschen von Dateien sowie das ändern von Meta-Daten. Darüber hinaus das digitale Signieren von Dateien. Weiterführende Funktionen sollten über den ###-Client genutzt werden, da wir sonst ein technisch sehr aufwendiges System bekommen und Funktionen doppelt realisieren. Diese Funktionen werden über das ###-System ### der Firma ### umgesetzt. Diese Funktionen sind im System ### vollumfänglich verfügbar.”

Zum Kriterium FA 33 wies der Auftraggeber sodann darauf hin, dass hier das rechtskonforme Führen eines digitalen Baulastenverzeichnisses verlangt gewesen sei. Sofern die Antragstellerin wiederholt darauf verweise, dass sie digitale Baulastenblätter habe anbieten können, so sei danach nicht gefragt gewesen. Baulastenblätter seien Einzeldokumente. Aus der Angabe allein, dass digitale Baulastenblätter als sogenannte digitale Dokumente angeboten werden könnten, lasse sich in keiner Weise ableiten, ob das angebotene System in der Lage sei, ein digitales Baulastenverzeichnis rechtskonform zu führen. Insoweit sei auf die Bewertung der Anforderung FA 33 zu verweisen, die wiederum im Nichtabhilfeschreiben vom 14. März 2023 bereits detailliert erläutert worden sei.

Die Anforderung FA 34 definiere, dass das Kernsystem über manuelle und automatisierte Möglichkeiten verfügen müsse, die Bearbeitungszeiten eines Falls einer Verwaltungsleistung zu erfassen und übersichtlich visuell darzustellen.

Weiter werde definiert, dass neben Bearbeitungszeiten in der federführenden Organisationseinheit und anderen Dingen auch und vor allem Bearbeitungsunterbrechungen, die durch Verwaltungskunden verursacht wurden, erfasst würden. In der Bieterpräsentation sei deutlich geworden, dass Bearbeitungsunterbrechungen derzeit im angebotenen System nicht verwaltet und stattdessen lediglich situationsabhängig fortgeschrieben werden würden. Bearbeitungsunterbrechungen könnten also nicht erfasst werden und damit zwangsläufig auch nicht übersichtlich visuell dargestellt werden. Darüber hinaus sei von der Antragstellerin in der Bieterpräsentation die zusammenfassende, d.h. übersichtliche visuelle Darstellung aller in der Anforderung genannten Bearbeitungszeiten und Unterbrechungen im angebotenen System verneint worden. Entsprechend dieser Einschränkungen sei die Bewertung zum Kriterium FA 34 vorgenommen worden. Das Kriterium sei sodann in Textform im Nachgang zur Bieterpräsentation aufgeklärt worden. Die Antwort der Antragstellerin auf die Aufklärungsanfrage in Textform enthalte bereits offensichtlich nur eine reine Wiederholung der Angaben aus dem verbindlichen Erstangebot, jedoch keine neue Beschreibung und Illustrationen, wie die geforderten Funktionen umgesetzt werden sollen. An diesem Sachverhalt habe auch die sodann angebotene Präsentation für Mitte Februar nichts mehr ändern können, da der Antragstellerin bereits zweimal und damit ausreichend die Möglichkeit gegeben worden sei, den Sachverhalt aufzuklären.

Abschließend verwies der Auftraggeber darauf, dass er bisher an keiner Stelle seiner Schriftsätze erwähnt habe, dass die Nichterfüllung eines B-Kriteriums im verbindlichen Erstangebot der Antragstellerin zu einer Bewertung mit null Punkten geführt habe. Es sei jedoch nochmals ausdrücklich zu betonen, dass die Antragstellerin mit ihrem verbindlichen Erstangebot die Anforderungen des Kriteriums FA 14 gerade nicht erfüllt habe.

Am 26. Mai 2023 retournierte die Antragstellerin hierzu unter Wiederholung des bisherigen Vortrags zur Rügepräklusion und zur Bewertung des Kriteriums FA 14. Sodann fokussierte sie sich auf den Vortrag, dass die Bieterpräsentation in unzulässiger Weise in die Wertung eingeflossen sei sowie darauf, dass der Auftraggeber seiner Dokumentations- und Mitteilungspflicht nicht nachgekommen sei, da jedenfalls aus den vorgelegten Unterlagen die Begründung der allgemeinen Punktvergabe nicht nachvollziehbar sei. Zweifelhaft sei auch, ob und wie überhaupt die Höchstpunktzahl erreicht werden konnte. Sodann ging sie kriterienkonkret auf die jeweils vergebene Punktzahl ein und bewertete diese im Ergebnis als nicht plausibel, nicht transparent und nicht nachvollziehbar.

Am 16. Juni 2023 erteilte die Vergabekammer sodann einen rechtlichen Hinweis zu den Erfolgsaussichten des Vergabenachprüfungsverfahrens.

Die Beigeladene beteiligte sich nicht schriftsätzlich am Nachprüfungsverfahren, wohl hat sie an der mündlichen Verhandlung teilgenommen und sich in dieser mit vereinzelten sachlichen Einwendungen zu Wort gemeldet.

In der mündlichen Verhandlung am 23. Juni 2023 wurde der Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert. Die Vergabeunterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf die Niederschrift wird verwiesen.

Die Antragstellerin stellte ihre Anträge aus dem Antragsschriftsatz vom 9. März 2023.

Der Auftraggeber stellte seine Anträge aus dem Schriftsatz vom 14. März 2023.

Die Beigeladene erklärte, keinen eigenen Antrag stellen zu wollen.

Am 29. Juni 2023 nahm der Auftraggeber sodann zu der durchgeführten mündlichen Verhandlung Stellung und hielt fest, dass der antragstellerseitige Vortrag, dass die Vergabeunterlagen widersprüchlich und nicht deckungsgleich seien, präkludiert sei. Anschließend erläuterte er, warum im streitgegenständlichen Verfahren der Termin zur Bieterpräsentation konzipiert und umgesetzt worden sei. Hierzu führte aus, dass nach Öffnung der Angebote und deren erster fachlich Auswertung sich mit Blick auf das Angebot der Antragstellerin, bereits konkrete Aufklärungsbedarfe ergeben hätten, die in den Kommentarfeldern zu den einzelnen Fachkriterien klar thematisiert worden seien. Die jeweils vermerkte Punktevergabe, sei zu dem Zeitpunkt weder verbindlich noch abschließend gewesen. Diese Dokumente hätten einzig der Einschätzung der Angebotslage vor dem Hintergrund einer möglichen Bezuschlagung eines verbindlichen Erstangebotes und zur entsprechenden Einordnung der Ausgestaltung der anstehenden Präsentationstermine gedient.

56Nachfolgend seien die Präsentationen durchgeführt worden jeweils ohne Verhandlungen. Im Termin ad hoc nicht aufklärbare Punkte seien im Rahmen von nachgelagerten Aufklärungen in Textform erneut behandelt worden und seien (vollständig) protokolliert und durch die Bieter nachträglich durch Gegenzeichnung bestätigt worden. Nach Berücksichtigung und Auswertung der fristgerecht eingegangenen Aufklärung zu Rückmeldungen sei dann die finale Prüfung und Wertung der verbindlichen Erstangebote erfolgt.

Am 14. Februar 2023 sei auch die Entscheidung getroffen worden, auf Grundlage der verbindlichen Erstangebote den Auftrag vergeben zu wollen und auf Verhandlungen zu verzichten. Diese Entscheidung sei in der Folge auch allen Bietern mitgeteilt worden.

Terminschwerpunkt der Bieterpräsentation sei die Aufklärung gewesen. Auch die technische Vorbereitung auf den Termin habe unzweifelhaft diese Handschrift getragen. Sinn und Zweck der Bieterpräsentation, die als solche nicht bewertet werden sollte und wurde, sei gewesen, dass die Bieter auf konkrete Aufklärungsfragen sowohl mündlich und unterstützend durch die Livedemonstrationen oder Screenshots Auskunft hätten geben können und sollen. Bezogen auf die Präsentation der Antragstellerin habe sich im Verlauf des Termins herausgestellt, dass diese verschiedene Punkte nicht ad hoc, auch nicht via Livedemonstration, habe aufklären können, weshalb zusätzlich die nachgelagerte Aufklärung in Textform vorgesehen war. Die LiveDemonstration einer Software lasse sich nicht in Form eines verschriftlichten Protokolls festhalten. Insoweit fänden sich im Protokoll zur Präsentation keine positiven oder negativen Aspekte der Live-Demonstration, da diese nicht wertungserheblich gewesen seien. Im Übrigen gäbe es auch keine vergaberechtliche Verpflichtung zu einer stenografischen Protokollierung oder akustischen Aufzeichnung von Bieterpräsentationen.

Schließlich betonte der Auftraggeber, dass er sich mit seiner Wertung im Bereich der Leistungspunkte vollständig im Rahmen der vorgegebenen Bewertungsmaßstäbe bewegt habe. Diese ließen sich dem Formular “Leistungskriterien” unter I und II entnehmen. Sodann äußerte er zu FA 14, dass dieses Leistungskriterium zur zusammenfassenden Bewertung der Eignung des angebotenen Systems einen vollständig digitalen Geschäftsgang entsprechend der anerkannten Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltungsarbeit abbilden zu können, diene. Dabei würden zwei zentrale Anforderungen besonders betont: einerseits die vollständig digitale verwaltungsmäßige Bearbeitung von Vorgängen, andererseits deren digitale rechtskonforme Dokumentation. Was als Geschäftsgang zu verstehen sei, erläuterte der Auftraggeber sodann umfangreich und formulierte zum wiederholten Male seine Bewertung. Die Vergabekammer hat die diesbezüglichen Ausführungen gelesen und bewertet.

Ebenso hat die Vergabekammer die Ausführungen zum Kriterium FA 16 gelesen und bewertet, insbesondere, soweit ausgeführt wurde, dass die Bewertung mit einem Wertungspunkt daraus resultiere, dass zumindest Teilaspekte der Weiterentwicklung, etwa der Dokumentation von Geschäftsfangverfügungen, in Metainformationen oder digitalen Akten realisierbar erschienen.

Sodann bekräftigte der Auftraggeber abermals seine vorgenommene Bewertung zum Leistungskriterium FA 33, welche Funktionen zum Erfassen und Verwalten von Informationen über Objekte, die in einem fachlichen Zusammenhang mit einem Fall stehen, erfasse. Diese Anforderungen könnten nicht dadurch umgesetzt werden, dass der Bieter für solche Objektverzeichnisse jeweils manuell und kostenpflichtig spezifische Datenbankstrukturen anlege und Erfassungsmasken programmiere. Vielmehr müsse das System über Funktionen verfügen, die es der hauseigenen Fachadministration ermögliche, solche Objektverzeichnisse selbst zu definieren, anzulegen und für die Nutzung durch Sachbearbeitende bereitzustellen. Solche Funktionen würden als generisch, das heißt fachneutral, bezeichnet werden. Die Antragstellerin habe jedoch im Gegensatz zu allen Mitbewerbern die Umsetzung solcher Funktionen explizit abgelehnt. So würde aus dem Protokoll vom 31. Januar 2023, Ziffer 27, deutlich, dass die Antragstellerin hier gerade kein zusicherndes Angebot zur Umsetzung im Rahmen des Projektverlaufes gemacht habe.

Die zusammenfassende Bewertung der Anforderungen FA 33 mit nur einem Wertungspunkt resultiere einerseits aus dem Vorhandensein von Funktionen zur Erfassung und Verwaltung von Baulastinformationen, andererseits aus der zugesicherten und als möglich gewerteten Weiterentwicklung zur Abbildung des Baulastenverzeichnisses in einer X-Akte. Eine Bewertung mit zwei Wertungspunkten sei nicht möglich gewesen, da die Umsetzung generischer Objektverzeichnisse vom Bieter abgelehnt worden sei, und zwar explizit.

Zum Leistungskriterium FA 34 fokussierte sich der Auftraggeber u. a. auf die Erläuterung der Aussage der Antragstellerin, dass zwar eine zusammenfassende Visualisierung von Bearbeitungszeiten und Bearbeitungsunterbrechungen aktuell nicht möglich sei, stattdessen aber Fristen situationsabhängig fortgeschrieben werden könnten. Hierzu wurde erläutert, dass Bearbeitungsunterbrechungen Zeiträume beträfen, in denen die Bauaufsichtsbehörde die Sachbearbeitung aus nicht selbst verschuldeten Gründen – etwa wegen fehlender Mitwirkung des Antragstellers, Warten auf Herstellung von Baurecht, etc. – nicht fortsetzen könne. Die Bearbeitungsunterbrechung müsse hinsichtlich des betreffenden Zeitraumes und des Grundes für die Unterbrechung nachgewiesen werden können. Das angebotene System der Antragstellerin bilde die Informationseinheit Bearbeitungsunterbrechung nicht ab. Es verfüge daher auch nicht über die Möglichkeit, Bearbeitungszeiten und Bearbeitungsunterbrechungen zusammenhängend darzustellen. Eine Weiterentwicklung des Systems zur Bearbeitung dieser Funktionen sei vom Bieter nicht angeboten worden. Die im Aufklärungsprotokoll erwähnte situationsabhängige Fortschreibung von Fristen ersetze diese Funktionen nicht, denn dabei würde lediglich ein Zeitpunkt (Frist) überschrieben, nicht jedoch eine Dauer inklusive des Unterbrechungsgrundes erfasst. Visualisierungsfunktionen seien davon ohnehin nicht berührt. Die auftraggeberseitige Bewertung mit einem Wertungspunkt resultiere aus der Verfügbarkeit von Terminen und Fristdaten, die Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung hin zur Verwaltung und Auswertung von Informationen oder Zeiträumen darstellen könnten.

Zum Leistungskriterium FA 57 wiederholte der Auftraggeber, dass die Antragstellerin entgegen der Aufforderung in der Einladung zum Gespräch, die Mobilkomponente für dieses Feature nicht habe demonstrieren können, weshalb Zweifel am Vorhandensein einer anforderungsgerechten Komponente nicht ausgeräumt werden konnten. Dennoch sei ihr die Möglichkeit gewährt worden, durch eine schriftliche Antwort auf eine Aufklärungsanfrage Aussagen zum Leistungsumfang der angebotenen Lösung in Bezug auf die spezifizierten Detailanforderungen zu tätigen. Diese Möglichkeit habe sie jedoch ungenutzt verstreichen lassen und habe stattdessen die Anforderungen der Leistungsbeschreibung nahezu wortgleich aufgelistet und habe diese im Punkt “Offline-Erfassungen von Bild- und Audioinformationen” sogar noch dahingehend aufschiebend bedingt eingeschränkt, dass eine entsprechende Technik verfügbar gemacht werde. Dabei sei die Anforderung: “Automatisiertes Übertragen von offline-erstellten Dokumenten und Informationen in die digitale Akte” ausgelassen worden, so dass vermutet werden müsse, dass diese Anforderung nicht umgesetzt werde. Die zusammenfassende Bewertung des Kriteriums FA 57 mit einem Wertungspunkt berücksichtige bereits zu Gunsten der Antragstellerin, dass erste konzeptionelle und technische Lösungsansätze für die Umsetzung der Mobilanwendung vermutet werden konnten. Zur Verfahrensdokumentation seien zusätzlich auch das Nichtabhilfeschreiben, die Stellungnahmen sowie die Vorträge in der mündlichen Verhandlung entsprechend zu berücksichtigen. Sodann führte der Auftraggeber zu einer hypothetischen Rückversetzung des Vergabeverfahrens bzw. zu einer hypothetischen Alternativwertung aus.

Ein letzter Schriftsatzaustausch erfolgte sodann am 6. und 7. Juli 2023. Auf sämtliche ausgetauschten Schriftsätze, auch soweit sie im Sachbericht nicht oder nicht vollumfänglich wiedergegeben sein sollten, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die vorgelegte Vergabeakte wird ergänzend Bezug genommen.

Die Frist zur Entscheidung wurde gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2 GWB durch Verfügungen der Vorsitzenden mehrfach verlängert.

II.

Der Antrag auf Nachprüfung ist zulässig (1.), aber im Ergebnis unbegründet. (2.).

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

1.1. Die 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen ist gemäß § 2 der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über Einrichtung, Organisation Vergabekammern des Freistaates Sachsen (SächsVgKVO) für den Antrag zuständig.

1.2. Die geplante Gesamtauftragssumme überschreitet den maßgeblichen Schwellenwert, § 106 Abs. 1 GWB i. V. m. Artikel 4 a) der RL 2014/24/EU i. V. m. Artikel 1 Absatz 1 a) der delegierten Verordnung (EU) 2021/1952.

Der maßgeblichen Schwellenwert für öffentliche Dienstleistungsaufträge beträgt gemäß § 106 Abs. 1 GWB i. V. m. Artikel 4 c) der RL 2014/24/EU i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 c) der delegierten Verordnung (EU) 2021/1952 215.000 EUR. Der Auftraggeber hat in den Vergabeunterlagen einen geschätzten Auftragswert von über 300.000 EUR angegeben, der also den Schwellenwert unproblematisch übersteigt.

1.3. Die Antragstellerin ist gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt.

Nach § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB ist der Nachprüfungsantrag zulässig, wenn ein Unternehmen ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend macht.

Diesem Erfordernis ist genügt, wenn mit dem Nachprüfungsantrag eine Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften schlüssig vorgetragen wird. Darüber hinaus ist es gemäß § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB erforderlich, dass mit dem Nachprüfungsantrag auch dargelegt wird, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Ein Interesse am Auftrag im Sinne von § 160 Abs. 2 GWB liegt grundsätzlich immer dann vor, wenn sich der Bieter an der Ausschreibung beteiligt und ein ernst zu nehmendes Angebot abgegeben hat (Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 160 GWB Rn. 43).

Vorliegend hat die Antragstellerin vorgetragen, dass unklar bleibe, warum der Auftraggeber ihrem Angebot in mehreren Wertungskriterien keine Punkte bzw., soweit B-Kriterien betroffen gewesen seien, nicht die Mindestpunktzahl zugewiesen habe. Soweit dadurch ihr Angebot aus dem Wettbewerb ausgeschlossen werde, sehe sie sich in ihren Rechten auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren gemäß § 97 Abs. 6 GWB verletzt.

Mit diesem Vortrag hat die Antragstellerin in ausreichendem Umfang ihre Antragsbefugnis dargetan.

1.4. Rügeverpflichtung gem. § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB

Die Antragstellerin hat die mit diesem Vergabenachprüfungsantrag geltend gemachten Vergaberechtsverstöße überwiegend rechtzeitig gerügt.

Soweit sich die Antragstellerin mit dem Vergabenachprüfungsantrag grundsätzlich gegen den Ausschluss ihres Angebots wendet, so hat sie diesen auf das entsprechende Informationsschreiben vom 2. März 2023 am 2. März 2023 sowie mit weiterem anwaltlichen Schreiben vom 9. März 2023 rechtzeitig nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB gerügt.

Danach ist ein Antrag unzulässig, soweit ein Antragsteller einen Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren erkannt und nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat. Diese Frist ist unstreitig eingehalten.

Sodann war, worauf der Auftraggeber wiederholt verwiesen hat, durch die Vergabekammer zu prüfen, ob eine Präklusion von Einwendungen nach § 160 Abs. 3 S. 3 vorliegt, wonach Vergaberechtsverstöße die aus Vergabeunterlagen erkennbar sind, bis zur Angebotsabgabe zu rügen gewesen wären.

Richtig ist, dass die Beachtung der Rügeobliegenheit für jede im Vergabenachprüfungsverfahren erhobene Beanstandung einzeln zu prüfen ist. Gegenstand einer Rüge nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB ist dabei stets der Rechtsverstoß, der in einer dem Antragsteller zur Kenntnis gelangten Vergabeentscheidung des Auftraggebers oder in der Auftragsvergabe zum Ausdruck kommt. Vorliegend wendet sich die Antragstellerin gegen die ihres Erachtens rechtsverletzende Auslegung und Bewertung einzelner Kriterien, auf deren Basis, ihr Angebot sodann ausgeschlossen wurde.

Nach Auffassung der Vergabekammer war vorliegend erst mit Erhalt des Vorabinformationsschreiben gemäß § 134 GWB erkennbar, wie der Auftraggeber die verlautbarten Zuschlagskriterien, insbesondere das streitbefangene Ausschlusskriterium FA 14 verstanden wissen wollte und auslegte.

Das Kriterium FA 14 lautete:

“Grundlegende Anforderungen an den digitalen Geschäftsgang Das System muss die verwaltungsmäßige Bearbeitung von Vorgängen und deren rechtskonforme Dokumentation vollständig digital ermöglichen. Dabei sind die anerkannten Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltungsarbeit einzuhalten.”

Was genau unter “grundsätzliche Anforderungen” oder der angesprochenen “verwaltungsmäßigen Bearbeitung” resp. den zitierten “anerkannten Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltungsarbeit” verstanden werden sollte, wurde in der Leistungsbeschreibung nicht weiter definiert. Die zitierten Anforderungen erwecken jedoch nach dem Verständnis der Vergabekammer allesamt den Eindruck, dass sie Oberbegriffe darstellen die allenfalls die grundsätzliche Herangehensweise an die Arbeitsaufgabe skizzieren, so dass ein Bieter mit seiner Antwort und seinen Konzepten auch lediglich dieses allgemeine Level zu umschreiben und zu erfüllen hatte.

Es ist darauf zu verweisen, dass eine für fachkundige Bieter nicht ohne Weiteres erkennbare Unklarheit in der Leistungsbeschreibung dazu führt, dass diese ihrem Angebot ein fachlich vertretbares Verständnis der Ausschreibungsunterlagen zugrunde legen dürfen, ohne sich der Gefahr eines Angebotsausschlusses auszusetzen oder der Gefahr eines “anderweitigen Verständnisses” von Bewertungskriterien (VK Sachsen, Beschluss vom 03.05.2016 – 1/SVK/005-16; OLG Frankfurt, Beschluss vom 2. 12. 2014 – 11 Verg 7/14; VK Bund, Beschluss vom 9. März 2012 – VK 2-175/11).

Folglich war der Antragstellerin vorliegend zuzubilligen, dass sie erst mit Erhalt der Bewertungsergebnisse Kenntnis vom Wertungsverständnis des Auftraggebers erlangte und erst dann mit ihrem Verständnis abgleichen und sodann Kenntnis von etwaigen Vergaberechtsverstößen erhalten konnte. Das diesbezügliche Vorbringen der Antragstellerin war nicht präkludiert.

Soweit die Antragstellerin jedoch erstmalig im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens monierte, dass die Leistungsbeschreibung auf ein bestimmtes Produkt zugeschnitten sei, welches hier mutmaßlich durch einen Subunternehmer angeboten worden sei, ist der Nachprüfungsantrag in diesem Punkt mangels rechtzeitiger Rüge gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB unzulässig Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB müssen Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung genannten Frist zur Angebotsabgabe bzw. Bewerbung im Teilnahmewettbewerb gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Bei der Feststellung der Erkennbarkeit wird nach herrschender Meinung auf einen objektiven Maßstab abgestellt. Beim Maßstab der Erkennbarkeit ist nicht auf den Vergaberechtsexperten, sondern auf diejenigen abzustellen, die Adressaten der Bekanntmachung sind, nämlich die fachkundigen Bieter; diese prägen den objektiven Empfängerhorizont, aus dem die Erkennbarkeit zu beurteilen ist (vgl. BGH Urteil vom 03.04.2012, X ZR 130/10) OLG Celle, Beschluss v. 03.07.2018 – Verg 2/18; VK Lüneburg, Besohl. v. 14.05.2018 – VgK-11/2018; Hofmann in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 160, Rdnr. 70, m. w. N.).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs konnte im hier zu entscheidenden Verfahren festzustellen, dass der monierte, etwaige Zuschnitt der Leistungsbeschreibung auf ein bestimmtes Produkt erkennbar war und bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe hätte gerügt werden müssen. Das diesbezügliche Vorbringen der Antragstellerin war präkludiert.

1.5. Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.

Der Antrag entspricht des Weiteren auch den Anforderungen an Form und Inhalt nach § 161 GWB.

2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet.

Im Ergebnis der Überprüfung des Vergabeverfahrens hat der Auftraggeber das Angebot der Antragstellerin zu Recht von der Wertung und damit vom weiteren Verfahren ausgeschlossen. Die Nichtberücksichtigung des Angebotes stellt sich nach Auffassung der Vergabekammer als vergaberechtskonform dar.

Die Antragstellerin wehrt sich mit dem vorliegenden Vergabenachprüfungsantrag dagegen, dass ihr Angebot vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde. Zur Begründung des Ausschlusses hatte der Auftraggeber darauf verwiesen, dass nach Prüfung und Wertung gemäß § 56 ff. VgV sowie erfolgter Angebotsaufklärung das verbindliche Erstangebot aufgrund der Nichterfüllung eines A-Kriteriums (FA14) sowie des Nichterreichens der Mindestpunktzahl bei 4 BKriterien (FA16, FA33, FA34, FA57) zwingend auszuschließen sei.

– Zum Ausschlusskriterium FA14

Das Angebot der Antragstellerin wurde zum einen aufgrund der Nichterfüllung des A-Kriteriums (FA14) ausgeschlossen. Das Kriterium FA 14 definiert ausweislich der Leistungsbeschreibung Seite 29 “Grundsätzliche Anforderungen an den digitalen Geschäftsgang” und ist eines von mehreren, dass unter der Kapitelüberschrift: “II.4.1.5 Anforderungen an den digitalen Geschäftsgang” aufgelistet ist. Ihm folgen weitere Kriterien, wie bspw. “[FA15] Digitale Abbildung von Zeichnungen”, “[FA16] Digitale Abbildung von Geschäftsgangverfügungen” oder auch “[FA17] Digitale Abbildung von Vermerken”. Auffällig ist dabei mehreres.

Zum einen ist festzustellen, dass im Kapitel “II.4.1.5 Anforderungen an den digitalen Geschäftsgang” der Leistungsbeschreibung einzig das Kriterium FA 14 als ausschlussrelevantes A-Kriterium ausgestaltet ist, die nachfolgenden Kriterien FA 15 – FA 19 sind sodann lediglich als B-Kriterien ausgestaltet, bei denen der Bieter die Mindestanzahl von 2 Punkten von insgesamt möglichen 4 Bewertungspunkten erzielen musste.

Zum anderen ist festzustellen, dass einzig das Kapitel FA 14 mit einem knappen Obersatz arbeitet, der die hier zu erfüllenden Anforderungen umreißt. Alle anderen Kriterien sind wesentlich detaillierter ausgestaltet und enthalten nahezu alle eine Ausformulierung der zu erfüllenden Anforderungen die alle gleichlautend wie folgt eingeleitet werden: “[…] Dabei gelten die nachfolgend beschriebenen Anforderungen”, gefolgt von jeweils konkreten Vorgaben wie:

“Das System muss … abbilden. Das System muss … ermöglichen. Das System muss über … verfügen.”

Im Gesamtkontext erweckt die Konstellation von FA14 den Eindruck, dass dieses Kriterium lediglich die nicht näher spezifizierten Anforderungen an den digitalen Geschäftsgang quasi als “Präambel” vorwegnimmt. Die konkrete Ausgestaltung folgt sodann themenbezogen für die digitale Abbildung von Zeichnungen, die digitale Abbildung von Vermerken oder bspw. für die digitale Ausfertigung von Verwaltungsakten.

Sodann ist festzustellen, dass auch das im Zuge der Angebotsabgabe auszufüllenden Formular Leistungskriterien diese Differenzierung zwischen oberflächlicher und ausführlicher Ausformulierung der Anforderungen abbildet. Für das ausschlussrelevante Kriterium FA 14 ist hier lediglich der Kriterienname “Grundsätzliche Anforderungen an den digitalen Geschäftsgang” abgebildet, wohingegen die anderen Kriterien noch mit weiteren Erläuterungen untersetzt waren.

Im ausgefüllten Formular Leistungskriterien hatte die Antragstellerin sodann durch Anklicken des entsprechenden Platzhalterfeldes angegeben, dass sie das Kriterium FA 14 “vollumfänglich” erfülle. Screenshots zum Nachweis des behaupteten Erfüllungsgrades waren an dieser Stelle nicht gefordert.

Der Auftraggeber hatte nach der vorgelegten Vergabedokumentation sodann am 29. November 2022 eine erste tabellarische Auswertung der eingegangenen Angebote vorgenommen. Ausweislich des Dokumentes, in dem die Bewertung des Angebotes für die Antragstellerin festgehalten war, heißt es zu dem Kriterium FA 14 “erfüllt”. In der Begründungsspalte, in der für andere Kriterien Kritikpunkte festgehalten waren, war hier nichts weiter vermerkt.

Am 30. November 2022 wurde die Antragstellerin sodann zu einer Präsentation / 1. Verhandlungsrunde eingeladen. Dem Einladungstext war u.a. zu entnehmen, dass zunächst vor allem eine ausführliche Bieterpräsentation vorgesehen sei. Zweck der Präsentation sollte die Aufklärung über das Angebot sein. Zudem sollte den teilnehmenden Beschäftigten des Bauaufsichtsamtes ein umfassender Einblick in die angebotene Lösung ermöglicht werden. Explizit wurde betont, dass die Präsentation, wie bereits in den Vergabeunterlagen mitgeteilt, nicht wertungsrelevant sein würde. Explizit heißt es hier aber auch:

“Anschließend ist vorgesehen, die Leistungskriterien in der durch die Leistungsbeschreibung vorgegebenen Reihenfolge zu besprechen. Bitte bereiten Sie dazu entsprechende Live-Demonstrationsszenarien vor – auch in Bezug auf Schnittstellenaufgaben, wobei dort ggf. auf Screenshots von Best-Practice-Szenarien zurückgegriffen werden kann.”

Am 20. Januar 2023 fand sodann die Bieterpräsentation statt, über die auch ein Protokoll geführt wurde. Dass in dieser Bieterpräsentation mit Bezug auf das Kriterium FA14 Gespräche geführt wurden, ist jedoch dem Bieterprotokoll nicht zu entnehmen. Eine schriftliche Anforderung von Informationen zur Angebotsaufklärung gibt es zum Kriterium FA14 – im Gegensatz zu anderen Kriterien nicht. Ebenso war der Vergabeakte nicht eine Datei zu entnehmen, anhand derer die Vergabekammer die Inhalte der Bieterpräsentation hätte nachvollziehen können.

Auf Fragen und Vorhalt der Vergabekammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass sie der übergebenen Vergabeakte keine Power-Point-Präsentationen o.ä. habe entnehmen können, entgegnete der Auftraggeber, dass die Präsentationen nicht gewertet werden sollte. Deshalb seien die einzelnen Präsentationen auch nicht übergeben worden. Der Auftraggeber stellte vielmehr klar, dass die Präsentationen keine verifizierende Teststellung oder Ähnliches gewesen sei, so dass es vor dem Hintergrund nicht wichtig gewesen sei, wie die Präsentation inhaltlich abgelaufen sei.

Auf der so vorgefundenen Aktenlage und der im Rahmen der mündlichen Verhandlung abgegebenen Begründungen ist für die Vergabekammer schlicht nicht nachvollziehbar, wieso sodann im Dokument “Bewertung Leistungskriterien | Abschließende Bewertung des verbindlichen Erstangebots” die Erfüllung des A-Kriteriums mit “nicht erfüllt” bewertet wurde. Noch weniger ist ergründbar, woher die Argumente stammen, auf die der Auftraggeber seine Bewertung gestützt hat. In der Tabellenspalte “Begründung der Bewertung” heißt es wie folgt:

“Der Bieter versteht die Abbildung des digitalen Geschäftsgangs konzeptionell nicht als Funktion des angebotenen Systems und geht stattdessen davon aus, dass wesentliche Aufgaben der digitalen Sachbearbeitung im angeschlossenen ### auszuführen sind. Dies wird sowohl im Angebot, in den Aussagen während der Bieterpräsentation als auch in einem übermittelten Verhandlungsvorschlag deutlich. Dies steht im Gegensatz zu grundlegenden Paradigmen der Leistungsbeschreibung. Infolge des abweichenden Konzepts sind unverzichtbare Funktionen des digitalen Geschäftsgangs aktuell im angebotenen System nicht abgebildet (Zeichnungen, Geschäftsgangverfügungen, Kenntnisnahmen etc.). In der Bieterpräsentation machte der Bieter deutlich, dass eine Umsetzung der Anforderungen der Leistungsbeschreibung technisch möglich wäre. Konzepte dafür (…) müssten jedoch während der Projektlaufzeit zunächst entwickelt und abgestimmt werden. Zudem stellte der Bieter alle Weiterentwicklungen dieser Art unter den Vorbehalt, dass vonseiten des im ### genutzten ### entsprechende Metadatenfelder bereitgestellt werden, ohne dies bei der Angebotserstellung geprüft zu haben. Angesichts des prinzipiell abweichenden Anwendungskonzepts, des notwendigen Konzept- und Entwicklungsaufwands sowie der Realisierungsvorbehalte vonseiten des Bieters birgt eine anforderungsgerechte Weiterentwicklung des Systems während der Projektlaufzeit erhebliche Risiken. Die Anforderung wird als nicht erfüllt bewertet.” […]

Die so getroffene Bewertung basiert mithin auf nicht dokumentierten Zwischenschritten und ist deshalb als rechtsfehlerhaft zu bewerten. Die Dokumentation der Wertungsentscheidung durch die Auftraggeber genügt den vergaberechtlichen Anforderungen des § 8 VgV nicht.

Die Dokumentation einer mündlichen Präsentation muss es ermöglichen, dass die Nachprüfungsinstanzen die Vertretbarkeit der konkreten Wertungsentscheidung nachprüfen können. Hierzu müssen der Inhalt der Präsentation und die Wertung so dokumentiert werden, dass für die Vergabekammer nachvollziehbar ist, warum der Auftraggeber zu einer bestimmten Wertung gekommen ist (OLG Düsseldorf; B. v. 24. 3. 2021 – Verg 34/20; VK Bund, B. v. 12. 4. 2019 – VK 1-11/19). Mit dieser Bewertung verkennt die Vergabekammer auch nicht, dass der Auftraggeber, worauf er mehrfach verwiesen hatte – die Art und Weise der Präsentation als solche natürlich nicht bewertet hatte. Dies hilft jedoch nicht drüber hinweg, dass im Rahmen der – jedenfalls hierzu nicht dokumentierten Präsentation Informationen geflossen sein müssen, die späterhin Basis der Bewertung und Punktvergabe geworden sind.

Mit dieser Bewertung verkennt die Vergabekammer ebenso nicht, dass die erste, am 29. November 2022 vorgenommene tabellarische Auswertung der eingegangenen Angebote lediglich intern erfolgte und der Vorbereitung der Präsentationen dienen sollte.

Klar ist auch, dass den in der Tabelle festgehaltenen Zwischenständen noch kein Bewertungscharakter oder keine Außenwirkung zukommen sollte. Dennoch ist dieses Dokument Teil des in der Vergabeakte abgebildeten Wertungsprozesses.

Soweit der Auftraggeber im Nachgang zur mündlichen Verhandlung darauf verwies, dass sich die Live-Demonstration einer Software nicht in Form eines verschriftlichten Protokolls festhalten lasse und es im Übrigen es auch keine vergaberechtliche Verpflichtung zu einer stenografischen Protokollierung oder akustischen Aufzeichnung von Bieterpräsentationen gäbe, so ist insbesondere letzteres für sich genommen durchaus richtig.

