Ax Vergaberecht

Der praktische Fall zum Baugrundrisiko (2) – BGH, Urteil vom 28.01.2016 Az. I ZR 60/14

Der praktische Fall zum Baugrundrisiko (2) - BGH, Urteil vom 28.01.2016 Az. I ZR 60/14:

Der Fall:

Auf Grundlage einer Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Kranunternehmers, wie in Ziffer 20 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4 der AGB-BSK Kran und Transport 2008 soll dem Auftraggeber einschränkungslos und ohne Festlegung von Mitwirkungspflichten des Kranunternehmers die Verantwortlichkeit für die Eignung der Bodenverhältnisse für den vereinbarten Kraneinsatz und die Verpflichtung, auf die Lage und das Vorhandensein von unterirdischen Hohlräumen am Einsatzort unaufgefordert hinzuweisen, auferlegt werden:

„Darüber hinaus ist der Auftraggeber dafür verantwortlich, dass die Boden-, Platz- und sonstigen Verhältnisse an der Einsatzstelle sowie den Zufahrtswegen – ausgenommen öffentliche Straßen, Wege und Plätze – eine ordnungsgemäße und gefahrlose Durchführung des Auftrags gestatten. Insbesondere ist der Auftraggeber dafür verantwortlich, dass die Bodenverhältnisse am Be- und Entladeort bzw. Kranstandplatz sowie den Zufahrtswegen den auftretenden Bodendrücken und sonstigen Beanspruchungen gewachsen sind. Schließlich ist der Auftraggeber verantwortlich für alle Angaben über unterirdische Kabelschächte, Versorgungsleitungen, sonstige Erdleitungen und Hohlräume, die die Tragfähigkeit des Bodens an der Einsatzstelle oder den Zufahrtswegen beeinträchtigen könnten. Auf die Lage und das Vorhandensein von unterirdischen Leitungen, Schächten und sonstigen Hohlräumen hat der Auftraggeber unaufgefordert hinzuweisen. Versäumt der Auftraggeber schuldhaft diese Hinweispflicht, haftet er für alle daraus entstehenden Schäden, auch für Sach- und Sachfolgeschäden an Fahrzeugen, Geräten und Arbeitsvorrichtungen des Unternehmers sowie Vermögensschäden. Angaben und Erklärungen Dritter, deren sich der Auftraggeber zur Erfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen bedient, gelten als Eigenerklärungen des Auftraggebers.“

Die Lösung:

Eine derartige Regelung benachteiligt den Auftraggeber unangemessen und ist deshalb unwirksam.

Ein Vertrag über die entgeltliche Überlassung eines Krans bei gleichzeitiger Gestellung von Bedienungspersonal kann je nach Ausgestaltung der Vertragsbeziehung im Einzelfall als Mietvertrag verbunden mit einem Dienstverschaffungsvertrag, als Mietvertrag verbunden mit einem Dienst- oder Werkvertrag oder in vollem Umfang als Mietvertrag, Dienstvertrag oder Werkvertrag anzusehen sein. Maßgeblich ist, welche der Leistungen dem Vertrag das Gepräge geben (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 1984 – VIII ZR 240/83, juris Rn. 8, insoweit nicht in BGHZ 93, 64 und NJW 1985, 798 abgedruckt; Urteil vom 26. März 1996 – X ZR 100/94, NJW-RR 1996, 1203, 1204). Ein mit einem Mietvertrag verbundener Dienstverschaffungsvertrag liegt vor, wenn die Durchführung der Arbeiten ausschließlich bei dem Besteller liegt und das vom Vermieter gestellte Bedienungspersonal den Weisungen des Bestellers unterworfen ist (BGH, NJW-RR 1996, 1203, 1204). Dieser Vertragstyp wird in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zu 1, ebenso wie in den AGB-BSK Kran und Transport 2008, als Krangestellung bezeichnet (Koller, Transportrecht, 8. Aufl., Ziffer 2.1 AGB-BSK Kran und Transport 2008 Rn. 1). Wird nicht lediglich das Arbeitsgerät nebst dem Bedienungspersonal mit der Möglichkeit überlassen, dieses für sich zu nutzen, sondern ein Werk oder ein bestimmter Arbeitserfolg geschuldet, so liegt ein Werkvertrag vor (BGH, NJW-RR 1996, 1203, 1204; vgl. auch OLG Stuttgart, TranspR 1998, 488, 490; KG, BauR 2010, 470 f.). Verträge über Kranarbeiten, die auf den Erfolg einer Ortsveränderung von Gütern gerichtet sind, sind Frachtverträge (Koller aaO § 407 HGB Rn. 10 Fn. 25). Sie werden in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zu 1, ebenso wie in den AGB-BSK Kran und Transport 2008, als Kranarbeit bezeichnet (Koller aaO Ziffer 2.2 AGB-BSK Kran und Transport 2008 Rn. 1).

