Ax Vergaberecht

EuGH: Nachweis der Leistungsfähigkeit bei Eignungsleihe nicht erst nach Auftragsvergabe

EuGH: Nachweis der Leistungsfähigkeit bei Eignungsleihe nicht erst nach Auftragsvergabe

Art. 63 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit Art. 59 und dem 84. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24/EU ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nehmen möchte, die Unterlagen über die Befähigung dieses Unternehmens und dessen verpflichtende Zusage erst nach der Auftragsvergabe einreichen muss

EuGH, Beschluss vom 10.01.2023 – Rs. C-469/22

Beschluss

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65).

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA (im Folgenden: Ambisig) und der Fundação do Desporto wegen deren Entscheidung, Ambisig von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auszuschließen und den betreffenden Auftrag an die Link Consulting – Tecnologias de Informação SA (im Folgenden: Link) zu vergeben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Im 84. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 heißt es:

“Nach Auffassung vieler Wirtschaftsteilnehmer – und nicht zuletzt der [kleinen und mittleren Unternehmen] – ist eines der Haupthindernisse für ihre Beteiligung an öffentlichen Vergabeverfahren der Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit der Beibringung einer Vielzahl von Bescheinigungen oder anderen Dokumenten, die die Ausschluss- und Eignungskriterien betreffen. Eine Beschränkung der entsprechenden Anforderungen, beispielsweise durch die Verwendung einer Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung, die aus einer aktualisierten Eigenerklärung besteht, könnte eine erhebliche Vereinfachung zum Nutzen sowohl der öffentlichen Auftraggeber als auch der Wirtschaftsteilnehmer bedeuten.

Der Bieter, dem der Zuschlag erteilt werden soll, sollte jedoch die relevanten Nachweise vorlegen müssen; öffentliche Auftraggeber sollten keine Verträge mit Bietern schließen, die dazu nicht in der Lage sind. Öffentliche Auftraggeber sollten auch berechtigt sein, jederzeit sämtliche oder einen Teil der unterstützenden Unterlagen zu verlangen, wenn dies ihrer Ansicht nach zur angemessenen Durchführung des Verfahrens erforderlich ist. Insbesondere könnte dies der Fall sein bei zweistufigen Verfahren – nichtoffenen Verfahren, Verhandlungsverfahren, wettbewerblichen Dialogen und Innovationspartnerschaften -, bei denen die öffentlichen Auftraggeber von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Anzahl der zur Einreichung eines Angebots aufgeforderten Bewerber zu begrenzen. Zu verlangen, dass unterstützende Unterlagen zum Zeitpunkt der Auswahl der einzuladenden Bewerber vorgelegt werden, ließe sich damit begründen, zu vermeiden, dass öffentliche Auftraggeber Bewerber einladen, die sich später in der Vergabestufe als unfähig erweisen, die zusätzlichen Unterlagen einzureichen, und damit geeigneten Bewerbern die Möglichkeit der Teilnahme nehmen.

Es sollte ausdrücklich angegeben werden, dass die Einheitliche Europäische Eigenerklärung auch die relevanten Informationen hinsichtlich der Unternehmen, deren Kapazitäten ein Wirtschaftsteilnehmer in Anspruch nimmt, enthalten sollte, so dass die Überprüfung der Informationen über diese Unternehmen zusammen mit der Überprüfung bezüglich des Hauptwirtschaftsteilnehmers und unter den gleichen Voraussetzungen durchgeführt werden kann.”

Art. 57 dieser Richtlinie zählt die verschiedenen Gründe für den Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auf.

In Art. 59 (“Einheitliche Europäische Eigenerklärung”) der Richtlinie 2014/24 heißt es:

“(1) Zum Zeitpunkt der Übermittlung von Teilnahmeanträgen und Angeboten akzeptieren die öffentlichen Auftraggeber die Einheitliche Europäische Eigenerklärung in Form einer aktualisierten Eigenerklärung anstelle von Bescheinigungen von Behörden oder Dritten als vorläufigen Nachweis dafür, dass der jeweilige Wirtschaftsteilnehmer alle nachfolgend genannten Bedingungen erfüllt:

a) Er befindet sich in keiner der in Artikel 57 genannten Situationen, in der Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden oder ausgeschlossen werden können;

b) er erfüllt die einschlägigen Eignungskriterien nach Artikel 58;

c) er erfüllt gegebenenfalls die objektiven Regeln und Kriterien nach Artikel 65.

Nimmt der Wirtschaftsteilnehmer die Kapazitäten anderer Unternehmen gemäß Artikel 63 in Anspruch, so muss die Einheitliche Europäische Eigenerklärung auch die [im ersten Unterabsatz] des vorliegenden Absatzes genannten Informationen in Bezug auf diese Unternehmen enthalten.

Die Einheitliche Europäische Eigenerklärung besteht aus einer förmlichen Erklärung des Wirtschaftsteilnehmers, dass der jeweilige Ausschlussgrund nicht vorliegt und/oder dass das jeweilige Auswahlkriterium erfüllt ist, und enthält die einschlägigen vom öffentlichen Auftraggeber verlangten Informationen. Ferner sind darin der öffentliche Auftraggeber oder der für die Ausstellung der zusätzlichen Unterlagen zuständige Dritte genannt und es ist darin eine förmliche Erklärung enthalten, dass der Wirtschaftsteilnehmer in der Lage sein wird, auf Anfrage und unverzüglich diese zusätzlichen Unterlagen beizubringen.

(4) Ein öffentlicher Auftraggeber kann Bieter und Bewerber jederzeit während des Verfahrens auffordern, sämtliche oder einen Teil der zusätzlichen Unterlagen beizubringen, wenn dies zur angemessenen Durchführung des Verfahrens erforderlich ist.

Vor der Auftragsvergabe fordert der öffentliche Auftraggeber – außer in Bezug auf Aufträge, die auf Rahmenvereinbarungen beruhen, sofern diese Aufträge gemäß Artikel 33 Absatz 3 oder Artikel 33 Absatz 4 Buchstabe a geschlossen werden – den Bieter, an den er den Auftrag vergeben will, auf, aktualisierte zusätzliche Unterlagen gemäß Artikel 60 sowie erforderlichenfalls gemäß Artikel 62 beizubringen. Der öffentliche Auftraggeber kann Wirtschaftsteilnehmer auffordern, die gemäß den Artikeln 60 und 62 erhaltenen Bescheinigungen zu vervollständigen oder zu erläutern.

(5) Ungeachtet des Absatzes 4 müssen Wirtschaftsteilnehmer keine zusätzlichen Unterlagen oder sonstigen dokumentarischen Nachweise vorlegen, sofern und soweit der öffentliche Auftraggeber die Bescheinigungen oder die einschlägigen Informationen direkt über eine gebührenfreie nationale Datenbank in einem Mitgliedstaat, z. B. ein nationales Vergaberegister, eine virtuelle Unternehmensakte (Virtual Company Dossier), ein elektronisches Dokumentenablagesystem oder ein Präqualifikationssystem, erhalten kann. …”

Art. 60 (“Nachweise”) Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

 “Die öffentlichen Auftraggeber können die in den Absätzen 2, 3 und 4 und in Anhang XII genannten Bescheinigungen, Erklärungen und anderen Nachweise als Beleg für das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen gemäß Artikel 57 und für die Erfüllung der Eignungskriterien gemäß Artikel 58 anfordern.

Die öffentlichen Auftraggeber verlangen keine weiteren Nachweise als die in diesem Artikel und in Artikel 62 genannten. Die Wirtschaftsteilnehmer können sich in Bezug auf Artikel 63 auf alle geeigneten Mittel stützen, um dem öffentlichen Auftraggeber nachzuweisen, dass sie über die erforderlichen Ressourcen verfügen werden.”

Art. 63 (“Inanspruchnahme der Kapazitäten anderer Unternehmen”) der Richtlinie 2014/24 lautet:

“(1) In Bezug auf die Kriterien für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit gemäß Artikel 58 Absatz 3 und die Kriterien für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit gemäß Artikel 58 Absatz 4 kann ein Wirtschaftsteilnehmer gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag die Kapazitäten anderer Unternehmen – ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen – in Anspruch nehmen. In Bezug auf die Kriterien für Ausbildungsnachweise und Bescheinigungen über die berufliche Befähigung gemäß Anhang XII Teil II Buchstabe f oder für die einschlägige berufliche Erfahrung können die Wirtschaftsteilnehmer jedoch nur die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch nehmen, wenn diese die Arbeiten ausführen beziehungsweise die Dienstleistungen erbringen, für die diese Kapazitäten benötigt werden. Beabsichtigt ein Wirtschaftsteilnehmer, die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch zu nehmen, so weist er dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nach, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen werden, indem er beispielsweise die diesbezüglichen verpflichtenden Zusagen dieser Unternehmen vorlegt.

Der öffentliche Auftraggeber überprüft gemäß den Artikeln 59, 60 und 61, ob die Unternehmen, deren Kapazitäten der Wirtschaftsteilnehmer in Anspruch nehmen möchte, die entsprechenden Eignungskriterien erfüllen und ob Ausschlussgründe gemäß Artikel 57 vorliegen. Der öffentliche Auftraggeber schreibt vor, dass der Wirtschaftsteilnehmer ein Unternehmen, das ein einschlägiges Eignungskriterium nicht erfüllt oder bei dem zwingende Ausschlussgründe vorliegen, ersetzt. Der öffentliche Auftraggeber kann vorschreiben, oder ihm kann durch den Mitgliedstaat vorgeschrieben werden, vorzuschreiben, dass der Wirtschaftsteilnehmer ein Unternehmen, bei dem nicht-zwingende Ausschlussgründe vorliegen, ersetzt.

Nimmt ein Wirtschaftsteilnehmer im Hinblick auf Kriterien für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch, so kann der öffentliche Auftraggeber vorschreiben, dass der Wirtschaftsteilnehmer und diese Unternehmen gemeinsam für die Auftragsausführung haften.

Unter denselben Voraussetzungen können Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern nach Artikel 19 Absatz 2 die Kapazitäten von Mitgliedern der Gruppe oder von anderen Unternehmen in Anspruch nehmen.

(2) Die öffentlichen Auftraggeber können im Falle von Bauaufträgen, Dienstleistungsaufträgen sowie Verlege- oder Installationsarbeiten im Zusammenhang mit einem Lieferauftrag vorschreiben, dass bestimmte kritische Aufgaben direkt vom Bieter selbst oder – wenn der Bieter einer Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern gemäß Artikel 19 Absatz 2 angehört – von einem Gruppenteilnehmer ausgeführt werden.”

Portugiesisches Recht

Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, müssen nach Art. 77 Abs. 2 Buchst. a und c in Verbindung mit den Art. 81, 92 und 93 des Código dos Contratos Públicos (Gesetzbuch über öffentliche Aufträge, im Folgenden: CCP) dann, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer für die Ausführung der ausgeschriebenen Dienstleistung die Kapazitäten eines Dritten in Anspruch nimmt, sowohl die Unterlagen über die Befähigung dieses Dritten als auch die Vorlage seiner verpflichtenden Zusage erst nach der Auftragsvergabe verlangt werden, sofern die Auftragsbekanntmachung nichts Gegenteiliges bestimmt. Folglich besteht die Verpflichtung, diese vorzulegen, nur im Rahmen nichtoffener Verfahren mit Vorauswahl nach Art. 168 Abs. 4 CCP bereits bei Angebotsabgabe.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

Aus dem Rechtsmittelvorbringen von Ambisig, wie es im Vorabentscheidungsersuchen wiedergegeben ist, ergibt sich, dass die Fundação do Desporto ein Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge organisiert hatte. Der betreffende Auftrag wurde an Link vergeben.

Ambisig erhob beim Tribunal Administrativo e Fiscal de Leiria (Verwaltungs- und Finanzgericht Leiria, Portugal) eine verwaltungsgerichtliche Klage im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe, mit der sie sowohl ihren Ausschluss von dem Vergabeverfahren als auch die Auftragsvergabe an Link anfocht.

Ambisig warf der Fundação do Desporto im Wesentlichen vor, diese habe ihr Angebot als Gruppenangebot betrachtet, obwohl Ambisig vielmehr beabsichtigt habe, einen Unterauftragnehmer einzusetzen, und deshalb nicht gehalten gewesen sei, ihrem Angebot eine verpflichtende Zusage dieses Unterauftragnehmers beizufügen. Ambisig vertritt in dieser Hinsicht die Auffassung, die entsprechende Anwendung von Art. 168 Abs. 4 CCP, der Art. 63 der Richtlinie 2014/24 in portugiesisches Recht umsetze, auf das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vergabeverfahren sei rechtswidrig, ihr Ausschluss von der Teilnahme an diesem Verfahren auf der Grundlage von Art. 70 Abs. 2 Buchst. a und b CCP sei rechtsfehlerhaft.

Mit Urteil vom 28. September 2021 wies das Tribunal Administrativo e Fiscal de Leiria (Verwaltungs- und Finanzgericht Leiria) die Klage von Ambisig ab. Nach seiner Auffassung war zwar das Erfordernis einer verpflichtenden Zusage Dritter nicht ausdrücklich in der Auftragsbekanntmachung vorgesehen und es handelte sich um eine Bedingung der Auftragsausführung, die folglich nach der Auftragsvergabe erfüllt werden konnte. Die Vergabe eines Unterauftrags falle jedoch in den Anwendungsbereich von Ziff. 12 der Vergabebedingungen, wonach die Vergabe von Unteraufträgen der vorherigen Genehmigung des öffentlichen Auftraggebers bedarf. Die unterbliebene Vorlage dieser Vorabgenehmigung habe daher einen Grund für den Ausschluss der betroffenen Wirtschaftsteilnehmerin von dem Vergabeverfahren dargestellt. Der Ausschluss folge ferner auch aus der entsprechenden Anwendung von Art. 168 Abs. 4 CCP.

Dieses Urteil wurde in zweiter Instanz mit Urteil des Tribunal Central Administrativo Sul (Zentrales Verwaltungsgericht Süd, Portugal) vom 3. Februar 2022 bestätigt. Dieses Gericht wies darauf hin, dass die Vergabe von Unteraufträgen gemäß Ziff. 12 der Vergabebedingungen der vorherigen Genehmigung des öffentlichen Auftraggebers bedürfe und die Vorlage der Unterlagen über die Befähigung des potenziellen Unterauftragnehmers eine unerlässliche Voraussetzung dafür darstelle, dem Wirtschaftsteilnehmer diese Genehmigung zu erteilen.

Ambisig, die dieses Urteil in dreierlei Hinsicht für fehlerhaft hält, legte hiergegen ein Rechtsmittel beim Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal) ein. Erstens dürfe die Vorlage von Unterlagen über die Befähigung des Dritten nicht verlangt werden, weil sie sich weder aus der Auftragsbekanntmachung noch aus dem CCP ergebe, denn Art. 168 Abs. 4 CCP sei im Ausgangsverfahren nicht anwendbar. Zweitens sei Ziff. 12 der Vergabebedingungen im Rahmen der vorvertraglichen Phase des im Streit stehenden Vergabeverfahrens nicht anwendbar. Drittens verpflichte Art. 63 der Richtlinie 2014/24 den Bieter nicht, bereits bei Angebotsabgabe eine verpflichtende Zusage des Unterauftragnehmers beizufügen.

Das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) verweist auf den Sachverhalt, wie er im Urteil vom 3. Februar 2022 festgestellt wurde, wobei die Sachverhaltsdarstellung gemäß Art. 663 Abs. 6 des Código de Processo Civil (Zivilprozessordnung) als vollständig wiedergegeben gilt, und hält auf dieser Grundlage die ersten beiden in der vorstehenden Randnummer genannten Rügen von Ambisig für begründet.

Zu entscheiden bleibe mithin noch, ob dann, wenn ein Bieter im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge einen Dritten präsentiert, dessen technische Leistungsfähigkeit er für die Ausführung eines Teils des öffentlichen Auftrags in Anspruch nehmen möchte, aus Art. 63 der Richtlinie 2014/24 die Verpflichtung des Bieters folgt, zusammen mit seinem Angebot die Unterlagen über die Befähigung dieses Dritten und dessen bindende Erklärung, sich zur Ausführung des von ihm zu übernehmenden Auftragsteils zu verpflichten, vorzulegen.

Das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) hat das Verfahren daher ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Steht die Lösung des nationalen Rechts, wonach in Vergabeverfahren, bei denen für die Ausführung der Leistung die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch genommen werden, sowohl die Unterlagen über die Befähigung des Unterauftragnehmers als auch die Vorlage einer verpflichtenden Zusage des Unterauftragnehmers erst nach der Auftragsvergabe verlangt werden müssen, mit dem Unionsrecht, insbesondere mit Art. 63 der Richtlinie 2014/24, im Einklang?

Zum Antrag auf Durchführung eines beschleunigten Verfahrens

Das vorlegende Gericht hat beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.

Angesichts der Entscheidung des Gerichtshofs, nach Art. 99 der Verfahrensordnung durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, erübrigt sich jedoch eine Entscheidung über diesen Antrag (Beschluss vom 17. Mai 2022, Estaleiros Navais de Peniche, C-787/21, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:414, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zur Vorlagefrage

Nach Art. 99 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung dieser Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.

Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 63 der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit dem 84. Erwägungsgrund dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nehmen möchte, die Unterlagen über die Befähigung dieses Unternehmens und dessen verpflichtende Zusage erst nach der Auftragsvergabe einreichen muss.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 das Recht eines Wirtschaftsteilnehmers vorsieht, für einen bestimmten Auftrag die Kapazitäten anderer Unternehmen – ungeachtet des Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden rechtlichen Beziehungen – in Anspruch zu nehmen, um sowohl die in Art. 58 Abs. 3 der Richtlinie genannten Kriterien zur wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit als auch die in Art. 58 Abs. 4 der Richtlinie genannten Kriterien zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit zu erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Oktober 2013, Swm Costruzioni 2 und Mannocchi Luigino, C-94/12, EU:C:2013:646, Rn. 29 und 33, sowie vom 7. September 2021, Klaip?dos regiono atliek? tvarkymo centras, C-927/19, EU:C:2021:700, Rn. 150).

Ein Wirtschaftsteilnehmer, der von diesem Recht Gebrauch machen möchte, kann sich nach Art. 60 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 auf alle geeigneten Mittel stützen, um dem öffentlichen Auftraggeber nachzuweisen, dass er über die erforderlichen Ressourcen verfügen wird. In dieser Hinsicht nennt Art. 63 Abs. 1 Satz 3 der Richtlinie beispielhaft die Möglichkeit, zu diesem Zweck verpflichtende Zusagen dieser Unternehmen vorzulegen. Der Wirtschaftsteilnehmer kann nach Art. 59 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 der Richtlinie unter Beachtung des dritten Absatzes ihres 84. Erwägungsgrundes bei Einreichung seines Teilnahmeantrags oder seines Angebots auch eine Einheitliche Europäische Eigenerklärung übermitteln, mit der er insbesondere bestätigt, dass sich weder er selbst noch eines der Unternehmen, deren Kapazitäten er in Anspruch nehmen möchte, in einer der in Art. 57 der Richtlinie genannten Situationen befindet, in der Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden oder ausgeschlossen werden können, und dass die jeweiligen Eignungskriterien erfüllt sind. In jedem Fall muss ein Wirtschaftsteilnehmer, der die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch nehmen möchte, dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen werden, um die in Art. 58 der Richtlinie 2014/24 genannten Eignungskriterien zu erfüllen.

Daher obliegt dem öffentlichen Auftraggeber nach Art. 63 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 erstens die Prüfung, ob die Unternehmen, deren Kapazitäten der Wirtschaftsteilnehmer in Anspruch nehmen möchte, die einschlägigen Eignungskriterien gemäß den Art. 59 bis 61 der Richtlinie erfüllen, und zweitens, ob hinsichtlich dieser Unternehmen in Art. 57 der Richtlinie genannte Ausschlussgründe vorliegen.

Diese Prüfung muss der öffentliche Auftraggeber vor der Auftragsvergabe vornehmen können. Hierzu heißt es im zweiten und dritten Absatz des 84. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2014/24, der insoweit Aufschluss über die Reichweite von Art. 63 der Richtlinie gibt, ausdrücklich, zu verlangen, dass unterstützende Unterlagen zum Zeitpunkt der Auswahl der einzuladenden Bewerber vorgelegt werden, ließe sich damit begründen, zu vermeiden, dass öffentliche Auftraggeber Bewerber einladen, die sich später in der Vergabestufe als unfähig erweisen, die zusätzlichen Unterlagen einzureichen, und damit geeigneten Bewerbern die Möglichkeit der Teilnahme nehmen.

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass Art. 63 der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit Art. 59 und dem 84. Erwägungsgrund der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nehmen möchte, die Unterlagen über die Befähigung dieses Unternehmens und dessen verpflichtende Zusage erst nach der Auftragsvergabe einreichen muss.

Kosten

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer)

für Recht erkannt:

Art. 63 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit Art. 59 und dem 84. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24/EU ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nehmen möchte, die Unterlagen über die Befähigung dieses Unternehmens und dessen verpflichtende Zusage erst nach der Auftragsvergabe einreichen muss.

VK Bund: Verzug und/oder Mängel bei früherem Auftrag sind ein Ausschlussgrund

VK Bund: Verzug und/ oder Mängel bei früherem Auftrag sind ein Ausschlussgrund

vorgestellt von Thomas Ax

1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Bieterunternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen kann, wenn es eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt und dies u. a. zu einer vorzeitigen Beendigung geführt hat.
2. Eine wesentliche Anforderung wird u. a. bei Nichtleistung sowie bei erheblichen Mängeln der ausgeführten Bauleistung, die sie für den beabsichtigten Zweck unbrauchbar machen, nicht erfüllt.
VK Bund, Beschluss vom 17.08.2023 – VK 2-56/23

Gründe:

I.

1. Die Antragsgegnerin (Ag) veröffentlichte am […] eine unionsweite Auftragsbekanntmachung für ein offenes Verfahren zur Beschaffung von Wärmedämmarbeiten an mehreren Wohngebäuden. […].

Einziges Zuschlagskriterium ist […] der Preis.

Der hiesigen Ausschreibung vorausgegangen waren zwei in separaten Vergabeverfahren an die Antragstellerin (ASt) vergebene Aufträge. Die mit der ASt geschlossenen Verträge wurden von der Ag allerdings wie folgt außerordentlich gekündigt:

– Vertrag betr. […] Wärmedämmverbundsystem, gekündigt durch die Ag am 31. März 2023 unter Berufung auf Leistungsverzug der ASt nach § 5 Abs. 4 VOB/B;

– Vertrag betr. […] Innenputzarbeiten, gekündigt durch die Ag am 9.  Mai 2023 unter Berufung auf mangelhafte/vertragswidrige Leistung nach § 4 Abs. 7 oder 8 VOB/B.

Die ASt widersprach diesen Kündigungen jeweils.

Die besonderen Vertragsbedingungen, die den Vergabeunterlagen der vorangegangenen Aufträge zugrunde lagen, enthielten u.a. folgende Regelung:

“Der Auftragnehmer hat zu den Baustellenbesprechungen, die der Auftraggeber regelmäßig durchführt, einen geeigneten Vertreter zu entsenden. Die Besprechungen finden jeweils wöchentlich und nach Bedarf statt.”

Der Kündigung des Vertrages betreffend die Wärmedämmverbundarbeiten ging der folgende Sachverhalt voraus, wobei hier insbesondere nicht sämtliche zwischen den Beteiligten gewechselten Schreiben aufgeführt sind: 

Die Ausführungsfristen für die ersten Häuser begannen am 11. Oktober 2022. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2022 gab die ASt eine Bedenkenanmeldung wegen der Schlagregendichtigkeit der Fensterbänke ab, mit weiterem Schreiben vom selben Tag dann eine Behinderungsanzeige. Am 14. Oktober 2022 wies die Ag Behinderungsanzeige und Bedenkenanmeldung zurück und mahnte den Beginn der Dämmarbeiten an den beiden ersten Häusern an. Diese wurden daraufhin begonnen, jedoch nicht zu Ende geführt. An zwei weiteren Häusern wurde mit der Fassade nicht begonnen, jedoch die […] zu 95% fertiggestellt. An weiteren zwei Häusern wurde weder an der Fassade noch in der […] mit der Arbeit begonnen. 

Die ASt bemängelte insbesondere, dass an den zu dämmenden Gebäuden, ihrer Auffassung nach abweichend von der ursprünglichen Planung, bereits Fensterbänke angebracht seien und ein entsprechender Anschluss des von ihr zu errichtenden Wärmedämmverbundsystems in diesem Bereich geboten sei. Dies erfordere deutlichen Zusatzaufwand. Über die korrekte Ausführung der Dämmarbeiten stritten ASt und Ag auch unter Hinzuziehung von Gutachtern. 

Am 9. März 2023 übersandte die Ag der ASt eine Abhilfeaufforderung wegen unzureichender Förderung der Baumaßnahme. Die Arbeiten an den Häusern seien teils nicht fortgeführt, teils auch gar nicht begonnen worden, obwohl die Außentemperaturen dies zugelassen hätten. Abhilfe werde bis spätestens zum 13. März 2023 erwartet. 

Die ASt forderte daraufhin eine geänderte Ausführungsplanung hinsichtlich der ausgeführten Probeflächen, damit sie in der Lage sei, ein entsprechendes Nachtragsangebot auszuarbeiten. 

Mit Schreiben vom 14. März 2023 mahnte die Ag die ASt. Die Baustelle sei nicht besetzt, die Ausführung der Leistung werde nicht fortgesetzt bzw. begonnen. Unter Androhung der Vertragskündigung wurde eine Nachfrist bis spätestens zum 20. März 2023 gesetzt, um der Abhilfeaufforderung nachzukommen.

Die Ag übersandte der ASt am 20. März 2023 ein Nachtrags-Leistungsverzeichnis, welches Modifikationen im Bereich der Dämmarbeiten an Fensterbänken bzw. Gesimsblechen enthielt. Die ASt sollte zu diesem bis zum 27. März 2023 ein Angebot abgeben, was sie im weiteren Verlauf auch tat. In einem Schreiben der Ag an die Verfahrensbevollmächtigten der ASt ebenfalls vom 20. März 2023 hieß es u.a. weiter:

“in vorbezeichneter Angelegenheit übersenden wir Ihnen unsere heutige E-Mail an die [ASt] nebst der gewünschten Pläne und dem gewünschten Nachtrags-LV zur Kenntnisnahme. Wir ordnen an, die dort beschriebene Leistung zu erbringen. Die dafür erforderlichen Mehrkosten werden wir vergüten.”

Weiter wurde ausgeführt, dass, unabhängig vom jetzt vorgelegten Nachtragsleistungsverzeichnis, auch die bisherige Planung schon mangelfrei gewesen sei und daher kein Leistungsverweigerungsrecht der ASt bestanden habe. Auch sei die ASt mit der Leistungserbringung in Verzug.

“Es ist nicht ersichtlich, warum Ihre Partei nicht auf der Baustelle arbeitet. Selbst wenn noch Details in Abstimmung waren, hätte Ihre Partei beispielsweise schon längst mit den beauftragten Leistungen

1. Untergrundvorbereitung

2. Sockeldämmung

3. […]

4. Balkonaußenseiten einschließlich Bewegungsfugenprofil

5. […]

6. Mineralwolledämmung in allen Erdgeschossen

7. Dämmung […], arbeiten können.

Mithin haben wir Zweifel an der Leistungsfähigkeit Ihrer Partei. Fehlt es der [ASt] an Personal oder ist dieses noch auf anderen Baustellen gebunden?

Wir fordern Ihre Partei hiermit nochmals auf, die beauftragten Arbeiten unverzüglich zu beginnen bzw. fortzuführen und die Baustelle spätestens bis zum 27.03.2023 angemessen zu besetzen.

Wir behalten uns die Geltendmachung von Verzugskosten ausdrücklich vor. […]

Wir weisen außerdem darauf hin, dass Ihre Partei im Fall des fruchtlosen Ablaufs der vorgenannten Frist mit der Kündigung des Vertrags nach § 8 Absatz 3 in Verbindung mit § 5 Absatz 4 VOB/B rechnen muss.

4. Verstoß gegen Kooperationspflichten

Wir mussten feststellen, dass Ihre Partei zuletzt bei telefonischen Anfragen für uns nicht erreichbar war. Mitarbeiter der [ASt] teilten mit, dass sie nicht berechtigt seien Auskünfte zu erteilen. Mithin verweigerte Ihre Partei auch den Kontakt zu unseren Bauleitern. Die wöchentliche Abstimmung der Feintermine – wie im Aufklärungsgespräch am 09.08.22 vereinbart -, werden von Ihrer Partei nicht eingehalten. Ihre Partei verstößt gegen ihre verträglichen Nebenpflichten. Wir fordern ihre Partei hiermit auf, ab sofort die wöchentlichen Abstimmungstermine mit unseren Bauleitern vertragsgemäß einzuhalten und als kooperativer Vertragsparther für uns und für die von uns eingesetzten Bauleiter erreichbar zu sein. Wir setzen Ihrer Partei hiermit eine Frist zur Abhilfe bis zum 03.04.2023.”

Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 24. März 2023 teilte die ASt mit, dass die Planungen weiterhin fehlerhaft seien, auf Wunsch aber dennoch umgesetzt würden. 

Am 27. März 2023 erinnerte die Ag die ASt per E-Mail an die wöchentlichen Jour fixe-Termine.

Die Teilnahme der ASt werde erwartet. Diese antwortete am 28. März 2023:

“da die Ausführung derzeit nach wie vor im Klärungsprozess ist derzeit eine Teilnahme am jour-fixe nicht erforderlich. Natürlich werden wir wie gewohnt teilnehmen sobald dies angebracht ist.”

Am 30. März übermittelte die ASt das bepreiste Nachtragsangebot an die Ag.

Am 31. März 2023 kündigte die Ag den Vertrag über die Wärmedämmarbeiten außerordentlich. 

Der Sachverhalt betreffend die Kündigung des Vertrages der ASt hinsichtlich der Innenputzarbeiten stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar: 

Die Kündigung erfolgte am 9. Mai 2023. Dem vorangegangen waren u.a. eine Behinderungsanzeige der ASt wegen angeblich fehlender Treppenbeläge, die von der Ag zurückgewiesen worden war. Weiter bestanden Streitigkeiten zwischen Ag und ASt über die Frage, ob die ASt fehlerhaft in einzelnen der Häuser eine Eckschutzschiene statt einer Putzabschlussschiene eingesetzt habe, wohingegen die ASt der Ansicht war, dass das fragliche Detail aus den Planunterlagen nicht ersichtlich sei und insoweit auch kein Fehler der ASt vorliege. Die ASt reichte hinsichtlich der angeblich fehlenden Planunterlagen am 3. Mai 2023 Behinderungsanzeige ein. 

Das hier streitgegenständliche Vergabeverfahren betrifft die erneute Vergabe der Wärmedämmarbeiten.

Die ASt gab im streitgegenständlichen Vergabeverfahren ein Angebot ab und rangierte gemäß der Mitteilung des Ausschreibungsergebnisses nach Angebotsöffnung am 6. Juni 2023 preislich auf dem ersten Platz. Ein drittes Unternehmen, das preislich zwischen ASt und Beigeladener (Bg) lag, wurde ausgeschlossen, weil die von diesem Bieter nachgeforderten Unterlagen nicht fristgerecht eingereicht worden sind. Infolgedessen belegte die Bg Platz zwei der Wertungsrangfolge. 

Die ASt reichte mit ihrem Angebot das von der Ag angeforderte Formblatt 124 ein und erklärte dort, es lägen für das Unternehmen der ASt keine Ausschlussgründe gemäß § 6e EU VOB/A vor.  

Die Ag teilte der ASt mit Schreiben vom 14. Juni 2023 mit, die Erklärung zum Nichtvorliegen von Ausschlussgründen nach § 6e EU VOB/A sei wegen der Kündigungen der ursprünglichen Aufträge zwischen ihr und der ASt nach Auffassung der Ag falsch. Es sei der Ausschlussgrund nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A verwirklicht. Vor diesem Hintergrund hörte die Ag die ASt zur Frage einer Selbstreinigung im Hinblick auf die von der Ag vorgebrachten Kündigungsgründe an. Die ASt antwortete der Ag fristgemäß mit Schreiben vom 20. Juni 2023, es gebe von ihrer Seite keine Schlechtleistungen, die Kündigungen seien unbegründet, es bestehe daher kein Bedarf für eine Selbstreinigung der ASt.

Die Ag dokumentierte in einem Vermerk vom 26. Juni 2023 den ihrer Ansicht nach den Kündigungen zugrunde liegenden Sachverhalt und prognostizierte, die ASt habe in den gekündigten Vertragsverhältnissen gezeigt, dass sie für die im streitgegenständlichen Vergabeverfahren erneut ausgeschriebenen Leistungen nicht leistungsfähig und offensichtlich leistungsunwillig sei. Eine nochmalige Zusammenarbeit mit der ASt sei der Ag daher nicht zuzumuten. Die ASt habe die ihr eingeräumte Möglichkeit zur Selbstreinigung nicht wahrgenommen; sie habe kein Problembewusstsein entwickelt und die Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigungen bestritten. Daher sei die ASt nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 EU VOB/A von der Teilnahme am Vergabeverfahren auszuschließen. 

In einem Vermerk vom 27. Juni 2023 dokumentierte das von der Ag mit der Erarbeitung eines Vergabevorschlags betraute Architektenbüro, es sei nicht davon auszugehen, dass die ASt die ausgeschriebene Leistung in Bezug auf Qualitäten und Termine vertragsgerecht ausführen werde. Es werde von einer Beauftragung der ASt dringend abgeraten und ihr Angebot unter Bezugnahme auf die Prognoseentscheidung der Ag vom 26. Juni 2023 aus der Wertung genommen. Hintergrund seien die Kündigungen der bisherigen Verträge mit der ASt über die nunmehr neu ausgeschriebenen Leistungen. Die wesentlichen Gründe der Kündigung seien zum einen, dass die ASt trotz mehrfacher Aufforderung nicht an wöchentlichen Baubesprechungen teilgenommen habe, so dass Arbeiten nicht mit den anderen vor Ort tätigen Gewerken koordiniert werden könnten. Ferner sei die für die Vermeidung von Schwitzwasserbildung erforderliche Wärmedämmung trotz Aufforderung und entsprechender Witterung nicht montiert worden, so dass für Trocknung und Beheizung hohe Mehrkosten entstanden seien und die nicht gedämmten Gebäude einem erheblichen Schadensrisiko ausgesetzt seien. Zum anderen habe die ASt im Hinblick auf die Innenputzarbeiten einen festgestellten Mangel im Treppenhaus (keine schallschutztechnische Trennung des Innenputzes am Treppengeländer) trotz schriftlicher Aufforderung nicht behoben, so dass in allen Treppenhäusern Zusatzkosten und Bauzeitverzug entstünden.

Mit Vermerken vom 3. und 4. Juli 2023 stellten die intern zuständigen Stellen der Ag fest, dass die ASt nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A auszuschließen sei. Das Angebot eines preislich an zweiter Stelle rangierenden Bieters sei auszuschließen, weil dieser Bieter nachgeforderte Unterlagen nicht fristgerecht eingereicht habe. Es sei daher dem drittplatzierten Angebot der Zuschlag zu erteilen.

Die Ag teilte der ASt mit Schreiben vom 6. Juli 2023 gemäß § 134 GWB mit, sie beabsichtige, der Bg den Zuschlag zu erteilen. Die ASt werde ausgeschlossen, weil diese wesentliche Anforderungen bei der Ausführung von öffentlichen Aufträgen erheblich und fortdauernd mangelhaft erfüllt habe. Aus diesem Grund seien die entsprechenden Aufträge für das Wärmedämmverbundsystem und für die Innenputzarbeiten gekündigt worden. Bei dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren handele es sich um die nach der Kündigung erforderliche Neuausschreibung des Wärmedämmverbundsystems. Nach Prüfung der Bewerbung der ASt sehe die Ag keine Anhaltspunkte, die eine ordnungsgemäße und zuverlässige Vertragserfüllung von Seiten der ASt erwarten ließen.

Die ASt rügte ihren Ausschluss mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 12. Juli 2023 gegenüber der Ag. Die von der Ag ausgesprochenen fristlosen Kündigungen seien zumindest hoch streitig und könnten daher keine Grundlage für die Annahme vorangegangener Schlechtleistungen i.S.d. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A sein. 

Die Ag half der Rüge der ASt nicht ab und teilte dies der ASt mit Schreiben vom 13. Juli 2023 mit.

2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 14. Juli 2023, eingegangen bei der Vergabekammer und übermittelt an die Ag am gleichen Tag, beantragt die ASt die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

a) Zur Begründung des Nachprüfungsantrags führt die ASt wie folgt aus:

Die ASt hält die Voraussetzungen des § 6e EU Abs. 1 Nr. 7 VOB/A für nicht gegeben. Es fehle bereits daran, dass die ASt keine wesentlichen Anforderungen mangelhaft erfüllt habe, weshalb die von der Ag ausgesprochenen Kündigungen unwirksam seien, die geltend gemachten Kündigungsgründe lägen nicht vor: 

– Die ASt habe die Ag ab Februar 2023 darauf hingewiesen, dass die für die Einarbeitung des Wärmedämmverbundsystems im Fensterbereich und insbesondere an den Fensterbänken bzw. den Sonnenschutzelementen erforderliche Ausführungsplanung nicht vorliege bzw. keine sachgerechte Ausführung der Arbeiten möglich sei. Die Errichtung eines Musterelements habe sich lediglich durch die Lieferzusage des Systemherstellers verzögert, nicht durch Verschulden der ASt. Die Ag sei am 8. März 2023 aufgefordert worden, eine aktualisierte Ausführungsplanung und ein zu bepreisendes Nachtragsleistungsverzeichnis für die geänderte Leistung vorzulegen. Mit Schreiben vom 9. März 2023 habe die Ag die ASt aufgefordert, Abhilfe zu schaffen, obwohl das konkrete Leistungssoll weiter unklar gewesen sei. Die ASt habe die Ag daher am 13. März 2023 aufgefordert, entsprechend geänderte Planungsunterlagen zu übermitteln, um ein Nachtragsangebot ausarbeiten zu können. Am 20. März 2023 habe die Ag der ASt diese Planungsunterlagen und ein Nachtragsleistungsverzeichnis übermittelt und die ASt aufgefordert, die Baustelle bis zum 27. März 2023 zu besetzen und die Arbeiten fortzuführen. Die ASt habe der Ag darauf mit Schreiben vom 24. März 2023 mitgeteilt, dass die vorgelegten Planungsunterlagen fehlerhaft seien und dass sie bereit sei, die fehlerhafte Planung umzusetzen, wenn dies durch die Ag angeordnet werde. Das bepreiste Nachtragsangebot habe die Ag am 30. März 2023 übermittelt. Es sei vereinbart worden, die Arbeiten am 3. April 2023 fortzuführen. Die Ag habe das Vertragsverhältnis dann jedoch am 31. März 2023 gekündigt.

– Hinsichtlich der Innenputzarbeiten habe die ASt die Kündigung vom 9. Mai 2023 am 19. Mai 2023 zurückgewiesen. Zum Zeitpunkt der Kündigung seien 95% der Leistung bereits erbracht gewesen, lediglich Restleistungen betr. Filzputz in den Treppenhäusern hätten ausgestanden. Soweit die Ag die Kündigung darauf gestützt habe, die ASt habe in den Treppenhäusern […] die Leibungskante falsch verputzt und fälschlich eine Eckschutzschiene gesetzt, obwohl aus den Planungsunterlagen eine Abdeckung durch eine Putzabschlussschiene aus Stahlblech ersichtlich gewesen sein solle, hätten insofern keine Planungsunterlagen betreffend den Innenputz im Treppenhausbereich vorgelegen. Die ASt habe die einschlägigen Toleranzen eingehalten. Die von der Ag bemängelte Schallbrücke sei darauf zurückzuführen, dass die im Auftrag der Ag vorproduzierten Abdeckbleche nicht gepasst hätten. 

Vor diesem Hintergrund könne nicht von den seitens der Ag in den beiden Kündigungen geltend gemachten vertraglichen Pflichtverletzungen ausgegangen werden, was aber für einen Ausschluss nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A bzw. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB erforderlich sei. Es fehle bereits an der von der Rechtsprechung herausgearbeiteten niedrigeren Anforderung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Pflichtverletzung. Die Ag könne schon nicht aufklären, warum sie trotz des behaupteten Nichtbestehens der von der ASt vorgetragenen Mängel ein Nachtragsleistungsverzeichnis ausgearbeitet und die ASt um Abgabe eines neuen Angebotes aufgefordert habe. Hinsichtlich der Leistungen für das Wärmedämmverbundsystem sei höchst streitig, ob die von der Ag vorgesehene Ausführung mangelfrei möglich sei. 

Die Ag habe in der streitgegenständlichen Ausschreibung wesentliche Aspekte, die die ASt im Hinblick auf die ursprünglich vorgesehene Ausführung vorgebracht habe und die von der Ag damals als unzutreffend zurückgewiesen worden seien, im nun neuen Leistungsverzeichnis berücksichtigt. Ursprünglich sollten die Fensterbänke und Fassadengesimsbleche nach Einbau des Wärmedämmverbundsystems eingebaut werden. Dies sei in der neuen Ausschreibung dahin angepasst worden, dass der Einbau der Fensterbänke vor dem Einbau des Wärmedämmverbundsystems erfolgen solle, der Einbau der umlaufenden Fassadengesimsbleche erst nach Einbau des Wärmedämmverbundsystems. Dies belege, dass der ASt für den gekündigten Auftrag keine geeigneten Planungsunterlagen vorgelegen hätten, so dass es ihr auch unmöglich gewesen sei, die von der Ag geforderten Teilleistungen auszuführen, da diese bei einer späteren Montage des Wärmedämmverbundsystems wieder zurückzubauen gewesen wären. Die ASt habe durch Beauftragung eines eigenen Sachverständigen und Einbeziehung des Systemherstellers des Wärmeverbundsystems konstruktiv auf eine Lösung der Situation hingearbeitet. 

Die ASt habe ihre Leistungsbereitschaft stets hervorgehoben und mitgeteilt, dass sie den Anordnungen wie zur Vorhaltung entsprechender Arbeitskräfte umgehend nachkomme. Eine entsprechende Beauftragung bzw. Anordnung sei jedoch durch die Ag nicht erfolgt. Die Kündigung durch die Ag wenige Tage nach Erhalt der überarbeiteten Planungsunterlagen sei nicht nachvollziehbar.

Hinsichtlich des gekündigten Vertrags zu den Innenputzarbeiten sei festzustellen, dass zwischen Ag und ASt streitig sei, ob überhaupt eine Schlechtleistung vorliege bzw. ob angesichts des Leistungsstands eine wesentliche Anforderung mangelhaft erfüllt worden sein könne.

Soweit die Ag die Kündigungen auf die unterbliebene Teilnahme der ASt an den Jour fixe-Terminen stütze, habe sie schon nicht dargelegt, an welchen Terminen konkret die ASt unentschuldigt nicht teilgenommen habe und warum es hierdurch zu einer Beeinträchtigung der Kooperation gekommen sein soll. Die Jour fixe-Termine seien aufgrund der Vielzahl der Teilnehmer für eine konkrete Problembesprechung ungeeignet, hier könnten nur die Leistungsstände der einzelnen Arbeiten zum Zwecke der Koordinierung besprochen werden. Zwischen ASt und Ag seien jedoch über einen Zeitraum von mehreren Wochen Gespräche geführt und E-Mails ausgetauscht worden, so dass der ASt keine mangelnde Kommunikation zu unterstellen sei. 

Die Vergabeakte sei unvollständig insoweit, als in der Sachverhaltsdarstellung etliche Kontakte zwischen ASt und Ag nicht wiedergegeben würden. Diese unvollständige Sachverhaltsermittlung stelle eine fehlerhafte Ermessensausübung dar. Auch sei die Prognoseentscheidung einzig mit dem Ziel des Ausschlusses der ASt erstellt. Die ASt habe selbst nach den erfolgten Kündigungen noch das Gespräch mit der Ag gesucht, diese habe jedoch das ausdrückliche Leistungsangebot der ASt ignoriert. 

Die Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten hält die ASt für notwendig. Für die Ag sei jedoch die Hinzuziehung von Bevollmächtigten nicht notwendig. In seinem originären Aufgabenbereich habe sich der Auftraggeber die notwendigen Sach- und Rechtskenntnisse selbst zu beschaffen. Die Ag verfüge vorliegend auch über ein Justiziariat. 

Die ASt beantragt,

1. die Ag in Textform über den Antrag auf Nachprüfung gemäß § 169 Abs. 1 GWB zu informieren,

2. die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß §§ 160 ff. GWB,

3. der Ag zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Bg zu erteilen,

4. der Ag aufzugeben, den Ausschluss der ASt zurückzunehmen, das Vergabeverfahren in den Zeitpunkt der Angebotswertung zurückzuversetzen und den Antrag bei fortbestehender Beschaffungsabsicht unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu vergeben,

5. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der ASt für notwendig zu erklären,

6. der ASt Einsicht in die Vergabeakte gemäß § 165 Abs. 1 GWB zu gewähren, sobald diese bei der Vergabekammer eingegangen ist,

7. der Ag die Kosten des Verfahrens sowie die Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung einschließlich der vorprozessualen Anwaltskosten aufzuerlegen.

b) Die Ag beantragt mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 21. Juli 2023:

1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Akteneinsicht wird versagt.

3. Die ASt trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Ag.

4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten der Ag wird für notwendig erklärt.

Die Ag hält den Nachprüfungsantrag für zulässig, aber unbegründet. Der von der Ag geltend gemachte Ausschlussgrund des § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A sei gegeben. Die ASt habe zweimal aufeinanderfolgend in den vorausliegenden gekündigten Vertragsverhältnissen innerhalb kürzester Zeit schlecht geleistet.

Soweit es den gekündigten Vertrag über die Errichtung des Wärmedämmverbundsystems betreffe, habe die ASt über einen Zeitraum von fast einem halben Jahr die Leistung verweigert bzw. diese nur schleppend ausgeführt. Eine von der ASt angebrachte Bedenkenanmeldung sei schon nicht formgerecht gewesen, weil es an der Mitteilung gefehlt habe, welche Konsequenzen aus der Nichtberücksichtigung dieser Bedenken folgen würden. Auch bei der von der ASt angebrachten Behinderungsanzeige habe der Hinweis auf die konkreten Auswirkungen der angeblichen Behinderung gefehlt. Auch habe die Ag diese beiden Anzeigen bereits im Oktober 2022 zurückgewiesen, so dass die ASt zur Leistungserbringung verpflichtet gewesen sei. Im Übrigen hätte die ASt sämtliche anderen Arbeiten, die nicht von ihren Bedenken betroffen gewesen seien, ausführen können, was rund 65 % der geschuldeten Leistung ausgemacht hätte. Auf Gesprächsangebote der Ag habe die ASt nicht oder nur mit wochenlanger Verzögerung reagiert. Die bei einem gemeinsamen Gespräch dann vereinbarte Erstellung einer Musterfassade habe die ASt nur verzögert umgesetzt. Entgegen ihrer Verpflichtung habe die ASt im Jahr 2023 auch nur an einem Jour fixe-Termin teilgenommen und sei auch für die Ag und die örtliche Bauleitung nahezu nie erreichbar gewesen. Die Ag habe mit der ASt Termine außerhalb der Jour fixe-Tage absprechen müssen, was auch nicht immer gelungen sei. Als Folge des Verhaltens der ASt sei mit einer verspäteten Fertigstellung des Bauvorhabens um mindestens 10 Monate zu rechnen, was u.a. zu Mietausfällen, Zusatzkosten für erforderliche Trocknung und Beheizung, längere Standzeiten für das Gerüst und Verzögerungen der Tiefbauten führe. Entgegen der Behauptungen der ASt sei die Planung der Ag fehlerfrei gewesen. Die erfolgten Anpassungen hätten nur der Arbeitserleichterung für die ASt gedient. Während sich die ASt geweigert habe, die Arbeiten auszuführen, seien diese in baugleichen Gebäuden durch einen anderen Auftragnehmer erfolgreich fertiggestellt worden. Die ASt habe wesentliche Anforderungen aus dem Vorauftrag daher erheblich und fortdauernd mangelhaft erfüllt, was die vorzeitige Kündigung rechtfertige. Dass die ASt die Baustelle Anfang Mai 2023 geräumt habe, sei dahin zu verstehen, dass sie etwaige Vorbehalte gegen die ausgesprochene Kündigung nicht weiter aufrechterhalte. 