Eine Norm, die einen öffentlichen Auftraggeber zu einer stenografischen Protokollierung eines Gespräches, insbesondere einer Bieterpräsentation verpflichtet, existiert tatsächlich nicht.

Wohl aber existiert die Verpflichtung immer dann, wenn Angebote hinsichtlich der Qualitätskriterien mittels eines Bewertungssystems bewertet werden sollen, die für die Zuschlagsentscheidung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend zu dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind (VK Bund, Beschluss vom 01.06.2022 – VK 1-49/22; VK Bund, Beschluss vom 13.04.2022 – VK 1-31/22; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019 – Verg 6/19).

Hier fehlt es an der Dokumentation des entscheidenden Zwischenschrittes – der Kommunikation in der Bieterpräsentation, was besonders schwer wiegt, weil sich die Begründung für das Ausschlusskriterium sowohl in der tabellarischen Auswertung, als auch in der schriftsätzlichen Verteidigung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens immer wieder auf nirgends protokollierte Aussagen während der Bieterpräsentation stützt.

Erschwerend kommt hinzu, dass zum einen im Dokument

“Besondere Bewerbungsbedingungen: Fortschreibung für die Angebotsphase” klar folgendes vorgegeben war:

 

“Bewertung von Bieterpräsentation und Verhandlung: Bieterpräsentationen und Verhandlungen werden nicht bewertet”.

Gleiches ergibt sich auch aus der Einladung zur Bieterpräsentation. Dieser war ebenso unmissverständlich folgender Hinweis zu entnehmen:

“Diese Präsentation ist, wie bereits in den Vergabeunterlagen mitgeteilt, nicht wertungsrelevant”.

Um so weniger ist nachvollziehbar und zulässig, dass Inhalte und Aussagen der nicht protokollierte Bieterpräsentation letztlich doch der Bewertung dienten. Teilt nämlich der Auftraggeber den Bietern nicht hinreichend eindeutig genug mit, auf was sich seine Wertungsentscheidung stützen wird (Präsentation, Konzept, sonstige schriftliche Darlegungen der Bieter oder ähnliches), verletzt er die vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung der Bieter. Einen solchen Vergaberechtsverstoß darf die Vergabekammer sogar von Amts wegen aufgreifen (vgl. VK Bund, B. v. 16.12.2022 VK 1-99/22).

Die von dem Auftraggeber vorgenommene Wertung des Angebotes der Antragstellerin zum Kriterium FA 14 ist nicht ausreichend dokumentiert und verstößt mithin gegen § 8 VgV, sowie gegen die vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung.

– Zum B-Kriterium FA57 (FA 61) “Mobile Sachbearbeitung”

Sodann gilt es, die Bewertung des Auftraggebers zum B-Kriterium FA57 (FA 61) zu untersuchen.

Für die B-Kriterien oder B-Kriteriengruppen waren jeweils zu erreichende Mindestpunktzahlen vorgegeben, die eine Mindestqualität der Leistung vorgeschrieben haben, die zwingend erreicht werden musste. Wenn für ein Bewertungskriterium bzw. eine Kriteriengruppe die vorgegebene Mindestpunktzahl an Bewertungspunkten nicht erreicht wurde, sollte laut dem Formular Leistungskriterien das Angebot ausgeschlossen werden. Für die Vergabe der Bewertungspunkte der B-Kriterien war ein einheitliches Punktesystem mit nachfolgend dargestellter Abstufung verwendet worden:

“Bewertungspunkte / Bedeutung

[0] Das Leistungskriterium ist insgesamt nicht erfüllt.

[1] Das Leistungskriterium ist lediglich in Teilen erfüllt. Abweichungen von der bzw. den jeweilig referenzierten funktionalen oder nichtfunktionalen Anforderungen können im Rahmen der Implementierung des angebotenen Systems nicht behoben werden.

[2] Das Leistungskriterium ist im Wesentlichen erfüllt. Abweichungen von der bzw. den jeweilig referenzierten funktionalen oder nichtfunktionalen Anforderungen können im Rahmen der lmplementierung des angebotenen Systems behoben werden. Die dazu notwendigen Arbeiten des Bieters werden vertraglich vereinbart.

[3] Das Leistungskriterium ist erfüllt.

[4] Das Leistungskriterium ist erfüllt. Die Umsetzung weist herausragende Qualitätsmerkmale und/oder Innovationen auf.”

Den nachfolgenden Untersuchungen der Vergabekammer ist sodann vorwegzuschicken, dass dem öffentlichen Auftraggeber bei der Bewertung des vorgelegten Angebotes ein Beurteilungsspielraum zusteht, welcher von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar ist. Die Prüfung bezieht sich darauf, ob der öffentliche Auftraggeber den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten hat, indem er von unzutreffenden oder unvollständigen Tatsachen ausgegangen ist, er sachfremde Erwägungen anstellt oder sich nicht an den von ihm aufgestellten Beurteilungsmaßstab hält bzw. willkürlich handelte (VK Sachen, B. v. 28. 3 2019 – 1/SVK/044-18; VK Bund, B. v. 1. 9. 2011 – VK 3-110/11).

Für das hier streitgegenständliche Kriterium war eine Mindestpunktzahl von 2 Punkten zu erreichen. Der Auftraggeber hatte dem Angebot der Antragstellerin in diesem Punkt jedoch lediglich einen Punkt zugewiesen, was bereits zu einem Ausschluss des Angebots aus dem Wettbewerb führen würde.

Im Gegensatz zu dem zuvor untersuchten Kriterium FA 14, ist die Leistungsbeschreibung zum B-Kriterium FA 57 deutlich strukturierter ausgestaltet. Das Kriterium ist zunächst einem eigenen Kapitel zugeordnet, das unter folgender Überschrift steht:

II.4.4 Funktionale Anforderungen an das Teilsystem Mobilanwendung Das Teilsystem Mobilanwendung (? II.1.4.2) umfasst Funktionen, die Beschäftigte des ### außerhalb von Büroarbeitsplätzen nutzen. Im Folgenden werden funktionale Anforderungen an die Mobilanwendung beschrieben.

Das Kriterium selbst ist wie folgt ausgestaltet: [FA57] Mobile Sachbearbeitung Das Teilsystem Mobilanwendung muss alltagstaugliche Funktionen zur mobilen Sachbearbeitung bereitstellen. Dies umfasst insbesondere …

– die Datenübernahme für geplante Vor-Ort-Einsätze;

– die Offline-Nutzung von digitalen Akten und Dokumenten;

– die Offline-Bearbeitung von Dokumenten – insbesondere das Anbringen von Annotationen, das Erstellen von Protokollen und das Bearbeiten von Checklisten;

– die Offline-Erfassung von Bild- und Audio-Informationen;

– das automatisierte Übertragen von offline erstellten Dokumenten und Informationen in die digitale Akte.

Die Mobilanwendung soll zusätzlich eine Online-Nutzung von digitalen Akten und Dokumenten ermöglichen.

In dem von den Bietern im Zuge der Angebotsabgabe auszufüllenden Formular “Leistungskriterien” war dieses Kriterium versehentlich als Kriterium 61 bezeichnet worden, was jedoch mit Bieterinformation 3 vom 14. Oktober 2022 klargestellt wurde. Hier wies ein Bieter zur Anforderung FA 61 auf folgendes hin: Anscheinend sind hier die Nummern zw. Lastenheft (FA61) und Leistungsbeschreibung (FA 57) durcheinander gekommen. Die hierzu entsprechende Antwort lautete:

“Ja. Die Beobachtung ist korrekt. Das Leistungskriterium III.2.5 bezieht sich – anders als im Formular Leistungskriterien angegeben – auf die funktionale Anforderung FA57 der Leistungsbeschreibung.”

Zum B-Kriterium FA 57 hatte die Antragstellerin im ausgefüllten Formular “Leistungskriterien” durch Anklicken eines vorgegebenen Platzhalterfeldes, das die Auswahl zwischen “vollumfänglich/ teilweise/ nicht” bereitstellte, angegeben, dass sie das Kriterium FA 57 (61) “vollumfänglich” erfülle.

Zudem hatte sie anforderungsgemäß ihrem Angebot einige Screenshots beigefügt. Solche Screenshots sollten die Umsetzung der geforderten Funktionen veranschaulichen. Hierzu heißt es im Formular “Leistungskriterien”:

“Wenn Sie die Anforderung vollumfänglich oder teilweise erfüllen, fügen Sie im Abschnitt -> IX.24 Screenshots an, die Ihre Umsetzung folgender Funktionen veranschaulichen:

– Offline-Nutzung von digitalen Akten und Dokumenten

– Offline-Bearbeitung von Dokumenten, Bearbeitung von Annotationen

– Offline-Erstellung von Protokollen

– Offline-Bearbeitung von Checklisten

– Offline-Erfassung von Bild- und Audio Informationen, falls das verwendete Gerät die Technik verfügbar macht.”

Im Dokument “Bewertung Erstangebot Bieter 1 vor Bieterpräsentation” vom 29. November 2022 waren zu diesem Kriterium 2 Bewertungspunkte vermerkt. In der Begründungsspalte heißt es:

“Der Lösungsansatz bleibt unklar. Das Angebot deutet auf eine Nutzung der eigenen Online-Plattform hin. Gegebenenfalls können Dokumente und Akten offline gespeichert werden? Vor-Ort-Funktionen sind nicht abgebildet. Erfüllung Detailanforderungen überprüfen”.

Am 30. November 20222 wurde die Antragstellerin wie bereits dargelegt zu einer Präsentation / 1. Verhandlungsrunde eingeladen. Der Einladungstext enthielt dabei u.a. folgende Textpassagen:

“Im Rahmen des oben genannten Vergabeverfahrens laden wir Sie zur Bieterpräsentation und einer gegebenenfalls anschließenden ersten Verhandlungsrunde ein.

– [ … ]

– Die Dauer des Termins ist mit sechs Stunden (zuzüglich einer Pause) geplant, die zunächst vor allem für eine ausführliche Bieterpräsentation vorgesehen sind. Zweck der Präsentation ist die Aufklärung über das Angebot. Zudem soll den teilnehmenden Beschäftigten des Bauaufsichtsamtes ein umfassender Einblick in die angebotene Lösung ermöglicht werden. Wenn inhaltlich notwendig und zeitlich möglich, kann anschließend an die Bieterpräsentation eine erste Verhandlungsrunde durchgeführt werden.

– Diese Präsentation ist, wie bereits in den Vergabeunterlagen mitgeteilt, nicht wertungsrelevant.

– [ ]

– Die Bieterpräsentation soll eingangs knapp (30 Minuten) das Unternehmen, das Team und die Expertise des Bieters in Bezug auf die zu lösenden Aufgaben darstellen. [ ] Anschließend ist vorgesehen, die Leistungskriterien in der durch die Leistungsbeschreibung vorgegebenen Reihenfolge zu besprechen. Bitte bereiten Sie dazu entsprechende LiveDemonstrationsszenarien vor – auch in Bezug auf Schnittstellenaufgaben, wobei dort ggf. auf Screenshots von Best-Practice-Szenarien zurückgegriffen werden kann.” […]

Zum Kriterium 57 enthält das Protokoll eigenständige7 Ausführungen. Hier heißt es:

“Herr N.[ ] (###) bittet um Demonstration der angebotenen Komponente zur mobilen Arbeit.

Herr B[ ]: Die Mobilkomponente befindet sich aktuell in Überarbeitung und kann nicht vorgestellt werden. Die Erfüllung der Anforderungen wird bis zur Jahresmitte 2023 zugesagt.

Herr G.: Aktuell biet die Mobilkomponente keine spezifischen Funktionen zur Vor-OrtBearbeitung von Dokumenten.

Frau E.[ ]: Auf welcher Technologie basiert die Mobilanwendung?

Herr G.[ ]: Die Komponente wird als lokal ausführbare HTML5-Anwendung entwickelt.

Auf Vorschlag von Herrn N.[ ] (###) wird vereinbart, dass der Bieter die Erfüllung der Anforderung im Nachgang zur Bieterpräsentation schriftlich erläutert. Der ### übersendet kurzfristig eine entsprechende Aufforderung.”

Vereinbarungsgemäß wurde sodann der Antragstellerin eine Anforderung von Informationen zur Angebotsklärung übersandt. Diese enthielt u.a. folgende Mitteilung und Aufforderung:

“Während der Bieterpräsentation zum Angebot der [Antragstellerin] am 20. Januar 2023 wurde vereinbart, dass vonseiten des Bieters weitere Informationen zur Angebotsklärung zugearbeitet werden. Mit diesen Informationen soll geklärt werden, ob und in welchem Umfang das vorliegende Angebot die nachfolgend genannten Anforderungen der Leistungsbeschreibung erfüllt.

Beziehen Sie sich bitte in Ihrer Antwort auf alle zu den jeweiligen Anforderungen spezifizierten Details.

– FA[…]

– FA57 | Mobile Sachbearbeitung (B-Kriterium mit Mindestpunktzahl) – hier insbesondere Aussagen zum Leistungsumfang der angebotenen Lösung in Bezug auf die spezifizierten Detailanforderungen. […]”

Am 30. Januar 2023 antwortete sodann die Antragstellerin fristgerecht wie folgt:

“Sehr geehrte Damen und Herren, hier unsere Antworten:

– FA[…]

– FA57 | Mobile Sachbearbeitung (B-Kriterium mit Mindestpunktzahl) – hier insbesondere Aussagen zum Leistungsumfang der angebotenen Lösung in Bezug auf die spezifizierten Detailanforderungen.”

Offline-Nutzung von digitalen Akten und Dokumenten

Offline-Bearbeitung von Dokumenten, Bearbeitung von Annotationen

Offline-Erstellung von Protokollen

Offline-Bearbeitung von Checklisten

Offline-Erfassung von Bild- und Audio Informationen, falls das verwendete Gerät die Technik verfügbar macht.

Bewertung durch Auftraggeber Die AS erhielt hier 1 von 4 möglichen Punkten mit folgender Begründung …”

Die Antragstellerin gab also mit ihrer Antwort vom 30. Januar 2023 schlicht den Text des Leistungsverzeichnisses wieder, ohne diesen weitere Aussagen zum Leistungsumfang der angebotenen Lösung und Erläuterungen beizufügen. Dies veranlasste den Auftraggeber zu dem Bewertungsergebnis von 1 Wertungspunkt wobei eine Mindestpunktzahl von 2 Punkten für das Bestehen im Wettbewerb vorausgesetzt waren. Seine Entscheidung begründete der Auftraggeber in dem Dokument “Bewertung Leistungskriterien | Abschließende Bewertung des verbindlichen Erstangebots” wie folgt:

“Im schriftlichen Erstangebot und in der Bieterpräsentation blieb unklar, in welchem Maß und wie die Anforderung erfüllt wird. Die im Erstangebot enthaltenen Screenshots einer Mobilanwendung lassen allenfalls einen ersten Prototyp vermuten, nicht aber eine praxistaugliche Systemkomponente. Nach Aussage des Bieters ist mit der Bereitstellung der Mobilanwendung zur Jahresmitte 2023 zu rechnen. Dies deutet einen fortgeschrittenen Arbeitsstand an. Im Gegensatz dazu war der Bieter nicht in der Lage, die Mobilkomponente praktisch zu demonstrieren. Auch die Antwort auf eine entsprechende Aufklärungsanfrage enthält keinerlei Beschreibungen und Illustrationen, wie die geforderten Funktionen umgesetzt werden sollen. Angesichts des aktuellen Konzept- und Entwicklungsstands wird die Bereitstellung einer anforderungsgerechten Mobilanwendung entsprechend der zeitlichen Anforderungen des Digitalisierungsprojekts als nicht realistisch eingeschätzt.”

Diese Bewertung war durch die Vergabekammer im Rahmen ihrer eingangs erwähnten eingeschränkt Überprüfungsmöglichkeiten zu überprüfen. Im Ergebnis war zum einen festzustellen, dass sich der Auftraggeber bei seiner Bewertung vorrangig auf die Bewertung des Erstangebotes, mit samt den dort enthaltenen Screenshots und die Antwort auf seine entsprechende Aufklärungsanfrage stützt. Zum anderen war festzustellen, dass er sich mit seiner Prognose, dass die Bereitstellung einer anforderungsgerechten Mobilanwendung entsprechend der zeitlichen Anforderungen des Digitalisierungsprojekts als nicht realistisch eingeschätzt wird, im Rahmen seines selbst auferlegten Bewertungsschemas bewegt hat.

Letztlich war auch festzustellen, dass die Antragstellerin ihre Mitwirkung an der Aufklärung verweigert hat.

Der Auftraggeber bewegt sich im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraumes, soweit er zur Begründung seiner Punktevergabe darauf verwies, dass im schriftlichen Erstangebot unklar geblieben sei, in welchem Maß und wie die Anforderung erfüllt wird, da nach seiner Bewertung die im Erstangebot enthaltenen Screenshots einer Mobilanwendung allenfalls einen ersten Prototyp vermuten lassen würden, nicht aber eine praxistaugliche Systemkomponente.

Diese Einschätzung wird von der Vergabekammer als ermessensfehlerfrei und sachgerecht bewertet, denn die auf den Seiten 47 bis 50 beigefügten Screenshots sind inhaltlich kaum geeignet, um bspw. eine Offline-Nutzung von digitalen Akten und Dokumenten, eine Offline-Bearbeitung von Dokumenten, Checklisten oder Annotationen oder eine Offline-Erstellung von Protokollen zu veranschaulichen und auf ihrer Basis zuverlässig Aussagen zum Leistungsumfang der angebotenen Lösung abzuleiten.

Sodann macht der Auftraggeber der Antragstellerin zum Vorwurf, dass sie im Gegensatz zu den im Angebot aufgestellten Behauptungen nicht in der Lage gewesen war, die Mobilkomponente im Gesprächstermin vom 20. Januar 2023 praktisch zu demonstrieren. Vor dem Hintergrund, dass in der Einladung zu diesem Gespräch explizit darauf verwiesen wurde, dass vorgesehen sei, im gemeinsamen Termin, die Leistungskriterien zu besprechen und die Antragstellerin der unmissverständlichen Aufforderung eine entsprechende Live-Demonstrationsszenarien vorzubereiten nicht nachgekommen ist, ist auch hieran vergaberechtlich nichts zu beanstanden.

Es ist darauf zu verweisen, dass nach herrschender Rechtsprechung ein Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet ist, zu überprüfen, ob die Bieter ihre mit dem Angebot verbindlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen auch einhalten werden; vielmehr darf er sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen. Entscheidet sich der Auftraggeber jedoch dazu, weil bspw. konkrete tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an den Angaben des Bieters wecken, dessen Leistungsversprechen zu überprüfen, muss der öffentliche Auftraggeber aus Gründen der Transparenz und der Gleichbehandlung der Bieter bereit und in der Lage sein, das Leistungsversprechen des Bieters effektiv zu verifizieren (VK Sachsen, B. v. 14.04.2023 – 1/SVK/003-23; VK Südbayern, B. v. 08.02.2023 – 3194.Z3-3_01-22-42; VK Sachsen, B. v. 15.03.2022 – 1/SVK/001-22; BayObLG, B. v. 03.06.2022 – Verg 7/22, OLG Düsseldorf, B. v. 15.01.2020 – Verg 20/19 m. w. N.; OLG Karlsruhe, B. v. 29.05.2020 – 15 Verg 2/20). Dabei ist er in der Wahl seiner Überprüfungsmittel grundsätzlich frei (OLG München, Beschluss vom 11.05.2007 – Verg 4/07). Er ist im Interesse einer zügigen Umsetzung der Beschaffungsabsicht und einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens und aus Gründen seiner begrenzten Ressourcen und administrativen Möglichkeiten nicht auf eine bestimmte Methode oder bestimmte Mittel der fachlichen Prüfung festgelegt. Das vom Auftraggeber gewählte Mittel zur Überprüfung muss jedoch geeignet und die Mittelauswahl frei von sachwidrigen Erwägungen getroffen worden sein (VK Südbayern, B. v. vom 28.02.2023 – 3194.Z3-3_0122-42, m. Verw.a. OLG Düsseldorf, B. v. 15.01.2020 – Verg 20/19).

Soweit also der Auftraggeber zur Präsentation zum Zwecke der Aufklärung über das Angebot einlud, hatte er damit nach Auffassung der Vergabekammer ein zulässiges und taugliches Mittel zur Überprüfung der Angaben der Antragstellerin in Ihrem Angebot gewählt. Soweit desweiteren dann der Geschäftsführer der Antragstellerin in diesem Termin erklärte, dass die Mobilkomponente sich aktuell in Überarbeitung befinde und nicht vorgestellt werden könne, und mit einem weiteren Leistungsversprechen reagierte, dass die Erfüllung der Anforderungen bis zur Jahresmitte 2023 zugesagt werde, kam dies bereits zu diesem Zeitpunkt einer fehlenden Mitwirkung an der Aufklärung gleich. Erschwerend kam hinzu, dass der Geschäftsführer der Antragstellerin sodann auch einräumte, dass die Mobilkomponente aktuell keine spezifischen Funktionen zur Vor-Ort-Bearbeitung von Dokumenten biete. Insoweit war es bereits überobligatorisch, dass der Auftraggeber der Antragstellerin sodann im Nachgang zu dem Gesprächstermin die Möglichkeit einräumte, die Erfüllung der Anforderung im Nachgang zur Bieterpräsentation schriftlich bis zum 30.01.2023 zu erläutern.

Eine Angebotsaufklärung dient gem. § 15 Abs. 5 VgV der Klärung des Angebotsinhalts, wenn nach rechnerischer, technischer und wirtschaftlicher Prüfung noch Zweifelsfragen bzgl. des Angebotsinhalts bestehen. Hierbei wird der Angebotsinhalt in der Regel unter Mitwirkung des Bieters ermittelt. Für den Bieter muss die Einleitung der Angebotsaufklärung nach § 15 Abs. 5 VgV durch den Auftraggeber eindeutig erkennbar sein. Dies folgt nicht nur aus dem Gebot der Transparenz, sondern auch daraus, dass der Auftraggeber Bietern die Rechtsfolge einer unterbleibenden Mitwirkung, nämlich einen drohenden Angebotsausschluss, nachhaltig vor Augen zu führen hat, um sie zu der gebotenen Mitwirkung anzuhalten (Steck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht 4. Auflage 2020). Lässt der Bieter die ihm gesetzte angemessene Frist zur Aufklärung ohne Antwort verstreichen oder legt er lediglich untaugliche Unterlagen vor, oder gibt er untaugliche Antworten, so ist dies nach Auffassung der Vergabekammer einer Weigerung gleichzusetzen.

Auch in sich widersprüchliche Angebote dürfen ohne vorherige Aufklärung des Angebotsinhalts weder bezuschlagt noch ausgeschlossen werden. Der öffentliche Auftraggeber hat in einer solchen Situation den betreffenden Bieter zu einer Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufzufordern und ihm Gelegenheit zu geben, die Widersprüchlichkeit nachvollziehbar auszuräumen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.10.2015 – Verg 35/15). Dabei darf das Angebot allerdings nur soweit aufgeklärt werden, dass klar wird, welche der beiden Verständnismöglichkeiten des in sich widersprüchlichen Angebots vom Bieter gemeint war. Dadurch, dass die Antragstellerin in ihrem Angebot angab, dass sie das Kriterium FA 57 (61) “vollumfänglich” erfülle, gleichzeitig aber ihrem Angebot Screenshots beigefügte, die allenfalls einen ersten Prototyp vermuten ließen, nicht aber eine praxistaugliche Systemkomponente, war das Angebot vom Auftraggeber als in sich widersprüchlich und deshalb aufklärungsbedürftig beurteilt worden. Indem aber dann dies Antragstellerin im Termin zur Präsentation nicht, wie erbeten eine entsprechende Live-Demonstrationsszenarien vorbereitet hatte, sondern sich darauf zurückzog, dass sich die Mobilkomponente aktuell in Überarbeitung befinde und deshalb nicht vorgestellt werden könne, hatte sie ihre erste Chance auf Aufklärung ungenutzt gelassen.

Die zweite Chance auf Aufklärung hatte die Antragstellerin ungenutzt gelassen, nachdem sie, obwohl während der Bieterpräsentation vereinbart wurde, dass weitere Informationen dazu, in welchem Umfang ihr Angebot die Anforderungen der Leistungsbeschreibung zu FA57 erfülle, zugearbeitet werden sollten, im Rahmen der Aufklärungsantwort lediglich den Text der Leistungsbeschreibung spiegelte, ohne diesem angebotserläuternde Erklärungen oder konkrete Veranschaulichungen hinzuzufügen. Durch dieses Verhalten verweigerte sie nach Auffassung der Vergabekammer ihre Mitwirkung an der Aufklärung, was für sich genommen bereits einen Ausschlussgrund gem. § 15 Abs. 5 VgV hätte darstellen können (OLG Frankfurt, B. v. 12.11.2013 – 11 Verg 14/13, VK Bund, B. v. 27.05.2020 – VK 2-21/20), was der Auftraggeber aber nicht in Betracht gezogen hat.

Insgesamt unter Würdigung der Gesamtumstände, ist es nach Überzeugung der Vergabekammer als sachgerecht und ermessensfehlerfrei zu bewerten, dass der Auftraggeber die Erfüllung des B-Kriterium FA 57 mit nur einem Punkt bewertete und dies u.a. damit begründete, dass angesichts des aktuellen Konzept- und Entwicklungsstands die Bereitstellung einer anforderungsgerechten Mobilanwendung entsprechend der zeitlichen Anforderungen des Digitalisierungsprojekts als nicht realistisch eingeschätzt würde. Dies entspricht inhaltlich der vorgegebenen Wertungsmatrix, wonach ein Angebot im entsprechenden Kriterium nur einen Punkt erhalten sollte, wenn das Leistungskriterium lediglich in Teilen erfüllt ist und Abweichungen von der bzw. den jeweilig referenzierten Anforderungen im Rahmen der Implementierung des angebotenen Systems nicht behoben werden können.

Da für die B-Kriterien im Formular Leistungskriterien bestimmt war, dass dann, wenn die jeweils zu erreichende Mindestpunktzahlen an Bewertungspunkten nicht erreicht würde, das Angebot ausgeschlossen werden würde, führte jedenfalls diese Punktvergabe bereits zum berechtigten Ausschluss des Angebotes aus dem Wettbewerb.

Dem so gefundenen Ergebnis steht nach Auffassung der Vergabekammer auch nicht entgegen, dass es in der europaweiten Bekanntmachung unter Ziffer II.2.14) “Zusätzliche Angaben” lediglich geheißen hat:

“Für die als Bewertungskriterium gekennzeichneten Anforderungen werden nach den in der Leistungsbewertungsmatrix definierten Bewertungsmaßstäben und Punktesystemen Leistungspunkte vergeben.”,

worauf die Antragstellerin in ihrem Antragsschriftsatz hingewiesen hatte. Es ist hierzu zum einen darauf zu verweisen, dass es unter Ziffer II.2.14) unter der Überschrift “Berücksichtigung der Leistung (Leistungspunkte)” auch heißt:

“Grundlage für die Ermittlung der Leistungspunkte sind der aus der Leistungsbeschreibung abgeleitete Kriterienkatalog sowie die Leistungsbewertungsmatrix. Kriterienkatalog und Leistungsbewertungsmatrix sind im Formular Leistungskriterien zusammengefasst.”

Es wurde also schon in der Auftragsbekanntmachung auf das Formular Leistungskriterien, aus dem sich das Punktesystem ergab, verwiesen. Außerdem schreibt § 127 Abs. 5 GWB lediglich vor, dass die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen aufgeführt werden müssen – nicht die Ausschlusskriterien. Und schließlich wäre ein Auftraggeber auch nicht daran gehindert, nachträglich zur Auftragsbekanntmachung, bspw. in den Vergabeunterlagen eine Präzisierung der bekannt gemachten Zuschlagskriterien vorzunehmen, was hier unzweifelhaft im Formular Leistungskriterien erfolgt ist Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, dass der Auftraggeber – jedenfalls gestützt auf das Kriterium FA 57 das Angebot der Antragstellerin zu Recht ausgeschlossen hatte.

Nach dem zuvor gefundenen Ergebnis, könnten die weiteren Überlegungen an und für sich dahinstehen. Da diese aber umfangreich zur Diskussionsgegenstand gemacht wurden, soll nachfolgend zumindest noch zu weiteren Punkten in der gebotenen Kürze Stellung genommen werden.

– Zum B-Kriterium FA16 “Digitale Abbildung von Geschäftsgangverfügungen”

Auch das B-Kriterium FA 16 ist in der Leistungsbeschreibung deutlich strukturierter ausgestaltet. Zusammengefasst verlangt es u.a. folgendes:

“Das System muss es berechtigten Nutzer:innen ermöglichen, digitale Geschäftsgangverfügungen zu erzeugen, zu verwalten und zu erledigen. Digitale Geschäftsgangverfügungen regeln die Sachbearbeitung. Sie stellen Aufgaben für konkrete Sachbearbeitende dar, die zumeist mit Terminen versehen sind. Beispiele für Geschäftsgangverfügungen sind Wiedervorlagen, Aufforderungen zur Rücksprache, Anforderungen von Zeichnungen, konkrete Aufträge zur Sachbearbeitung, Abschließen des Vorgangs und viele weitere. […] Das System muss es berechtigten Nutzer:innen effizient ermöglichen, … Geschäftsgangverfügungen an Vorgängen (d.h. jeweils einer digitalen Akte) oder an digitalen Dokumenten anzubringen; Geschäftsgangverfügungen anzupassen und an andere Nutzer:innen weiterzuleiten, Geschäftsgangverfügungen zu erledigen. Dabei muss das System jeweils die folgenden Metainformationen zu einer Geschäftsgangverfügung verwalten:

Art und Beschreibung der Verfügung, Nutzerkennung des/der auslösenden und des/der angewiesenen Nutzer:in,; Datum des Auslösens, Termin der Erledigung.

Das System muss gewährleisten, dass auch eine große Anzahl an Geschäftsgangverfügungen übersichtlich dargestellt, gefiltert, sortiert und flexibel markiert werden kann. Unter den Bedingungen der vollständig digitalen Sachbearbeitung kommt einer effizienten, flexiblen und übersichtlichen Verwaltung von Geschäftsgangverfügungen eine herausragende Bedeutung zu. Sachbearbeitende müssen sich auch in einer größeren Zahl von digital erteilten Aufgaben alltagstauglich orientieren können.” […]

Hier hatte die Antragstellerin im ausgefüllten Formular “Leistungskriterien” durch Anklicken eines vorgegebenen Platzhalterfeldes, das die Auswahl zwischen “vollumfänglich/ teilweise/ nicht” bereitstellte, angegeben, dass sie das Kriterium FA 16 “vollumfänglich” erfülle. Zudem hatte sie anforderungsgemäß ihrem Angebot einen Screenshot beigefügt. Ein solcher Screenshot sollte die Umsetzung der geforderten Funktionen veranschaulichen. Hierzu heißt es im Formular “Leistungskriterien”:

“Wenn Sie die Anforderung vollumfänglich oder teilweise erfüllen, fügen Sie im Abschnitt -> IX.2 Screenshots an, die Ihre Umsetzung folgender Funktionen veranschaulichen:

– Anbringen von Geschäftsgangverfügungen an Vorgängen (d.h. jeweils einer digitalen Akte) oder an digitalen Dokumenten,

– Anpassen von Geschäftsgangverfügungen und Weiterleitung an andere Nutzer:innen,

– Erledigung von Geschäftsgangverfügungen,

– übersichtliche Darstellung, Filterung, Sortierung und flexible Markierung von Geschäftsgangverfügungen.”

Im Dokument “Bewertung Erstangebot Bieter 1 vor Bieterpräsentation” vom 29. November 2022 waren zu diesem Kriterium 0 Bewertungspunkte vermerkt. In der Begründungsspalte heißt es:

“kein Lösungsansatz erkennbar, ### Lösungsansatz hinterfragen”.

Zur Präsentation des Angebotes sind folgende Aussagen protokolliert:

“Herr N.: Werden Geschäftsgangverfügungen als Metainformationen zum Dokument oder Fall in der digitalen Akte abgelegt?

 

Herr G.: Aktuell ist dies noch nicht der Fall. Sofern das im ### verwendete ### entsprechende Metadatenfelder bereitstellen kann, wird die Erfüllung der Anforderung im Projektverlauf zugesichert.”

Eine Schriftliche Anforderung von Informationen zur Angebotsaufklärung im Nachgang zur Bieterpräsentation gab es nicht. Der finalen Bewertung zu diesem Kriterium ist sodann folgendes zu entnehmen:

“In Bezug auf diese Anforderung ist das Angebot inkonsistent: Im schriftlichen Erstangebot wird die Erfüllung der Anforderung im angebotenen System ohne Einschränkungen zugesichert. Im Gegensatz dazu wurde in der Bieterpräsentation deutlich, dass der Bieter die Umsetzung von Geschäftsgangverfügungen und deren Dokumentation in Metainformationen zu Fällen und Dokumenten nicht als Funktion des angebotenen Systems versteht und stattdessen auf die Nutzung von ###-Funktionen verweist (siehe Bewertungen zu FA14). Infolgedessen werden wesentliche Aspekte der Anforderung im angebotenen System aktuell nicht erfüllt (Abbildung von Geschäftsgangverfügungen in Metainformationen zu Fällen und Dokumenten, leistungsabhängige Kataloge von Geschäftsgangverfügungen, effiziente Verwaltung einer großen Zahl von Geschäftsgangverfügungen etc.). In der Bieterpräsentation klärte der Bieter darüber auf, die geforderten Funktionen inkl. der Übermittlung der dabei entstehenden Metainformationen in das angeschlossene ### während der Projektlaufzeit realisieren zu wollen. Auch hier sind die in den Bewertungen zu FA14 geäußerten Risiken relevant. Da das verwaltungsfachliche Konzept der Geschäftsgangverfügung bislang beim Entwurf des angebotenen Systems noch nicht aufgegriffen wurde, wird die Umsetzung der Anforderungen während der Projektlaufzeit als zu risikoreich bewertet.”

Die Vergabekammer hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung erörtert, dass dem Angebot der Antragstellerin zum Kriterium FA 16 ein Screenshot beigefügt gewesen war.

Dieser hat eine digitale Signatur abbildet sowie einen Gebäudegrundriss mit Dachgeschoss, Lageplan und Bauzeichnungen, was nach dem Verständnis der Vergabekammer mit Geschäftsgangverfügungen nichts zu tun habe. Nach Auseinandersetzung mit dem Screenshot führte der Geschäftsführer der Antragstellerin hierzu aus, dass dieser Screenshot in der Kürze der Zeit hier vielleicht etwas unglücklich eingefügt worden sei.

Auch in diesem Kriterium ist also greifbar, dass das Angebot der Antragstellerin in sich widersprüchlich bzw. tatsächlich inkonsistent ist. Allerdings hat es der Auftraggeber (auch) hier versäumt die Widersprüchlichkeit zwischen behaupteter vollumfänglicher Erfüllung des Kriteriums und Screenshot zum Gegenstand der Aufklärung und Wertung zu machen. Stattdessen stützt er sich auf die Antwort der Antragstellerin zu einer einzelnen Frage, ob “[…] Geschäftsgangverfügungen als Metainformationen zum Dokument oder Fall in der digitalen Akte abgelegt [werden]. Dies stellt nach dem Verständnis der Vergabekammer eine gewisse Friktion zum Anforderungsprofil des Kriterium FA 16 dar, wo gefordert wurde, dass das System ermöglicht, “Geschäftsgangverfügungen an Vorgängen (d.h. jeweils einer digitalen Akte) oder an digitalen Dokumenten anzubringen”. Es entsteht der Eindruck, dass danach gefragt wird, ob die Geschäftsgangverfügung in der digitalen Akte abgelegt wird, also dort sichtbar ist, während in der Leistungsbeschreibung Geschäftsgangverfügungen lediglich an Vorgängen) oder an digitalen Dokumenten anzubringen sind und damit sichtbar (abrufbar/ durchsuchbar) sind.