Im Streitfall stellt der Vertrag der Klägerin zu 1 und der Beklagten daher einen Frachtvertrag dar. Zwar lässt sich der Vereinbarung nicht entnehmen, dass die Klägerin zu 1 den abzubrechenden Ofen in ihre Obhut nehmen und vor Schäden bewahren sollte, wie dies im Regelfall für einen Frachtvertrag typisch ist. Geht es jedoch wie im Streitfall darum, durch Kranarbeit eine Last von einem Ort zum anderen zu bringen, handelt es sich um ein Frachtgeschäft als Unterart des Werkvertrages (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1994 – I ZR 196/92, NJW-RR 1995, 415; Koller aaO § 407 HGB Rn. 10, 35; vgl. auch Ziffer I. 4. AGB-BSK Kran und Transport 2008).

Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass sich Schadensersatzansprüche der Klägerinnen gegen die Beklagte wegen der Beschädigung des Krans und der durch den Unfall verursachten Lohnersatzleistungen für den bei der Klägerin zu 1 beschäftigten Kranführer grundsätzlich aus § 280 BGB ergeben können.

Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch der Klägerinnen gegen die Beklagte gemäß § 280 Abs. 1 BGB nicht bejaht werden. Eine Schadensersatzpflicht resultiert nicht aus der in Ziffer 20 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zu 1 statuierten Verantwortlichkeit für die Eignung der Bodenverhältnisse für den vereinbarten Kraneinsatz und aus der dort festgelegten Verpflichtung der Beklagten, auf die Lage und das Vorhandensein von unterirdischen Hohlräumen am Einsatzort unaufgefordert hinzuweisen. Diese Regelungen, auf die das Berufungsgericht die Verurteilung der Beklagten gestützt hat und die zu einer einschränkungslosen Verpflichtung der Beklagten führen, den Grund und Boden am Kraneinsatzort auf für Schwerfahrzeuge gefährliche Hohlräume zu überprüfen, benachteiligen die Beklagte unangemessen und sind deshalb unwirksam (§ 307 Abs. 1 BGB).

Die Sätze 1, 2 und 4 des ersten Absatzes von Ziffer 20 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zu 1 halten der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB, der gemäß § 310 Abs. 1 Satz 2 BGB auch bei Verwendung gegenüber einem Unternehmer Anwendung findet, nicht stand. Ziffer 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zu 1 weisen dem Auftraggeber das Risiko der Tragfähigkeit des Bodens beim Kraneinsatz zu. Sie sehen eine Verantwortlichkeit des Auftraggebers dafür vor, dass die Bodenverhältnisse am Be- und Entladeort und am Kranstandplatz sowie den Zufahrtswegen den auftretenden Bodendrücken und sonstigen Beanspruchungen gewachsen sind. Satz 4 der Regelung bestimmt, dass der Auftraggeber insoweit auf Gefahren unaufgefordert hinzuweisen hat. Diese Regelungen benachteiligen die Beklagte unangemessen, soweit sie ihr uneingeschränkt und ohne Festlegung von Mitwirkungspflichten der Klägerin zu 1 Risiken im Zusammenhang mit der Beschaffenheit des Grund und Bodens und einschränkungs- und anlasslos Hinweispflichten auferlegen.