Hinsichtlich des gekündigten Vertrages über die Innenputzarbeiten habe sich die ASt im Leistungsverzug befunden. Die Behinderungsanzeige der ASt habe weitestgehend auf unzutreffenden Behauptungen beruht. Auch habe die ASt ebenfalls in diesem Vertragsverhältnis ihre Pflicht zur Teilnahme an den Jour fixe-Terminen nicht erfüllt. Einer Aufforderung zur Mängelbeseitigung sei die ASt nicht nachgekommen. Soweit die ASt dann Behinderung wegen angeblich fehlender Planunterlagen angemeldet habe, habe die Ag auf das Vorhandensein eindeutiger Unterlagen hingewiesen, wie auch darauf, dass die ASt die entsprechenden Arbeiten in anderen Gebäuden auch korrekt ausgeführt habe. Soweit sich die ASt auf den Standpunkt stelle, dass wesentliche Ausführungsdetails gefehlt hätten, hätte sie Bedenken anmelden müssen und in jedem Fall eine mangelfreie Leistung erbringen müssen. Da sie jedoch anstelle der Putzabschlussschiene eine Eckschutzschiene ausgeführt habe, die eine Schallbrücke erzeuge, liege ein erheblicher Mangel vor, den die ASt auch nach Abhilfeaufforderung nicht beseitigt habe. Dies rechtfertige die außerordentliche Kündigung. 

Die ASt habe, gemäß der vorgelegten Übersicht, von den insgesamt 31 Jour fixe-Terminen während der Laufzeit der beiden vorangegangenen Vertragsverhältnisse nur an 9, von der Ag konkret benannten, Terminen teilgenommen.

Bei dem Ausschlussgrund des § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A handele es sich um einen fakultativen Ausschlussgrund, dessen Überprüfung durch die Vergabekammer nur eingeschränkt möglich sei. Soweit in der Dokumentation zur Eignungsprüfung der ASt angegeben sei, dass eine Verfehlung nach § 124 GWB einen zwingenden Ausschlussgrund darstelle, handele es sich um einen Programmierfehler im verwendeten Programm. Die Ag habe ihr Ermessen sachgerecht ausgeübt. Hinsichtlich der ASt liege eine negative Prognose vor, da dieser ausreichend Personal zu fehlen scheine. Bei erneuter Beauftragung sei zu erwarten, dass die Konflikte aus der Vergangenheit seitens der ASt fortgesetzt würden. So habe die ASt insbesondere auch kein Problembewusstsein entwickelt, so dass sie die Frage nach einer Selbstreinigung mit dem bloßen Hinweis, dass aus ihrer Sicht die Kündigungen unwirksam gewesen seien, zurückgewiesen habe. Hinzu komme, dass zwei Kündigungen in kurzem zeitlichem Abstand hätten ausgesprochen werden müssen. Hinsichtlich der Kündigung des ersten Vertrages betreffend die Wärmedämmung sei zu beachten, dass die Diskussion um den richtigen Anschluss der Fenster- und Gesimsbleche völlig untergeordnet sei im Vergleich zu den anderen Arbeiten, die hätten ausgeführt werden können. Die Ag habe sich bei der Entscheidung mit der Nichtteilnahme an den Jour fixe-Terminen befasst und mit dem Stand der Arbeiten an den Gebäuden. Diesbezüglich habe sie den Sachverhalt exakt erfasst. 

Die Verhältnismäßigkeit sei gewahrt. Vorliegend gehe es um die Fertigstellung eines großen Bauvorhabens mit […] Wohnungen. Durch das Verhalten der ASt werde die Fertigstellung um viele Monate verzögert. 

c) Mit Beschluss vom 18. Juli 2023 ist die Bg zum Verfahren hinzugezogen worden. Sie hat sich schriftsätzlich nicht zum Nachprüfungsantrag eingelassen und auch an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen. 

3. Der ASt ist Akteneinsicht in mit der Ag abgestimmtem Umfang gem. § 165 Abs. 2 GWB gewährt worden. Die Kammer hat den Beteiligten einen rechtlichen Hinweis zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erteilt. In der mündlichen Verhandlung wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten umfassend erörtert. Auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten, die Vergabeakte der Ag, soweit sie der Kammer vorlag, sowie die Verfahrensakte wird Bezug genommen. 

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, jedoch nicht begründet.

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Insbesondere richtet er sich gegen die Vergabeentscheidung eines dem Bund zuzurechnenden öffentlichen Auftraggebers, wobei der Auftragswert – unter Berücksichtigung der Gesamtbaumaßnahme – auch oberhalb des einschlägigen Schwellenwertes für eine verpflichtende europaweite Bekanntmachung liegt, §§ 98, 99 Nr. 2, § 103 Abs. 1 Abs. 3 S. 1, § 106 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 159 Nr. 2 GWB, § 1 EU Abs. 1 und 2 VOB/A i.V.m. § 3 VgV.

Die ASt ist auch antragsbefugt i.S.d. § 160 Abs. 2 GWB. Sie hat ein auf Rang 1 der Wertungsreihenfolge liegendes Angebot eingereicht, durch den von der Ag verhängten Angebotsausschluss droht sie jedoch ihre Zuschlagschance zu verlieren. 

Den Ausschluss des Angebotes, der der ASt mit Schreiben vom 6. Juli 2023 mitgeteilt worden ist, hat die ASt mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 12. Juli 2023 und damit innerhalb der Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB gerügt. Auch die Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB ist mit dem Nachprüfungsantrag vom 14. Juli 2023 eingehalten. 

2. Der Nachprüfungsantrag ist jedoch nicht begründet. Die Ag hat die ASt zu Recht von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen, da sie bei vorangehenden Bauaufträgen erheblich und fortdauernd mangelhaft geleistet hat. 

§ 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A bestimmt, dass der öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen kann, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies u.a. zu einer vorzeitigen Beendigung geführt hat. Erwägungsgrund 101 der Richtlinie 2014/24/EU nennt als Beispiele Lieferungs- oder Leistungsausfall sowie erhebliche Defizite der gelieferten Waren oder Dienstleistungen, die sie für den beabsichtigten Zweck unbrauchbar machen. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der ASt vor.

a) Die ASt hat in den beiden vorangegangenen Aufträgen betreffend die Wärmedämmung bzw. den Innenputz mangelhaft erfüllt. 

aa) Hinsichtlich des Vertrages zur Anbringung des Wärmedämmverbundsystems ist die Schlechtleistung zum einen darin zu sehen, dass die ASt die Dämmarbeiten nicht fristgerecht durchgeführt hat. Hierbei muss nicht entscheidend darauf abgestellt werden, ob die Bedenken der ASt gegen die Art der von der Ag vorgesehenen Anbindung der Wärmedämmung in den Fenster- und Gesimsflächen berechtigt waren. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung war letztlich unstreitig, dass es technisch möglich gewesen wäre, unter Außenvorlassen der Bereiche unmittelbar an den Fenstern und Gesimsen jedenfalls die übrigen auftragsgegenständlichen Flächen zu dämmen. Im Schreiben der Ag vom 20. März 2023 sind hier insgesamt 7 weitere Bereiche aufgeführt, die von den geltend gemachten Bedenken der Ag nicht betroffen waren. Laut der Bekanntmachung des hier streitgegenständlichen Dämmauftrages, der ja die im ursprünglichen Auftrag von der ASt zu erbringenden Leistungen enthält, handelt es sich insgesamt um eine Fläche von knapp […] qm. In der mündlichen Verhandlung führte die ASt aus, dass die streitigen Verarbeitungsschritte eine Fläche von rund […] qm beträfen. Dies deckt sich in etwa mit der schriftsätzlichen Angabe der Ag, dass rund 65 % der ursprünglich beauftragten Dämmarbeiten nicht von der Behinderungsanzeige der ASt betroffen seien und somit hätten durchgeführt werden können. Die ASt hat diese Arbeiten jedoch nicht vorgenommen, sondern unter Berufung auf die streitigen Punkte letztlich fast keine Leistungen, in jedem Fall deutlich weniger als die wie vorstehend beschrieben möglichen Leistungen erbracht. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die ASt sich insoweit auf den Gesichtspunkt der Unwirtschaftlichkeit berufen, wenn die Arbeiten nicht am Stück von unten nach oben durchgeführt werden könnten, sondern immer wieder Lücken gelassen werden müssten. Dieser Vortrag ist jedoch nicht nur völlig unsubstantiiert geblieben, sondern insbesondere auch vorab der Ag gegenüber nie zur Begründung der unterbliebenen Arbeiten angebracht worden. Da die ASt somit einen Gutteil der Gesamtarbeiten nicht ausgeführt hat, obwohl sie insoweit keine Behinderungsanzeigen etc. geltend gemacht hat, liegt schon hierin eine Pflichtverletzung. Auf den Umstand, dass die Ag die Bedenken- und Behinderungsanzeige der ASt hinsichtlich der Anbindung des Wärmedämmsystems im Bereich der Fensterbänke bereits im Oktober 2022 zurückgewiesen hat und die ASt also auch insoweit die Arbeiten hätte durchführen können, kommt es nicht mehr entscheidend an. Selbst wenn in den trotz der Zurückweisung zwischen Ag und ASt geführten Diskussionen ein jedenfalls implizites Einverständnis der Ag zu sehen sein sollte, die diesbezüglichen Arbeiten vor einer Klärung der fachlichen Fragen nicht durchzuführen, ist spätestens der Darstellung der unabhängig davon durchführbaren Arbeiten im Schreiben der Ag vom 20. März 2023 zu entnehmen, dass diese übrigen Arbeiten in jedem Fall unverzüglich durchzuführen waren, ohne dass die ASt dem nachgekommen wäre. 

bb) Ein weiterer Mangel der Leistungen, diesmal bezogen sowohl auf den Auftrag zur Anbringung des Wärmedämmverbundsystems wie auch des Innenputzes, ist darin zu sehen, dass die ASt die überwiegende Anzahl der Jour fixe-Termine nicht wahrgenommen hat. Gemäß der von der Ag erstellen Übersicht, die von der ASt letztlich nicht angegriffen worden ist, waren Vertreter der ASt nur bei 9 von insgesamt 31 Terminen anwesend. Im Jahr 2023 handelte es sich insoweit, bis zur Kündigung des Vertrages über die Wärmedämmarbeiten Ende März, um lediglich einen Jour fixe, an dem die ASt teilnahm. Eine zweite Teilnahme im April 2023 erfolgte sodann im Rahmen der Arbeiten zur Anbringung des Innenputzes. Eine Schlechtleistung i.S.d. § 6e EU abs. 6 Nr. 7 VOB/A kann nicht nur bei Verletzung einer direkt den Vertragsgegenstand ausmachenden Pflicht vorliegen, wie hier insbesondere betreffend die unmittelbaren Wärmedämm- bzw. Putzarbeiten. Auch ein Verstoß gegen den kaufmännischen Teil des Vertrages kann als Schlechtleistung in diesem Sinne eingestuft werden (vgl. EuGH v. 3. Oktober 2019 – C 267/18 sowie OLG Frankfurt v. 3. Mai 2018 – 11 Verg 5/18, jeweils zum ungenehmigten Nachunternehmereinsatz). Vorliegend war die Teilnahme an den wöchentlichen Jour fixe-Besprechungen in den zusätzlichen Vertragsbedingungen ausdrücklich vereinbart. Die Nichtteilnahme an diesen Veranstaltungen stellt damit einen Mangel der Leistung dar. Soweit sich die ASt im Rahmen der mündlichen Verhandlung ohne weitere Substantiierung darauf berufen hat, sie sei den Besprechungen ferngeblieben, wenn entweder das eigene Unternehmen geschlossen gewesen sei oder wegen Schlechtwetters ohnehin keine Arbeiten auf der Baustelle möglich gewesen seien, so gibt schon die vertragliche Verpflichtung zur Teilnahme eine solche Einschränkung nicht her. Die E-Mail der ASt vom 28. März 2023, nach der die Ausführung der (Dämm-)Arbeiten derzeit noch im Klärungsprozess und eine Teilnahme am Jour fixe daher nicht erforderlich sei, spricht im Übrigen auch dagegen, dass die Nichtteilnahme lediglich aufgrund von Betriebsferien oder Schlechtwetter erfolgte. Die Aussage, man werde teilnehmen, sobald dies angebracht sei, dürfte vielmehr so zu verstehen sein, dass die ASt hier auf ihre eigene Einschätzung zur Sinnhaftigkeit der Teilnahme abstellte und diese zum Maßstab einer Teilnahmepflicht machte. Ohne dass es noch darauf ankäme, entspräche ein solches Vorgehen jedenfalls nicht der vertraglichen Verpflichtung der ASt. 

b) Die Einschätzung der Ag, dass sich die dargestellte Mangelhaftigkeit der Leistungen auf wesentliche Anforderungen bezog und sowohl erheblich als auch fortdauernd war, ist nicht zu beanstanden. 

Hinsichtlich der unterbliebenen Wärmedämmarbeiten, einschließlich der von der Ag in ihrem Schreiben vom 20. März 2023 gegenüber der ASt angemahnten Leistungen, handelt es sich um Hauptleistungspflichten aus dem vorangegangenen Auftrag, was für die Wesentlichkeit der Anforderung spricht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018 –Verg 7/18). Diese wesentliche Anforderung wurde auch erheblich und fortdauernd verletzt. Die Ag legt insoweit nachvollziehbar dar, dass es nicht nur zu Verzögerungen dieser unmittelbaren Dämmarbeiten kam, sondern auch weitere Gewerke auf der Baustelle mit betroffen wurden. So z.B. kam es zu Behinderungen bei Tiefbauarbeiten, für die ein Gerüst, welches für die Dämmarbeiten erforderlich ist, zwischenzeitlich ab- und wieder aufgebaut werden musste. Neben diesen Koordinationsproblemen auf der Baustelle, die auch zu zusätzlichen Vorhaltekosten führen, stützt die Ag ihre Entscheidung insbesondere auch auf die Gefahren, die sich durch Schwitzwasserbildung infolge der unzureichenden Dämmung der Häuser ergeben haben und denen durch Trocknung und Beheizung begegnet werden musste. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Außenarbeiten an den Häusern nunmehr womöglich bis zum Winter nicht fertiggestellt werden können und die Schlechtwetterunterbrechungen so zusätzliche Verzögerungen bewirken werden. Schließlich führt der insgesamt verursachte Verzug der Bauarbeiten auch zu einer späteren Bereitstellung des Wohnraumes und damit auch zu verringerten Mieteinnahmen der Ag. Die insgesamt mehrmonatigen Verzögerungen selbst auch nur derjenigen Arbeiten, die grundsätzlich ohne abschließende Klärung der Verarbeitungsweise an Fensterbänken und Gesimsblechen möglich gewesen wären, sind damit erheblich und aufgrund der zeitlichen Dauer über mehrere Monate auch fortdauernd. 

Auch bei der Teilnahme an den Jour fixe-Terminen handelt es sich um eine wesentliche Anforderung beider Voraufträge. Ausschlaggebend ist für das Kriterium der Wesentlichkeit, welche Bedeutung der jeweiligen Anforderung für den öffentlichen Auftraggeber zukommt, mithin wie sich eine mangelhafte Erfüllung für ihn auswirkt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018, a.a.O.). Dies ergibt sich schon aus der expliziten vertraglichen Verpflichtung zur Teilnahme, die die Wichtigkeit der Jour fixes für die Ag hervorhebt. Soweit die ASt im Rahmen der mündlichen Verhandlung von einem gescheiterten Versuch berichtete, Baumaterial anzuliefern, aufgrund der Nichtbefahrbarkeit einer Rampe für den Gabelstapler die Lieferung jedoch nicht durchführen konnte, zeigt auch gerade dieses Beispiel die Relevanz der koordinierenden Besprechungen zwischen den einzelnen Gewerken auf größeren Baustellen und damit die Erheblichkeit der Pflicht, an den Jour fixes teilzunehmen. Die Ag führt nachvollziehbar aus, dass gerade auch in den kritischen Phasen, in denen die ASt die Arbeiten ihrer Auffassung nach nicht erledigen konnte, erhöhter Absprachebedarf bestanden habe. Die Nichtteilnahme an vom Auftraggeber verpflichtend vorgeschriebenen regelmäßigen Jour fixe-Besprechungen, trotz mehrfacher Aufforderungen zur Teilnahme durch die Ag, stellt eine erhebliche Pflichtverletzung dar. Der Erheblichkeit steht dabei nicht entgegen, dass ASt und Ag über die Frage der fachgerechten Anbringung der Dämmstoffe außerhalb der wöchentlichen Baustellenbegehungen in Kontakt standen. Selbst bei Unterstellung des, von der Ag bestrittenen, Vortrags der ASt, nach dem am Jour fixe nur die Baustände der einzelnen Gewerke erhoben würden und für die Diskussion der konkreten Bedenken der ASt keine Zeit gewesen wäre, wirken sich Verzögerungen bei der ASt ersichtlich auch auf andere Gewerke aus. Allein aus diesem Grunde wäre eine Teilnahme an den Besprechungen erforderlich gewesen, um jedenfalls zu Dauer und Umfang der Verspätung Auskunft zu geben. Auch hinsichtlich des zweiten Vorauftrages betreffend den Innenputz hätte auf diesen Besprechungen z.B. die Frage der Ag geklärt werden können, wann die wenigen restlichen Arbeiten zum Abschluss des Auftrages erbracht werden. Der Verpflichtung zur Teilnahme ist die ASt auch über die gesamte Dauer beider Voraufträge und damit fortlaufend nur sehr unregelmäßig nachgekommen.  

c) Diese erheblichen Schlechtleistungen haben auch in beiden Voraufträgen zu einer vorzeitigen Beendigung der Aufträge durch fristlose Kündigung von Seiten der Ag geführt. Die ASt hat den Kündigungen jeweils widersprochen. Eine gerichtliche Prüfung, die zur rechtskräftigen Feststellung der Rechtmäßigkeit der Kündigungen geführt hätte, ist bislang nicht erfolgt, jedoch für die Nachprüfung des von der Ag verfügten vergaberechtlichen Ausschlusses nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A auch nicht erforderlich. Ausreichend ist, dass der Auftraggeber von der Schlechterfüllung Gewissheit hat, also eine Überzeugung gewonnen hat, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018 – Verg 7/18). 

Hiervon ist auszugehen. Die oben genannten Umstände, nämlich die Nichtvornahme der Dämmarbeiten, einschließlich der von der Ag in ihrem Schreiben vom 20. März 2023 als ausführbar aufgeführten sieben Leistungen, selbst an solchen Stellen, an denen die ASt keine Bedenken angemeldet hatte, wie auch die Nichtteilnahme an den Jour fixes ohne tragfähige Entschuldigung, sind letztlich auch als Ergebnis der mündlichen Verhandlung als unstreitig feststehend anzusehen. Die Beurteilung dieser Umstände als erhebliche und fortdauernde Verletzung wesentlicher Anforderungen der vorangegangen Aufträge steht auch aus Sicht der Vergabekammer entsprechend den vorstehenden Ausführungen nicht ernsthaft in Zweifel.

Soweit die ASt in der mündlichen Verhandlung Zweifel an der Gewissheit der Ag geäußert hat, weil insbesondere ihr Vorbringen zur Nichtteilnahme an den Jour fixes den Kündigungen nicht zugrunde gelegen habe, sondern erst im Zuge des Nachprüfungsverfahrens nachgeschoben worden sei, geht dieser Einwand fehl. Die Ag hat bereits in ihrem Schreiben vom 20. März 2023 die Nichtteilnahme der ASt an den Jour fixes als Verstoß gegen die Kooperationspflicht abgemahnt und die ASt zur Abhilfe aufgefordert. Im Zusammenhang mit der diesem Aspekt vorangegangenen Aufforderung an die ASt, die von der Ag benannten übrigen Leistungen fortzuführen bzw. aufzunehmen und die Baustelle angemessen zu besetzen, hatte die Ag zudem auf die Möglichkeit der Kündigung bei fruchtlosem Ablauf der insoweit gesetzten Frist explizit hingewiesen. Für einen verständigen Empfänger dieses Schreibens war damit ohne Weiteres ersichtlich, dass auch die von der Ag zusätzlich angemahnte unbedingte Erfüllung der vertraglichen Nebenpflichten für den Fortbestand des Auftrags relevant war. 

Es ist auch nicht davon auszugehen, der Ag habe die für den Ausschluss nötige Gewissheit gefehlt, weil sie im Schreiben vom 20. März 2023 die ASt einerseits zur Abgabe eines Nachtragsangebots bis zum 27. März 2023 und andererseits die Besetzung der Baustelle bzw. Fortführung/Aufnahme der übrigen Arbeiten binnen derselben Frist gefordert habe. Diese parallelen Anforderungen waren für einen verständigen Empfänger nicht widersprüchlich, sondern unmissverständlich kumulativ zu verstehen. Die Ag hat im Schreiben vom 20. März 2023 explizit darauf hingewiesen, dass bei fruchtlosem Ablauf der Frist für die Besetzung der Baustelle und den Beginn bzw. die Fortführung der benannten sieben Leistungen mit der Kündigung des Vertrages zu rechnen sei. In diesem Zusammenhang hat die Ag zudem darauf hingewiesen, dass sie Zweifel an der Leistungsfähigkeit der ASt habe. Für einen verständigen Empfänger dieser Informationen war damit ohne Weiteres ersichtlich, dass die Ag unabhängig von der Nachtragsthematik entsprechend vorgehen werde, weil sie auf der Grundlage ihrer Darlegungen davon ausging, dass die ASt nicht vertragskonform leiste und ein weiteres Zuwarten nicht akzeptieren werde. Die folgenden Ausführungen im Schreiben vom 20. März 2023 zur bemängelten Nichtteilnahme der ASt an den Jour fixes stützen diesen Eindruck. 

d) Die Ag hat bei der Entscheidung über den Ausschluss der ASt ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. 

Der grundsätzlichen Ausübung von Ermessen hinsichtlich der Frage, ob die vorangegangenen Kündigungen zweier Auftragsverhältnisse zum Ausschluss der ASt führen sollen, steht nicht entgegen, dass im von der Ag verwendeten Fragebogen zur Eignungsprüfung im Erläuterungstext zu Ziffer […] – Schwere Verfehlung gem. § 124 GWB noch der Klammerzusatz “zwingender Ausschlussgrund” angegeben ist. Die Ag hat insoweit erklärt, dass es sich um einen Programmierfehler des Herstellers der entsprechenden Software handelt, die Ag habe hier ihr Ermessen ausgeübt und sei nicht von einem zwingenden Ausschlussgrund ausgegangen. 

Entscheidend kann es hier auch nur darauf ankommen, ob sich aus der Vergabeakte dokumentierte Ermessenserwägungen ergeben, nicht hingegen darauf, ob ein vorgegebener Formulartext richtig oder falsch ist. Aus der Vergabeakte lässt sich unmissverständlich entnehmen, dass die Ag hinsichtlich des Ausschlusses der ASt Ermessenserwägungen angestellt hat. So findet sich schon im vorbereitenden Vermerk vom 26. Juni 2023 nicht nur eine ausführliche Sachverhaltsdarstellung und Begründung der Kündigung beider Voraufträge, sondern insbesondere auch eine Prognose zur (nicht) zu erwartenden zukünftigen Vertragserfüllung durch die ASt. Wäre die Ag davon ausgegangen, dass das Vorliegen vorangegangener Vertragskündigungen aufgrund Nichterfüllung wesentlicher Verpflichtungen einen zwingenden Ausschlussgrund darstellt, wären solche weiteren Überlegungen nicht erforderlich gewesen. Auch der weitere Vermerk vom 27. Juni 2023 enthält unter […] eine (negative) Prognose und rät von der Beauftragung dieses Angebotes ab, was sich bei Annahme eines zwingenden Ausschlussgrundes erübrigen würde. Die beiden abschließenden Vermerke vom 3. und 4. Juli 2023 nehmen jeweils auf die Prognose Bezug und führen Argumente auf, um die Ausschlussentscheidung zu begründen. Insoweit ist sichergestellt, dass die Ag hier eine Entscheidung getroffen hat, ohne fehlerhaft von einer Bindung infolge eines zwingenden Ausschlussgrundes auszugehen. Der von der ASt insoweit behauptete Fehler liegt somit nicht vor.

Das Ermessen ist auch sachgerecht ausgeübt worden. Insbesondere ist nicht deshalb von einer unvollständigen Sachverhaltsermittlung der Ag auszugehen, weil im Vermerk vom 26. Juni 2023 der Sachverhaltsteil nicht sämtliche Kontakte zwischen Ag und ASt aufführt. So betreffen die von der ASt als unberücksichtigt monierten Kontakte den in der Sachverhaltsdarstellung unter “Detailabstimmungen zur zweiten Dichtungsebene” dargestellten Zeitraum. Entscheidend für die Darstellung der Kündigung des ersten Vertragsverhältnisses betreffend die Dämmarbeiten ist in dieser Sachverhaltsdarstellung dann jedoch der unter “Formaler Ablauf bis zur Kündigung” beschriebene Ablauf, der u.a. die Abhilfeaufforderung vom 9. März 2023, die Mahnung vom 14. März 2023 und das Schreiben vom 20. März 2023 enthält, in dem die Ag u.a. ausdrücklich zur Durchführung der übrigen Arbeiten auffordert, die von den Streitigkeiten betreffend die korrekte Anbindung der Dämmung an Fensterbänke und Gesimse nicht betroffen sind. Im Vermerk auf […] wird dann ausgeführt: “Die wesentlichen Gründe der Kündigung waren, die unberechtigte Leistungsverweigerung (wirksame Behinderungsanzeigen liegen nicht vor) sowie die Weigerung an den wöchentlichen Jour-fixe Terminen teilzunehmen, so dass die Arbeiten nicht mit den anderen vor Ort tätigen Gewerken koordiniert werden konnten.” Die Aufzählung weiterer Schreiben der ASt zur Frage der korrekten Anbindung der Dämmung an den nach Ansicht der ASt bestehenden Problemstellen Fensterbänke und Gesimse hätte nichts daran geändert, dass Behinderungsanzeigen jedenfalls hinsichtlich der von der Ag mit Schreiben vom 20. März 2023 nochmals ausdrücklich zusammengestellten übrigen sieben Arbeitsbereichen nicht vorlagen und eine Teilnahme an den Jour fixes nicht wie geschuldet erfolgt ist. Insoweit ist die Sachverhaltsdarstellung in der Vergabeakte sachgemäß. 

Auch im Übrigen hat die Ag ihr Ermessen sachgerecht ausgeübt. Die Ag stellt auf die von ihr ausgesprochenen Kündigungen ab und auf unterbliebene Maßnahmen der ASt, die für den jetzt ausgeschriebenen Auftrag eine möglichst reibungslose Durchführung erwarten lassen. Unschädlich ist insoweit, dass die Prognoseentscheidung abwertende Urteile zur ASt enthält wie “nicht leistungsfähig” und “nicht leistungswillig” oder “unzuverlässig”. Dies belegt entgegen der Auffassung der ASt nicht, dass die Ag zum Zeitpunkt der Prognoseentscheidung die Ausschlussentscheidung bereits getroffen hatte, sondern begründet vielmehr diese Ausschlussentscheidung. Schließlich hatte die Ag bereits in ihrem Schreiben vom 20. März 2023 Zweifel an der Leistungsfähigkeit der ASt geäußert und dies schlüssig mit den von der Ag aufgeführten übrigen Leistungen begründet, die die ASt habe ausführen können, dies aber nur unzureichend getan habe. Die ASt hatte es nach der hierfür gesetzten Frist bis zum 27. März 2023 in der Hand gehabt, den explizit geäußerten Verdacht der Ag, die ASt sei möglicherweise nicht leistungsfähig, zu zerstreuen, indem sie gemäß der Aufforderung der Ag die Arbeiten aufgenommen bzw. fortgeführt und die Baustelle angemessen besetzt gehabt hätte. Zu Recht hat die Ag auch die Folgen für das Gesamtbauvorhaben, wie längere Standzeiten für Gerüste, Arbeitsunterbrechung im Tiefbau, Vorhaltekosten für z.B. Rollläden, Schadensrisiko für das Gebäude durch Schwitzwasser sowie erhöhte Heizkosten einfließen lassen. 

e) Die Entscheidung, die ASt vom Vergabeverfahren auszuschließen, ist unter Berücksichtigung der Schwere der Pflichtverletzung wie auch des Ausmaßes des dadurch verursachten Schadens verhältnismäßig. 

Die ASt hat es unterlassen, selbst die “unstreitigen” Arbeiten, gegen deren Durchführung sie keine fachlichen Bedenken angemeldet hat, durchzuführen. Dies trotz mehrfacher Aufforderung der Ag, mit den Arbeiten zu beginnen, wobei die Möglichkeit der ggf. auch nur teilweisen Durchführung ebenfalls ausdrücklich im Raum stand. Die Aufforderung der Ag in ihrem Schreiben vom 20. März 2023, die ASt möge mit den dort genannten sieben Leistungen beginnen bzw. diese fortführen und die Baustelle angemessen besetzen, ließen der ASt entsprechenden Spielraum. Gleichzeitig hat die ASt zusätzliche Möglichkeiten, durch Teilnahme an den Jour fixe-Terminen zu einer Problemlösung zu finden oder jedenfalls die Auswirkungen auf die restlichen Bauarbeiten durch Absprachen hinsichtlich der zu erwartenden Verzögerungen zu minimieren, ohne tragfähige Entschuldigung ausgelassen. Die Ag hatte der ASt im Schreiben vom 20. März 2023 eine zusätzliche Frist bis zum 3. April 2023 gesetzt, um die Teilnahme an den regelmäßigen Jour fixe-Terminen sicherzustellen. Dass die Ag die Mitteilung der ASt in ihrer E-Mail vom 28. März 2023, sie halte bis zur weiteren Klärung eine Teilnahme für nicht erforderlich, als eine Verweigerung der der ASt eingeräumten Abhilfemöglichkeit eingeordnet und im Hinblick auf die Kündigung des Dämmauftrags berücksichtigt hat, ferner vor diesem Hintergrund keine Basis für eine vertrauensvolle und zuverlässige Zusammenarbeit mit der ASt in einem auf das streitgegenständliche Vergabeverfahren zu erteilenden Auftrag sah, ist keine unangemessene Vorgehensweise. Die Auswirkungen des Verhaltens der ASt sind in Bezug auf die gekündigten Voraufträge wie bereits dargestellt erheblich. Die Ag hat vor diesem Hintergrund eine Prognose angestellt, nach der sie nachvollziehbar zu der Einschätzung gelangt, dass der ASt eine hinreichende Zuverlässigkeit fehlt, im hier streitgegenständlichen Auftrag mangel- bzw. verzögerungsfrei zu leisten bzw. mit dem Auftraggeber hinreichend zu kooperieren. Wenn der Auftraggeber – wie hier – keine Gewähr für ein kooperatives Zusammenarbeiten infolge der mit hinreichender Gewissheit bejahten Schlechtleistungen und ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen sieht, ist ein Ausschluss nicht unangemessen. Dies auch unter Berücksichtigung der Folgen einer weiteren Verzögerung der Arbeiten, die von einem gemäß der Prognose als unzuverlässig einzuschätzenden Unternehmen ausgehen könnte. Insoweit hat die Ag in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen dargelegt, dass in angrenzenden sanierungsbedürftigen Altbauten zahlreiche Mieter auf den Umzug in die fertigzustellenden Wohnungen warten. In Anbetracht dieser Umstände erscheint der Ausschluss der ASt auch bei Berücksichtigung des wirtschaftlichen Interesses der ASt am Auftrag als verhältnismäßig. 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, 2 und 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 VwVfG.

Die Kosten (Gebühren und Auslagen) wie auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag sind der ASt aufzuerlegen, da sie im Verfahren unterliegt. 

Die Bg hat sich nicht am Verfahren beteiligt und ist damit kein Kostenrisiko eingegangen. Es entspricht daher der Billigkeit, ihr auch keinen Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich ihrer notwendigen Aufwendungen zuzugestehen. 

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Ag war notwendig. Diese Frage ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden. Maßgeblich ist hier, ob die Ag in der Lage gewesen wäre, das für eine sinnvolle Rechtsverteidigung Gebotene gegenüber der Vergabekammer selbst vorzubringen. Hinsichtlich auftragsbezogener Sach- und Rechtsfragen hat sich die Vergabestelle die erforderlichen Rechtskenntnisse zu verschaffen und bedarf daher grundsätzlich keiner anwaltlichen Unterstützung. Vorliegend ist der Ausschluss eines Bieters aufgrund vorheriger Schlechtleistungen zu prüfen. Dabei handelt es sich im Ausgangspunkt um eine Frage, die in jedem Vergabeverfahren auftreten kann und die daher als zum originären Aufgabengebiet einer Vergabestelle zugehörig zu qualifizieren ist. Besonders zu berücksichtigen ist, dass die Ag über ein eigenes Justiziariat verfügt, welches auch die mündliche Verhandlung vor der Vergabekammer begleitet hat. Gleichzeitig ist jedoch zu berücksichtigen, dass für die Prüfung des Ausschlussgrundes des § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A auch außervergaberechtliche Fragestellungen zu beantworten waren, da die Rechtmäßigkeit der beiden vorangegangenen Kündigungen nicht gerichtlich bestätigt war. Erforderlich war für die Ag daher eine Entscheidung in der komplexen Gemengelage von Vergaberecht und Bauvertragsrecht unter Berücksichtigung der für das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes erforderlichen Sicherheit hinsichtlich des Vorliegens der Schlechtleistungen. Dies stellt eine besondere Schwierigkeit des vorliegenden Falles dar und rechtfertigt die Zuziehung spezialisierter anwaltlicher Bevollmächtigter. Auch der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit zur ebenfalls anwaltlich vertretenen ASt stützt dieses Ergebnis. 

IV.

(…)

Kurz belichtet

Kurz belichtet

Nachweis der Leistungsfähigkeit bei Eignungsleihe nicht erst nach Auftragsvergabe

EuGH, Beschluss vom 10.01.2023 – Rs. C-469/22

Art. 63 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit Art. 59 und dem 84. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24/EU ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nehmen möchte, die Unterlagen über die Befähigung dieses Unternehmens und dessen verpflichtende Zusage erst nach der Auftragsvergabe einreichen muss.

Verzug und/ oder Mängel bei früherem Auftrag sind ein Ausschlussgrund

VK Bund, Beschluss vom 17.08.2023 – VK 2-56/23

Der öffentliche Auftraggeber kann ein Bieterunternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen kann, wenn es eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt und dies u. a. zu einer vorzeitigen Beendigung geführt hat. Eine wesentliche Anforderung wird u. a. bei Nichtleistung sowie bei erheblichen Mängeln der ausgeführten Bauleistung, die sie für den beabsichtigten Zweck unbrauchbar machen, nicht erfüllt.

Preis ungewöhnlich niedrig: Bieter muss „Seriosität“ des Angebots nachweisen

OLG Schleswig, Beschluss vom 19.07.2023 – 54 Verg 3/23

Kann der öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Preisprüfung die geringe Höhe eines angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären, darf er den Zuschlag auf dieses Angebot ablehnen. Die Verwendung des Verbs “dürfen” ist nicht so zu verstehen, dass es im Belieben des Auftraggebers steht, den Auftrag trotz weiterbestehender Ungereimtheiten doch an den betreffenden Bieter zu vergeben. Die Ablehnung des Zuschlags ist vielmehr grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären kann. Auf die Aufforderung des Auftraggebers hin hat der Bieter Gelegenheit, den Nachweis der “Seriosität” seines Angebots zu erbringen. Der Bieter muss konkrete Gründe darlegen, die den Anschein widerlegen, dass sein Angebot nicht seriös ist. Dazu muss er seine Kalkulation und deren Grundlagen erläutern. Die Erläuterungen des Bieters müssen umfassend, in sich schlüssig und nachvollziehbar sowie gegebenenfalls durch geeignete Nachweise objektiv überprüfbar sein. Formelhafte, inhaltsleere bzw. abstrakte Erklärungen ohne Bezug zu den einzelnen Positionen, wie etwa allgemeine Hinweise auf innerbetriebliche Strukturen oder wirtschaftliche Parameter, reichen nicht aus, um die Seriosität des Angebots nachzuweisen. Ohne Ausübung eines Ermessens hat der Auftraggeber ein Angebot abzulehnen, wenn er festgestellt hat, dass der Preis oder die Kosten des Angebots ungewöhnlich niedrig sind.

Mündliche Kommunikation mit Bietern muss hinreichend dokumentiert werden

VK Sachsen, Beschluss vom 28.07.2023 – 1/SVK/011-23

Ein öffentlicher Auftraggeber ist verpflichtet, die mündliche Kommunikation mit Bietern, die Einfluss auf Inhalt und Bewertung der Angebote haben könnte, in hinreichendem Umfang und in geeigneter Weise zu dokumentieren. In sich widersprüchliche Angebote dürfen ohne vorherige Aufklärung des Angebotsinhalts weder bezuschlagt noch ausgeschlossen werden. Der öffentliche Auftraggeber hat vielmehr den betreffenden Bieter zu einer Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufzufordern und ihm Gelegenheit zu geben, die Widersprüchlichkeit nachvollziehbar auszuräumen. Lässt der Bieter die ihm gesetzte angemessene Frist zur Aufklärung ohne Antwort verstreichen oder legt er lediglich untaugliche Unterlagen vor, oder gibt er untaugliche Antworten, kann dieses Verhalten als Verweigerung der Mitwirkung an der Aufklärung gewertet werden, was für sich genommen bereits einen Ausschlussgrund darstellen kann.

Rüge “ins Blaue” hinein: Nachprüfungsantrag unzulässig

VK Hessen, Beschluss vom 26.06.2023 – 96 e 01.02/23-2023

Die Anforderungen an die Darlegung einer Vergaberechtsverletzung bzw. an die Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber dürfen nicht zu hoch angesetzt werden. Ein Mindestmaß an Substanziierung ist jedoch einzuhalten. Reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen (sog. Rüge ins Blaue hinein) reichen nicht aus. Die bloße Behauptung eines Mitbewerbers, der Bestbieter erfülle die Anforderungen der Ausschreibung nicht und sei daher auszuschließen, ohne Anhaltspunkte oder Indizien darzulegen, aus denen er diese Erkenntnis nimmt, erfüllt nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge.

Ausschreibungsfreie “Schwester-Schwester-Vergabe” nur bei alleiniger Kontrolle

OLG Naumburg, Beschluss vom 03.06.2022 – 7 Verg 1/22

Die Ausschreibungsfreiheit eines Vertrags nach § 108 Abs. 3 Alt. 2 GWB (sog. Schwester-Schwester-Vergabe) ist davon abhängig, dass die beiden vertragsschließenden juristischen Personen von demselben öffentlichen Auftraggeber kontrolliert werden. An einer solchen Identität des kontrollierenden öffentlichen Auftraggebers fehlt es, wenn zwar die zu betrauende Einrichtung von dem öffentlichen Auftraggeber i.S.v. § 108 Abs. 1 Nr. 1 GWB kontrolliert wird, aber die beauftragende juristische Person von diesem öffentlichen Auftraggeber nur gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern i.S.v. § 108 Abs. 4 GWB kontrolliert wird.

OLG Frankfurt zur Frage der Korrektur einer vergaberechtswidrigen Wertung in einer späteren Phase des Vergabeverfahrens

OLG Frankfurt zur Frage der Korrektur einer vergaberechtswidrigen Wertung in einer späteren Phase des Vergabeverfahrens

Ein Vertrauen der Bieter auf die Beibehaltung einer vergaberechtswidrigen Wertung ist nicht schützenswert. Die Vergabestelle kann deshalb grundsätzlich eine Wertung, nach der ein Bieter wegen fehlender Eignung ausgeschlossen wurde, in einer späteren Phase des Vergabeverfahrens korrigieren, wenn sie vergaberechtswidrig ist.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.2.2009, 11 Verg 16/08

Gründe

I. Die Antragsgegnerin gab am 4.10.2007 die Vergabe von Bauarbeiten für die Straßenbahnanbindung “A” in der Stadt … europaweit bekannt. In einem Vermerk der mit der technischen Prüfung beauftragten Ingenieurgesellschaft vom 30.1.2008 „Prüfung und Wertung der Angebote zur Ausschreibung“ -(Bl. 219 ff. d.A.) – heißt es unter 2. Prüfung der Eignung in Bezug auf Bieter Nr. 9 ( Beigeladene): „ … Für die Tiefbauarbeiten in geschlossenen Bauweisen aus dem Los 3 liegt der entsprechende Nachweis nach RAL Gütezeichen Kanalbau VO nicht vor. Aus den vorgelegten Referenzobjekten sind solche Arbeiten nicht zu entnehmen, damit auch keine Fachkunde und Leistungsfähigkeit nachvollziehbar dargestellt. … “

Im selben Vermerk heißt es unter 8. Vergaberelevante Hinweise:

„Bieter 9 hat in einem Bietergespräch zu folgenden Punkten Aufklärung zu verschaffen: … Aufklärung über die Art der Ausführung der Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise (siehe auch Kapitel 2 Eignung der Bieter) …“ In einem ebenfalls das Datum 30.1.2008 tragenden „Ergänzungsbericht (nach den Erläuterungsgesprächen)“ – (Bl. 238 ff. d.A.) – heißt es unter 3. Zusammenfassung der Ergebnisse Bieter Nr. 9:

„3.2 Aufklärung über zu erbringende Eigenleistungen und Nachunternehmerleistungen In einem Bietergespräch wurde die Bietergemeinschaft gebeten, nochmals einige Erläuterungen bzgl. einiger fachspezifischen Leistungen aus den Losen 1 bis 6 anzugeben, ob diese in Eigenleistung ausgeführt werden. … Bzgl. der Kanalbauarbeiten (offene Bauweisen) aus Los 3 und Los 4 teilte der Bieter im Erläuterungsgespräch mit, dass diese Arbeiten in Eigenleistung erbracht werden. Mit Schreiben vom 30.1.2008 (Anlage C) wurde durch den bevollmächtigten Vertreter der Bietergemeinschaft –Hr. B von C Bau – mitgeteilt, dass es der Bietergemeinschaft nicht möglich ist, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen. Wir möchten darauf hinweisen, dass aus formalen Gründen die Bietergemeinschaft aus dem Vergabeverfahren auszuschließen ist.

3.3 Aufklärung über Ausführung der Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise
Wie auch in der Niederschrift zum Erläuterungsgespräch festgehalten ist, teilte die Bietergemeinschaft mit, dass diese Arbeiten in Eigenleistung ausgeführt werden. Im Rahmen des Erläuterungsgesprächs wurde seitens der Bietergemeinschaft mitgeteilt, dass die gewünschten Nachweise für die Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise innerhalb der Unternehmen vorliegen. Seitens des AG erfolgte einvernehmlich die Einräumung einer Nachlieferungsfrist für die bisher nicht vorgelegten Nachweise bis 30.1.2008, 12:00 Uhr. In einem weiteren Schreiben vom 30.1.2008 (per Fax: Eingang 12.32 Uhr, siehe auch Anl. E) erfolgte die aus Sicht der Bietergemeinschaft als nicht verpflichtend angesehene Nachsendung der Nachweise zum Stollenbau. Der Nachweis der Fachkunde konnte auf der Basis der vorgelegten Unterlagen nicht eindeutig nachgewiesen werden, da die vorgelegten Unterlagen aus technischer Sicht die Art und den Umfang der ausgeschriebenen Leistungen nicht ausreichend sicherstellen.

Aufgrund der o.g. Punkte ist die Eignung des Bieters Nr. 9 für das Los 3 und 4 als nicht gegeben anzusehen.“

Abschließend heißt es in dem ergänzenden Bericht:

„5 Angebotsbeurteilung der Bieter Nr. 7 und 9 nach Erläuterungsgesprächen

Da der Bieter Nr. 9 sowohl aus den zuvor genannten formalen Gründen (s. Pkt. 3.2) und des fehlenden Eignungsnachweises für die Teilleistungen „Tiefbau geschlossene Bauweise“ ( siehe Punkt 3.3) aus dem Vergabeverfahren auszuschließen wäre, empfehlen wir die Vergabe der in den Losen 1 bis 6 ausgeschriebenen Leistungen an den auf Rang 2 liegenden Bieter…“.

Das in diesem Vermerk erwähnte Schreiben der C Bau GmbH & Co. KG vom 30.1.2008 (Anlage Bf. 3 = GA 76) lautet:

„… wir bedauern sehr Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir die von Ihnen geforderten Nachweise und Zertifikate für eigenes Fachpersonal, für die in Los 3 und 4 beschriebenen Stollenbauarbeiten nicht nachweisen können. Ebenso ist es uns nicht möglich, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen, welche wir bei Angebotsabgabe nicht benannt haben. …“

Das in dem Ergänzungsbericht erwähnte weitere Schreiben (Fax) der Beigeladenen vom 30.1.2008 enthält als Anlage eine Liste von Referenzobjekten zum Stollenbau.

Im Schreiben der Antragsgegnerin vom 31.1.2008, mit welchem sie der Beigeladenen mitteilte, dass deren Angebot aus der Wertung ausgeschlossen werden müsse, heißt es u.a. (Anl. Bf 5 = GA 78 f):

„Unabhängig von den Gründen des Ausschlusses möchten wir Sie darüber informieren, dass der Versuch des Nachweises der Fachkunde durch die von Ihnen per Fax 30.1. vorgelegten Unterlagen, weder eindeutig noch ausreichend ist, den in den Ausschreibungsunterlagen gestellten Anforderungen zu genügen“

In der Vorlage zu Punkt 4 der TO der Geschäftsführersitzung 06/2008 am 11.2.2008 (Anl. AG 6 – vertraulich) heißt es u.a. (dies zitiert die Antragsgegnerin):

„ Die auf Platz 1 liegende Bietergemeinschaft hatte keinen Nachweis zur Eignung und Fachkunde eingereicht und erhielt im Erläuterungsgespräch die Gelegenheit, den Nachweis zu erbringen. Dies ist der Bietergemeinschaft nicht gelungen, was zum formalen Ausschluss gemäß der VOB-Richtlinien führte.“

Mit Telefax vom 11.2.2008 (Bl. 39 VK) informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin, sie beabsichtige deren Angebot nach Ablauf der Frist des § 13 VgV anzunehmen.

Unter dem 19.2.2008 (Bl. 40 VK) teilte die Antragsgegnerin den Bietern dann mit, die Ausschreibung werde aufgehoben, weil kein Angebot eingegangen sei, das den Ausschreibungsbedingungen entspreche, und ein anderer schwerwiegender Grund in Form der Unwirtschaftlichkeit einer Bezuschlagung bestehe.

Mit Telefax vom selben Tag (Bl. 41 VK) teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie ihr Angebot von der Wertung habe ausschließen müssen, weil sie nicht über das geforderte Zertifikat RAL-GZ 962 verfüge. Mit Schreiben vom 21.2.2008 (Bl. 43 VK) rügte die Antragstellerin die Aufhebung des offenen Verfahrens und machte geltend, ihr Angebot sei annehmbar und bezugschlagbar. Die Forderung eines Gütezeichens verstoße in einem europaweit durchgeführten Wettbewerb gegen das Diskriminierungsverbot, da es sich um eine rein nationale Zertifizierung handele. Der Nachweis habe überdies nicht verlangt werden dürfen, weil er nicht bereits in der Bekanntmachung gefordert worden sei. Der Grund für die Aufhebung des offenen Verfahrens sei in keiner Weise für sie nachvollziehbar. Da die Antragsgegnerin der Rüge nicht abgeholfen hat, leitete die Antragstellerin am 4.3.2008 ein Nachprüfungsverfahren ein.

Die Vergabekammer hat diese Nachprüfungsanträge mit Beschluss vom 22.4.2008 zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat der Senat durch Beschluss vom 15.7.2008 (11 Verg 4/08) diesen Beschluss der Vergabekammer (Az.: 69 d VK -12/2008) aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, die Ausschlussentscheidung gegenüber der Antragstellerin zurückzunehmen und die Antragstellerin wieder zum Vergabeverfahren zuzulassen. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, die Antragsgegnerin habe die Antragstellerin zu Unrecht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen, weil sie mit ihrem Angebot nicht auch den geforderten Gütesicherungsnachweis RAL-GZ 962 vorgelegt hat. Die Anforderung des Gütenachweises sei vergaberechtswidrig gewesen, der Ausschluss der Antragstellerin habe deshalb nicht auf den fehlenden Nachweis gestützt werden dürfen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der Begründung wird auf den Senatsbeschluss vom 15.7.2008 (Anl. Bf 1 = GA 39 ff.) Bezug genommen.

Die Antragsgegnerin hat daraufhin beschlossen, die Aufhebung des offenen Verfahrens zurückzunehmen und das Verfahren in den Stand vor der erstmaligen Bieterinformation von Februar 2008 zurückzuversetzen. Zugleich hat sie den Ausschluss des Angebots der Beigeladenen zurückgenommen und unter dem 2.7.2008 der Antragstellerin mitgeteilt, sie beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, da es das wirtschaftlichste sei.

In einem Vermerk vom 29.7.2008 (Anl. AG 1 = GA 173) heißt es:

„…konnte sich die Vergabestelle bei der Prüfung der Unterlagen zulässigerweise nur auf die tatsächlich von den Bietern vorgelegten Unterlagen stützen. Diese Unterlagen stellten indes eine ausreichende Tatsachengrundlage für eine ordnungsgemäße Eignungsprüfung dar, insbesondere lagen zum Nachweis der jeweiligen Fähigkeiten jeweils zahlreiche Referenzen aus vergleichbaren Projekten sowie die Ausbildungs- und Qualifikationsnachweise der jeweiligen Mitarbeiter einschließlich der Eintragungen in das Berufsregister vor. Mithin waren unabhängig von den fehlenden formalen Nachweisen ausreichende materielle Nachweise für eine Prüfung und Feststellung der Eignung gegeben….“

Nachdem die Antragstellerin mit Telefax vom 4.7.2008 die beabsichtigte Zuschlagserteilung gerügt und die Antragsgegnerin der Rüge nicht abgeholfen hat, hat sie am 14.7.2008 ein weiteres Nachprüfungsverfahren eingeleitet.