Jedenfalls ist es der Vergabekammer anhand der protokollierten Frage und Antwort nicht möglich, nachzuvollziehen, warum der Auftraggeber zu dem Wertungsergebnis von lediglich einem Punkt gekommen ist (OLG Düsseldorf; B. v. 24. 3. 2021 – Verg 34/20; VK Bund, B. v. 12. 4. 2019 – VK 1 – 11/19). Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass ein Bieter im Stadium der Angebotsabgabe (noch) nicht leistungsbereit sein muss. nach Überzeugung der Vergabekammer ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass einem Bieter die zur Leistungserbringung erforderlichen Mittel bereits bei Angebotsabgabe oder Zuschlagserteilung zur Verfügung stehen. Er muss, sofern sich der öffentliche Auftraggeber nicht in der Bekanntmachung einen anderen Zeitpunkt vorbehält, in der Regel erst zum Leistungsbeginn über diese Mittel verfügen (VK Sachsen, B. v. 15.03.2022 – 1/SVK/001-22). Dass es der Antragstellerin tatsächlich nicht möglich gewesen wäre, die Anforderung im Projektverlauf, wie zugesichert zu erfüllen, bleibt als durch Fragen und Antworten nicht untersetzte Mutmaßung im Raum stehen und wird lediglich durch den Verweis auf die zu den Bewertungen zu FA14 geäußerten Risiken gestützt- die ebenso für die Vergabekammer schon nicht nachvollziehbar waren.

Die von dem Auftraggeber vorgenommene Wertung des Angebotes der Antragstellerin zum Kriterium FA 16 ist nicht ausreichend dokumentiert und verstößt mithin gegen § 8 VgV. Ähnlich verhält es sich mit den weiteren Kriterien, die zwischen den Verfahrensbeteiligten streitig diskutiert wurden.

– Zum B-Kriterium FA34 Dokumentation von Bearbeitungszeiten und Bearbeitungsunterbrechungen

Das B-Kriterium FA 34 ist in der Leistungsbeschreibung, bezogen auf die zu erfüllenden Anforderungen wie folgt ausgestaltet:

“Das Kernsystem muss über manuelle und automatisierte Möglichkeiten verfügen, die Bearbeitungszeiten eines Falls einer Verwaltungsleistung zu erfassen und übersichtlich visuell darzustellen. Dabei müssen folgende Bearbeitungssituationen unterschieden und dargestellt werden:

– Bearbeitungszeiten in der federführenden Organisationseinheit der ###-Verwaltung,

– Bearbeitungszeiten in beteiligten öffentlichen Stellen der ###-Verwaltung,

– Bearbeitungszeiten in beteiligten öffentlichen Stellen außerhalb der ###-Verwaltung,

– Bearbeitungsunterbrechungen, die durch Verwaltungskunden verursacht wurde”

Im ausgefüllten Formular Leistungskriterien hatte die Antragstellerin sodann durch Anklicken des entsprechenden Platzhalterfeldes angegeben, dass sie das Kriterium FA 14 “vollumfänglich” erfülle. Screenshots zum Nachweis des behaupteten Erfüllungsgrades waren an dieser Stelle nicht gefordert.

Im Dokument “Bewertung Erstangebot Bieter 1 vor Bieterpräsentation” vom 29. November 2022 waren zu diesem Kriterium 3 Bewertungspunkte vermerkt. In der Begründungsspalte in der für andere Kriterien Kritikpunkte festgehalten waren, war hier nichts weiter vermerkt. Zur Präsentation des Angebotes sind folgende Aussagen protokolliert:

“Herr N. (###): Können Bearbeitungsunterbrechungen verwaltet und ausgewiesen werden?

 

Herr G.: Bearbeitungsunterbrechungen werden im System nicht verwaltet. Eine zusammenfassende Visualisierung von Bearbeitungszeiten und Bearbeitungsunterbrechungen ist aktuell nicht möglich. Stattdessen werden Fristen situationsabhängig fortgeschrieben.”

Eine schriftliche Anforderung von Informationen zur Angebotsaufklärung im Nachgang zur Bieterpräsentation erfolgte nicht, die Antragstellerin erhielt sodann in der finalen Bewertung 1 von 4 möglichen Punkten, als Mindestpunktzahl waren hier jedoch mindestens 2 Punkte zu erreichen. Die Punktvergabe stützt sich auf folgende Begründung:

“In Bezug auf diese Anforderung ist das Angebot inkonsistent: Im schriftlichen Erstangebot wird die Erfüllung der Anforderung im angebotenen System ohne Einschränkungen zugesichert. Im Gegensatz dazu wurde in der Bieterpräsentation deutlich, dass das angebotene System nicht über Funktionen zur Erfassung, Verwaltung und Auswertung von Bearbeitungsunterbrechungen verfügt. Eine zusammenhängende Auswertung und übersichtliche visuelle Darstellung der Bearbeitungszeiten und Bearbeitungsunterbrechungen wird nicht ermöglicht. Mit einer Umsetzung während der Projektlaufzeit kann nicht gerechnet werden.”

Die Vergabekammer hatte sowohl in ihrem schriftlichen Hinweis, als auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung problematisiert, dass das Kernsystem laut Leistungsbeschreibung lediglich über manuelle und automatisierte Möglichkeiten verfügen sollte, die Bearbeitungszeiten eines Falls (irgendwie) zu erfassen und visuell darzustellen und hatte sodann problematisiert, dass die Antragstellerin “immerhin” angeboten habe Fristen situationsabhängig fortzuschreiben, worauf die Bewertung im Auswertungsdokument schlicht keinen Bezug genommen hat.

Die Vergabekammer verkennt nicht, dass der Auftraggeber im Nachgang zur mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass eine situationsabhängige Fortschreibung von Fristen die geforderte Funktion der Erfassung und Darstellung von Bearbeitungsunterbrechungen nicht ersetze, da dabei lediglich ein Zeitpunkt (Frist) überschrieben würde, nicht jedoch eine Dauer inklusive des Unterbrechungsgrundes erfasst. Visualisierungsfunktionen seien davon ohnehin nicht berührt. Die auftraggeberseitige Bewertung mit einem Wertungspunkt resultiere aus der Verfügbarkeit von Terminen und Fristdaten, die Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung hin zur Verwaltung und Auswertung von Informationen oder Zeiträumen darstellen könnten. Dem steht jedoch ebenso gegenüber, dass die Antragstellerin im Termin zur mündlichen Verhandlung auf Befragung ausführte, dass das angebotene System Bearbeitungsunterbrechungen abbilden könne. Die Umstände blieben mithin unaufklärbar, so dass letztlich als alleiniger Kontrollmaßstab der Vergabekammer die wenigen Worte bleiben, die zur Bieterpräsentation protokolliert wurden, wobei auch hier wieder zu berücksichtigen ist, dass ausweislich der besonderen Bewerbungsbedingungen und der Einladung zur Präsentation die Bieterpräsentation nicht bewertet werden sollte.

Insoweit ist dem Auftraggeber entgegenzuhalten, dass öffentliche Auftraggeber nach Auffassung der Vergabekammer aus Gründen der Transparenz und Gleichbehandlung verpflichtet sind, den Bietern seine Vorgehensweise bei der Wertung so eindeutig mitzuteilen, dass diese wissen, was der Auftraggeber von ihnen erwartet und auf was sich seine Wertung stützen wird (vgl. VK Bund, B. v. 16.12.2022 – VK 1-99/22). Denn nur, wenn allen Bietern gleichermaßen bekannt ist, wie der Auftraggeber bei der Wertung ihrer Angebote vorgehen wird, sind die auf diesen Vorgaben beruhenden Angebote überhaupt untereinander vergleichbar, so dass im wirksamen Wettbewerb unter allen Angeboten willkürfrei das wirtschaftlichste ausgewählt werden kann. Bei der Dokumentation der mündlichen Kommunikation mit Bietern, die einen Einfluss auf Inhalt und Bewertung von deren Angebot haben könnte, ist sogar in besonderem Maße darauf zu achten, dass in hinreichendem Umfang und in geeigneter Weise dokumentiert wird. Dieser Verpflichtung ist vorliegend der Auftraggeber nach Überzeugung der Vergabekammer, bezogen auf das Kriterium nicht nachgekommen, weshalb auch auf dieses Kriterium der Ausschluss nicht gestützt werden kann.

Ein gleichlautender Vorwurf ist dem AG schließlich auch im Hinblick auf die Bewertung des Kriteriums FA 33 “Verwalten von objekt- und ortsbezogenen Informationen” zu machen. Auch hier ist dem Auftraggeber vorzuwerfen, dass die ursprüngliche Bewertung 3 Punkte vorsah, sodann im Nachgang zur Bieterpräsentation in 1 Punkt geändert wurde und kaum Aussagen im Rahmen der Präsentation, das Kriterium betreffend protokolliert wurden, wobei die Präsentation, wie wiederholt dargelegt, nicht Gegenstand der Bewertung sein sollte.

Insoweit bleibt es dabei, dass letztlich lediglich ein Wertungskriterium die Ausschlussentscheidung des Auftraggebers stützt.

Zusammenfassend war also nach Würdigung des gesamten Wertungsvorganges festzustellen, dass die Wertung zumindest in Bezug auf die Erfüllung des B-Kriterium FA 57 mit nur einem Punkt als sachgerecht und ermessensfehlerfrei zu bewerten war.

Da für sämtliche B-Kriterien im Formular Leistungskriterien festgelegt war, dass dann, wenn die jeweils zu erreichende Mindestpunktzahlen an Bewertungspunkten nicht erreicht würde, das Angebot ausgeschlossen werden würde, führte jedenfalls diese Punktvergabe zum berechtigten Ausschluss des Angebotes aus dem Wettbewerb, so dass im Ergebnis der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin berechtigt war und der Antrag der Antragstellerin als unbegründet abzuweisen war.

III.

1. Die Antragstellerin hat gem. § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB die Kosten des Vergabenachprüfungsverfahren zu tragen.

Die Antragstellerin hat als Unterliegende die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB zu tragen.

Die Gebühr beträgt mindestens 2.500 EUR und soll den Betrag von 50.000 EUR nicht überschreiten (§ 182 Abs. 2 Satz 1 und 2 GWB).

Die Höhe der Gebühr bestimmt sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der erkennenden Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstandes des Nachprüfungsverfahrens (§ 182 Abs. 2 GWB). Dabei ist vorrangig vom Wert des Verfahrensgegenstandes auszugehen (BGH, B. v. 25. Oktober 2011 – X ZB 5/10).

Die Vergabekammern des Bundes haben dazu eine Gebührentabelle erarbeitet, welche die erkennende Vergabekammer im Interesse einer bundeseinheitlichen Handhabung anwendet. Zur Bestimmung des wirtschaftlichen Interesses wird hier, wie in der Regel auf den Bruttoangebotswert des Angebotes des Antragstellers abgestellt. Ausgehend hiervon ergibt sich nach der Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes eine Gebühr in Höhe von … EUR.

Dieser Betrag kann zudem aber auch aus Gründen der Billigkeit entsprechend § 182 Abs. 2 Satz 1, 2. Hs. GWB ermäßigt werden, ggf. bis auf ein Zehntel.

Als Gründe einer Ermäßigung sind dabei nur solche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Bedeutung sowie dem erforderlichen Verwaltungsaufwand stehen. Solche Gründe waren vorliegend nicht ersichtlich.

Den Betrag (… EUR) hat die Antragstellerin binnen zweier Wochen nach Bestandskraft dieser einzuzahlen.

2. Die Antragstellerin hat die notwendigen Aufwendungen des Auftraggebers zu tragen, § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.

Gemäß 182 Abs. 4 Satz 1 GWB hat ein Beteiligter die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendigen Aufwendungen seines Gegners zu tragen, soweit er im Verfahren unterliegt. Vorliegend ist die Antragstellerin in diesem Verfahren die Unterlegene. Daher hat sie die zur Rechtverfolgung notwendigen Aufwendungen des Auftraggebers nach § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB zu tragen.

3. Die Aufwendungen der Beigeladenen sind ihr nicht zu erstatten, § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB.

Die Aufwendungen der Beigeladenen sind gemäß § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB nur erstattungsfähig, soweit sie die Vergabekammer aus Billigkeit der unterliegenden Partei auferlegt. Entscheidend ist dabei, inwieweit sich der Beigeladene aktiv in das Verfahren eingebracht und dieses gefördert hat.

Die überwiegende Spruchpraxis bejaht einen Kostenerstattungsanspruch des Beigeladenen, wenn der Beigeladene auf Seiten der obsiegenden Partei das Verfahren entweder durch einen Antrag oder in sonstiger Weise wesentlich aktiv fördert, sich also schriftsätzlich in relevanter Weise äußert oder an der mündlichen Verhandlung teilnimmt (Losch in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, GWB, § 182 Rn. 37).

Ausgehend davon erachtet es die Vergabekammer als billig, der Beigeladenen einen Kostenerstattungsanspruch nicht zuzugestehen. Die Beigeladene hatte sich vorliegend nicht schriftsätzlich im Vergabenachprüfungsverfahren eingelassen. Zwar hatte sie das Vergabenachprüfungsverfahren durch ihren Vortrag im Rahmen der mündlichen Verhandlung geringfügig gefördert, allerdings hatte sie dort keinen eigenen Antrag gestellt. Damit nimmt sie am Kostenrisiko des Verfahrens nicht teil.

Insoweit entspricht es aber auch der Billigkeit, ihr die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen nicht zu erstatten.

IV.

(…)

Interessante Förderung bei der Umsetzung von Projekten zur Verbesserung der Energieeffizienz von öffentlichen Gebäuden mit den Nutzungen Kultur, Sport, Tourismus sowie karitativen Zwecken und hohen Energie-Einsparpotentialen

Interessante Förderung bei der Umsetzung von Projekten zur Verbesserung der Energieeffizienz von öffentlichen Gebäuden mit den Nutzungen Kultur, Sport, Tourismus sowie karitativen Zwecken und hohen Energie-Einsparpotentialen

Die EFRE-Förderung (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung) bietet Kommunen und Vereinen Unterstützung bei der Umsetzung von Projekten zur Verbesserung der Energieeffizienz von Bestandsgebäuden mit Fördersummen von bis zu 6,4 Mio. €. Förderungen von 80% sind bei Gesamtausgaben von maximal 8 Mio. € möglich!

Der Fokus dieses Förderprogramms liegt auf öffentlichen Gebäuden mit den Nutzungen Kultur, Sport, Tourismus sowie karitativen Zwecken und hohen Energie-Einsparpotentialen.

Gefördert wird

Investive-Maßnahmen

  • Gebäudehülle und Bautechnik (Wärmedämmung, Fenstererneuerung, etc.)
  • Gebäudetechnik (Heizungs- und Lüftungsanlagen, etc.)
  • Gebäudesystemtechnik (MSR-Technik, etc.)
  • Maßnahmen zum Erlangen einer anerkannten Gebäudezertifizierung
  • Umfeldmaßnahmen (Wiederherstellung Putz, Malerarbeiten, Gerüst, etc.)


Nicht-Investive Maßnahmen

  • Energiekonzept
  • Bauliche und technische Datenaufnahme und Datenauswertung
  • Untersuchung des Bestandsgebäudes und der vorhandenen Anlagentechnik
  • Digitale Planungen
  • Energiemanagement- und Monitoringkonzepte
  • Öffentliche Kommunikation und Sichtbarmachung der Maßnahme


Das Gebäude muss vor dem 01.11.1977 erbaut worden sein, weiterhin muss das sanierte Gebäude die gesetzlichen Vorgaben des GEG übertreffen, der Primärenergieverbrauch muss um 50% gesenkt werden sowie ein Energiekonzept muss vorhanden sein. Des Weiteren gilt es zu beachten, dass das Gebäude ganzheitlich ertüchtigt werden muss, bedeutet Gebäudehülle und Anlagentechnik werden auf den notwendigen Stand gebracht.

Der Fördertopf, welcher aus EU-Geldern gespeist wird, hat einen Inhalt von 200 Mio €. Dieses Geld wird nach dem Windhundverfahren verteilt, sodass es sich lohnt sich zeitnah mit dem Thema zu beschäftigen und zu prüfen, ob es sanierungsbedürftige Immobilien im Portfolio gibt.

Anträge können ab dem 18.09.2023 bei der jeweiligen Bezirksregierung in einem Online-Antragsverfahren eingereicht werden. Dabei ist die Einbindung eines Energie-Effizienz-Experten unbedingt erforderlich.

Die Nutzung dieser Fördermittel setzt eine genaue Planung und eine detaillierte Kenntnis der Anforderungen und Verfahren des EFRE voraus. Es ist daher ratsam, bereits in der frühen Planungsphase einen erfahrenen Energieberater mit der Unterstützung zu beauftragen.

Genauere Aussagen zu Rahmenbedingungen und Förderhöhen können aktuell noch nicht getroffen werden, da die offizielle Richtlinie noch nicht veröffentlicht ist.

Einen versierten Energieberater mit dem wir seit Jahren hervorragend zusammenarbeiten können wir kurzfristig bereitstellen, um Sie insoweit handlungsfähig zu machen:

concept-haus

Bremerhavener Klimahaus: Der derzeitige Geschäftsführer Arne Dunker lässt das Vergabeverfahren rechtlich prüfen

Bremerhavener Klimahaus: Der derzeitige Geschäftsführer Arne Dunker lässt das Vergabeverfahren rechtlich prüfen

Nach dem angekündigten Betreiberwechsel für das Bremerhavener Klimahaus wird der derzeitige Geschäftsführer Arne Dunker das Vergabeverfahren rechtlich prüfen lassen. Die Klimahaus-Betriebsgesellschaft beantrage ein entsprechendes Verfahren bei der Vergabekammer des Landes Bremen, sagte Dunker der dpa. Er habe inhaltlich das deutlich bessere Konzept vorgelegt, dies hätte ausschlaggebend für die Entscheidung sein müssen, so Dunker. Stattdessen sei offenbar dem wirtschaftlichen Angebot mehr Gewicht beigemessen worden. Die Stadt Bremerhaven hatte mitgeteilt, dass der Bremer Investor Klaus Meier ab 2024 den Betrieb des Ausstellungshauses übernehmen soll. Das Klimahaus gilt als eine der erfolgreichsten touristischen Einrichtungen im Land Bremen. 2009 wurde es eröffnet, Dunker ist seit der ersten Stunde Geschäftsführer. Der Vertrag mit ihm läuft Ende Juni 2024 aus. Insgesamt hatten drei Bewerber Angebote eingereicht. Irritiert zeigte sich Dunker über die Aussage Meiers in einem Interview mit Radio Bremen, das Klimahaus wissenschaftlicher ausrichten zu wollen und das Alfred-Wegener-Institut (AWI) stärker ins Boot zu holen. Dieses sei “ja bisher wenig mit dem Klimahaus verbunden”, sagte Meier dem Regionalmagazin “buten un binnen”. Tatsächlich gebe es seit 2003 eine enge Kooperation mit dem AWI, sagte Dunker. Dunker betonte, stets alle Vertragsbedingungen eingehalten zu haben. “Wir sind kein Zuschussbetrieb und können garantieren, dass wir auch die nächsten 15 Jahre zuschussfrei arbeiten werden”, sagte er. Das Gebäude, für dessen Instandhaltung die öffentliche Hand zuständig sei, weise dagegen inzwischen zahlreiche Baumängel auf, die nicht behoben werden und zu höheren Betriebskosten als notwendig führen.

Quelle: dpa-infocom, dpa:230713-99-385403/2

AxProjects: Unsere Zukunftsprojekte: Projektierung von Photovoltaikanlagen

AxProjects: Unsere Zukunftsprojekte: Projektierung von Photovoltaikanlagen

vorgestellt von Thomas Ax

Wir führen durch und organisieren die Projektierung Ausschreibung und Errichtung einer Photovoltaikanlage unter den Vorgaben des Denkmalschutzes. Die Anlage wird als Nulleinspeiseanlage betrieben. Also ausschließlich für den Eigenbedarf mit Speicher, der dann evtl. auch als Zwischenspeicher für einen Zeitraum von ca. 30 Minuten an Stelle eines externen Notstromaggregats genutzt werden kann.

OLG Celle zur Frage, ob ein Umbauzuschlag für den Bereich der Abwasser-, Wasser- und Gasanlagen zu gewähren ist, wenn Sanitärobjekte zumindest teilweise an vorhandene Wasser- und Abwasserrohre angeschlossen werden müssen und dies der Planer bei seiner Planung zu berücksichtigen hat

OLG Celle zur Frage, ob ein Umbauzuschlag für den Bereich der Abwasser-, Wasser- und Gasanlagen zu gewähren ist, wenn Sanitärobjekte zumindest teilweise an vorhandene Wasser- und Abwasserrohre angeschlossen werden müssen und dies der Planer bei seiner Planung zu berücksichtigen hat

vorgestellt von Thomas Ax

Bei der Planung einer vollständigen neuen technischen Anlage im Rahmen des Umbaus eines Gebäudes ist kein Umbauzuschlag zu gewähren. Ein Umbauzuschlag für den Bereich der Abwasser-, Wasser- und Gasanlagen ist zu gewähren, wenn Sanitärobjekte zumindest teilweise an vorhandene Wasser- und Abwasserrohre angeschlossen werden müssen und dies der Planer bei seiner Planung zu berücksichtigen hat. Bei der Frage, ob ein Umbauzuschlag zu gewähren ist, ist unerheblich, wie das Verhältnis des Werts der Neugestaltung der Sanitäreinrichtung zum Erstellungspreis einer Schmutzwasserleitung ist. Der “Wert bzw. Preis” einer Neugestaltung ist in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen. Es kommt ausschließlich auf den Einfluss der vorhandenen Bausubstanz auf die planerischen bzw. überwachenden Tätigkeiten des Architekten an. Auf einen Abnahmewillen kann regelmäßig nur geschlossen werden, wenn der Auftraggeber Gelegenheit hatte, die Beschaffenheit des Werks ausreichend zu prüfen. Die Dauer der Prüfungs- und Bewertungsfrist hängt vom Einzelfall ab und wird von der allgemeinen Verkehrserwartung bestimmt. Es ist unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Architekten, den Zeitpunkt der konkludenten Abnahme nicht unangemessen nach hinten zu verschieben, nicht gerechtfertigt, den Prüfungszeitraum beliebig zu erweitern. Hat der Auftraggeber das Bauwerk bezogen, liegt darin nach Ablauf einer angemessenen Prüfungsfrist eine konkludente Abnahme, wenn sich aus dem Verhalten des Auftraggebers nichts Gegenteiliges ergibt. Bei einem Einfamilienhaus erscheint eine ca. sechsmonatige Prüfungsfrist angemessen. Allein die Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI 2013, Anhang 10.1, aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, führt – ohne einen Mangel in der Bauwerksleistung – nicht zu einer Vergütungsminderung bzw. einem Schadensersatzanspruch gegen den Architekten.*)
OLG Celle, Urteil vom 02.08.2023 – 14 U 200/19

vorhergehend:
LG Verden, 28.10.2019 – 8 O 275/17

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Zahlung restlichen Architektenhonorars für den Umbau und die Modernisierung des Wohnhauses des Beklagten in Sulingen.

Der Beklagte beauftragte den Kläger, einen Architekten, im Mai 2015 mit dem Umbau und der Modernisierung seines Einfamilienhauses. Die Parteien schlossen keinen schriftlichen Architektenvertrag ab, vereinbarten aber mündlich die Erbringung von Grundleistungen der Grundlagenermittlung, Vorplanung, Entwurfsplanung, Ausführungsplanung, Vorbereitung und Mitwirkung bei der Vergabe und Objektüberwachung (Leistungsphasen 1 bis 3 und 5 bis 8 gem. § 34 HOAI 2013) durch den Kläger. Streitig ist, ob auch eine Vereinbarung im Hinblick auf die Erbringung von kostenpflichtigen Planungsleistungen durch den Kläger zur technischen Ausrüstung des umgebauten Gebäudes des Beklagten vorliegt. Die Parteien streiten ferner über den Umfang der erbrachten Leistungen des Klägers.

Der Beklagte zog mit seiner Familie im Juli 2015 aus dem Objekt aus.

Während der Bauarbeiten fanden regelmäßige Baubesprechungen statt. Der Kläger übersandte dem Beklagten Kostenberechnungen bzw. -zusammenstellungen (vgl. hierzu die Ausführungen im LGU, Seite 2).

Am 12.07.2016 unterzeichnete der Beklagte das Nachabnahmeprotokoll betreffend die Parkettarbeiten der Firma ### GmbH (Anlage K 23, Bl. 17 f. AH). Der Beklagte zog mit seiner Familie Ende Juli 2016 wieder in das umgebaute Haus ein.

Mit Schlussrechnung vom 9. Juni 2017 rechnete der Kläger gegenüber dem Beklagten einen Restbetrag in Höhe von 82.725,33 € brutto ab (Einzelheiten siehe LGU, Seite 3 und Schlussrechnung Anlage K 25, Bl. 7 ff. AH).

Auf den Gesamt-Honoraranspruch des Klägers in Höhe von 93.326,10 € netto zahlte der Beklagte Abschläge in Höhe von 15.000,00 € und 8.809,02 €. Mit seiner Klage macht er den sich aus der Differenz zzgl. Mehrwertsteuer ergebenden Betrag in Höhe von 82.725,33 € geltend.

Nach Prüfung der Schlussrechnung durch den Prozessbevollmächtigten des Beklagten lehnte der Beklagte weitere Honorarzahlungen an den Kläger ab.

Der Kläger hat behauptet, die Leistungen seien durch den Beklagten jedenfalls konkludent abgenommen worden. Es lägen zehn verschiedene von dem Beklagten unterzeichnete Abnahmeprotokolle einzelner Gewerke vor. Die gesamte Baumaßnahme sei damit abgenommen. Wegen der Parkettarbeiten gebe es ein Nachabnahmeprotokoll, wonach gerügte Mängel beseitigt worden seien. Ferner sei der Beklagte in das Haus wieder eingezogen, sodass eine tägliche Nutzung seit über einem Jahr vorliege.

Er habe gemäß § 34 HOAI 2013 92 % der Grundleistungen erbracht. Hierzu kämen ein Umbauzuschlag von 20 % sowie Fahrtkosten und Druckkosten. Wegen der hohen Planungsanforderungen bei der Modernisierung des Gebäudes seien die Leistungen der Honorarzone IV zuzuordnen gem. § 35 Abs. 2 HOAI 2013.

Schließlich sei er durch den Beklagten jedenfalls konkludent mit der technischen Gebäudeausstattung beauftragt worden. Es habe insoweit eine umfassende Kommunikation über die technische Gebäudeausstattung per E-Mail gegeben. Außerdem habe es umfassende Kommunikation mit den an der Gebäudeausstattung beteiligten Handwerkern gegeben. Der Kläger habe auch die gestellten Handwerkerrechnungen geprüft.

Der Beklagte ist der Ansicht, der Anspruch des Klägers sei schon wegen fehlender Abnahme nicht fällig, die Leistungen seien auch nicht abnahmefähig. Eine Abnahme läge auch nicht dadurch vor, dass er wieder in das Gebäude eingezogen sei. Denn es fehle insoweit an einem entsprechenden Erklärungswillen, zudem sei er gezwungenermaßen dort eingezogen, denn das andere Haus sei verkauft worden. Die Mängel an den Parkettarbeiten seien bis heute nicht vollständig beseitigt.

Die Schlussrechnungen der Firmen ###, ### und ### lägen nicht vor, sodass eine Rechnungsprüfung durch den Kläger nicht habe stattfinden können.

Die abgerechneten Leistungen seien durch den Kläger nicht vollständig erbracht, die gewählten Honorarzonen seien nicht einschlägig und der Umbauzuschlag nicht angefallen, soweit kein Umbau im Sinne des § 2 Abs. 5 HOAI 2013 vorliege. Der Beklagte verweist dazu auf ein von ihm eingeholtes Gutachten des Privatsachverständigen Prof. Dr.-Ing. ### (Bl. 49 ff. Bd. I d.A.)

Das Landgericht hat den Beklagten nach der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Zahlung von 52.727,45 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Landgericht legt bei der Bemessung des Honoraranspruchs den Mindestsatz nach § 7 Abs. 5 HOAI 2013 zugrunde, weil eine konkrete Honorarvereinbarung zwischen den Parteien nicht gegeben sei. Die Mindestsätze der HOAI 2013 stellten nach der Überzeugung des Gerichts jedenfalls die übliche Vergütung für Architekten im Jahr 2015 auch in Sulingen dar. Es könne dem Kläger überdies nicht zugemutet werden, unabhängig von der HOAI im Nachhinein zur ortsüblichen Vergütung in Sulingen von Architekten im Jahr 2015 vorzutragen. Der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, dass, wenn keine konkrete Honorarvereinbarung getroffen wurde, die Mindestsätze der HOAI gelten würden. Nur in Kenntnis dieser gesetzlichen Regelung habe der Kläger es unterlassen, eine ansonsten zu treffende Honorarvereinbarung zu schließen, die z.B. auf die Mindestsätze der HOAI hätte Bezug nehmen können.

Das Landgericht hat zur Bemessung des Honoraranspruchs die Feststellungen des Sachverständigen zugrunde gelegt und ist davon ausgegangen, dass der Kläger 81 % der Grundleistungen betreffend das Gebäude und 49,50 % der Grundleistungen betreffend die Technische Ausrüstung erbracht habe. Die Leistungen des Klägers für das Gebäude seien der Honorarzone III zuzuordnen.

Gegen dieses Urteil, auf das im Übrigen gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen und der erstinstanzlichen Anträge verwiesen wird, wenden sich die Parteien mit beiderseitig eingelegten Berufungen.

Der Kläger meint, er könne seiner Rechnung die Honorarzone IV zugrunde legen. Vorliegend sei ein komplettes Gebäude entkernt und einschließlich des Daches mit aufwendigem Aus- und Aufbauten neu durchstrukturiert und konstruiert worden. Hinzu komme, dass alle Fenster ausgetauscht worden seien, was sich aus den Unterlagen ergebe und vom gerichtlichen Sachverständigen nicht berücksichtigt worden sei. Ferner sei ihm ein Umbauzuschlag in Höhe von 20% zu Unrecht versagt worden.

Das Landgericht habe ihm auch zu Unrecht die Nebenkosten versagt. Der diesbezügliche Hinweis in der mündlichen Verhandlung sei deutlich zu spät und völlig überraschend erfolgt. Das Landgericht hätte ebenfalls die Zinsforderung und die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren zusprechen müssen. Insoweit sei unstreitig, dass sich der Beklagte zum Zeitpunkt der Schlussrechnungsstellung in Verzug befunden habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Verden vom 28. Oktober 2019 aufzuheben soweit die Klage abgewiesen wurde und nach Maßgabe der in erster Instanz verfolgten Anträge zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen und das Urteil des Landgerichts Verden vom 28. Oktober 2019 – 8 O 275/17 – teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte meint, das Landgericht habe zu Unrecht eine Abnahme der Architektenleistungen angenommen. Eine solche habe – bis heute – nicht stattgefunden. Er habe zudem keine Leistungen der Technischen Ausrüstung in Auftrag gegeben. Er sei davon ausgegangen, dass diese Leistungen Bestandteil der Gebäudeplanung seien. Dass diese einen eigenen Honoraranspruch auslösten, sei ihm nicht bewusst gewesen.

Die Mindestsatzfiktion des § 7 Abs. 5 HOAI (2013) sei zudem gegenstandslos. Die Mindestsätze entsprächen auch nicht der üblichen Vergütung des § 632 Abs. 2 BGB, wie das Landgericht in einer Hilfserwägung meine. Das Landgericht habe sich auch nicht mit den Einwendungen des Beklagten gegen das gerichtliche Gutachten befasst. Der Beklagte habe hierzu die Stellungnahme eines Privatgutachters Prof. Dr.-Ing. ### vorgelegt, mit der sich das Landgericht nicht hinreichend auseinandergesetzt habe. Überdies habe der Kläger dem Beklagten einen Nachlass von 10% eingeräumt, was das Landgericht nicht berücksichtigt habe.

Der Senat hat Beweis erhoben durch drei weitere Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. ### und ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dipl.-Ing. ### Auf das Gutachten vom 20. September 2021 und die Gutachten vom 2. August 2022, 23. Dezember 2022 und 17. April 2023 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. April 2020 mit den dortigen Hinweisen wird verwiesen.

Mit Zustimmung der Parteien hat der Senat mit Beschluss vom 6. Juni 2023 die Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet. Als Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten, wurde der 30. Juni 2023 bestimmt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

II.

Die Berufungen beider Parteien sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache haben beide Berufungen keinen Erfolg.

1. Der Kläger hat einen Anspruch gem. §§ 631 Abs. 1, 632 Abs. 2 BGB iVm den Gebührenregelungen der HOAI 2013 auf Zahlung von Architektenhonorar in Höhe von 52.727,45 €. Auf die Berechnung im landgerichtlichen Urteil, Seite 16, wird Bezug genommen. Darüber hinaus besteht kein weiterer Anspruch des Klägers. Im Einzelnen:

a) Die Parteien haben unstreitig einen Architektenvertrag geschlossen, wonach der Kläger Leistungen der Grundlagenermittlung, Vorplanung und Entwurfsplanung sowie der Ausführungsplanung, Vorbereitung der Vergabe, Mitwirkung bei der Vergabe und Objektüberwachung (gem. Leistungsphasen 1 bis 3 und 5 bis 8 des Leistungsbildes Gebäude und Innenräume gem. § 34 HOAI 2013 a.F.) erbringen sollte. Auf das Rechtsverhältnis der Parteien ist die Honorarordnung für Architekten- und Ingenieurleistungen vom 10. Juli 2013 (in Kraft getreten am 17. Juli 2013, in der bis zum 31.12.2020 gültigen Fassung) anzuwenden (im Folgenden: HOAI).

b) Vertraglich vereinbart war auch die Erbringung von Planungsleistungen im Bereich der Technischen Ausrüstung (§§ 53 ff. HOAI).

aa) Ein solcher Vertrag kann auch durch schlüssiges Handeln zustande kommen, sofern diesem ein entsprechender Rechtsbindungswille beigemessen werden kann. Ob ein Rechtsbindungswille vorhanden war, beurteilt sich nicht nach dem inneren Willen des Leistenden, sondern danach, ob der Leistungsempfänger – hier also der Beklagte – aus dem Handeln des Leistenden nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen durfte. Es kommt also darauf an, wie sich dem objektiven Betrachter das Handeln des Leistenden darstellt. Insbesondere die wirtschaftliche Bedeutung einer Angelegenheit, das erkennbare Interesse des Begünstigten und die nicht ihm, wohl aber dem Leistenden erkennbare Gefahr, in die er durch eine fehlerhafte Leistung geraten kann, können auf einen rechtlichen Bindungswillen schließen lassen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 20. September 2005 – 22 U 210/02, Rn. 37 – nachgehend BGH, Beschluss vom 27. April 2006 – VII ZR 234/05, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen; Senat, Urteil vom 17. Februar 2010 – 14 U 138/09, Rn. 28 f.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. Juni 2018 – 21 U 108/17, Rn. 71; Senat, Urteil vom 26. Januar 2022 – 14 U 116/21, Rn. 32, nachgehend BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2022 – VII ZR 21/22, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen).