Allerdings ist es grundsätzlich nicht unangemessen, dem Auftraggeber die Verantwortlichkeit für die Bodenbeschaffenheit im Verhältnis zu einem von ihm beauftragten, auf einer Baustelle tätigen Unternehmer aufzuerlegen.

Die Zuordnung des Risikos der Bodenverhältnisse auf den Besteller stellt allerdings eine Ausnahme dar. Nach § 644 Abs. 1 BGB trägt grundsätzlich der Unternehmer die (Vergütungs-)Gefahr bis zur Abnahme des Werks. Der Werkunternehmer erhält keine Vergütung, wenn die Ausführung des Werks vor der Abnahme unmöglich wird oder das Werk sich verschlechtert oder untergeht. Hieraus folgt, dass der Werkunternehmer selbst dafür verantwortlich ist, wenn seine für die Herstellung oder die Ausführung des Werks eingesetzten Gerätschaften zu Schaden kommen. Dies entspricht der Billigkeit, weil der Einsatz der Geräte in der Sphäre des Werkunternehmers erfolgt. Dies gilt auch bei der Beauftragung von Kranarbeiten. Dem Auftragnehmer sind die spezifischen Merkmale der Fahrzeuge, wie etwa die Achslasten, die Gesamtgewichte und die Stützdrücke bekannt, die in seinen Risikobereich fallen. Er kennt die auftretenden und vom Fahrzeug ausgehenden Bodenbelastungen und ist deshalb in der Lage, die Anforderungen an die Bodenbeschaffenheit für einen sicheren Kranbetrieb einzuschätzen. Aus diesem Grund hat der Kranunternehmer als Auftragnehmer eines Werkvertrags die Frage der Tragfähigkeit des Grund und Bodens des Standplatzes in eigener Verantwortung zu prüfen (OLG München, TranspR 1996, 312, 315). Dies ist deshalb gerechtfertigt, weil der Kranunternehmer durch den Kraneinsatz – ebenso wie ein Abbruchunternehmer, der mit schwerem Gerät ein Gebäude abbricht – neue, vom Auftraggeber nicht beherrschbare Gefahren schafft (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 1978 – VI ZR 150/77, NJW 1979, 309, 310).

Ziffer 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zu 1 weichen von der gesetzlichen Risikoverteilung in den §§ 644, 645 BGB insoweit ab, als sie das Risiko des Kranunternehmers infolge typischerweise durch den Kraneinsatz verursachter Mehrbelastungen des Bodens auf den Auftraggeber verlagern. Damit wird die auf einer Ausnahmeregelung beruhende Zuordnung der Eignung des Grund und Bodens für die Ausführung des Auftrags auf den Auftraggeber ausgeweitet. In der hier zur Überprüfung stehenden Form benachteiligt eine solche Risikoverlagerung den Besteller unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB.