Die Antragstellerin hat beantragt, 1. der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Bietergemeinschaft C/D-E zu erteilen, 2. hilfsweise, Zuschlag auf das Angebot der Bietergemeinschaft C/D-E zu erteilen, 2. hilfsweise, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen, 3. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist 4. die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 05.9.2008 zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss (Anl. Bf 2 = GA 62 ff.) Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt:

Der angefochtene Beschluss vermittle den unzutreffenden Eindruck, der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen sei allein wegen des fehlenden RAL-Gütezertifikats erfolgt. Bei der formalen Wertung auf der ersten Wertungsstufe seien tatsächlich aber zahlreiche Gründe festgestellt worden, die gegen eine Eignung der Beigeladenen sprächen. Das Mitglied der Beigeladenen, die C GmbH und Co KG, habe zudem mit Schreiben vom 30.1.2008 selbst mitgeteilt, dass sie die geforderten Nachweise und Zertifikate für eigenes Fachpersonal für die in Los 3 und 4 beschriebenen Stollenbauarbeiten nicht nachweisen könne. Ebenso sei es ihr nicht möglich, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen, welche sie jedoch bei Angebotsabgabe nicht benannt habe. Dieses Schreiben habe die Antragsgegnerin bei der Wertung der Angebote gemäß Ziffer 3.2 ihres Ergänzungsberichts vom 30.1.2008 auch berücksichtigt und dementsprechend mit Schreiben vom 31.1.2008 die Beigeladene vom weiteren Verfahren ausgeschlossen.

Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, nach Angebotsabgabe auftretende Hinweise auf die mangelnde Eignung eines Bieters zu berücksichtigen. Dies gelte erst recht für eigene Erklärungen des Bieters. Das Schreiben der C GmbH und Co. KG vom 30.1.2008 sei der Beigeladenen gemäß § 164 BGB zuzurechnen, da die C GmbH & Co. KG bevollmächtigte Vertreterin der Beigeladenen ist. Die Erklärung sei von der C GmbH & Co KG im Namen der Bietergemeinschaft abgegeben worden. Deshalb könnten sich die Aussagen über die mangelnde Eignung der in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten nur auf die Bietergemeinschaft insgesamt beziehen. Der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen sei mithin erfolgt, weil sie selbst erklärt habe, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten weder selbst ausführen zu können, noch mit dem Angebot Nachunternehmererklärungen vorgelegt habe. Ein Zusammenhang mit den RAL-Zertifikaten bestehe nicht.

Die Antragstellerin beantragt,

1. die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Landes Hessen beim Regierungspräsidium Darmstadt vom 5. September 2008 – Az.: 69 d – VK – 39/2008 aufzuheben,
2. der Beschwerdegegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen,
3. hilfsweise die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die von dem angerufenen Senat festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen,

Die Antragsgegnerin beantragt,

1. die Anträge der Antragstellerin abzuweisen,
2. die Kosten des Nachprüfungsverfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen,
3. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin notwendig war.

Die Antragsgegnerin trägt vor, nach der Rechtsauffassung des Senats dürfe sie die Gütezeichen RAL 961 und 962 von den Bietern mangels ausreichender

Bekanntmachung nicht fordern. Sie habe daher eine neue Eignungsprüfung auf der Grundlage der von den Bietern eingereichten Unterlagen durchgeführt. Auf der Grundlage dieser Unterlagen sei sie zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beigeladene zur Ausübung der geforderten Leistungen in der Lage sei.

Insbesondere habe sich zweifelsfrei gezeigt, dass die Beigeladene die von den

Gütezeichen RAL 961 und 962 (Kanalbau in Stollenbauweise, Kabelleitungstiefbau)

Gütezeichen RAL 961 und 962 (Kanalbau in Stollenbauweise, Kabelleitungstiefbau)

umfassten Leistungen mit eigenem Fachpersonal auszuführen in der Lage sei, wie sich aus dem Vergabevermerk vom 29. Juli 2008 ergebe. Der seinerzeitige Ausschluss sei ausschließlich aufgrund der Tatsache erfolgt, dass die Beigeladene nicht über die geforderten Gütezeichen verfüge und die Leistungen deshalb nicht selbst erbringen konnte. Infolgedessen hätte sie die relevanten Leistungen nur mit Nachunternehmern, die über ein entsprechendes Zertifikat verfügen, erbringen können. Solche habe sie im Angebot nicht benannt. Andere Ausschlussgründe habe es nicht gegeben.

Die Vermerke der beratenden Ingenieursgesellschaft BGS vom 30.1.2008 seien nicht maßgebend, weil die Antragsgegnerin sich diese nicht zu Eigen gemacht habe. Die Einschätzung im Prüfbericht der externen Firma sei ihr nicht zuzurechnen. Die Antragsgegnerin habe allein aufgrund des Vergabevermerks vom 4.2.2008 (Anl. AG 5) und der Vorlage zu Punkt 4 der TO der Geschäftsführersitzung 06/2008 am 11.2.2008 (Anl. AG 6) entschieden. Dies ergebe sich aus der Ergebnisniederschrift zu dieser Sitzung (Anl. AG 7).

Maßgebend seien allein das fehlende RAL-GZ 961 (Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise) und die fehlenden Nachunternehmernachweise gewesen. Über die materielle Eignung, die sich aus den Referenzen ergibt, habe sie sich keine irgendwie verfestigte Meinung gebildet. Dies belege die Vorlage zu Punkt 4 der TO der Geschäftsführersitzung 06/2008 am 11.2.2008 (Anl. AG 6). Im Gegensatz zum RAL-GZ 962 (Kabeltiefbauarbeiten), das der Antragstellerin fehlte, habe das RAL-GZ 961 (Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise) eine deutlich größere Bedeutung gehabt, da eine 30 m lange Unterquerung einer verkehrsreichen Hauptstraße zu erstellen sei. Aus der Absicht, den Zuschlag der Antragstellerin trotz Fehlens des RAL-GZ 962 zu erteilen, könne daher kein Rückschluss auf die Willensbildung der Antragsgegnerin erfolgen.

Eine ergänzende Eignungsprüfung sei bis zum Zuschlag möglich. Jedenfalls aber könne die Verneinung der Eignung nicht auf die unzureichenden Referenzen gestützt werden, da nicht bekannt gemacht worden sei, dass deren Vorlage erforderlich ist. Maßgebend müssten daher die tatsächlich vorgelegten Unterlagen und nicht die geforderten Referenzen sein. Die Vergabestelle sei auch nicht an ihre ursprüngliche Beurteilung der Eignung gebunden.

Sie, die Antragsgegnerin, habe die vollumfängliche Eignung der Beigeladenen im Rahmen der neuen Eignungsprüfung positiv festgestellt. Tatsachen, die einer Eignung der Beigeladenen entgegenstünden, lägen nicht vor. Da die Beigeladene das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe, sei ihr der Zuschlag zu erteilen. Die neue Eignungsprüfung sei allein auf die von den Bietern schon mit dem Angebot eingereichten Unterlagen gestützt worden. Die Entscheidung über die Eignung der Beigeladenen sei auf Grundlage der als Anlagen AG 10a und 10b zur Akte gereichten Unterlagen erfolgt. Entsprechend sei bei der Antragstellerin an Hand der als Anlage 11a und 11b zur Akte gereichten Unterlagen verfahren worden. Die Feststellung sowohl der Eignung der Antragstellerin wie der Beigeladenen beruhe somit auf vergleichbaren Unterlagen.

Das Schreiben der C GmbH & Co. KG vom 30.1.2008 stehe dem nicht entgegen.

Es sei keineswegs in dem von der Antragstellerin behaupteten Sinne gemeint.

Andere Ausschlussgründe als das Fehlen der Gütezeichen RAL 961 und 962 habe es nicht gegeben. Damit stehe fest, dass die Beigeladene infolge des vom Senat vorgegebenen Verzichts auf das Gütezeichen RAL 962 selbst ausführen könne.

Die Beigeladene beantragt,

1. die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Landes Hessen beim Regierungspräsidium Darmstadt vom 5. September 2008 – Az.: 69 d – VK – 39/2008 zurückzuweisen,
2. die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin aufzuerlegen,
3. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladene notwendig war.

Die Beigeladene trägt vor, sie habe der Antragsgegnerin im Rahmen eines Bietergesprächs am 29.1.2008 dargelegt, dass alle im Leistungsverzeichnis beschriebenen Stollen- und Kanalbauarbeiten durch das Mitglied der Bietergemeinschaft D-E GmbH & Co. KG durchgeführt würden, weil das andere Mitglied, die C GmbH & Co. KG, nicht in der Lage sei, diese Arbeiten auszuführen.

Mitglied, die C GmbH & Co. KG, nicht in der Lage sei, diese Arbeiten auszuführen.

Die Antragsgegnerin habe daraufhin die D-E GmbH & Co KG aufgefordert, ihre Eignung zur Vornahme der im Los 3 und 4 beschriebenen Stollenbauarbeiten mittels Nachweisen und Zertifikaten zu belegen. Diesbezügliche Nachweise seien weder in den Verdingungsunterlagen noch in der Bekanntmachung gefordert worden. Die Vorgehensweise der Antragsgegnerin sei deshalb als vergaberechtswidrig gerügt worden. Zusätzlich habe die C GmbH & Co. KG gegenüber der Antragsgegnerin nochmals bestätigt, dass sie mangels eigener fachlicher Eignung nicht in der Lage sei, die Arbeiten durchzuführen. Da dies nur die fachliche Eignung des ersten Mitglieds der Bietergemeinschaft betroffen habe, sei die Erklärung nicht auf dem Briefkopf der Bietergemeinschaft abgegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die zulässige Beschwerde (§§ 116, 117 GWB) hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Vergabekammer hat den zulässigen Nachprüfungsantrag zutreffend als unbegründet zurückgewiesen.

Die Antragstellerin kann nicht mit Erfolg geltend machen, die Absicht der Antragsgegnerin, den Zuschlag der Beigeladenen zu erteilen, sei vergaberechtswidrig.

Die Antragsgegnerin durfte nach erneuter Prüfung die Eignung der Beigeladenen bejahen.

Die Antragsgegnerin war nicht gehindert, die Eignung der Beigeladenen erneut zu prüfen.

Welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Eignung maßgeblich ist, ist umstritten.

Teilweise wird vertreten, Eignungsgesichtspunkte könnten generell auch zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt werden.

Nach anderer Auffassung müssen die Kriterien der Fachkunde und der Zuverlässigkeit spätestens zum Zeitpunkt der Angebotswertung vorliegen (OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.12.2007, Verg W 21/07 zit. nach juris; zum Meinungsstreit vgl. etwa Müller-Wrede/Noch, VOL/A 2. Aufl. § 25 Rn. 189 ff.)

Nach einer weiteren Auffassung ist hinsichtlich aller Eignungsmerkmale im Interesse der Transparenz, der Gleichbehandlung und des fairen Wettbewerbs allein auf den Zeitpunkt der Angebotsabgabe abzustellen.

Unabhängig davon stellt sich hier die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine bereits durchgeführte Eignungsprüfung wiederholt und ggfs. revidiert werden kann.

Grundsätzlich ist der Auftraggeber an eine einmal getroffene Ermessensentscheidung zur Eignung eines Bieters gebunden (OLG Frankfurt, VergabeR 01, 243), wenn er in Ausübung seines Beurteilungsspielraums die Zuverlässigkeit, fachliche Eignung und Leistungsfähigkeit bejaht hat (Weyand, Vergaberecht, 2. Aufl., § 97 GWB Rn. 809 ff).

Eine erneute Eignungsprüfung kann allerdings geboten sein, wenn der Auftraggeber andernfalls einem ungeeigneten Bieter den Auftrag erteilen müsste.

Ein nach Angebotsabgabe eintretender Wegfall der Eignung ist danach stets beachtlich. Werden dem Auftraggeber nachträglich solche Umstände bekannt, so muss er seine Wertung wiederholen. Das Wettbewerbsinteresse bzw. das Interesse der Allgemeinheit daran, dass nur geeignete Unternehmen die Leistung ausführen, überwiegt gegenüber dem Vertrauensinteresse des Bieters (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.07.2003 Verg 11/03; Beschl. v. 5.5.2004 – VII Verg 10/04; Weyand, a.a.O. Rn. 809 ff).

Es ist darüber hinaus grundsätzlich unbedenklich und kann sogar geboten sein, eine Eignungsprüfung nachträglich zu korrigieren, wenn sich zwischenzeitlich aufgrund neuer Erkenntnisse herausgestellt haben sollte, dass die ursprüngliche Eignungsprüfung letztlich auf falschen Tatsachen beruhte (Weyand, a.a.O. Rn. 810 m.w.N.).

Das gilt grundsätzlich nicht nur für Umstände, die die bereits bejahte Eignung eines Bieters in Frage stellen, sondern muss umgekehrt auch Geltung eines Bieters in Frage stellen, sondern muss umgekehrt auch Geltung beanspruchen in Fällen, in denen die Eignung eines Bieters aufgrund „falscher Tatsachen“ zunächst verneint worden war. Denn der öffentliche Auftraggeber ist nicht gehindert, im Zuge einer ihm durch die Nachprüfungsinstanzen aufgegebenen erneuten Angebotswertung bislang vorhandene Wertungsfehler zu beseitigen. Das gilt unabhängig davon, ob sie Gegenstand der betreffenden Nachprüfungsentscheidung waren oder nicht. Ein Vertrauen der Bieter auf Beibehaltung der bisherigen vergaberechtswidrigen Wertung ist rechtlich nicht schützenswert und deshalb schon aus Rechtsgründen nicht anzuerkennen (Weyand, a.a.O. Rn. 807 m.w.N.).

So liegt der Fall auch hier. Vorliegend war die Antragsgegnerin an ihre frühere Eignungsprüfung, aufgrund derer die Beigeladene ausgeschlossen wurde, nicht gebunden, weil sie vergaberechtswidrig war und auf falschen Voraussetzungen beruhte. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass die Forderung nach dem RAL – Gütezeichen 961 – wie der Senat für das Zeichen RAL 962 entschieden hat (Beschl. v. 15.07.2008 11 Verg 4/08). – vergaberechtswidrig war. Darüber hinaus war auch die Forderung nach weiteren Referenzunterlagen anlässlich des „Aufklärungsgesprächs“ am 29.01.2008 vergaberechtswidrig, so dass die nachgereichten Unterlagen ebenso wenig zur Eignungsprüfung hätten verwendet werden dürfen (VK Bund, Beschluss v. 04.09.2007, VK 1 – 89/07, IBR 2008, 43). Nicht – ordnungsgemäß – mit der Bekanntmachung geforderte Unterlagen, die ein Bieter gleichwohl vorlegt, darf der Auftraggeber für die Prüfung der Eignung jedenfalls zu Lasten eines Bieters nicht heranziehen.

Zwar ist die Beigeladene gegen ihren Ausschluss nicht mit einer Rüge bzw. einem Nachprüfungsverfahren vorgegangen. Die Vergabestelle kann aber – wie dargelegt – von sich aus Mängel des Verfahrens in einem späteren Stadium korrigieren, soweit sie dabei die allgemeinen Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung beachtet. Gegen ihre Vorgehensweise, das (vergaberechtswidrig) ausgeschlossene Angebot der Beigeladenen wieder in die Wertung mit einzubeziehen, nachdem der Senat entschieden hatte, dass bei der Eignungsprüfung das RAL Gütezeichen nicht hätte berücksichtigt werden dürfen, sind vergaberechtliche Bedenken deshalb weder ersichtlich noch geltend gemacht worden. Auch die Antragstellerin hat nicht grundsätzlich gerügt, dass das Angebot der Beigeladenen überhaupt wieder in die Wertung einbezogen worden ist. Eine neue Eignungsprüfung der Beigeladene ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin auch nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil sich die Beigeladene mit Schreiben vom 30.1.2008 unabhängig von den vergaberechtswidrig geforderten RAL-Gütezeichen selbst für ungeeignet erklärt hätte.

Das Schreiben der C Bau GmbH & Co. KG vom 30.1.2008 (GA 76) bezieht sich insgesamt nur auf die Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise. Denn für die Kanalbauarbeiten in offener Bauweise hatte die Beigeladene das RAL-GZ 961 Anforderungen Gruppe AK1 und AK 2 mit den Angebotsunterlagen (Anlage 5.1) vorgelegt. Auch war Gegenstand des Erläuterungsgesprächs am 29.1.2008 nur der Nachweis der eigenen Fachkunde der Beigeladenen für die Ausführung der Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die C Bau GmbH & Co. KG der Antragsgegnerin durch das vorerwähnte Schreiben mitteilt, die Beigeladene könne weder die geforderten Zertifikate für eigenes Fachpersonal nachweisen, noch die Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise mit RAL-zertifizierten Nachunternehmern ausführen, weil deren Benennung in den Angebotsunterlagen unterblieben ist.

Ausgehend davon bezieht sich auch die Feststellung unter 3.2 des Ergänzungsberichts vom 30.1.2008, wonach mit Schreiben vom 30.1.2008 (Anlage C) mitgeteilt worden sei, dass es der Bietergemeinschaft nicht möglich sei, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen, auf die Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise. Insofern ist der sich an diese Feststellung anschließende Hinweis folgerichtig, dass aus formalen Gründen – nämlich wegen der fehlenden RAL-Zertifikate Anforderungen Gruppe VO für die geschlossene Bauweise – die Beigeladene aus dem Vergabeverfahren auszuschließen ist.

Aus dem Ergänzungsbericht vom 30.1.2008 (Punkt 3.3) wie aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 31.1.2008 (Anl. Bf 5 = GA 78 f), mit welchem sie der Beigeladenen mitteilte, dass deren Angebot aus der Wertung ausgeschlossen Beigeladenen mitteilte, dass deren Angebot aus der Wertung ausgeschlossen werden müsse, geht zwar hervor, dass die Eignung der Beigeladenen auch im Hinblick auf die mit dem weiteren Schreiben vom 30.1.2008 nachgereichten Unterlagen verneint wird.

Die Verwertung dieser nachgeforderten Unterlagen zum Nachteil der Beigeladenen war jedoch – wie ausgeführt – nicht zulässig, weil es der Vergabestelle grundsätzlich nicht erlaubt ist, Nachweise für die Prüfung eines Eignungsmerkmals heranzuziehen, die von den Bietern tatsächlich vorgelegt wurden, obwohl dies in der Bekanntmachung nicht gefordert war (VK Bund, Beschluss v. 04.09.2007, VK 1 – 89/07, IBR 2008, 43).

Der Vergabevermerk vom 29.7.2008 steht auch nicht im Widerspruch zu den früheren Feststellungen im Schreiben der Antragsgegnerin vom 31.1.2008. Die tatsächlich von den Bietern vorgelegten Unterlagen, auf die dieser Vermerk abstellt, sind nicht die mit dem Schreiben vom 30.1.2008 nachgereichten Unterlagen. Bei den zum Nachweis der jeweiligen Fähigkeiten vorgelegten Referenzen aus vergleichbaren Projekten sowie den Ausbildungs- und Qualifikationsnachweisen der jeweiligen Mitarbeiter handelt es sich vielmehr um die als Anlagen AG 10a und 10b zur Akte gereichten Unterlagen. Soweit ein Dokumentationsmangel darin begründet sein sollte, dass aus dem Vergabevermerk vom 29.7.2008 nicht ohne weiteres ersichtlich war, auf welche Unterlagen die Antragsgegnerin abgestellt hat, kann dies nicht zu Gunsten der Antragstellerin berücksichtigt werden, da diese einen Dokumentationsmangel nicht gerügt hat.

Die von Anfang an mit den Angebotsunterlagen eingereichten Eignungsunterlagen durfte die Antragsgegnerin – ebenso wie bei der Antragstellerin – als Erkenntnisgrundlage verwerten. Es lag im Rahmen ihres Prüfungsermessens, diese Unterlagen als eine ausreichende Tatsachengrundlage für eine ordnungsgemäße Eignungsprüfung anzusehen. Diese Unterlagen lagen zwar schon im Zeitpunkt der ersten Prüfung vor. Die erste Wertung, die zur Verneinung der Eignung der Beigeladenen führte, beruht jedoch nicht auf diesen Unterlagen, sondern – wie dargelegt – auf dem fehlenden RAL – Gütezeichen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 97 Abs. 1 ZPO. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren war angesichts der Komplexität des vorliegenden Falles für notwendig zu erklären. Für die Beigeladene folgt die Notwendigkeit, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, schon aus dem Gesetz (§ 120 Abs. 1 S. 1 GWB), weshalb es einer dahingehenden Tenorierung nicht bedurfte. Der Streitwert war gemäß § 50 Abs. 2 GKG festzusetzen (5% der Bruttoangebotssumme der Antragstellerin).

OLG Frankfurt zu der Frage der Wertung von Nebenangeboten bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte

OLG Frankfurt zu der Frage der Wertung von Nebenangeboten bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte

1. Da gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A-EU Nebenangebote bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte nur dann gewertet werden können, wenn sie vom Auftraggeber ausdrücklich zugelassen worden sind, muss sich aus den Ausschreibungsbedingungen unter dem maßgeblichen Blickwinkel eines verständigen und sachkundigen Bieters hinreichend klar ergeben, ob und wenn ja, in welchem Umfang der Auftraggeber Nebenangebote zugelassen hat.

Die Vorschrift folgt einem völlig anderen Regelungsmechanismus, wie er für den Unterschwellenbereich im ersten Abschnitt der VOB/A gem. § 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A vorgeschrieben ist. Während der Auftraggeber dort angeben muss, ob er Nebenangebote nicht oder nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zulässt (andernfalls sie vom Bieter abgegeben werden durften und gewertet werden müssen), kann der Bieter hier nur dann auf eine Wertung seiner Nebenangebote hoffen, wenn der Auftraggeber Nebenangebote entweder uneingeschränkt oder eingeschränkt für den vom Bieter angebotenen Bereich ausdrücklich zugelassen hat (vgl. Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, VOB-Kommentar, 7. Aufl., Rn 12 zu § 8 VOB/A-EU).

Ein Nebenangebot liegt vor, wenn ein Bieter eine von den Vertragsunterlagen abweichende Art der Leistung anbietet, unabhängig von dem Umfang und dem Gegenstand der Änderung. Eine Abweichung kann daher in technischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht erfolgen (Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, aaO., Rn 54 zu § 8 VOB/A; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2.11.2011 – VII Verg 22/11, OLG Jena, Beschluss vom 21.9.2009, 9 Verg 7/09). Ein technisches Nebenangebot enthält eine abweichende Lösung von den Vorgaben in den Vergabeunterlagen. Rechtliche Abweichungen betreffen in der Regel den Inhalt des Bauvertrags. Ein wirtschaftliches oder kaufmännisches Nebenangebot liegt beispielsweise im Angebot einer abweichenden Vergütungsform oder im Angebot bestimmter Preisnachlässe unter bestimmten Bedingungen, wie der Beauftragung mehrerer Lose (vgl. dazu Liebschwager in: Burgi/Dreher Beck`scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., Rn 8 zu § 35 VgV).

Der Auftraggeber kann bei der Zulassung von Nebenangeboten differenzieren, z.B. nur technische oder nur kaufmännische Nebenangebote zulassen bzw. diese auf bestimmte Teile der Leistung beschränken. Dies wird auch durch § 8 Abs. 2 Nr. 3 lit a) und b) VOB/A-EU verdeutlicht, wenn dort vorgeschrieben ist, dass der Auftraggeber anzugeben hat, in welcher Art und Weise Nebenangebote einzureichen sind und wenn ihm vorgeschrieben wird, Mindestbedingungen an Nebenangebote zu stellen.

Der Erklärungswert von Vergabeunterlagen richtet sich nicht nach dem subjektiven Verständnis des Antragstellers eines Nachprüfungsverfahrens, sondern nach dem objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, so dass der Senat die Unterlagen aus der Sicht eines verständigen, mit der Materie vertrauten Bieters auslegen muss (vgl. BGH, Urteil vom 10.6.2008 – X ZR 78/07 – Nachunternehmererklärung, Rn 10 bei juris).

2. Die Abgabe eines Pauschalpreisnebenangebots ist nicht zulässig, wenn der beabsichtigte Bauvertrag ersichtlich als Einheitspreisvertrag konzipiert war und wenn der Auftraggeber in der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten (unter Verwendung des Formblatts 211 – EU) lediglich für einzelne Titel technische Nebenangebote, z.B. in Form eines alternativen Bauverfahrens, zugelassen und insoweit formale und qualitative Mindestanforderungen an die technische Ausführung gestellt hat.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25.11.2021 – 11 Verg 4/21

Gründe

I.

Mit EU-Bekanntmachung vom 23.10.2020 schrieb die Antragsgegnerin das streitgegenständliche Vergabeverfahren “A, Referenznummer der Bekanntmachung: B-…” aus. Gegenstand der Ausschreibung ist der Kanalneubau des A in Stadt1-Stadtteil1 und Stadt1-Stadtteil2 in 4 Bauabschnitten.

Gemäß Amtsentwurf beinhaltet die Ausschreibung im Wesentlichen ca. 580 m offenen Kanalbau einschließlich Schachtbauwerken, einigen Anschlusskanälen, der Übernahme von Hausanschlüssen und Straßeneinläufen und der vollständigen Wiederherstellung der Oberflächen. Die Ausschreibung erfolgte im Offenen Verfahren. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis.

Der Sammler entlang des X-Stadions (Bauabschnitt 2) soll aus Fertigteilen in offener Bauweise hergestellt werden, der Sammler in den Bauabschnitten 3 und 4 in Ortbetonbauweise. Gemäß Ziffer 6.2 der Angebotsaufforderung waren dazu Nebenangebote in folgendem Umfang zugelassen:

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Der Angebotsaufforderung lag das Formblatt 212 bei, wo es wörtlich wie folgt lautet:

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Das rund 300 Seiten lange Leistungsverzeichnis gliedert sich in Ordnungszahlen, Leistungsbeschreibung, Mengenansätze, Einheitspreis und Gesamtpreis, vereinzelt finden sich auch Positionspauschalpreise (Bl. 71 – 374 VA).

Die Antragstellerin stellte am 20. November 2020 unter anderen eine Frage zur Zulässigkeit der Nebenangebote, die ihrer Ansicht nach nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben worden sind. In der Bieteranfrage heißt es wörtlich wie folgt:

“… Gemäß Ziffer 6.2 der Aufforderung zur Angebotsabgabe sind Nebenangebote nur für die Titel 30.10 und 40.41 zulässig. Liest man sodann jedoch weiter, sind Änderungen, die sich aus Nebenangeboten zu diesen Titeln ergeben, titelübergreifend in den betroffenen LV-Positionen abzubilden. Das resultiert daraus, dass die zulässigen Änderungen auch Einfluss auf weitere Titel der Ausschreibung haben. Denn bei genauerer Betrachtung ist durch die gemäß Mindestbedingungen zugelassenen Varianten die Mehrheit der ausgeschriebenen Titel (BE, Erdarbeiten, Abbrucharbeiten, Stahlbetonarbeiten, Bauwerke, Grundwasserhaltung, Wasserhaltung) betroffen. Demnach müssen Nebenangebote auch für andere Titel zulässig sein. Die in Ziffer 6.2 gewählte Formulierung ist widersprüchlich bzw. nicht eindeutig. Um ihr eine erforderliche Klarheit für den Wettbewerb zu schaffen, sollten die Mindestbedingungen so formuliert werden, dass klar benannt wird, wo keine Nebenangebote zulässig sind…”

Die Antragsgegnerin beantwortete die von der Antragstellerin gestellten Bieteranfragen durch Schreiben vom 23. November 2020 auszugsweise wie folgt:

“Die B hat für die auszuführenden Arbeiten das Leistungsbestimmungsrecht… Aufgrund der Auflagen bzw. Abstimmungen mit dem Stadionbetreiber wurden ausnahmsweise Fertigteile entlang des Stadions durch die B zugebilligt, da die Bauzeit in diesem Bereich verkürzt werden sollte. Ansonsten sind Ortbetonkastenkanäle auszuführen. Durch die nunmehr zeitlich verschobene Baumaßnahme in die Jahre 2021/2022 wurde unter weitestgehend Aufrechterhaltung der B Standards die Verlegung von Kastenkanalfertigteilen durch die B toleriert. Dafür können durch die Bieter Nebenangebote eingereicht werden. Diese Nebenangebote müssen selbstverständlich die sich ändernden anderen dafür notwendigen Leistungen erfassen (Erdarbeiten etc.). (Unterstreichung durch den Senat)” (Anlage ASt 3).

Die Antragstellerin gab am 8.12.2020 fristgerecht ein Hauptangebot sowie sechs Nebenangebote ab. Das Nebenangebot 1 bezieht sich auf die Herstellung des Kanals im Bauabschnitt 3 und 4 (Titel 40.41) mit Hilfe von Fertigbauteilen anstatt Ortbetonbauweise und wird mit einer pauschalen Angebotssumme angeboten. Die Antragstellerin legte unter Ziffer 1.5 ihres Angebots dar, dass i. E. die alternative Bauweise Auswirkungen auf “fast jede(n) Titel des Leistungsverzeichnisses” habe, weswegen es sich bei ihrem Nebenangebot um eine weitreichende Planungs- und Verfahrensänderung handle, “die nicht eins zu eins im LV des Amtsentwurfs abgebildet werden könne” (Anlage ASt 4 Vergabekammerakte, im folgenden VKA). Deshalb fügte sie ihrem Nebenangebot 1 ein nach eigenen Positionsnummern umformuliertes Leistungsverzeichnis (Kurz-LV – N1) sowie die Aufstellung “Angebotserläuterung und Zuordnung” bei, in der sämtliche Positionen des Amts-Leistungsverzeichnisses denjenigen des Nebenangebots zugeordnet werden, wobei das Nebenangebot etwaig entfallende Positionen explizit als solche ausweist (Anlagen ASt 21 + AStV 22 VKA).

Das Nebenangebot 2 ist eine optionale Ergänzung zum Nebenangebot 1 und hat einen alternativen Rohrvortrieb im Bauabschnitt 2 (Titel 30.10) zum Gegenstand, der ebenfalls mit einer pauschalen Angebotssumme angeboten wird, um die sich die Angebotssumme des Nebenangebots 1 erhöht (Anlage ASt 5 VKA).

Mit Schreiben vom 9. März 2021 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin gemäß § 134 GWB mit, dass sie beabsichtige den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Das Hauptangebot der Antragstellerin sei nicht zu berücksichtigen, weil ein wirtschaftlicheres Nebenangebot der Mitbieterin vorliege. Das Nebenangebot 1 der Antragstellerin erfülle nicht die geforderten Mindestanforderungen, da es u.a. eine Pauschalierung der Gesamtsumme vorsehe, was den Vorgaben der Bekanntmachung widerspreche. Die Nebenangebote 2 – 6 seien als Option zum Nebenangebot 1 definiert und daher ebenfalls nicht zu werten (Anlage AST 7 VKA).

Einer entsprechenden Rüge der Antragstellerin half die Antragsgegnerin nicht ab, führte allerdings nun zur Begründung aus, dass die Nebenangebote der Antragstellerin aus formalen Gründen auszuschließen seien (Anlage AST 13).

Auf erneute Rüge der Antragstellerin teilte die Antragsgegnerin ihr unter Verweis auf eine gutachterliche Stellungnahme ihres Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 30. April 2021 mit, die eingereichten Nebenangebote seien als “nicht zugelassene Nebenangebote” gemäß § 16 EU Nr. 5 VOB/A von der Wertung auszuschließen. Die Antragsgegnerin habe lediglich Nebenangebote für technische Alternativen zu den Titeln 30.10 und 40.41, nicht aber wirtschaftliche oder preisliche Nebenangebote, wie z.B. Pauschalpreisangebote zugelassen. Als solches stelle sich das Nebenangebot 1 der Antragstellerin dar. Die vorangegangenen Vergabeentscheidungen, bei denen der Ausschluss der Nebenangebote auf die Nichterfüllung von Mindestanforderungen bzw. auf formale Gründe gestützt wurden, werden durch diese Stellungnahme zurückgenommen (Anlagen AST 17 und 18).

Die Antragstellerin hat daraufhin ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet. Sie hat dazu vorgetragen, ein Ausschlussgrund nach § 16 EU Nr. 5 VOB/A liege hinsichtlich ihrer Nebenangebote 1 und 2 nicht vor. Die Antragsgegnerin habe in der Auftragsbekanntmachung und in ihrer Angebotsaufforderung Nebenangebote grundsätzlich zugelassen und in technischer Hinsicht eine Einschränkung nur in Bezug auf explizit benannte Bereiche vorgenommen. Pauschalpreis-Nebenangebote seien weder in der Bekanntmachung noch in den Vergabeunterlagen ausgeschlossen worden. Dies lasse sich bei verständiger Würdigung auch aus der Formulierung in dem beigefügten Formblatt 212 entnehmen. Sie – die Antragstellerin – habe sich daran orientiert und im Nebenangebot 1 lediglich eine technische Alternative zu der im Titel 40.41 beschriebenen Leistung angeboten, wie es in der Ausschreibung schon vorgesehen worden sei. Dass dieser Alternative Auswirkungen auf nahezu alle anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses habe, ergebe sich aus dem damit geänderten Leistungsprofil. Dies sei auch bereits in der oben dargestellten Bieteranfrage problematisiert worden, die die Antragsgegnerin abschlägig beantwortet habe.

Durch das Kurz-Leistungsverzeichnis und die Konversionstabelle (Anlagen AST 21 und 22 VKA) habe die Antragstellerin der Antragsgegnerin eine Zuordnung der im Nebenangebot enthaltenen Leistungen zu den im ausgeschriebenen Leistungsverzeichnis enthaltenen Positionen ermöglicht. Ihre Nebenangebote erfüllten daher die Mindestvoraussetzungen. Es könne auch nicht angenommen werden, dass sich das Nebenangebot 1 als vollständig autarkes Nebenangebot darstelle. Daher seien die formalen Anforderungen gemäß § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 a VOB/A erfüllt.

Die Vergabekammer hat der Antragstellerin ursprünglich mitgeteilt, sie beabsichtige, ohne mündliche Verhandlung nach Aktenlage zu entscheiden, weil der Nachprüfungsantrag offensichtlich unbegründet sei. Das Angebot der Antragstellerin sei schon wegen § 16 Nr. 6 VOB/A – EU auszuschließen, weil sie mit ihrem Nebenangebot 1 unzulässigerweise ein zweites Hauptangebot abgegeben habe. Ferner ergebe sich ein Ausschlussgrund aus § 16 Nr. 5 VOB/A-EU, weil die Antragstellerin ein Pauschalpreisangebot eingereicht habe, obwohl dies nach den Ausschreibungsunterlagen nicht zugelassen worden sei (Bl. 226 f. VKA). Dem ist die Antragstellerin entgegengetreten.

Die Vergabekammer hat dann nach mündlicher Verhandlung den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin sei nicht gegeben, denn ihre Nebenangebote seien gemäß § 16 a EU Abs. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A zwingend vom Vergabeverfahren auszuschließen. Die Kammer hat es offengelassen, ob nach den Vergabeunterlagen tatsächlich auch ein Pauschalpreisvertrag zulässig gewesen wäre, so dass die Nebenangebote der Antragstellerin gegebenenfalls als wirtschaftliche Nebenangebote zu werten seien. Der Annahme eines Pauschalpreisvertrages erfordere jedenfalls eine eindeutige, darauf abzielende pauschalierte Pauschalierungsabrede, die sich hier in den Vergabeunterlagen nicht finde.

Unabhängig davon wäre die Antragstellerin nach Ansicht der Vergabekammer verpflichtet gewesen, ihre beiden Nebenangebote nicht nur nach Mengenansätzen sondern auch nach Einheitspreisen aufzugliedern, was hier nicht geschehen sei. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Antragstellerin das Risiko von Ausführungs- und Mengenabweichungen übernommen habe. In den Vergabeunterlagen seien Nebenangebote ausschließlich unter der Bedingung zugelassen worden, dass sämtliche Positionen bepreist würden. Es fehlten hier auch Preispositionen, die nicht als unwesentlich betrachtet werden könnten und bei denen eine Nachforderung von Unterlagen durch die Vergabestelle bzw. eine Aufklärung und Verhandlung über den Angebotsinhalt daher nicht möglich sei.

Die Vergabekammer sei nicht an die rechtliche Begründung gebunden, die die Antragsgegnerin für den Ausschluss der Nebenangebote gegeben habe. Der Ausschluss sei hier zwingend, so dass eine Ermessensentscheidung der Vergabestelle nicht in Betracht komme.

Die Antragstellerin hat gegen die abweisende Entscheidung der Vergabekammer, die ihr am 15. Juli 2021 zugestellt worden ist, mit dem am 30. Juli 2021 beim Gericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Sie wirft der Vergabekammer vor, ihren Prüfungsspielraum überschritten zu haben, indem sie die Nebenangebote wegen angeblich fehlender Preisangaben ausgeschlossen habe, ohne dass die Antragsgegnerin als Vergabestelle eine solche Beurteilung zuvor vorgenommen habe.

Der den Vergabekammern zustehende Prüfungsmaßstab beschränke sich gemäß § 168 Abs. 1 GWB auf eine reine Rechtskontrolle. Zweckmäßigkeitsüberlegungen müssten außen vor bleiben, weswegen die Vergabekammer ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle derjenigen des öffentlichen Auftraggebers setzen dürfe. Hier habe sich die Antragstellerin mit dem Nachprüfungsverfahren gegen den Ausschluss ihrer Nebenangebote gewehrt, den die Antragsgegnerin auf § 16 EU Nr. 5 VOB/A gestützt habe. Die Vergabekammer habe mit § 16 a EU Abs. 2 i.V. § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A einen neuen Ausschlussgrund herangezogen, ohne zu beachten, dass dem Ausschluss von Angeboten nach dieser Vorschrift eine eigenständige Prüfung der Vergabestelle vorangehen müsse, die hier nicht durchgeführt worden sei. Ein Ausschluss nach dieser Vorschrift setze nämlich voraus, dass die Vergabestelle prüft ob (a) wesentliche Preisangaben überhaupt fehlen sowie (b) ob diese gegebenenfalls nachzufordern sind. Diesen Ausschlussgrund habe die Vergabestelle hier überhaupt nicht in Betracht gezogen, so dass es an einem entsprechenden Überprüfungsgegenstand für die Vergabekammer fehle.

Unabhängig davon sei ein Ausschlussgrund nach § 16 a EU Abs. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A hier auch nicht gegeben. Die rechtliche Bewertung der Vergabekammer sei falsch, denn im Hinblick auf die Prüfung von § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A liege dem angefochtenen Beschluss eine Fehlvorstellung zu Grunde. Die Antragsgegnerin habe in den Vergabeunterlagen nicht vorgegeben, das Nebenangebote in Mengenansätze und Einheitspreisen zu gliedern seien. In den oben bereits zitierten Teilnahmebedingungen werde unter Ziffer 4.3 vielmehr klargestellt, dass Nebenangebote, soweit sie Teilleistungen des Leistungsverzeichnisses beeinflussen, nach Mengenansätze und Einzelpreisen (und nicht nach Einheitspreisen) aufzugliedern seien (auch bei Vergütung durch Pauschalsumme). Genau das habe die Antragstellerin mit ihrem Kurz- Leistungsverzeichnis des Nebenangebotes 1 auch getan und darüber hinaus der Antragsgegnerin eine Handreichung gegeben, in dem durch die Konversionstabelle eine Zuordnung der im Nebenangebot aufgeführten Einzelleistungen zu dem Amts-Leistungsverzeichnis vorgenommen worden sei.

Der Antragsgegnerin habe auch nicht vorgegeben, dass in den Nebenangeboten sämtliche Positionen “bepreist” werden müssten. Vielmehr schreibe Ziffer. 6.2 der Angebotsaufforderung lediglich vor, dass sämtliche notwendigen Arbeiten sowie alle hierfür entfallenden bzw. zusätzlichen Leistungen, die im Hauptangebot beschrieben sind, positionsweise in dem Nebenangebot mit den entsprechenden Mengenvordersätzen zu erfassen und preislich darzustellen sind. Die Antragsgegnerin habe keine weiteren Anforderungen an die Art der Darstellung von Nebenangeboten gemacht, so dass nicht verlangt werden könne, dass die Bieter über eine Aufgliederung der notwendigen Arbeiten hinaus auch noch Einzelpositionen mit Einheitspreisen angegeben müssten.

Aus der Konversionstabelle ergebe sich, dass alle Positionen und damit alle Leistungen des Amtsleistungsverzeichnisses in ihrem Nebenangebot enthalten seien. Die Antragsgegnerin habe eine derartige Gestaltung des Angebotes ermöglicht, indem sie bereits in Ziffer 4.2 des der Angebotsaufforderung beiliegenden Formblatts 212 klargestellt habe, dass die Gliederung des Leistungsverzeichnisses nur beizubehalten sei, “soweit dies möglich” ist. Dem sei die Antragstellerin auch nachgekommen, habe aber in ihrem Anschreiben klargestellt, dass durch die alternative Ausführung der Leistung gem. Ziffer 40.41 des Amts-LV mit Fertigbauteilen Änderungen bei fast jedem Titel des Leistungsverzeichnisses einträten und dass deswegen ein exaktes “Runterbrechen” der veränderten Leistungen auf die Positionen nicht in Gänze möglich sei. Besondere Eile in Bezug auf die Zuschlagsentscheidung sei nicht gegeben, es sei auch nicht ersichtlich, dass die zu erbringende Leistung durch eine verzögerte Realisierung gefährdet wäre.

Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten und hat vorgebracht, die Nebenangebote 1 und 2 der Antragstellerin müssten vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, denn dort habe es die Antragstellerin versäumt, beide Nebenangebote nicht nur nach Mengen, sondern auch nach Einheitspreisen aufzugliedern. In den Vergabeunterlagen seien Nebenangebote ausdrücklich nur unter der Bedingung zugelassen worden, dass sämtliche Leistungen mit den entsprechenden Mengenvordersätzen positionsweise erfasst und preislich dargestellt würden. Dies habe die Antragstellerin versäumt. Die Antragsgegnerin trägt weiter vor, sie habe sich im Vergabeverfahren ausdrücklich vorbehalten, eine Preisermittlung auf Einheitspreisebene vorzunehmen. Sinn und Zweck sei es gewesen, jeder einzelnen Leistung einen nachvollziehbaren Preis zuzuordnen, damit etwaige Mengenanpassungen oder anderer Nachträge preislich korrekt bewertet werden könnten. Mit den von ihr ausgeschlossenen Nebenangeboten 1 und 2 in der Antragstellerin sei dies nicht möglich.

Der Senat hat zum einen die Fa. E zum Beschwerdeverfahren beigeladen und dieser Einsicht in die wesentlichen Unterlagen des Vergabenachprüfungsverfahrens gegeben. Ferner hat der Senat durch Beschluss vom 6. September 2021 antragsgemäß die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängert und der Antragstellerin Einsicht in das geschwärzte Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen gewährt.

Die Antragstellerin wiederholt ihren Vorwurf, die Vergabekammer habe § 16a Abs. 2 VOB/A-EU nicht als Ausschlussgrund heranziehen dürfen, weil dies voraussetze, dass die Vergabestelle nach einer technischen Prüfung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass sich die Änderungen im Nebenangebot 1 hinsichtlich der Mengen, Qualitäten und Preise auf die Einzelpositionen im Amtsentwurf auswirken. Eine solche Prüfung sei nicht erfolgt und habe auch von dem Verfahrensbevollmächtigen der Antragsgegnerin mangels hinreichender Fachkenntnis nicht durchgeführt werden dürfen. Die Antragstellerin untermauert ihren Sachvortrag durch ein Privatgutachten des Bausachverständigen C (Anlage Bf 2).

Der direkte Vergleich der angebotenen Leistungen belege ferner, dass das von der Beigeladenen zum Titel 40.41 des Leistungsverzeichnisses vorgelegte Nebenangebot von der Wertung ausgeschlossen werden müsse, weil ihm eine titelübergreifende Darstellung der entfallenden und der zusätzlichen Leistungen fehle und es namentlich nicht berücksichtige, dass sich durch die Umstellung von Ort- auf Fertigbeton die Preisgestaltung für andere Titel des Leistungsverzeichnisses, wie z.B. des Titels 20 “Erd- und Verbauarbeiten” zwingend ändern müsse. Im Hinblick auf die Frage, ob kaufmännische Nebenangeboten zugelassen worden seien, verweist die Antragstellerin nochmals auf Ziffer II.2.3. der Vergabebekanntmachung (Anlage AST 1 VKA), wo sich keine entsprechende Differenzierung finde.

Die Antragstellerin beantragt,

1. den Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 8. Juli 2021 aufzuheben und der Antragsgegnerin aufzugeben, den Ausschluss der Nebenangebote 1 und 2 der Antragstellerin in dem Vergabeverfahren “A, Referenznummer der Bekanntmachung: B-…” zurückzunehmen und der Antragsgegnerin aufzugeben, das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen von der Wertung auszuschließen und die Prüfung und Wertung der Angebote unter Einbindung der Nebenangebote 1 und 2 der Antragstellerin zu wiederholen,

2. festzustellen, dass die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten seitens der Antragstellerin erforderlich war und

3. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Vergabekammer habe ihre Prüfungskompetenz nicht überschritten, denn sie habe auf Grundlage der von ihr als richtig angesehenen tatsächlichen Sacherwägungen der Antragsgegnerin lediglich eine andere rechtliche Wertung vorgenommen, was ihr unbenommen sei. Die Nebenangebote 1 und 2 der Antragstellerin müssten vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, denn dort habe es die Antragstellerin versäumt, beide Nebenangebote nicht nur nach Mengen, sondern auch nach Einheitspreisen aufzugliedern. Die Antragsgegnerin habe sich im Vergabeverfahren ausdrücklich vorbehalten, eine Preisermittlung auf Einheitspreisebene vorzunehmen. Sinn und Zweck sei es gewesen, jeder einzelnen Leistung einen nachvollziehbaren Preis zuzuordnen, damit etwaige Mengenanpassungen oder anderer Nachträge preislich korrekt bewertet werden könnten.

Mit den von ihr ausgeschlossenen Nebenangeboten 1 und 2 in der Antragstellerin sei dies nicht möglich, denn die Antragstellerin habe in ihrer Konversationstabelle, die sie mit dem Kurz-Leistungsverzeichnis zum Nebenangebot (Kurz-LV NA 1) vorgelegt habe, in zahlreichen Fällen einzelne Positionen des Amts-Leistungsverzeichnisses mehreren Positionen ihres Kurz-LV NA 1 zugeordnet, ohne dass nachvollziehbar wäre, welcher Bruchteil welcher Amtsentwurfsposition in welche Position des Kurz-LV übergegangen wäre und welche Mengenangaben maßgeblich seien. Dies wird in Ergänzung zu dem bereits im Vergabenachprüfungsverfahren vorgelegten Schriftsatz vom 20.Mai 2021 nochmals anhand mehrerer Einzelpositionen des Amtsentwurfs erläutert und veranschaulicht.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Beigeladene ist der Ansicht, dass die Antragsgegnerin hier keine kaufmännischen Nebenangebote zugelassen habe. Maßgeblich seien die Festlegungen in Ziffer 6 der mit dem Formblatt 211 EU-Hessen bekannt gemachten Aufforderung zur Angebotsabgabe, die dem Auftraggeber insgesamt vier Optionen für die Zulassung von Nebenangeboten eröffne. Die Antragsgegnerin habe sich dafür entschieden, lediglich für zwei konkret genannte Bereiche technische Nebenangebote zuzulassen, darüber hinaus vorgegeben, welchen Inhalt die technischen Nebenangebote zu diesen Bereichen überhaupt haben durften und Mindestbedingungen dafür festgelegt.

Die Antragstellerin habe sich ausweislich des ihr vorliegenden Vergabevermerks schon in technischer Hinsicht nicht an die Vorgaben der Ausschreibung gehalten und statt der geforderten Spundwand eine nur vermeintlich gleichwertige Verfahrensweise nach dem von ihr patentierten “D” angeboten. Im Übrigen sei sie von der vorgegebenen Vergütungssystematik abgewichen. Schon bei unverändertem Leistungsinhalt sei ein Pauschalpreisangebot nicht mit einer Angebotssumme auf Basis der im Leistungsverzeichnis genannten Vordersätze vergleichbar. Dies gelte umso mehr, wenn sich der Pauschalpreis – wie hier – eine vom Bieter alternativ angebotene, in weiten Teilen andere Leistung beziehe. Die mit den Nebenangeboten 1 und 2 von der Antragstellerin unterbreiteten Pauschalpreisnebenangebote seien daher zwingend von der Wertung auszuschließen.

Die Beigeladene tritt dem Vorwurf, ihr Nebenangebot Nr. 5 erfülle nicht die Vorgaben der Ausschreibung, entgegen und trägt vor, sämtliche notwendigen Änderungen seien erfasst worden.

II.

Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Antragsgegnerin hat das Nebenangebot 1 und das optional darauf bezogene Nebenangebot 2 der Antragstellerin mit Recht gem. § 16 Nr. 5 VOB/A-EU von der Wertung ausgeschlossen, weil es sich um ein nicht zugelassenes Pauschalpreisnebenangebot handelt. Mit Recht wurde auch das Nebenangebot der Beigeladenen nicht ausgeschlossen, so dass die erst im Beschwerdeverfahren erhobene Rüge ebenfalls ins Leere geht. Dazu im Einzelnen:

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 Abs. 1 S. 1 GWB).

2. Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zwar zulässig. Dies hat die Vergabekammer bereits zutreffend festgestellt und begründet, so dass auf die Erwägungen in der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden kann.

Der Nachprüfungsantrag ist aber nicht begründet.

a) Die Antragstellerin wehrt sich ohne Erfolg gegen den Ausschluss ihrer Nebenangebote, denn diese sind zu Recht von der Antragsgegnerin als nicht zugelassene Nebenangebote von der Wertung ausgenommen worden (§§ 16 Nr. 5, 1. Alt., 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A-EU). Es kann daher offenbleiben, ob die Rechtsauffassung der Vergabekammer zutrifft, wonach diese Nebenangebote gem. § 16a Abs. 2 S. 2 VOB/A-EU zwingend von der Wertung ausgenommen waren, weil sie nicht die geforderten Preise enthielten (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU).

Nach der hier maßgeblichen Regelung in § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A-EU können Nebenangebote bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte nur dann gewertet werden, wenn sie vom Auftraggeber ausdrücklich zugelassen worden sind. Die Vorschrift folgt einem völlig anderen Regelungsmechanismus, wie er für den Unterschwellenbereich im ersten Abschnitt der VOB/A gem. § 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A vorgeschrieben ist. Während der Auftraggeber dort angeben muss, ob er Nebenangebote nicht oder nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zulässt (andernfalls sie vom Bieter abgegeben werden durften und gewertet werden müssen), kann der Bieter hier nur dann auf eine Wertung seiner Nebenangebote hoffen, wenn der Auftraggeber Nebenangebote entweder uneingeschränkt oder eingeschränkt für den vom Bieter angebotenen Bereich ausdrücklich zugelassen hat (vgl. Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, VOB-Kommentar, 7. Aufl., Rn 12 zu § 8 VOB/A-EU).

Ein Nebenangebot liegt vor, wenn ein Bieter eine von den Vertragsunterlagen abweichende Art der Leistung anbietet, unabhängig von dem Umfang und dem Gegenstand der Änderung. Eine Abweichung kann daher in technischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht erfolgen (Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, aaO., Rn 54 zu § 8 VOB/A; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2.11.2011 – VII Verg 22/11, OLG Jena, Beschluss vom 21.9.2009, 9 Verg 7/09). Ein technisches Nebenangebot enthält eine abweichende Lösung von den Vorgaben in den Vergabeunterlagen. Rechtliche Abweichungen betreffen in der Regel den Inhalt des Bauvertrags. Ein wirtschaftliches oder kaufmännisches Nebenangebot liegt beispielsweise im Angebot einer abweichenden Vergütungsform oder im Angebot bestimmter Preisnachlässe unter bestimmten Bedingungen, wie der Beauftragung mehrerer Lose (vgl. dazu Liebschwager in: Burgi/Dreher Beck`scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., Rn 8 zu § 35 VgV).

Der Auftraggeber kann bei der Zulassung von Nebenangeboten differenzieren, z.B. nur technische oder nur kaufmännische Nebenangebote zulassen bzw. diese auf bestimmte Teile der Leistung beschränken. Dies wird auch durch § 8 Abs. 2 Nr. 3 lit a) und b) VOB/A-EU verdeutlicht, wenn dort vorgeschrieben ist, dass der Auftraggeber anzugeben hat, in welcher Art und Weise Nebenangebote einzureichen sind und wenn ihm vorgeschrieben wird, Mindestbedingungen an Nebenangebote zu stellen.

Der Erklärungswert von Vergabeunterlagen richtet sich nicht nach dem subjektiven Verständnis des Antragstellers eines Nachprüfungsverfahrens, sondern nach dem objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, so dass der Senat die Unterlagen aus der Sicht eines verständigen, mit der Materie vertrauten Bieters auslegen muss (vgl. BGH, Urteil vom 10.6.2008 – X ZR 78/07 – Nachunternehmererklärung, Rn 10 bei juris). Es war daher zu untersuchen, ob aus dieser Sicht den Vergabeunterlagen hinreichende Anhaltspunkte für die Zulassung kaufmännischer Nebenangebote, etwa in Form von Pauschalpreisnebenangeboten, zu entnehmen waren. Das ist bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung der Vergabeunterlagen nicht der Fall:

aa) Die Antragstellerin kann sich nicht darauf berufen, dass bereits durch die Auftragsbekanntmachung (Anlage AST 1 VKA, dort Ziffer II.2.10) Nebenangebote einschränkungslos zugelassen worden wären. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beigeladenen und der Antragsgegnerin bot die von der Vergabestelle zwingend zu verwendende elektronische Vorlage für die Auftragsbekanntmachung (https://simap.ted.europa.eu/ documents/10184 /99158/DE_Fo2. pdf) keinen Raum für eine konkrete Festlegung des Umfangs der Zulassung von Nebenangeboten. Vielmehr sieht das Bekanntmachungsformular nur die Ankreuzoptionen “ja/nein” vor und bleibt damit hinter Optionen zurück, die der Gesetzgeber den Vergabestellen eröffnet hat. Der Umstand, dass die Antragsgegnerin hier “ja” angekreuzt hat, lässt dementsprechend keine Rückschlüsse darauf zu, dass sie damit einschränkungslos Nebenangebote zulassen wollte. Es kommt vielmehr darauf an, ob nach einer Gesamtschau der Vergabeunterlagen festgestellt werden kann, dass Nebenangebote in dem hier streitgegenständlichen Umfang ausdrücklich zugelassen waren.

bb) Maßgeblich ist in erster Linie die ebenfalls mit Hilfe der einschlägigen Vorlagen (Formblatt 211 EU-Hessen) bekannt gemachte “Aufforderung zur Abgabe eines Angebots”. Dieses Formblatt bietet der Vergabestelle unter Ziffer 6. die Möglichkeit, Nebenangebote entweder für die gesamte Leistung, eingeschränkt für konkret zu benennende Bereiche, grundsätzlich in weitem Umfang aber mit Ausnahme konkret benannter Bereiche und zuletzt unter konkreten weiteren Bedingungen, wie z.B. nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zuzulassen.

Hier hat die Antragsgegnerin durch Ankreuzen der Option 6.2 für die Ausführung von zwei Titeln des Leistungsverzeichnisses (Titel 30.10 und Titel 40.41) Nebenangebote zugelassen. Die Antragsgegnerin differenziert dort zwar bezüglich der Zulassung von Nebenangeboten nicht zwischen technischen und kaufmännischen Nebenangeboten. Ein verständiger Bieter wird aber dem Fließtext in Ziffer 6.2 entnehmen, dass nur technische, nicht aber kaufmännische Abweichungen von den Vergabeunterlagen zulässig sein sollten. Die Antragsgegnerin hat dort nämlich konkret vorgegeben, welchen Inhalt Nebenangebote zu diesen Bereichen überhaupt haben dürfen: ein alternatives Bauverfahren zu Titel 30.10 und die Errichtung des Kanals aus Fertigbauteilen anstatt aus Ortbeton zu Titel 40.41. Darüber hinaus hat sie den gesetzlichen Vorgaben entsprechend formale und qualitative Mindestanforderungen an die technische Ausführung aufgestellt, denen ein Nebenangebot in dem eingeschränkt zugelassenen Rahmen genügen muss, um gewertet zu werden. Mindestanforderungen für etwaige kaufmännische Nebenangebote zu diesen Titeln sind dagegen nicht erkennbar, was bereits indiziert, dass die Antragsgegnerin diese auch gar nicht zulassen wollte.

Auch die in Ziffer 6.2 enthaltene Passage “…Sämtliche dafür notwendigen Arbeiten sind im Nebenangebot zu erfassen sowie alle entfallenden bzw. zusätzlichen Leistungen, die im Hauptangebot beschrieben sind (auch titelübergreifend), positionsweise mit den entsprechenden Mengenvordersätzen zu erfassen und preislich darzustellen…” [Unterstreichung durch den Senat] führen die angesprochenen Bieter nicht zu der Erkenntnis, dass es ihnen erlaubt wäre, eigene Positionen anstatt der Einzelpositionen aus dem Amtsleistungsverzeichnis zu formulieren. Diese Passage ist vielmehr so verstehen, dass die Antragsgegnerin realisiert hat, dass sich die alternative Bauausführung auf weitere Titel auswirken kann, dass sie aber an der Kalkulationsgrundlage des Baupreises festhalten wollte, wie sie in dem von ihr vorgegebenen Leistungsverzeichnis festgelegten worden war.

Der beabsichtigte Bauvertrag war von der Antragsgegnerin erkennbar als Einheitspreisvertrag konzipiert, denn die Leistungsbeschreibung war von den Bietern nach Mengen und Einheitspreisen, teilweise auch nach Positionspreisen aufzugliedern. Mangels einer eindeutigen gesetzlichen Regelung wird der Pauschal(preis)vertrag in Abgrenzung zum Einheitspreisvertrag definiert. Während beim Einheitspreisvertrag die Vergütung immer erst nach Ausführung der Leistung feststeht, weil sie gem. § 2 Abs. 2 VOB/B aus der Multiplikation der ausgeführten Mengen mit dem jeweiligen Einheitspreis ermittelt wird, ist es beim Pauschalvertrag genau umgekehrt: Die Vergütung steht grundsätzlich schon vor der Ausführung fest, nämlich in Form einer “festen” Summe, eben des Pauschalpreises (vgl. Kapellmann/Messerschmidt-Kapellmann, VOB-Kommentar, 7. Aufl., Rn 447 zu § 2 VOB/B). Wenn die Antragsgegnerin somit für die beiden o.g. Titel des Leistungsverzeichnisses auch kaufmännische Nebenangebote, beispielsweise in Form von Pauschalpreisangeboten hätte zulassen wollen, so wäre ihr Verlangen nach einer positionsweisen Aufschlüsselung der Mengenvorder-sätze mit entsprechender preislicher Darstellung nicht notwendig und auch nicht sinnvoll gewesen.

cc) Die Antragstellerin kann sich auch darauf berufen, dass der in Ziffer 6.2 des Formulars 211 EU Hessen vorgegebene Text den Passus “…- ausgenommen Nebenangebote, die ausschließlich Preisnachlässe mit Bedingungen beinhalten…” enthält. Die Antragstellerin will daraus ableiten, dass die Frage einer Zulassung kaufmännischer Nebenangebote quasi “vor die Klammer” gezogen wurde und dass die Antragsgegnerin nur diese Variante von kaufmännischen Nebenangeboten ausschließen und sie im Übrigen uneingeschränkt zulassen wollte.

Dem kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn man außer Acht lässt, dass dieser Text bei Verwendung des Formulars bereits vorgegeben war und schon von daher in seinem Aussagewert erheblich eingeschränkt ist, spricht entscheidend gegen die Argumentation der Antragstellerin, dass das Formular den Vergabestellen nachfolgend die Option eröffnet, Nebenangebote “…nur für nachfolgend genannte Bereiche…” zuzulassen, womit die Möglichkeit geschaffen wird, den Vorgaben des § 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A-EU entsprechend ausdrücklich ganz bestimmte Nebenangebote, wie beispielsweise ausschließlich technische Nebenangebote zuzulassen. Hiervon hat die Antragsgegnerin – wie schon dargestellt – auch explizit Gebrauch gemacht. Wenn man das anders sehen und der Argumentation der Antragstellerin folgen würde, so wäre den Vergabestellen bereits durch die Gestaltung des Formulars ein erheblicher Teil ihres Spielraums zur Bestimmung der “Art und Weise” von Nebenangeboten (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 3 a VOB/A-EU) genommen, denn sie wären in allen Fällen der Zulassung von Nebenangeboten gem. Ziffer 6.2 des Formulars gezwungen, mindestens auch kaufmännische Nebenangebote zuzulassen.

dd) Die Antragstellerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Antragsgegnerin durch die Verwendung des von den Bewerbungsbedingungen des VHB Bund übernommenen Formblatts “Teilnahmebedingungen 212 EU” (vgl. dazu Kapellmann/Messerschmidt-Planker, aaO.,Rn 41 zu § 13 VOB/A) Pauschalpreisnebenangebote zu den o.g. Titeln des Leistungsverzeichnisses bzw. sogar zur gesamten Bauleistung zulassen wollte. Sie verweist ohne Erfolg auf den Umstand, dass dort in Ziffer 4.3 im Klammerzusatz die Passage (“…auch bei Vergütung durch Pauschalsumme…”) enthalten ist.

Es ist nicht nachvollziehbar, wieso ein verständiger, mit der Materie vertrauter Bieter annehmen sollte, dass der Auftraggeber durch die Verwendung dieses Formblatts eine Erweiterung der Zulassung auch auf kaufmännische Pauschalpreisangebote intendiert haben könnte. Viel näher liegt dagegen ein Verständnis, dass der Auftraggeber damit zum Ausdruck bringen will, dass er eine Aufgliederung der Teilleistungen in dem geforderten Sinn auch dann verlangt, wenn in der Aufforderung zur Angebotsabgabe kaufmännische Pauschal(preis)angebote ausdrücklich zugelassen worden sind.

Entsprechendes gilt für die oben bereits wörtlich wiedergegebene Antwort der Antragsgegnerin auf die Bieterfragen vom 23.11.2020 (Anlage ASt 3), denn diesem Schreiben sind nicht einmal ansatzweise Anhaltspunkte zu entnehmen, wonach kaufmännische Nebenangebote zu den Titeln 30.10 und 40.41 des Leistungsverzeichnisses zulässig sein sollten.

ee) Für die dargelegte Einschätzung spricht zuletzt auch, dass sich die Antragsgegnerin mit der Zulassung von Pauschalpreisnebenangeboten – sei es nur zu den genannten Titeln des Leistungsverzeichnisses, sei es zu weiteren damit einhergehenden Bauleistungen – letztlich unlösbare Probleme bei der Wertung des besten Preis-Leistungsverhältnisses geschaffen hätte. Die Beigeladene hat mit Recht darauf hingewiesen, dass ein angebotener Pauschalfestpreis und eine Angebotssumme auf Basis vorgegebener Vordersätze prinzipiell nicht vergleichbar sind. Er hat an dieser Stelle zutreffend auf eine Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 2.12.2002 (Verg 24/02) hingewiesen, in der folgendes ausgeführt wird:

“…Der vertraglichen Abrechnung nach Einheitspreisen wohnt die Tendenz inne, dass qualitativ so gebaut wird, wie es sich der Auftraggeber vorstellt. Dieser Anreiz fehlt bei einer Pauschalierung. Die damit einhergehende Gefahr, für die beiden Leistungen mehr bezahlen zu müssen, als dies nach Einheitspreisen notwendig ist, erlaubt den Ausschluss der Nebenangebote.[…] Preislich vorteilhafter ist für den Auftraggeber eine Pauschalierung vielmehr in der Regel nur, wenn die Ersparnis in jeder denkbaren Variante einer noch vertragsgerechten Leistungserbringung größer ist, als wenn nach Einheitspreisen abgerechnet würde. (Rn 63 bei juris).”

Auch wegen dieser grundsätzlichen Wertungsprobleme kann daher mangels hinreichender konkreter Anhaltspunkte in den Ausschreibungsunterlagen nicht angenommen werden, dass die Antragsgegnerin bereit war, eine vom vorgegebenen Leistungsverzeichnis abweichende Vergütungsform zuzulassen.

ff) Es kann offenbleiben, ob die Antragstellerin auch in technischer Hinsicht von den einschlägigen Vorgaben der Antragsgegnerin abgewichen ist, wie die Beigeladene unter Bezugnahme auf den Vergabevermerk reklamiert. Hierauf kommt es nicht an, denn das Pauschalpreisnebenangebot NA 1 der Antragstellerin hält sich als kaufmännisches Nebenangebot nicht innerhalb der von der Antragsgegnerin in Ziffer 6.2 der Aufforderung zur Angebotsabgabe festgelegten engen Grenzen und muss aus diesem Grund von der Wertung ausgeschlossen werden.

Die Nebenangebote 1 und 2 pauschalieren den Werklohn sowohl für die Herstellung der Titel 30.10 und 40.41 als auch für alle weiteren Titel des Leistungsverzeichnisses und weichen damit von der vorgegebenen Vergütung nach Einheitspreisen ab. Bereits aus diesem Grund kann das Nebenangebot 1 und das optional darauf bezogene Nebenangebot 2 als nicht zugelassenes Nebenangebot nicht in die Wertung eingehen. Dementsprechend spielt es im Ergebnis auch gar keine Rolle, ob die Antragstellerin mit ihrem Kurz-Leistungsverzeichnis und der Konversionstabelle eine Zuordnung der Einzeltitel des von der Antragsgegnerin vorgegebenen (amtsseitigen) Leistungsverzeichnisses zu dem Kurz-Leistungsverzeichnis ermöglicht hat oder nicht. Vielmehr bleibt als Ergebnis festzuhalten, dass die Antragsgegnerin die Nebenangebote der Antragstellerin mit Recht ausgeschlossen hat.

b) Ohne Erfolg bleibt auch die im Beschwerdeverfahren erhobene Rüge, das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen sei von der Wertung auszuschließen, weil es die ausschreibungsseitig geforderten Preise nicht enthalte.

aa) Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin zwar bereits mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2021 das Nebenangebot Nr. 5 als unzureichend beanstandet hatte, nachdem ihr am 29. September 2021 Akteneinsicht in das geschwärzte Nebenangebot gewährt worden war. Ihre Rüge ist aber erst durch die Antragserweiterung in der mündlichen Verhandlung zum Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens gemacht worden.

Ein Beschwerdeführer bestimmt mit seiner Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, den Gegenstand der Entscheidungsfindung, also den Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens (vgl. Steck in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., Rn 5 zu § 178 GWB; Schäfer in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., Rn 8 zu § 178 GWB, jeweils m.w.N.). Dies lässt sich u.a. daraus ableiten, dass die für den Beschwerdesenat maßgebliche Vorschrift des § 178 (S. 4) GWB lediglich § 168 Abs. 2 GWB für entsprechend anwendbar erklärt, nicht aber § 168 Abs. 1 GWB, der für die Vergabekammern eine umfassende Rechtsprüfung vorschreibt, die nicht an die gestellten Anträge gebunden ist (vgl. Jaeger in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 4. Aufl., Rn 3 zu § 178 GWB).

Die Antragstellerin hatte ihren Beschwerdeantrag zu Ziffer 1.) ursprünglich darauf gerichtet, der Antragsgegnerin aufzugeben, den Ausschluss ihrer eigenen Nebenangebote zurückzunehmen und die Prüfung und Wertung unter Einschluss dieser Angebote zu wiederholen. Erst durch die in der mündlichen Verhandlung erklärte Antragserweiterung war der vom Beschwerdegericht zu prüfende Streitstoff auch auf eine Untersuchung des Angebots der Beigeladenen erstreckt worden.

Es bestand dementsprechend auch für die Antragsgegnerin und die Beigeladene bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Veranlassung, auf den dazugehörigen Vortrag der Antragstellerin einzugehen. Vor diesem Hintergrund muss auch die Erwiderung der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung gewertet werden. Sie ist dem Vorwurf der Antragstellerin dezidiert entgegengetreten und hat dargelegt, dass ihr Angebot sowohl in preislicher Hinsicht vollständig war als auch sämtliche durch die alternative technische Ausführung erforderlichen entfallenden und zusätzlichen Leistungen beinhaltet.

bb) Auf dieser Grundlage lässt sich weder feststellen, dass das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen gem. §§ 16a Abs. 2 i.V. 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU wegen fehlender Preisangaben, noch, dass es gem. §§ 16 Nr. 5 i.V. 8 Abs. 2 Nr. 3b VOB/A-EU von der Wertung ausgeschlossen werden müsste.

(1) Das Angebot eines Bieters muss gem. § 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU die im Leistungsverzeichnis bzw. den sonstigen Vergabeunterlagen zweifelsfrei geforderten Preisangaben enthalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss jeder in der Leistungsbeschreibung vorgesehene Preis, so wie gefordert, vollständig und mit dem Betrag angegeben werden, der für die betreffende Leistung beansprucht wird. Dies wird damit begründet, dass ein transparentes, auf Gleichbehandlung aller Bieter beruhendes Auswahlverfahren nur dann gewährleistet werden kann, wenn in jeder sich aus den Verdingungsunterlagen ergebender Hinsicht vergleichbare Angebote abgegeben werden (BGH, Beschluss vom 7.1.2003, X ZR 50/01, Rn 23 bei juris; BGH, Beschluss vom 18.5.2004, X ZB 7/04 – Mischkalkulationen, Rn 24 bei juris). Demzufolge liegt eine unvollständige Preisangabe schon dann vor, wenn zumindest bezüglich einer einzigen Ordnungsziffer des Leistungsverzeichnisses kein Preis angegeben wird (Kapellmann/Messerschmidt-Fister aaO., Rn 28 zu § 16a EU VOB/A).

Es ist auch nach den Ausführungen der Antragstellerin nicht ersichtlich, dass das in Verbindung mit dem Hauptangebot abgegebene Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen insoweit unvollständig wäre. Im Nebenangebot werden die bei entsprechender Wertung des Angebots entfallenden Positionen zum Titel 40.41 aufgeführt und die alternativ dazu angebotenen Positionen dargestellt, während im Übrigen das Hauptangebot maßgeblich sein soll.

(2) Mit ihrem Vorwurf, im Nebenangebot Nr. 5 habe es die Beigeladene versäumt, bautechnisch notwendige Änderungen bei der Bepreisung anderer Titel des Leistungsverzeichnisses zu berücksichtigen, zielt die Antragstellerin auch in eine andere Richtung. Sie reklamiert nämlich explizit einen Verstoß gegen Ziffer 6.2. der Aufforderung zur Angebotsabgabe, wo eine titelübergreifende Erfassung und Darstellung der entfallenden und der zusätzlichen Leistungen gefordert wird.

Ein Ausschluss des Nebenangebots Nr. 5 käme auf dieser Tatsachengrundlage somit dann in Betracht, wenn die erwähnte Vorgabe als Mindestanforderung i.S. von § 8 VOB/A-EU anzusehen wäre, bei deren Fehlen ein zwingender Ausschluss gem. § 16 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EU die Folge ist. Ein Verstoß lässt sich aber nicht feststellen.

Dabei kann offenbleiben, ob die Antragsgegnerin in Ziffer 6.2 der Aufforderung zur Angebotsabgabe lediglich technische Mindestanforderungen für die zugelassene alternative Bauausführung gestellt hat, wofür der innere Zusammenhang zwischen der Zulassung des Nebenangebots und deren geforderter Qualität spricht (“…Die in diesem Titel beschriebenen Kastenprofilkanäle (…) können alternativ auch als Fertigteile geliefert und eingebaut werden. Es hat sämtliche Eigenschaften und die Vorgaben der ZTV-Emscher zu erfüllen…”).

Auch wenn man die titelübergreifende Erfassung der entfallenden und der zusätzlichen Leistungen als Mindestanforderung betrachtet, kommt ein Ausschluss des Nebenangebots Nr. 5 der Beigeladenen nicht in Betracht, weil sich ein entsprechendes Defizit nicht feststellen lässt.

Die Antragstellerin trägt unter Bezugnahme auf ein Privatgutachten des Sachverständigen C (Anlage Bf 2) vor, die Herstellung in Ortbetonbauweise nehme deutlich längere Zeit in Anspruch, als die Herstellung in Fertigbauweise. Es ergäben sich u.a. Auswirkungen durch den Entfall der Schalung auf der Baustelle, die Verringerung von Montagezeiten auf der Baustelle, die Verkürzung von Bauzeiten vor Ort, Änderungen der Baubehelfe (Kräne) etc. (Anlage Bf 2, Seite 5 – Bl. 240 d. A.).

Weder aus dem Privatgutachten von Herrn C noch aus dem weiteren Vortrag der Antragstellerin im Schriftsatz vom 11. Oktober 2021 lassen sich hinreichende Anhaltspunkte dafür finden, dass das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen unter diesen Umständen den Vorgaben der Ausschreibung nicht entsprechen und etwaige entfallende bzw. zusätzliche Leistungen nicht enthalten würde. Es ist durch die Antragstellerin kein einziger Untertitel des amtsseitigen Leistungsverzeichnisses, etwa aus den Titeln “Erdarbeiten, Grundwasserabsenkung, Baustelleneinrichtung” benannt worden, der konkret durch das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen hinzugekommen oder in Wegfall geraten wäre.

Die Beigeladene hat vielmehr durch Bezugnahme auf ihr Nebenangebot Nr. 5 dargelegt, dass sie die erforderlichen Änderungen, wie beispielsweise den Entfall der Schalung auf der Baustelle, berücksichtigt hat. Sie hat ferner zutreffend ausgeführt, dass sie der Antragsgegnerin auch einen auf das Nebenangebot bezogenen Bauzeitenplan vorgelegt hat. Sofern die Beigeladene davon abgesehen haben sollte, im Hinblick auf die geänderte Bauweise Preisermäßigungen bei anderen Titeln anzubieten, bewegte sie sich nicht außerhalb der Vorgaben der Antragstellerin.

3. Da die Beschwerde erfolglos bleibt, sind der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen (§§ 175 Abs. 2, 71 S. 1 GWB).

4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens beträgt gem. § 50 Abs. 2 GKG 5 Prozent der Bruttoauftragssumme.

OLG Frankfurt zu der Frage der Ermessensentscheidungen gemäß § 56 Abs. 2 VgV über das Nachfordern von Unterlagen

OLG Frankfurt zu der Frage der Ermessensentscheidungen gemäß § 56 Abs. 2 VgV über das Nachfordern von Unterlagen

1. Bei Ermessensentscheidungen gemäß § 56 Abs. 2 VgV über das Nachfordern von Unterlagen bedarf es der Abschätzung der konkret zu erwartenden Verzögerung und deren Auswirkungen auf das Verfahren. Es ist auch zu berücksichtigen, ob die Vergabestelle diese Auswirkungen durch eine frühere Nachforderung hätte abmildern oder vermeiden können.

2. Bei der Ermessensentscheidung ist es besonders zu berücksichtigen, wenn bei Ausschluss eines Bewerbers nur noch ein einziger Bewerber übrigbleiben wird.

3. Hilft die Vergabestelle einer Rüge ab, ohne dass dies von anderen Bietern erfolgreich angefochten wird, ist für das weitere Verfahren von einer berechtigten Rüge auszugehen, deren Erheben kein Kriterium bei einer zu Lasten des Rügenden gehenden Ermessensentscheidung sein kann.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25.11.2021 – 11 Verg 2/21

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Ausschluss ihres Angebots von einem vom Hessischen Competence Center für neue Verwaltungssteuerung (Vergabestelle) des beschwerdeführenden Landes und Antragsgegners durchgeführten Vergabeverfahren, an dem neben ihr nur die Beigeladene beteiligt war. Gegenstand des zuletzt als Verhandlungsverfahren ohne Teilnehmerwettbewerb betriebenen Vergabeverfahrens (Vergabenr. …) ist die “Anmietung einer gasbetriebenen mobilen Brandsimulationsanlage zur Ausbildung von Atemschutzgeräteträgern inklusive Ausbildung für die hessische Landesfeuerwehrschule”.

Die Vergabekammer hat den Sachverhalt und die bei ihr gestellten Anträge wie folgt festgestellt:

Der Antragsgegner schrieb mit europaweiter Bekanntmachung vom 29. November 2019 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union unter der Ausschreibungsnummer … die Ausbildung von Atemschutzgeräteträgern durch Nutzung einer mobilen Brandsimulationsanlage nach DIN 14097 Teil 1 und 2 – Mai 2018 zunächst im offenen Verfahren aus. Unter Ziffer II.2.4) der Auftragsbekanntmachung hieß es wie folgt:

“Ausbildung von Atemschutzgeräteträgern durch Nutzung einer mobilen Brandsimulationsanlage nach DIN 14097 Teil 1 und 2 -Mai 2018. Das Land Hessen beabsichtigt zur Ausbildung der Atemschutzgeräteträger der Feuerwehren eine mobile gasbetriebene Brandsimulationsanlage anzumieten. Die Anlage soll in den Jahren 2021 und 2022 für jeweils 15 Wochenangemietet und an wechselnden Standorten jeweils für etwa eine Woche zur Verfügung gestellt werden. Die Ausbildung soll in beiden Jahren im Zeitraum von April bis September durchgeführt werden. Die Betriebszeit pro Woche beträgt 54 Stunden.” (Blatt 116 der Vergabeakte Bd. I).

Hinsichtlich der Teilnahmebedingungen hatten die Bieter im Hinblick auf die Befähigung zur Berufsausübung eine Eigenerklärung bezüglich des Nichtvorliegens einer Vergabesperre vorzulegen. Bezüglich der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit hatte der Antragsgegner keine Anforderungen formuliert. Als Nachweis für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit hatten die Bieter eine Liste mit geeigneten Referenzen der in den letzten drei Jahren erbrachten wesentlichen Leistungen mit folgenden Angaben vorzulegen: Art und Umfang, Erbringungszeitpunkt, Angabe des Wertes, öffentlicher oder privater Empfänger mit den jeweiligen Kontaktdaten, wobei Referenzen dann geeignet sind, wenn diese in Art und Umfang dem hier zu vergebenden Auftrag entsprechen (Blatt 114 der Vergabeakte Bd. I).

Antragstellerin und Beigeladene reichten als einzige Bieter jeweils fristgerecht ein Angebot ein. Der Antragsgegner hob mit Schreiben vom 16. März 2020 (Blatt 318 bis 324 der Vergabeakte Bd. I) das Vergabeverfahren gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 VgV in Verbindung mit § 63 Abs. 1 Nr. 3 VgV auf.

Grund hierfür war, dass das Angebot der Beigeladenen erheblich über der Kostenschätzung lag, das Angebot der Antragstellerin der Leistungsbeschreibung nicht entsprach. Gleichzeitig teilte der Antragsgegner den Bietern mit, die ausgeschriebene Leistung solle in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 1 VgV vergeben werden.

In der Folgezeit überarbeitete der Antragsgegner die Vergabeunterlagen (Blatt 1 bis 96 der Vergabeakte Bd. I). Unter dem 24. August 2020 (Blatt 102 der Vergabeakte Bd. I) forderte der Antragsgegner nur die beiden im offenen Verfahren beteiligten Bieter, die Antragstellerin und die Beigeladene, zur Abgabe eines Angebotes auf. Beide Bieter reichten bis zum Ablauf der Angebotsfrist am 21. September 2020 indikative Angebote ein. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2020 forderte der Antragsgegner sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene zur Preisaufklärung auf, da der jeweilige Angebotspreis die Kostenschätzung des Antragsgegners teilweise um

mehr als 30 % überstieg bzw. um mehr als 20 % unterschritt. Gleichzeitig lud der Antragsgegner in den jeweiligen Schreiben vom 13. Oktober 2020 die beiden Bieter zu einem Verhandlungsgespräch, das jeweils am 28. Oktober 2020 stattfinden sollte, ein. Beide Bieter erhielten jeweils eine individuelle Agenda für den Verhandlungstermin, die ebenfalls mit dem Schreiben vom 13. Oktober 2020 übersandt wurde (Blatt 249 bis 258 der Vergabeakte Bd. II). Diese Agenda enthält folgende Einleitung:

“Gemäß dem “Hinweis zu Verhandlungsrunden” aus der “Ergänzung zur Angebotsaufforderung”, kann sich der Bieter in den Verhandlungsterminen präsentieren und Anregungen zu den Vergabeunterlagen geben. Vor der Aufforderung zur Einreichung der endgültigen Angebote gemäß § 17 Abs. 14 VgV wird der Auftraggeber entscheiden, ob und welche Änderungen er an den Vergabeunterlagen vornimmt und dies den Bietern mitteilen.” (Blatt 256,250 der Vergabeakte Bd. Il).

Ausweislich der Vergabeakte (Blatt 255 bis 256 der Vergabeakte Bd. Il) sollte mit der Antragstellerin vor allen Dingen über den Neubau des von ihr angedachten Brandübungscontainers und des Neubaus bzw. der Neukonzeption des Orientierungsraumes in dem Verhandlungstermin gesprochen werden.

Mit Zusatzschreiben vom 20. September 2020, ihrem Angebot beigefügt, teilte diese mit, im Falle einer Auftragserteilung käme ein neuer Brandübungscontainer zum Einsatz, der gleichermaßen alle in der Ausschreibung geforderten Kriterien erfülle (Blatt 180 der Vergabeakte Bd. II). Zu diesem von der Antragstellerin angedachten neuen Brandübungscontainer lagen aus Sicht des Antragsgegners keine weiteren Informationen vor. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2020 (Blatt 277 bis 278 der Vergabeakte Bd. II) legte die Antragstellerin eine Übersicht ihrer Kalkulation vor, die Beigeladene mit Schreiben vom 19. Oktober 2020 (Blatt 270 bis 272 der Vergabeakte Bd. Il). In dem Verhandlungsgespräch vom 28. Oktober 2020 (Blatt 291 bis 292 der Vergabeakte Bd. II) erläuterte die Antragstellerin, dass der Neubau des Brandübungscontainers durch die Firma B, Stadt1, erfolgen solle. Des Weiteren erläuterte sie mündlich Ideen und verschiedene Möglichkeiten der technischen Umsetzung. Zur technischen Umsetzung des Orientierungsraumes konnte die Antragstellerin aus Sicht des Antragsgegners ebenfalls nur Ideen präsentieren. Hinsichtlich des Logistikkonzeptes gebe es nach Auffassung des Antragsgegners lediglich Vermutungen zu einer möglichen Umsetzung. Nach dem Protokoll des Verhandlungsgespräches soll die Antragstellerin gesagt haben:

“Das muss ich dann noch mal prüfen, ob der Spediteur das leisten kann.” (Blatt 291 der Vergabeakte Bd. II).

Darüber hinaus habe die Antragstellerin mitgeteilt, sie plane mittelfristig wahrscheinlich mit der Firma B zusammenzuarbeiten und gehe deshalb davon aus, für den Neubau des Brandübungscontainers bessere Konditionen als andere Kunden bekommen zu können. Ausweislich des Protokolls zu dem Verhandlungsgespräch (Blatt 291 der Vergabeakte Bd. Il) habe die Antragstellerin zu den Anschaffungskosten auch auf mehrmalige Nachfrage keine Aussage treffen können. Ein neuer Container habe für sie, die Antragstellerin, Vorteile. Sie habe sowieso einen Neubau geplant und alles sei überschaubar.

Aus dem Protokoll des Verhandlungsgespräches mit der Beigeladenen vom 28. Oktober 2020 (Blatt 287 bis 288 der Vergabeakte Bd. Il) geht unter der Überschrift zu 3) – Neubau bzw. Neukonzeption Orientierungsraum – hervor, dass diese einen Bau des Orientierungsraumes plane und einen Bauzeitenplan vorgelegt hat. Zudem resultiere ein hoher Kostenanteil aus dem Bau und der Implementierung der beiden Zusatzcontainer, mit Unterkonstruktion sowie Verbindung (mechanisch und steuerungstechnisch) an den Brandübungscontainer.

Nach dem Verhandlungsgespräch vom 28. Oktober 2020 informierte der Antragsgegner die Antragstellerin nach § 134 Abs. 1 GWB über die Nichtberücksichtigung ihres Angebotes und teilte ihr mit, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen erteilen zu wollen (Blatt 314 bis 316 der Vergabeakte Bd. Il). Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, das Angebot der Antragstellerin müsse nach Abschluss der Verhandlungen gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV ausgeschlossen werden, da das Angebot noch immer unvollständig, aber auch gemäß § 60 Abs. 3 VgV abzulehnen sei (Blatt 315 bis 316 der Vergabeakte Bd. 11).

Mit anwaltlichen Schreiben vom 11. November 2020 rügte die Antragstellerin den Angebotsausschluss und die im November 2020 beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene (Blatt 331 bis 348 der Vergabeakte Bd. Il). Der Antragsgegner nahm mit Schreiben vom gleichen Tag die ergangene Vorabinformation nach § 134 Abs. 1 GWB zurück (Blatt 408 der Vergabeakte Bd. Il). Mit Schreiben vom 10. Dezember 2020 (Blatt 409 bis 414 der Vergabeakte Bd. Il) half der Antragsgegner der Rüge der Antragstellerin ab, da die Antragstellerin die Aufforderung zur Abgabe eines endgültigen Angebotes erwarten durfte und setzte das Verhandlungsverfahren in den Zeitpunkt vor Abschluss der Verhandlungen zurück. Die Bieter sollten unter Einbeziehung der sich aus den Verhandlungsgesprächen vom 28. Oktober 2020 ergeben – den Erkenntnissen zu einem finalen Angebot aufgefordert werden. Die Vergabeunterlagen sollten insoweit eine Anpassung erfahren. Sowohl die bisher geltenden Mindestanforderungen als auch die Zuschlagskriterien sollten unverändert fortgelten. Die Einreichung eines neuen, endgültigen (modifizierten) Angebotes sei erforderlich, zuvor eingereichte Angebote seien erloschen. Hierbei soll es sich sodann um das endgültige (finale) Angebot handeln. Die endgültigen Angebote seien auch nicht mehr nachverhandelbar.

In der Folgezeit überarbeitete der Antragsgegner die Vergabeunterlagen. Ausweislich der “Ergänzung zur Angebotsaufforderung” (Version 2) und dort Ziffer 2.3 ff. sind Unterlagen aufgeführt, die vollständig – soweit erforderlich – ausgefüllt mit dem elektronischen Angebot einzureichen sind (Blatt 521 der Vergabeakte Bd. Il). Die Ziffern 2.3.3 (Verpflichtungserklärung Tariftreue/Mindestentgelt), 2.3.4 (Ausschluss wegen schwerer Verfehlungen) und 2.3.5 (Erklärung über die Unternehmensdaten) werden wie folgt eingeleitet: “Entfällt/liegt mit Erstangebot schon vor…” (Blatt 520 bis 521

der Vergabeakte Bd. II). Bei den Ziffern 2.3.3 und 2.3.4 findet sich der Zusatz, dass bei geplantem Einsatz von Unterauftragnehmern diese durch den Bieter zusätzlich von jedem Unterauftragnehmer einzureichen sind, bei Bietergemeinschaften von jedem Mitglied der Bietergemeinschaft (Blatt 520 bis 521 der Vergabeakte Bd. Il). Bei geplanten Einsatz von Nachunternehmern (Blatt 518 der Vergabeakte Bd. Il) ist gemäß Ziffer 2.3.31 ein Verzeichnis der Leistungen anderer Unternehmer vorzulegen, die Verpflichtungserklärung anderer Unternehmen erst auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle (2.3.32, Blatt 518 der Vergabeakte Bd. Il). Darüber hinaus seien bei geplantem Einsatz von Nachunternehmern die Ziffern 2.3.3, 2.3.4 und 4 zu beachten (Blatt 518 der Vergabeakten Bd. II). Gemäß Ziffer 3.2 (Blatt 518 der Vergabeakte) erfolgt die Nachforderung, Vervollständigung, Berichtigung von Unterlagen bzw. Aufklärung in diesem Ausschreibungsverfahren, sofern dies vergaberechtlich zulässig und geboten ist. Unter Ziffer 7 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung (Blatt 515 der Vergabeakte Bd. II) wird den Bietern mitgeteilt, dass mit der hier ergehenden Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes die Aufforderung zur Abgabe eines endgültigen Angebotes nach Maßgabe dieser Vergabeunterlage ergehe. Die endgültigen Angebote seien nicht mehr nachverhandelbar. Die im Laufe des Verfahrens zuvor eingereichten Angebote seien erloschen und die Möglichkeit eines Rückgriffs auf vorangegangene Angebote bestünde nicht. Ausgenommen hiervon seien

die vorstehenden Ziffern 2.3.3, 2.3.4 und 2.3.5.

Nach der Leistungsbeschreibung unter Ziffer 1. “Allgemeines” (Blatt 482 der Vergabeakte Bd. II) beabsichtigt der Antragsgegner zur Ausbildung der Atemschutzgeräteträger der Feuerwehren eine mobile gasbetriebene Brandsimulationsanlage anzumieten. Die Anlage soll in den Jahren 2022 und 2023 für jeweils 15 Wochen angemietet und an wechselnden Standorten jeweils für etwa eine Woche zur Verfügung gestellt werden. Die Betriebszeit pro Woche beträgt 54 Stunden.

Die Anlage soll durch den Bieter an die von der zuständigen Behörde vorgesehenen Stellen transportiert und dort von den Mitarbeitern des Auftragnehmers bedient werden. Eine autarke Versorgung der Anlage mit Betriebsmitteln durch den Bieter ist erforderlich. Die gasbetriebene Brandsimulationsanlage soll durch ein zusätzliches Übungsobjekt erweitert und mit diesem baulich verbunden werden. Im Vorfeld der Ausbildung ist es notwendig, vom Auftraggeber benannte Personen zu Multiplikatoren auszubilden. Diese sollen den Bieter beim späteren Betrieb der Anlage unterstützen und die Ausbildung der örtlichen Atemschutzausbilder durchführen. Alle organisatorischen Belange liegen im Verantwortungsbereich der zuständigen Behörde. Der Preis für die bereitgestellte Brandsimulationsanlage muss als Stundenpreis, für tatsächlich geleistete Stunden, inklusive aller geforderten Leistungen, angegeben werden. Ausweislich der Leistungsbeschreibung unter Ziffer 2.1.”Technische Anforderungen” (Blatt 481 der Vergabeakte Bd. Il) kann mit den finalen Angeboten optional eine Brandsimulationsanlage angeboten werden, die noch nicht nach der geforderten Art vorhanden ist, was bislang so noch nicht in den Vergabeunterlagen formuliert war. Nach Ziffer 2.2 “Organisatorische Anforderungen” der Leistungsbeschreibung (Blatt 477 der Vergabeakte Bd. Il) haben eventuell erforderliche Wartungsarbeiten außerhalb der Betriebszeiten durch den Auftragnehmer zu erfolgen. Weitere Anforderungen an die Wartungsarbeiten lassen sich den Vergabeunterlagen nicht entnehmen.

Der Transport der Brandsimulationsanlagen sowie des Orientierungsraumes zu den verschiedenen Veranstaltungsorten hat durch den Auftragnehmer nach Rücksprache mit der zuständigen Behörde in eigener Regie und auf eigene Kosten zu erfolgen. Weitere Anforderungen an den Transport der Brandsimulationsanlage sowie des Orientierungsraumes sind in den Vergabeunterlagen nicht enthalten, auch finden sich im Leistungsverzeichnis hierzu keinerlei Angaben bzw. Preispositionen.

Hinsichtlich der Organisation der Ausbildung (Ziffer 3.1 der Leistungsbeschreibung, Blatt 476 der Vergabeakte Bd. Il) muss das vom Auftragnehmer eingesetzte Bedienpersonal die Anlage in Absprache mit den vor Ort gestellten Ausbildern bedienen, in die besonderen Gefahren der Anlage eingewiesen sein sowie lebensrettende Sofortmaßnahmen sicher beherrschen. Die Qualifikation des Bedienpersonales ist nachzuweisen. Der Nachweis über die Ausbildung der lebensrettenden Sofortmaßnahmen darf bei der Durchführung der Ausbildung nicht älter als 12 Monate sein.

Die vom Auftraggeber benannten Multiplikatoren sind durch den Auftragnehmer so zu unterweisen, dass diese beim Betrieb der Anlage unterstützend tätig werden können. Im Leistungsverzeichnis finden sich hinsichtlich der Preiskalkulation noch die Angaben, dass hierin auch 2 Multiplikatoren-Schulungen an der an der Hessischen Landesfeuerwehrschule und Abstimmungstermine zur Festlegung der Ausbildungsinhalte enthalten sein müssen.

Am 4. Januar 2021 forderte der Antragsgegner die Bieter zur finalen Angebotsabgabe auf (Blatt 530 der Vergabeakte Bd. Il). Die zunächst systembedingte fehlerhafte Angabe der Angebotsabgabe auf den 12. Januar 2021 korrigierte der Antragsgegner auf den 19. Januar 2021, 12:00 Uhr. Aufgrund der Rüge der Antragstellerin vom 14. Januar 2021, die Angebotsfrist für das finale Angebot sei zu kurz bestimmt und nicht angemessen, verlängerte der Antragsgegner die Angebotsfrist auf den 2. Februar 2021, 12:00 Uhr. Die Beigeladene rügte die Verlängerung der Angebotsfrist mit Schreiben vom 21. Januar 2021 und forderte die Rücknahme der Verlängerung der Angebotsfrist, wobei der Antragsgegner dieser Rüge mit Schreiben vom 22. Januar 2021 nicht abhalf.

Die Antragstellerin reichte am 2. Februar 2021 ihr Angebot ein. In dem beigefügten Schreiben vom 13. Januar 2021 (Blatt 777 bis 778 der Vergabeakte Bd. Il) nimmt sie Bezug auf das im Oktober erfolgte Verhandlungsgespräch und die Kosten einer neuen Brandsimulationsanlage, was sie weiter ausführt. Des Weiteren teilte sie mit, die Erhöhung des Stundenpreises komme insbesondere auch durch die Ausführung aller Arbeiten durch die Firma B GmbH zustande. Darüber hinaus fügte sie ihr Ausbildungskonzept bei (Blatt 719 bis 776 der Vergabeakte Bd. Il). Ebenfalls mit dem Angebot legte sie, so wie in den Vergabeunterlagen verlangt, eine Liste der notwendigen Einzelgewerke und der ausführenden Firmen gemäß Ziffer 2.3.13 in Verbindung mit 2.1.2 der Leistungsbeschreibung für den Fall, dass die Brandsimulationsanlage noch nicht in der geforderten Art vorhanden sein sollte, vor (Blatt 481 und 520 der Vergabeakte Bd. Il).

Die Antragstellerin legte ihrem Angebot auch ein Schreiben vom 10. Januar 2021 bei, indem sie ausführt, dass das Bedienpersonal durch den Hersteller der Brandsimulationsanlage umfassend geschult werde, um neben der Möglichkeit, die Anlage korrekt bedienen zu können, auch ein umfassendes technisches Verständnis zu vermitteln. Dies gelte auch für alle sicherheitsrelevanten Belange. Dadurch werde das Bedienpersonal auch in die Lage versetzt, kleinere Reparaturen, wie das Wechseln von Zündkerzen oder Temperatursensoren, selbstständig ohne Hinzuziehung eines Servicemonteurs durchführen zu können. Darüber hinaus werde das Bedienpersonal regelmäßig vom Betreiber der Anlage geschult. Es sei auch in Erster Hilfe ausgebildet (Blatt 717 bis 718 der Vergabeakte Bd. Il).

Die Beigeladene und Zuschlagsprätendentin reichte mit ihrem Angebot unter anderem das Formblatt 235 (Verzeichnis über Art und Umfang der Leistungen, für die sich der Bieter der Kapazitäten anderer Unternehmen bedienen wird, Blatt 1066 der Vergabeakte Bd. Il) ein, in welchem sie angab, sich hinsichtlich Transport, Aufbau und Inbetriebnahme der Brandübungsanlage am jeweiligen Standort und der trainingsbegleitenden Bedienung der Brandübungsanlange der Kapazitäten anderer Unternehmen bedienen zu wollen. Gleichzeitig benannte sie ausführende Firmen für die Durchführung notwendiger Einzelgewerke (Blatt 816 der Vergabeakte Bd. Il).

Ausweislich der Vergabeakte (Blatt 1.126 der Vergabeakte Bd. Il) entschied sich der Antragsgegner aufgrund des schwierigen Verfahrensverlaufes dazu, einen Fachanwalt für Vergaberecht hinzuzuziehen. Dieser wurde anschließend beauftragt, aufgrund seiner bisherigen Einschätzung den notwendigen Vergabevermerk zu formulieren. Dieser sollte dann umgehend an die Vergabestelle weitergeleitet und umgesetzt werden (Blatt 1.125 der Vergabeakte Bd. Il). Ausweislich dieses fachanwaltlich gefertigten Vergabevermerkes ohne Datum (Blatt 1.115 bis 1.124 der Vergabeakte Bd. Il) hat die Beigeladene ihrem finalen Angebot die Verpflichtungserklärung Tariftreue/Mindestentgelt, Ausschluss wegen schwerer Verfehlungen und die Erklärung Unternehmensdaten nicht beigefügt, was jedoch unschädlich sei, da sie sie bereits im offenen Verfahren bzw. mit dem indikativen Angebot diese Unterlagen vorgelegt habe und auch eine Firma als Unterauftragnehmer für die Leistungsbereiche Logistik und Bedienung angegeben habe (Blatt 1.123 der Vergabeakte Bd. Il).