Der Abschluss eines Architektenvertrages richtet sich dabei allein nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Durch die Verwertung von Planungsleistungen gibt der Auftraggeber in der Regel schlüssig zu erkennen, dass die erbrachten Architektenleistungen seinem Willen entsprechen und er die Honorarzahlungspflicht übernehmen will (vgl. KG, Urteil vom 28. Dezember 2010 – 21 U 97/09; nachgehend BGH, Beschluss vom 29. April 2013 – VII ZR 32/11, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen – IBR 2013, 688). Ein etwaiger innerer Wille, keinen Vertrag abschließen zu wollen, steht dem Vertragsabschluss nicht entgegen (vgl. Koeble, in: Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 2020, 11. Teil, Rn. 287; Senat, Urteil vom 26. Januar 2022 – 14 U 116/21).

So liegt der Fall hier. Der Senat folgt der Ansicht des Landgerichts, dass sich vorliegend aus dem Verhalten der Parteien, namentlich aus den vorgelegten Unterlagen, eine gewollte und vergütungspflichtige Beauftragung seitens des Beklagten ergibt, die der Kläger angenommen hat. Die vom Kläger vorgelegten Anlagenkonvolute K39 und K40 enthalten ca. 270 E-Mails und belegen, dass der Beklagte intensiv in die Planung des Klägers einbezogen wurde und diese gewollt hat. Der Beklagte hat dabei die umfangreichen Planungen und Koordinierungsleistungen des Klägers (und seiner Mitarbeiter) nicht nur entgegengenommen, sondern auch eingefordert. Er war mit den klägerischen Mitarbeitern in einem kleinteiligen permanenten Austausch über einzelne Planungsschritte (exemplarisch: E-Mail vom 3.1.2016 des Beklagten:

“bitte halten sie mich informiert, sollte das aktualisierte angebot der fa. ### vorliegen”;

E-Mail vom 20.1.2016 des Beklagten:

“wie heute bereits telefonisch besprochen…erteilten sie bitte den auftrag gemäß absprache … bitte berücksichtigen sie bei der prüfung, dass wir keine kabelfernbedienung für die wandgeräte benötigen … sobald sie das Angebot bzgl. des wartungsvertrags bekommen haben, können wir das gerne besprechen und erledigen…ist somit das thema – erweiterung klimaanlage – komplett geklärt und meinerseits abgeschlossen?”

E-Mail des Beklagten vom 15.1.2016:

“bitte weisen sie die fa. ### darauf hin, dass die komponenten zur regelung der klimageräte (…) von der fa. ### bezogen werden. Weiterhin werden meiner meinung nach keine kabelfernbedienungen (…) benötigt, ich gehe davon aus, daß dies über den bus (z.) erfolgt, oder?”

E-Mail des Beklagten vom 18.1.2016:

“guten tag frau ###, würden sie bitte bei der fa. ### und/oder ### die datenblätter vom elektro- und serverschrank (datenschrank) anfordern, dankeschön. hauptsächlich geht es mir um die abmessungen, damit ich mich entscheiden kann, wo die bohrung zum abwurfschacht erfolgen muß, damit der restliche HWR beplant werden kann.”

E-Mail des Beklagten vom 21.1.2016:

“guten Tag frau ###, bitte finden sie anbei die informationen zum datenschrank. würden sie bitte die informationen an die fa. ### und ### entsprechend weiterreichen, dankeschön.”

E-Mail des Beklagten vom 17.2.2016:

“guten morgen frau ###, wurde sie bitte bei dem hersteller nochmal nachfassen, ob wir ein datenblatt von dem funk-steuergerät bekommen können, (…)”).

Soweit der Beklagte zunächst behauptet hatte, er habe keine Leistungen im Bereich der Technischen Ausrüstung beauftragt, behauptet er nunmehr, er sei davon ausgegangen, dass die Leistungen der Technischen Ausrüstung Bestandteil der Gebäudeplanung gewesen seien.

Der Senat erachtet (auch) diesen Vortrag als eine Schutzbehauptung. In Bezug auf die zunächst aufgestellte Behauptung, der Beklagte habe keinen Auftrag für Leistungen im Bereich der Technischen Ausrüstung erteilt, wird auf die obigen Ausführungen hingewiesen, die deutlich belegen, dass der Beklagte die vom Kläger und seinen Mitarbeitern erbrachten Leistungen gewollt hat (Anlagenkonvolut K39 und K40 mit ca. 500 Seiten E-Mail Korrespondenz im Zeitraum vom 2. September 2015 bis 11. November 2016, die vom Kläger bzw. seinen Mitarbeitern und dem Beklagten sowie mit ausführenden und anbietenden Firmen geführt wurde).

In Bezug auf die nunmehr geänderte Behauptung des Beklagten, er sei davon ausgegangen, dass die Leistungen des Klägers in der Gebäudeplanung inbegriffen seien, setzt dies indes einen (zuvor bestrittenen) Vertragsschluss voraus.

Ist aber von einem Vertragsschluss auszugehen, richtet sich die Vergütungspflicht nach § 632 Abs. 1 BGB. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Herstellung des Werks den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Ferner gilt § 632 Abs. 2 BGB: Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Architekt die Umstände, nach denen Architektenleistungen nur gegen Vergütung zu erwarten sind, darlegen und beweisen; dass die Leistungen gleichwohl unentgeltlich erbracht werden sollten, muss dagegen der Auftraggeber darlegen und beweisen (z.B. BGH, Urteil vom 9. April 1987 – VII ZR 266/86). Es besteht ein Erfahrungssatz, dass Architekten üblicherweise nur entgeltlich tätig werden (BGH, aaO.). Dies gilt jedenfalls außerhalb der Akquisitionsphase (vgl. Senat, Urteil vom 26. Januar 2022 – 14 U 116/21, nachgehend BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2022 – VII ZR 21/22, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen).

Danach ist hier anzunehmen, dass der Kläger entgeltlich tätig geworden ist. Hierfür spricht der Umfang der erbrachten Leistungen im Bereich der Technischen Ausrüstung. Es handelt sich nicht nur um geringfügige Leistungen oder solche zur Beantwortung von Vorfragen.

Es wäre daher an dem Beklagten gewesen zu beweisen, dass der Kläger vergütungsfrei für ihn gearbeitet hat. Dies ist nicht erfolgt und wird in dieser Konsequenz (wohl) auch nicht behauptet.

Der Beklagte führt vielmehr aus, ihm sei nicht bewusst gewesen, dass die Leistungen des Klägers zu bezahlen seien und nicht in den Kosten für die Gebäudeplanung inbegriffen seien. Dieser (seitens des Senats unterstellte) innere Vorbehalt des Beklagten ist indes unbeachtlich.

Der Beklagte hat – wie auch im landgerichtlichen Urteil auf Seite 7 ausgeführt – monatliche Kostenaufstellungen erhalten, in denen auch die Kosten für Leistungen im Bereich der Technischen Ausrüstung enthalten waren (vgl. exemplarisch Anlagen K10, K11, K12, K13). Aus den Kostenaufstellungen ergeben sich im Einzelnen die Kosten für die einzelnen Gewerke (auch im Bereich der Technischen Ausrüstung) und die insoweit anfallenden Architektenkosten (vgl. exemplarisch: Anlage K13, Kostenaufstellung vom 31.1.2016, Seite 3 “Technische Gebäudeausrüstung” nach einzelnen Gewerken und Seite 4 “Nebenkosten” Architekt).

Es war ohne weiteres für den Beklagten erkennbar, dass der Kläger seine Leistungen im Bereich der Technischen Ausrüstung, wie auch von der HOAI vorgesehen, abrechnet und diese nicht in der Gebäudeplanung inkludiert sind.

Dieses Ergebnis gilt im vorliegenden Fall umso mehr, weil es sich bei dem Beklagten nicht um eine geschäftlich unerfahrene Partei handelt, sondern um ein Vorstandsmitglied einer international tätigen Aktiengesellschaft, dem – bei lebensnaher Betrachtung – unterstellt werden kann, dass er in geschäftlichen Dingen, wie auch dem Lesen von Kostenaufstellungen und Rechnungen, erfahren ist und die Zahlungspflichtigkeit der klägerischen Leistungen unschwer erkannt hat. Einwendungen gegen die Kostenaufstellungen hat der Beklagte in der gesamten Bauzeit nicht erhoben, sondern – im Gegenteil – die Leistungen des Klägers weiter eingefordert.

Wenn der Beklagte aber umfangreiche Leistungen des Klägers einfordert und von diesem regelmäßig Kostenschätzungen, -berechnungen und -zusammenstellungen erhält und zu keinem Zeitpunkt Einwände erhebt – worauf das Landgericht im Übrigen schriftlich hingewiesen hat (Beschluss vom 4. Februar 2019, S. 1, Bl. 257) – sind seine etwaigen inneren Vorstellungen, keine Vergütung zahlen zu müssen, unbeachtlich (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 26. Januar 2022 – 14 U 116/21, Rn. 34, nachgehend BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2022 – VII ZR 21/22, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen; KG, Urteil vom 28. Dezember 2010 – 21 U 97/09, nachgehend BGH, Beschluss vom 29. April 2013 – VII ZR 32/11, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen – IBR 2013, 688; s. auch die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise bei Werner, in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Auflage, Rn. 617 iVm Rn. 127).

bb) Gegenrechte gem. §§ 280 Abs. 1, 241631633634 BGB, die der Beklagte dem Honoraranspruch des Klägers entgegenhalten könnte, stehen ihm nicht zu. Der Beklagte hat keine Beanstandungen in Bezug auf die klägerischen Leistungen erhoben.

cc) Soweit der Beklagte rügt, der Kläger habe als Architekt keine Kompetenz gehabt, Planungen im Bereich der Technischen Ausrüstung zu erbringen, und der gerichtliche Sachverständige habe nicht die Kompetenz, diese zu bewerten, ist das nicht richtig.

Es handelt sich vorliegend nicht um eine fachtechnische Planung bzw. Bewertung, sondern der Kläger hat in seiner mündlichen Anhörung bekundet, er habe nur in den Bereichen geplant, in denen dies ohne technische Kenntnisse möglich gewesen sei. Er hat ausgeführt, die Vereinbarung mit dem Beklagten im Bereich der Technischen Anlagen sei ein “schleichender Prozess” gewesen. Wenn ein Gebäude geplant werde, werde zwangsläufig auch über technische Gewerke gesprochen, so auch hier. Er habe dann im weiteren Verlauf auch bspw. die Elektropläne erstellt. Da er aber kein Fachplaner sei, könne er nur bis zu bestimmten Abschnitten planen, beispielsweise könne er nicht den Querschnitt von Rohrführungen berechnen. Derartige Leistungen habe er aber auch nie abgerechnet (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2018, Seite 2, Bl. 217).

Der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. ### hat diese Vorgehensweise bestätigt. Es habe sich vorliegend um einen planerischen Bereich ohne spezielle fachtechnische Kenntnisse gehandelt. Der Architekt bespreche die Wünsche des Bauherrn mit diesem und stelle sie in Plänen dar, die sodann mit dem jeweiligen Fachplaner oder – bei kleineren Objekten – mit den jeweiligen Fachfirmen abgestimmt würden. So sei auch der Kläger vorgegangen. Er habe die Wünsche des Beklagten gesammelt und mit diesem zusammen Planungen erstellt. Diese (geläufige) Vorgehensweise setze kein technisches Fachwissen voraus (vgl. Gutachten vom 23. Dezember 2022, Seite 7 und Gutachten vom 17. April 2022, Seite 4).

In seiner Vernehmung ist der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. ### erneut auf diesen Punkt eingegangen (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9. September 2019, Seite 2). Es gebe bei technischen Anlagen Teilbereiche, die auch ein Architekt planen und koordinieren könne. Den technischen Teil stimme er mit einem Fachplaner oder – bei kleineren Objekten – mit den jeweiligen Fachfirmen ab. Als Beispiel könne die Elektroplanung herangezogen werden, bei der zunächst der Architekt mit dem Bauherrn die Anordnung der Steckdosen, Schalter und bspw. Alarmanlagen abspreche, einen Plan erstelle und diesen dann mit dem Fachplaner durchgehe. Vorliegend handele es sich zudem um ein relativ einfaches Gebäude mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, so dass ein Architekturbüro den vom Kläger erstellten Anteil der TGA-Planung selbst leisten könne und – vorliegend – auch geleistet habe, wie dokumentiert (vgl. Gutachten vom 17. April 2023, Seite 6, s.o.).

Diese Erläuterungen des Sachverständigen sind für den Senat nachvollziehbar und auch als übliche Vorgehensweise aus anderen Verfahren bekannt. Es handelt sich bei dieser Zusammenarbeit zwischen dem Architekten und dem Fachplaner um ein geläufiges und sinnvolles Vorgehen. Die jeweiligen Wünsche und Vorstellungen des Bauherrn werden vorab sortiert, priorisiert und in Plänen aufbereitet. Der technische Bereich wird sodann von dem Fachplaner übernommen.

dd) Der Senat folgt auch nicht den weiteren Einwendungen, die der Beklagte im Bereich der Technischen Ausrüstung erhoben hat.

(a) Der Einwand des Beklagten, die Audioanlage gehöre nicht in die Kostengruppe 450 gem. DIN 276-1:2008-12, ist nicht richtig (vgl. Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 12). Der gerichtliche Sachverständige hat korrekt festgestellt, dass die Audioanlage des Beklagten als “Beschallungsanlage” in der Kostengruppe 454 der vorgenannten DIN unter “Elektroakustische Anlagen” aufgeführt ist und diese Anlagengruppe geprüft.

Die Kosten der Audioanlage sind vom Kläger aber auch nicht in seiner Kostenberechnung aufgeführt (Anlage K11, anders, als der Beklagte offensichtlich meint, vgl. Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 13). Die Leistungen für die Audioanlage (KG 454) sind damit nicht über die anrechenbaren Kosten berücksichtigt, so dass unklar ist, was der Beklagte konkret rügt.

(b) Der Senat folgt auch der Bewertung des gerichtlichen Sachverständigen, die erbrachten klägerischen Leistungen mit 7,75 Prozentpunkten von 22 möglichen Prozentpunkten zu bewerten. Die technischen Bewertungen (Berechnungen, Bemessungen) wurden von Dritten (den jeweiligen ausführenden Fachfirmen) erbracht, so dass dem Kläger nur seine planerische Vorarbeit und die Vermittlung und Koordination zwischen den Vorstellungen des Beklagten und den Möglichkeiten der Fachfirmen zu vergüten ist. Der Senat erachtet diese Bewertung des gerichtlichen Sachverständigen als nachvollziehbar und schlüssig.

(c) In Bezug auf einen Umbau- und Modernisierungszuschlag im Bereich der Technischen Ausrüstung hat der gerichtliche Gutachter diesen nur bei zwei von fünf Anlagengruppen für gerechtfertigt erachtet. Der stattgefundene Eingriff in den Bestand der Anlage rechtfertige insoweit den gewährten Umbauzuschlag. Dieser Bewertung schließt sich der Senat nach einer eigenen Überprüfung an.

Ein Umbauzuschlag, der bei mindestens durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad in Ermangelung einer anderweitigen schriftlichen Vereinbarung mindestens 20 % des Planungshonorars beträgt (§ 56 Abs. 5 iVm § 6 Abs. 2 HOAI), fällt nach der Verordnungsregelung nur dann an, wenn sich die Planungsleistungen auf einen Umbau iSv § 2 Abs. 5 HOAI eines “Objekts” im Sinne des § 2 Abs. 1 HOAI beziehen. Der Kläger war mit der Planung der technischen Ausrüstung des Gebäudes betraut (Objekt im Sinne des § 2 Abs. 1 HOAI). Gem. § 2 Abs. 5 HOAI sind Umbauten Umgestaltungen mit wesentlichen Eingriffen in Konstruktion oder Bestand. Wesentliche Eingriffe stellen “deutliche” Eingriffe dar (vgl. Wirth/Galda, in: Korbion/Mantscheff/Vygen, HOAI, 9. Aufl. 2016, § 2, Rn. 15). Es kommt darauf an, ob die vorhandene Bausubstanz Einfluss auf die planerischen und überwachenden Tätigkeiten des Architekten hatte und in seine Planungen einzubeziehen war.

Bei der Planung einer vollständigen neuen technischen Anlage im Rahmen des Umbaus eines Gebäudes wäre demnach kein Umbauzuschlag zu gewähren (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 5. November 1999 – 4 U 47/99; Wuchner, in: Korbion/Matscheff/Vygen, HOAI, 9. Aufl., § 56, Rn. 29 mwN).

Der Senat folgt den nachvollziehbaren Ergebnissen des gerichtlichen Sachverständigen, der nur für den Bereich der Abwasser-, Wasser- und Gasanlagen (KG 410) und im Bereich der Starkstromanlagen (KG 440) einen Umbauzuschlag gewährt und diesen ansonsten verneint.

Ein Umbauzuschlag für den Bereich der Abwasser-, Wasser- und Gasanlagen (KG 410) ist zu gewähren, weil die Sanitärobjekte zumindest teilweise an vorhandene Wasser- und Abwasserrohre angeschlossen wurden, was der Kläger bei seiner Planung zu berücksichtigen hatte.

Dass möglicherweise ein Schmutzwasserrohr neu verlegt worden war (so der Beklagte), führt zu keinem anderen Ergebnis, wenn die übrigen Objekte an bereits vorhandene Wasser- und Abwasserleitungen angeschlossen wurden (vgl. Gutachten vom 5. Juni 2019, Seite 26). Dass eine komplette Neuinstallation der Gruppe der Abwasser- Wasser und Gasanlagen stattgefunden habe, lässt sich aus den Unterlagen nicht erkennen (vgl. Gutachten vom 23. Dezember 2022, Seite 10).

Bei der Frage, ob ein Umbauzuschlag zu gewähren ist, spielt auch keine Rolle, wie das Verhältnis des Wertes der Neugestaltung der Sanitäreinrichtung zum Erstellungspreis einer Schmutzwasserleitung ist (so der Beklagte, Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 17). Der “Wert bzw. Preis” einer Neugestaltung ist in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen. Es kommt ausschließlich auf den Einfluss der vorhandenen Bausubstanz auf die planerischen bzw. überwachenden Tätigkeiten des Architekten an.

Schließlich rügt der Kläger, dass der gerichtliche Sachverständige ihm einen Umbau- und Modernisierungszuschlag für Heizungsanlagen, Lüftung und Fernmeldeanlage verwehrt habe (Schriftsatz vom 20. Januar 2020, Seite 3, Bl. 549), weil der Sachverständige dazu keine Feststellungen habe treffen können.

Diese Behauptung ist nicht richtig, wie sich aus dem Gutachtens vom 5. Juni 2019 und der mündlichen Erläuterung des Sachverständigen vom 9. September 2019 (Protokoll Seite 6, Bl. 414) ergibt.

Der gerichtliche Sachverständige hat sich mit den vorbenannten Anlagen in dem Gebäude auseinandergesetzt und Feststellungen getroffen. Zu den Wärmeversorgungsanlagen hat er unter Ziffer 4.2.2 seines Gutachtens vom 5. Juni 2019 ausgeführt, dass es sich hierbei um eine neu geplante und errichtete Anlage gehandelt habe (“Das Gebäude einschl. der Garage erhält eine komplett neue Heizungsanlage mit Brennwertheizgerät, Fußbodenheizung und bereichsweise Radiatoren, wie die Angebote (…) und die Schlussrechnung (…) belegen”, aaO, Seite 27). Er erachte daher einen Zuschlag nicht für gerechtfertigt.

Der gerichtliche Sachverständige hat ebenso für die Lüftungsanlage ausgeführt, dass diese komplett neu in das Gebäude eingebaut worden sei (aaO, Seite 27).

Für den Bereich der Starkstromanlagen, Fernmelde- und informationstechnischen Anlagen hat der gerichtliche Sachverständige differenziert zwischen den Anlagen der Gruppe 440 und 450. Die Elektroinstallation seien als Umbaumaßnahmen mit Zuschlag zu werten, weil diese an Schnittstellen in den Bestand eingriffen. Dagegen sei die Alarmanlage (KG 450) eine Neu-Installation, so das diesbezüglich kein Zuschlag gerechtfertigt sei (aaO, Seite 27). Der Senat schließt sich dieser Bewertung nach eigener Überprüfung an. Es lässt sich der Akte weder entnehmen, dass der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. ### von falschen Tatsachen ausgegangen ist noch einen falschen Bewertungsmaßstab gewählt hat.

2. Die Honorarrechnung des Klägers ist auch fällig gem. § 15 Abs. 1 HOAI 2013. Das Landgericht ist zu Recht von einer konkludenten Abnahme der Architektenleistungen ausgegangen. Soweit der Beklagte rügt, das Landgericht habe die Abnahme der Bauleistungen mit der Abnahme des Architektenwerkes verwechselt, folgt der Senat dieser Einwendung nicht.

a) Eine konkludente Abnahme liegt vor, wenn dem Verhalten des Auftraggebers zu entnehmen ist, dass er die Leistung als im Wesentlichen vertragsgerecht billigt (BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 – VII ZR 64/09; BGH, Urteil vom 10. Juni 1999 – VII ZR 170/98). Es kommt nicht darauf an, ob tatsächlich Mängel bestehen, sondern darauf, ob der Auftragnehmer annehmen darf, dass aus der Sicht des Auftraggebers das Werk im Wesentlichen mängelfrei hergestellt ist, weil sich bspw. Mängel noch nicht gezeigt haben, und er durch sein Verhalten die Billigung des Werkes zum Ausdruck gebracht hat (BGH, Urteil vom 20. Februar 2014 – VII ZR 26/12).

Auf einen Abnahmewillen kann regelmäßig nur geschlossen werden, wenn der Auftraggeber Gelegenheit hatte, die Beschaffenheit des Werkes ausreichend zu prüfen. Die Dauer der Prüfungs- und Bewertungsfrist hängt vom Einzelfall ab und wird von der allgemeinen Verkehrserwartung bestimmt (BGH, Urteil vom 20. September 1984 – VII ZR 377/83).

Die konkludente Abnahme einer Architektenleistung kann darin liegen, dass der Besteller nach Fertigstellung der Leistung und nach Ablauf einer angemessenen Prüffrist nach Bezug des fertiggestellten Bauwerks keine Mängel der Architektenleistungen rügt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 – VII ZR 64/09; BGH, Urteil vom 11. März 1982 – VII ZR 128/81). Es ist unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Architekten, den Zeitpunkt der konkludenten Abnahme nicht unangemessen nach hinten zu verschieben (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 1984 – VII ZR 377/83), nicht gerechtfertigt, den Prüfungszeitraum beliebig zu erweitern (BGH, Urteil vom 26. September 2013 – VII ZR 220/12).

Hat der Auftraggeber das Bauwerk bezogen, liegt darin nach Ablauf einer angemessenen Prüfungsfrist eine konkludente Abnahme, wenn sich aus dem Verhalten des Auftraggebers nichts Gegenteiliges ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 2013 – VII ZR 220/12 mwN). Der Bundesgerichtshof geht insofern von einer ca. sechsmonatigen Prüfungsfrist bei einem Einfamilienhaus aus (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 2013 – VII ZR 220/12).

b) Nach diesen Maßstäben lag jedenfalls zum Zeitpunkt der Stellung der Schlussrechnung im Juni 2017 eine konkludente Abnahme der Architektenleistungen des Klägers vor. Der Kläger ist mit seiner Familie bereits im Juli 2016 in das umgebaute modernisierte Objekt eingezogen. Ausgehend von einer ca. sechsmonatigen Prüfungsfrist wäre diese bereits im Januar 2017 abgelaufen. Spätestens aber mit Stellung der Schlussrechnung im Juni 2017 ist von einer konkludenten Abnahme der Architektenleistungen des Klägers auszugehen, zumal der Beklagte zu keinem Zeitpunkt Beanstandungen an den Architektenleistungen des Klägers vorgebracht hat.

Die Behauptung des Beklagten, er sei unter Zwang infolge der bereits erfolgten Veräußerung seiner zwischenzeitlichen Unterkunft in das umgebaute Objekt eingezogen, führt zu keiner anderen Betrachtung. Der Beklagte hatte ausreichend Zeit, die Architektenleistungen des Klägers in dem bezogenen Objekt zu prüfen (s.o.).

Der Umstand, dass an einem Teilgewerk – namentlich dem Parkett – ein evtl. Restmangel bestanden hat, hindert nicht die Abnahme der Architektenleistung. Überdies hat der Beklagte noch bereits im Juli 2016 – und somit noch deutlich vor Ablauf der vorgenannten Prüffrist – ein Nachabnahmeprotokoll unterschrieben (vgl. Anlage K23).

c) Die zwischen den Parteien streitigen Rechtsfragen, ob die geltend gemachten Mindestsätze gem. § 7 Abs. 5 HOAI europarechtswidrig seien und sodann zur üblichen Vergütung gem. § 632 Abs. 2 BGB Beweis zu erheben wäre, sind zwischenzeitlich geklärt. Der vom Kläger geltend gemachte Honoraranspruch ist, soweit er die Mindestsätze gem. § 7 Abs. 5 HOAI zugrunde legt, zulässig.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat festgestellt, dass der Dienstleistungsrichtlinie eine unmittelbare Wirkung in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen nicht zukommt und die zuständigen nationalen Gerichte nicht allein aufgrund eines gemäß den Art. 258 bis 260 AEUV erlassenen Urteils verpflichtet sind, im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privatpersonen eine nationale Regelung, die gegen die Bestimmung einer Richtlinie verstößt, unangewendet zu lassen (EuGH, Urteil vom 18. Januar 2022 – Rs. C-261/20 Tz. 31-37, BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 – Thelen Technopark Berlin). Nach diesen Grundsätzen hat der Bundesgerichtshof zur HOAI 2013 entschieden, dass eine Unverbindlichkeit der Mindestsätze und die Wirksamkeit einer die Mindestsätze unterschreitenden Honorarvereinbarung im Verhältnis zwischen Privatpersonen nicht mit einer richtlinienkonformen Auslegung begründet werden kann (BGH, Urteil vom 3. November 2022 – VII ZR 724/21, Rn. 39).

3. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von 52.727,45 €. Der Senat folgt den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dipl.-Ing. ###, der sich in weiteren drei Ergänzungsgutachten vom 2. August 2022, vom 23. Dezember 2022 und vom 17. April 2023 – zusätzlich zu dem Ausgangsgutachten vom 5. Juni 2019 – ausführlich, widerspruchsfrei und überzeugend mit den Einwänden der Parteien und insbesondere denjenigen des Privatsachverständigen des Beklagten auseinandergesetzt und diese in nachvollziehbarer, umfassender und logischer Argumentation entkräftet hat. Der Senat sieht nach insgesamt vier Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. ### alle Gegenargumente widerlegt und keinen Raum für eine weitere Aufklärung. Auch die beiden Parteien haben insoweit erklärt, dass sie keine persönliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen mehr benötigen. Im Einzelnen:

a) Honorarzone

Der Senat folgt der Einordnung des gerichtlichen Sachverständigen, dass die klägerischen Leistungen der Honorarzone III zuzuordnen sind. Der Kläger rügt, dass der Sachverständige die Honorarzone IV hätte zugrunde legen müssen, weil aus den Unterlagen ersichtlich sei, dass auch ein Austausch der Fenster stattgefunden habe. Der Senat hat den gerichtlichen Sachverständigen hierzu um schriftliche Stellungnahme gebeten, und dieser hat in seinem Ergänzungsgutachten vom 2. August 2022 einen Komplettaustausch der Fenster zugrunde gelegt. Dennoch kommt er zu dem Ergebnis, dass selbst die Zugrundelegung eines Komplettaustauschs der Fenster keine höhere Honorarzone begründen würde. Der Senat schließt sich der im folgenden nachvollziehbaren Begründung des Sachverständigen an.

Der Sachverständige führt im Einzelnen aus, dass die Honorarzone eines Objekts den qualitativen Parameter für die Berechnung einer angemessenen Vergütung darstellt, indem sie für den Einzelfall die Schwierigkeit der Planungsanforderungen berücksichtigt. Die vom Kläger gerügte Nichtberücksichtigung der Eingriffe in die Konstruktion und den Bestand gehörten aber zu den konstruktiven Planungsanforderungen. Die Vergütung dieses – durch konstruktive Planungsanforderungen – erschwerten Planungsaufwandes erfolgt nicht über die Honorarzone, sondern über die anrechenbaren Kosten.

Ein Fensteraustausch sei ein konstruktiver Eingriff, der nicht die qualitativen Planungsanforderungen erhöhe, sondern den quantitativen Planungsaufwand (Gutachten vom 2. August 2022, Seite 6). Der Senat erachtet die Erläuterungen des Sachverständigen für plausibel und nachvollziehbar. Die Planungsanforderungen an einen Architekten steigen nicht qualitativ, wenn der Bauherr den Austausch der Fenster wünscht. Die diesbezügliche Mehrarbeit in konstruktiver Hinsicht wird über die anrechenbaren Kosten honoriert.

Soweit der Kläger die Anzahl der Funktionsbereiche anführt, die vorliegend abweichend vom Standard seien und somit eine höhere Honorarzone begründeten, folgt der Senat ebenfalls den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, denen der Kläger nicht weiter entgegengetreten ist.

Der gerichtliche Sachverständige führt sowohl in seinem Gutachten als auch in seiner Vernehmung vom 9. September 2019 (Bl. 411) aus, es bleibe bei einem Funktionsbereich, “dem Wohnen” (Gutachten vom 2. August 2022, Seite 6). Zusätzliche Funktionsbereiche wie bspw. ein Büroraum mit Kundenbesuch oder ein Gästebereich mit eigenem Zugang seien nicht vorgesehen gewesen. Ein anspruchsvoller Standard, wie der Kläger ausführt, werde nicht durch eine Erhöhung der Anzahl der Funktionsbereiche honoriert, sondern (ebenfalls) bei den anrechenbaren Kosten.

Der Sachverständige bekundet weiter, dass Schwierigkeiten bei Umbaumaßnahmen nicht eine höhere Honorarzone begründeten, sondern bspw. einen Honorarsatz oberhalb des Mindestsatzes oder die Vereinbarung eines Umbauzuschlages bis 33 % zuließen (vgl. Gutachten vom 2. August 2022, Seite 7).

Der Senat hat keinerlei Zweifel, dass die nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Erklärungen des gerichtlichen Sachverständigen zutreffend sind. Danach ist der – bereits erstinstanzlich ausgeurteilte – Anspruch des Klägers in Bezug auf das Gebäude nach den Berechnungen des gerichtlichen Sachverständigen in Höhe von 45.120,92 € (brutto) richtig (vgl. Gutachten vom 5. Juni 2019, Seite 28).

b) Erbrachte Leistungen

In seinem Gutachten vom 23. Dezember 2022 setzt sich der gerichtliche Sachverständige mit den Einwendungen des Beklagten bzw. dessen Privatgutachters bei der Bewertung der erbrachten Leistungen auseinander.

Soweit der Beklagte rügt, es habe keine zeitlich vorgelagerte Planung der Haustechnik gegeben, diese sei erstmals im Zusammenhang mit der Ausführungsplanung für das Gebäude erfolgt, erwidert der gerichtliche Sachverständige, dies sei nicht richtig. Der Kläger habe bereits in den Leistungsphasen 2 und 3 Zeichnungen zu der Technischen Ausrüstung erstellt (siehe: Gutachten vom 17. April 2023, Seite 5 und vom 5. Juni 2029, Seite 6, Tabelle 2 mit Angaben zu Zeichnungen im Bereich Heizung/Sanitär, Elektro, Audio in Leistungsphase 2 und Leistungsphase 3).

Hinzu komme aber, dass der Kläger vorliegend in Personalunion das Gebäude und einen Teil der Technischen Ausrüstung geplant habe. Eine Planungskoordination in den Leistungsphasen 2 und 3 sei daher – naturgemäß – nicht besonders dokumentiert worden. Der Kläger habe vielmehr das Ergebnis seiner Planungen im Bereich der Technischen Ausrüstung in die Gebäudeplanung übernommen (vgl. Gutachten vom 23. Dezember 2022, Seite 4). Der Senat erachtet diese Vorgehensweise für nachvollziehbar. Im Übrigen ist aus der Tabelle 2 ersichtlich, dass die Planung im Bereich der Technischen Ausrüstung in den Planungsablauf eingearbeitet worden ist (vgl. Tabelle 2, Seite 7, Gutachten vom 5. Juni 2019, Bl. Nr. 010a-016). Dies ist nicht zu beanstanden.

Der Aussage des Parteigutachters, der Gerichtsgutachter gehe von falschen Prämissen aus, weil die Übernahme der Haustechnik in die Architektenplanung eine Grundleistung darstelle und nicht gesondert vergütet werde (Parteigutachten vom 11. Februar 2023, Seite 5), wird seitens des Senats nicht gefolgt. Es geht vorliegend um Grundleistungen eines TGA-Planers, die der Kläger abrechnet, und die (noch) ohne technisches Fachwissen erbracht werden können (s.o.). Der technische Planer kann auch die Gebäudeplanung des Architekten verwenden und in diese seine technische Planung einzeichnen. Der Sachverständige führt aus, er habe die vom Kläger erbrachten Leistungen aufgrund der vorgelegten Dokumentation festgestellt und bewertet.

Der Senat folgt auch den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen, soweit dieser die Leistungen des Klägers nach den Vergütungsbestimmungen der HOAI und nicht – wie der Privatgutachter des Beklagten – aus bauwirtschaftlicher Sicht bewertet (vgl. Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 20, Bl. 369). Es mag insoweit zu unterschiedlichen Leistungsbewertungen kommen, maßgeblich sind aber die fachlichen Vergütungsbestimmungen der HOAI und nicht bauwirtschaftliche Überlegungen.

Der gerichtliche Sachverständige hat auch den Einwand der Beklagtenseite entkräftet, es fehlten im Rahmen der Vorplanung und Entwurfsplanung (Leistungsphasen 2 und 3) Ansichten und Schnitte. Ebenso fehle ein Lageplan (vgl. Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 7, Bl. 356). Der gerichtliche Sachverständige führt insoweit aus, Ansichten, Schnitte und ein Lageplan seien bei der hiesigen Umbauplanung nicht erforderlich, sie könnten deshalb auch nicht fehlen. Gem. § 3 Abs. 2 HOAI sind Grundleistungen, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags im Allgemeinen erforderlich sind, in Leistungsbildern erfasst. Die Bezeichnung als “im Allgemeinen erforderlich sind” soll klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt zur Erreichung des Vertragsziels notwendig sind (Wirth/Galda, in: Korbion/Mantscheff/ Vygen, HOAI, 9. Aufl. 2016, § 3, Rn. 2).

So liegt der Fall hier. Der gerichtliche Sachverständige hat ausgeführt, bei dem vorliegenden Objekt seien Schnitte, Ansichten und ein Lageplan nicht zur Auftragserfüllung erforderlich gewesen. Der Beklagte ist dem nicht entgegengetreten und hat bspw. die Notwendigkeit dieser Leistungen für die Auftragserfüllung bekundet.

Soweit der Beklagte rügt, die klägerischen Planungen hätten vielfach vor Ort angepasst werden müssen bzw. seien nicht ausführbar gewesen (Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 7, Bl. 356), fehlt es an konkreten Mängelbehauptungen.