Des Weiteren finden sich auf Seite 1.122 der Vergabeakte Bd. II in diesem Vergabevermerk folgende Ausführungen zu dem Angebot der Beigeladenen:

“Da die Anlage inklusive des weiteren Übungsobjektes (Orientierungsraum) noch nicht in geforderter Art vorhanden ist, legt der Bieter, wie unter Ziffer 2.3.13 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung gefordert, technische Zeichnungen entsprechend En ISO 7200 /ISO 128/ ISO 5455, den Fertigungszeitplan vom Rohbau bis zur Abnahme durch einen Sachverständigen (Bauzeitenplan im Ausbildungskonzept vorgelegt) sowie die Namen der Unternehmen vor, die die notwendigen Einzelgewerke ausführen. Da es sich bei den Unternehmen, die den Orientierungsraum als Anbau für die bereits bestehende Brandsimulationsanlage des Bieters herstellen lediglich um Lieferanten und nicht um Unterauftragnehmern handelt, waren die Unternehmen […] nicht als Unterauftragnehmer zu benennen.”

Hinsichtlich des Angebotes der Antragstellerin wird in dem fachanwaltlichen Vergabevermerk ausgeführt, dass der Bieter mit dem finalen Angebot erstmals angab, dass die “Ausführung aller Arbeiten durch die B GmbH” erfolgen solle, er also ein Unterauftragnehmer nach § 36 VgV einsetzen wolle und sodann mit seinem Angebot das Formblatt 235 (Verzeichnis der Leistungen/Kapazitäten anderer Unternehmen), die Verpflichtungserklärung Mindestentgelt/Tariftreue für Unterauftragnehmern sowie die Erklärung betreffend den Ausschluss wegen schwerer Verfehlungen für Unterauftragnehmern (Fa. B GmbH) hätte vorlegen müssen. Diese Unterlagen/Erklärungen fehlten jedoch in dem finalen Angebot (Blatt 1.120 der Vergabeakte Bd. Il). Des Weiteren findet sich auf Blatt 1.120 der Vergabeakte Bd. Il folgender Absatz in dem Vergabevermerk:

“Da die Anlage inklusive des weiteren Übungsobjektes (Orientierungsraum) noch nicht in geforderter Art vorhanden ist, legt der Bieter, wie unter Ziffer 2.3.13 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung gefordert, technische Zeichnungen entsprechend En ISO 7200 /ISO 128/ ISO 5455, den Fertigungszeitplan vom Rohbau bis zur Abnahme durch einen Sachverständigen vor. Weiterhin wird der Name des Unternehmens angegeben, dass die notwendigen Einzelgewerke ausführen soll (Fa. B GmbH).”

Mit Vorabinformationsschreiben nach § 134 GWB vom 26. März 2021 (Blatt 1.132 bis 1.136 der Vergabeakte II) teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, sie sei gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV vom weiteren Verfahren auszuschließen. Der Antragsgegner führte unter anderem aus, gemäß §§ 122 Abs. 1, 2 GWB in Verbindung mit § 17 Abs. 5 VgV könnten in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb dabei überhaupt nur solche Bewerber zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert werden, die aufgrund der notwendigen Fachkunde und Leistungsfähigkeit die erforderliche Eignung aufwiesen. Maßstab für die Auswahl der aufzufordern Unternehmen zur Abgabe der Angebote sei im Verhandlungsverfahren dabei die bereits zuvor im aufgehobenen offenen Verfahren (…) festgestellte Eignung. Insoweit prüfe der Auftraggeber die erforderliche Eignung der Bewerber/Bieter nicht lediglich einmal, sondern fortlaufend. Diese müsse mithin im gesamten Vergabeverfahren gegeben sein. Insbesondere stünde es dem Auftraggeber zu, im Falle von nachträglichen Zweifeln an der Eignung des Bewerbers/Bieters nach den §§ 42ff. VgV erneut die Eignung des Bewerbers/Bieters zu prüfen. Weil die Antragstellerin mit dem finalen Angebot erstmalig angegeben habe, die Ausführung aller Arbeiten solle nunmehr ausschließlich durch die Firma B GmbH erfolgen, und sie weder das erforderliche Formblatt 235 EU noch die für unter Auftragnehmer erforderliche Verpflichtungserklärung “Mindestentgelt/Tariftreue oder die ebenfalls für jeden Unterauftragnehmer zwingend erforderliche Erklärung “Ausschluss wegen schwerer Verfehlungen” mit dem finalen Angebot nicht beigefügt habe, bestünden ernsthaft Zweifel an der Fachkunde und Leistungsfähigkeit der Antragstellerin, sodass von der erforderlichen Eignung nichtmehr ohne weiteres ausgegangen werden könne (Blatt 1.133 bis 1.134 der Vergabeakte Bd. II). Eine Nachforderung der fehlenden Unterlagen gemäß § 56 Abs. 2 VgV sei vorliegend weder geboten noch erforderlich, denn nach Ausübung des Ermessens unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit würde eine Nachforderung zu einer weiteren, unzumutbaren Verzögerung des Vergabeverfahrens führen. Darüber hinaus habe er, der Antragsgegner, auf Bitten der Antragstellerin die Angebots- und Ausschlussfrist zur Abgabe der finalen Angebote bereits um zehn Kalendertage verlängert. Insoweit würde eine entsprechende Nachforderung auch zu einer Besserstellung der Antragstellerin und damit zu einer unzulässigen Diskriminierung anderer Verfahrensteilnehmer führen (Blatt 1.133 der Vergabeakte Bd. Il).

Mit anwaltlichen Schreiben vom 30. März 2021 rügte die Antragstellerin ihren Ausschluss aus dem Vergabeverfahren (Blatt 1.145 bis 1.152 der Vergabeakte Bd. Il). Zum einen sei das Unternehmen B GmbH kein Nachunternehmer der Antragstellerin, vielmehr sei es lediglich damit beauftragt, die bereitzustellenden Komponenten zu fertigen. In dem vom Antragsgegner zitierten Anschreiben ging es um die Erläuterung des nunmehr erhöhten Angebotspreises. Die Anmerkung “Ausführung aller Arbeiten durch die Firma B GmbH” beziehe sich ausschließlich auf die Fertigung der gesamten Anlage und ausdrücklich nicht auf die zu erbringende Leistung gemäß der Ausschreibung, die die Bereitstellung und den Betrieb des Brandübungscontainers nebst Orientierungsraumes vorsehe. Insofern sei die Einreichung der Unterlage 235 EU überhaupt nicht erforderlich gewesen. Im Übrigen habe es dem Auftraggeber oblegen, dieses vermeintliche Missverständnis aufzuklären. Dies gelte vor allem deshalb, weil ein Ausschluss eines Angebotes regelmäßig nur das “letzte Mittel” sei. Darüber hinaus sei ein Ausschluss nach § 56 Abs. 2 GWB regelmäßig die Ausnahme und nicht die Regel. Der Antragsgegner habe hier gemäß § 56 Abs. 2 Satz 2 GWB in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen nicht festgelegt, dass er keine Unterlagen nachfordern werde.

Mit Schreiben vom 1. April 2021 (Blatt 1.183 bis 1.194 der Vergabeakte Bd. II) teilte der Antragsgegner mit, der Rüge nicht abzuhelfen, da die Firma B GmbH Unterauftragnehmer sei, das finale Angebot der Antragstellerin im Sinne von § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV nicht alle geforderten Unterlagen enthalte und keine Nachforderungspflicht bestehe.

Mit anwaltlichen Schreiben vom 1. April 2021 beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Zur Begründung nimmt sie zunächst im wesentlichen Rückgriff auf ihr Rügeschreiben vom 30. März 2021. Die Leistung des Unternehmens B GmbH stelle eine reine Zuliefererleistung dar. Die Antragstellerin habe eine neue Brandsimulationsanlage in Auftrag gegeben die unter anderem auch im Rahmen der hier ausgeschriebenen Leistung zum Einsatz kommen solle. Eingesetzt werde diese neue Brandsimulationsanlage von der Antragstellerin selbst.

Wesentlicher Vertragsbestandteil sei die Anmietung und Gestellung der Brandsimulationsanlage in den Jahren 2022 und 2023 für jeweils 15 Wochen und die Bereitstellung der Anlage an verschiedenen Standorten einschließlich ihres Betriebes durch Mitarbeiter des Auftragnehmers.

Die Antragstellerin erwerbe die Brandsimulationsanlage von dem Unternehmen B GmbH, sodass es sich insoweit um eine bloße Hersteller- bzw. Zulieferleistung handele.

Auch die Tatsache, dass der Hersteller bei Auslieferung bzw. vor Erstinbetriebnahme eine umfassende Schulung des Bedienpersonales, also des Personals der Antragstellerin, vornehme, führe auch nicht zu einer Nachunternehmerschaft. Diese Vorgehensweise sei nicht ungewöhnlich, denn gerade bei Spezialmaschinen und Spezialfahrzeugen, die besondere Kenntnisse bei deren Einsatz fordern, sei es Gang und Gäbe, dass das hierauf eingesetzte Personal häufig auch vom Hersteller besonders geschult und eingewiesen werde.

Auch der Transport der Anlage werde von der Antragstellerin selber vorgenommen. Das Unternehmen B GmbH sei und bliebe lediglich Hersteller der neuen Anlage und nicht mehr. Dass die Brandsimulationsanlage regelmäßig, so wie auch gesetzlich vorgesehen, durch das Unternehmen B GmbH gewartet und geprüft werde, führe ebenfalls nicht zu einem Unterauftrag, denn diese Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen an der Anlage selbst hätten nichts mit der ausgeschriebenen Leistung im engeren Sinne zu tun.

Die Antragstellerin beantragt,

1. den Antragsgegner zu verpflichten, den Zuschlag unter Berücksichtigung des Angebotes der Antragstellerin zu erteilen;

2. der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, bei der Firma B GmbH handle es sich um einen Unterauftragnehmer im Sinne des § 36 VgV. Da sich die Antragstellerin in ihrem finalen Angebot eindeutig auf die Einbindung einer Unterauftragnehmerin festgelegt habe, habe sie das Formularschreiben “235” ausfüllen müssen. Weiterhin fehlten die Verpflichtungserklärung Tariftreue/Mindestentgelt und die Erklärung betreffend “Ausschluss wegen schwerer Verfehlungen”. Nach objektiver Auslegung des Angebotes der Antragstellerin wolle diese alle ausgeschriebenen Leistungen durch die Firma B GmbH ausführen lassen. Aus der Leistungsbeschreibung ergebe sich, dass neben der Anmietung einer mobilen Brandschutzsimulationsanlage, diese Anlage an verschiedenen Standorten der Feuerwehr des Antragsgegners auf- und abzubauen sei. Hierbei handele es sich nicht lediglich um Hilfs- oder Lieferleistungen, sondern um eine Leistung, bei der der werkvertragliche Erfolg geschuldet sei und die eindeutig Bestandteil der ausschreibungsgegenständlichen Leistung sei.

Zudem ergäben sich aus der Leistungsbeschreibung weitere Leistungen, die zu erbringen seien. So seien im Vorfeld der Ausbildung vom Auftraggeber benannte Personen zu Multiplikatoren vom Auftragnehmer auszubilden. Überdies sei die Anlage von Mitarbeitern des Auftragnehmers zu den zuständigen Behörden/Dienststellen des Auftraggebers zu transportieren und zu bedienen. Weiterhin sei die zu liefernde Anlage vom Auftragnehmer mit den erforderlichen Betriebsmitteln zu versorgen. Auch die Wartung der Anlage falle in den Aufgabenbereich des Auftragnehmers. Überdies sei der Preis der Anlage als Stundenpreis, “inklusive aller geforderter Leistungen” von den Bietern anzugeben gewesen. Eine Nachforderungspflicht aus § 56 Abs. 2 VgV ergebe sich nicht. Vielmehr habe der Antragsgegner ermessensfehlerfrei entschieden, von einer Nachforderung abzusehen.

Außerdem sei ein Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin auch nach § 57 Abs. 1 Nr. 3 VgV gerechtfertigt, weil ihr Angebot nicht nur vollständig, sondern auch inhaltlich zweifelsfrei sein müsse, was dieses aber nicht sei. Eine Aufklärung habe nicht stattzufinden. Gleiches gelte auch für eine Nachforderung nach § 56 Abs. 2 VgV.

Im Übrigen seien auch die vorhergehenden Angebote aus dem Verhandlungsverfahren nicht erloschen. Die Mitteilung des Antragsgegners habe sich eindeutig auf die Angebote im offenen Verfahren bezogen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie ist der Auffassung, die Antragstellerin habe mit ihrem finalen Angebot vom 2. Februar 2021 klar und unmissverständlich erklärt, dass die Ausführung der gegenständlichen Leistungen nicht durch sie selbst, sondern durch die B GmbH erfolgen solle. Die widersprüchlichen Angaben der Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren würden sich nicht mit den Angaben in ihrem Angebot decken. Diese Widersprüchlichkeiten ließen sich auch nicht mit den tatsächlichen Unternehmensverhältnissen der Antragstellerin in Einklang bringen. Sie verfüge ausweislich der eingeholten Creditreform-Auskunft über nur einen Mitarbeiter, einen Jahresumsatz von ca. 80.000 € und einer Bilanzsumme von ca. 50.000 €. Es handele sich um ein Einmann-Unternehmen des alleinigen Gesellschafters und Geschäftsführers C.

Zu dem Auftragsgegenstand gehöre nicht nur die Vermietung der Brandsimulationsanlage, sondern auch die Ausbildung für die Hessische Landesfeuerwehrschule. Die Antragstellerin könne den gegenständlichen Auftrag vertragsgemäß nicht mit eigenem Personal ausführen. Sie könne ohne Einsatz eines weiteren Unternehmens weder den Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit noch den Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit erbringen. Angebote mit mehrdeutigen Angaben, mit Mehrdeutigkeiten und Widersprüchen führten zum Angebotsausschluss. Die von der Antragstellerin erzeugten Widersprüche ließen sich nicht ohne weiteres aufklären, sodass dieses “non liquet” zu ihren Lasten ginge. Im Übrigen nimmt die Vergabekammer Bezug auf den Schriftsatz der Beigeladenen vom 25. Juni 2021 nebst Anlagen.

Hinsichtlich dieser Feststellungen der Vergabekammer ist klarzustellen, dass der Antragstellerin durch das Schreiben vom 26.03.2021 nicht nur mitgeteilt wurde, dass sie auszuschließen sei, sondern dass der Ausschluss erfolgt und nunmehr beabsichtigt sei, den Zuschlag am 06.04.2021 auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.

In den nach dem Verhandlungstermin im HMdIS aktualisierten Vergabeunterlagen heißt es in Nr. 6 der (ergänzenden) Bewerbungsbedingungen für die Vergabe von Leistungen (Bl. 513 Vergabeakte II, Unterstreichungen durch den Senat):

6 Kapazitäten anderer Unternehmen (Unteraufträge, Eignungsleihe)

Beabsichtigt der Bieter, Teile der Leistung von anderen Unternehmen ausführen zu lassen oder sich bei der Erfüllung eines Auftrags im Hinblick auf die erforderliche wirtschaftliche, finanzielle, technische oder berufliche Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen zu bedienen, so muss er die hierfür vorgesehenen Leistungen/Kapazitäten in seinem Angebot benennen. Der Bieter hat auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle zu einem von ihr bestimmten Zeitpunkt nachzuweisen, dass ihm die erforderlichen Kapazitäten der anderen Unternehmen zur Verfügung stehen und diese Unternehmen geeignet sind. Er hat den Namen, die gesetzlichen Vertreter sowie die Kontaktdaten dieser Unternehmen anzugeben und entsprechende Verpflichtungserklärungen vorzulegen.

(…)

Der Bieter hat andere Unternehmen, bei denen Ausschlussgründe vorliegen oder die das entsprechende Eignungskriterium nicht erfüllen, innerhalb einer von der Vergabestelle gesetzten Frist zu ersetzen.

Der “fachanwaltliche Vergabevermerk”, Bl. 1124 der Vergabeakte II, ist in dieser Form nicht von der Vergabestelle umgesetzt worden. Der Vergabeakte lässt sich nicht entnehmen, dass die Vergabestelle sich entschlossen hätte, den “fachanwaltlichen Vergabevermerk” so in ihren Willen aufzunehmen; vielmehr hat sie einen eigenen Vermerk erstellt (Bl. 1208 ff Vergabeakte II).

Die Vergabekammer hat den Antragsgegner verpflichtet, die Wertung der Angebote einschließlich des Angebotes der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen.

Zur Begründung, für deren Einzelheiten auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen wird, hat sie ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei zulässig und begründet. Der Ausschluss der Antragstellerin wegen fehlender Unterlagen sei rechtswidrig, weil die Antragstellerin keine Unterauftragnehmer im Sinne des § 36 VgV einsetze und somit dem finalen Angebot das Formular 235, die Verpflichtungserklärung Tariftreue/Mindestentgelt und die Erklärung betreffend den Ausschluss wegen schwerer Verfehlungen für Unterauftragnehmer nicht habe beifügen müssen. Weder habe die Antragstellerin erklärt, Unterauftragnehmer einsetzen zu wollen, noch handele es sich bei dem Neubau der Brandsimulationsanlage einschließlich des Orientierungsraums durch die B GmbH (nachfolgend B genannt) und dem Transport dieser Anlagen ggfls. durch einen Spediteur zu verschiedenen Veranstaltungsorten um Nachunternehmerleistungen im Sinne des § 26 VgV.

Mit seiner sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsgegner seinen Zurückweisungsantrag weiter. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen vor der Vergabekammer und macht außerdem geltend, die Antragstellerin sei auch deshalb als ungeeignet auszuschließen, weil sie keine ausreichenden Referenzen vorgelegt habe. Da die Antragstellerin – was hinsichtlich des Unternehmensträgers unbestritten ist – erst am 07.02.2017 gegründet worden sei, sei ihr die erste der sechs angegeben Referenzen wegen des Ausführungszeitraums “2009” nicht zuzuordnen. Sie falle auch aus der Dreijahresfrist, gerechnet vom Schluss der Angebotsfrist, heraus. Die übrigen Referenzen seien nicht geeignet, die Eignung nachzuweisen. Sie seien zwar zu prüfen, sie erreichten aber den gegenständlichen Auftragswert nicht einmal annähernd. Sie seien daher mit dem Auftragsgegenstand nicht vergleichbar.

Der Antragsgegner beantragt nunmehr

den Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 01.07.2021, Az. 69d-VK2-16/2021 aufzuheben und den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 01.04.2021 zurückzuweisen;

hilfsweise, die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts über die Sache erneut zu entscheiden;

die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie des Nachprüfungsverfahrens (69d-VK2-16/2021) einschließlich der jeweiligen notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners der Antragstellerin aufzuerlegen;

die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner für notwendig zu erklären.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen;

die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin dem Antragsgegner aufzuerlegen;

die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Antragstellerin und die Beigeladene wiederholen und vertiefen ihr Vorbringen vor der Vergabekammer.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, § 172 GWB.

2. In der Sache hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg. Die Beschwerde ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Vergabestelle nunmehr an die Rechtsauffassung des Senats gebunden wird und sie das Angebot der Antragstellerin – auch hinsichtlich der Eignungsanforderungen an etwaige Subunternehmer – neu zu prüfen hat.

a) Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Insoweit wird auf die unangefochtenen Ausführungen der Vergabekammer Bezug genommen.

b) Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Vergabestelle hat den Anspruch der Antragstellerin auf ein bestimmungsgemäß durchgeführtes Vergabeverfahren aus § 97 VI GWB verletzt.

aa) Die Vergabestelle hat das Angebot der Antragstellerin gem. § 57 I Nr. 2 VgV mangels Erfüllung der Eignungsanforderungen aufgrund fehlender Unterlagen ausgeschlossen (Bl. 1136, 1134 Vergabeakte II). Diese Begründung des Ausschlusses hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Insoweit kann dahinstehen, ob B nach dem Angebot der Antragstellerin überhaupt – wie von dem Antragsgegner angenommen – Subunternehmer hinsichtlich der ausgeschriebenen Leistungen sein sollte.

(1) Allerdings darf die Vergabestelle die Eignung eines Bewerbers jedenfalls dann neu beurteilen, wenn die Zweifel an der Eignung nachträglich, also nach einer vorherigen Prüfung und Bejahung der Eignung, aufgrund eines geänderten Sachverhaltes entstanden sind (vgl. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage, § 122 GWB, Rn. 25). Die Prüfung, ob die erstmalige Erklärung der Antragstellerin im Begleitschreiben vom 13.01.2021, alle Arbeiten würden durch B erbracht, Einfluss auf die Erfüllung der Eignungskriterien hatte, war daher zulässig.

(2) Nach der unter I. wiedergegebenen, an § 36 V VgV anknüpfenden Regelung unter Nr. 6. der (ergänzenden) Bewerbungsbedingungen für die Vergabe von Leistungen (Bl. 513 Vergabeakte II) hätte die Vergabestelle bei Verneinung der Eignung von B als Subunternehmerin oder bei Annahme eines diese betreffenden Ausschlussgrundes nicht die Eignung der Antragstellerin verneinen dürfen, sondern diese zur Ersetzung des Subunternehmers binnen zu bestimmender Frist auffordern müssen. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob die Eignung wegen des Inhalts vorgelegter Unterlagen oder wegen fehlender Unterlagen nicht als gegeben angenommen werden kann.

bb) Der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin rechtfertigt sich auch nicht aus § 57 I Nr. 2, § 53 VII VgV. Auch insoweit kann dahinstehen, ob die Annahme der Vergabestelle, die Antragstellerin wolle alle ausgeschriebenen Leistungen durch B als Subunternehmerin ausführen lassen, zutrifft.

(1) Nach § 53 VII 2 VgV müssen die Angebote vollständig sein, und alle geforderten Angaben und Erklärungen enthalten. Dazu gehört bei Einsatz von Subunternehmern nach Abschnitt B der Angebotsaufforderung Bl. 526 Vergabeakte II und gem. Nr. 2.3.31 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung das Formular 235 (Verzeichnis der Leistungen/Kapazitäten anderer Unternehmen), das bei Annahme einer Subunternehmerstellung der B fehlen würde.

Demgegenüber war die Verpflichtungserklärung Tariftreue/Mindestentgelt sowohl nach Nr. 2.3.32 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung, als auch nach Nr. 6 der ergänzenden Bewerbungsbedingungen noch nicht mit dem Angebot, sondern erst auf Aufforderung vorzulegen. Soweit die ursprüngliche Auftragsbekanntmachung vom Dezember 2019 (Bl. 1158 f. Vergabeakte I) die Vorlage der Verpflichtungserklärung für schon bekannte Nachunternehmer bereits mit dem Angebot vorsah (S. 3, Bl. 114 Vergabeakte I unter III.2.2), ist dies durch die überarbeiteten Vergabebedingungen des neuen Vergabeverfahrens überholt.

Hinsichtlich der Erklärung betreffend den Ausschluss der Subunternehmer wegen schwerer Verfehlungen fehlt zwar eine entsprechende ausdrückliche Regelung unter 2.3.32, insoweit ergibt sich jedoch aus Nr. 6 der ergänzenden Bewerbungsbedingungen, dass die Eignung der Subunternehmer erst auf Aufforderung nachzuweisen ist, d.h. die Erklärung als Subunternehmer-Eignungsnachweis ebenfalls noch nicht mit dem Angebot vorzulegen war.

(2) Auf Grundlage des von der Vergabestelle angenommenen Angebotsinhalts hatte diese daher unter dem Gesichtspunkt des § 57 VgV eine Ermessensentscheidung gem. § 56 II VgV über ein Nachfordern der fehlenden Unterlage 235 zu treffen. Bezüglich der beiden anderen vorgenannten Unterlagen greift § 56 II VgV nicht ein. Das erstmalige Anfordern von Unterlagen, deren spätere Anforderung sich der öffentliche Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen zunächst vorbehalten hat, ist kein “Nachfordern” im Sinne der Norm (MüKoEuWettbR/Pauka, 2. Aufl. 2018, § 56 VgV, Rn. 30).

Soweit es unter 3.2 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung heißt, eine Aufforderung betreffend Nachforderung, Vervollständigung, Berichtigung von Unterlagen bzw. eine Aufklärung erfolge, wenn dies “vergaberechtlich zulässig und geboten” sei (Bl. 518 der Vergabeakte II), folgt daraus weder eine von § 57 VgV abweichende Rechtsfolge, noch eine Änderung hinsichtlich der im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigenden Umstände. Vielmehr ist – etwas anderes macht auch der Antragsgegner nicht geltend – das Merkmal der Zulässigkeit der Nachforderung auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 56 II VgV und das Merkmal der Gebotenheit auf das Ergebnis der Ermessensausübung nach § 56 II VgV zu beziehen.

(3) Die Ermessensentscheidung der Vergabestelle hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

(a) Die Vergabestelle hat den Ausschluss der Antragstellerin damit begründet, dass die erforderliche Eignung der Antragstellerin – die während des gesamten Verfahrens zu prüfen sei – nicht festgestellt werden könne, weil sie für alle Arbeiten die Fa. B GmbH als Subunternehmerin einsetzen wolle und hinsichtlich dieser die notwendigen Unterlagen nicht vorgelegt habe. Eine Nachforderung dieser Unterlagen sei weder geboten noch erforderlich. Dabei findet sich die Wendung zur Ausführung aller Arbeiten durch B nicht in den Angebotsunterlagen selbst, sondern in einem Begleitschreiben vom 13.01.2021, Bl. 777 der Vergabeakte II, und lautet wörtlich (Unterstreichung durch den Senat):

“(…) Aufgrund der neuen Version der Unterlagen wurde unsere Kalkulation entsprechend angepasst. Die Erhöhung des Stundenpreises kommt insbesondere zustande durch:

– Ausführung aller Arbeiten durch die Firma B GmbH

– Neubewertung der Inflationsgefahren für die kommenden Jahre

– Konkretisierung der geplanten Ausführung des Orientierungsraumes durch den Auftraggeber

(…)”

In dem Ausschlussschreiben heißt es zur Ermessensausübung (Bl. 1133 der Vergabeakte II, Hervorhebung im Original):

“Eine Nachforderung der fehlenden Unterlagen gem. § 56 Abs. 2 VgV ist vorliegend weder geboten noch erforderlich. Ergibt die Prüfung auf Vollständigkeit wie vorliegend, dass Unterlagen fehlen, unvollständig oder (bei unternehmensbezogenen Unterlagen) fehlerhaft sind, können diese nach den Regelungen des § 56 Abs. 2 und Abs. 3 VgV bis zum Ablauf einer vom Auftraggeber zu bestimmenden Nachfrist grundsätzlich nachgefordert werden. Es besteht insoweit jedoch keine Verpflichtung des Auftraggebers zur Nachforderung.

Nach Ausübung des Ermessens und unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach § 97 Abs. 1 S. 2 GWB ist vorliegend keine Nachforderung geboten. Insoweit würde eine Nachforderung zu einer weiteren, unzumutbaren Verzögerung des Vergabeverfahrens führen. Weiterhin wurde auf Bitten Ihres Unternehmens die Angebots- und Ausschlussfrist zur Abgabe der finalen Angebote bereits um 10 Kalendertage verlängert. Insoweit würde eine entsprechende Nachforderung nicht nur zu einer Besserstellung Ihres Unternehmens und damit zu einer unzulässigen Diskriminierung anderer Verfahrensteilnehmer führen. Dies ist jedoch mit den vergaberechtlichen Grundsätzen der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung i.S.v. § 97 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GWB nicht zu vereinbaren.”

Im Nichtabhilfeschreiben vom 01.04.2021, Bl. 1194 ff. Vergabeakte II, wird die Ermessensentscheidung verteidigt. Im Zuge allgemeiner Rechtsauführungen zum Ermessen, zur Auslegung des § 56 II VgV und den Grenzen gerichtlicher Kontrolle heißt es, das Gleichbehandlungsgebot zwinge dazu, von einer Nachforderungsmöglichkeit nur zurückhaltend Gebrauch zu machen. Die Regelung sei nicht als Soll-Vorschrift zu lesen. Im Übrigen wird für den vorliegenden Fall ausgeführt, es habe keine Ermessensreduzierung auf Null vorgelegen. Es werden Ermessenserwägungen aus dem Ausschlussschreiben wiederholt. Ergänzend wird ausgeführt, sofern die Antragstellerin trotz der verlängerten Angebots- und Ausschlussfrist “nicht Willens oder faktisch nicht in der Lage” sei, die “geforderten Unterlagen bis zum Fristablauf entsprechend den transparent und diskriminierungsfrei aufgestellten Anforderungen beizubringen”, sei es “nicht an der Vergabestelle, diese Versäumnisse zu Lasten der anderen Wettbewerbsteilnehmer zu heilen”. Vielmehr würde eine entsprechende “Bevorzugung” der Antragstellerin “gegen die Grundpfeiler des (Kartell-)Vergaberechts in Form der Gleichbehandlung, der Transparenz und der Nichtdiskriminierung verstoßen” (S. 10, Bl. 1185 Vergabeakte II).

(b) Die Ermessensentscheidung ist von den Nachprüfungsinstanzen nur beschränkt und zwar analog § 114 VwGO daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Neben einem Ermessensnichtgebrauch (Ermessensausfall) und einer Ermessensüberschreitung kommt dabei – hier allein relevant – ein Ermessensfehlgebrauch in Betracht.

Hierher gehören zum einen die Fälle, in denen die Behörde nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt oder nicht alle für die Entscheidung bedeutsamen Tatsachen ermittelt hat. Zum anderen handelt es sich um die Fälle, in denen die Behörde den Zweck der Ermächtigung verkannt hat. Schließlich geht es um die Fälle, in denen die Behörde bewusst aus unsachlichen Motiven gehandelt hat. Ein Ermessensfehlgebrauch führt auch dann zur Rechtswidrigkeit der Ermessensentscheidung, wenn die gewählte Rechtsfolge im Ergebnis auch auf der Grundlage vollständiger und fehlerfreier Ermessenserwägungen hätte angeordnet werden können. Denn beim Ermessensfehlgebrauch geht es um einen Verstoß gegen die “inneren” Grenzen des Ermessens, während die Ermessensüberschreitung die “äußeren” Grenzen des Ermessens betrifft und voraussetzt, dass die angeordnete Rechtsfolge nicht von der Ermessensermächtigung gedeckt ist, im Ergebnis also unabhängig von den zugrunde liegenden Ermessenserwägungen nicht angeordnet werden durfte (BeckOK VwVfG/Aschke, 52. Ed. 1.7.2021, § 40 VwVfG, Rn. 85 f., 87).

(c) Gemessen an diesen Grundsätzen kann die Ermessensentscheidung der Vergabestelle keinen Bestand haben.

Zum einen ist die Ermessensausübung schon deshalb defizitär, weil sie die Nachforderung der Unterlagen unter dem Gesichtspunkt des Ausschlusses des Angebots wegen fehlenden Eignungsnachweises der Subunternehmer und nicht (nur) der Nichteinhaltung der Anforderungen des § 53 VII VgV prüft. Das Formular 235 ist selbst kein Eignungsnachweis, sondern gibt nur Auskunft darüber, ob die Eignungs- und Ausschlussprüfung auf Subunternehmer erstreckt werden kann oder gar muss.

Die Ermessensentscheidung berücksichtigt auch nicht, dass eine zeitliche Verzögerung bei jeder Nachforderung gegeben ist, Nachforderungen aber gleichwohl grundsätzlich zulässig sind und der pauschale Hinweis auf Verzögerungen allein daher keine tragfähige Erwägung darstellen kann. Grundsätzlich bedarf es vielmehr der Abschätzung der konkret zu erwartenden Verzögerung und deren Auswirkungen auf das Verfahren und ist auch zu berücksichtigen, ob die Vergabestelle diese Auswirkungen durch frühere Nachforderung hätte abmildern oder vermeiden können. Dabei wäre vorliegend eine Nachreichung des Formulars 235 auch ohne besondere Eile binnen weniger Tage, bei Eilbedürftigkeit notfalls auch binnen weniger Stunden möglich gewesen. Ebenso ist unberücksichtigt geblieben, dass die im Formular vermisste Information auf Grundlage der Auslegung der Vergabestelle – Erbringung aller Leistungen durch B – schon vorlag, so dass die Vergabestelle noch innerhalb der Angebotsfrist informiert, der Fehler also rein formal war. Die Vergabestelle hat ferner nicht berücksichtigt, dass es – wie oben ausgeführt – auch bei Vorlage eines in ihrem Sinne ausgefüllten Formulars weiterer Nachfragen bedurft hätte, das Verfahren im Vergleich zu einem Angebot ohne den angenommenen Fehler also nicht verzögert wurde, da die weiteren Nachweise mit dem Formular gemeinsam hätten angefordert werden können.

Rechtsfehlerhaft ist die Erwägung der Vergabestelle, gegen die Nachforderung sprächen frühere “Verzögerungen” sowie die Verlängerung der Angebots- und Ausschlussfrist zur Abgabe der finalen Angebote um 10 Kalendertage. Es ist nicht ersichtlich, dass aufgrund der Verlängerungen eine die Nachforderung infrage stellende Eilbedürftigkeit eingetreten wäre. Soweit das Vergabeverfahren insgesamt länger gedauert hat, als bei Beginn erwartet, beruht dies auf Entscheidungen der Vergabestelle bzw. darauf, dass diese Rügen der Antragstellerin abgeholfen hat. Hilft die Vergabestelle aber einer Rüge ab, ohne dass dies von anderen Bietern erfolgreich angefochten wird, ist für das weitere Verfahren von einer berechtigten Rüge auszugehen, deren Erheben kein Kriterium bei einer zu Lasten der Antragstellerin gehenden Ermessensentscheidung sein kann.

Ferner hat die Vergabestelle bei ihrer Ermessensentscheidung nicht berücksichtigt, dass bei Ausschluss der Antragstellerin nur noch die Beigeladene als einzige Bewerberin übrigbleiben wird und damit der Zweck des Vergabeverfahrens, die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers zu den bestmöglichen Konditionen zu befriedigen (EuG, Urteil vom 13. September 2011 – T-8/09 -, juris), allenfalls unzulänglich erreicht werden kann. Unberücksichtigt ist auch geblieben, dass § 56 II VgV auf eine möglichst weitgehende Berücksichtigung von Bieterangeboten zielt (Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, 2. Auflage, § 15 VgV, Rn. 20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.10.2015 – Verg 35/15 “Traggerüst”, Rn. 35 zur VOB/A-EG). Die Vorschrift bezweckt, im Interesse eines umfassenden Wettbewerbs den Ausschluss von Angeboten aus vielfach nur formalen Gründen zu verhindern und die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig zu reduzieren (BGH, Urteil vom 19. Juni 2018 – X ZR 100/16 “Uferstützmauer”, juris, Rn. 11 = BGHZ 219, 108).

Soweit § 56 II VgV auf die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung abstellt, ist dies nicht dahin zu verstehen, andere Gesichtspunkte und insbesondere der Zweck des Vergabeverfahrens seien unerheblich. Vielmehr sind die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung bei der unter Einbeziehung anderer Gesichtspunkte zu treffenden Entscheidung zu beachten.

cc) Das Angebot der Antragstellerin war auch nicht deshalb wegen unklarer Angaben gem. § 57 I VgV auszuschließen, weil die Antragstellerin entgegen § 53 VII VgV mehrdeutige Angaben gemacht hat.

(1) Zwar führt 57 VgV unter Nr. 3 nur wegen Änderungen und Ergänzungen an den Bietereintragungen in den Vergabeunterlagen nicht zweifelsfreie Angebote als insbesondere auszuschließende Angebote auf. Ausschlussgrund ist bei Nr. 3 jedoch die Unsicherheit über den Angebotsinhalt, die auch auf den unveränderten – für sich genommen klaren – Vergabeunterlagen beigefügten weiteren Erklärungen – hier dem Begleitschreiben vom 13.01.2021 – beruhen kann.

(2) Das Angebot der Antragstellerin ist unter Einbeziehung des Begleitschreibens vom 13.01.2021 widersprüchlich und unklar. Es lässt sich weder eindeutig dahin auslegen, dass die Antragstellerin sämtliche ausgeschriebenen Leistungen durch die B als Subunternehmerin erbringen will, noch dass B nur als Lieferantin und für Hilfsdienste einbezogen würde (wie die Vergabekammer angenommen hat).

Zwar deutet der Wortlaut “Ausführung aller Arbeiten durch die Firma B GmbH” für sich genommen auf eine Einschaltung der B als Subunternehmerin hinsichtlich des gesamten Auftragsgegenstandes hin, dessen genaue Abgrenzung insoweit dahinstehen kann. Dagegen spricht jedoch das Nichtausfüllen des Formblatts 235 sowie der Umstand, dass eine solch weitgehende Befassung der B in den erst am 02.02.2021 (vgl. Bl. 810 Vergabeakte II) abschließend erstellten Angebotsunterlagen nicht berücksichtigt worden ist. Auch kann die Wendung im weiteren Begleitschreiben vom 10.01.2021, der Hersteller werde das Bedienpersonal schulen, dahin gedeutet werden, es handele sich nicht um Personal des Herstellers B selbst, sondern um solches der Antragstellerin. Gegen ein Verständnis der Wendung im Begleitschreiben vom 13.01.2021 im Sinne einer umfassenden Subunternehmerstellung von B spricht auch, dass sie nicht im Zusammenhang mit den Leistungsumfang betreffenden Fragen steht, sondern nur die Preisdifferenz zum vorangegangenen indikativen Angebot erläutern soll. Dies drängt aber entgegen der Auffassung der Vergabekammer gleichwohl nicht hinreichend eindeutig zu einer Auslegung dahingehend, B solle nur die Herstellung der Brandsimulationsanlage als Lieferantin erbringen (VKB20). Denn die Antragstellerin hatte im Verhandlungsgespräch im HMdIS bereits ausgeführt, der Brandübungscontainer solle von B gebaut werden (Bl. 292 Vergabeakte II). Sie gehe davon aus, dass sie für den Neubau bessere Konditionen bekomme als andere Kunden, da sie wahrscheinlich mittelfristig mit B zusammenarbeiten werde (Bl. 291 Vergabeakte II). Es sei ohnehin ein Neubau geplant, alles sei überschaubar und sie habe wegen ihrer schlanken Unternehmensstruktur praktisch keine fixen Kosten. Der Preis scheine gering zu sein, sei aber auskömmlich. Vor diesem Hintergrund kann die Erläuterung der Preiserhöhung dahingehend, alle Arbeiten würden durch B ausgeführt, auch so verstanden werden, B mache nun mehr, als noch im Verhandlungsgespräch zu Grunde gelegt.

Danach lässt sich dem Angebot der Antragstellerin unter Berücksichtigung des Begleitschreibens nur sicher entnehmen, dass B Hersteller der Simulationsanlage sein soll, nicht aber, ob und in welchem Umfang B weitere Tätigkeiten verrichten wird; insoweit ist das Angebot widersprüchlich.

(3) Diese Widersprüchlichkeit rechtfertigt jedoch den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin nicht.

Da das Angebot nicht eindeutig war, kam eine Aufklärung nach §§ 16 IX, 15 V 1 VgV in Betracht (vgl. Dieckmann aaO, § 15 VgV, Rn. 23). Es kann dahinstehen, ob die Vergabestelle bei widersprüchlichen Angeboten vor einem Ausschluss zum Versuch einer Aufklärung verpflichtet ist (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.12.2017 – Verg 33/1 “Personalkonzept”, Rn. 94; Beschluss vom 21.10.2015 – Verg 35/15 “Traggerüst” Rn. 35 f.; allgemein Diekmann aaO, § 15 VgV, Rn. 24) oder nur eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen hat, ob und inwieweit sie Aufklärung betreiben will (so wohl Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 06. September 2011 – 6 U 2/11, juris, Rn. 49, Pünder/Klafki in Pünder/Schellenberg, VergabeR, 3. Auflage, § 15 VgV, Rn. 32). Denn die Vergabestelle, die rechtsfehlerhaft angenommen hat, das Angebot sei eindeutig, hat insoweit kein Ermessen ausgeübt; es läge ggfls. ein Ermessensausfall vor.

(4) Hätte die Antragstellerin im Zuge einer Aufklärung klargestellt, dass B nur mit der Herstellung der Brandsimulationsanlage beauftragt werden solle, wie sie im Nachprüfungsverfahren geltend macht, wäre von keiner Nachunternehmerstellung der B auszugehen und das Formular 235 nicht auszufüllen gewesen. Das Angebot hätte dann nicht unter diesem Gesichtspunkt ausgeschlossen werden dürfen.

Nachunternehmer ist eine natürliche oder juristische Person, die im Auftrag und auf Rechnung des Auftragnehmers eine Teilleistung des öffentlichen Auftrags erbringt und dabei in keiner vertraglichen Verbindung zu dem öffentlichen Auftraggeber steht. Der Nachunternehmer schuldet gegenüber dem (Haupt-) Auftragnehmer einen vertraglichen Erfolg und deckt damit einen Teil der vom (Haupt-) Auftragnehmer gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber übernommenen Primärleistung selbständig ab (Scharf in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal/Scharf, 2. Aufl. 2019, VgV § 36 Rn. 7). Die Unterauftragsleistung ersetzt als Teilleistung die Erfüllung einer Leistungsverpflichtung des Auftragnehmers nach Außen (Peshteryanu in BeckOK VergabeR, 21. Ed. 31.1.2021, § 36 VgV, Rn. 3). Damit unterscheidet sich der Nachunternehmer von Lieferanten, Verleihern von Personal und Geräten, Transportunternehmern und Erbringern von sonstigen Hilfsleistungen, die selbst keinen Teil der Primärleistung übernehmen (Scharf aaO).

Gegenstand des ausgeschriebenen öffentlichen Auftrags ist, wie die Vergabekammer zu Recht angenommen hat, die Vermietung und Zurverfügungstellung der Brandsimulationsanlage an wechselnden Standorten sowie die Mitwirkung an der Ausbildung. Der Aufragnehmer schuldet dem Aufraggeber nicht unmittelbar den Bau der Anlage oder Instandhaltungsarbeiten an dieser, weshalb der Hersteller nicht Subunternehmer des Auftragnehmers ist, auch nicht, soweit er Wartungen und Reparaturen ausführt. Dies gilt auch, soweit der Hersteller oder ein sonstiger Dritter die Mitarbeiter der Antragstellerin (!) schult.

Ob im vorliegenden Einzelfall die Übernahme des Transports oder anderer zur Auftragserfüllung notwendiger Leistungen eine Subunternehmerstellung begründen würde, bedarf keiner Entscheidung.

dd) Das Angebot der Antragstellerin ist entgegen der Auffassung der Beschwerde auch nicht deshalb mangels Eignung der Antragstellerin gem. § 122 I GWB auszuschließen, weil die Antragstellerin keine vergleichbaren Referenzobjekte benannt hatte.

Zwar nimmt die überarbeitete Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, Bl. 526 ff. Vergabeakte II, unter 3.1 auf die ursprüngliche Auftragsbekanntmachung vom 02.12.2019, Bl. 104 ff. Vergabeakte I, Bezug und verlangt diese unter III.3 zur technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit

“eine Liste mit geeigneten Referenzen der in den letzten drei Jahren im wesentlichen erbrachten Leistungen mit folgenden Angaben: Art und Umfang, Erbringungszeitpunkt, Angabe des Wertes, öffentlicher oder privater Empfänger mit jeweiligen Kontaktdaten (Referenzen sind dann geeignet, wenn diese in Art und Umfang dem hier zu vergebenden Auftrag entsprechen.)”.

Entsprechende Angaben finden sich auch in der damaligen Angebotsaufforderung Bl. 64 ff. Vergabeakte I bei der Auflistung der Angebotsbestandteile unter 2.3.5.

Damit sind zwar keine Eignungskriterien – die systematisch von den Eignungsnachweisen zu unterscheiden sind – ausdrücklich formuliert. Sie können aber aus dem geforderten Nachweis insofern abgeleitet werden (vgl. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage, § 122 GWB, Rn. 52), als dass die Bewerber durch frühere vergleichbare Projekte über hinreichende Erfahrungen verfügen sollen.

Trotz der Bezugnahme auf die Angebotsaufforderung durfte ein verständiger Bieter jedoch davon ausgehen, dass dieses Erfordernis nach Überarbeitung der Ausschreibungsunterlagen durch die Vergabestelle nicht mehr aufrechterhalten worden ist. Denn die hier maßgebliche überarbeitete Angebotsaufforderung Bl. 526 ff. Vergabeakte II enthält in der Liste der Angebotsbestandteile keine Referenzliste mehr. Die hiesige Nr. 2.3.5 betrifft die Erklärung Unternehmensdaten (Nr. 2.3.6 der ursprünglichen Angebotsaufforderung Bl. 64 ff. Vergabeakte I). Die Passage zur Referenzliste aus der früheren Angebotsaufforderung Bl. 64 ff. Vergabeakte I ist ersatzlos weggefallen. Dies ist nicht so zu verstehen, dass damit nur dem Umstand Rechnung getragen würde, dass eine Referenzliste bereits vorgelegt worden war. Denn bei anderen Unterlagen, die nur wegen der schon erfolgten früheren Einreichung nicht mehr verlangt werden, ist dies jeweils vermerkt worden; sie wurden nicht ersatzlos aus dem Text gestrichen.

Deshalb kann dahinstehen, ob überhaupt neue Erkenntnisse vorliegen, die bei einem Verhandlungsverfahren eine nachträgliche Verneinung der Eignung ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 07. Januar 2014 – X ZB 15/13 “Stadtbahnprogramm Gera”, juris, Rn. 33 = BGHZ 199, 327; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage, § 122 GWB, Rn. 25). Die erste Referenz lag von Anfang an und unabhängig vom Gründungszeitpunkt der Antragstellerin außerhalb des Referenzzeitraums und die Auftragswerte der übrigen Referenzen waren ebenfalls von Anfang an bekannt. Neu ist lediglich, dass die übrigen Referenzprojekte bereits vor Gründung der Antragstellerin begonnen, aber nach ihrer Gründung abgeschlossen wurden.

c) Hinsichtlich der Kosten vor der Vergabekammer verbleibt es bei der dortigen Kostengrundentscheidung, die der Antragsgegner für den Fall eines Unterliegens in der Hauptsache ebenso wenig angreift, wie die dortige Kostenfestsetzung. Dies gilt auch, soweit die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin gem. § 1824 S. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 3 S. 2 VwVfG für notwendig erklärt worden ist.

3. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 175 II, 71 GWB. Da die sofortige Beschwerde im Wesentlichen erfolglos geblieben ist, entspricht es billigem Ermessen, die Kosten dem beschwerdeführenden Antragsgegner vollumfänglich aufzuerlegen. Hinsichtlich der – nicht § 71 S. 2 GWB unterfallenden – Kosten des Beigeladenen, der an den sonstigen Verfahrenskosten nicht zu beteiligen ist (Bechtold/Bosch in dies., GWB, 10. Aufl. 2021, § 71 Rn. 9), entspricht es billigem Ermessen, dass diese vom Beigeladenen, der die angefochtene Entscheidung im Wesentlichen erfolglos verteidigt hat, selbst getragen werden.

Unter “Kosten” des Verfahrens im Sinne des § 71 GWB sind dabei sowohl die Gerichtskosten als auch die außergerichtlichen Kosten der Parteien zu verstehen (Bechtold/Bosch aaO, § 71 Rn. 2), einer Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten bedarf es insoweit nicht.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 50 II GKG.

OLG Hamm zu der Frage der von der Regelung der DIN ausgehende Vermutungswirkung

OLG Hamm zu der Frage der von der Regelung der DIN ausgehende Vermutungswirkung

1. Die Außenwandabdichtung mittels Kombinationslösung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung entspricht für den Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser – trotz Konformität mit den Regelungen der DIN 18195-6 bzw. DIN 18533 – nicht den anerkannten Regeln der Technik.

2. Die von der Regelung der vorgenannten DIN ausgehende Vermutungswirkung sieht der Senat – insbesondere aufgrund der Vielzahl an aufgetretenen Schadensfällen – als widerlegt an.

OLG Hamm, Urteil vom 14.08.2019 – 12 U 73/18

Gründe

A.

Die Klägerinnen begehren von der Beklagten u.a. Zahlung eines Vorschusses für die Beseitigung der Mängel, die dazu geführt haben, dass der Keller ihres neu errichteten Hauses feucht ist.

Mit notariellem Bauträgerkaufvertrag vom 11.05.2012 erwarben die Klägerinnen von der Beklagten das später so bezeichnete Hausgrundstück X-Straße 10. Die Beklagte verpflichtete sich, auf diesem Grundstück ein Wohnhaus (Doppelhaushälfte) zu errichten.

Der notarielle Kaufvertrag enthält unter § 4 Regelungen zur Bauverpflichtung der Beklagten. Folgendes ist dort u.a. geregelt: “Der Verkäufer verpflichtet sich, das Vertragsobjekt nach der Baubeschreibung und den Exposéplänen herzustellen. (…) Die Baubeschreibung nebst Flächen- und Kubaturberechnung sind als Anlagen 3 und 4 als wesentlicher Bestandteil der heutigen Vereinbarung dieser Niederschrift beigefügt (…).”

§ 2 des notariellen Vertrages regelt Rechte und Ansprüche des Käufers bei Mängeln und enthält unter Ziff. 3. folgenden Passus: “Hinsichtlich des Gebäudes gilt das werkvertragliche Leistungs-Störungsrecht des BGB (…).”

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den notariellen Kaufvertrag vom 11.05.2012 des Notars Y, UR 126/2012, Anlage K1, Bl. 8 ff. d.A., verwiesen.

Nach der durch notariellen Vertrag in Bezug genommenen Baubeschreibung war u.a. in Ziff. 1.7 eine senkrechte Isolierung gemäß DIN 18195, Teil 6, gegen zeitweise aufstauendes Wasser vorgesehen. Der für die Beklagte tätige Architekt Dipl.-Ing. D, der im vorliegenden Rechtsstreit Streitverkündete zu 3.), sah eine Kombinationsabdichtung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung an den Kelleraußenwänden vor, die auch so ausgeführt wurde.

Die Beklagte beauftragte u.a. die Streithelferinnen zu 1.) und zu 2.) mit der Ausführung der Bauleistungen, die in der Zeit vom 04.07. bis 06.07.2013 die Bauwerksaußenabdichtung herstellten.

Das fertiggestellte Gebäude wurde den Klägerinnen am 15.07.2013 übergeben; der Einzug erfolgte im September 2013. Die Eigentumsumschreibung auf die Klägerinnen zu je ½ fand statt.

Anfang Juni 2014 stellten die Klägerinnen fest, dass in zwei Kellerräume des Hauses Nässe eingedrungen war.

Mit an den Geschäftsführer der Beklagten gerichteter Email vom 10.07.2014 wies die Klägerin zu 1.) auf den Wasserschaden hin und bat um schnellstmögliche Klärung (Anlage K2, Bl. 27 d.A.).

Am 16.07.2014 fand ein Ortstermin in den betroffenen Kellerräumen statt, an dem u.a. die Klägerinnen, der Geschäftsführer der Streithelferin zu 2.) und ein Mitarbeiter der Streithelferin zu 1.) teilnahmen. Die Feuchtigkeitsschäden wurden von den Beteiligten gesichtet, ohne eine Bauteilöffnung vorzunehmen.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 16.07.2014 setzten die Klägerinnen der Beklagten eine Frist zur Mangelbeseitigung bis zum 16.08.2014 (Anlage K15, Bl. 105 d.A.).

Mit Schreiben vom 18.07.2014 (Anlage K17, Bl. 106 d.A.) wies die Streithelferin zu 1.) darauf hin, dass eine Bauteilöffnung zwar möglich, aber aufwändig und langwierig sei und schlug vor, ohne vorhergehende Bauteilöffnung eine Kellerwandinnensanierung nach dem sog. INTRASIT-System durchzuführen. Die Beklagte schloss sich dem von der Streithelferin zu 1.) unterbreiteten Sanierungsvorschlag an und setzte die Klägerinnen hiervon in Kenntnis.

Die Klägerinnen beauftragten sodann, da sie dem von der Beklagten unterbreiteten Sanierungsvorschlag kein Vertrauen schenkten, einen Sachverständigen der DEKRA, Herrn Dipl.-Ing. T, mit der Begutachtung des Schadens und der Überprüfung der von der Beklagten vorgeschlagenen Sanierungsmethode. Die Klägerinnen setzten die Beklagte über die Beauftragung des Sachverständigen in Kenntnis.

Der Sachverständige T teilte den Klägerinnen mit Schreiben vom 25.07.2014 (Anlage K3, Bl. 28 f. d.A.) nach Durchführung eines Ortstermins mit, dass er von dem vorgeschlagenen Sanierungssystem mittels INTRASIT-Methode abrate, da diese Maßnahme nicht die Ursache, nämlich die schadhafte Abdichtung erdberührter Bauteile, sondern nur das Symptom des Mangels beseitige und somit nicht zu einer fachgerechten Beseitigung des Mangels führen könne. Weiter teilte der Sachverständige mit, dass aus seiner Sicht eine Freilegung der betroffenen Außenwandbereiche unumgänglich sei. Der Sachverständige schlug den Klägerinnen vor, die betroffene Außenwand freizulegen, um die Schadensstelle zu lokalisieren, und einen entsprechenden Sanierungsvorschlag mit den Beteiligten abzustimmen. Für die Erstellung des Gutachtens stellte der Sachverständige T den Klägerinnen unter dem 26.08.2014 einen Betrag von 440,30 Euro in Rechnung (Anlage K8, Bl. 38 d.A.).

Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.07.2014 teilten die Klägerinnen der Beklagten mit, dass die vorgeschlagene Kellerwandinnensanierung die Ursache für die Nässeschäden nicht beseitigen könne, und wiesen darauf hin, dass die Ursache der Schäden durch Freilegen der Abdichtung von außen ermittelt werden müsse (Anlage K18, Bl. 107 d.A.).

In der Folgezeit verhandelten die Parteien darüber, ob und in welcher Weise eine Bauteilöffnung vorgenommen werden sollte. Es wurde Einigkeit darüber erzielt, den Estrich in Teilbereichen zu entfernen.

Am 18.09.2014 fand ein Ortstermin in den Kellerräumen der Klägerin statt, an dem neben den Klägerinnen der Geschäftsführer der Beklagten, der Geschäftsführer der Streithelferin zu 2.) und der DEKRA-Sachverständige Dipl.-Ing. T teilnahmen. Dabei wurde in einem der Kellerräume in Bodenhöhe der Kelleraußenecke der Estrich teilweise entfernt und festgestellt, dass der Feuchtigkeitsschaden über die Kelleraußenwand entstanden sein musste.

Mit Schreiben vom 26.09.2014 (Anlage B2, Bl. 71 d.A.) empfahl die Streithelferin zu 1.), bezugnehmend auf die Ergebnisse des vorgenannten Ortstermins, nochmals eine Kellerwandinnensanierung nach dem INTRA-SIT-System, wobei nicht nur die betroffene Ecke, sondern auch die daneben liegenden Steine, also mindestens drei Steine je Seite, behandelt werden sollten.

Der DEKRA-Sachverständige T stellte den Klägerinnen unter dem 29.10.2014 für seine weitere Tätigkeit einen Betrag von 440,30 Euro in Rechnung (Anlage K9, Bl. 40 f. d.A.).

Mit Schreiben vom 01.12.2014 teilte die Beklagte den Klägerinnen mit, dass an der vorgeschlagenen Kellerwandinnensanierung festgehalten werde und keine Veranlassung für darüber hinaus gehende Arbeiten bestehe (Anlage K5, Bl. 32 f. d.A.).

Daraufhin beantragten die Klägerinnen im Januar 2015 beim Landgericht Bochum (Beiakte I- 2 OH 4/15) die Einleitung eines – inzwischen abgeschlossenen – selbstständigen Beweisverfahrens.

Der gerichtlich beauftragte Sachverständige Dipl.-Ing. U erstattete am 28.01.2016 ein schriftliches Sachverständigengutachten, das er am 12.10.2016 und 27.04.2017 jeweils schriftlich ergänzte.

Der Sachverständige stellte fest, dass von außen Feuchtigkeit in die Kellerräume eintrete und die geplante und ausgeführte Art der Abdichtung grundsätzlich für den hier vorliegenden Wasserlastfall “aufstauendes Sickerwasser” (und auch den Wasserlastfall “Bodenfeuchte”) nicht geeignet sei, eine Abdichtung nach den anerkannten Regeln der Technik herzustellen. Da bereits die Planung der Abdichtung mangelhaft sei, habe er die ausgeführte Abdichtung nicht weiter auf Ausführungsmängel untersucht.

Zwar könne die DIN 18195 (“Bauwerksabdichtungen”) in der Fassung ab 2010 dahingehend interpretiert werden, dass die geplante und ausgeführte Kombinationsabdichtung für den Wasserlastfall “aufstauendes Sickerwasser” – abweichend von der bis zum Jahre 2010 geltenden Fassung der DIN 18195 – zulässig wäre. Die Änderungen seien aber durch den Normenausschuss der DIN 18195 vorgenommen worden, obwohl den Mitgliedern das Ergebnis einer im Jahre 2009 durchgeführten Befragung unter allen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen der BRD für die Fachgebiete “Mängel und Schäden in und an Gebäuden”, “Schäden an Gebäuden” und “Bauwerksabdichtungen” bekannt gewesen sei. Die Befragung habe ergeben, dass die Sachverständigen mit großer Mehrheit aufgrund einschlägiger Erfahrungen bestimmt hätten, dass es sich bei der streitgegenständlichen Art der Abdichtung um eine für die beiden höheren Wasserlastfälle nicht geeignete Bauweise handelt. Die Zulassung der streitgegenständlichen Art der Abdichtung sei also in DIN 18195 eingeführt worden in dem Wissen, dass die große Mehrheit der zuvor erwähnten Sachverständigen sie als mangelhaft bezeichnet habe, so dass die DIN 18195 insoweit keine allgemein anerkannte Regel der Technik darstellen könne. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, dass die Normenausschüsse, die die DIN-Normen verfassten, oftmals nicht mehr paritätisch besetzt seien, sondern von einschlägigen Interessenvertretern dominiert würden.

Auch er – der Sachverständige – halte die geplante und ausgeführte Kombinationslösung aufgrund seiner gesammelten Berufserfahrung für mangelhaft. Er selbst habe mit dem streitgegenständlichen Fall vergleichbare Schadensfälle in den letzten Jahren extrem häufig begutachtet. Das geplante und ausgeführte Abdichtungssystem sei für die allermeisten Fälle von eindringendem Wasser in das Innere von Bauwerken in deren erdberührten Bereichen verantwortlich.

Der Sachverständige stellte weiter fest, dass eine wirksame Abdichtung nur durch das Einbringen eines Gelschleiers aus dem Innenbereich heraus zwischen Kelleraußenwand und Erdreich erreicht werden könne. Hierbei würden die Außenwände und auch die Stahlbetonbodenplatte durchbohrt und ins Erdreich Gel verbracht, wobei das Erdreich als Stützgerüst diene. Die Kosten hierfür bezifferte der Sachverständige auf 85.705,29 Euro.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Gutachten verwiesen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 24.03.2016 setzten die Klägerinnen der Beklagten eine Frist zur Mangelbeseitigung unter Durchführung derjenigen Maßnahmen, die der Sachverständige U in seinem Gutachten vorgeschlagen hat, bis zum 20.04.2016. Die Beklagte ließ diese Frist fruchtlos verstreichen.

Im Juli 2017 wurde die DIN 18195-6 durch die – betreffend die hier streitgegenständliche Abdichtungsmethode inhaltsgleiche – DIN 18533-3 bestätigt.

Die Klägerinnen haben behauptet, dass die von der Beklagten vorgeschlagene Maßnahme, die Kellerwandinnensanierung, nicht zu einer fachgerechten und dauerhaften Beseitigung des Mangels führen könne. Vielmehr komme, wie der Sachverständige Dipl.-Ing. U festgestellt habe, für eine fachgerechte Mangelbeseitigung nur der Einbau eines Gelschleiers aus dem Innenbereich vor die erdberührten Teile über die gesamte Kellerfläche in Frage.

Die Klägerinnen waren der Ansicht, dass die Frage, ob die Planung und Ausführung der Abdichtung den anerkannten Regeln der Technik entspreche, nur zweitrangig von Bedeutung sei, da das Werk schon deshalb mangelhaft sei, weil die Abdichtung nicht den ihr zugedachten Zweck erfülle.

Die Klägerinnen waren weiter der Auffassung, dass ihnen gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses für Mangelbeseitigungskosten in Höhe von 85.705,29 Euro netto zustehe. Zudem haben die Klägerinnen Erstattung der aufgewandten Kosten für die beiden durch den DEKRA-Sachverständigen Dipl.-Ing. T erstellten Gutachten in Höhe von 880,60 Euro, der Kosten der Beratung eines im Dezember 2013 beauftragten Gebäudeenergie- und Umweltberaters in Höhe von 107,10 Euro sowie der Kosten für die im Juni 2013 (für 297,50 Euro) und im September 2014 (für 139,00 Euro) – unstreitig – angeschafften elektronischen Luftentfeuchter verlangt. Schließlich haben die Klägerinnen – erstinstanzlich – Schadensersatz für die entgangene Nutzung der feuchten Kellerräume in Höhe von 4.800,00 Euro begehrt.

Die Klägerinnen haben erstinstanzlich beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger 91.929,49 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.09.2017 zu zahlen.

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihnen als Gesamtgläubiger alle über den Betrag von 91.929,49 Euro hinausgehenden Schäden zu ersetzen, der den Klägerinnen durch die fehlerhafte Abdichtung des Gebäudes X-Straße 10, C künftig noch entsteht.

Die Beklagte und die Streithelferinnen haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, dass die geplante und ausgeführte Art der Außenabdichtung den anerkannten Regeln der Technik entspreche. Dies folge bereits daraus, dass die verwendete Kombinationsabdichtung für den hier vorliegenden Wasserlastfall – unstreitig – den Vorgaben der DIN 18195 und der seit Juni 2017 geltenden Nachfolgenorm DIN 18533 entspreche. Die gegenteilige Feststellung des Sachverständigen U, dass die geplante und ausgeführte Abdichtung nicht den anerkannten Regeln der Technik entspreche, sei nicht nachvollziehbar dargelegt. Soweit sich der Sachverständige zur Begründung auf eine von ihm selbst durchgeführte Umfrage berufe, habe er keinerlei Angaben zu den Einzelheiten der Befragung und der Ermittlung des konkreten Ergebnisses gemacht. Im Übrigen habe sich der Sachverständige U auch nicht hinreichend mit der bereits im selbstständigen Beweisverfahren vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme des Dipl.-Ing. K auseinandergesetzt, wonach die geplante und ausgeführte Bauweise dem Stand der Technik entspreche und sich langjährig bewährt habe. Eine hiervon abweichende Feststellung könne im Übrigen nicht auf Grundlage der Beurteilung eines Sachverständigen, sondern nur durch eine Befragung der beteiligten Fachkreise und Bausachverständigen erfolgen.

Der Sachverständige U hätte zudem auch Feststellungen dazu treffen müssen, ob der Feuchtigkeitseintritt möglicherweise auf einer unzureichenden Materialverarbeitung beruht, was er jedoch nicht getan habe.

Die Klägerinnen hätten die Ursache für die eindringende Feuchtigkeit möglicherweise sogar selbst gesetzt, indem sie – unstreitig – die Kelleraußenwand durch eine Elektrofirma haben durchbohren lassen, um dort Elektrokabel zu verlegen.

Sie – die Beklagte – habe den Klägerinnen mit der vorgeschlagenen Kellerwandinnensanierung eine fachgerechte Nachbesserung, die zur dauerhaften Mangelbeseitigung geführt hätte, angeboten. Das INTRASIT-System sei ein geeignetes und in der Praxis bewährtes, erfolgreich eingesetztes Verfahren, das den vertraglich geschuldeten Erfolg gewährleistet hätte. Selbst wenn nach partieller Abdichtung der Kellerwände an anderer Stelle Feuchtigkeit in die Kellerwand eingedrungen wäre, hätte sie – die Beklagte – die Kellerwandinnenabdichtung ohne weiteres erweitern können, zumal die Streithelferin zu 1.) eine 10-Jahres-Garantie für Abdichtungsmaßnahmen zugesagt hätte.

Die Beklagte war der Ansicht, dass die von den Klägerinnen gesetzte Frist zur Nacherfüllung zur Unzeit erfolgt sei, da zunächst der Ausgang des selbstständigen Beweisverfahrens und die Ermittlung der Schadensursache durch den Sachverständigen hätte abgewartet werden müssen. Mit der Forderung an sie – die Beklagte -, die voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten gemäß Gutachten des Sachverständigen U zu zahlen, hätten die Klägerinnen die Nachbesserung durch sie erneut und endgültig abgelehnt. Die Klägerinnen hätten damit Mängelbeseitigungsansprüche verloren und könnten nun nicht mehr die Kosten einer Ersatzvornahme von ihr – der Beklagten – verlangen.

Jedenfalls seien, soweit den Klägerinnen ein Zahlungsanspruch zugesprochen werden würde, die Kosten für die von ihr – der Beklagten – angebotene Nachbesserung durch Kellerwandinnensanierung mittels INTRASIT-Systems in Höhe von 15.000,00 Euro netto in Abzug zu bringen.

Schließlich war die Beklagte der Auffassung, dass die von den Klägerinnen geforderten, übrigen Schadenspositionen deshalb nicht ersatzfähig seien, weil die Klägerinnen die von ihr – der Beklagten – angebotene Nachbesserung, die weitere Feuchtigkeitseintritte unterbunden hätte, abgelehnt hätten.

Die Streithelferin zu 1.), die dem Rechtsstreit aufseiten der Beklagten beigetreten ist, hat sich deren Ausführungen angeschlossen. Ergänzend war sie der Ansicht, dass die von dem Sachverständigen U in Bezug genommene Umfrage schon deshalb nicht aussagekräftig sei, weil sich danach nicht einmal 20 % der befragten Sachverständigen der Auffassung des Gerichtsgutachters angeschlossen hätten.

Die Streithelferin zu 1.) hat behauptet, dass sie – von den Klägerinnen mit Nichtwissen bestritten – in der Vergangenheit eine dem vorliegenden Fall entsprechende Abdichtung für 97 Keller mit Lastfall 6 “aufstauendes/stauendes Wasser” und 26 Keller mit Lastfall 6 “drückendes Wasser” ausgeführt habe, wobei es nur in 12 Fällen Beanstandungen gegeben habe, die ausschließlich Verarbeitungsfehler (geringe Schichtdicke, mangelnde Ausführung und Untergrundvorbereitung) betroffen hätten.

Die Streithelferin zu 2.), die dem Rechtsstreit ebenfalls aufseiten der Beklagten beigetreten ist, hat behauptet, dass die Abdichtung nicht mangelhaft ausgeführt worden sei, was auch die Streithelferin zu 1.) bei Abnahme der Abdichtung festgestellt habe.

Das Landgericht Bochum hat der Klage erstinstanzlich überwiegend – mit Ausnahme der geforderten Nutzungsentschädigung in Höhe von 4.800,00 Euro – stattgegeben und den Klägerinnen einen Zahlungsanspruch in Höhe von 87.129,49 Euro nebst Zinsen zugesprochen. Auch den Feststellungsantrag hat es insoweit für begründet erachtet. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Vorschussanspruch aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen U bestehe. Der Sachverständige habe dargelegt, dass Maßnahmen zur Mangelbeseitigung erforderlich seien, die Kosten in Höhe von 85.705,29 Euro verursachen würden. Die von der Beklagten vorgeschlagene INTRASIT-Methode, welche nur punktuell an Stellen der Durchfeuchtung angewandt werden sollte, sei dagegen ungeeignet. Das Gericht folge dem Sachverständigen aufgrund eigener Kenntnis durch diverse Fortbildungsmaßnahmen dahingehend, dass das von der Beklagten geplante und ausgeführte Abdichtungssystem grundsätzlich nicht geeignet sei, eine mangelfreie Abdichtung des klägerischen Bauwerks herbeizuführen. Da die Kelleraußenflächen insgesamt durch ein ungeeignetes System abgedichtet seien, hätte eine punktuelle Nachbesserung im Bereich der Feuchteerscheinungen, wodurch möglicherweise und zufällig Trockenheit noch für die Gewährleistungsfrist hätte erreicht werden können, nicht ausgereicht. Hierauf hätten sich die Klägerinnen auch nicht einlassen müssen. Ein Abzug der für diese Nacherfüllungsmaßnahme erforderlichen Kosten von dem Vorschussanspruch der Klägerinnen komme daher nicht in Betracht.

Die weitergehend von den Klägerinnen als Schadensersatz geltend gemachten Positionen seien ersatzfähig, mit Ausnahme des geltend gemachten Nutzungsausfalls, da die Klägerinnen nicht substantiiert vorgetragen hätten, dass eine Nutzung der Kellerräume trotz Einsatz der Luftentfeuchtungsgeräte mit weniger feuchtigkeitsempfindlichen Gegenständen nicht möglich gewesen wäre.

Den Klägerinnen stünden darüber hinaus der geltend gemachte Zinsanspruch sowie der mit Klageantrag zu 2.) geltend gemachte Feststellungsanspruch zu.

Hiergegen wenden sich die Beklagte und die Streithelferin zu 1.) mit der von ihnen eingelegten Berufung.

Die Beklagte meint, dass das Werk betreffend die geplante und ausgeführte Abdichtung vertragsgemäß sei, da es die vertraglich geschuldete Beschaffenheit aufweise, indem sie der DIN 18195-6 entspreche.

Das Landgericht habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, da der Sachverständige nicht untersucht habe, ob weitere mögliche Mangelursachen bestehen. Insbesondere habe der Sachverständige nicht bewertet, ob die von Klägerseite durchgeführten Bohrungen in den Kellerräumen als Ursache für die Durchfeuchtung in Frage kämen.

Die Feststellungen des Sachverständigen seien auch deshalb nicht tragfähig, weil er sich auf eine Umfrage stütze, die er – trotz Aufforderung – nicht vorgelegt habe. Zudem könne schon auf Grundlage der Angaben des Sachverständigen darüber, wie viele Rückmeldungen es gegeben hätte, im Ergebnis nicht von einer “Mehrheit der Befragten” gesprochen werden. Zudem stelle der Sachverständige seine persönliche Meinung weit über die gebildeten Regelungen hinaus, ohne sich mit der Kritik der Beklagten und der Streithelferin auseinander zu setzen. Auch sei zu sehen, dass der Sachverständige in der Praxis nur mit “problematischen Fällen” zu tun habe, in denen Mängel aufgetreten seien. Daraus zu schließen, dass aufgrund der festgestellten Mangelhaftigkeit der jeweiligen Fälle eine generelle Eignung der in der einschlägigen DIN geregelten Ausführungsweise nicht bestehe, sei ein unzulässiger Zirkelschluss. Es seien tausende Häuser in der vorliegenden Ausführung geplant und durchgeführt worden, ohne dass sich Mängel gezeigt hätten.

Die Vermutungswirkung der DIN 18195 sei vorliegend im Übrigen nicht widerlegt worden. Dies folge schon daraus, dass die vorgenannte DIN im Jahre 2017 novelliert und mit den inhaltlich gleichen Regelungen erneut veröffentlicht worden sei. Auch das vom Sachverständigen herangezogene Argument, dass bereits die Entscheidungsfindung der DIN-Gremien nicht tauglich sei, da dort lediglich Herstellerinteressen vertreten würden, verfange nicht, sondern sei schlichtweg übertrieben und falsch. Schließlich hätte sich der Sachverständige auch ausführlich mit in Wissenschaft und Technik vertretenen Gegenansichten auseinandersetzen müssen, was er jedoch nicht getan habe. Das Tatgericht habe all dies rechtsfehlerhaft nicht gewürdigt.

Ergänzend verweist die Beklagte darauf, dass sie zwischenzeitlich eine deutschlandweite Umfrage zur im Streitverfahren kontroversen Beurteilung der Praxisbewährung von Abdichtungsübergängen von kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung auf WU-Beton habe durchführen lassen. Wegen des Ergebnisses verweist sie – die Beklagte – auf einen Abschlussbericht des Aachener Instituts für Bauschadensforschung und angewandte Bauphysik gGmbH vom 14.03.2019. Ergebnis dieser Umfrage sei laut dem Projektleiter Prof. A, dass die fachlichen Stellungnahmen der befragten Personen keinen Anlass gäben, die grundsätzliche Eignung des Übergangs der Abdichtung aus PMBC auf Beton infrage zu stellen; es ergebe sich weder aus der Anzahl der Schadensfälle noch aus der Erfahrung der Umfrageteilnehmer, dass die vorgenannte Ausführung nicht anerkannte Regel der Technik sei.

Auch die weiteren Schadenspositionen hätten den Klägerinnen nicht zugesprochen werden dürfen. Das DEKRA-Gutachten des Sachverständigen T sei als bausachverständiges Gutachten ungeeignet und unergiebig gewesen. Überdies seien die in Rechnung gestellten Kosten weder ortsüblich noch angemessen.

Zudem wäre die von der Beklagten angebotene Nachbesserung zur Mangelbeseitigung geeignet gewesen. Das von dem Sachverständigen vorgeschlagene Verfahren sei mit dem INTRASIT-Verfahren vergleichbar und gleichwertig, zumal von der ausführenden Firma eine Herstellergarantie von 10 Jahren gegeben werde.

Die Streithelferin zu 1.) stützt die von ihr eingelegte Berufung ebenfalls darauf, dass die Abdichtung entsprechend DIN 18195-6 und damit vertragsgemäß ausgeführt worden sei. Darüber hinaus sei die Eignung der von ihr – der Streithelferin zu 1.) – vertriebenen kunststoffmodifizierten Bitumendickbeschichtung auch – unstreitig – durch Prüfzeugnis des Materialprüfungsamts des Landes NRW vom 25.10.2013 nachgewiesen worden.

Soweit sich der Sachverständige auf Kenntnisse aus seiner sachverständigen Praxis beziehe, sei diese Äußerung viel zu unbestimmt. Es müsse vielmehr im Einzelnen dargelegt werden, was konkret Ursache für die eingetretene Undichtigkeit gewesen sein soll, zumal auch schlichte Ausführungsfehler in Betracht kämen.

Das Landgericht habe sich zudem nicht mit der gebotenen Sorgfalt mit dem von der Beklagten vorgelegten Privatgutachten des Sachverständigen K und den von der Beklagten und den auf Beklagtenseite beigetretenen Streithelfern gegen das Gutachten des Sachverständigen U vorgetragenen Einwänden auseinandergesetzt.

Das Landgericht hätte sich zudem mit ihrer – der Streithelferin zu 1. – Behauptung befassen müssen, dass es bislang keinerlei Beanstandungen im Hinblick auf die grundsätzliche Eignung des verwandten Abdichtungssystems gegeben hätte, was unter Beweis durch Vernehmung des Zeugen S gestellt worden sei.

Letztlich sei die Klage bereits deshalb unbegründet, weil die Klägerinnen die angebotene Nachbesserung mittels INTRASIT-System – unberechtigt – abgelehnt hätten.

Die Beklagte und die Streithelferinnen beantragen,

unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerinnen verteidigen das angefochtene Urteil. Die geplante und ausgeführte Abdichtungsart für die Wasserlastfälle “aufstauendes Sickerwasser” und “Bodenfeuchte” entspreche nicht den anerkannten Regeln der Technik. Dies habe der Sachverständige U in seinem Gutachten ausführlich und mehrfach dargestellt. Es sei auch sinnvoll gewesen, nicht nach anderen Ursachen zu suchen, weil bereits die Planung der Abdichtung mangelhaft sei, so dass es auf die Ausführung nicht mehr ankomme. Darauf, dass die DIN vertraglich vereinbart worden sei, könne sich die Beklagte nicht berufen, da sie sich für die beabsichtigte Verwendung als untauglich erwiesen habe und damit nicht dem Vertragssoll entspreche. Die Beklagte sei aufgrund der verschuldensunabhängigen Erfolgshaftung nachbesserungspflichtig. Eine vollständige und dauerhafte Mangelbeseitigung komme nur durch die Versiegelung der gesamten Kellerräume nach den Vorgaben des Sachverständigen U in Betracht. Die von Beklagtenseite angebotene stellenweise Nachbesserung sei demgegenüber weder ausreichend noch den Klägerinnen zuzumuten, zumal diese nicht dauerhaft sei.

B.

Die Berufung ist zulässig, aber nur im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

I.

Die Berufung der Beklagten ist zwar – isoliert betrachtet – unzulässig, da sie keine formgerechte Berufungsbegründungsschrift innerhalb der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 und 3 ZPO) eingereicht hat. Die schriftsätzliche Begründung i.S.v. § 520 Abs. 3 S. 1 ZPO muss von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt (§ 78 Abs. 1 ZPO) eigenhändig unterzeichnet sein, der sich damit den Inhalt der Begründung zu eigen macht und die Verantwortung übernimmt (MüKo/Rimmelspacher, ZPO, 5. Aufl. 2016, § 520 Rn. 23). Daran fehlt es vorliegend. Die innerhalb der Frist eingegangene Berufungsbegründungsschrift der Beklagten ist von ihrem Prozessbevollmächtigten nicht unterschrieben worden.

Da allerdings eine form- und fristgerechte Berufung der Streithelferin zu 1.) vorliegt, ist der Senat an einer Sachentscheidung nicht gehindert. Denn bei einer von Hauptpartei und Streithelfer eingelegten Berufung handelt es sich nur um eine – einheitlich zu betrachtende – Berufung; die von dem Nebenintervenienten eingelegte Berufung ist immer Rechtsmittel für die Hauptpartei (BGH NJW 1990, 190; 1985, 2480). Daraus folgt, dass die Berufung aufgrund der durch die Streithelferin zu 1.) rechtzeitig und formgerecht eingereichten Berufungsschrift als insgesamt zulässig anzusehen ist, zumal das Rechtsmittelverhalten der Streithelferin dem der Beklagten nicht widerspricht (§ 67 ZPO).

II.

Die Berufung ist indes nur teilweise begründet. Die Klage ist zulässig und – weit überwiegend – begründet.

1.

Den Klägerinnen steht gegenüber der Beklagen ein Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses in Höhe von 85.705,29 Euro aus §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1, 3 BGB zu.

a.

Aufgrund der Regelung in § 2 Ziff. 3 des zwischen den Parteien geschlossenen notariellen Vertrages finden die Gewährleistungsvorschriften des im BGB geregelten Werkvertragsrechts, insbesondere die §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1, 3 BGB, vorliegend Anwendung. Denn die Klägerinnen behaupten eine mangelhafte Abdichtung der Kellerräume, also einen Sachmangel, dessen Ursache in der Errichtung des Bauwerks begründet wäre.

b.

Zwar setzt die Geltendmachung eines Vorschussanspruchs i.S.v. § 637 Abs. 1, 3 BGB grundsätzlich voraus, dass eine Abnahme der Werkleistung durch den Besteller erfolgt ist (vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2017 – VII ZR 301/13). Eine solche lässt sich vorliegend mangels entsprechenden Vortrags der Parteien nicht feststellen.

Allerdings kann ein Vorschussanspruch auch ohne vorherige Abnahme durch den Besteller geltend gemacht werden, wenn das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2017 – VII ZR 301/13). Ein Abrechnungsverhältnis kann insbesondere dann angenommen werden, wenn der Besteller ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer, der ihm das Werk als fertiggestellt zur Abnahme angeboten hat, zusammenarbeiten zu wollen, also endgültig und ernsthaft eine (Nach-)Erfüllung durch ihn ablehnt. In dieser Konstellation kann der Besteller nicht mehr zum (Nach-)Erfüllungsanspruch gegen den Unternehmer zurückkehren (vgl. BGH, Urteil v. 19.01.2017 – VII ZR 301/13, a.a.O., Tz. 44 ff.).

Im vorliegenden Fall liegt jedenfalls ein Abrechnungsverhältnis vor. Die streitgegenständliche Doppelhaushälfte ist unstreitig fertiggestellt und von den Klägerinnen in Gebrauch genommen worden. Weiterhin ist unstreitig, dass die Klägerinnen die von der Beklagten angebotene Art der Nacherfüllung (mittels INTRASIT-System) endgültig und ernsthaft abgelehnt haben und ihr – der Beklagten – gegenüber nur noch Zahlungsansprüche geltend machen.

c.

Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht das Vorliegen eines Mangels angenommen, der die Klägerinnen zur Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen berechtigt.

Das Werk der Beklagten ist mangelhaft i.S.v. § 633 Abs. 2 S. 1 BGB, da es insofern nicht die zwischen den Parteien vereinbarte Beschaffenheit aufweist, als die am streitgegenständlichen Gebäude der Klägerinnen installierte Abdichtung nicht funktionstauglich ist.

Welche Beschaffenheit eines Werkes die Parteien vereinbart haben, ergibt die Auslegung des Werkvertrages (§§ 133, 157 BGB); zur vereinbarten Beschaffenheit im Sinne des § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB gehören alle – ausdrücklich oder konkludent vereinbarten – Eigenschaften, die nach der Vereinbarung den vertraglich geschuldeten Erfolg herbeiführen sollen (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2007 – VII ZR 183/05 Rn. 15, BGHZ 174, 110). Bei der Bestimmung der Soll-Beschaffenheit kommt es in erster Linie auf die Vorstellungen der Parteien an. Ein weiterer Bestandteil des geschuldeten Erfolges ist außerdem die Funktionalität des Werkes; die Funktionalität ist zumeist (zumindest konkludent) Bestandteil der Beschaffenheitsvereinbarung (sog. funktionaler Mangelbegriff) (vgl. BGH Urt. v. 08.11.2007 – VII ZR 183/05). Nach ständiger Rechtsprechung des BGH entspricht ein Werk dann nicht der vereinbarten Beschaffenheit, wenn es nicht die vereinbarte Funktionstauglichkeit aufweist (BGH, Urteil vom 08. November 2007 – VII ZR 183/05 -, BGHZ 174, 110-126), und zwar ungeachtet der vertraglich vereinbarten Leistung oder Ausführungsart, der Einhaltung von DIN-Vorschriften oder der anerkannten Regeln der Technik (vgl. BGH, Urteil vom 08.11.2007, VII ZR 183/05, Senat, Urteil vom 09. November 2018 – I-12 U 20/18 -, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. April 2015 – I-21 U 182/14 -; OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.02.2013, I-23 U 185/11 m.w.N.).

Von diesen Grundsätzen ausgehend liegt vorliegend ein negatives Abweichen der Ist- von der geschuldeten Sollbeschaffenheit vor.

Zwar steht nicht in Streit, dass die am Gebäude der Klägerinnen ausgeführte Abdichtung in Form einer Kombination aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung den Vorgaben der durch den notariellen Kaufvertrag in Bezug genommenen Baubeschreibung entsprach.

Allerdings ist zwischen den Parteien ebenso unstreitig, dass es zu einem Wassereintritt von außen in die Kellerräume der Klägerinnen gekommen ist. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Wassereintritt in die Kellerräume Symptom einer Undichtigkeit der ausgeführten Abdichtung ist, die Abdichtung mithin die ihr zugedachte Funktion nicht erfüllt hat. Hiervon geht letztlich auch die Beklagte selbst aus, was ihre vorgerichtlich signalisierte Bereitschaft zeigt, Nachbesserungsarbeiten an den Kellerwänden im Hause der Klägerinnen durchzuführen.

Demnach weist die Werkleistung der Beklagten, ungeachtet der Tatsache, dass die ausgeführte Abdichtung dem Vertragstext oder DIN-Vorschriften entspricht, jedenfalls aufgrund ihrer mangelnden Funktionstauglichkeit nicht die Beschaffenheit auf, die die Parteien – zumindest konkludent – vereinbart haben.

Die Einwendung der Beklagten, dass der Wassereintritt in die Kellerräume der Klägerinnen durch mangelhaft ausgeführte und abgedichtete Bohrlöcher für die Installation elektrischer Leitungen (zumindest mit-)verursacht worden sei, greift nicht durch.

Zum einen kann die Beklagte mit ihrer Einwendung bereits deshalb nicht gehört werden, weil sie nicht näher konkretisiert hat, wann, an welchen Stellen und auf welche Weise die Kellerwand durchbohrt worden sein soll, so dass sich ihre Behauptung als – im Ergebnis unbeachtliche – bloße Behauptung ins Blaue hinein darstellt. Entsprechender Vortrag wäre der Beklagte, die selbst mehrfach vor Ort war und den bei den Klägerinnen eingetretenen Schaden begutachtet hat, nach Ansicht des Senats allerdings ohne weiteres möglich gewesen.

Zum anderen ist die Behauptung der Beklagten durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. U widerlegt. Der Sachverständige hat festgestellt und im Rahmen seiner Anhörung im Senatstermin nochmals nachvollziehbar und anschaulich erklärt, dass die alleinige Ursache des Wassereintritts im Versagen der ausgeführten Kombinationsabdichtung liege. Denn die ausgeführte Kombinationsabdichtung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung könne für den – hier vorliegenden – Wasserlastfall “aufstauendes Sickerwasser” keine dauerhafte Dichtigkeit erzeugen, weil eine dauerhafte Verbindung von WU-Betonplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung nicht gewährleistet sei. In das Gebäude der Klägerinnen sei Wasser lediglich in den unteren Wandbereichen eingedrungen, genau dort, wo die Verbindung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung offensichtlich versagt habe.

Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. U nach eigener Sachprüfung vollumfänglich an. Der Sachverständige U ist dem Senat bereits aus anderen Rechtsstreitigkeiten, an denen er als Bausachverständiger beteiligt war, als kompetent, sorgfältig und gewissenhaft bekannt. Sein Gutachten ist insgesamt widerspruchsfrei, detailliert und nachvollziehbar. Es lässt erkennen, dass sich der Sachverständige mit den Beweisfragen in sorgfältiger Weise auseinandergesetzt hat. Der Sachverständige hat den gesamten Akteninhalt berücksichtigt und ausgewertet. Zudem hat sich der Sachverständige im Rahmen eines durchgeführten Ortstermins selbst ein Bild von den örtlichen Verhältnissen gemacht und weitere Untersuchungen, insbesondere partielle Bauteilöffnungen, vorgenommen. Seine Feststellungen hat der Sachverständige im Rahmen einer Anhörung im Senatstermin vom 28.06.2019 glaubhaft bekräftigt, sich insbesondere mit den Einwendungen der Parteien eingehend befasst und zu diesen in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise Stellung genommen.

d.

Das Landgericht hat des Weiteren im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Klägerinnen von der Beklagten Zahlung eines Vorschusses in der geforderten Höhe, die auf den Feststellungen und der Berechnung des Sachverständigen U beruht, verlangen können.

Die von dem Sachverständigen U festgestellte Maßnahme, das Einbringen eines Gelschleiers, und die hierfür anfallenden Kosten sind zur Mangelbeseitigung erforderlich.

Die Klägerinnen mussten sich demgegenüber nicht auf die von der Beklagten angebotene Kellerwandinnensanierung mittels INTRASIT-Systems einlassen.

Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass der Unternehmer grundsätzlich die Herstellungs- oder Beseitigungsmethode bestimmen kann. Das bedeutet, dass er nicht nur die Wahl hat, ob er das Werk neu herstellt oder es nachbessert, sondern er bestimmt ebenfalls, in welcher Weise er im Rahmen dieser Vorentscheidung seine Leistungen ausführt, um ein mangelfreies Werk durch Nacherfüllung zu erreichen. Der Nacherfüllungsanspruch gibt dem Besteller also grundsätzlich nicht das Recht, zu bestimmen, auf welche Weise die Mängel zu beseitigen sind (vgl. Moufang/Koos in: Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 3. Auflage 2018, BGB, § 635, Rn. 43 m.w.N.). Allerdings betrifft dieses Wahlrecht nur Maßnahmen, die auf Herstellung des Zustandes gerichtet sind, der nach dem Inhalt des Werkvertrages von vornherein bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung hätte herbeigeführt werden müssen. Dabei muss der Unternehmer grundsätzlich den Mangel einschließlich seiner Ursache beseitigen, die Beseitigung seiner Symptome oder seiner Folgen genügt dagegen nicht (vgl. Moufang/Koos, a.a.O., Rn. 28 m.w.N.).

Die von der Beklagten angebotene Kellerwandinnensanierung mittels INTRASIT-Systems stellt keine geeignete Maßnahme dar, um eine dauerhaft funktionsfähige Abdichtung, d.h. den vertragsgemäßen Zustand, herbeizuführen. Denn das INTRASIT-System vermag nur die Symptome, nicht jedoch die Mangelursache zu beseitigen.

Der Senat schließt sich auch insoweit den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen U an. Im Rahmen seiner Anhörung im Senatstermin hat der Sachverständige U ausgeführt, dass im Falle des Versagens einer in einen Neubau eingebrachten Abdichtung mittels Kombinationsabdichtung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung nur das Einbringen eines Gelschleiers eine dauerhafte Dichtigkeit gewährleisten könne. Demgegenüber stelle das INTRASIT-System, bei dem die Kellerinnenwände nur punktuell im Bereich der Wasseraustrittsstellen behandelt würden, im vorliegenden Fall keine geeignete Maßnahme zur Mangelbeseitigung dar. Denn im Falle des Versagens einer Kombinationsabdichtung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung sei es unmöglich, anhand der Wasseraustrittstellen im Gebäudeinneren auf die Lage der Schad- bzw. Leckstellen im Randbereich zwischen Bodenplatte und Bitumendickbeschichtung zu schließen. Die Schichten zwischen Abdichtung und Betonplatte wiesen wasserleitende Eigenschaften auf, so dass das aufgrund von Undichtigkeiten eindringende Wasser an völlig anderer Stelle im Gebäudeinneren wieder austreten könne. Eine Reparatur der Kombinationsabdichtung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung sei daher nicht möglich. Im Falle der nur punktuellen Behandlung der Schadstellen mittels INTRASIT-Systems werde lediglich das Mangelsymptom behandelt, nicht jedoch die Schadensursache beseitigt, da weiterhin Wasser durch die noch bestehende Schadstelle eindringen und an anderer Stelle im Gebäudeinneren wieder austreten könne. Das Einbringen eines Gelschleiers führe demgegenüber zu einer vollständigen und dauerhaften Dichtigkeit. Das eingebrachte Gel könne aufgrund seines Anpressdrucks nicht von Wasser unterdrungen werden. Selbst wenn sich nach Einbringen des Gelschleiers herausstellen sollte, dass eine unvergelte Stelle zurückgeblieben wäre, sei diese im Nachhinein gut sichtbar und ohne weiteres zu lokalisieren, so dass eine Nachbehandlung möglich sei.

Schließlich scheidet auch eine Reparatur des Übergangs zwischen WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung von außen – nach vorangegangener Ausschachtung und Freilegung der Außenwände – aus. Denn auch diese Methode würde keine geeignete Maßnahme darstellen, um eine dauerhaft funktionsfähige Abdichtung herbeizuführen.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die gewählte und ausgeführte Abdichtungsmethode, die Kombinationslösung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung, für den – hier vorliegenden – Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser – trotz Konformität mit den Regelungen der DIN 18195-6 bzw. DIN 18533 – nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Die von der Regelung der vorgenannten DIN ausgehende Vermutungswirkung, auf die sich die Beklagte zu ihrer Entlastung beruft, sieht der Senat – insbesondere aufgrund der Vielzahl an aufgetretenen Schadensfällen – als widerlegt an.

Der Senat schließt sich wiederum vollumfänglich den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. U an, der überzeugend, detailliert und nachvollziehbar dargelegt hat, dass die geplante und ausgeführte Abdichtungsmethode für den Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser keine dauerhafte Dichtigkeit erzeugen könne und damit insoweit – trotz Konformität mit den Regelungen der DIN 18195-6 bzw. DIN 18533 – nicht den anerkannten Regeln der Technik entspreche.

Anerkannte Regeln der Technik sind diejenigen technischen Regeln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen, die in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig erkannt sind und feststehen sowie insbesondere in dem Kreise der für die Anwendung der betreffenden Regeln maßgeblichen, nach dem neuesten Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker durchweg bekannt und aufgrund fortdauernder praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 6. Teil – Die Haftung des Unternehmers für Mängel -, Rn. 32 m.w.N.). Dem Grundsatz nach tragen DIN-Normen die (widerlegliche) Vermutung in sich, den anerkannten Regeln der Technik zu entsprechen (vgl. nur BGH Urt. v. 24.05.2013 – V ZR 182/12).

Der Sachverständige U hat festgestellt, dass die streitgegenständliche Kombinationsabdichtung für den Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser technisch nicht geeignet sei, eine dauerhafte Abdichtung herzustellen. Die generelle Schwäche der Kombinationsabdichtung liege im unteren Bereich der Abdichtung, nämlich dort, wo die kunststoffmodifizierte Bitumendickbeschichtung auf die Bodenplatte aufgeklebt werde. In diesem Bereich komme es zu Ablöseerscheinungen und Unterwanderungen. Zur Begründung hat der Sachverständige auf seine langjährige sachverständige Erfahrung verwiesen. Im Rahmen seiner Anhörung im Senatstermin hat der Sachverständige erläutert, dass er seit Beginn seiner Sachverständigentätigkeit im Jahre 2003 ca. 15-20 Fälle pro Jahr zu begutachten gehabt habe, in denen es im Falle der Verwendung der hier vorliegenden Kombinationsabdichtung bei aufstauendem Sickerwasser zu Wassereintritten ins Gebäudeinnere gekommen sei. Demgegenüber habe er lediglich einen Fall begutachtet, in dem es bei Verwendung einer Abdichtung durch Bitumenbahnen zu einem Wassereintritt gekommen sei, wobei der Schaden im begutachteten Fall auf einem offensichtlichen Ausführungsfehler beruht habe.

Seine Einschätzung, dass die Kombinationsabdichtung für den Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser technisch ungeeignet sei und damit nicht den anerkannten Regeln der Technik entspreche, hat der Sachverständige zudem mit dem Ergebnis einer von ihm im Jahre 2009 veranlassten Befragung aller zur damaligen Zeit öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen mit den Fachgebieten Schäden an Gebäuden und Bauwerkssanierung begründet. Die streitgegenständliche Kombinationsabdichtung sei von den Sachverständigen, die sich zurückgemeldet hätten, mehrheitlich als technisch ungeeignet eingestuft worden.

Soweit die Beklagte eingewandt hat, dass die Feststellungen des Sachverständigen U aufgrund der Ausführungen des Prof. Dipl.-Ing. A in seinem Abschlussbericht vom 14.03.2019 zu einer von ihr – der Beklagten – selbst in Auftrag gegebenen Umfrage zur Praxisbewährung von Abdichtungsübergängen vom PMBC auf WU-Beton widerlegt seien, kann dem nicht gefolgt werden. Im Gegenteil hat der Sachverständige Prof. A ausweislich Seite 8 des Abschlussberichts die technischen Schwächen der streitgegenständlichen Kombinationsabdichtung selbst erläutert und somit die Feststellungen des Sachverständigen U bestätigt. Unter Punkt 2.3 des Berichts hat Prof. A die Kombinationsabdichtung als bei Druckwasser “problematisch” eingestuft, insbesondere im Hinblick darauf, dass sich eventuelle Undichtigkeiten während der Bauphase nicht zeigten und erst später, ggf. auch erst Jahre später, zu Wasserschäden im Gebäudeinneren führen könnten. Aufgrund der wasserleitenden Eigenschaft der Schutzschichten zwischen Abdichtungen und Bodenplatten seien die schadensverursachenden Leckstellen nach Fertigstellung des Gebäudes meistens nicht auffindbar und damit nicht reparabel. Dies deckt sich uneingeschränkt mit den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen U, denen der Senat folgt.

Auch das von dem Sachverständigen U dargestellte Ergebnis seiner Umfrage aus dem Jahre 2009 ist durch die Ausführungen des Sachverständigen Prof. A in seinem Abschlussbericht – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht widerlegt. Denn ausweislich des Abschlussberichts hat auch dort eine nicht unerhebliche Anzahl an Umfrageteilnehmern angegeben, negative Erfahrungen mit der streitgegenständlichen Kombinationsabdichtung im Falle des Vorliegens von Druckwasser gemacht zu haben (30 von 139 Umfrageteilnehmern). Insgesamt 107 Umfrageteilnehmer hätten sich laut des Berichts zu den Ursachen eingetretener Schäden geäußert, wobei 23 Teilnehmer das Abdichtungssystem als generell ungeeignet beschrieben hätten. Das Ergebnis der von der Beklagten in Auftrag gegebenen Umfrage stützt damit wiederum die Feststellungen des Sachverständigen U und dessen Einordnung der streitgegenständlichen Kombinationsabdichtung als – für den Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser – schadensanfällig und damit technisch ungeeignet.

Dem Einwand der Beklagten, der Sachverständige U könne nicht einschätzen, ob sich die streitgegenständliche Kombinationsabdichtung in der Praxis bewährt habe, weil er es als Sachverständiger ausschließlich mit Schadensfällen zu tun bekomme, kann ebenfalls nicht gefolgt werden. Denn der Sachverständige hat, wie bereits dargelegt, nachvollziehbar erläutert, aus welchen Gründen die streitgegenständliche Abdichtungsmethode technisch ungeeignet ist und sich in der Praxis gerade nicht bewährt hat. Dass der Sachverständige es aufgrund seines Fachgebiets ausschließlich mit Schadensfällen zu tun hat, liegt in der Natur der Sache und vermag an seiner fachlichen Kompetenz zur Einschätzung der technischen Geeignetheit der streitgegenständlichen Abdichtungsmethode nichts zu ändern. Letztlich hat auch die Streithelferin zu 1.) zugestanden, dass die Verwendung der streitgegenständlichen Abdichtungsmethode nicht ausschließlich schadens- und beanstandungsfrei geblieben ist. Sie hat eingeräumt, dass es bei etwas mehr als 100 für den Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser mit der streitgegenständlichen Methode abgedichteten Kellern zu immerhin 12 Beanstandungen gekommen sei. Dabei ist für die Einschätzung der technischen Geeignetheit der Abdichtungsmethode unbeachtlich, welche Ursache die beanstandeten Schadensfälle hatten. Denn auch eine Abdichtungsmethode, die ausführungsfehleranfällig ist, kann nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Dass der Streithelferin zu 1.) nicht mehr Schadensfälle bekannt sind, kann – wie der Sachverständige U plausibel erklärt hat – daran liegen, dass Undichtigkeiten oftmals über einen längeren Zeitraum hinweg unerkannt blieben und erst nach Ablauf der Gewährleistungsfrist sichtbar würden, so dass die bauausführenden Unternehmen nicht mehr in Anspruch genommen werden könnten und demnach auch keine Kenntnis von dem Versagen der Abdichtung erlangten.