Die weitere Rüge des Beklagten, die Bewertung der erbrachten Leistungen des gerichtlichen Sachverständigen bei den Leistungsphasen 6 und 7 sei zu hoch, geht gleichfalls ins Leere. Gem. § 34 Abs. 3 Nr. 6 HOAI sind die Grundleistungen in der Leistungsphase 6 bei Gebäuden mit 10 Prozentpunkten für die gesamte Leistungsphase bewertet. In der Leistungsphase 7 sieht die HOAI bei Gebäuden 4 Prozentpunkte für die gesamte Leistungsphase vor. Der gerichtliche Sachverständige hat die erbrachten Leistungen für die Vorbereitung der Vergabe mit 3,5 Prozentpunkten bewertet und die Mitwirkung bei der Vergabe mit 3 Prozentpunkten. Insgesamt hat der gerichtliche Sachverständige für die beiden Leistungsphasen 6 und 7 von den maximal möglichen 14 Prozentpunkten nach den Maßgaben der HOAI bei einer vollen Erbringung der jeweiligen gesamten Grundleistungen weniger als die Hälfte erfüllt gesehen. Der Sachverständige hat dies damit begründet, dass auch wenn der Kläger keine Ausschreibungen mit Mengen und Leistungsbeschreibungen durchgeführt habe, er die entsprechenden Informationen durch direkte Abstimmungen mit den beteiligten Firmen erhalten habe. Insbesondere enthält das Anlagenkonvolut (K39 und K40) eine Fülle von E-Mails zwischen dem Kläger bzw. seinen Mitarbeitern und Unternehmen über die Ausführung von Gewerken, aus denen deutlich werde, dass der Kläger die notwendigen Informationen, die es für die Erbringung der Leistungsphase 6 bedarf, erhalten habe.

Der Senat folgt der gut nachvollziehbaren Bewertung des Sachverständigen. Insbesondere sind nicht alle in § 34 Abs. 3 HOAI (Anhang 10.1) aufgeführten Grundleistungen vollständig zu erbringen, wenn die Beauftragung und die notwendig damit verbundenen Leistungen zum vertraglichen Leistungsumfang dies nicht erforderlich machen. Dies ergibt sich aus der Erfolgsbezogenheit des Architektenvertrages, der die Entstehung einer umfassenden gebrauchsfähigen Architektentätigkeit voraussetzt. Es handelt sich insoweit bei § 34 Abs. 3 HOAI und dessen Anhang 10.1. nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe zur Bestimmung der vertraglich geschuldeten Leistung dar (BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 – VII ZR 42/05; Korbion, in: Korbion/Mantscheff/ Vygen, HOAI, 9. Aufl. 2016, § 34, Rn. 48).

Der Beklagte hat bereits nicht behauptet, dass der Kläger bestimmte Grundleistungen nicht erbracht hat, welche aber erforderlich gewesen wären, um die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Allein die beklagtenseits erhobene Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI, Anhang 10.1, aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, führt – ohne einen Mangel in der Bauwerksleistung – nicht zu einer Vergütungsminderung bzw. einem Schadensersatzanspruch gegen den Architekten. Ein Mangel in dem Architektenwerk wurde vorliegend nicht geltend gemacht.

Die vorgenannten Maßgaben geltend auch für die Einwände des Beklagten in Bezug auf die Bewertung des gerichtlichen Sachverständigen der Leistungsphase 8. Die vom Privatgutachter herangezogenen tabellarischen Übersichten (vgl. Privatgutachten vom 7. August 2019, Seite 9 f., Bl. 358 f.) mögen zwar ebenfalls als Auslegungshilfe herangezogen werden, dies ist aber nicht zwingend. Der Senat schließt sich der Bewertung des gerichtlichen Sachverständigen an, der die Leistungen der Objektüberwachung mit 30,25 Prozentpunkten bewertet. Er habe die Bauleitung mit Anwesenheit vor Ort beispielhaft belegt durch die Protokolle der Baubesprechungen. Der Bauablauf sei belegt durch Terminpläne und Bauprotokolle. Ebenso sei die Rechnungsprüfung belegt (siehe Gutachten vom 5. Juni 2019, Seite 14). Die vom gerichtlichen Sachverständigen festgestellten Leistungen werden von dem Beklagten auch nicht in Abrede gestellt, er meine nur, es müssten für eine vollständige Erbringung darüber hinaus auch die von ihm aufgeführten Leistungen (s.o.) erbracht worden sein. Dem folgt der Senat mit den vorgenannten Argumenten nicht.

Soweit der Beklagte stets wiederholt, der gerichtliche Sachverständige sei von einer Abnahme und mangelfreien Leistungen ausgegangen (bspw. Privatgutachten vom 11. Februar 2023, Seite 4), widerspricht der gerichtliche Sachverständige. Er habe unabhängig von einer Abnahme die erbrachten Leistungen dokumentiert (Gutachten vom 17. April 2023, Seite 4). Er habe dabei zwischen Bauleistungen und Planungsleistungen differenziert. Die Mangelfreiheit sei nicht Gegenstand seines Auftrags gewesen.

Der Privatgutachter des Beklagten unterstellt dem gerichtlichen Sachverständigen, das Anlagenkonvolut K39 und K40 nicht untersucht zu haben, obwohl sie ihm selbst nicht vorgelegen hätten (“die hier nicht vorliegenden Anlagen K39 und K40 (…), Privatgutachten vom 11. Februar 2023, Seite 5). Der gerichtliche Sachverständige bekundet indes, alle “270 Mails gelesen, inhaltlich sortiert und die darin enthaltenen ‚Leistungen‘ des Klägers bewertet” zu haben. Der Senat hat keine Anhaltspunkte, dass der gerichtliche Sachverständige, der alle an ihn gerichteten Beweisfragen detailliert und nachvollziehbar beantwortet hat, seine Gutachten ohne genaue Kenntnis der Pläne und sonstigen Dokumente erstellt hat.

c) Nebenkosten

Der Senat erachtet die landgerichtliche Entscheidung zu einem Anspruch auf Nebenkosten in Höhe von 1.339,84 € netto für richtig. Soweit der Kläger in seiner Berufungsbegründung anmerkt, dass die von ihm angesetzten Nebenkosten in Höhe von 1.681,84 € netto üblich und angemessen und im Übrigen unstreitig seien, verkennt er, dass der Beklagte im Rahmen seines Parteigutachtens vom

4. Januar 2018, Seite 18 (Bl. 66) lediglich von begründeten Nebenkosten in Höhe von 1.339,84 € netto ausgeht und somit der Restbetrag streitig ist, worauf das Landgericht auch im Termin hingewiesen hat. Ein Verfahrensfehler ist insoweit nicht ersichtlich. Der Kläger rügt weiter, der Hinweis in der mündlichen Verhandlung sei zu spät erfolgt. Es hätte ihm aber freigestanden, auf diesen Hinweis vorzutragen. Dies ist nicht erfolgt. Es wird auf die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil, Seite 13, Bezug genommen.

d) Der Beklagte kann sich auch nicht auf einen Nachlass in Höhe von 10% auf die begründeten Forderungen des Klägers berufen. Zwar ist ein Architekt nicht gehindert, ein unter den Mindestsätzen liegendes Pauschalhonorar zu verlangen, wenn die Preisvereinbarung unwirksam ist und er den Mindestsatz fordern könnte (BGH, Urteil vom 13. September 2001 – VII ZR 380/00; BGH, Versäumnisurteil vom 13. Januar 2005 – VII ZR 353/03), soweit der Senat aber eine Honorarrechnung zu überprüfen hat, geschieht dies gemäß den Grundsätzen der HOAI, die einen pauschalen Abschlag von 10% nicht vorsehen. Da die Honorarforderung des Klägers nicht unter der vom Senat ermittelten Summe liegt, dringt der Beklagte mit seiner hilfsweise erhobenen Forderung nicht durch.

Hinzu kommt, dass der vom Kläger gewährte Nachlass in Höhe von 10% lediglich in einer Teilrechnung aus dem Jahr 2016 zu finden ist (vgl. 2. Teilrechnung vom 1. Juni 2016, Seite 3, Bl. 402). Daraus lässt sich keinesfalls schließen und ist von dem Beklagten auch nicht bewiesen, dass der Kläger auf sämtliche Leistungen einen solchen Nachlass gewährt hätte.

4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil, Seite 16 f., verwiesen. Ein Hinweis war gem. § 139 Abs. 2 ZPO entbehrlich, so dass eine Gehörsverletzung nicht in Betracht kommt.

Selbst wenn man diese aber annehmen wollte, hätte der Kläger im Rahmen seiner Berufungsbegründung die Möglichkeit gehabt, zu diesem Punkt Stellung zu beziehen und gegebenenfalls vorzutragen.

Ein Prozessbeteiligter muss die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (BGH, Beschluss vom 17. März 2016 – IX ZR 211/14, Rn. 4 mwN). Diese Würdigung entspricht dem in § 295 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, nach dessen Inhalt eine Partei eine Gehörsverletzung nicht mehr rügen kann, wenn sie die ihr nach Erkennen des Verstoßes verbliebene Möglichkeit zu einer Äußerung nicht genutzt hat (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 – XII ZB 445/19, Rn. 13 f.).

Nach diesen Maßgaben hätte der Kläger nach Kenntnis der Rechtsposition des Landgerichts – was spätestens mit Zustellung des Urteils der Fall war – den gebotenen Vortrag halten können. Dies ist nicht erfolgt.

5. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren. Der Senat folgt der Ansicht des Landgerichts (siehe LGU, Seite 17). Der klägerische Prozessbevollmächtigte war bereits vor der Stellung der Schlussrechnung tätig, d.h. bevor der Beklagte mit einer Zahlung in Verzug gekommen war. Soweit der Kläger mit seiner Berufung rügt, dass später weitere Tätigkeiten notwendig gewesen seien, ist nicht vorgetragen, inwieweit dadurch ein weitergehender Gebührenanspruch im Innenverhältnis ausgelöst worden ist, der über den bereits bestehenden 1,3-fachen Gebührensatz hinausgeht.

Ein möglicher Verzug des Beklagten in Bezug auf Teilbeträge aus vorherigen Abschlagsrechnungen ist vom Kläger nicht dargelegt und wäre vom Landgericht auch nicht eigenständig unter Berücksichtigung der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen herauszuarbeiten gewesen. Das Beweisangebot des Klägers bezog sich insoweit auf die Richtigkeit seiner Schlussrechnung. Ein Hinweis des Landgerichts war im Hinblick auf die Geltendmachung einer Nebenforderung nicht geboten, § 139 Abs. 2 ZPO. Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen zu den Pflichten eines Prozessbeteiligten verwiesen, denen der Kläger mit seiner Berufungsbegründung nicht nachgekommen ist.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichts abweicht, so dass auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO.

V.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren beruht auf § 3 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG.

OLG Braunschweig zu der Frage, ob unbekannte Mängel eine konkludente Abnahme ausschließen

OLG Braunschweig zu der Frage, ob unbekannte Mängel eine konkludente Abnahme ausschließen

vorgestellt von Thomas Ax

Eine Abnahme kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent, d.h. durch schlüssiges Verhalten des Auftraggebers, erklärt werden. Konkludent handelt der Auftraggeber, wenn er dem Auftragnehmer gegenüber ohne ausdrückliche Erklärung erkennen lässt, dass er dessen Werk als im Wesentlichen vertragsgerecht billigt. Eine konkludente Abnahme kann im Regelfall nur angenommen werden, wenn alle vertraglich geschuldeten Leistungen erbracht sind. Das gilt jedoch nicht ausnahmslos. Unbekannte Mängel stehen einer konkludenten Abnahme grundsätzlich nicht entgegen. Wird die VOB/B nicht “als Ganzes” vereinbart, hält die Regelungen des § 12 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B zur fiktiven Abnahme der Leistung einer AGB-Kontrolle nicht stand und ist unwirksam, wenn der Auftragnehmer Verwender der VOB/B ist.
OLG Braunschweig, Urteil vom 02.06.2022 – 8 U 205/21

vorhergehend:
LG Göttingen, 05.08.2021 – 8 O 50/20

nachfolgend:
BGH, Beschluss vom 21.06.2023 – VII ZR 128/22 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Gründe

A.

Die Klägerin, ein Stahlbauunternehmen, nimmt den Beklagten für einen von ihr errichteten Milchviehstall (Boxenlaufstall) auf Zahlung restlichen Werklohns i.H.v. 166.629,38 Euro in Anspruch. Die Klägerin hat mit Schlussrechnung vom 28.12.2017 für die Werkleistungen insgesamt 388.302 Euro geltend gemacht und unter Abzug von seitens des Beklagten geleisteten Teilzahlungen auf Zwischenrechnungen in Höhe von (jeweils netto) 155.000 Euro und 93.277,31 Euro den streitgegenständlichen Restbetrag gefordert. Auf die mit der Schlussrechnung geltend gemachten Beträge entfiel ein Betrag i.H.v. 339.519 Euro auf ein am 03.04.2012 durch die Parteien geändertes Angebot vom 29.02.2012, ein Betrag von 40.000 Euro auf eine Nachtragsvereinbarung vom 08.01.2014 sowie weitere 8.783 Euro auf weitere kleinere Nachträge.

Für das von der Klägerin zu erstellende Werk war eine baurechtliche Genehmigung erforderlich. Die Baumaßnahme wurde auf Seiten des Beklagten durch einen von diesem beauftragten Architekten begleitet. Im Rahmen der nach dem Baurecht erforderlichen öffentlich-rechtlichen Prüfung wurde das Büro A. Beratende Ingenieure für Bauwesen als Prüfstatiker tätig.

Mit Schreiben vom 12.11.2014 (Anlage K 8) teilten die Prüfstatiker von A. dem Landkreis Göttingen – Amt für Kreisentwicklung und Bauen – zu dem streitgegenständlichen Bauvorhaben mit, dass für die Bauteile Dacheindeckung, Pfetten, Wandverkleidung, Wandriegel, Dachverband, Wandverband und Koppelprofile sowie Wandansichten noch die Konstruktionszeichnungen fehlten und diese noch zur Prüfung vorzulegen seien. Ferner wurde seitens der Prüfstatiker darauf hingewiesen, dass die vorliegenden Konstruktionszeichnungen in Geometrie und Profilen abweichend von den geprüften Berechnungen angefertigt worden seien. Ferner sei für die geänderte Dacheindeckung und die Pfetten noch ein statischer Nachweis zur Prüfung vorzulegen. Daraufhin schrieb der Landkreis Göttingen den Beklagten am 19.03.2015 (Anlage K 9) unter Beifügung des vorgenannten Schreibens der Prüfstatiker an und wies darauf hin, dass Konstruktionspläne und Nachweise über die geänderte Dacheindeckung fehlen würden. Dabei wurde ferner darauf hingewiesen, dass in Abstimmung mit dem Prüfstatiker auch eine Nutzungsuntersagung oder teilweise Nutzungsuntersagung in Erwägung gezogen werden könne. Aufgrund des Schreibens des Landkreises rief der Beklagte zudem den von ihm beauftragten Architekten an, der sich des Vorgangs annehmen sollte. Der Beklagte forderte zudem die Klägerin mit E-Mail vom 20.04.2015 (Anlage K 10) auf, die von den Prüfstatikern geforderten Unterlagen beizubringen. Hierauf ließ die Klägerin durch die Firma S. Montage GmbH einen Nachtrag zur Statik anfertigen, der ergab, dass noch Ertüchtigungsmaßnahmen durchzuführen waren. Diese Statik übermittelte die Firma S. Montage GmbH mit E-Mail vom 12.10.2015 (Anlage K 11) den Prüfstatikern mit der Bitte um Kenntnisnahme und Rückruf über die weitere Vorgehensweise. Seitens der Prüfstatiker wurde der Nachtrag zur Statik wiederum mit E-Mail vom 07.12.2015 an die Klägerin weitergeleitet. Der Beklagte erhob gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 12.01.2018 die Einrede der Verjährung. Mit Schreiben vom 13.02.2018 übermittelte der Prüfstatiker dem Beklagten einen Kontrollbericht über die von ihm gem. § 76 NBauO durchgeführte Kontrolle bezogen auf die statische und konstruktive Ausführung der von der Klägerin erstellten Stahlkonstruktion. In dem Kontrollbericht waren insgesamt drei Beanstandungen aufgeführt, zu deren Beseitigung der Beklagte aufgefordert wurde. Beanstandet wurde, dass noch eine fehlende Druckstrebe – wie in dem Nachtrag der Firma S. Montage GmbH – einzubauen sei, ferner eine Längskopplung bzw. alternativ ein zusätzlicher Wandverband und eine Durchkopplung mit Zugstangen. Wie in dem vorgenannten Nachtrag zur Statik der Firma S. Montage GmbH angegeben, wurde zudem gefordert, zusätzliche Druckrohre in der Dachebene einzubauen. Diesen Bericht – der nach dem dort aufgeführten Verteiler auch dem von dem Beklagten beauftragten Architekten per E-Mail übermittelt wurde – leitete der Beklagte nicht an die Klägerin weiter, auch eine anderweitige Informierung erfolgte nicht. Insbesondere erfolgte auch keine Mängelrüge seitens des Beklagten. Die durchzuführenden Maßnahmen zur Ertüchtigung der Statik führte er in der Folge in Eigenleistung durch.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (LGU, S.2 f, Bl. 164 Rücks. f. d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Zahlung des restlichen Werklohns in Höhe von 166.629,38 Euro nach § 631 Abs. 1 BGB zu, da der Beklagte nach § 214 Abs. 1 BGB berechtigt sei, die Zahlung der Klageforderung zu verweigern. Der Anspruch sei verjährt.

Die Geltung der VOB/B sei zwischen den Parteien nicht vereinbart worden. Diese seien nicht nach § 305 Abs. 2 und 3 BGB Bestandteil des Vertrages geworden. Es sei davon auszugehen, dass dem Beklagten, der gewerbsmäßig Landwirtschaft betreibe, die VOB nicht vertraut sein dürfte, ein bloßer Hinweis auf die Geltung derselben reiche daher nicht aus. Vielmehr sei das Einverständnis des Vertragspartners notwendige Voraussetzung für deren Einbeziehung. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin habe eine Einbeziehung der VOB/B in das Vertragsverhältnis nicht schlüssig vorgetragen. Dem Angebot vom 29.02.2012 sowie der Auftragsbestätigung vom 14.04.2013 lasse sich ein Hinweis auf die Geltung der VOB/B auf der Vorderseite nicht entnehmen, es sei daher unerheblich, ob die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin tatsächlich auf der Rückseite abgedruckt gewesen seien.

Selbst wenn der Hinweis auf die Geltung der VOB/B und ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen auf der als Anlage K 5 aktenkundigen Privaturkunde vom 08.01.2014 bei der Unterschriftsleistung durch den Beklagten vorhanden gewesen wäre, begründe dies keine wirksame Einbeziehung hinsichtlich des Hauptauftrages. Es sei darüber hinaus auch nicht dargetan, dass sich auf dem Original des Schriftstücks auf der Rückseite ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen befunden hätten. Nach Einsichtnahme der im Verhandlungstermin vom 15.07.2021 vorgelegten Originalurkunden sei festzustellen gewesen, dass sich auf keiner der Urkunden auf der Rückseite abgedruckte AGB befunden hätten.

Es sei danach von einem BGB-Werkvertrag auszugehen und einer Verjährungsfrist von drei Jahren gem. § 195 BGB. Der Werklohnanspruch der Klägerin sei spätestens im November 2015 gem. § 641 BGB zur Zahlung fällig geworden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Beklagte das Werk konkludent durch Ingebrauchnahme noch im Jahr 2015 abgenommen habe. Die Klägerin trage unwidersprochen vor, dass der Beklagte das Objekt seit August 2015 ohne Beanstandungen nutze, worin eine konkludente Abnahme zu sehen sei. Dem stehe auch nicht die – zugunsten der Klägerin als wahr unterstellte – Behauptung entgegen, dass von dieser noch in 2016/2017 Unterlagen an den Prüfstatiker übersandt worden seien. Denn dies begründe nicht die Annahme, die zu errichtende Stallanlage sei nicht im Jahre 2015 funktional fertig gestellt worden. Dass die Genehmigung des Statikers nicht erteilt worden sei bzw. die Statik mangelbehaftet gewesen sei, habe die Klägerin nicht vorgetragen. Dass die Erklärung zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Stalls nicht vorgelegen habe, hindere die konkludente Abnahme nicht. Angesicht der unstreitigen Nutzung durch Einzug der Viehherde sei spätestens seit August 2015 von einer Benutzung des im Wesentlichen fertig gestellten Werks auszugehen. Da unstreitig Mängel nicht gerügt worden seien, habe die Klägerin davon ausgehen können, dass der Besteller das Werk als vertragsgerechte Leistung akzeptierte.

Vorliegend sei eine Prüffrist von 12 Wochen als ausreichend anzusehen. Da die Erstellung einer prüffähigen Schlussrechnung nicht Fälligkeitsvoraussetzung sei, sei der Anspruch auf Werklohnzahlung mit Ablauf des 11.11.2015 zur Zahlung fällig geworden. Die regelmäßige Verjährung habe nach § 199 BGB am 31.12.2015 zu laufen begonnen und sei am 31.12.2018 abgelaufen. Die Klage sei am 12.12.2019, mithin nach Ablauf der Verjährungsfrist, bei dem Landgericht Leipzig eingegangen.

Die Klägerin habe nicht bewiesen, dass das von ihr zu errichtende Werk im Jahre 2015 nicht im Wesentlichen vertragsgerecht fertiggestellt gewesen sei. Der für die Einrede der Verjährung darlegungs- und beweisbelastete Beklagte habe bewiesen, dass im Jahr 2016 keine Arbeiten mehr an dem Stallgebäude durch Mitarbeiter der Klägerin durchgeführt worden seien. Der Zeuge B. habe bestätigt, dass der Stall im Jahre 2016 fertiggestellt gewesen sei und keine Arbeiten mehr ausgeführt worden seien und das Bauwerk bereits am 04.04.2015 ohne weitere Beeinträchtigung zum Einstellen der Viehherde nutzbar gewesen sei. Die Aussage werde im Kern durch die Angaben des Zeugen H. bestätigt, der angegeben habe, dass im Jahre 2014 noch ausstehende Restarbeiten (Fallrohre und Vogelschutznetze) bereits im Jahr 2015 erledigt worden seien. Demgegenüber sei die Aussage des Zeugen D. wenig ergiebig gewesen, dieser habe auch nicht nachvollziehbar begründen können, warum die wesentlichen Arbeiten der Klägerin bereits im Jahr 2015 erledigt gewesen sein sollen. Dieser sei sich auch nicht sicher gewesen, noch 2016 auf der Baustelle gewesen zu sein. Es sei daher davon auszugehen, dass die Arbeiten an dem Bauvorhaben Ende 2015 durchgeführt worden sein dürften.

Einen Antrag der Klägerin auf Schriftsatznachlass nach § 283 ZPO hat das Landgericht zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 15.07.2021 überreichte Schriftsatz unter Verletzung von § 296 Abs. 2 ZPO eingereicht worden sei. Der Vortrag sei für die zu treffende Entscheidung unerheblich gewesen, sodass der Klägerin dazu neuer Vortrag nicht zu eröffnen gewesen sei. Auch aufgrund des nicht nachgelassenen klägerischen Schriftsatzes vom 29.07.2021 habe kein Grund bestanden, gem. § 156 ZPO wieder in die mündliche Verhandlung einzutreten. Die Pflicht des Auftraggebers, die Leistungen des Auftragnehmers bei Abnahmereife abzunehmen, lasse sein Recht unberührt, dies auch freiwillig schon vorher zu tun. Sofern der Auftraggeber abnehme, würden die Erfüllungswirkungen der Abnahme unabhängig davon eintreten, ob die abgenommene Werkleistung abnahmereif und damit erfüllungstauglich gewesen sei. Die Klägerin habe insoweit nicht hinreichend vorgetragen, dass sie aufgrund der geänderten beauftragten Dachausführung vertraglich zur Erstellung einer Nachtragsstatik berechtigt gewesen sei. Dies lasse sich dem Nachtrag der Anlage K 5 nicht entnehmen. Das durch die Ausführung vorgeschriebene Sicherheitsstandards nicht eingehalten worden seien, könne nicht als Indiz für die mangelnde Abnahmereife des Bauwerks herangezogen werden.

Mangels Bestehens der Hauptforderung seien auch keine Nebenforderungen zuzuerkennen.

Die Klägerin hat gegen dieses ihr am 09.08.2021 zugestellte (Bl. 173 d.A.) Urteil mit Schriftsatz vom 06.09.2021, bei dem Oberlandesgericht Braunschweig eingegangen am selben Tage (Bl. 185 d.A.), Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 26.10.2021, eingegangen am selben Tage (Bl. 196 d.A.) begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist auf Antrag der Klägerin vom 04.10.2021 (Bl. 191 d.A.) bis zum 26.10.2021 (Bl. 192 d.A.) verlängert worden war.

Die Klägerin greift das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang an und begehrt mit dem Hauptantrag – wie erstinstanzlich beantragt – die Zahlung des Werklohns i.H.v. 166.629,38 Euro nebst Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren.

Die Klägerin meint, dass das Landgericht die Anforderungen der Rechtsprechung zur Einbeziehung der VOB/B zwischen Unternehmern verkannt habe. Sie habe vorgetragen, dass sowohl auf der Rückseite des Angebots als auch auf der Rückseite der Auftragsbestätigung ihre AGB abgedruckt gewesen seien, die auf die Geltung der VOB/B verwiesen hätten. Sie habe zudem ausgeführt, dass in einer Nachtragsvereinbarung vom 08.01.2014 (K 5) sowohl auf die ursprüngliche Auftragsbestätigung, als auch auf die Geltung der VOB/B verwiesen worden sei. Der Beklagte sei auch Unternehmer. Dies reiche als schlüssiger Vortrag zur Einbeziehung der VOB/B aus. Für Unternehmer fänden die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 und 3 BGB – auch hinsichtlich der VOB/B – gem. § 310 Abs. 1 BGB keine Anwendung. Zwischen Unternehmern würden AGB mangels Widerspruchs auch dann Vertragsinhalt, wenn sie nicht Gegenstand der Vertragsverhandlungen oder nicht beigefügt gewesen seien. Umso mehr sei dies der Fall, wenn diese – wie hier – gerade beigefügt gewesen seien. Die AGB seien unstreitig auf der Rückseite des Auftragsbestätigungsschreibens Anlagen K 3 und K 4 abgedruckt gewesen. Der Beklagte habe diese erhalten und der Einbeziehung nicht widersprochen, sodass diese Vertragsbestandteil geworden seien. Die Auftragsbestätigung (K 3) sei auch nicht erst nach Vertragsschluss übersandt worden, sondern diese habe ihr Angebot dargestellt.

Das im Jahr 2012 seitens der Klägerin unterbreitete Angebot habe der Beklagte während der Besprechung nicht angenommen und erst Anfang April 2013 das Angebot beauftragt. Darin habe ein neues Angebot des Beklagten nach § 150 Abs. 1 i.V.m. § 147 Abs. 1 S.1 BGB gelegen, welches sie, die Klägerin, mit der Auftragsbestätigung (Anlage K 3) unter Beifügung ihrer AGB angenommen habe. Dabei habe es sich um eine Annahme unter Änderungen und damit um ein neues Angebot i.S.v. § 150 Abs. 2 BGB gehandelt. Es komme insoweit nicht darauf an, ob dem Beklagten als Landwirt die VOB/B vertraut gewesen seien.

Danach seien die VOB/B bereits bei Vertragsschluss wirksam vereinbart gewesen. Ungeachtet dessen sei auch eine nachträgliche Einbeziehung der VOB/B möglich, was hier ebenfalls anzunehmen sei, da nachträglich zusätzliche Leistungen zum Hauptauftrag vereinbart worden seien, mithin eine Änderung des Hauptauftrages erfolgt sei. In diesem Zusammenhang sei auch die Geltung der VOB/B vereinbart worden, und zwar nicht nur für Nachtragsleistungen, sondern für den gesamten Vertrag. Zwar habe der Beklagte bestritten, dass der betreffende Hinweis auf der von ihm unterzeichneten Urkunde des Nachtrags vorhanden gewesen sei, hierzu seien die Parteien indes nur angehört und nicht vernommen worden, sodass Aussage gegen Aussage stehe. Insoweit sei ihrerseits auch Parteivernehmung beantragt worden. Dies sei nicht erfolgt, da zu ihren Gunsten unterstellt worden sei, dass der Hinweis auf dem Nachtrag enthalten gewesen sei.

Die Leistungen seien bislang auch nicht wirksam abgenommen worden. Hierzu seien ihrerseits mit Schriftsatz vom 29.07.2021 neue Sachverhalte vorgetragen worden, die erst in der mündlichen Verhandlung bekannt geworden seien. Der Prüfstatiker habe das Bauordnungsamt mit Schreiben vom 12.11.2014 (Anlage K 8) darüber informiert, dass für das Bauvorhaben Konstruktionszeichnungen gefehlt hätten und Zeichnungen abweichend von der geprüften Berechnung angefertigt worden seien und noch ein statischer Nachweis vorzulegen sei. Das Bauordnungsamt habe den Beklagten hierüber auch mit Schreiben vom 19.03.2015 (Anlage K 9) informiert. Mit Schreiben vom 20.04.2015 (Anlage K 10) habe der Beklagte die Klägerin aufgefordert, die Unterlagen beim Prüfstatiker einzureichen, was auch erfolgt sei (Anlage K 11). Hierzu habe sie, die Klägerin, in der Folge keine Informationen mehr erhalten. Erst aufgrund von Hinweisen im Verhandlungstermin habe sie den bauleitenden Architekten der Beklagten kontaktiert, der ihr am 29.07.2021 einen Kontrollbericht des Prüfstatikers vom 13.02.2018 übermittelt habe (Anlage K 12), der drei Beanstandungen an der Dachkonstruktion enthalte, die erheblich seien, da diese unmittelbar die Statik der Dachkonstruktion betreffen würden. Der Beklagte hätte in der Folge die Klägerin über das Prüfergebnis informieren und die Klägerin zur Durchführung der erforderlichen Maßnahmen auffordern müssen. Eine stillschweigende Abnahme komme nur in Betracht, wenn das Werk im Wesentlichen mangelfrei hergestellt sei. Im konkreten Fall hätten jedoch noch wesentliche Vertragsleistungen ausgestanden, sodass von einer konkludenten Abnahme nicht ausgegangen werden könne. Dem Beklagten sei aufgrund des Schriftverkehrs auch bekannt gewesen, dass wesentliche Leistungen noch nicht fertiggestellt gewesen seien. Mangels Abnahme sei die Schlussrechnung daher bis heute nicht fällig.

Der Schriftsatz vom 29.07.2021 sei – trotz Antrags in der mündlichen Verhandlung – vom Landgericht nicht nachgelassen worden. Der Kontrollbericht vom 13.02.2018 sei ausschließlich an den Beklagten und seinen Architekten übersandt worden. Hierüber habe sie, die Klägerin, keine Information erhalten, noch sei sie aufgefordert worden, die dort genannten Maßnahmen noch auszuführen. Sie habe daher davon ausgehen müssen, dass der Beklagte die Leistungen anderweitig beauftragt habe. Ihr sei aufgrund des Schriftverkehrs mit dem Bauordnungsamt im Jahr 2015 (Anlagen K 8 und K 9) bekannt gewesen, dass dem Beklagten andernfalls eine Nutzungsuntersagung drohe. Eine stillschweigende Abnahme, wie sie das Landgericht bejaht habe, komme nur in Betracht, wenn das Werk im Wesentlichen mangelfrei fertiggestellt sei. Sofern – wie hier – noch wesentliche Vertragsleistungen ausstünden, könne eine konkludente Abnahme regelmäßig nicht angenommen werden. Aufgrund des Schriftverkehrs zwischen dem vom Beklagten beauftragten Prüfstatiker von AMK vom 12.11.2014 (Anlage K 8), den Schreiben des Bauordnungsamts vom 05.02.2015 und 19.03.2015 (Anlage K 9), der E-Mail des Beklagten vom 20.04.2015 (Anlage K 10) und der E-Mail der S. Montage GmbH vom 12.10.2015 (Anlage K 11) sei dem Beklagten auch schon im November 2015 bekannt gewesen, dass wesentliche Leistungen noch nicht fertiggestellt gewesen seien. Unter diesen Umständen komme eine konkludente Abnahme zu diesem und auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht in Betracht.

Mangels Abnahme sei die Schlussrechnungsforderung daher bis heute nicht fällig, woraus der Hilfsantrag resultiere. Da der Werklohnanspruch der Klägerin nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B erst mit Übersendung einer prüffähigen Schlussrechnung fällig geworden sei und die Schlussrechnung vom 28.12.2017 (Anlage K 6) datiere, sei die am 12.12.2019 eingereichte Klage vor Eintritt der Verjährung erhoben worden.

Die Klägerin beantragt,

1. unter Abänderung des am 05.08.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Göttingen, Az. 8 O 50/20, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin EUR 166.629,38 nebst Zinsen hieraus von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.01.2019 sowie vorgerichtliche Kosten von EUR 2.415,90 (RA-Gebühr) nebst Zinsen hieraus von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht eine Abnahme der Leistungen der Klägerin durch den Beklagten verneint, beantragt die Klägerin unter Abänderung des am 05.08.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Göttingen, Az. 8 O 50/20, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin EUR 166.629,38 Zug um Zug gegen Ausführung der vom Prüfstatiker Dipl.-Ing. K. mit Kontrollbericht Nr. 8 vom 13.02.2018 (Anlage K 12) unter Ziffern 2.) bis 4.) festgelegten Leistungen zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sofern der Schriftsatz vom 29.07.2021 neuen Vortrag enthalte, sei dieser als verspätet zurückzuweisen. Der Schriftsatz vom 15.07.2021 beziehe sich ausschließlich auf die Themenkomplexe Einbeziehung der VOB/B und AGB. Selbst im Falle der Gewährung eines Schriftsatznachlasses wäre die Klägerin mit nicht auf diesen Schriftsatz bezogenem Sachverhalt präkludiert. Dies gelte insbesondere deshalb, weil sie noch in der Klageschrift ausdrücklich die Abnahme fordere.

Das Berufungsgericht sei auch an die Feststellungen des Landgerichts gebunden, in denen es heiße:

“Die Klägerin behauptet weiter, der Beklagte nutze das Objekt seit August 2015 ohne Beanstandung, ihre Leistung sei vertragsgerecht und mangelfrei – was unstreitig ist -.”

Er habe nicht davon ausgehen können und müssen, dass die Statik der Halle fehlerhaft gewesen sei und dies einen Mangel darstellen könne. Die Klägerin habe ihre Schlussrechnung gestellt und damit konkludent vorgetragen, dass ihr Werk mangelfrei, vollständig fertiggestellt und abgenommen sei. Dies entspreche auch dem Vortrag aus der Klageschrift. Er habe die Einrede der Verjährung auch bereits mit Schreiben vom 12.01.2018 erhoben und damit vor dem Kontrollbericht des Prüfstatikers vom 13.02.2018. Bis zu diesem Zeitpunkt sei ihm ein irgendwie gearteter Mangel an der Statik des Bauvorhabens gänzlich unbekannt gewesen.

Im Übrigen habe die Klägerin selbst ihre eigenen Eingaben an den Prüfingenieur gemäß Anlage K 11 nicht als abnahmehindernd gewertet, da sie andernfalls das Werk nicht schlussgerechnet und Zahlung verlangt hätte. Wenn beide Parteien das Werk für abnahmereif halten würden und eine konkludente Abnahme durch Inbenutzungnahme erfolge, könnten im Nachhinein bekannt gewordene Mängel daran nichts mehr ändern. Da die Klägerin die angeblich noch notwendigen Leistungen nicht ausgeführt habe, befände sich das Bauvorhaben nach deren Vortrag noch in der Erfüllungsphase. Gleichwohl habe die Klägerin die Schlussrechnung erstellt und Zahlung verlangt. Sie sei danach gehindert, sich auf den mit der Anlage K 12 vorgelegten Prüfbericht zu berufen. Diese Umstände hätten sich auch nicht erst nach dem Termin am 15.07.2021 ergeben.

Die VOB/B und die AGB der Klägerin seien nicht wirksam einbezogen worden. Auf den Rückseiten der Originalurkunden des Angebots vom 19.02.2012 sowie des Nachtrages vom 08.01.2014 seien die AGB der Klägerin nicht enthalten gewesen. Auch dürfte eine Einbeziehung der VOB/B durch AGB nicht möglich sein, da eine Vertragspartei nicht damit rechnen müsse, dass mit einseitig gestellten AGB weitere nicht vorgelegte AGB einbezogen werden sollten. Abgesehen davon könne eine nachträgliche rückwirkende Einbeziehung der VOB/B in ein laufendes Vertragsverhältnis durch das Nachtragsangebot nicht erfolgen. Soweit sich auf der von der Klägerin vorgelegten Anlage K 5 ein Zusatz befinde:

“Dieser Nachtrag gilt als Ergänzung zu AB-MR.2012-20004 v. 14.04.2013 in Verbindung mit der aktuell gültigen VOB und unseren umseitigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen”,

sei dies nachträglich aufgedruckt worden und habe sich auf dem von ihm, dem Beklagten, unterzeichneten Exemplar nicht befunden. Darüber hinaus bewirke allein der Abdruck der AGB auf der Rückseite der Auftragsbestätigung noch keine Einbeziehung. Diese sei auch kein neues Angebot gewesen. Bezogen auf die Auftragsbestätigung vom 14.04.2013 sei anzuführen, dass eine Vertragspartei auch nicht damit rechnen müsse, dass ohne ausdrücklichen Hinweis und ohne Erwähnung in dem Auftragstext selbst, bisher nicht vorgelegte, auf der Rückseite des Auftrags verkehrt herum aufgedruckte AGB wirksamer Vertragsbestandteil werden, welche wiederum einen Verweis auf weitere AGB, nämlich die VOB/B, enthalten.

Da ein Hinweis auf die AGB nicht vorhanden sei, sei keine wirksame Einbeziehung der AGB erfolgt. Eine Geltung von AGB durch unkommentiertes, nachträgliches Unterschieben eines Textes auf der Rückseite einer Auftragsbestätigung – womit er auch nicht habe rechnen müssen – komme nicht in Betracht. Darüber hinaus sei auch zu beachten, dass er Landwirt sei und kein Kaufmann. Die Rechtsprechung für kaufmännische Bestätigungsschreiben sei daher auf ihn nicht anwendbar. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass er gewerblich Landwirtschaft betreibe. Er sei auch kein Bauunternehmer.

Soweit die Klägerin nunmehr vortrage, dass das Bauvorhaben mangelhaft und nicht abnahmereif sei, setze sich diese damit in Widerspruch zu ihrem erstinstanzlichen Vortrag. Gründe, der verspätete klägerische Vortrag nachträglich zuzulassen wäre, seien nicht ersichtlich. Insbesondere sei nicht ersichtlich, warum die Klägerin hierzu nicht schon in der Klageschrift hätte vortragen können. Die angeblichen Mängel des Bauvorhabens seien der Klägerin selbst durch das von ihr beauftragte Unternehmen S. Montage GmbH bereits seit dem Jahr 2015 bekannt. Gleichwohl habe diese konkludent durch Stellung der Schlussrechnung und ausdrücklich in der Klageschrift Abnahmereife und Abnahme des Baus behauptet, was nur als unlauter bezeichnet werden könne. Für ihn habe es sich so dargestellt, dass zwar noch Unterlagen nachzureichen gewesen seien, aber an der Vollständigkeit und Abnahmereife der Werkleistungen der Klägerin kein Zweifel bestanden habe. Er habe nach Abschluss der Arbeiten bis zur Stellung der Schlussrechnung nichts weiter von der Klägerin gehört. Ihm hätten keine Erkenntnisse vorgelegen, wonach Mängel vorliegen würden. Solche hätte er ansonsten gegenüber der Klägerin gerügt.

Auch der Hilfsantrag sei unbegründet. Es sei keine Rechtsgrundlage ersichtlich, wonach er zur Zahlung Zug um Zug verpflichtet sein sollte.

Die Klägerin hat hierauf mit Schriftsatz vom 13.01.2021 erwidert und weiter vorgetragen, dass sie keinesfalls schon im Jahr 2015 von einer Fertigstellung und damit einer konkludenten Abnahme ihrer Leistungen ausgegangen sei. Grund sei, dass sie angenommen habe, dass sie noch im Jahr 2016 aus ihrer Sicht wesentliche Leistungen erbracht habe. Zum anderen sei sie jedenfalls bis Ende 2017 davon ausgegangen, dass noch statische Ertüchtigungen der Stahlkonstruktion notwendig seien. Ihre Nachunternehmerin, die mit der kompletten Statik beauftragte S. Montage GmbH, habe vom Prüfstatiker geforderte Unterlagen bei diesem eingereicht. Sie habe in der Folge auf eine Reaktion oder Information des Beklagten zum Ergebnis der geprüften statischen Nachträge und der daraus noch erforderlichen Arbeiten gewartet. Nachdem sie im gesamten Jahr 2016 und 2017 hierzu nichts mehr gehört habe, sei sie Ende 2017 davon ausgegangen, dass der Beklagte die Arbeiten, die sich aus ihrer Sicht aus den Nachforderungen des Prüfstatikers von 2015 noch ergeben mussten, anderweitig beauftragt hatte. Aufgrund dieses aus ihrer Sicht bis dahin offenen Punktes habe sie die Schlussrechnung erst am 28.12.2017 gestellt. Es habe damit im Jahr 2015 an einer Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis einer vom Landgericht angenommenen konkludenten Abnahme gefehlt, erst Ende 2017 sei sie davon ausgegangen, dass die Leistungen fertig gestellt sein mussten.

Die Verjährungsfrist habe danach frühestens am 31.12.2017 zu laufen begonnen. Ausgehend von einer wirksamen Vereinbarung der VOB/B, gelte die Leistung nach § 12 Nr. 5 Abs. 1 VOB/B als am 12.01.2018 abgenommen. Andernfalls ergebe sich die Abnahme aus § 640 Abs. 1 S. 3 BGB. Mit Schriftsatz vom 12.12.2019 habe sie den Beklagten aufgefordert, die Abnahme spätestens innerhalb von 14 Kalendertagen nach Zustellung der Klage zu erklären, worauf der Beklagte nicht reagiert habe. Die Leistung sei daher nach Zustellung spätestens seit 30.01.2020 abgenommen.

Der Beklagte hat mit weiterem Schriftsatz vom 25.01.2022 entgegnet, dass die Klägerin mit der Klageschrift selbst vorgetragen habe, dass sie davon ausgegangen sei, dass ihre Leistung mangelfrei und vollständig erbracht sei, der Beklagte diese ohne Beanstandungen nutze. Daraus gehe eindeutig hervor, dass die Klägerin vollständige Kenntnis der Umstände gehabt habe, welche die konkludente Abnahme begründeten, und dies auch bereits im Jahr 2015. Diese Kenntnis ergebe sich auch daraus, dass die Klägerin ihre Schlussrechnung erteilt habe. Wenn die Klägerin im Jahr 2017 der Ansicht gewesen sei, dass die Schlusszahlung fällig sei, müsse ihr dies auch schon im Jahr 2015 klar gewesen sein, jedenfalls müssten ihr die den Anspruch begründenden Umstände, nämlich vollständige mangelfreie Leistungserbringung und konkludente Abnahme, bekannt gewesen sein. Ansonsten hätte sie vor Stellung der Schlussrechnung noch weitere Arbeiten ausführen oder ihn zu einer irgendwie gearteten Mitwirkung auffordern müssen. Dies habe die Klägerin jedoch nicht getan. Erst im Verlauf des Rechtsstreits habe die Klägerin plötzlich abweichend von ihren Ausführungen aus der Klageschrift behauptet, dass ihre Leistungen weder abgenommen noch vollständig seien. Neuer Vortrag aus dem nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin vom 29.07.2021 sei als verspätet zurückzuweisen. Die mit dem Bericht vom 13.02.2018 (Anlage K 12) vorgelegte Beanstandung könne die Abnahme im Jahr 2015 nicht gehindert haben. Er habe vielmehr davon ausgehen dürfen, dass die Angelegenheit durch die Anlage K 11 ihre Erledigung gefunden habe. Die Klägerin habe auch keinen Antrag auf Tatbestandsberichtigung gestellt, es sei daher von den Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil auszugehen.

Zu diesem Vorbringen des Beklagten hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 16.03.2022 ergänzend Stellung genommen und weiter vorgetragen, dass sie zum Zeitpunkt der Klageerhebung tatsächlich davon ausgegangen sei, dass ihre Leistung mangelfrei und vertragsgerecht sei. Dies sage aber nichts darüber aus, wann sie von einer konkludenten Abnahme ausgegangen sei. Der Vortrag zur Abnahmereife sei – wie mit Schriftsatz vom 29.07.2021 dargetan – nicht verspätet. Der Beklagte trage die Beweislast dafür, dass sie, die Klägerin, bereits im Jahr 2015 Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt habe. Dazu sei nichts vorgetragen, das bloße Bestreiten reiche nicht aus.

Auf den vom Senat in der mündlichen Verhandlung gewährten Schriftsatznachlass hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 04.05.2022 ausgeführt, dass auf den streitgegenständlichen Werkvertrag das BGB i.d.F. vor dem 01.01.2018 anzuwenden sei. Ausgehend von der Annahme, dass das Werk wegen der noch vorzunehmenden Ertüchtigungsmaßnahmen noch nicht fertiggestellt sei, fehle es nach wie vor an einer Abnahme. Hilfsweise hat sich der Beklagte auf die Geltung der VOB/B berufen. Nach § 12 Abs.5 VOB/B sei danach im Jahr 2015 eine Abnahme eingetreten. Auf das Erfordernis der Stellung einer Schlussrechnung könne sich der Kläger nicht berufen, da die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden sei. Die zusätzlich vereinbarten AGB der Klägerin würden in vielfacher Hinsicht von wesentlichen Regelungen der VOB/B abweichen, sodass AGB und VOB/B der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegen würden. § 16 Abs.3 Nr. 1 VOB/B sei daher zugunsten des Beklagten unwirksam. Die Klägerin handele auch rechtsmissbräuchlich, da sie ihren Anspruch in der Klageschrift mit der Mangelfreiheit ihres Werkes, später dagegen mit einer fiktiven Abnahme trotz bekannter schwerwiegender Baumängel begründe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat die Parteien ergänzend angehört. Insoweit wird auf das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 07.04.2022 (Bl. 249 – 252 d. A.) verwiesen.

B.

Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.

I.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Werklohns in Höhe von 166.629,38 Euro gem. § 631 Abs. 1 BGB a. F. zu.

1. Zwischen den Parteien ist im Jahr 2013 ein wirksamer Werkvertrag gem. § 631 BGB über die Errichtung eines Milchviehstalls zustande gekommen. So übersandte die Klägerin dem Beklagten zunächst ein auf den 29.02.2012 datierendes Angebot. Über dieses Angebot verhandelten die Parteien am 03.04.2012 und es erfolgte die handschriftliche Abänderung verschiedener Positionen. Anfang des Jahres 2013 kam es dann auf Basis der Verhandlungen vom 03.04.2012 zur Auftragserteilung durch den Beklagten über die Errichtung des Stalls zu einem Betrag von 339.519 Euro, die die Klägerin mit Auftragsbestätigung vom 14.04.2013 schriftlich bestätigte. Eine Ende 2013/Anfang 2014 vereinbarte Änderung der Dacheindeckung und weitere zusätzliche Kosten hierfür i.H.v. 40.000 Euro wurde mit Nachtragsvereinbarung vom 08.01.2014 fixiert. Daneben vereinbarten die Parteien die weiteren in der Schlussrechnung vom 28.12.2017 aufgeführten Nachträge – wegen deren Einzelheiten auf die Schlussrechnung Bezug genommen wird – über insgesamt 8.783 Euro. Für das Schuldverhältnis gilt gem. Art. 229, § 39 EGBGB das BGB in der bis zum 01.01.2018 geltenden Fassung.

Unter Abzug der auf Grundlage dieser vertraglichen Vereinbarungen erfolgten Teilzahlungen von insgesamt 248.277,31 Euro (netto) auf den Gesamtbetrag i.H.v. 388.302 Euro (brutto) verbleibt – wie von der Klägerin geltend gemacht – der zuerkannte Restbetrag von 166.629,38 Euro (brutto).

2. Der restliche Werklohnanspruch ist auch durchsetzbar. Die Forderung ist fällig (a.), dem Beklagten steht auch kein Leistungsverweigerungsrecht zu (b.):

a. Die Vergütung der Klägerin ist gemäß § 641 Abs. 1 BGB fällig. Der Beklagte hat das Werk im Jahr 2018 konkludent abgenommen.

aa. Eine Abnahme kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent, d. h. durch schlüssiges Verhalten des Auftraggebers, erklärt werden. Konkludent handelt der Auftraggeber, wenn er dem Auftragnehmer gegenüber ohne ausdrückliche Erklärung erkennen lässt, dass er dessen Werk als im Wesentlichen vertragsgerecht billigt. Erforderlich ist ein tatsächliches Verhalten des Auftraggebers, das geeignet ist, seinen Abnahmewillen dem Auftragnehmer gegenüber eindeutig und schlüssig zum Ausdruck zu bringen. Ob eine konkludente Abnahme vorliegt, beurteilt sich grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BGH, Urt. v. 20.02.2014 – VII ZR 26/12, Tz. 15 – BauR 2014, 1023). Dabei kann eine konkludente Abnahme im Regelfall nur angenommen werden, wenn alle vertraglich geschuldeten Leistungen erbracht sind (vgl. BGH, a.a.O., Tz. 18). Die Vollendung des Werks ist jedoch nicht ausnahmslos Voraussetzung für eine konkludente Abnahme, da es stets maßgeblich darauf ankommt, ob nach den gesamten Umständen das Verhalten des Auftraggebers vom Auftragnehmer dahin verstanden werden kann, er billige die erbrachte Leistung als im Wesentlichen vertragsgerecht (vgl. BGH, a.a.O., Tz. 18). Eine konkludente Abnahme kommt dementsprechend in Betracht, wenn das Werk jedenfalls nach den Vorstellungen des Auftraggebers im Wesentlichen mangelfrei fertiggestellt ist und der Auftragnehmer das Verhalten des Auftraggebers als Billigung seiner erbrachten Leistung als im Wesentlichen vertragsgerecht verstehen darf (vgl. Jurgeleit in: Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., 3. Teil Rn. 54). Darüber hinaus stehen Mängel einer konkludenten Abnahme nur dann entgegen, wenn der Unternehmer wegen ihres Vorliegens oder vom Besteller behaupteten Vorliegens nicht davon ausgehen kann, der Besteller würde das Werk als im Wesentlichen vertragsgemäß hergestellt hinnehmen. Hiervon kann regelmäßig nur ausgegangen werden, wenn die Mängel den Vertragsparteien bekannt bzw. durch den Besteller gerügt sind. Unbekannte Mängel stehen einer konkludenten Abnahme daher grundsätzlich nicht entgegen (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 05.07.2012 – 12 U 231/11 -; OLG München, Urteil vom 10.11.2015 – 9 U 4218/14, Tz. 42 – BauR 2016, 846; Oppler in Ingenstau/Korbion, VOB, 20. Auflage, § 12 Abs. 1 VOB/B Rd-Nr. 15). Es kommt nicht darauf an, ob tatsächlich Mängel bestehen, sondern darauf, ob der Auftragnehmer annehmen darf, dass aus der Sicht des Auftraggebers das Werk im Wesentlichen mängelfrei hergestellt ist, etwa weil sich Mängel noch nicht gezeigt haben und er durch sein Verhalten die Billigung des Werkes zum Ausdruck gebracht hat (vgl. OLG München, a.a.O., Tz. 43; Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage, 3. Teil, Rn. 52).

bb. Nach diesen Maßstäben kommt eine konkludente Abnahme zwar nicht durch die rügelose Ingebrauchnahme ab 2015 in Betracht, allerdings nach Vorlage des Prüfberichts des Prüfstatikers im Jahr 2018 sowie Vornahme der notwendigen Ertüchtigungsmaßnahmen in Eigenleistung durch den Beklagten und rügeloser Weiternutzung. Im Einzelnen:

Zwar nutzte der Beklagte das Objekt durch Ingebrauchnahme des Werks im Jahr 2015 ohne Beanstandungen. Aber vorliegend war das Werk zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertiggestellt, denn es fehlten noch Konstruktionszeichnungen und ein statischer Nachweis. Zudem waren aus statischen Gründen noch Ertüchtigungsmaßnahmen erforderlich. Die Klägerin konnte daher nicht davon ausgehen, dass der Beklagte das Werk als vertragsgemäß hinnimmt.

(a.) Ausweislich des Schreibens vom 12.11.2014 (Anlage K 8) ergab eine Prüfung des Prüfstatikers, dass noch die Konstruktionszeichnungen fehlten. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass für die geänderte Dacheindeckung und die Pfetten noch ein statischer Nachweis zur Prüfung vorzulegen sei. Auf das Schreiben des Landkreises Göttingen an den Beklagten am 19.03.2015 (Anlage K 9) unter Hinweis auf das Fehlen der Konstruktionspläne und Nachweise über die geänderte Dacheindeckung forderte dieser die Klägerin am 20.04.2015 (Anlage K 10) auf, die Unterlagen beizubringen. Auf Grundlage dieser Korrespondenz war offenbar, dass noch maßgebliche – von der Klägerin auch vertraglich geschuldete – Leistungen fehlten, nämlich die Erstellung bzw. Einreichung der Pläne und statische Nachweise. Der durch die Firma S. Montage GmbH in der Folge erstellte Nachtrag zur Statik ergab überdies, dass noch Ertüchtigungsmaßnahmen durchzuführen waren. Die Klägerin, der die Forderung der Prüfstatiker, die statischen Berechnungen der S. Montage GmbH und das Erfordernis weiterer Ertüchtigungsmaßnahmen bekannt waren, konnte vor diesem Hintergrund nicht davon ausgehen, dass der Beklagte das Werk als im Wesentlichen vertragsgemäß hergestellt hinnehmen würde. Dies gilt gerade auch angesichts des Umstandes, dass sich aus dem der Klägerin zur Kenntnis gelangten Schriftverkehr ergab, dass die Vorlage der vom Landkreis geforderten Unterlagen für die Erlangung einer behördlichen Genehmigung erforderlich war bzw. andernfalls eine Nutzungsuntersagung drohte. Ferner folgte aus dem Nachtrag der S. Montage GmbH, dass die Statik der Ertüchtigung bedurfte. Der Beklagte hatte die Klägerin zudem auch mit E-Mail vom 20.04.2015 ausdrücklich zur Beibringung der von den Prüfstatikern geforderten Unterlagen aufgefordert. Zudem stand noch nicht fest, ob der von der Firma S. Montage GmbH erstellte Nachtrag zur Statik und die vorgeschlagenen Ertüchtigungsmaßnahmen von Seiten der Prüfstatiker gebilligt werden würden. Dafür, dass der Beklagte zu diesem Zeitpunkt dieses noch bestehende “Prüfungsrisiko” für die ordnungsgemäße Statik der Halle hat übernehmen wollen, gab es – auch aus Sicht der Klägerin – keine Anhaltspunkte.

(b.) Der vorstehend aufgeführte, sich aus den mit Schriftsatz vom 29.07.2021 eingereichten Anlagen K 8 ff. ergebende, Sachverhalt ist auch noch im Berufungsverfahren zuzulassen. Dieser folgt bereits aus den eingereichten Kopien der Schreiben und vorgelegten Ausdrucke von E-Mails. Zwischen den Parteien, die ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände gem. § 138 ZPO vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben haben, ist der in den vorgenannten Schriftstücken verkörperte Sachverhalt auch nicht streitig. Der Beklagte hat hierzu – in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat persönlich angehört – auch noch verschiedene Umstände ergänzt, so etwa, dass er aufgrund des Schreibens des Landkreises vom 19.03.2015 (Anlage K 9) seinen Architekten angerufen habe und sich dieser um die Angelegenheit habe kümmern sollen. Er hat von der Prüfung durch den Prüfstatiker berichtet und wie die von diesem angeordneten Ertüchtigungsmaßnahmen umgesetzt worden sind. Im Berufungsrechtszug nicht (mehr) bestrittene oder unstreitig gestellte Tatsachen sind keine neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel iSv § 531 Abs. 2 ZPO und damit der Präklusion entzogen (vgl. BGH, Beschluss vom 9.10.2014 – V ZB 225/12, Tz.8 – NJW-RR 2015, 465; BGH, Beschluss vom 23. 6. 2008 – GSZ 1/08, Tz. 10 – NJW 2008, 3434; BGH, Beschluss vom 12.10.2021 – VI ZB 76/19, Tz.7 – NJW-RR 2021).

Der Berücksichtigung des Sachverhalts steht daher auch nicht § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO entgegen. Darüber hinaus begründen die vorgelegten Anlagen sowie die ergänzenden Angaben der Parteien Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Im Übrigen ist die Feststellung von Tatsachen abzugrenzen von deren rechtlicher Wertung, etwa der Vertragsgemäßheit einer Werkleistung. Die rechtliche Wertung unterliegt der uneingeschränkten Überprüfung durch das Berufungsgericht.

(2.) Eine konkludente Abnahme ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil die Klägerin vorgetragen hat, dass sie vor Stellung der Schlussrechnung im Jahr 2017 davon ausgegangen sei, dass der Beklagte nunmehr die notwendigen Ertüchtigungsarbeiten an dem Dach habe anderweitig vornehmen lassen. Denn dem Verhalten des Beklagten kann nach den dargestellten Maßstäben dieser Erklärungswert nicht beigemessen werden. Der Klägerin war der wesentliche Mangel weiterhin bekannt. Außer dem zum Zeitpunkt der Stellung der Schlussrechnung eingetretenen Zeitablauf hatte sich die Situation nicht verändert. Umstände, aufgrund derer hätte angenommen werden können, dass tatsächlich die notwendigen Ertüchtigungsmaßnahmen vorgenommen worden sind, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Es bestand hier weiterhin die Situation, dass noch wesentliche Vertragsleistungen ausstanden bzw. das Werk so noch wesentliche Mängel aufwies, sodass von einer konkludenten Abnahme nicht ausgegangen werden konnte. Es ist bei der Prüfung einer Willenserklärung durch konkludentes Verhalten auch zu bedenken, dass mit der Abnahme erklärt wird, dass die Leistung im Wesentlichen vertragsgerecht erbracht ist. Ist das nicht der Fall, weil – wie hier zu unterstellen ist – noch eine wesentliche Vertragsleistung fehlt, führt die Annahme einer konkludenten vorbehaltlosen Abnahme dazu, dass nicht nur alle Folgen der Abnahme eintreten, sondern der Auftraggeber auch noch Ansprüche wegen wesentlicher Mängel gemäß § 640 Abs. 2 BGB nicht mehr durchsetzen kann. Dass dem Verhalten des Beklagten in dieser konkreten Situation ein derartiger Erklärungswert beigemessen werden kann, ist – wie ausgeführt – nicht anzunehmen.

(3.) Eine konkludente Abnahme durch den Beklagten ist jedoch dadurch erfolgt, dass er, nachdem der Prüfstatiker mit Bericht vom 13.02.2018 die noch erforderlichen Ertüchtigungsmaßnahmen aufführte und anordnete, diese selbst vornahm und das Werk der Klägerin ohne Mängel zu rügen weiter nutzte. Dass zu diesem Zeitpunkt noch keine Abnahme nach öffentlichem Recht durch die zuständige Fachbehörde stattgefunden hatte, steht dem nicht entgegen. Denn auf Grundlage des vorgenannten Sachverhalts ist anzunehmen, dass der Beklagte die Leistung der Klägerin (nunmehr) als vertragsgerecht billigte und damit abgenommen hat, was nicht identisch ist mit der Abnahme nach öffentlichem Recht. Zu diesem Zeitpunkt stand nämlich durch den Kontrollbericht des Prüfstatikers fest, welche Maßnahmen – auch aus Sicht der für die öffentlich- rechtlich zulässige Nutzung maßgeblichen Stelle – noch zu treffen waren. Diese hat der Beklagte selbst ergriffen, wobei er die durchgeführten Maßnahmen dahingehend konkretisiert hat, dass lediglich ein Umbau von Verstrebungen habe stattfinden müssen. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte zudem durch einen Architekten beraten, der den Kontrollbericht ebenfalls erhalten hatte.

(4.) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist eine Abnahme – die Geltung der VOB/B für das Vertragsverhältnis unterstellt – nicht bereits zuvor gemäß § 12 Abs. 5 VOB/B nach Ablauf von 6 Werktagen nach Beginn der Benutzung des Werks eingetreten. Denn diese Regelung wäre nicht wirksam einbezogen worden. Der Beklagte handelte bezogen auf das streitgegenständliche Rechtsgeschäft als Unternehmer. Unternehmer ist gem. § 14 Abs. 1 BGB unter anderem eine natürliche Person, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Dies war vorliegend der Fall, denn der Werkvertrag bezog sich auf einen zu errichtenden Stall und betraf damit unmittelbar die gewerbliche Tätigkeit des Beklagten als Landwirt. Die Abnahmefiktion des § 12 Abs. 5 VOB/B kann nach § 310 Abs. 1 S. 3 BGB gegenüber einem Unternehmer nur dann Abnahmewirkungen herbeiführen, wenn die VOB/B als Ganzes vereinbart worden ist und sie gegenüber einem Unternehmer verwendet wird. In allen anderen Fällen unterliegt die VOB/B einer Inhaltskontrolle. Dabei führt jede inhaltliche Abweichung von der VOB/B dazu, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist und in ihrer Gesamtheit einer Inhaltskontrolle unterzogen ist. Dabei kommt es nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff hat (BGH, Urteil vom 22.01.2004 – VII ZR 419/02, Tz. 11 – BauR 2004, 668; BGH, Urteil vom 15.04.2004 – VII ZR 129/02, Tz. 11 – BauR 2004, 1142). Die Regelungen der VOB/B sind nach den Vertragsbedingungen der Klägerin nicht i.S.v. § 310 Abs. 1 S. 3 BGB ohne inhaltliche Abweichung insgesamt einbezogen und damit nicht privilegiert. § 12 Abs. 5 VOB/B ist auch gegenüber einem Unternehmer – hier dem Beklagten – mit § 307 BGB nicht vereinbar (vgl. Peters in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2019, § 640 Rn. 71 m.w.N.; vgl. auch: Bröker in: Beck’scher VOB-Kommentar, Teil B, 3. Auflage 2013, VOB/B § 12 Abs. 5 [Fiktive Abnahme], Rn. 5a).

(5.) Ob neben einer Abnahme der Zugang einer prüfbaren Schlussrechnung weitere Fälligkeitsvoraussetzung gem. § 16 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B war, kann dahinstehen. Eine Abnahme ist durch den Beklagten wie dargestellt erfolgt, darüber hinaus hat die Klägerin jedenfalls unter dem 28.12.2017 unstreitig eine Schlussrechnung erstellt und dem Beklagten übermittelt.

b. Der danach fällige Anspruch der Klägerin ist weder verjährt, noch stellt dessen Geltendmachung eine unzulässige Rechtsausübung dar.

aa. Der Anspruch der Klägerin ist nicht verjährt. Der Beklagte hat mit Schreiben vom 12.01.2018 (Anlage K 13) und durch seinen Prozessbevollmächtigten mit der Klageerwiderung die Einrede der Verjährung erhoben. Diese greift jedoch nicht durch. Nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist wenn der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Davon, dass der Prüfstatiker die Halle vor Ort geprüft und einen Prüfbericht erstellt hatte sowie vom Inhalt des Prüfberichts und der Selbstvornahme durch den Beklagten, hat die Klägerin unstreitig erst nach Erhebung der Klage im Verfahren Kenntnis erlangt. Die Verjährung ist bereits zuvor durch Erhebung der Klage auf Leistung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden. Es kommt danach auch an dieser Stelle nicht darauf an, ob zwischen den Parteien die VOB/B wirksam einbezogen worden sind oder ein BGB-Werkvertrag vorliegt.

bb. Dem Werklohnanspruch kann der Beklagte auch nicht § 242 BGB entgegen halten. Eine unzulässige Rechtsausübung ist jede Geltendmachung eines “an sich” gegebenen Rechts und jede Ausnutzung einer “an sich” bestehenden günstigen Rechtsposition oder Rechtslage im Widerspruch zu den Anforderungen von § 242 BGB (vgl. Mansel in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 18. Auflage 2021, § 242 Rn. 32). Unzulässige Rechtsausübung umfasst in ihrem Kernbereich die Fälle der missbräuchlichen Geltendmachung von subjektiven Rechten und Einreden (vgl. Mansel a.a.O. Tz. 34). Das Vorliegen eines solchen Sachverhalts ist seitens des Beklagten nicht dargetan. Bereits vor Erhebung der Klage im Jahr 2019 hatte der Beklagte selbst Kenntnis davon, dass seitens der Genehmigungsbehörde noch Konstruktionszeichnungen und ergänzende statische Nachweise gefordert wurden und dass – auch nach Einschätzung der Prüfstatiker – noch Ertüchtigungsmaßnahmen erforderlich waren. Zunächst hat weder die Klägerin im Verfahren den ihr bekannten vollständigen Sachverhalt vorgetragen, noch der Beklagte. Die Klägerin hat im weiteren Verlauf des Verfahrens schließlich ihrerseits bereits vor der mündlichen Verhandlung am 11.02.2021 ihr Vorbringen ergänzt und mit Schriftsätzen vom 04.03.2020 sowie vom 02.09.2020 auf von ihr auf Anforderung des Prüfstatikers nachgereichte statische Nachweise hingewiesen und ausgehend davon die Rechtsauffassung vertreten, dass es 2015 an den Grundlagen für eine Abnahme durch schlüssiges Verhalten gefehlt habe, da die Statik noch unvollständig gewesen sei. Dieses Verhalten begründet keine unzulässige Rechtsausübung.

II.

1. Der Klägerin stehen darüber hinaus Verzugszinsen gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 S.1 BGB seit dem 01.03.2019 zu. Die Klägerin hat dem Beklagten nach Eintritt der Fälligkeit mit anwaltlichem Schreiben vom 18.12.2018 (vgl. Anlage 7) eine Nachfrist zur Zahlung der restlichen Werklohnforderung bis zum 02.01.2019 gesetzt. Der Beklagte befindet sich mit der Zahlung daher seit dem 03.01.2019 im Verzug. Der Verzugszinssatz beläuft sich gem. § 288 Abs. 2 BGB i.d.F. v. 02.01.2002 i.V.m. Art. 229, § 34 EGBGB auf 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Bei der geltend gemachten Werklohnforderung handelt es sich auch um eine Entgeltforderung im Sinne von § 288 BGB, an dem streitgegenständlichen Rechtsgeschäft ist ferner kein Verbraucher beteiligt gewesen. Da das Schuldverhältnis vor dem 28.07.2014 entstanden ist, war auf dieses § 288 BGB in der Fassung vom 02.01.2002 anzuwenden.

2. Die Klägerin kann dagegen nicht mit Erfolg vorgerichtliche anwaltliche Kosten geltend machen. Ein Schaden in Form der Rechtsanwaltskosten ist erst dann entstanden, wenn der Mandant einem einforderbaren Zahlungsanspruch seines Prozessbevollmächtigten ausgesetzt ist und er die entsprechenden Anwaltskosten auch bezahlt hat (vgl. OLG Celle, Urteil v. 20.11.2013 – 3 U 65/13 -).

a. Voraussetzung eines solchen Zahlungsanspruchs ist eine dem Mandanten zugegangene ordnungsgemäße anwaltliche Vergütungsrechnung gemäß § 10 RVG (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 22. Aufl., § 10 Rn. 4). Ohne diese Berechnung ist der Auftraggeber nicht zur Zahlung gegenüber seinem Rechtsanwalt verpflichtet (vgl. Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 10 Rn. 3; Gerold/Schmidt/Burhoff, a. a. O., Rn. 22). Eine entsprechende Zahlungsklage des Rechtsanwalts müsste abgewiesen werden (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, a. a. O., Rn. 30; Schneider/Wolf, RVG, 6. Aufl., § 10 Rn. 86 ff). Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass ihr von Seiten ihres Prozessbevollmächtigten eine entsprechende Honorarrechnung erteilt worden sei. Ein entsprechender Vortrag ist auch nicht entbehrlich (vgl. OLG Celle, a. a. O.).

b. Ferner hat die Klägerin auch nicht vorgetragen, auf eine etwaige Anwaltshonorarrechnung eine Zahlung geleistet zu haben, so dass es an einem Vortrag zu einem bereits eingetretenen Schaden fehlt. Einen Antrag auf Freistellung von den Rechtsanwaltskosten hat sie nicht gestellt. Der Senat ist nach § 139 Abs. 2 S. 1 ZPO auch nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin auf ihren nicht genügenden Sachvortrag hinzuweisen, weil insofern eine Nebenforderung vorliegt.

C.

I.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

II.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 S.1, 709 S.2, 711 ZPO.

III.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO, liegen nicht vor.

IV.

Der Festsetzung des Berufungsstreitwertes liegen § 3 ZPO und §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG zugrunde.

OLG München zur Beweisnot des Auftraggebers, wenn nicht AN sondern Drittfirma mit Wartungsvertrag beauftragt wird

OLG München zur Beweisnot des Auftraggebers, wenn nicht AN sondern Drittfirma mit Wartungsvertrag beauftragt wird

vorgestellt von Thomas Ax

Nach der Abnahme der Leistung muss der Auftraggeber darlegen und beweisen, dass der Auftragnehmer für einen Mangel verantwortlich ist. Errichtet der Auftragnehmer im Jahr 2001/2002 eine Lüftungsanlage und wird er nicht mit der Wartung der Anlage beauftragt, kann aus einem im Jahr 2007 festgestellten Überdruck der Lüftungsanlage nicht auf einen Mangel der Leistung des Auftragnehmers rückgeschlossen werden.
OLG München, Urteil vom 27.04.2021 – 28 U 7117/19 Bau

vorhergehend:
LG München I, 13.11.2019 – Az. 18 O 22672/15
OLG München, Urteil vom 26.03.2013 – 28 U 2645/10

nachfolgend:
BGH, Beschluss vom 10.05.2023 – VII ZR 465/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Gründe:

I.

Die Klägerinnen nehmen im vorliegenden Verfahren die Beklagten in Regress im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben ###-Hochschule Ökologisches Bildungszentrum in ###.

Die Klägerin zu 1) wurde in einem Vorprozess als Planerin und Bauüberwacherin rechtskräftig zur Zahlung von etwa 760.000 Euro Schadensersatz verurteilt, da die errichtete Dachkonstruktion mangelbehaftet war; die Klägerin zu 2) ist die Haftpflichtversicherung der Klägerin zu 1).