Auch die Verteidigung der Beklagten, dass die generelle Eignung der kunststoffmodifizierten Bitumendickbeschichtung für den konkreten Lastfall bauaufsichtsrechtlich geprüft und zertifiziert worden sei, vermag im Ergebnis nicht durchzugreifen. Der Sachverständige U hat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass das Vorliegen einer derartigen Prüfbescheinigung nichts an seiner Feststellung ändere, dass die streitgegenständliche Kombinationsabdichtung keine hinreichende Dichtigkeit erzeuge. Denn eine derartige Prüfbescheinigung werde nach Durchführung von Untersuchungen “unter Laborbedingungen” (sauber, trocken, ohne Grate), die sich von den Bedingungen in tatsächlichen Baugruben wesentlich unterschieden, erteilt. Zudem werde die Dichtigkeit unter Laborbedingungen in einem Zeitraum von lediglich 28 Tagen überprüft, so dass die Erteilung einer Prüfbescheinigung im Hinblick auf die dauerhafte Haltbarkeit der Abdichtungsmethode nicht aussagekräftig erscheine.

Auch die Einwendung der Beklagten, der Sachverständige U habe sich mit den Feststellungen des leitenden Baudirektors a.D. Dipl.-Ing. K in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 08.05.2016 nicht hinreichend auseinander gesetzt, vermag nicht durchzugreifen. Der Sachverständige U hat nachvollziehbar ausgeführt, dass sich an seiner Feststellung, dass die streitgegenständlichen Abdichtungsmethode für den Wasserlastfall “aufstauendes Sickerwasser” generell ungeeignet sei, auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Dipl.-Ing. K nichts ändere. Wie dargelegt, ist der Senat aufgrund der Feststellung des Sachverständigen U davon überzeugt, dass sich die streitgegenständliche Abdichtungsmethode in der Praxis – entgegen der Ansicht des Dipl.-Ing. K – gerade nicht bewährt hat.

Der Senat sieht aufgrund der überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen U nach alledem die Vermutungswirkung der DIN 18195-6 bzw. DIN 18533 als widerlegt an.

e.

Die Klägerinnen haben der Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 24.03.2016 eine angemessene Frist zur Mangelbeseitigung entsprechend der von dem Sachverständigen U vorgeschlagenen Maßnahmen gesetzt, die fruchtlos verstrichen ist.

f.

Der Einwand der Beklagten, dass von dem den Klägerinnen zugesprochenen Vorschuss ein Abzug in Höhe von 15.000,00 Euro (Kosten des INTRASIT-Verfahrens) vorzunehmen sei, geht mangels rechtlicher Grundlage ins Leere.

Ungeachtet dessen, dass die Beklagte die tatsächlichen Grundlagen für die Berechnung des in Abzug zu bringenden Betrages von 15.000,00 Euro bereits nicht näher dargelegt und aufgeschlüsselt hat, ist der Senat, wie bereits oben dargelegt, von der Ungeeignetheit des von der Beklagten vorgeschlagenen INTRASIT-Systems zur Mangelbeseitigung überzeugt, so dass sich die von der Beklagten begehrte Kürzung des Vorschussanspruchs der Klägerinnen auch aus diesem Grunde verbietet.

2.

Darüber hinaus steht den Klägerinnen gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1.019,60 Euro gemäß §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB zu. Ein weitergehender Anspruch der Klägerinnen besteht allerdings nicht.

a.

Die Klägerinnen können Ersatz der Kosten für die Erstattung der beiden DEKRA-Gutachten in Höhe von 880,60 Euro sowie das zweite, im September 2014 angeschaffte Trocknungsgerät in Höhe von 139,00 Euro aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes neben der Leistung verlangen.

aa.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass sowohl die Kosten für die Beauftragung des DEKRA-Sachverständigen, als auch die Kosten für die Anschaffung des zweiten Trocknungsgeräts kausal auf dem oben festgestellten Mangel, nämlich der mangelnden Funktionsfähigkeit der Abdichtung und dem dadurch hervorgerufenen Wassereintritt in die Kellerräume der Klägerinnen beruhten.

bb.

Bei den aufgewandten Kosten handelt es sich um – im Rahmen des Schadensersatzes neben der Leistung grundsätzlich erstattungsfähige – Mangelfolgeschäden.

Die Kosten eines vom Auftraggeber eingeholten Privatgutachtens, um etwaig bereits vorhandene oder etwaig noch zu erwartende Mängel (Symptome/Erscheinungen bzw. Ursachen) festzustellen bzw. um abzuklären, welche Maßnahmen zur Mängelbeseitigung erforderlich sind, sind als Mangelfolgeschäden i.S. eines materiellrechtlichen Schadensersatzanspruchs neben der Leistung einzuordnen (vgl. BGH, Urteil vom 27.02.2003, VII ZR 338/01; OLG Düsseldorf Urt. v. 9.8.2013 – 22 U 4/13).

Auch die Kosten für das Trocknungsgerät stellen einen nach §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB erstattungsfähigen Mangelfolgeschaden dar. Denn der Einsatz des Trocknungsgeräts zielte darauf ab, die eingedrungene Feuchtigkeit bzw. die Feuchtigkeitsschäden an den Kellerwänden zu beseitigen. Sowohl die aufgetretenen Feuchtigkeitsschäden als auch die aufgewandten Kosten für das Trocknungsgerät sind durch den oben festgestellten Werkmangel (die nicht funktionierende Abdichtung) verursacht worden.

cc.

Die Erforderlichkeit der für die Anschaffung des zweiten Trocknungsgeräts aufgewandten Kosten steht zwischen den Parteien außer Streit.

Der Senat hat auch keine Zweifel an der Erforderlichkeit der für die Erstattung der DEKRA-Gutachten aufgewandten Kosten.

Soweit die Beklagte einwendet, dass die DEKRA-Gutachten deshalb untauglich seien, weil der Sachverständige T das Objekt nicht in Augenschein genommen habe, ist dieser Einwand bereits aufgrund ihres eigenen erstinstanzlichen Vortrags widerlegt. Denn die Beklagte hat in ihrer Klageerwiderung Bezug auf die Schreiben der Streithelferin zu 1.) vom 26.09.2014 (Bl. 71 d.A.) und vom 01.12.2014 genommen, ausweislich derer zwei Ortstermine stattgefunden haben, an denen u.a. der Sachverständige T teilgenommen hat. Im Übrigen hat der Sachverständige in seinen beiden an die Klägerinnen gestellten Rechnungen die Durchführung zweier Ortstermine abgerechnet.

Auch die Einwendung der Beklagten, die DEKRA-Gutachten seien deshalb untauglich, weil der Sachverständige Feststellungen getroffen habe, ohne zuvor eine Bauteilöffnung vorgenommen zu haben, vermag nicht durchzugreifen. Der Sachverständige war von den Klägerinnen – unstreitig – damit betraut, die Geeignetheit der von der Beklagten vorgeschlagenen Kellerwandinnensanierung mittels INTRASIT-System zu überprüfen und zu bewerten. Ausweislich seines Gutachtens vom 25.07.2014 (Bl. 28 f. d.A.) hat der Sachverständige festgestellt, dass das von der Beklagten vorgeschlagene Sanierungssystem ungeeignet sei, weil nicht der Mangel an sich – die aufgrund des Wassereintritts offensichtlich schadhafte Abdichtung erdberührter Teile – sondern nur das Mangelsymptom beseitigt werde. Für diese Feststellung war eine Bauteilöffnung offensichtlich nicht erforderlich; vielmehr hat der Sachverständige ausdrücklich festgehalten, dass eine Freilegung der betroffenen Außenwandbereiche lediglich für die spätere Lokalisierung der Schadstelle erforderlich sei.

Dass die von dem DEKRA-Gutachter abgerechneten Kosten unangemessen hoch wären, ist von der Beklagten weder hinreichend konkret vorgetragen worden, noch ersichtlich.

dd.

Die Beklagte hat den Mangel, der den Vermögensschaden verursacht hat, auch zu vertreten, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Sie hat sich von dem Vorwurf der zumindest fahrlässigen Herbeiführung des Mangels nicht zu entlasten vermocht.

Der einen Schaden verursachende Mangel muss auf einem Umstand beruhen, den der Unternehmer zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Das Verschulden des Unternehmers wird gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet, d.h. der Unternehmer muss darlegen und beweisen, dass er hinsichtlich des Mangels, hier der mangelhaften Abdichtung, nicht schuldhaft gehandelt hat. Soweit sich der Unternehmer zur Ausführung der Werkleistung Subunternehmern bedient, werden diese als seine Erfüllungsgehilfen i.S.v. § 278 BGB tätig (vgl. Moufang/Koos, a.a.O, § 636 Rn. 113 m.w.N.).

Die Beklagte handelte zumindest fahrlässig i.S.v. § 276 Abs. 2 BGB, wobei im Ergebnis dahinstehen kann, ob sie bzw. ihre Erfüllungsgehilfen das Werk technisch fehlerhaft ausgeführt oder den Mangel durch fehlerhafte Planung, nämlich der Wahl einer für das Gebäude der Klägerinnen ungeeigneten Abdichtungsmethode, verursacht haben.

(1)

Die Beklagte hat sich nicht mit ihrer Behauptung zu entlasten vermocht, dass die gewählte und ausgeführte Abdichtungsmethode den anerkannten Regeln der Technik entspreche. Der Senat ist, wie bereits ausgeführt, vielmehr davon überzeugt, dass die gewählte und ausgeführte Abdichtungsmethode nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht; die Vermutungswirkung der DIN 18195-6 bzw. DIN 18533 sieht der Senat als widerlegt an.

Dass der Beklagten die bereits seit vielen Jahren in Fachkreisen geführte Diskussion um die technische Geeignetheit der streitgegenständlichen Kombinationsabdichtung, auf die auch der Sachverständige U sowohl in seinen schriftlichen Gutachten als auch im Rahmen seiner Anhörung im Senatstermin hingewiesen hat, gänzlich unbekannt gewesen wäre, behauptet sie – die Beklagte – selbst nicht. Auch angesichts des bereits oben dargelegten Umstandes, dass ihre Erfüllungsgehilfin, die Streithelferin zu 1.), eingeräumt hat, dass es bei zumindest 12 der von ihr mit der Kombinationslösung abgedichteten Kellern zu Beanstandungen gekommen sei, vermag sich die Beklagte von dem Vorwurf, den Mangel zumindest fahrlässig herbeigeführt zu haben, nicht zu entlasten.

(2)

Die Beklagte kann sich auch mit ihrem Vortrag, dass es im vorliegenden Fall aufgrund von Ausführungs- oder Verarbeitungsfehlern zum Schadenseintritt bei den Klägerinnen gekommen ist, nicht entlasten.

Soweit Ausführungs- oder Verarbeitungsfehler bei Durchführung der Abdichtungsarbeiten vorgelegen hätten, wäre ein etwaig fahrlässiges Verhalten der Mitarbeiter der Streithelferinnen der Beklagten als deren Subunternehmerin gemäß § 278 BGB zuzurechnen.

Dass die für die Abdichtung verwandten Materialien herstellungsbedingt fehlerhaft gewesen wären, behauptet die Beklagte selbst nicht.

Im Übrigen hat der Sachverständige U eine herstellungsbedingte Fehlerhaftigkeit der für die Abdichtungsmethode verwandten Materialien auch nicht festgestellt. Wie bereits dargelegt, führt der Sachverständige das Versagen der streitgegenständlichen Kombinationsabdichtung auf die generelle Ungeeignetheit des Systems, das im Bereich der Verbindung zwischen WU-Betonbodenplatte und Bitumendickbeschichtung keine ausreichende Dichtigkeit erzeugen kann, zurück. Der Sachverständige hat zudem im Rahmen seiner Anhörung im Senatstermin betont, dass die Kombinationsabdichtung aufgrund der festgestellten Schwachstelle im Verbindungsbereich auch ohne Vorliegen eines Verarbeitungs- oder Ausführungsfehlers undicht sein kann.

b.

Demgegenüber besteht kein Anspruch der Klägerinnen auf Erstattung der für die Anschaffung des ersten Trocknungsgeräts aufgewandten Kosten (in Höhe von 297,50 Euro) sowie der für die Beauftragung des Energieberaters aufgewandten Kosten (in Höhe von 107,10 Euro). Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Mangel und dem im Zusammenhang mit den vorgenannten Kosten eingetretenen Vermögensschaden ist weder vorgetragen, noch ersichtlich.

Das erste Trocknungsgerät wurde ausweislich der Rechnung, Anlage K 11, Bl. 43 d.A., bereits am 24.06.2013, und damit nicht nur vor Übergabe (im Juli 2013) und vor Einzug der Klägerinnen in das streitgegenständliche Haus (im September 2013), sondern sogar vor Ausführung der streitgegenständlichen Abdichtung im Juli 2013 angeschafft. Es fehlt damit offensichtlich an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Mangel und Schaden.

Der Energieberater wurde von den Klägerinnen bereits im Dezember 2013 beauftragt (Anlage K12, Bl. 42 d.A.). Die Klägerinnen haben jedoch in erster Instanz selbst vorgetragen, das (mangelbedingte) Eindringen von Nässe erst im Juli 2014 entdeckt zu haben. Soweit die Klägerinnen im Verhandlungstermin vor dem Landgericht Bochum am 18.04.2018 angedeutet haben, schon vor Juli 2014 “Schimmelerscheinungen” in den Kellerräumen festgestellt zu haben, ist von ihnen weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass diese Erscheinungen bereits auf der mangelhaften Außenabdichtung beruhten.

3.

Der geltend gemachte Zinsanspruch folgt, soweit der Hauptanspruch besteht, aus §§ 291, 288 BGB. Die Klage ist der Beklagten am 19.09.2017 zugestellt und damit rechtshängig geworden, so dass die Beklagte zur Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen ab dem 19.09.2017 verpflichtet ist.

II.

Der Feststellungsantrag ist zulässig und – im tenorierten Umfang – begründet.

1.

Erstinstanzlich hatten die Klägerinnen – ausweislich der Klarstellung in ihrer Klageschrift vom 21.08.2017, Bl. 7 d.A. – Feststellung begehrt, dass die Beklagte zur Übernahme sowohl von künftig entstehenden Mangelbeseitigungskosten, soweit sie die aus dem Gutachten des Sachverständigen U ersichtlichen Kosten von 85.705,29 Euro übersteigen, als auch von künftig entstehenden weiteren Ansprüchen auf Zahlung von Schadensersatz wegen entgangener Nutzung der Kellerräume verpflichtet ist. Das Bestehen letztgenannter Ansprüche hat das Landgericht jedoch – rechtskräftig – bereits dem Grunde nach verneint, so dass die von den Klägerinnen insoweit begehrte Feststellung nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist.

Vor diesem Hintergrund hat die Berufung der Beklagten insoweit Erfolg, als das Landgericht einen Feststellungsanspruch der Klägerinnen hinsichtlich eines jeden, künftig durch die fehlerhafte Abdichtung noch entstehenden, über den zugesprochenen Betrag hinausgehenden Schadens angenommen hat. Der Feststellungsanspruch der Klägerinnen beschränkte sich vielmehr – angesichts der Klarstellung in ihrer Klageschrift vom 21.08.2017, Bl. 7 d.A. – allein auf die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme künftig entstehender Mangelbeseitigungskosten, soweit sie einen Betrag von 85.705,29 Euro übersteigen.

2.

Der Feststellungsantrag ist zulässig; insbesondere besteht das erforderlich Feststellungsinteresse.

a.

Zwar ist ein Feststellungsantrag für zusätzliche Kosten der Mängelbeseitigung in der Sache nicht erforderlich, weil in dem Ausspruch eines Vorschussanspruches zugleich auch die Feststellung der auf die tatsächliche Höhe der Mangelbeseitigungskosten gerichteten Zahlungspflicht enthalten ist, man also ohne weiteres aufgrund dieses Titels auch Mehrforderungen geltend machen kann (BGH, Urt. v. 25.09.2008 – VII ZR 204/07 -, juris). Dies macht aber einen dennoch gestellten Feststellungsantrag nicht unzulässig. Denn ein rechtliches Interesse ist immer dann zu bejahen, wenn der entstandene oder noch entstehende Schaden nicht bereits in vollem Umfang durch den Antrag auf Zahlung erfasst wird. Der Besteller, der – wie vorliegend – nicht zu überblicken vermag, ob der von ihm verlangte Vorschuss für die Mängelbeseitigung ausreicht, kann deshalb nicht gehindert werden, ergänzend die den Vorschuss übersteigende Kostentragungspflicht des Unternehmers feststellen zu lassen (BGH, Urt. v. 15.01.2008 – VI ZR 3/07 -, BauR 2008, 867; Urt. v. 20.02.1986 – VII ZR 318/84 -, juris). Denn einem solchen Feststellungsantrag kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine klarstellende Funktion zu und ist damit nicht unzulässig (vgl. OLG Köln, Urteil vom 31. Oktober 2018 – 11 U 166/17 -, juris).

3.

Der Antrag ist begründet, soweit ein Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses besteht. Denn es ist durchaus wahrscheinlich, dass die tatsächlich entstehenden Kosten die von dem Sachverständigen nach allgemeinen Grundsätzen kalkulierte Höhe übersteigen könnten (vgl. OLG Köln, a.a.O.).

C.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 2. HS. ZPO.

Die Kosten des Rechtsstreits waren gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 BGB der Beklagten aufzuerlegen, da die Zuvielforderung der Klägerinnen verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat.

Da der Beklagten als der von ihnen unterstützten Partei die Kosten des Rechtsstreit auferlegt wurden, tragen die Streithelferinnen die ihnen jeweils entstandenen Kosten selbst, vgl. § 101 Abs. 1 2. HS ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

D.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Der Rechtssache kommt weder eine grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts wegen der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 543 Abs. 2 ZPO.

OLG Stuttgart zu der Frage, ob Kosten für ein von der Partei beauftragtes Gutachten über Ursache und Ausmaß der eingetretenen und vielleicht noch zu erwartenden Mängel als Mangelfolgeschaden materiellrechtlich gemäß § 13 Nr. 7 VOB/B zu ersetzen sind

OLG Stuttgart zu der Frage, ob Kosten für ein von der Partei beauftragtes Gutachten über Ursache und Ausmaß der eingetretenen und vielleicht noch zu erwartenden Mängel als Mangelfolgeschaden materiellrechtlich gemäß § 13 Nr. 7 VOB/B zu ersetzen sind

Kosten für ein von der Partei beauftragtes Gutachten über Ursache und Ausmaß der eingetretenen und vielleicht noch zu erwartenden Mängel können als Mangelfolgeschaden materiellrechtlich gemäß § 13 Nr. 7 VOB/B zu ersetzen sein (vgl. BGH NJW 2002, 141 f.; BGH NJW 1971, 99 ff.;). Dieser Schaden entsteht von vornherein neben dem Nachbesserungsanspruch, weshalb eine Fristsetzung nach § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B nicht Anspruchsvoraussetzung ist (BGH NJW 2002, 141 f.). Zu ersetzen sind die (Privat-) Gutachterkosten, soweit sie im Einzelfall erforderlich waren, um dem Bauherrn ein zuverlässiges Bild über die Mängel zu verschaffen und es ihm zu ermöglichen, seine diesbezüglichen Ansprüche richtig zu beurteilen (BGH NJW 1971, 99 ff.; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 11. Auflage 2005, Rdnr. 159 ff.). Dabei kann der nicht sachkundige Auftraggeber unter Umständen sogar überhöhte Kosten der Untersuchungen durch den Sachverständigen – die objektiv nicht erforderlich waren – erstattet verlangen. Denn er muss sich grundsätzlich darauf verlassen können, dass der Sachverständige nur solche Untersuchungen durchführt, die zur zuverlässigen Beantwortung der anstehenden Fragen erforderlich sind (vgl. Ingenstau/Korbion, Kommentar zur VOB, 14. Auflage 2001, § 13 Nr. 7 VOB/B, Rdnr. 715).

OLG Stuttgart, Urteil vom 18.10.2007 – 7 U 69/07

Gründe

I.

Die Klägerin ist gewerblich auf dem Gebiet der Kanaltechnik und Kanalsanierung tätig. Sie verlangt von der beklagten Gemeinde restlichen Werklohn für Kanalsanierungsarbeiten am Kanalnetz der Beklagten. Die Beklagte ihrerseits verlangt von der Klägerin im Wege der Widerklage Schadensermittlungskosten in Zusammenhang mit Mängeln an der Werkleistung der Klägerin.

Die Klägerin hatte bereits im Jahre 1999 Kanalsanierungsarbeiten für die Beklagte durchgeführt, die abgeschlossen und bezahlt wurden. Mit Bauvertrag vom 20.06.2000 (Anlage A 1, nach Bl. 12 d.A.) wurde die Klägerin von der Beklagten mit der Durchführung weiterer Kanalsanierungsarbeiten mit einer Gesamtvergabesumme von 552.539,66 DM beauftragt. Unstreitig wurde zwischen den Parteien dabei die Geltung der VOB/B vereinbart. Gegenstand der Beauftragung war keine umfassende Gesamtsanierung des Kanalsystems, sondern die Sanierung punktueller Schäden.

Die Werkleistungen der Klägerin wurden in der Folgezeit erbracht und unstreitig von der Beklagten abgenommen. Die Klägerin erteilte unter dem 05.12.2001 Schlussrechnung (Anlage A 2, nach Bl. 12 d.A.). Diese weist nach Berücksichtigung verschiedener Teilzahlungen der Beklagten einen noch zu bezahlenden Betrag von 140.631,19 DM aus, was 71.903,58 EUR entspricht. Dieser Betrag, der mit der Klage nebst Zinsen geltend gemacht wird, wurde von der Beklagten unter Hinweis auf zahlreiche behauptete Mängel der klägerischen Werkleistung nicht bezahlt.

Die Beklagte ließ im Juni 2002 durch eine Drittfirma – die Kanal-B. GmbH, E. – die Arbeiten der Klägerin überprüfen. Dabei wurde eine Kanalbefahrung mit einer Videokamera durchgeführt. In der Folgezeit hat die Beklagte in großem Umfang Mängel an der klägerischen Werkleistung behauptet und die Mängelbeseitigungskosten auf einen Betrag von 100.978,00 EUR beziffert. Mit einem von ihr in dieser Höhe behaupteten Schadenersatzanspruch hat die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit gegen die Klagforderung aufgerechnet und den überschießenden Betrag von 29.074,42 EUR nebst Zinsen im Wege der Widerklage geltend gemacht. Daneben hat die Beklagte, ebenfalls jeweils im Wege der Widerklage, Schadensermittlungskosten in Höhe von 28.316,76 EUR geltend gemacht und Feststellung begehrt, dass die Klägerin auch den weiteren Schaden zu ersetzen habe, der durch die mangelhafte Kanalsanierung entstanden sei oder noch entstehen werde. Die Schadensermittlungskosten betreffen die von der Beklagten beauftragte Mängelermittlung und Auswertung durch die Firma E., S..

Auf die weiteren tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den behaupteten Mängeln die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 8.893,08 EUR nebst Zinsen zu bezahlen. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Auch die Widerklage wurde vom Landgericht abgewiesen. Beide Parteien haben gegen das Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt, die Beklagte zudem auch Anschlussberufung.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihren Restwerklohnanspruch, soweit dieser noch nicht zuerkannt wurde, unter Vertiefung ihres bisherigen Vortrages weiter. Sie hält die von der Beklagten geltend gemachten Schadenersatzansprüche nach wie vor weder dem Grunde noch der Höhe nach für gegeben. Die Klägerin greift insbesondere die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. zur Mangelhaftigkeit ihrer Werkleistungen an. Außerdem ist die Klägerin der Auffassung, dass etwaige Schadenersatzansprüche der Beklagten jedenfalls ohne Umsatzsteuer geschuldet wären.

Die Beklagte verfolgt mit ihrer Berufung die von ihr geltend gemachten Schadensermittlungskosten in Höhe von 28.316,76 EUR nebst Zinsen weiter. Sie hat dabei zuletzt Zahlung in Höhe eines Betrages von 12.667,20 EUR und Freistellung hinsichtlich des Restbetrages von 15.649,56 EUR verlangt. Zudem hat die Beklagte Anschlussberufung eingelegt und mit dieser eine Eventualwiderklage auf Feststellung erhoben, dass die Klägerin nach Ausführung der Mängelbeseitigungsarbeiten die anfallende Mehrwertsteuer zu erstatten habe. Die Eventualwiderklage ist für den Fall erhoben, dass die Aufrechnung gegen die Hauptforderung mit Schadenersatzansprüchen der Beklagten nur in Höhe des Nettobetrages oder nur in Höhe eines Mehrwertsteuersatzes von 16 % für begründet erachtet wird.

Die Klägerin beantragt wie folgt:

1. Das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 22. Februar 2007, Az: 3 O 516/02, wird abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, über den zuerkannten Betrag von 8.893,08 EUR nebst Zinsen hieraus von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 16. Januar 2002 hinaus weitere 63.010,50 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 16. Januar 2002 zu zahlen.

2. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Anschlussberufung wird als unbegründet zurückgewiesen.

4. Die Eventualwiderklage wird als unzulässig abgewiesen, hilfsweise als unbegründet.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Hinsichtlich der Widerklage hat die Beklagte zunächst wie folgt beantragt:

1. Das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 22.02.2007, Az: 3 O 516/02 III, wird abgeändert.

2. Auf die Widerklage der Beklagten wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 28.316,76 EUR nebst 8 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Widerklageschriftsatzes zu bezahlen.

Nunmehr beantragt die Beklagte hinsichtlich der Widerklage wie folgt:

1. Das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 22.02.2007, Az: 3 O 516/02 III, wird abgeändert.

2. Auf die Widerklage der Beklagten wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 12.667,20 EUR nebst 8 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Widerklageschriftsatzes zu bezahlen.

3. Die Klägerin wird verurteilt, die Beklagte von der Bezahlung einer Forderung in Höhe von 15.649,56 EUR der E. R. AG, S., freizustellen.

Im Rahmen ihrer Anschlussberufung beantragt die Beklagte – bedingt für den Fall, dass die Aufrechnung gegen die Hauptforderung mit Schadenersatzansprüchen der Beklagten nur in Höhe des Nettobetrages oder nur in Höhe eines Mehrwertsteuersatzes von 16 % für begründet erachtet wird -,

festzustellen, dass die Klägerin nach Ausführung der Mängelbeseitigungsarbeiten die anfallende Mehrwertsteuer zu erstatten hat.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Der ebenfalls zulässigen Berufung der Beklagten war hingegen stattzugeben. Die im Wege der Anschlussberufung zulässig erhobene Eventualwiderklage der Beklagten kommt nicht zum Tragen.

1. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Landgericht Heilbronn hat durch das angegriffene Urteil zu Recht lediglich einen Restwerklohnanspruch der Klägerin in Höhe von 8.893,08 EUR nebst Zinsen zuerkannt. Zutreffend hat das Landgericht Schadenersatzansprüche der Beklagten gegen die Klägerin in Höhe von 63.010,50 EUR bejaht. In dieser Höhe hat die Beklagte wirksam gegen die – im Ausgangspunkt unstreitige – Restwerklohnforderung aufgerechnet.

a) Die Parteien haben unstreitig die Geltung der VOB/B vereinbart. Angesichts des Datums des Vertragsschlusses (20.06.2000) ist von der Einbeziehung der VOB/B Ausgabe 1998 auszugehen. Die Anspruchsvoraussetzungen für die geltend gemachten Schadenersatzansprüche richten sich daher nach der Regelung des § 13 7 VOB/B in der damaligen Fassung. § 13 VOB/B enthält eine abschließende Regelung der Mängelrechte nach Abnahme (vgl. Palandt-Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl. 2007, § 634 BGB, Rdnr. 28). Alle Leistungen der Klägerin sind unstreitig abgenommen.

b) Nach § 13 7 Abs. 1 VOB/B 1998 setzte die Schadenersatzpflicht einen wesentlichen Mangel voraus, der die Gebrauchsfähigkeit erheblich beeinträchtigt und auf ein Verschulden des Auftragsnehmers oder seiner Erfüllungsgehilfen zurückzuführen ist.

Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung meint, der Schadenersatzanspruch nach § 13 VOB/B setze Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus, ist dies für den hier angesprochenen Bereich nicht richtig. Vielmehr regelte in der hier maßgeblichen Fassung der VOB/B lediglich § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B, dass ein ‑darüber hinausgehender, das heißt von Absatz 1 nicht erfasster, Schaden unter anderem dann zu ersetzen ist, wenn der Mangel auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht (vgl. nunmehr § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B 2002). Im Bereich von § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B 1998 war hingegen auch zum damaligen Zeitpunkt jede Form von Fahrlässigkeit haftungsbegründend.

c) Angesichts der vom Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. S. festgestellten Mängel sind die vom Landgericht zuerkannten Schadenersatzansprüche begründet. Es handelt sich durchweg um wesentliche Mängel, die die Gebrauchsfähigkeit der Bauleistung jeweils erheblich beeinträchtigen und auf ein Verschulden der Klägerin als Auftragnehmerin respektive ihrer Erfüllungsgehilfen zurückzuführen sind. Gegenstand des vorliegenden Werkvertrages war die Sanierung der Abwasserkanäle der beklagten Kommune. Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. S. hat in der als Anlage zur gutachterlichen Stellungnahme vom Mai 2005 (Bl. 206 d.A.) beigefügten Tabelle für die insgesamt 123 Schadenspositionen jeweils in Spalte 13 eine Schadensbeschreibung aufgenommen, die im landgerichtlichen Urteil (Seiten 20 ff.) für die als mangelhaft eingestuften Einzelpositionen wiedergegeben ist. Es geht ganz überwiegend um nicht fachgerechte Rohrverbindungen mit sichtbarer Feuchtigkeit, des weiteren um Risse und um Stellen mit losem Verpressmaterial. Der Sachverständige Prof.-Dr.-Ing. D. S. hat im Rahmen seiner Anhörung im Berufungsverfahren ausgeführt, dass ein sanierter Kanal die Anforderungen erfüllen muss, die an einen neuen Kanal gestellt werden. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass es sich bei den von ihm festgestellten Mängeln nicht etwa um Schönheitsfehler handelt. Die vorliegenden Mängel stellen den Erfolg der Sanierungsmaßnahmen in Frage. Bei der richtigen Wahl der technischen Verfahren wäre es – so der Sachverständige – möglich gewesen, aus technischer Sicht einen Sanierungserfolg zu erzielen. Angesichts dieser klaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bestehen weder ernsthafte Zweifel an einer erheblichen Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der Leistung noch am Verschulden der Klägerin.

d) Nicht gefolgt werden kann auch der ebenfalls in Zusammenhang mit der Frage der Mangelhaftigkeit stehenden Argumentation der Klägerin, das Landgericht habe die Rolle und die Befugnisse des Bauleiters der Beklagten, Herrn Dipl.-Ing. Ch. M., verkannt. Die Ausführungen des Landgerichts zur Frage der vertraglich geschuldeten lokalen Einzelleistungen, zur ‑sparsamen Arbeitsweise und zu Einzelweisungen sind in jeder Hinsicht klar und überzeugend. Der Senat hat diesen Ausführungen nichts hinzuzufügen.

e) Auch die mit der Berufung (erneut) vorgetragenen Einwendungen gegen die vom Sachverständigen gewählten Methodik und zum Inhalt der von ihm getroffenen Feststellungen sind nicht überzeugend.

Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. D. S. hat im Rahmen seiner Anhörung im Berufungsverfahren zunächst in grundsätzlicher Hinsicht ausgeführt, dass es heute üblich sei, Kanäle mittels einer Befahrung durch Fernsehkameras zu inspizieren. Die Auswertung dieser Befahrungen erfolgt dann in der Regel im Ingenieurbüro. Voraussetzung für tragfähige Feststellungen sei allerdings, dass die Videobänder aussagefähig sind, man also genug auf ihnen erkennen könne. Nach den klaren Darlegungen des Sachverständigen erfüllten die Videoaufnahmen, die ihm im Streitfall vorlagen, diese Voraussetzungen. Die Videoaufnahmen waren durch Geräte gefertigt, die dem Stand der Technik entsprachen. Insbesondere – so der Sachverständige weiter – entsprach auch die Ausleuchtung dem Stand der Technik. Der Sachverständige hat auch darauf hingewiesen, dass es entgegen der Auffassung der Klägerin eine feste Regel, wonach nur in Fließrichtung inspiziert werden dürfe, nicht gibt. Die Abnahmebefahrung der Klägerin wurde bei den Untersuchungen des Sachverständigen mitberücksichtigt. Die Vorgabe, dass vor Inspektionen die Innenflächen der Kanäle getrocknet sein müssen, war nach den Darlegungen des Sachverständigen ebenfalls erfüllt. Der Sachverständige hat bei alldem betont – und dies als Selbstverständlichkeit bezeichnet -, dass er seine Feststellungen unter Berücksichtigung der technischen Normen DIN EN-752-5 und DIN EN-1610 getroffen hat.

Im Weiteren hat der Sachverständige in überzeugender Weise zu den Einwendungen der Klägerin in Zusammenhang mit der Abgrenzung zwischen (bloßen) Glanzstellen und Feuchtigkeit Stellung genommen. Er hat sich, unter näherer Darstellung des Injektionsverfahrens mittel eines sogenannten Packers, erneut darauf festgelegt, dass die von ihm als Feuchtigkeitsstellen festgestellten Stellen tatsächlich feucht waren und es sich dort nicht um den sogenannten ‑Harzglanz handelte, sondern jeweils Infiltration von Wasser vorhanden war. Nachdem eine solche Festlegung nach den Ausführungen des Sachverständigen bereits anhand der vorhandenen Videoaufnahmen möglich war, bedurfte es hier auch keines Einweisungstermins.

Der Sachverständige hat schließlich auch in jeder Hinsicht nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass er anhand der Datierungen der ausgewerteten Videobänder einerseits und der Arbeitsberichte und Protokolle andererseits die Arbeitsstellen der Klägerin auf den Bändern verortet hat, um die Arbeitsergebnisse zu bewerten.

f) Das Landgericht hat auf der Grundlage der einzelnen Feststellungen des Sachverständigen die Schadensbeseitigungskosten zutreffend auf einen Gesamtbetrag von netto 52.950,- EUR addiert. Dass die Klägerin im Rahmen ihres Berufungsvortrages insoweit lediglich auf einen Betrag von 52.150,- EUR netto kommt, beruht darauf, dass die Klägerin in ihrer Auflistung die Schadensposition mit der laufenden Nummer 100 (‑Scherbenbildung im Sohlbereich ist nicht fachgerecht saniert) mit einem Nettobetrag von 800,- EUR nicht mit aufgeführt hat. Die Berechnung des Landgerichts ist demgegenüber zutreffend.

Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. S. hat im Rahmen der Berufungsverhandlung klarstellend erläutert, dass sich die Schadensbeseitigungskosten jeweils auf die konkrete Schadensstelle beziehen und lediglich in den wenigen Fällen, in denen mehrere Schadensstellen eng beieinander lagen, eine sogenannte Renovierung vorgeschlagen wurde, die dort günstiger ist als einzelne Reparaturen in jenen Bereichen. Die Beklagte erhält daher durch den Schadensausgleich keineswegs mehr als durch den ursprünglichen Auftrag, der unstreitig lediglich auf eine punktuelle Kanalsanierung (sogenannte Reparatur) ausgerichtet war.

g) Zu Recht hat das Landgericht im Rahmen der Berechnung der Schadenersatzansprüche der Beklagten jeweils die Umsatzsteuer aus den Nettobeträgen mitberücksichtigt.

aa) Dem Einwand der Klägerin, es handle sich um eine ‑echte Schadenersatzforderung, die nicht steuerbar sei, weil ein Austauschverhältnis insoweit fehle, kann nicht gefolgt werden. Beim Schadensausgleich in Geld gemäß § 13 7 VOB/B ist die Umsatzsteuer in der vorliegenden Konstellation grundsätzlich ersatzfähig (OLG München, IBR 2000, 114; vgl. Wirth in: Ingenstau/Korbion, VOB, 16. Auflage, § 13 Nr. 7 VOB/B, Rdnr. 117). Im Rahmen des Schadenersatzes werden Mängelbeseitigungskosten geltend gemacht. Es handelt sich um Aufwendungen, die der Auftraggeber selbst zur Schadensbeseitigung erbringen muss. Hierzu gehört die Umsatzsteuer (OLG München, a.a.O.). Zur Erreichung der Baumängelfreiheit fällt die Umsatzsteuer auf die erforderlichen Bauleistungen an (vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil vom 18.01.2007, 12 U 120/06, zit. nach JURIS). Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn als Schaden entgangener Gewinn oder ein merkantiler Minderwert verlangt wird (OLG München a.a.O.).

Ob die zur Mangelbeseitigung erforderlichen Bauleistungen tatsächlich ausgeführt werden, ist unerheblich. Die Regelung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, die verlangt, dass die Umsatzsteuer tatsächlich anfällt, ist schon wegen der Übergangsregelung des Art. 229 § 8 EGBGB hier nicht anwendbar. Die Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB bezieht sich im Übrigen nur auf den Schadenersatz wegen Beschädigung einer Sache. Vorliegend geht es aber gerade nicht um den Ausgleich eines Integritätsschadens.

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus Haushaltsvorschriften und einer aus diesen gegebenenfalls resultierenden Zweckgebundenheit der streitgegenständlichen Schadenersatzansprüche.

bb) Nicht im Rahmen des Schadenersatzes zu berücksichtigen ist die Umsatzsteuer im Ergebnis allerdings auch dann, wenn der Auftraggeber vorsteuerabzugsberechtigt ist. Denn dann entsteht ihm wegen § 15 UStG gar kein Schaden, weil er die zu zahlenden Mehrwertsteueranteile hinsichtlich der Schadensbehebungsmaßnahmen als Vorsteuerbetrag gegenüber dem Finanzamt wieder abziehen kann (vgl. OLG Celle, IBR 2004, 564; vgl. bereits BGH NJW 1972, 1460). Eine Vorsteuerabzugsberechtigung der beklagten Gemeinde kann aber für den hier konkret in Rede stehenden Bereich, nämlich der Sanierung des Abwasserkanalsystems, nicht festgestellt werden. Die Beklagte handelt hier nicht als Unternehmen bzw. auch nicht wie ein Unternehmen im Rahmen gewerblicher Tätigkeit. Gemäß § 2 Abs. 3 UStG sind die juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 , § 4 des Körperschaftssteuergesetzes) und ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. Die Beklagte betreibt nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vortrag die Abwasserbeseitigung als Pflichtaufgabe der Gemeinde im Wege eines sog. Regiebetriebs der Gemeinde als sog. Hoheitsbetrieb. Sie handelt demnach bei der Abwasserbeseitigung ‑hoheitlich im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG und nicht im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art. Die Abwasserbeseitigung durch Personen des öffentlichen Rechts wird seit jeher als Ausübung öffentlicher Gewalt beurteilt (vgl. BFH DB 1998, 850).

Ist damit aber die beklagte Gemeinde hier nicht als Unternehmen bzw. wie ein Unternehmen tätig, scheidet eine Vorsteuerabzugsberechtigung gemäß § 15 UStG aus.

cc) Ebenfalls zutreffend hat das Landgericht der Schadensberechnung den gegenwärtig geltenden Umsatzsteuersatz von 19 % zugrunde gelegt. Der Anspruch auf Schadenersatz in Geld bemisst sich grundsätzlich nach den Wert- und Preisverhältnissen im Zeitpunkt der Erfüllung (vgl. Palandt-Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Auflage 2007, Vorb. zu § 249 BGB, Rdnr. 174 m.w.N.). Im gerichtlichen Verfahren ist grundsätzlich von den Verhältnissen der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatrichter auszugehen, wobei die weitere Entwicklung der Nach- und Vorteile bis zur voraussichtlichen Erfüllung zu berücksichtigen ist (vgl. BGH NJW-RR 2001, 1450). Durch die Mehrwertsteuererhöhung zum 01.01.2007 ist der Schaden der Beklagten gestiegen, da sie für eine mangelfreie Herstellung des Werks nunmehr erhöhte Kosten hat. Nachdem die in Rede stehenden Schadenersatzansprüche nun Gegenstand des Berufungsverfahrens sind, ist der jetzt geltende Mehrwertsteuersatz maßgebend.

Die allein die Widerklage betreffende Berufung der Beklagten hat Erfolg.

a) Die im Schriftsatz vom 24.09.2007 enthaltene geänderte Antragstellung hinsichtlich der Widerklage begegnet keinen prozessualen Bedenken (§§ 533, 529 ZPO in Verbindung mit § 264 2 ZPO). Es handelt sich um eine qualitative Änderung des Antrages bei gleich bleibendem Klagegrund (vgl. Zöller-Greger, Zivilprozessordnung, 26. Auflage 2007, § 264 ZPO, Rdnr. 3 b m.w.N.).

b) Kosten für ein von der Partei beauftragtes Gutachten über Ursache und Ausmaß der eingetretenen und vielleicht noch zu erwartenden Mängel können als Mangelfolgeschaden materiellrechtlich gemäß § 13 7 VOB/B zu ersetzen sein (vgl. BGH NJW 2002, 141 f.; BGH NJW 1971, 99 ff.;). Dieser Schaden entsteht von vornherein neben dem Nachbesserungsanspruch, weshalb eine Fristsetzung nach § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B nicht Anspruchsvoraussetzung ist (BGH NJW 2002, 141 f.). Zu ersetzen sind die (Privat-) Gutachterkosten, soweit sie im Einzelfall erforderlich waren, um dem Bauherrn ein zuverlässiges Bild über die Mängel zu verschaffen und es ihm zu ermöglichen, seine diesbezüglichen Ansprüche richtig zu beurteilen (BGH NJW 1971, 99 ff.; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 11. Auflage 2005, Rdnr. 159 ff.). Dabei kann der nicht sachkundige Auftraggeber unter Umständen sogar überhöhte Kosten der Untersuchungen durch den Sachverständigen – die objektiv nicht erforderlich waren – erstattet verlangen. Denn er muss sich grundsätzlich darauf verlassen können, dass der Sachverständige nur solche Untersuchungen durchführt, die zur zuverlässigen Beantwortung der anstehenden Fragen erforderlich sind (vgl. Ingenstau/Korbion, Kommentar zur VOB, 14. Auflage 2001, § 13 Nr. 7 VOB/B, Rdnr. 715).

c) Das Landgericht hat im vorliegenden Fall den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der Schadensermittlungskosten zu Unrecht verneint.

Das Landgericht hat darauf verwiesen, dass die Beklagte, die über ein eigenes Bauamt verfüge, sowohl die Planung der Kanalisationsarbeiten als auch die anschließende Durchführung ‑in eigener Zuständigkeit bzw. mit dem Streithelfer als Bauleiter erbracht habe. Es hätte nach Ansicht des Landgerichts unter Schadensminderungsgesichtspunkten (§ 254 BGB) nahe gelegen und wäre ausreichend gewesen, die der Beklagten vorliegenden Videobänder von einer fachkundigen Person wie dem Streithelfer auswerten zu lassen. Die Beklagte hat hierzu indessen ausgeführt, sie verfüge zwar über ein Bauamt, aber nicht über Mitarbeiter mit einer technischen Ausbildung. Deshalb sei sie gezwungen gewesen, fachkundige Personen – wie das Landgericht zutreffend feststelle – mit der Schadensermittlung zu beauftragen, was mit der Beauftragung der auf Kanalsanierungsarbeiten spezialisierten E. mit ihren Mitarbeitern Dipl.-Ing. St. und K. geschehen sei.

Angesichts der technisch durchaus schwierigen Materie liegt es auf der Hand, dass sich die Beklagte hier externer Fachleute bedienen musste, um sich ein Bild von Art und Ausmaß der Mängel zu verschaffen und diese in den vorliegenden Rechtsstreit einführen zu können.

d) Die Widerklageforderung ist auch der Höhe nach begründet.

Der von der E. abgerechnete Stundensatz von 120,- DM bzw. 60,- EUR ist gerichtsbekannt angemessen, jedenfalls nicht überhöht. Dies zeigen nicht zuletzt auch die Stundensätze des § 9 JVEG.

Die Beklagte hat unter Vorlage von Stundenlisten (Anlagen B 20 und B 21, nach Bl. 157 d.A.) und unter Abgrenzung zu anderen von der E. durchgeführten Aufträgen (Anlage B 22, nach Bl. 157 d.A.) dargetan, dass die Ingenieure der E. im Zeitraum vom 01.09.2001 bis 30.09.2002 insgesamt 182 Stunden und im Zeitraum zwischen dem 01.10.2002 und dem 31.01.2004 224,85 Stunden mit der Mangelermittlung und Auswertung befasst waren. Ob dieser Tätigkeitsumfang für die Schadensermittlung objektiv tatsächlich erforderlich war, was die Klägerin in Abrede stellt, kann nach dem oben Gesagten letztlich offen bleiben. Die Beklagte, die über eigene Sachkunde nicht verfügt, durfte sich darauf verlassen, dass die Ingenieure der E. nur die zur Schadensermittlung erforderlichen Untersuchungen durchführen würden.

e) Die Beklagte hat durch Vorlage eines Kontoauszuges nebst Buchungsaufstellung (Anlage B 26, Bl. 473-475 d.A.) bewiesen, dass sie einen Betrag von 12.667,20 EUR an die E. AG geleistet hat. Insoweit war die Klägerin zur Zahlung zu verurteilen. Der Anspruch auf Verzinsung dieses Betrages beruht auf § 291

Soweit die Beklagte ihrerseits noch nicht an die E. AG geleistet hat, war die Klägerin zur Freistellung zu verurteilen (§ 257 BGB), wobei die Verbindlichkeit, von der freizustellen ist, zur Klarstellung im Tenor näher bezeichnet wurde.

3. Die im Wege einer Anschlussberufung erhobene Eventualwiderklage auf Feststellung, dass die Klägerin nach Ausführung der Mängelbeseitigungsarbeiten die anfallende Mehrwertsteuer zu erstatten hat, ist bedingt für den Fall erhoben, dass die Aufrechnung gegen die Hauptforderung mit Schadenersatzansprüchen nur in Höhe eines Nettobetrages oder nur in Höhe eines Mehrwertsteuersatzes von 16 % für begründet erachtet wird. Beide Bedingungen sind nicht eingetreten.

III.

Der nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung noch eingegangene Schriftsatz der Klägerin vom 10.10.2007 bot keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. In rechtlicher Hinsicht ist allerdings darauf hinzuweisen, dass eine vorbehaltlose Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB a.F. – die VOB/B enthielt insoweit keine Sonderregelung – nicht zum Ausschluss des Rechts auf Schadenersatz führte. Ausgeschlossen waren vielmehr lediglich die Rechte aus §§ 633, 634 BGB.

IV.

Die Zulassung der Revision war nicht geboten. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 ZPO. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

OLG München zur Frage der Fälligkeit des Werklohnanspruchs und der Teilabnahme bei Vertrag über die Lieferung und Erstellung eines Ausbauhauses

OLG München zur Frage der Fälligkeit des Werklohnanspruchs und der Teilabnahme bei Vertrag über die Lieferung und Erstellung eines Ausbauhauses

Enthält bei einem Vertrag über die Lieferung und Erstellung eines Ausbauhauses das Protokoll über die  „Schlussabnahme-Hausübergabe“ lediglich Feststellungen zur vertraglich geschuldeten Erstellung des Hauses selbst und nicht zur daneben vereinbarten – zum Zeitpunkt der Begehung noch nicht fertigstellten – Zusatzleistung „Technikpaket mit Betonkeller und Gas- und Brennwertheizung mit FBH inklusive Montage“, stellt sich die Unterzeichnung des Protokolls nur als Teilabnahme der Lieferung und der Errichtung des Ausbauhauses (ohne Zusatzleistungen) dar. (Rn. 20 – 25)

OLG München, Endurteil v. 15.01.2020 – 20 U 1051/19 Bau

Vorinstanz:
LG Landshut, Endurteil vom 08.02.2019 – 54 O 2698/17

Fundstellen:
ZfIR 2020, 154
BauR 2020, 1341
BeckRS 2020, 92
LSK 2020, 92
NJW-RR 2020, 594
NZBau 2020, 436

Tatbestand

I.

1
Die Parteien streiten um die Fälligkeit von Werklohnansprüchen der Klägerin und Gegenansprüche der Beklagten wegen behaupteter Mängel des Gewerks.

2
Die Parteien haben am 6. Juli/14. August 2014 einen von der Klägerin vorformulierten Vertrag über die Lieferung und Erstellung eines „m.-Ausbauhauses LifeStyle 1“ auf dem Grundstück der Beklagten mit den Zusatzleistungen „Elektropaket Keller inkl. Montage“, „Treppe Keller“ und „Technikpaket mit Betonkeller und Gas-Brennwertheizung mit FBH im EG + DG inkl. Montage“ zum Preis von € 159.680,00 geschlossen. Dieser Preis hat sich nach Vertragserweiterung um € 11.344,00 erhöht.

3
Nach Lieferung und Aufbau des Hauses durch die Klägerin wurde am 12. Februar 2016 ein „Schlussabnahme-Hausübergabe“-Protokoll (K 10) gefertigt. Die dort bezeichneten Mängel hat die Klägerin beseitigt.