Die Klägerinnen fordern nunmehr von an der Errichtung des Dachs beteiligten Unternehmern Ausgleichszahlungen. Das Landgericht München I verurteilte am 13.11.2019 – hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung – soweit im Berufungsverfahren von Relevanz die Beklagten zu 3) und 4) zur Zahlung eines Gesamtschuldnerausgleichs, da deren Werkleistungen an dem errichteten Dach mangelhaft gewesen seien:

• Die Beklagte zu 3) habe fehlerhaft bei der installierten Lüftungsanlage einen Überdruck eingestellt.

Der Beklagten zu 3) sei der Streit verkündet worden, sie hätte sich aber nicht am Vorprozess beteiligt und könne daher mit ihren Einwendungen nicht gehört werden. Der Fehler der Beklagten zu 3) sei bei dem vorzunehmenden Ausgleich mit 11.300 Euro anzusetzen, den diese der Klägerin zu 2) schulde.

Die weitergehenden Klageanträge – die Klägerin zu 1) forderte insgesamt 26.879,14 Euro, die Klägerin zu 2) 77.115,31 Euro – wurden abgewiesen.

Die Beklagte zu 4) habe die Einblasdämmung mangelhaft erstellt und hafte im selben Umfang wie die Beklagte zu 3), d. h. auf Zahlung von 11.300 Euro an die Klägerin zu 2).

Auch die Beklagte zu 4) sei aufgrund der Interventionswirkung an das Ergebnis des Vorprozesses gebunden. Die weitergehenden Klageanträge – die Klägerin zu 1) verlangte insgesamt 14.932,86 Euro, die Klägerin zu 2) 42.841,84 Euro – wurden abgewiesen.

Hiergegen wenden sich die Beklagten zu 3) und 4) jeweils mit ihrer Berufung; die Klägerinnen haben sich mit einer Anschlussberufung verteidigt.

Die Beklagte zu 3) macht mit ihrer Berufung geltend, dass zwar im Vorprozess festgestellt worden sei, dass die Lüftungsanlage fehlerhaft mit erheblichem Überdruck betrieben worden sei. Es stünde aber nicht fest, dass die Beklagte zu 3) hierfür die Verantwortung trage. Auch aus der Interventionswirkung ergebe sich nicht, dass die Beklagte zu 3) die “Betreiberin” der Lüftungsanlage gewesen sei. Auch habe die Beklagte zu 3) nicht erkennen können, dass ein Betreiben mit Überdruck zu einem Gebäudeschaden führen könne. Dies sei vom Sachverständigen### bestätigt worden.

Die Beklagte zu 4) argumentiert in ihrer Berufung, sie hafte nicht für die Mängel der Dachkonstruktion als “Gesamt“schuldnerin, da die Voraussetzungen des § 426 BGB nicht vorlägen. So bestünden bereits Schadensersatzansprüche dem Grunde nach nicht, da die Beklagte zu 4) niemals unter Fristsetzung zur Mangelbeseitigung aufgefordert worden sei; eine “Gleichstufigkeit” im Sinne des § 426 BGB könne nicht angenommen werden. Auch hätte die Klägerin zu 1) den Mangel – ungenügende Einblasdämmung – im Rahmen der Überwachung gar nicht feststellen können, so dass auch insoweit die Voraussetzungen der Gesamtschuld nicht vorlägen. Die vom Erstgericht angenommene Bindungswirkung gem. §§ 74, 68 ZPO könne schon deshalb nicht greifen, da ausdrücklich handwerkliche Mängel als Mitursache offen gelassen worden seien. Der Mangel sei zudem nicht kausal. Die Schäden wären bei richtiger Dachausbildung nicht und bei ordnungsgemäßer Leistung trotzdem eingetreten. Der Mitverschuldensanteil sei mit 1,5 % von untergeordneter Bedeutung.

Im Berufungsverfahren wird beantragt:

Die Beklagte zu 3) beantragt:

I. Das am 13.11.2019 verkündete Urteil des Landgerichts München I, Az.: 18 O 22672/15 wird aufgehoben, soweit die Beklagte zu 3) darin zur Zahlung in Höhe von Euro 11.300,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.11.2015 verurteilt wird.

II. Die Klage gegen die Beklagte zu 3) wird abgewiesen.

Die Beklagte zu 4) beantragt:

I. Das Urteil des Landgerichts München I, Az 18 O 22672/15 vom 13.11.2019, wird aufgehoben, soweit die Beklagte zu 4) in Ziff. 3 zur Zahlung von 11.300,00 nebst Zinsen und in Ziff. 5 zur Tragung von Kosten verurteilt worden ist.

II. Die Klage in Richtung gegen die Beklagte zu 4) wird kostenpflichtig abgewiesen.

Die Klägerinnen beantragen

die Berufungen der Beklagten zu 3) und 4) zurückzuweisen und im Wege der Anschlussberufung

I. Das Ausgangsurteil wird abgeändert und die Beklagte zu 3) verurteilt, folgende Beträge jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.11.2015 zu bezahlen:

1. an die Klägerin zu 1): 26.879,14 Euro;

2. an die Klägerin zu 2): 77.115,31 Euro.

II. Die Beklagte zu 4) wird verurteilt, folgende Beträge jeweils zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.11.2015 zu bezahlen:

1. an die Klägerin zu 1): 14.932,68 Euro;

2. an die Klägerin zu 2): 42.841,84 Euro.

III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 3) verpflichtet ist, jeden weiteren Betrag im Zusammenhang mit ihrer gesamtschuldnerischen Ausgleichsverpflichtung an die Klägerin zu 1) zu bezahlen, soweit dieser über die in Ziffer I.1 genannten Beträge hinausgeht.

IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 3) verpflichtet ist, jeden weiteren Betrag im Zusammenhang mit ihrer gesamtschuldnerischen Ausgleichsverpflichtung an die Klägerin zu 2) zu bezahlen, der über in Ziffer I.2 genannten Beträge hinausgeht.

V. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 4) verpflichtet ist, jeden weiteren Betrag im Zusammenhang mit ihrer gesamtschuldnerischen Ausgleichsverpflichtung an die Klägerin zu 1) zu bezahlen, der über die in Ziffer II.1 genannten Beträge hinausgeht.

VI. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 4) verpflichtet ist, jeden weiteren Betrag im Zusammenhang mit ihrer gesamtschuldnerischen Ausgleichsverpflichtung an die Klägerin zu 2) zu bezahlen, der über die Beträge in Ziffer II.2 hinausgeht.

Die Beklagten zu 3) und 4) beantragen

die Zurückweisung der Anschlussberufung.

Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass das Erstgericht zu Recht eine Bindungswirkung im Hinblick auf den Vorprozess angenommen habe. Im Übrigen seien die vom Erstgericht angesetzten Quoten jedoch willkürlich und nicht nachvollziehbar; es bestünde der Verdacht, dass das Erstgericht die Quoten so gebildet habe, dass es zu den identischen Beträgen wie im Vergleichsvorschlag gekommen sei.

Der Senat hat mit Verfügungen vom 9.3.2020 und 13.1.2021 Hinweise erteilt. Auf die Hinweise, die jeweiligen Berufungsbegründungen der Parteien und die eingereichten Gegenerklärungen wird Bezug genommen.

Auf Grund der Zustimmungserklärungen der Parteien wurde mit Beschluss vom 17.02.2021 eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren angeordnet. Mit Beschluss vom 16.03.2021 wurde die Frist, bis zu deren Ablauf Schriftsätze eingereicht werden konnten bis zum 17.03.2021 verlängert.

II.

1. Die Berufung der Beklagten zu 3) ist begründet, da die Klägerinnen ihr gegenüber keine Ansprüche aus § 426 BGB (in Richtung der Klägerin zu 2) i.V.m. § 86 VVG) haben.

Entsprechend ist auch die Anschlussberufung der Klägerinnen insoweit zurückzuweisen.

a. Zwischen der Klägerin zu 1) und der Beklagten zu 3) besteht kein Gesamtschuldverhältnis, da die Beklagte zu 3) neben der Klägerin zu 1) nicht haftet. Daher kommt es auf die weiteren Voraussetzungen der Gesamtschuld – insbesondere die Beantwortung der Frage nach der Gleichstufigkeit – nicht an.

(1) Die Klägerin zu 1) haftet ausweislich der rechtskräftigen Senatsentscheidung der Bauherrin – ### ###-Hochschule – wegen Planungsfehlern auf Schadensersatz in Höhe von 755.443,87 Euro (Az. 28 U 2645/10, Endurteil des Oberlandesgerichts München vom 26.3.2013).

(2) Die Beklagte zu 3) haftet gegenüber der Bauherrin jedoch nicht wegen Fehlern an der Lüftungsanlage.

aa. Entgegen der Ansicht der Klägerinnen folgt aus der Interventionswirkung des §§ 74, 68 ZPO nicht, dass die Beklagte zu 3) für einen Betrieb mit Überdruck verantwortlich ist (auf die weitergehenden Einzelheiten des Senatshinweises wird Bezug genommen).

[1] Die Beklagte zu 3) ist an die rechtskräftige Entscheidung des Vorprozesses gebunden.

Der Beklagten zu 3) wurde von der Klägerin zu 1) im Vorprozess der Streit verkündet, so dass der Anwendungsbereich des § 68 ZPO im Hinblick auf § 74 Abs. 2 ZPO grundsätzlich eröffnet ist.

[2] Die Bindungswirkung umfasst entgegen der Ansicht der Klägerinnen aber keine handwerklichen Ausführungsfehler.

Für die Fiktion der Richtigkeit der Entscheidung des Vorprozesses ist in erster Linie die Entscheidung des Berufungsgerichts maßgeblich. Auf die erstinstanzliche Entscheidung kann nur abgestellt werden, soweit sie nicht angefochten oder vom Berufungsgericht inhaltlich bestätigt wurde.

Das Oberlandesgericht hat die Feststellungen des Erstgerichts seinerzeit gerade nicht bestätigt, dass die Klägerin zu 1) gegen ihre Verpflichtung zur Bauüberwachung verstoßen habe. Fehler der Bauüberwachung setzen bestimmte handwerkliche Fehler – wie beispielsweise die fehlerhafte Einstellung der Lüftungsanlage mit Überdruck – voraus, die der begleitende Planer – d. h. Klägerin zu 1) – hätte erkennen können und müssen. Das Oberlandesgericht hat im Vorprozess die Klägerin zu 1) aber allein wegen Planungsfehlern verurteilt; die weitere Aufklärung von Ausführungsfehlern, die eine Bauüberwachungshaftung hätte begründen können, war nicht mehr geboten, da solche für die Entscheidung des Vorprozesses nicht erheblich waren. Da eine Verurteilung wegen einer mangelhaften Bauüberwachung nicht erfolgte, wurden denknotwendig handwerkliche Fehler nicht festgestellt, auf die sich die Klägerinnen berufen könnten.

bb. Die Klägerinnen konnten den sie treffenden Nachweis nicht führen, dass die Beklagte zu 3) gegenüber der Bauherrin für den Betrieb der Lüftungsanlage mit Überdruck aus Gewährleistungsrechten gemäß § 634 BGB verantwortlich war.

[1] Die Feststellungen des Sachverständigen sind für einen Nachweis nicht ausreichend.

Der Sachverständige hat in seinem Ortstermin am 29.1.2007 einen Betrieb der Lüftungsanlage mit Überdruck festgestellt. Da die Beklagte zu 3) aber die Anlage im Jahr 2001 errichtet und am 5.12.2002 programmiert hatte und danach für die Wartung der Anlage nicht beauftragt war, kann aus den Feststellungen des Sachverständigen nicht auf einen Mangel rückgeschlossen werden.

[2] Die Klägerinnen tragen die Beweislast dafür, dass die Beklagte zu 3) bei der Lüftungsanlage fehlerhaft einen Überdruck eingestellt habt.

Der unstreitig letzte Zugriff der Beklagten zu 3) war die Programmierung im Jahr 2002; in der Folgezeit war diese für die Wartung nicht verantwortlich (Wertung des § 640 BGB).

Jedenfalls haben die Klägerinnen sich hierzu nicht ausreichend erklärt. Da die Beklagte zu 3) ihre Programmierung detailliert schlüssig dargetan hat und über einen Zeitraum von mehreren Jahren keinen Zugriff auf die Anlage hatte, hätten die Klägerinnen konkret (§ 138 Abs. 3 ZPO) erwidern und darlegen müssen, welche Arbeiten durch wen und wann im Verantwortungsbereich der Beklagten zu 3) an der Anlage nach dem 5.12.2002 durchgeführt wurden. Hierzu fehlt ein ausreichend substantiierter Vortrag.

Auch haben sich die Klägerinnen weder ausreichend und und noch dazu widersprüchlich zu den tatsächlich behaupteten Einstellwerten erklärt. Die Beklagte zu 3) hat nachvollziehbar dargelegt, dass auf Betreiben der verantwortlichen Stadtwerke die Lüftungsanlage eingerichtet wurde; die Klägerinnen haben zunächst die inhaltliche Richtigkeit in Abrede gestellt, sind aber (unter anderem im Schriftsatz vom 22.8.2017) davon ausgegangen, dass die behaupteten Einstellwerte mit Zu- und Abluft von jeweils 5.800 m? keinen Überdruck erzeugen; nunmehr (Schriftsatz vom 7.4.2021) wird ins Blaue hinein und nicht weiter nachvollziehbar behauptet, aus diesen Einstellwerten ergebe sich ein Überdruck. Dieser Vortrag ist für den Senat nicht mehr nachvollziehbar.

Für den Nachweis einer kausalen Verantwortlichkeit hätten die Klägerinnen darlegen müssen, dass die Beklagte zu 3) die Lüftungsanlage eingestellt hat, die Einstellung über mehrere Jahre nie verändert wurde und dass die so unveränderte Einstellung fehlerhaft war. Trotz wiederholter Aufforderung durch den Senat haben die Klägerinnen sich zu keinem Zeitpunkt zu dem Aspekt der Wartung erklärt. Das verwundert umso mehr, als Lüftungsanlagen wartungsintensive Gewerke sind. Da – aufgrund des Vorbringens der Beklagten zu 3) – von einer regelmäßige Wartung gemäß § 138 Abs. 3 ZPO auszugehen ist, sind die Feststellungen des Sachverständigen als Nachweis für einen Mangel ungeeignet.

Soweit die Klägerinnen auf den Schriftsatz vom 23.8.2017 (richtig wohl 22.8.) verweisen, enthält dieser bereits das Zugeständnis, dass Einstellungen vorgenommen wurden, enthält aber keine konkrete Sachverhaltsschilderung und beschränkt sich im Übrigen auf ein unzulässiges Ausforschungsansinnen.

cc. Da die Klägerinnen somit nicht nachweisen konnten, dass auch die Beklagte zu 3) gegenüber der Bauherrin aus Gewährleistungsrechten gemäß § 634 BGB haftete, scheidet ein Gesamtschuldverhältnis aus und damit bestehen keine entsprechenden Regressansprüche aus § 426 BGB.

2. Da die Klägerinnen gegen die Beklagte zu 3) bereits dem Grunde nach keine Ansprüche haben, ist die Anschlussberufung der Klägerinnen entsprechend zurückzuweisen.

3. Da die Klägerin zu 2) gegen die Beklagte zu 4) einen Anspruch aus § 426 Abs. 1 BGB hat, ist die Berufung der Beklagten zu 4) zurückzuweisen. Da das Erstgericht den Anspruchsumfang zu gering festgesetzt hatte, ist die Anschlussberufung teilweise erfolgreich:

a. Zwischen der Klägerin zu 1) und der Beklagten zu 4) besteht ein Gesamtschuldverhältnis, da neben der Klägerin zu 1) auch die Beklagte zu 4) der Bauherrin gegenüber haftete. Auch die weitere Voraussetzung der Gesamtschuld – die Gleichstufigkeit – liegt vor.

(1) Die Klägerin zu 1) haftet ausweislich der rechtskräftigen Entscheidung wegen Planungsfehlern (Az. 28 U 2645/10, Endurteil des Oberlandesgerichts München vom 26.3.2013) der Bauherrin – ### ###-Hochschule GmbH – auf Schadensersatz in Höhe von 755.443,87 Euro.

(2) Die Beklagte zu 4) haftet der Bauherrin gegenüber aus Gewährleistungsrecht (§ 634 BGB).

aa. Eine Haftung dem Grunde nach folgt nicht bereits aufgrund der Interventionswirkung der Streitverkündung (§§ 74, 68 ZPO); auf obige Ausführungen im Prozessverhältnis Klägerinnen/Beklagte zu 3) wird Bezug genommen.

bb. Die Beklagte zu 4) haftet der Bauherrin gegenüber nach §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB wegen der Feuchtigkeitsschäden an der Dachkonstruktion, da die von ihr geschuldete Einblasdämmung in zu geringem Umfang hergestellt wurde:

[1] Die Beklagte zu 4) hat ihr Gewerk – Einblasdämmung – mangelhaft erstellt (§ 633 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGB).

So konnte der Sachverständige feststellen, dass die von der Beklagten zu 4) erstellte Einblasdämmung nicht ausreichend war, um den zu füllenden Hohlraum auszufüllen, wie es nach den anerkannten Regeln der Technik erforderlich gewesen wäre.

[2] Hierdurch ist dem Besteller – der Bauherrin – ein kausaler Schaden entstanden, da es an der Dachkonstruktion zu Feuchtigkeitsschäden kam. Hierbei handelt es sich um Mangelfolgeschäden, die zum Schadensersatz neben der Leistung rechnen.

Hiergegen argumentiert die Beklagten zu 4) allein rechtlich unzutreffend, ein größerer Ursachenbeitrag verdränge jeden kleineren Ursachenbeitrag; zum anderen verteidigt sie sich mit dem Einwand, der vom Sachverständigen ermittelte Ursachenbeitrag müsse angesichts der Dimensionierung von 5 % als vernachlässigbar angesehen werden.

Der Sachverständige ### hat in seinem Gutachten vom 16.2.2007 diverse Mängel festgestellt und konnte nachvollziehbar und überzeugend darlegen, dass diese jeweils für den Feuchtigkeitsschaden mitverantwortlich waren. So hat der Sachverständige nachvollziehbar herausgearbeitet, dass die größeren Ursachen die Mängel der Dampfbremsenfolie – diese war an zahlreichen Stellen durchstoßen und die eigentlich erforderliche Abdichtung hat gefehlt – und die Mängel an der Dampfbremse waren.

Anders als die Beklagte zu 4) aber meint, hat der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt, dass neben den vorgenannten Mängeln auch die nicht ausreichende Einblasdämmung und der Betrieb der Lüftungsanlage mit Überdruck einen nennenswerten Ursachenbeitrag gesetzt haben, während weitere Ursachen – fehlerhafte Dampfdiffusionsberechnung oder Flankendiffusionsproblematik – vernachlässigbare Ursachen gewesen seien.

Das überzeugt und es entspricht der alltäglichen Problematik bei komplexen Bauwerken, dass diverse Mängel bei der Entstehung eines größeren Gesamtschadens eine Rolle spielen. Ein Sachverständiger kann jeweils nur den mangelhaften “Ist-Zustand” ermitteln und aus sachverständiger Sicht darlegen, welcher Mangel dem Grunde nach geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Sodann kann der Sachverständige eine auf Grundlage seiner Sachkunde beruhende Einschätzung abgeben, ob ein Mangel so gravierend ist, dass andere Fehler vernachlässigbar sind oder aber ob gerade das Zusammenspiel der Mängel für den Schaden relevant wurde.

Die konkreten Darlegungen des Sachverständigen überzeugen. Die Schadensursache war eine nicht ausreichende Abdichtung, so dass Luftströmungen aus dem Rauminneren in die Dachkonstruktion gelangen konnten. Das liegt bei der Problematik der Dampfbremse, der ungenügenden Einblasdämmung aber auch bei dem Betrieb mit Überdruck letztlich auf der Hand, da hierdurch jeweils maßgeblich das Luftströmungsverhalten beeinflusst wird. Wenn nun der Sachverständige insoweit als Größenordnung für den Ursachenbeitrag 5 Prozent ermittelt hat, ist diese Größenordnung nicht zu beanstanden.

Es existiert kein Rechtssatz, dass ein Ursachenbeitrag von 5 % als rechtlich vernachlässigbar zu gelten hat. Zudem ist der Ansatz für den Senat so nicht verständlich, denn dies hätte zur Folge, dass derjenige, der einen größeren Ursachenbeitrag setzt, dann auch für Fehler der weiteren Beteiligten haften müsste. Das wird umso fragwürdiger, je größer ein Projekt wird und je mehr Verantwortliche daran beteiligt sind. Letztlich ist es eine sachverständige Bewertung, ob eine Ursache als vernachlässigbar ermittelt wird und genau das hat der Sachverständige an zwei Stellen nachvollziehbar dargelegt. Der Sachverständige hat diverse Mängel ermittelt, bestimmte als vernachlässigbar eingeschätzt und weitere als schadenskausal.

(3) Die jeweiligen Ansprüche sind gleichstufig.

Ein Gesamtschuldverhältnis setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass die Verpflichtungen der jeweiligen Schuldner nach der maßgeblichen Interessenlage des Gläubigers grundsätzlich inhaltsgleich sind und gleichstufig nebeneinander stehen; auf die Einzelheiten des Senatshinweises vom 9.3.2020 wird insoweit Bezug genommen.

aa. Im konkreten Fall haftet auf der einen Seite die Klägerin zu 1) als Architektin und sodann die Beklagte zu 4) als Werkunternehmerin.

bb. Soweit die Beklagte zu 4) meint, die Klägerin zu 1) als Architektin hafte monetär und sie als Unternehmerin zunächst auf Mangelbeseitigung, folgt der Senat dem nicht (auf die wertenden Erwägungen in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020, IV Mitverantwortung der Baubeteiligten, Rnr. 118 wird Bezug genommen, die der Gesetzgeber durch Schaffung des § 650 t BGB letztlich bestätigt hat). Die Beklagte zu 4) verkennt an dieser Stelle, dass aufgrund des obigen Ausführungsfehlers diese wegen der Schäden an der Dachkonstruktion haftet; die Schäden an der Dachkonstruktion sind nicht mit dem Mangel – ungenügende Einblasdämmung – oder dem von der Beklagten zu 4) geschuldeten Werk identisch, d.h. es liegt ein Mangelfolgeschaden vor. Insoweit haftet die Beklagte zu 4) unmittelbar auf Schadensersatz (§ 634 Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB).

(4) Für die Haftungshöhe ist zudem entscheidungserheblich, ob über § 254 BGB eine “verdrängende” Alleinhaftung der Klägerin zu 1) in Betracht kommt (vgl. insoweit Staudinger/Looschelders, 2017, BGB § 426 Rnr. 66).

Auf obige Ausführungen zur Kausalität wird Bezug genommen. Anders als die Beklagte zu 4), die allein auf die Verhältnisse zum Gesamtschaden abstellt, sind aus Sicht des Senats die Besonderheiten des Werkvertrags maßgeblich, bei dem diverse Unternehmer in völlig unterschiedlichem Umfang an der Entstehung eines Gesamtwerks mitwirken. Es würde “kleinere” Gewerkersteller völlig unbillig bevorteilen, würde man allein auf das Verhältnis zum Gesamtwerk abstellen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Bedeutung des Mangels zum konkret geschuldeten Gewerk, das Ausmaß der Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens u.s.w. Auch hat die Rechtsprechung die Geringfügigkeit über die “Unerheblichkeit” z. B. in § 323 Abs. 5 BGB konkretisiert.

Da im konkreten Fall der Ausführungsfehler der Beklagten zu 4) – zu geringer Umfang der Einblasdämmung – für deren Gewerk gravierend war, da die Abdichtung der zentrale Vertragsinhalt war, werden die Kosten nicht verdrängt.

(5) Das Erstgericht hat zutreffend die Hilfsaufrechnung der Beklagten zu 4) mit Ansprüchen aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss nicht berücksichtigt.

Das Landgericht hat insoweit eine Billigkeitsentscheidung getroffen und ein Aufrechnungsverbot aus § 242 BGB angenommen. Das ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte zu 4) ist entgegen ihrer Rolle als Gesamtschuldnerin dem Rechtsstreit auf Seiten der Bauherrin beigetreten und ist damit “gegen ihre Mitgesamtschuldnerin” vorgegangen. Durch die Steigerung des Prozesskostenrisikos hat sie jedenfalls die aus dem Gesamtschuldverhältnis folgenden Rücksichtnahmepflichten verletzt. Ob hierdurch der Klägerin zu 1) ein eigenständiger Schadensersatzanspruch entstanden ist, kann offen bleiben, da jedenfalls eine Aufrechnung treuwidrig ist.

Die Berufung der Beklagten zu 4) ist daher zurückzuweisen.

b. Da der Sachverständige als Haftungsquote 5 Prozent ermittelt hat, das Landgericht aber – ohne tragfähige Begründung – hiervon abgewichen ist und 2,5 Prozent zu Grunde gelegt hat, ist auf die Anschlussberufung hin der Betrag zu verdoppeln.

c. Die weitergehende Anschlussberufung war zurückzuweisen:

(1) Das Erstgericht hat zutreffend die Prozesskosten im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs nicht berücksichtigt; der Senat nimmt insoweit auf die Grundsatzentscheidung des OLG München, 9 U 2596/11 Bezug.

Die Klägerinnen verkennen an dieser Stelle, dass die Klägerin zu 1) als Architektin auch auf Grundlage einer fehlerhaften Planung berechtigt in Anspruch genommen wurde. Im Verhältnis zur Bauherrin hat die Klägerin zu 1) keine denkbaren Einwendungen im Hinblick auf mögliche Ausführungsfehler der weiter am Bau beteiligten Personen. Bereits vor diesem Hintergrund der “parallelen Haftung” ist die ablehnende Haltung der Klägerin zu 1) ihrer eigenen Prozessrisikoentscheidung geschuldet.

(2) Der Klägerin zu 1) stehen keine mit der Anschlussberufung geltend gemachten Ansprüche zu.

Soweit die Beklagt zu 4) haftet, stehen Ausgleichsansprüche gemäß § 86 VVG allein der Klägerin zu 2) zu. Schadensersatzansprüche, die über die gewährten Versicherungsleistungen hinausgehen, bestehen gerade nicht, da die Beklagte zu 4) nur im Umfang der tenorierten 22.600,00 Euro haftet.

(3) Hinsichtlich der Abweisung der Feststellungsanträge nimmt der Senat Bezug auf die Entscheidung des Erstgerichts.

Im Hinblick auf die Zeitdauer, die bisher geführten Rechtsstreitigkeiten und im Hinblick auf die eingeholten Gutachten ist nicht nachvollziehbar, warum weitere zu befürchtende Kosten im Raum stehen sollen. Letztlich findet sich – obwohl ein entsprechender Antrag gestellt wurde – auch keine Rechtfertigung hierzu in der Begründung der Anschlussberufung.

Die Anschlussberufung ist daher teilweise zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; der Ausspruch in Ziff. 3 “Rechtsstreit” umfasst auch das Berufungsverfahren.

Da dem Landgericht die Baumbach’sche Formel offenbar nicht bekannt ist, der Senat jedoch in die Kostenentscheidungen bezüglich der Beklagten zu1), 2) und 5) mangels deren Beteiligung am Berufungsverfahren nicht eingreifen will, beschränkt sich der Senat auf eine Abänderung der Kostenentscheidung des Landgerichts insoweit, als sie auf Grund der Abänderung des Ersturteils durch die Berufungsentscheidung zwingend geboten ist.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 3 ZPO i.V.m. §§ 47, 48 GKG.

Entscheidung im Volltext VK Bund: Aufhebung der Ausschreibung auch ohne Aufhebungsgrund?

Entscheidung im Volltext VK Bund: Aufhebung der Ausschreibung auch ohne Aufhebungsgrund?

vorgestellt von Thomas Ax

1. Ein öffentlicher Auftraggeber ist aufgrund eines einmal eingeleiteten Vergabeverfahrens grundsätzlich nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet. Auch dann, wenn kein Aufhebungsgrund nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VOB/A 2019 vorliegt, kann er von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen.

2. Nur in Ausnahmefällen kann ein Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens angenommen werden. Das ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung keinen sachlichen Grund vorweisen kann und sie deshalb willkürlich ist oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zu dem Zweck erfolgt, Bieter zu diskriminieren (hier verneint).
VK Bund, Beschluss vom 16.02.2023 – VK 1-1/23 (nicht bestandskräftig; Beschw: OLG Düsseldorf, Az. Verg 3/23)

Gründe:

I.

1. Die Antragsgegnerin führt derzeit europaweit ein offenes Verfahren zur Vergabe “Montage von Schutzplanken am Mittelstreifen und Außenrand […]” durch. Zuschlagskriterium ist der Preis.

Nach Ziffer 5 der Aufforderung zur Angebotsabgabe war die Abgabe mehrerer Hauptangebote zugelassen. In der Baubeschreibung hieß es unter:

“Ziffer 1.1.1 Zweck, Nutzung

[…]

Am rechten Fahrbahnrand ist in den Abschnitten mit Dammböschung das System […]

Im Mittelstreifen wird in beiden RS hauptsächlich das System […] montiert. […]

Ziffer 1.1.2 Art und Umfang

[…]

Es wird die Verwendung von RAL Systemen gefordert, da die Bemessung der Außenkappe hinsichtlich der Lasteinwirkung des Systems […] bemessen wurde.

Zudem erfolgt nur die Wertung von RAL-Systemen, um die Anzahl der Übergänge und Systeme zu minimieren, da im Bestand ausschließlich RAL-Systeme vorhanden sind. Mit der Montage des Systems […] wird dem schmalen Bankett im Dammbereich Rechnung getragen.

[…]

Ziffer 3.5 Stoffe, Bauteile

[…]

Schutzplankenkonstruktionsteile sind gemäß dem zugehörigen Prüfbericht nach DIN EN 1317, den TL-SP oder den RAL RG 620 zu liefern und fachgerecht unter Beachtung der ZTV-FRS 2013 zu montieren und müssen mit den Angaben in der Einbauanleitung übereinstimmen.

Für Schutzplankenteile anderer neuer Stahlsysteme, die nicht in TL-SP oder RAL RG 620 enthalten und güteüberwacht sind, ist die Gleichwertigkeit (z.B. Eigenüberwachung, Fremdüberwachung, Herstellerkennzeichnung) mit Angebotsabgabe nachzuweisen. […]”

In den Positionen 01.00.0002 bis 0005 des Leistungsverzeichnisses waren jeweils konkrete Schutzeinrichtungssysteme ([…]) für die Schutzplankensysteme vorgegeben, ebenso in den Positionen 01.00.0012 bis 0014 für die sogenannten Übergangskonstruktionen.

Die Antragstellerin reichte zwei Hauptangebote ein. Das Hauptangebot Nr. 2 enthielt die im Leistungsverzeichnis aufgeführten Produkte (Schutzeinrichtungen) und lag nach der Submission auf dem dritten Rang. Mit ihrem Hauptangebot Nr. 1 bot die Antragstellerin andere als die im Leistungsverzeichnis bezeichneten Schutzeinrichtungen an. Es handelte sich hier um die Positionen 01.00.0002, 01.00.0004, 01.00.0005 und 01.00.0012 bis 01.00.0014, in denen die Antragstellerin jeweils Produkte ihres Systems “[…]” anbot. Das Hauptangebot Nr. 1 lag auf dem ersten Rang.

Mit Bieterinformationsschreiben vom 7. Dezember 2022 teilte die Antragsgegnerin gemäß § 134 GWB der Antragstellerin mit, dass der Zuschlag nicht auf ihr Angebot erteilt werden könne, da es nicht das wirtschaftlichste sei. Für den Zuschlag sei das Angebot eines anderen Bieters vorgesehen.

Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 8. Dezember 2022 die geplante Zuschlagserteilung und verwies auf ihr nach der Submission an erster Stelle liegendes Hauptangebot Nr. 1. Die Antragsgegnerin teilte am 14. Dezember 2022 mit, das Hauptangebot Nr. 1 sei von der Vergabe ausgeschlossen worden. Eine Bieterverständigung gemäß § 19 EU VOB/A sei versehentlich nicht versandt worden. Als Ausschlussgrund wurde mitgeteilt, dass das Hauptangebot Nr. 1 in den Ordnungsziffern 01.00.0002, 0004, 0005, 0012 bis 0014 von den Ausschreibungsunterlagen abweiche. Die in der Baubeschreibung geforderte RAL-Zertifizierung der Systeme (Seiten 6 und 7) läge bei den angebotenen Fabrikaten nicht vor.

Mit Schreiben vom 14. Dezember 2022 teilte die Antragsgegnerin im Rahmen einer “Verständigung der Bieter” mit, dass das Angebot der Antragstellerin ausgeschlossen worden sei, weil es gemäß § 16 EU Nr. 8 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 3 Satz 3 VOB/A aus sich heraus nicht zuschlagsfähig sei. Mit weiterem Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 14. Dezember 2022 teilte die Antragsgegnerin mit, der Antragstellerin werde der Zuschlag nicht erteilt, weil sie nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Zudem versandte die Antragsgegnerin am selben Tag eine Information, mit der sie die Antragstellerin detailliert über die Ausschlussgründe in Bezug auf deren Hauptangebot Nr. 1 unterrichtete.

Am 19. Dezember 2022 rügte die Antragstellerin mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten, ihr Hauptangebot Nr. 1 sei uneingeschränkt zuschlagsfähig.

Am 21. Dezember 2022 hob die Antragsgegnerin die Ausschreibung auf. Grund sei, dass die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssten (§ 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A). Das Beschaffungsinteresse des Auftragsgebers in den Ausschreibungsunterlagen sei nicht korrekt abgebildet worden. Daher seien Leistungsverzeichnis und Baubeschreibung anzupassen. Die EU-Bekanntmachung wurde am 29. Dezember 2022 im Amtsblatt veröffentlicht (einschließlich eines Links zu den Vergabeunterlagen). Es ist nunmehr nur noch ein Hauptangebot zugelassen. In der geänderten Baubeschreibung heißt es:

“Ziffer 1.1.1 Zweck, Nutzung

[…]

Am rechten Fahrbahnrand wird in den Abschnitten mit Dammböschung ein System H1W4A, welches einen Nachweis für den Einsatz bei beengten Verhältnissen (schmales Bankett) an abfallender Böschung gemäß “Technische Übersichtsliste für Fahrzeug-Rückhaltesysteme in Deutschland”, Stand: 03.03.2022 besitzt (siehe 3.12), montiert.

Im Mittelstreifen wird in beiden FR hauptsächlich ein System H1W4A montiert.

[…]

Ziffer 1.1.2 Art und Umfang

[…]

Um eine schnelle Verfügbarkeit von Ersatzteilen und dem Fördern des Wettbewerbs bei späteren Reparaturaufträgen zu erreichen, ist es erforderlich, dass die anzubietenden Schutzplanken-Systeme mind. von drei Herstellern gefertigt werden müssen. […]

Ziffer 3 Angaben zur Ausführung

[…]

Im Sinne einer schnellst- und größtmöglichen Verfügbarkeit von Ersatzteilen sowie einer Förderung des Wettbewerbs bei künftigen Reparaturaufträgen dürfen jeweils nur solche Schutzeinrichtungssysteme aus Stahl angeboten und eingesetzt werden, die zum Zeitpunkt des Ablaufs der Angebotsfrist von mindestens drei verschiedenen Herstellern produziert werden. […]”

In den Positionen 01.00.0001, 0002, 0004 und 0005 des Leistungsverzeichnisses werden nun Schutzeinrichtungen nach den “Technischen Kriterien für den Einsatz von Fahrzeug- Rückhaltesystemen in Deutschland” einschließlich u.a. Angaben zur Aufhaltestufe, Wirkungsbereichsklasse und Anprallheftigkeitsstufe vorgegeben. In den Positionen 01.00.0012 bis 0014 für die sogenannten Übergangskonstruktionen lautet die Vorgabe ÜK/ÜE mit “H1W4A” bzw. “H2W4B”.