4
Das von der Klägerin im Rahmen des vertraglich vereinbarten „Technikpakets mit Montage“ geschuldete Heizungs- und Sanitärpaket (vgl. Bau- und Leistungsbeschreibung Stand 06/2014, S. 23, S. 12, B 7) wurde durch Subunternehmer der Klägerin erbracht. Insoweit hat die Beklagte zu 2) am 18. Mai 2016 eine „Fertigstellungsmeldung“ (K 15) sowie ein „Druckprobenprotokoll“ (K 17) unterschrieben. In letzterem ist unter „Bemerkungen“ ausgeführt: „Sämtliche Wasser und Abwasseranschlüsse sowie Lüftungsauslässe und Heizungsverteiler wurden in Absprache mit Bauherren positioniert und montiert.“

5
Bei den montierten Heizungsverteilern handelt es sich um zwei Unterputzgeräte, die sowohl im Flur im Erdgeschoss als auch im Kinderzimmer im Dachgeschoss nicht in, sondern vor die Wand gesetzt wurden. Dies haben die Beklagten jedenfalls am 29. Juni 2016 telefonisch gegenüber der Klägerin moniert. Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 6. September 2016 (B 3) haben die Beklagten die Klägerin unter Fristsetzung zum 20. September 2016 aufgefordert, die beiden Kästen samt Verrohrung unter Putz zu setzen. Nach fruchtlosem Fristablauf haben sie ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe der doppelten Beseitigungskosten geltend gemacht (B 4, B 6). Die Klägerin hat diesbezüglich einen Mangel in Abrede gestellt (K 13).

6
Von der Forderung der Klägerin sind derzeit noch € 25.109,00 offen; eine Mahnung der Klägerin mit Fristsetzung zum 3. März 2017 (K 13) ist erfolglos geblieben. Die Beklagten haben zwischenzeitlich den Innenausbau fertiggestellt und das Haus bezogen.

7
Die Klägerin hat vor dem Landgericht behauptet, dass ein genauer Standort für die Heizkreisverteiler nicht vereinbart worden sei. Der Standort sei vor Ort festgelegt worden, wobei die Beklagten die Aufputzinstallation gewollt und die Ordnungsgemäßheit der Arbeit mit der „Fertigstellungsmeldung“ (K 15) bestätigt hätten. Sie hat die Auffassung vertreten, dass damit, jedenfalls aber durch die nachfolgende Herstellung des Innenausbaus durch die Beklagten, das Gewerk abgenommen worden sei.

8
Die Beklagten haben vorgebracht, dass die Heizkreisverteiler vertragswidrig gesetzt worden seien, die falsche Montage sei dem zuständigen Mitarbeiter der Klägerin sofort telefonisch gemeldet worden. Abgesehen vom optisch ungünstigen Eindruck schlage der auf Putz montierte Unterputzverteiler im Erdgeschoss an die Haustüre an. Zur Mängelbeseitigung seien € 12.554,50 erforderlich.

9
Auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils und die dort gestellten Anträge wird ergänzend Bezug genommen.

10
Mit Endurteil vom 8. Februar 2019 hat das Landgericht nach Vernehmung der Zeugen S., D. und J. die Beklagten zur Zahlung des Restwerklohns in der unstreitigen Höhe von € 25.109,00 nebst Zinsen verurteilt und das Bestehen des von den Beklagten geltend gemachten Zurückbehaltungsrechts verneint. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass u.a. hinsichtlich der Montage der Unterputzkreisverteiler auf und nicht in den Wänden ein Mangel vorliege, ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten allerdings daran scheitere, dass sie das Werk vorbehaltlos abgenommen hätten. Eine Abnahme könne bereits in der am 12. Februar 2016 erklärten Schlussabnahme gesehen werden. Auch wenn sich aus der „Fertigstellungsmeldung“ und dem „Druckprobenprotokoll“ keine Abnahme ergebe, sei zudem eine stillschweigende Abnahme anzunehmen. Denn die Beklagten hätten unstreitig nach Einbringung der Heizkreisverteiler den Innenausbau hergestellt, insbesondere den Estrich eingebracht. Offensichtlich sei die Positionierung der Heizkreisverteiler nicht schriftlich gerügt worden.

11
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung erstreben die Beklagten die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils. Sie machen insbesondere geltend, dass eine stillschweigende Abnahme nicht angenommen werden könne. Das Landgericht habe nicht beachtet, dass, wie auch die Vernehmung des Zeugen D. ergeben habe, die Beklagten die Positionierung der Heizverteiler sofort gerügt hätten.

12
Die Beklagten beantragen zuletzt,

1.
Das Urteil des LG Landshut vom 8.02.2019, Az. 54 O 2698/17, wird aufgehoben.

2.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin € 25.109,00 zu zahlen Zug um Zug gegen Versetzen der Heizkreisverteiler samt Verrohrung im Anwesen K. 12b in … G., gelegen im DG und EG, unter Putz.

Hilfsweise: Die Klage wird kostenpflichtig abgewiesen.

13
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt,

Kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung.

14
Sie macht geltend, dass das Landgericht fehlerhaft einen Mangel angenommen habe. Denn der Klagepartei habe es frei gestanden, die Verteiler dort zu positionieren, wo sie letztendlich auch montiert wurden. Zumindest hätte das Landgericht zu dieser Frage einen Sachverständigen hinzuziehen müssen. Ausweislich der am 12. Februar 2016 erklärten Schlussabnahme (K 10) sei das Werk abgenommen worden, jedenfalls stellten die „Fertigstellungsmeldung“ (K 15) und das „Druckprobenprotokoll“ (K 17) eine zulässige rechtsgeschäftliche Teilabnahme dar.

15
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.

16
Die zulässige Berufung der Beklagten hat im Hilfsantrag Erfolg. Das Urteil des Landgerichts war aufzuheben und die Klage als derzeit unbegründet abzuweisen.

17
Der Vertrag vom 6. Juli/14. August 2014 (K 1) über die Lieferung und Erstellung des Fertighauses auf dem Grundstück der Beklagten nebst Zusatzleistungen ist rechtlich als Werkvertrag einzuordnen. Denn die Klägerin hat nicht nur die Verpflichtung zur Übereignung von Fertigelementen übernommen, sondern auch die das Gesamtbild des Vertrags prägende Verpflichtung zur Herstellung bzw. Errichtung des Bauwerks (vgl. Palandt, BGB, § 650 Rn. 5 mwN).

18
Die unstreitig noch offene Werklohnforderung in Höhe von € 25.109,00 ist noch nicht fällig.

19
a) Eine Fälligkeit gemäß § 641 BGB ist wegen berechtigter Verweigerung der Abnahme des Gewerks „Heizung“ nicht gegeben.

20
aa) Abnahme ist die Anerkennung eines Werks als in der Hauptsache vertragsgemäße Leistung verbunden mit einer – soweit möglich – körperlichen Entgegennahme im Rahmen der Besitzübertragung (Palandt, BGB, § 640 Rn. 3 mwN). Soweit vertraglich vereinbart, ist auch eine Teilabnahme möglich, § 641 Abs. 1 Satz 2 BGB. Darüber hinaus steht es dem Besteller frei, solche Teile eines Werkes vor Fertigstellung des Gesamtwerkes abzunehmen, die sich bei natürlicher Betrachtungsweise abtrennen lassen und insoweit eine sinnvolle selbständige Einheit darstellen (MünchKom BGB, § 640 Rn. 23).

21
bb) Eine ausdrückliche Abnahme des Gewerks Heizung im vorstehenden Sinn hat nicht stattgefunden. Entgegen der Ansicht der Klägerin stellt weder die „Schlussabnahme – Hausübergabe“ (K 10), noch die „Fertigstellungsmeldung“ (K 15), noch das „Druckprobenprotokoll“ (K 17) eine Abnahme in Bezug auf die Positionierung der Heizkreisverteiler dar.

22
(1) Die „Schlussabnahme-Hausübergabe“ (K 10) vom 12. Februar 2016 bezog sich, wie sich aus dem Text dieses Protokolls ergibt, ausschließlich auf die vertraglich geschuldete Erstellung des Hauses selbst und nicht auf die daneben vereinbarten Zusatzleistungen. Zweck der gemeinsamen Begehung am 12. Februar 2016 war ausweislich des Protokolls (K 10) ausschließlich die „Abnahme des Hauses.“ Demgemäß haben die Besteller auch lediglich erklärt, dass „sich das Haus in einem sach- und fachgerechten Zustand befindet.“ Im Einklang hiermit wurde bei dieser Abnahme auch nur das Haus von außen (Dacheindeckung, Dachrinne, äußere Holzteile, Fenster, Türen, Wände) und von innen (Wände, Sauberkeit, Dachstuhl) geprüft.

23
Die daneben vertraglich geschuldeten Zusatzleistungen in Gestalt jedenfalls des „Technikpakets mit Betonkeller und Gas- und Brennwertheizung mit FBH im EG und DG inkl. Montage“ wurden ausweislich des Protokolls im Termin vom 12. Februar 2016 weder thematisiert noch geprüft, und auch – sofern mit der Erbringung der Zusatzleistungen überhaupt schon begonnen worden war – erst im Mai 2016 fertiggestellt.

24
Die Unterzeichnung des Protokolls (K 10) stellt sich deshalb nur als Teilabnahme, d.h. als Billigung lediglich eines Teils der Leistung, nämlich der Lieferung und der Errichtung des Ausbauhauses, als vertragsgemäße Leistung dar und beinhaltete ersichtlich nicht auch die Billigung der vereinbarten, noch nicht erbrachten Zusatzleistungen. Insoweit war aus der Sicht beider Vertragspartner auch noch keine Abnahmesituation gegeben.

25
Soweit die Klägerin meint, mit der Teilabnahme vom 12. Februar 2016 hätten die Beklagten die Abnahme sämtlicher, insbesondere auch der noch nicht erbrachten oder fertiggestellten Leistungen erklärt, geht dies fehl. Denn die Erklärung der Beklagten bezog sich ausweislich des Protokolls (K 10) nur auf bestimmte, genau bezeichnete Komponenten des Hauses bzw. insgesamt auf die Ordnungsgemäßheit von dessen Errichtung. Eine ausdrückliche Abnahme von anderen, im Anschluss an die Errichtung des Hauses zu erbringenden Leistungen war hiermit ersichtlich nicht verbunden.

26
Aus dem von der Klägerin zitierten Urteil des Oberlandesgerichts München (9 U 2533/11, NJW 2012, 397 ff.) ergibt sich nichts anderes. Vielmehr ist der dortige Sachverhalt mit dem hiesigen nicht vergleichbar. Denn anders als hier haben die Besteller in dem zitierten Verfahren in Kenntnis und unter Auflistung der fehlenden Leistungen und der Mängel ausdrücklich die Abnahme des gesamten Vertragsgegenstands erklärt. Derartiges ist – wie vorstehend ausgeführt – vorliegend jedoch nicht geschehen.

27
(2) Die „Fertigstellungsbescheinigung“ (K 15) lässt bereits keinen Willen der Beklagten erkennen, das Werk als vertragsgemäß zu billigen. Im Übrigen unterscheidet auch das von der Klägerin verwendete Vertragsformular (K 1) in § 7 Nr. 1 Satz 5 zwischen der schriftlichen Mitteilung über die Fertigstellung und der Abnahme, woraus erhellt, dass auch die Klägerin einer Fertigstellungsbescheinigung keine Abnahmewirkung beimisst.

28
(3) Soweit im „Druckprobenprotokoll“ (K 17) vermerkt ist, dass die Heizverteiler „in Absprache“ mit den Bauherrn positioniert worden seien, beinhaltet dies ebenfalls keine Billigung des Werks als vertragsgemäß durch die Beklagten. Denn die Positionierung erfolgte nach Angaben des Handwerkers, des Zeugen S., hier deshalb wie geschehen, weil Elektroleitungen und Wände eine andere Positionierung nicht zuließen (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2018, S. 2 f., Bl. 64 f.). Erklären sich die Besteller in einer solchen Situation zunächst mit der Montage einverstanden, liegt darin ersichtlich noch nicht die Billigung des Werks als vertragsgemäß.

29
cc) Auch eine stillschweigende Abnahme des Gewerks scheidet aus.

30
Die Beklagten haben unstreitig zeitnah Mängelrüge wegen der Positionierung der Heizverteiler erhoben. Die Klägerin ist der Darstellung der Beklagten, sie hätten die Positionierung der Heizverteiler sofort telefonisch bei der Klägerin moniert, nicht entgegengetreten.

31
Dem Weiterbau durch die Beklagten kann kein Erklärungswert beigemessen werden (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2019, VII ZR 274/17, BeckRS 2019, 3733 Rn. 31).

32
dd) Die Beklagten haben die Abnahme mit Recht verweigert, da die Positionierung der Heizkreisverteiler mangelhaft ist, § 633 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist auch ohne besondere Sachkunde für jedermann offensichtlich, dass die Anbringung der von der Klägerin als geschuldet gelieferten Unterputzverteiler auf Putz weder üblich ist noch von den Bestellern erwartet werden kann.

33
Ihre Behauptung, die Beklagten hätten die Aufputzmontage ausdrücklich gewollt, konnte die Klägerin nicht nachweisen. Der Zeuge S. hat Derartiges nicht bestätigt (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2018, S. 3, Bl. 65).

34
Angesichts der nicht nur optischen Beeinträchtigung durch die fehlerhafte Positionierung der Heizverteiler, sondern des durch Lichtbilder (B 2) nachgewiesenen Umstands, dass der auf Putz montierte Heizverteiler im Eingangsbereich im Erdgeschoss das Öffnen der Haustüre behindert, liegt kein nur unwesentlicher Mangel vor.

35
b) Dass die Werklohnforderung wegen einer wirksamen Vereinbarung der Parteien unabhängig von einer Abnahme fällig geworden wäre, hat die Klägerin schon nicht behauptet.

36
Solches ergibt sich auch nicht aus dem vorgelegten Werkvertrag (K 1). Zwar enthält § 3 Ziffer 1 dieses Vertrages Regelungen zum Fälligwerden bestimmter Prozentsätze des Werklohns abhängig vom Stadium der Leistungserbringung. Allerdings verweist dieser Vertragspunkt gleichzeitig auf die Abnahme durch den Bauherrn und „die nach Abnahme fällige Zahlung“, so dass die im Zahlungsplan geregelten Fälligkeiten ersichtlich erst nach erfolgter Abnahme eingreifen. Jedenfalls aber gehen Unklarheiten zu Lasten des Verwenders.

37
c) Ein Fall einer Fälligkeit der Werklohnforderung ohne Abnahme ist nicht gegeben. Vielmehr begehren die Beklagten nach wie vor die Erfüllung des Vertrags durch die Klägerin, so dass zwischen den Parteien (noch) kein bloßes Abrechnungsverhältnis entstanden ist (vgl. Palandt, BGB, § 634 Rn. 6).

III.

38
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

39
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

40
Der Streitwert entspricht dem Wert des Interesses der Berufungsführer.

OLG Hamm zur Frage des Bestehens einer Rechtsgemeinschaft im Sinne von § 741 BGB, wenn Grundstückseigentümer über ein einheitliches, die gemeinsamen Grundstücksgrenzen überschreitendes Enwässerungsrohrsystem verfügen

OLG Hamm zur Frage des Bestehens einer Rechtsgemeinschaft im Sinne von § 741 BGB, wenn Grundstückseigentümer über ein einheitliches, die gemeinsamen Grundstücksgrenzen überschreitendes Entwässerungsrohrsystem verfügen

Zwischen Eigentümern von Grundstücken besteht auch ohne eine entsprechende Vereinbarung eine Rechtsgemeinschaft im Sinne von § 741 BGB, wenn sie über ein einheitliches, die gemeinsamen Grundstücksgrenzen überschreitendes Entwässerungsrohrsystem verfügen.

OLG Hamm, Urteil vom 08.11.2012 – I-5 U 100/12

Gründe

I.

Der Kläger ist (Erst)Eigentümer eines Reihenendhauses im H in E. Die Beklagten sind (seit 1970) Eigentümer des in der gleichen Reihe stehenden Reihenendhauses H-Weg. Zwischen den beiden Häusern steht das im Eigentum des an diesem Rechtsstreit nicht beteiligten Herrn N stehende Reihenmittelhaus (H-Weg 3). Alle drei Häuser, die über einen im Eigentum der drei vorgenannten Parteien stehenden Privatweg mit dem öffentlichen H-Weg verbunden werden, haben seit ihrer Errichtung im Jahr 1961 eine gemeinsame Abwasserleitung. Die Abwässer der jeweiligen Häuser werden durch eine vom jeweiligen Haus wegführende separate Leitung (Zuleitung) in eine gemeinsame Grundleitung geführt. Diese Grundleitung verläuft parallel zum vorgenannten Privatweg entlang der Grundstücksgrenze durch alle drei Grundstücke; die Einleitung der Abwässer der einzelnen Häuser erfolgt auf den jeweiligen Grundstücken. Die Abwässer werden dann durch die Grundleitung – Fließrichtung Haus 1 zu Haus 5 – in einen im Grundstück des Hauses 5 liegenden Revisionsschacht eingeführt von wo aus sie dann in das öffentliche Netz in der Straße T-Weg laufen. Die Häuserreihe befindet sich zwischen den Straßen T-Weg und H-Weg, die Erschließung erfolgt über den besagten Privatweg zu der Straße H-Weg wobei das Haus des Klägers (Nr. 5) am Ende und das Haus der Beklagten (Nr. 1) am Anfang des Privatweges liegt; das Grundstück, auf welchem der Privatweg liegt, steht zu je 1/3 im Eigentum der vorgenannten Grundstückseigentümer. Auch das Oberflächenwasser dieses Weges wird über das gemeinsame Abwassersystem abgeleitet; der “Gullydeckel” befindet sich vor dem Reihenmittelhaus (Eigentum N) und das in diesen einlaufende Wasser wird durch einen durch das Grundstück des Herrn N laufenden Kanal ebenda in die Grundleitung geführt.

Eine Eintragung von Dienstbarkeiten ist nicht erfolgt. Zur näheren Beschreibung der Örtlichkeiten wird auf die zur Akte gereichten Skizzen Bl. 6, 21, 27, 52, 60 BA, 54 GA Bezug genommen.

Im Jahr 2001 kam es erstmals zu Problemen mit der Abwasserleitung in Form einer nicht näher beschriebenen Verstopfung der gemeinsamen Grundleitung. Die damaligen Reparaturkosten sowie die Kosten einer weiteren Reparatur im Jahr 2005 (Rechnung vom 21.10.2005), wurden zu gleichen Teilen zwischen den drei Eigentümern geteilt.

Am 17.11.2006 kam es zu einer erneuten Verstopfung der gemeinsamen Grundleitung; wie auch in den Jahren zuvor beauftragten die hiesigen Beklagten die Fa. Rohrreinigung U H2 mit den Beseitigungsarbeiten und zahlten im Anschluss an die Arbeiten auch die Rechnung vom 23.11.2006 in Höhe von 384,54 €. Der hiesige Kläger weigerte sich diesmal, den von ihm eingeforderten Anteil i.H.v. 1/3 (= 128,18 €) an die Beklagten zu erstatten, so dass die hiesigen Beklagten am 15.10.2007 Klage vor dem Amtsgericht Dortmund über einen Betrag von 128,18 € erhoben (Az: 417 C 10054/07). Nachdem im Rahmen von Vergleichsbemühungen der Kanal am 19.02.2008 einer TV-Kamera Untersuchung durch die Fa. U H2 (Kosten laut Rechnung vom 20.02.2008: 978,18 €) zugeführt wurde, hat das Amtsgericht, nachdem ein Vergleich nicht zustande kam, die Klage mit den Parteien am 19. bzw. 20.06.2008 zugestelltem Urteil abgewiesen (Bl. 70 ff der vorgenannten Gerichtsakte). Das Landgericht Dortmund hat mit Berufungsurteil vom 23.01.2009 (Az. 17 S 167/08) der Klage in Höhe von 76,91 € stattgegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in den  vorgenannten Urteilen Bezug genommen.

Bereits am 03.12.2007 – also knapp 2 Monate nach Klageeinreichung im vorgenannten Verfahren – war es zu einer erneuten Verstopfung der Abwasserleitung gekommen. Die in der Rechnung der Fa. U H2 vom 04.12.2007 von den hiesigen Beklagten erhobenen Kosten v. 314,76 € teilten die Parteien nach Abschluss des vorgenannten Verfahrens nach Maßgabe des (Berufungs)Urteils des Landgerichts Dortmund vom 23.01.2009. Entsprechend wurde mit den Kosten der im Rahmen des Verfahrens eingeholten TV-Untersuchung verfahren (vgl. Bl. 33 ff GA), die ebenfalls zunächst durch die hiesigen Beklagten verauslagt wurden. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden diverse Undichtigkeiten und erhebliche Betonablagerungen im Bereich zwischen den Grundstücken Nr. 3 (Reihenmittelhaus N2 und Nr. 5 (hiesiger Kläger) festgestellt (Bl. 37 ff BA). Sanierungsmaßnahmen erfolgten im Nachgang zu dieser Untersuchung jedoch zunächst nicht.

Mit Schreiben seiner damaligen Prozessbevollmächtigten (vorgenanntes Gerichtsverfahren) vom 11.05.2009 erklärte der Kläger, er sei nicht weiter bereit, dass die Abwässer der Beklagten – sowie des Grundstücks Nr. 3 – über sein Grundstück geleitet würden. Vor dem Hintergrund, dass die Abwasserleitung ausweislich der Kamerauntersuchung ohnehin ausgewechselt werden müsse, forderte er die Beklagten auf, ihr Abwasser über einen eigenen Abfluss in den öffentlichen Kanal in die Straße H-Weg zu leiten. Mit Schreiben seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 28.10.2010 kündigte der Kläger sodann den “nachbarrechtlichen Duldungsvertrag” und forderte die Beklagten auf, bis zum 30.11.2010 für eine anderweitige Entwässerung ihres Grundstücks zu sorgen. Zugleich wurde erklärt, bei fruchtlosem Fristablauf das einem Klageverfahren voranzustellende Schlichtungsverfahren durchführen sowie einen Nutzungsersatz fordern zu wollen.

Am 28.04.2011 fand zwischen den Parteien – eingeleitete durch den Kläger – ein Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann statt. Im Rahmen dieses Termins erklärten die Beklagten, sie würden für die Herstellung einer eigenen Abwasserleitung sorgen. Das Schiedsverfahren endete letztlich erfolglos.

Der Kläger beabsichtigt nunmehr eine Kanalsanierung durchzuführen. Zwecks Erstellung eines Angebots hat der Kläger zunächst eine Kanaluntersuchung in Auftrag gegeben. Die beauftragte Fa. H1 hat für diese am 24.06.2011 durchgeführte Untersuchung 385,56 € berechnet (Rechnung vom 24.06.2011, Bl. 13 GA). Nach den sodann erstellten Angeboten der Fa. H1 (Angebot vom 24.06.2011, Bl. 5 f GA) und der Fa. U2 (Angebot vom 15.08.2011, Bl. 7 GA) ergibt sich ein Sanierungsaufwand in Höhe von insgesamt 10.742,13 €. Der weitere Eigentümer, Herr N, hat seine Zustimmung zu einer entsprechenden Sanierung mit Schreiben vom 15.08.2011 (Bl. 8 GA) erteilt. Die Beklagten haben es mit Schreiben der bevollmächtigten “Haus & Grund” vom 13.09.2011 (Bl. 11 GA) abgelehnt, sich an der Sanierung zu beteiligen. Dabei wurde die Erklärung der Beklagten im Rahmen des Schlichtungsverfahrens Bezug genommen und mitgeteilt, dass die Arbeiten zur Erstellung eines eigenen Anschlusses in Auftrag gegeben worden seien und unmittelbar bevor stünden. Des Weiteren sprachen die Beklagen darin ihrerseits die Kündigung des bestehenden Duldungsvertrages betreffend die Frischwasser- und Stromleitung aus (vgl. nachstehende Ausführungen). 

Die Beklagten, die bereits im März 2011 entsprechende Angebote eingeholt hatten, hatten zu diesem Zeitpunkt bereits die Fa. U GmbH & Co. Erdbau KG mit der Herstellung einer eigenen Abwasserleitung beauftragt (vgl. Auftragsbestätigung vom 28.06.2011, Bl. 38 f GA). Die Arbeiten wurden vom 17. -19. Oktober 2011 durchgeführt; seit dem 19.10.2011 sind die Beklagten mit ihrem Hausgrundstück nicht mehr an die gemeinsame Abwasserleitung angeschlossen. Die Beklagten haben für diese Maßnahme 15.597,97 € (vgl. Rechnung vom 20.10.2011, Bl. 40 f GA) aufgewandt.

Unstreitig wird das Oberflächenwasser des – gemeinsamen – Privatweges nach wie vor in den Grundkanal geführt und über den auf dem Grundstück des Klägers liegenden Revisionsschacht in den öffentlichen Kanal in der Straße T-Weg geleitet.

Neben der Abwasserleitung verlaufen auch die Versorgungsleitungen für Frischwasser und Strom von Beginn an über die drei Grundstücke. Der Hauptanschluss, das heißt der öffentliche Anschluss mit welchem die Grundstücke derzeit verbunden sind, befindet sich in der Straße H-Weg. Wie bereits ausgeführt, kündigte die Beklagten mit Schreiben vom 13.09.2011 (Bl. 11 f GA) den “Duldungsvertrag” im Hinblick auf die Frischwasser- und Stromleitung soweit diese, den Kläger versorgenden Leitungen, über das Grundstück der Beklagten verlaufen. Gleichzeitig wurde der Kläger aufgefordert, die Leitungen bis zum 31.12.2011 zu entfernen. Mit Schreiben vom 29.09.2011 (Bl. 93 GA) führte die Fa. E, als Versorgungsträgerin, aus, dass es sich bei den über das Grundstück der Beklagten laufenden Strom- und Wasserleitungen nicht um Privatleitungen sondern um im Eigentum der Fa. E stehende Leitungen handele, die der gesetzlichen Regelung der Niederspannungsanschlussverordnung und der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser unterfielen. Es bestünde eine Duldungspflicht nach § 12 Abs. 1 NAV und § 8 Abs. 1 AVBWasserV gegenüber dem Netzbetreiber, der Fa. DEW21.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagten müssten sich an der Kanalsanierung zu 1/3 beteiligen da die Parteien betreffend die Abwasserleitung eine Rechtsgemeinschaft i.S.v. §§ 741 ff BGB bilden würden. Dies ändere sich auch nicht dadurch, dass die Beklagten nunmehr eine eigene Abwasserleitung hätten. Ebenso hätten sie anteilig die Kosten der vorherigen Kanaluntersuchung zu tragen.

Er hat weiter die Ansicht vertreten, ihm stehe im Hinblick auf die Frischwasser- und Stromversorgungsleitungen ein Notleitungsrecht zu, da die Baukosten für die Herrichtung einer eigenen Versorgung außer Verhältnis stünden. Das Begehren der Beklagten sei rechtsmissbräuchlich. Er habe aufgrund des Kündigungsschreibens der Beklagten vom 13.09.2011 ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Das Schreiben der Fa. E ändere daran nichts.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, ihre Zustimmung zur Sanierung der Abwasserkanalanlage der Grundbesitzungen H-Weg bis 5 in …2 E entsprechend dem Angebot der Fa. Rohrreinigung H1 vom 24.06.2011 und dem Angebot der U2 GmbH & Co. KG vom 18.05.2011 zu erteilen,

festzustellen, dass die Beklagten es weiterhin zu dulden haben, dass die Frischwasserleitung sowie die Stromleitungen, welche zu dem klägerischen Hausobjekt H in …2 E führen, über das Grundstück des Beklagten, H-Weg, dortselbst, verlaufen,

die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 128,52 € zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben unter Vorlage einer Rechnung der Fa. U H2 vom 22.05.2001 (Bl. 30 f GA) über 4.312,24 €, überzeichnet mit “Teilerneuerung der defekten Grundleitung (Rohrbruch, Muffenversätze)” behauptet, sie hätten nach der ersten Verstopfung der Abwasserleitung im Jahr 2001 sämtliche auf ihrem Grundstück gelegenen Leitungen vollständig auf eigene Kosten sanieren lassen. Die auf ihrem Grundstück verlaufenden Leitungen seien daher in Ordnung. Daher müssten sie sich auch nicht an der erneuten Kanaluntersuchung beteiligen. Sanierungsbedürftig seien die Leitungen nur durch die erheblichen Betonablagerungen zwischen den Grundstücken Nr. 3 und 5. Damit hätten sie nichts zu tun. Infolge der Erstellung eines eigenen Anschlusses seien sie nicht mehr verpflichtet, sich an den Sanierungskosten zu beteiligen.    

Zudem sei durch das Berufungsurteil des Landgerichts Dortmund vom 23.01.2009 festgestellt worden, dass eine gemeinschaftliche Bindung aller drei Grundstücksparteien gem. § 741 ff BGB nicht gegeben sei.

Mit ihrem Klageerwiderungsschriftsatz vom 05.01.2012 haben die Beklagten ausgeführt, die Kündigung betreffend die Versorgungsleitungen sei erfolgt, da sie eine Gesamttrennung der Grundstücke für sinnvoll erachtet hätten. Durch die Ausführungen der Fa. E habe sich dieses Begehren jedoch erledigt; der Anspruch werde nicht weiter verfolgt. Sie haben infolgedessen die Ansicht vertreten, dass das für den Feststellungsantrag erforderliche Rechtsschutzbedürfnis nicht mehr gegeben sei, da der Anspruch infolge des Schreibens der Fa. DEW21 nicht mehr weiterverfolgt werde.

Das Landgericht hat die Klage im Hinblick auf die Anträge zu 1) und 2) vollumfänglich abgewiesen; dem Antrag zu 3) hat es i.H.v. 96,39 € stattgegeben. Zur Begründung führt es aus:

Die Parteien würden in Bezug auf die Abwasserleitung keine Rechtsgemeinschaft i.S.d. § 741 BGB bilden. Da die Grundleitung über die jeweiligen Grundstücke verliefe, stünde sie als wesentlicher Bestandteil der jeweiligen Grundstücke gem. § 94 BGB in ihren Teilstücken im Eigentum des jeweiligen Grundstückseigentümers. Da die Entwässerung des Privatweges nicht über das (Haus)Grundstück der Beklagten erfolge, sondern das Wasser unstreitig auf dem (Haus)Grundstück des Herrn N in die Grundleitung eingeleitet werde, seien die Beklagten bzw. der in ihrem Eigentum stehende Teil der Grundleitung von diesem Wasser nicht betroffen. Zudem sei eine Gemeinschaft, sollte eine solche bestanden haben, durch die Erstellung einer eigenen Leitung seitens der Beklagten, aufgehoben.

Der Feststellungsantrag sei zulässig aber unbegründet. Der Kläger könne sich nicht auf ein Notleitungsrecht i.S.d. § 917 BGB berufen, da dieser schon nicht behauptet habe, seinem Grundstück fehle die Verbindung zu einem öffentlichen Weg.

An den Kosten der Kanaluntersuchung hätten die Beklagten sich zu 25% zu beteiligen. Der Anspruch ergebe sich aus §§ 677, 683, 670 BGB.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im angegriffenen Urteil Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers. Er vertritt unter Bezugnahme auf seinen gesamten erstinstanzlichen Vortrag weiterhin die Ansicht, die Parteien des Rechtsstreits und der weitere Eigentümer N bildeten eine Rechtsgemeinschaft. Diese könne eine Partei nicht einseitig aufheben. Zudem nutzten auch die Beklagten die gemeinsame Anlage noch für die Entwässerung des Privatweges. Letztlich sei der Sanierungsbedarf auch vor der Erstellung einer eigenen Entwässerung durch die Beklagten entstanden, so dass diese bereits aus diesem Grund an den Kosten – entstanden quasi in der Vergangenheit durch eine Nutzung über einen Zeitraum von 50 Jahren – beteiligen müssten. Das Landgericht habe zu Unrecht eine Kostentragungspflicht von nur 25 % angenommen; diese betrage 1/3.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 06.06.2012, Az. 25 O 594/11, wie folgt abzuändern:

die Beklagten werden verurteilt, ihre Zustimmung zur Sanierung der Abwasserkanalanlage der Grundbesitzungen H-Weg bis 5 in …2 E entsprechend dem Angebot der Fa. Rohrreinigung H1 vom 24.06.2011 und dem Angebot der U2 GmbH & Co. KG vom 18.05.2011 zu erteilen,

festzustellen, dass die Beklagten es weiterhin zu dulden haben, dass die Frischwasserleitung sowie die Stromleitungen, welche zu dem klägerischen Hausobjekt H in …2 E führen, über das Grundstück des Beklagten, H-Weg, dortselbst, verlaufen,

die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an ihn 32,13 € zu zahlen.

Die Beklagten legen Anschlussberufung ein und beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

In erster Linie verteidigen sie das angefochtene Urteil und vertreten, unter Berufung auf ihren gesamten erstinstanzlichen Vortrag, weiterhin die Ansicht, dass es nie eine Rechtsgemeinschaft zwischen den Parteien gegeben habe. Da die Beklagten den Teil der (gemeinsamen) Abwasserleitung, der auf ihrem Grundstück liege, nicht mehr nutzten, weder für die Entwässerung des Hausgrundstücks noch für die Entwässerung des Weges, seien sie nicht verpflichtet, sich an den Sanierungskosten zu beteiligen.

Ihrer Ansicht nach sei im Hinblick auf den Feststellungantrag bereits kein Feststellungsinteresse des Klägers gegeben.

Im Hinblick auf den Klageantrag zu 3) vertreten die Beklagten die Ansicht, dieser sei insgesamt abzuweisen. Der Kläger habe – insoweit unstreitig – vor der Kanaluntersuchung keine Einwilligungserklärung der Beklagten zu dieser Maßnahme eingeholt. Dies sei, so die Beklagten, widersprüchlich, da er vor der Sanierung ja auch die Zustimmung – nämlich mit der vorliegenden Klage zu 1) – einhole. Zum anderen sei die Kanaluntersuchung nicht notwendig gewesen, da die Leitung, soweit sie auf ihrem Grundstück liege, in Ordnung sei.    

II.

Die zulässige Berufung ist begründet; die zulässige Anschlussberufung ist unbegründet.

Die Klage ist zulässig und vollumfänglich begründet.

1.

Der unter Ziffer 1) der Klage erhobene Anspruch, gerichtet auf die Zustimmung der Beklagten zu der beabsichtigten Kanalsanierung, ist aus § 744 Abs. 2 BGB begründet. Denn die Parteien bilden eine  Bruchteilsgemeinschaft im Sinne der §§ 741 ff BGB. Nach § 744 Abs. 2 BGB kann jeder Teilnehmer die Einwilligung der/des Anderen zu notwendigen Erhaltungsmaßnahmen des gemeinschaftlichen Gegenstandes auch bereits im Voraus verlangen.

Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, besteht zwischen Eigentümern von Grundstücken auch ohne eine entsprechende Vereinbarung eine Rechtsgemeinschaft im Sinne des § 741 BGB, wenn sie über ein einheitliches, die gemeinsamen Grundstücksgrenzen überschreitendes Entwässerungsrohrsystem verfügen (vgl. zuletzt Urteil v. 26.01.2012, Az. 5 U 133/11 und davor: OLGR Hamm 1994, 251 f und 35 f). Diese Konstellation ist auch im vorliegenden Fall gegeben. Denn auf allen drei Grundstücken verlaufen Entwässerungsrohre, die in eine gemeinsame über/durch sämtliche Grundstücke verlaufende Grundleitung münden, die unstreitig als gemeinschaftliche Anlage – nämlich als einheitliches Rohrsystem – beim Bau der Reihenhäuser im Jahr 1961 geschaffen worden war, um alle drei Grundstücke (und den Privatweg) zu entwässern. Die Parteien (und der Eigentümer des Reihenmittelhauses Herr N2 sind somit Mitinhaber der gesamten Rohrleitungsanlage, da dieses als ein funktional zusammengehöriges System anzusehen ist. Auf welchem Grundstück welches Rohrstück verläuft und in welchem Teil eine Verstopfung eingetreten ist, ist in diesem Zusammenhang ohne Relevanz.

Das Verhältnis der Parteien bestimmte sich daher nach §§ 741 ff BGB; die Beendigung der Gemeinschaft nach §§ 749758 BGB.

a)

Nach § 749 Abs. 1 BGB kann grundsätzlich jeder Teilhaber jederzeit die Aufhebung der Bruchteilsgemeinschaft verlangen. Dies gilt jedoch nicht, wenn dieses Recht ausgeschlossen ist, § 749 Abs. 2 BGB. Zwar haben die Parteien diesbezüglich keine ausdrückliche Regelung getroffen. Diese rechtsgeschäftliche Beschränkung folgt im streitgegenständlichen Fall jedoch aus der Zweckbestimmung des gemeinschaftlichen Gegenstandes anlässlich der Begründung der Gemeinschaft. Denn wenn Häuser von Anfang an mit einer gemeinsamen Entwässerungsanlage errichtet werden, dann ist diese grundsätzlich auf Dauer angelegt. Das heißt, die Gemeinschaft sollte solange Bestand haben, wie die Häuser stehen und eine Entwässerung erforderlich ist.

b)

In diesem Falle ist eine Aufhebung der Gemeinschaft nur aus wichtigem Grund oder aber einvernehmlich möglich.

aa) Ein wichtiger Grund für eine Aufhebung der Gemeinschaft im Oktober 2011, also zu dem Zeitpunkt, ab welchem die Beklagten über ein eigenes Entwässerungssystem für ihr Hausgrundstück verfügten (19.11.2011), vermochte der Senat nicht festzustellen. Die bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten Streitigkeiten der Parteien des hiesigen Rechtsstreits untereinander reichen für die Annahme eines wichtigen Grundes nicht aus. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Fortsetzung der Gemeinschaft nicht bereits dann, wenn Uneinigkeit oder Feindschaft zwischen den Betroffenen bestehe, unzumutbar sei. Erforderlich sei vielmehr, dass eine ordnungsgemäße gemeinschaftliche Nutzung und Verwaltung unter Abwägung aller den Einzelfall prägenden Umstände unmöglich sei und der Gemeinschafter, welcher die vorzeitige Aufhebung begehre, den wichtigen Grund nicht allein oder überwiegend allein herbeigeführt habe. Das Gericht habe dann schließlich auch zu prüfen, ob das Aufhebungsverlangen auch bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich sei (BGH, Urteil v. 05.12.1994, Az. II ZR 268/93). Entsprechende Umstände sind weder vorgetragen noch aus den Umständen ersichtlich.

bb) Auch eine einvernehmliche Aufhebung der Gemeinschaft ist nicht erfolgt. Zwar hat der  Kläger den Beklagten gegenüber eine Kündigung des “Duldungsverhältnisses” ausgesprochen und diese unmissverständlich und nachdrücklich aufgefordert, einen eigenen Anschluss herzustellen. Dem sind die Beklagten auch nachgekommen und haben, wie bereits ausgeführt, seit dem 19.10.2011 ein eigenes Entwässerungssystem für ihr Hausgrundstück. Hätte die (Abwasser)Gemeinschaft nur zwischen diesen beiden Parteien und nur im Hinblick auf die Hausgrundstücke bestanden, so wäre von einer einvernehmlichen Aufhebung der Gemeinschaft auszugehen (vgl. dazu OLG Hamm, Urteil v. 05.05.1994, Az. 5 U 213/93). Aufgrund der Tatsache, dass die Gemeinschaft vorliegend jedoch aus drei Eigentümern besteht, konnten die Parteien ohne Beteiligung des Dritten, des Herrn N, eine Aufhebung nicht vollziehen. Denn die Aufhebung der Gemeinschaft erfordert einen auf Beendigung der Gemeinschaft zielenden einstimmigen Beschluss (vgl. Palandt-Sprau, 71. Auflage, v. § 749 Rdn. 2). Ein entsprechender Umstand ist nicht behauptet worden.

c)

Die Gemeinschaft der Parteien besteht aber, ungeachtet der vorstehenden Ausführungen,  auch aus folgendem Grund weiter fort: Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das Oberflächenwasser des Privatweges, an welchem die drei Grundstückseigentümer unstreitig eine Bruchteilsgemeinschaft bilden, ebenfalls über die gemeinsame Grundleitung abläuft. An diesem Umstand hat auch die Erstellung der eigenen Anlage durch die Beklagten nichts geändert.  Denn die Beklagten haben sich mit dieser eigenen Abwasserleitung nur teilweise, nämlich nur betreffend das Hausgrundstück, von der Benutzung der Grundleitung abgespalten. Mithin bilden die Parteien bereits aus diesem Grund weiterhin eine Gemeinschaft i.S.v. §§ 741 ff BGB an der gesamten Rohrleitung. Dabei ist der Umstand, wo das Oberflächenwasser des Weges in das gemeinsame System eingeleitet wird ebenso unerheblich wie die unstreitige Tatsache, dass das Wasser dadurch, dass es auf dem Grundstück N in die Grundleitung eingeleitet wird, nicht mehr durch Leitungen, die im Grundstück der Beklagten liegen, läuft. Denn die Gemeinschaft besteht, wie bereits ausgeführt, an dem gesamten Rohrleitungssystem.

d)

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die Gemeinschaft fortbesteht. Der Kläger kann folglich die mit dem Klageantrag zu 1) geforderte Zustimmung verlangen. Denn dass Sanierungsmaßnahmen grundsätzlich erforderlich sind, ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Sanierungsmaßnahmen sind dabei nicht mehr auf die, infolge der Abtrennung der Beklagten, unbenutzten Teile der gemeinsamen Rohrleitungen zu erstrecken. Darüber hinaus habe sich die Beklagten zwar an den durch die zukünftigen Sanierungsmaßnahmen entstehenden Kosten zu beteiligen, jedoch nicht im Umfang von 1/3. Denn tatsächlich nutzen die Beklagten das gemeinsame Abwässerungssystem nur noch für die Ableitung des Oberflächenwassers des gemeinsamen Privatweges, der ihnen zu einem Bruchteil von 1/3 gehört. Die damit einhergehende Reduzierung des Umfangs der Nutzung der gemeinsamen Anlage, führt zwar, wie ausgeführt, nicht zu einer Aufhebung der Gemeinschaft im Ganzen. Jedoch können die Beklagten von den anderen beiden Eigentümern auch ohne Aufhebung der Gemeinschaft eine Lasten- und Kostentragung verlangen, die nach billigem Ermessen dem gemeinschaftlichen Interesse an der sachgerechten Verwaltung entspricht, §§ 745, 748 BGB (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 26.01.2012, Az. 5 U 133/11). Denn die nach billigem Ermessen vorzunehmende Verteilung der Lasten- und Kostentragungspflicht kann z.B. bei angenommener Alleinnutzung der Entwässerungsanlage auch bedeuten, dass dieser Nutzer dann auch die Kosten alleine zu tragen hat. Denn der Anspruch nach § 748 BGB stellt nur die Kehrseite des § 743 BGB dar. Danach gebührt jedem Teilhaber ein seinem Anteil entsprechender Bruchteil der Früchte und jeder Teilhaber ist zum Gebrauch des gemeinschaftlichen Gegenstandes insoweit befugt, als nicht der Mitgebrauch der übrigen Teilhaber beeinträchtigt wird. Anerkanntermaßen handelt es sich bei der Regelung der § 748 BGB um dispositives Recht. Sind danach Gebrauch und Fruchtziehung abweichend von § 743 BGB geregelt, so ist im Zweifel anzunehmen, dass auch die Tragung der Lasten und Kosten einem Teilhaber auferlegt ist, soweit er zur Fruchtziehung und unter Ausschluss der anderen Teilhaber zum Gebrauch berechtigt ist (OLG Hamm aaO und OLG Schleswig-Holstein, Urteil v. 03.11.2006, Az. 14 U 214/05).  

Der Kläger und der weitere Mitinhaber N benutzen die Leitung betreffend die Abwässer der Hausgrundstücke nunmehr allein. Nur für ihren 1/3-Anteil am Privatweg benutzen die Beklagen die gemeinsame Leitung noch. Der Senat schätzt den damit verbleibenden Nutzungsanteil der Beklagten mangels anderweitiger Anhaltspunkte auf 1/6.

2.

a.

Der Klageantrag zu 2) ist zulässig. Ein Feststellungsinteresse des Klägers ist auch nach dem Schreiben der E vom 29.09.2011 und der Erklärung der Beklagten in der Klageerwiderung noch gegeben. Mit ihrem Schreiben vom 13.09.2011 haben sich die Beklagten eines Anspruchs auf Unterlassung berühmt. Sie haben verlangt, dass der Kläger binnen einer gesetzten Frist die Durchleitung von Frischwasser und Strom unterlässt sowie die über das Grundstück geführten Leitungen entfernt. Das damit begründete Feststellungsinteresse des Klägers ist durch die bloße Aufgabe der Berühmung in der Klageerwiderung nicht entfallen, da der Kläger insoweit nicht endgültig gesichert ist. Denn eine einseitige Erklärung der Beklagten reicht hierfür nicht (vgl. dazu Zöller- Greger, ZPO, 29. Auflage, § 256 Rdn. 7c).

b.

Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Den Beklagten steht ein Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch gegen den Kläger, wie mit Schreiben vom 13.09.2011 geltend gemacht, nicht zu.

Zwar beeinträchtigen die streitgegenständlichen Versorgungsleitungen, die durch das Grundstück der Beklagten verlaufen, diese in ihrem Eigentum, § 1004 BGB. Der Kläger ist jedoch nicht Störer im Sinne dieser Norm. Denn weder nutzt der Kläger das Grundstück der Beklagten selbst zur Leitungsführung noch hat er den Versorgungsträgern unbefugt eine Leitungsführung ermöglicht. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Versorgungsleitungen nicht von dem Kläger sondern von dem Versorgungsträger verlegt wurden. Auch die Nutzung der Leitungen erfolgt im Ergebnis durch den Versorgungsträger und nicht durch den Kläger als Anschlussnehmer. Denn der Bezug von Strom und Wasser ist allenfalls eine Benutzung des Hausanschlusses, über welchen dieser Bezug erfolgt, nicht aber eine Benutzung des Verteilungsnetzes davor. Dieses Verteilungsnetz beherrscht allein der jeweilige Versorgungsträger, der damit seine Verpflichtung zur Versorgung der Anschluss- bzw. Teilnehmer erfüllt. Die einzelnen Anschlussnehmer haben tatsächlichen Zugriff nur auf Leitungen und Anlagen auf ihrem Grundstück und üben ihre mögliche Sachherrschaft auch insoweit nur bei den Leitungen und Anlagen aus, die ihnen zugeordnet sind, nämlich bei dem eigenen Hausanschluss (BGH, Urteil v. 02.12.2011, Az. V ZR 120/11).

Nach der vorzitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs nehmen die Versorgungsunternehmen eigene Besitzberechtigungen gegenüber den Eigentümern der “benutzen” Grundstücke in  Anspruch. Denn diese sind als Anschluss- und Teilnehmer der Versorgung mit Strom, Wasser und auch Telekommunikation nach Maßgabe von § 8 AVBWasserV, § 12 NAV und § 76 TKG zur Duldung von Leitungen und Anlagen, die der Versorgung anderer Anschluss- und Teilnehmer dienen, verpflichtet.

Dafür, dass der Kläger mittelbarer Störer ist, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Denn dies würde voraussetzen, dass die unmittelbare Störung die adäquat kausale Folge des Handelns des als mittelbarer Störer in Anspruch Genommenen oder eines von diesem unterhaltenen Zustands ist und dass dieser in der Lage ist, die unmittelbar auftretende Störung zu verhindern (BGH aaO).  Dies lässt sich jedoch weder dem Vortrag der Beklagten noch den Umständen entnehmen.  

3.

Der Klageantrag zu Ziffer 3) ist aus § 748 BGB begründet. Insoweit wird auf die Ausführungen unter Ziffer II.1. Bezug genommen. Im Zeitpunkt der Entstehung der Kosten am 24.06.2011 bestand die Gemeinschaft noch in ihrer ursprünglichen Form, da die Abtrennung der Beklagten erst am 19.10.2011 vollzogen war. Zum maßgeblichen Zeitpunkt bildeten die Parteien folglich noch eine Abwassergemeinschaft mit einer Lasten- und Kostentragungspflicht zu je 1/3, entsprechend ihrer zum damaligen Zeitpunkt noch zu gleichem Anteil erfolgten Nutzung der gemeinsamen Anlage. Dass der Kläger die Untersuchung ohne Zustimmung der Beklagten veranlasst hat, ist unerheblich. Denn Maßnahmen, die zur notwendigen Erhaltung erforderlich sind, können nach § 744 Abs. 2 BGB ohne Zustimmung getroffen werden. Dass die Untersuchung im Vorfeld einer Angebotseinholung nicht notwendig war, ist nicht behauptet worden. Da die letzte TV-Untersuchung nicht den gesamten Leitungsbereich abdeckte und zudem 2 Jahre zurücklag, ist dies auch nicht anzunehmen. 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 BGB.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Frage der Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO geprüft und hiervon abgesehen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat,  noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zum Zwecke der Rechtsfortbildung oder zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung veranlasst ist.t

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