Am 29. Dezember 2022 rügte die Antragstellerin die Aufhebungsmitteilung der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin wies die Rüge am 30. Dezember 2022 zurück. Nach der Prüfung der geänderten Vergabeunterlagen rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 12. Januar 2023, dass das Anbieten anderer Schutzeinrichtungen als derjenigen, die in der ersten Ausschreibung als Leitprodukt angegeben waren, auch schon seinerzeit möglich gewesen sei und sich aus der neuen Ausschreibung keine technischen Veränderungen im Vergleich zur Altausschreibung ergeben würden.

2. Die Antragstellerin beantragte am 12. Januar 2023 mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am nächsten Tag an die Antragsgegnerin übermittelt.

a) Der Nachprüfungsantrag ist nach Auffassung der Antragstellerin zulässig und begründet.

Rügeversäumnisse liegen nach ihrer Auffassung nicht vor. Die Antragsgegnerin habe das ursprüngliche Verfahren am 21. Dezember 2022 aufgehoben. Dieses sei damit beendet. Die Aufhebung stelle keine Rügezurückweisung der ursprünglichen Rügen der Antragstellerin bezüglich des Ausschlusses ihres Hauptangebots Nr. 1 dar.

Die Aufhebung der Ausschreibung sei zu revidieren und das Vergabeverfahren fortzuführen. Ein öffentlicher Auftraggeber könne zwar eine Ausschreibung auch ohne einen zur Aufhebung berechtigenden Grund (§ 17 EU Abs. 1 VOB/A) wirksam aufheben, dies gelte allerdings nicht, wenn die Aufhebung willkürlich erscheine oder wenn bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Aufhebung das Ziel hatte, ein bestimmtes Angebot nicht zu bezuschlagen. Hier liege eine willkürliche Aufhebung vor. Die Antragsgegnerin wolle das zuschlagsfähige Hauptangebot Nr. 1 der Antragstellerin unberücksichtigt lassen bei gleichzeitig unveränderten Beschaffungsabsichten. Das im Hauptangebot Nr. 1 angebotene Produkt habe bereits allen geforderten technischen Vorgaben entsprochen. Die von der Antragsgegnerin angeführte vollständige Produktneutralität habe zu keiner wesentlichen Änderung der Vergabeunterlagen geführt. Es seien nur die bisherigen Produktvorgaben entfernt worden. Alle Bieter könnten zwar nach dem neuen Amtsvorschlag produktoffen anbieten, dies sei in der aufgehobenen Ausschreibung allerdings auch bereits der Fall gewesen sei, weil weitere Hauptangebote zugelassen waren. Der Antragsgegnerin gehe es bei der Aufhebung darum, nur denjenigen Bietern die Teilnahme am Wettbewerb zu ermöglichen, die sog. RAL-Produkte anbieten und daher die ausgeschriebenen Konstruktionen zu “einheitlichen Preisen” beziehen könnten. Der Antragsgegnerin gehe es um die neun Hersteller, die von der “Gütegemeinschaft Stahlschutzplanken e.V.” lizensiert würden. Diese sollten mit der RAL-Vorgabe im Wettbewerb privilegiert werden.

Die von der Antragstellerin angebotenen Schutzplanken im Hauptangebot Nr. 1 genügten den Vorgaben nach Ziffer 3.5 der alten (Seite 23) und neuen Baubeschreibung. Zugelassen seien Produkte nach DIN EN 1317, den Technischen Lieferbedingungen für Stahlschutzplanke (TL-SP) oder den RAL RG 620. Ein Gleichwertigkeitsnachweis sei im Hauptangebot nicht zu führen.

Die Antragstellerin erfülle zudem für die Produktfamilie “[…]” auch die neue Anforderung der “Drei-Hersteller-Klausel”, mit zwei weiteren Unternehmen aus dem europäischen Ausland.

Vergaberechtlich seien nach wie vor die Folgekosten nicht berücksichtigt. Die reinen Reparaturunternehmen stellten die weitaus größte Anzahl der sog. Schutzplankenunternehmen dar. Sie reparierten unabhängig davon, wer der Hersteller der beschädigten Konstruktion gewesen sei.

Die Antragstellerin beantragt über ihre Verfahrensbevollmächtigten,

1. der Antragsgegnerin aufzugeben, die am 21. Dezember 2022 vorgenommene Aufhebung des offenen Verfahrens nach EU-Bekanntmachung Nr. […] aufzuheben,

2. die Antragsgegnerin weiter zu verpflichten, erneut in die Wertung der in dem aufgehobenen Vergabeverfahren eingegangenen Angebote einzutreten und ebenso erneut das zweite Hauptangebot der Antragstellerin, Hauptangebot Nr. 1, neu zu werten,

3. hilfsweise sonstige geeignete Maßnahmen anzuordnen, um eine Rechtsverletzung auf Seiten der Antragstellerin zu verhindern,

4. schließlich der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen und auszusprechen, dass für diese die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren erforderlich ist.

In der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 2023 beantragt der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin zudem hilfsweise festzustellen, dass die Aufhebung der verfahrensgegenständlichen Ausschreibung rechtswidrig gewesen ist.

b) Die Antragsgegnerin beantragt über ihren Verfahrensbevollmächtigten,

1. den Nachprüfungsantrag als unzulässig, mindestens als unbegründet zurückzuweisen,

2. der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen und auszusprechen, dass für diese die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren erforderlich ist.

In der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 2023 beantragt die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin den gestellten Hilfsantrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung zurückzuweisen.

Unabhängig von der Tatsache, dass die Aufhebung zulässigerweise erfolgt sei, fehle es der Antragstellerin an der erforderlichen Antragsbefugnis. Aufgrund des rechtmäßigen Ausschlusses des Hauptangebots Nr. 1 drohe der Antragstellerin durch die Aufhebung der Ausschreibung kein Schaden, weil auf dieses Angebot kein Zuschlag mehr ergehen könne. Außerdem habe die Antragstellerin weder die Ausschluss- noch die Aufhebungsentscheidung der Antragsgegnerin rechtzeitig gerügt. Zudem könne der Ausschluss vom Vergabeverfahren auch nicht mehr angegriffen werden, weil insoweit Verfristung gemäß § 160 Abs. Nr. 4 GWB eingetreten sei, denn die Mitteilung der Aufhebung am 21. Dezember 2022 sei zugleich eine Nichtabhilfemitteilung in Bezug auf den von der Antragstellerin zuvor gerügten Ausschluss.

Der Antrag auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens ist nach Auffassung der Antragsgegnerin zudem unbegründet. Es bestehe kein Zwang zum Abschluss des Vertrages. Der öffentliche Auftraggeber könne ein Verfahren auch dann wirksamaufheben, wenn er den Grund selbst verantworte. Die Aufhebung eines Vergabeverfahrens sei selbst bei Rechtswidrigkeit wirksam. Ein Anspruch auf Aufhebung der Aufhebung bestehe somit nicht. Etwas anderes gelte nur, wenn er bei seiner Aufhebungsentscheidung gegen die Grundprinzipien des Vergaberechts verstoße. Dies seien insbesondere die Fälle der sog. Scheinaufhebung, die mit dem Ziel der vorsätzlichen Diskriminierung eines Unternehmens erfolgen würden.

Hier spreche gegen eine Scheinaufhebung schon die Tatsache, dass die Antragsgegnerin eine geänderte Neuausschreibung vorgenommen habe. Neben der Änderung bestimmter LV-Positionen von produktspezifisch in produktneutral, seien in der neuen Baubeschreibung wichtige Vorgaben ergänzt worden (“dürfen nur solche Schutzeinrichtungssysteme aus Stahl angeboten und eingesetzt werden, die zum Zeitpunkt des Ablaufs der Angebotsfrist von mindestens 3 verschiedenen Herstellern produziert wurden”). Das von der Antragstellerin angebotene Produkt “[…]” weise hingegen nur einen Hersteller auf. Dies diene nicht dem Beschaffungsinteresse. In der Praxis sei es wichtig, dass ein Produkt angeboten werde, dass mindestens bei 3 Herstellern bezogen werden könne. Diese essentielle Anforderung sei in der Ausschreibung nicht klar ersichtlich gewesen, obwohl sie jedem fachkundigen Bieter bekannt sei bzw. sein müsse.

Zum rechtmäßigen Ausschluss des Angebots der Antragstellerin im aufgehobenen Vergabeverfahren trägt die Antragsgegnerin vor, dass das Angebot der Antragstellerin nicht bedingungsgemäß gewesen sei. Sie habe ein Produkt angeboten, das “gewerblichen Schutzrechten” unterliege, da außer ihr kein anderer Hersteller dieses Produkt anbiete. Sie erfülle nicht die von der Antragsgegnerin gewünschten Produkteigenschaften. Die Antragstellerin habe ferner die Gleichwertigkeit mit dem ausgeschriebenen Leitfabrikat nicht mit ihrem Angebot nachgewiesen. Nach den Vergabeunterlagen sei sie dazu verpflichtet gewesen. Die Produkte in den Positionen 01.00.0002, 0004, 0005 wiesen keine RAL-Zertifizierung auf und entsprächen damit nicht den Anforderungen. Die Vorgabe der Verwendung von RAL-Systemen beruhe auf dem Grundsatz einer nachhaltigen Wirtschaftlichkeit. RAL-Systeme böten “die Möglichkeit für alle der Gütergemeinschaft Stahlschutzplanken angehörigen Firmen, diese zu einem einheitlichen Einkaufspreis zu beziehen”. Aufgrund der Vorgabe des konkreten Produkts mit RAL-Zertifikat sei es nicht nötig gewesen, in den Vergabeunterlagen eine gesonderte RAL-Zertifizierung zu fordern.

Die Vergabekammer hat der Antragstellerin nach vorheriger Zustimmung der Antragsgegnerin Einsicht in die Vergabeakten gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren.

In der mündlichen Verhandlung am 7. Februar 2023 hatten die Beteiligten Gelegenheit, ihre Standpunkte darzulegen und mit der Vergabekammer umfassend zu erörtern.

Die Antragsgegnerin hat Gelegenheit erhalten, zu dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag der Antragstellerin bis zum 10. Februar 2023 Stellung zu nehmen. Sie hat daraufhin mit Schriftsatz vom 9. Februar 2023 vorgetragen, dass sie die Aufhebung für wirksam hält. Die Aufhebung sei wegen grundlegender Änderung der Vergabeunterlagen erforderlich gewesen. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A lägen vor, die Umstände seien zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens nicht vorhersehbar und vom öffentlichen Auftraggeber nicht zu verantworten gewesen. Die Antragstellerin hat Frist bis zum 14. Februar 2023, 14 Uhr, erhalten, hierzu Stellung zu nehmen und mit Schriftsatz vom 13. Februar 2023 eine schriftsätzliche Stellungnahme abgegeben.

Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakten der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Der zulässige Nachprüfungsantrag, der auf die Fortsetzung des Vergabeverfahrens gerichtet ist, ist im Hauptantrag als unbegründet zurückzuweisen. Der hilfsweise Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebungsentscheidung ist mangels Darlegung eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses unzulässig.

1. Der Nachprüfungsantrag ist im Hauptantrag zulässig, aber unbegründet. Die Aufhebung der Ausschreibung ist wirksam. Eine Fortsetzung des aufgehobenen Vergabeverfahrens kann die Antragstellerin nicht beanspruchen.

a) Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

aa) Die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB. Sie macht geltend, durch die Aufhebungsentscheidung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt zu sein. Ihr Interesse an der Fortsetzung des aufgehobenen Vergabeverfahrens hat sie durch ihr Hauptangebot Nr. 1 dokumentiert, das nach der Submission – der Preis ist einziges Zuschlagskriterium – an erster Stelle liegt.

Der Antragstellerin droht durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften infolge der Aufhebung der Ausschreibung ein Schaden gemäß § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB.

Es ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht davon auszugehen, dass das Hauptangebot Nr. 1 der Antragstellerin im aufgehobenen Vergabeverfahren zwingend auszuschließen war. Für die im Rahmen der Antragsbefugnis vorzunehmende Prüfung eines drohenden Schadens kann vorliegend nicht eindeutig festgestellt werden, dass das Hauptangebot Nr. 1 einen Ausschlussgrund verwirklicht und daher im Hinblick auf die von der Antragstellerin begehrte Aufhebung der Aufhebungsentscheidung ein Schaden ausgeschlossen ist. Die Antragstellerin ging aufgrund der Vorgaben in den Vergabeunterlagen grundsätzlich zu Recht davon aus, dass sie mehrere Hauptangebote abgeben durfte: So waren nach der Angebotsaufforderung mehrere Hauptangebote explizit zugelassen. Die Antragstellerin konnte aufgrund weiterer Angaben in der Baubeschreibung darauf schließen, dass sie deshalb auch alternative Schutzplankenprodukte (ohne RAL- Gütesiegel) anbieten durfte. Es konnten nach Ziffer 3.5 der alten (und neuen) Baubeschreibung Schutzplankenkonstruktionsteile gemäß dem zugehörigen Prüfbericht alternativ nach DIN EN 1317, den TL-SP oder den RAL RG 620 geliefert und montiert werden. Für Schutzplankenteile anderer neuer Stahlsysteme, die nicht in TL-SP oder RAL RG 620 enthalten und güteüberwacht sind, war ein Nachweis der Gleichwertigkeit (z.B. Eigenüberwachung, Fremdüberwachung, Herstellerkennzeichnung) mit Angebotsabgabe möglich. Zwar waren in den Positionen 01.00.0002 bis 0005 des Leistungsverzeichnisses jeweils konkrete Produktvorgaben ohne Hinweis “oder gleichwertig” für die Schutzplankensysteme ([…]) vorgegeben, ebenso in den Positionen 01.00.0012 bis 0014 für die sogenannten Übergangskonstruktionen. An anderer Stelle war die Verwendung von RAL-Systemen vorgegeben. Dies widerspricht aber den Angaben in Ziffer 3.5. Im Ergebnis stellen sich die Vergabeunterlagen als nicht hinreichend eindeutig dar. Aufgrund der Unklarheiten in Baubeschreibung und Leistungsverzeichnis kann – jedenfalls nicht im Sinne eines fehlenden Schadens gemäß § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB – zu Lasten der Antragstellerin von einem Ausschluss ihres Angebots im aufgehobenen Verfahren ausgegangen werden. Ihr droht somit durch die Aufhebung der Ausschreibung ein Schaden.

bb) Die Antragstellerin hat die geltend gemachten Vergaberechtsverstöße rechtzeitig im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB gerügt. Sie hat die Ausschlussentscheidung bezüglich ihres Hauptangebots Nr. 1 nach der Übersendung der verschiedenen Schreiben der Antragsgegnerin vom 14. Dezember 2022 (Rügeantwort, Verständigung der Bieter, § 134 Abs. 1 GWB-Mitteilung) mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 19. Dezember 2022 rechtzeitig gerügt. Nach der Aufhebungsmitteilung vom 21. Dezember 2022 hat sie diese wiederum am 29. Dezember 2022 gerügt. Die weitere Rüge der Antragstellerin am 12. Januar 2023 erfolgte nach Kenntnisnahme und Prüfung der geänderten Vergabeunterlagen mit Schreiben vom 12. Januar 2023. Hierin hat sie detailliert gerügt, dass nach ihrer Auffassung das Anbieten anderer Schutzeinrichtungen als derjenigen, die in der ersten Ausschreibung als Leitprodukt angegeben waren, auch schon seinerzeit möglich gewesen sei und sich aus der neuen Ausschreibung keine technischen Veränderungen im Vergleich zur Altausschreibung ergeben würden. Von einer Präklusion nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB im Sinne einer positiven Kenntnis der geltend gemachten Vergabeverstöße bereits am Tag der erneuten EU-Bekanntmachung vom 29. Dezember 2022 ist dabei nicht auszugehen. Es ist vielmehr anzunehmen, dass die Antragstellerin über die bevorstehenden Feiertage – sie hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, es seien Betriebsferien gewesen – nicht bereits am 29. Dezember 2022 positive Kenntnis der von ihr am 12. Januar 2023 geltend gemachten Vergaberechtsverstöße erlangt hat. Vielmehr ist von einer Kenntnis frühestens ab dem 2. Januar 2023 und damit von einer Einhaltung der Frist von zehn Kalendertagen auszugehen. Auf die Rügefrist nach § 160 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB kommt es hier nicht an, da die Antragstellerin keine Vergabeverstöße im Rahmen der Folgeausschreibung geltend macht, sondern sich auf Vergabeverstöße im Verlauf eines aufgehobenen Vergabeverfahrens beruft, nämlich ihren unrechtmäßigen Ausschluss und die unzulässige Aufhebung der Vorgängerausschreibung.

cc) Nach Zurückweisung der Rüge vom 30. Dezember 2022 hat die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag am 12. Januar 2023 rechtzeitig gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB innerhalb vom 15 Kalendertagen gestellt.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die Mitteilung der Aufhebung am 21. Dezember 2022 nicht als Zurückweisung der Rüge vom 19. Dezember 2022 gegen die Ausschlussentscheidung anzusehen. Die 15-Tage-Frist lief daher nicht bereits am 5. Januar 2023 ab. Zum einen ist der Mitteilung der Aufhebung mit Standardschreiben an alle Bieter kein eigener Erklärungswert im Sinne einer Nichtabhilfe der Rüge vom 19. Dezember 2022 beizumessen. So bezieht sich die Antragsgegnerin vielmehr auf Fehler in ihrem eigenen Bereich (“Die näheren Einzelgründe für die Aufhebung sind, dass das Beschaffungsinteresse des Auftragsgebers in den Ausschreibungsunterlagen nicht korrekt abgebildet worden ist. Daher sind insbesondere das Leistungsverzeichnis und die Baubeschreibung anzupassen.”). Ein Bezug zur Rüge der Antragstellerin und Ausführungen zu Gründen einer Nichtabhilfe fehlen gänzlich.

Zum anderen fehlt es auch in formeller Hinsicht an einer korrekten Belehrung für den Rechtsbehelf nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB. Die 15-Tage-Frist lief daher nicht.

Während im Allgemeinen kein Hinweis der Vergabestelle auf die Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 GWB notwendig ist, hat der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung auf die 15-Tage-Frist, da es sich um eine Rechtsbehelfsfrist handelt (oder auf die Stelle, die darüber Informationen erteilen kann) hinzuweisen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19. März 2019, 13 Verg 7/18; Dicks in Ziekow/Völlink, 4. Aufl. 2020, § 160 Rn. 57 m.w.N.) So wurde hier weder in der ursprünglichen EU-Bekanntmachung noch in der neuen Bekanntmachung vom 29. Dezember 2022 auf die Rechtsbehelfsfrist hingewiesen. Auch in der Rügezurückweisung vom 30. Dezember 2022 erfolgte kein Hinweis auf die Frist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19. März 2019, 13 Verg 7/18 zur Nachholung in der Mitteilung der Rügezurückweisung).

b) Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Soweit die Antragstellerin mit ihrem Hauptantrag die Fortsetzung des Vergabeverfahrens begehrt, ist dieser Antrag als unbegründet zurückzuweisen. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren fortsetzt und die Wertung des Hauptangebots Nr. 1 unter Berücksichtigung ihrer Rügepunkte wiederholt.

aa) Ein öffentlicher Auftraggeber ist aufgrund eines einmal eingeleiteten Vergabeverfahrens grundsätzlich nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet. Auch dann, wenn kein Aufhebungsgrund nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VOB/A vorliegt, kann er von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen. Da ein Kontrahierungszwang der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers zuwiderlaufen würde, kann dieser deshalb jederzeit auf die Vergabe des Auftrags verzichten, unabhängig davon, ob die gesetzlich normierten Aufhebungsgründe erfüllt sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Dezember 2021 – Verg 12/21; Beschluss vom 10. Februar 2021 – Verg 22/20; Beschluss vom 17. April 2019 – Verg 36/18; vgl. auch Begründung der Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts, BT-Drucksache 18/731818 vom 20. Januar 2016, zu § 63 Abs. 1 VgV, S. 198 f.). Denn auch im Vergabeverfahren gilt der Grundsatz der Privatautonomie, nach dem der Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages ausschließlich in der Entscheidungsgewalt des Ausschreibenden liegt.

Eine Verpflichtung zur Vergabe von Aufträgen wäre zudem mit dem auch das Vergaberecht beherrschenden Grundsatz der Sparsamkeit und Effizienz bei der Verwendung öffentlicher Haushaltsmittel nicht zu vereinbaren (so schon BGH, Urteil vom 8. September 1998, X ZR 48/97). Eine Vergabestelle kann deshalb grundsätzlich von einem Beschaffungsvorhaben selbst dann Abstand nehmen, wenn dafür kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2013 – Verg 16/13).

Nur in Ausnahmefällen kann ein Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens angenommen werden. Das ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung keinen sachlichen Grund vorweisen kann und sie deshalb willkürlich ist oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zu dem Zweck erfolgt, Bieter zu diskriminieren (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13; zuletzt OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Dezember 2021 – Verg 12/21).

bb) Ein solcher Ausnahmefall, der der Antragstellerin einen Anspruch auf Fortsetzung des (alten) Vergabeverfahrens einräumen würde, ist hier nicht ersichtlich. Weder ist die Aufhebung der Ausschreibung ohne sachlichen Grund, das heißt willkürlich, noch verfolgt sie den Zweck die Antragstellerin zu diskriminieren und andere Bieter zu bevorzugen.

(1) Die Aufhebung war nicht willkürlich. Willkürlich ist die Aufhebung des Vergabeverfahrens nur dann, wenn sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Willkür liegt erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm in eklatanter Weise nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in eklatanter Weise missgedeutet wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Dezember 2021 – Verg 12/21). Hierfür liegen keine Anhaltspunkte vor. Die Antragsgegnerin kann sich auf sachliche Gründe für die Aufhebung berufen. So sind, wie bereits oben festgestellt (siehe unter lit. 1. a), die Vorgaben der Vergabeunterlagen nicht eindeutig, sondern an verschiedenen Stellen sowohl der Baubeschreibung als auch des Leistungsverzeichnisses widersprüchlich. So widersprechen sich die Vorgaben in Ziffer 3.5 und die Vorgaben einer RAL-Zertifizierung in Ziffer 1.2. Zudem weisen die Positionen 01.00.0001, 0002, 0004 und 0005 des Leistungsverzeichnisses ebenso wie die Positionen 01.00.0012 bis 0014 (sogenannte Übergangskonstruktionen) für die Schutzplankensysteme entgegen der Wahlmöglichkeit nach Ziffer 3.5 jeweils konkrete Produktvorgaben ohne Hinweis “oder gleichwertig” (System […]). Gründe für eine Abweichung vom Grundsatz der Produktneutralität der Leistungsbeschreibung gemäß § 7 EU Abs. 2 VOB/A sind vorliegend nicht ersichtlich und ergeben sich auch nicht aus der Vergabedokumentation. Gleichzeitig hatte die Antragsgegnerin aber die Abgabe mehrerer Hauptangebote zugelassen, was die Antragstellerin veranlasste, ein zweites Hauptangebot (“Nr. 1”) mit abweichenden Produkten anzubieten. Die Überarbeitung und Veränderung der Vergabeunterlagen dient nun aus Sicht der Antragsgegnerin dazu, die Vergabeunterlagen vergaberechtskonform zu gestalten und die vorhandenen Widersprüche zu beseitigen. Damit stellt die Antragsgegnerin ihren Beschaffungsbedarf in transparenter Weise und gleichermaßen verständlich für alle Bieter dar, was ein grundsätzlich anerkennenswertes Motiv ist.

Wenn die Antragstellerin der Auffassung ist, die Überarbeitung der Vergabeunterlagen in Form der Baubeschreibung und des Leistungsverzeichnisses stelle keine Änderung zum vorherigen Stand der Ausschreibung dar und sei deshalb schon willkürlich, ist dem nicht zu folgen. Zum einen hat die Antragsgegnerin die Abgabe mehrerer Hauptangebote nun ausgeschlossen. Gleichzeitig hat sie die Produktneutralität in den Positionen 01.00.0001, 0002, 0004 und 0005 des Leistungsverzeichnisses hergestellt.

Dort werden nun Schutzeinrichtungen nach den “Technischen Kriterien für den Einsatz von Fahrzeug-Rückhaltesystemen in Deutschland” einschließlich u.a. Angaben zur Aufhaltestufe, Wirkungsbereichsklasse und Anprallheftigkeitsstufe vorgegeben. In den Positionen 01.00.0012 bis 0014 für die sogenannten Übergangskonstruktionen lautet die Vorgabe nun produktneutral ÜK/ÜE mit “H1W4A” bzw. “H2W4B”. Daneben sind die zwingenden Vorgaben einer RAL-Zertifizierung (siehe Ziff 1.1.2 der Baubeschreibung des aufgehobenen Verfahrens) gestrichen worden. Damit besteht nun eindeutig und für sämtliche Interessenten transparent die Möglichkeit, auch andere Schutzplankensysteme neben dem zuvor vorgegebenen System […] anzubieten. Voraussetzung dafür ist, dass ein solches System die in der Leistungsbeschreibung angegebenen technischen Vorgaben erfüllt. Dafür, dass die nun formulierten technischen Anforderungen eine versteckte Produktvorgabe im Hinblick auf das bisherige System darstellen, hat die Antragstellerin nichts vorgetragen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin die Ausschreibung produktneutral geöffnet und die vorhandenen Widersprüche beseitigt hat.

(2) Auch liegt kein Fall einer Scheinaufhebung vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Aufhebung dazu dient, die Antragstellerin zu diskriminieren und andere Bieter zu bevorzugen, sind nicht ersichtlich. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin lediglich die formalen Voraussetzungen dafür schaffen will, den Auftrag an einen bestimmten Bieter oder generell an Mitglieder der Gütegemeinschaft Schutzplanken vergeben zu können. Vielmehr ist es so, dass die Ausschreibung nun so gestaltet ist, dass sie produktneutral ist und sich damit an alle geeigneten Anbieter von Schutzplankensystemen wendet, die die vorgegebenen technischen Anforderungen erfüllen.

2. Der auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung gerichtete Hilfsantrag ist statthaft, aber mangels Darlegung eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses unzulässig.

a) Der Feststellungsantrag ist statthaft. Ihm steht nicht entgegen, dass das Vergabeverfahren bereits vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens aufgehoben worden ist. In Fällen, in denen der Antragsteller mit dem Ziel der Erlangung des primären Vergaberechtsschutzes die Fortsetzung eines aufgehobenen Vergabeverfahrens zum Gegenstand einer Nachprüfung macht, sind Nachprüfungsinstanzen bei Vorliegen eines Feststellungsinteresses des Antragstellers auf dessen Antrag auch zur Feststellung der durch die Aufhebung eingetretenen Rechtsverletzung befugt, obwohl der Fall des nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB zulässigen Fortsetzungsfeststellungsantrages nicht vorliegt, weil die wirksame Aufhebung bereits erfolgt war, bevor der Nachprüfungsantrag gestellt wurde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Dezember 2021 – Verg 12/21 unter Verweis auf BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13). Dies ist auch hier der Fall.

b) Die Antragstellerin hat allerdings im Hinblick auf die in der mündlichen Verhandlung hilfsweise beantragte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung des Vergabeverfahrens bis zum Ablauf der Entscheidungsfrist kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung dargelegt. Ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Antrag auf Feststellung einer Rechtsverletzung gemäß § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB ist ein gesondertes Feststellungsinteresse, das vom Antragsteller darzulegen ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Dezember 2021 – Verg 12/21; Beschluss vom 07. August 2019 – Verg 9/19; Beschluss vom 22. Februar 2017 – Verg 29/16; Blöcker in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 168 Rn. 94). Das für den Antrag notwendige Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes nach vernünftigen Erwägungen und Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. August 2019 – Verg 9/19). Ein solches Feststellungsinteresse kann gegeben sein, wenn der Antrag der Vorbereitung einer Schadensersatzforderung dient, eine hinreichend konkrete, an objektiven Anhaltspunkten festzumachende Wiederholungsgefahr besteht oder die Feststellung zur Rehabilitierung des Bieters erforderlich ist, weil der angegriffenen Entscheidung ein diskriminierender Charakter zukommt. Das Feststellungsinteresse ist mit der Umstellung der ursprünglichen Anträge auf den Feststellungsantrag explizit zu begründen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Juni 2021 – Verg 43/20). Dies ist vorliegend nicht erfolgt. Die Antragstellerin hat ihren Antrag in der mündlichen Verhandlung nach Erörterung der Erfolgsaussichten des Hauptantrags gestellt, dabei aber keine Ausführungen zum Feststellungsinteresse gemacht. Sie hat, nachdem der Antragsgegnerin Schriftsatzfrist für eine Erwiderung auf den Feststellungsantrag erhalten hat, zu der erfolgten Erwiderung eine weitere Schriftsatzfrist, bis zum 14. Februar 2023 (zwei Tage vor Ablauf der Entscheidungsfrist gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 GWB) erhalten. Sodann hat sie mit Schriftsatz vom 13. Februar 2023 zwar noch materiell vorgetragen, allerdings wiederum keine Ausführungen zum Feststellungsinteresse gemacht.. Aufgrund des fehlenden Vortrags kann die Vergabekammer nicht von einem Feststellungsinteresse der Antragstellerin ausgehen. Der Antrag auf Feststellung ist somit unzulässig.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, 2, 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 VwVfG.

Die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) sowie die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung sind der Antragstellerin aufzuerlegen, da sie im Verfahren unterlegen ist.

Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 2 VwVfG ist außerdem zu bestimmen, ob die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin notwendig war. Dies ist vorliegend im Hinblick auf die Antragsgegnerin nicht der Fall.

Ob die Kosten eines Rechtsanwalts der Vergabestelle als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten erstattungsfähig sind, ist nach § 182 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG zu entscheiden. Danach sind Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

Über die Notwendigkeit der Hinzuziehung durch den öffentlichen Auftraggeber kann nicht schematisch, sondern nur auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls entschieden werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. September 2022 – Verg 15/22 sowie Beschluss vom 21. Dezember 2022 – Verg 37/22). Entscheidend ist, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen und hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen. Neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen können auch rein persönliche Umstände bestimmend sein (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. September 2022 – Verg 15/22 sowie Beschluss vom 21. Dezember 2022 – Verg 37/22). Im Rahmen der Abwägung ist insbesondere in Betracht zu ziehen, ob sich das Nachprüfungsverfahren hauptsächlich auf auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen einschließlich der dazugehörenden Vergaberegeln konzentriert. Ist das der Fall, besteht im Allgemeinen keine Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt einzuschalten. In seinem originären Aufgabenkreis muss sich der öffentliche Auftraggeber selbst die notwendigen Sach- und Rechtskenntnisse verschaffen und bedarf daher auch im Nachprüfungsverfahren nicht notwendig eines anwaltlichen Bevollmächtigten. Umgekehrt kann die Beteiligung eines Rechtsanwalts notwendig sein, wenn sich im Nachprüfungsverfahren nicht einfach gelagerte Rechtsfragen, insbesondere verfahrensrechtlicher oder solcher Art, die auf einer höheren Rechtsebene als jener der Vergabeverordnungen zu entscheiden sind. Insoweit kann auch berücksichtigt werden, inwieweit die Vergabestelle über geschultes Personal und Erfahrung mit Vergabeverfahren verfügt. Schließlich kann auch der Gesichtspunkt der so genannten prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung einfließen.

Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze und angesichts des Umstandes, dass die Antragsgegnerin zur Notwendigkeit der Hinzuziehung nicht weiter vorgetragen hat, war die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin hier nicht notwendig. Das Nachprüfungsverfahren betraf hier ganz überwiegend Fragen der Aufhebung einer Ausschreibung aufgrund einer notwendigen Änderung der Vergabeunterlagen sowie Fragen der Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, die allerdings in rechtlicher Hinsicht keine besondere Komplexität aufwiesen. Derartige Fragen sind dem originären Aufgabenbereich der Antragsgegnerin zuzurechnen. Deren Aufgabe ist maßgeblich die Errichtung und Erhaltung der Bundesautobahnen und damit die Vergabe baulicher Großprojekte. Insofern hat sie hierfür neben den technischen und wirtschaftlichen auch die erforderlichen vergaberechtlichen Kompetenzen vorzuhalten; im Bereich der jeweiligen Niederlassungen oder in ihrer Zentrale, auf die die einzelnen Niederlassungen zurückgreifen können (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Dezember 2022 – Verg 37/22). Insgesamt warf das Nachprüfungsverfahren keine schwierigen Rechtsfragen auf. Auch stellten sich aus technischer Sicht keine schwierigen Fragen der rechtlichen Subsumtion.

IV.

(…)

Kurz belichtet: BGH zur Haftung der Gemeinde für die Verletzung von Schutz- und Obhutspflichten bei Bauarbeiten nahe der Abwasserleitung durch einen von der Gemeinde beauftragten Unternehmer

Kurz belichtet: BGH zur Haftung der Gemeinde für die Verletzung von Schutz- und Obhutspflichten bei Bauarbeiten nahe der Abwasserleitung durch einen von der Gemeinde beauftragten Unternehmer

vorgestellt von Thomas Ax

a) Beim Betrieb einer gemeindlichen Abwasserkanalisation besteht zwischen der Gemeinde und dem einzelnen Anschlussnehmer ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis, das eine Haftung für Erfüllungsgehilfen entsprechend § 278 BGB begründen kann. In den Schutzbereich dieses Schuldverhältnisses ist auch der Mieter des angeschlossenen Grundstücks einbezogen.

b) Zur Haftung der Gemeinde für die Verletzung von Schutz- und Obhutspflichten bei Bauarbeiten nahe der Abwasserleitung durch einen von der Gemeinde beauftragten Unternehmer.

BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 – III ZR 303/05 – OLG Frankfurt a.M.
LG Wiesbaden

Kurz belichtet: BGH zur Haftung für einen Rückstauschaden

Kurz belichtet: BGH zur Haftung für einen Rückstauschaden

vorgestellt von Thomas Ax

a) Ein durch eine Verengung der Abwasserleitung verursachter Rückstauschaden, der durch eine – hier fehlende – Rückstaueinrichtung hätte verhindert werden können, liegt jedenfalls dann außerhalb des Schutzbereichs einer verletzten Pflicht, wenn der Anlieger nach der einschlägigen Satzung zum Einbau einer solchen Sicherung verpflichtet ist. Auf den Grund, weshalb es zu einem Rückstau im Leitungssystem gekommen ist, kommt es dann regelmäßig nicht an (Fortführung von Senat, Beschluss vom 30. Juli 1998 – III ZR 263/96, NVwZ 1998, 1218).

b) In diesen Fällen dürfen sowohl der Träger des Kanalisationsnetzes als auch von ihm mit Bauarbeiten an den Leitungen beauftragte Dritte auf die Einrichtung einer funktionsfähigen Rückstausicherung des Anliegers vertrauen.

BGH, Urteil vom 19. November 2020 – III ZR 134/19 – OLG Hamm LG Dortmund