Nach den Regelungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zu 1 ist es Sache des Auftragnehmers, das für die Durchführung des konkreten Auftrags geeignete Gerät auszuwählen (Ziffer 14 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zu 1, entspricht Ziffer 14 AGB-BSK Kran und Transport 2008). Eine Verpflichtung des Kranunternehmers, den Auftraggeber in die Auswahl des Krans einzubeziehen und ihn vor dem Arbeitseinsatz des Geräts über die dabei auftretenden Bodenbelastungen und die hieraus resultierenden Anforderungen an die Bodenbeschaffenheit aufzuklären, sehen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zu 1 nicht vor. Insbesondere wird die Risikoverlagerung für die Stabilität des Baugrunds durch die Beanspruchung durch den Kran nicht von einer vorherigen Abstimmung mit dem Auftraggeber abhängig gemacht. Wird dem Auftraggeber mit einer vertraglichen Vereinbarung die Verantwortlichkeit für eine zur Ausführung des Auftrages ausreichende Bodenstabilität auch insoweit aufgebürdet, als es um die beim Betrieb eines Krans typischerweise auftretenden erhöhten und im Einzelfall extremen Bodenbelastungen geht, wird ihm damit ein durch ihn weder beherrschbares noch beeinflussbares Risiko auferlegt. Dies wird im Streitfall besonders deutlich. Ausweislich des von der Beklagten erteilten Auftrags waren die abzubrechenden beiden Stahlkonstruktionen jeweils 45 Tonnen schwer, der auszuhebende Ofen hatte ein Gewicht von 80 Tonnen. Der von der Klägerin zu 1 eingesetzte Kran hatte ein Eigengewicht von 350 Tonnen, er trug außerdem ein Kontergewicht von 105 Tonnen. Das Gesamtgewicht des Krans einschließlich Traglast betrug zum Unfallzeitpunkt mithin rund 500 Tonnen. Wird dem Besteller bei solchen außergewöhnlichen Bodenbelastungen eine einseitige, durch keine Mitwirkungspflichten des Kranbetreibers gemilderte Verantwortlichkeit für die Bodenstabilität auferlegt, widerspricht dies einerseits dem Haftungsgefüge des Werkvertragsrechts, andererseits der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausnahmsweise angenommenen Haftung des Bestellers für in seiner Sphäre liegende Umstände.

Ziffer 20 Abs. 1 Satz 4 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zu 1 erlegt dem Auftraggeber die Verantwortlichkeit für das Vorhandensein von Hohlräumen im Boden an der Einsatzstelle des Krans und die Pflicht auf, auf deren Vorhandensein unaufgefordert hinzuweisen. Auch diese Regelung benachteiligt die Beklagte als Auftraggeberin unangemessen.

Ankündigung von Baugrunduntersuchungen und weiteren bauvorbereitenden Maßnahmen

Ankündigung von Baugrunduntersuchungen und weiteren bauvorbereitenden Maßnahmen

Die Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW GmbH und TenneT TSO GmbH planen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen den Bau der erdverlegten Gleichstrom-Verbindung SuedLink. Aktuell läuft für den Abschnitt D2 von SuedLink in Bayern (Bundeslandgrenze Thüringen/Bayern bis Konverterstation Bergrheinfeld/West bzw. bis Landkreisgrenze Schweinfurt/Bad Kissingen) und den Abschnitt E1 von SuedLink in Bayern (Landkreisgrenze Schweinfurt/Bad Kissingen bis Landesgrenze Bayern/Baden-Württemberg) das Planfeststellungsverfahren. Die Bundesnetzagentur hat hierzu den Untersuchungsrahmen nach § 20 Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) festgelegt. Im Zuge des Planfeststellungsverfahrens finden unter anderem Untersuchungen zum Baugrund statt.

Die Baugrunduntersuchungen dienen dazu, einen Leitungsverlauf zu finden, der die Belange von Mensch, Natur und Umwelt bestmöglich berücksichtigt. Mithilfe der Untersuchungen vertiefen wir deshalb unsere Kenntnisse der jeweiligen lokalen Voraussetzungen des Baugrunds. Die gewonnenen Daten und deren fachliche Bewertung sind Bestandteil der sogenannten Unterlagen nach § 21 NABEG. Erst mit der Einreichung dieser Unterlagen erfolgt der Vorschlag für einen konkreten Leitungsverlauf. Mit den geplanten Untersuchungen ist keine Festlegung für einen Leitungsverlauf verbunden.

Umfang der Untersuchungen
Zu den geplanten Untersuchungen zählen neben den eigentlichen Baugrunduntersuchungen baubegleitende Maßnahmen wie die ökologische, bodenkundliche und archäologische Baubegleitung, Vermessungsarbeiten oder bei Bedarf Kampfmitteluntersuchungen durch Flächen- oder Bohrlochsondierung. Für den An- und Abtransport aller für die Durchführung der Arbeiten erforderlichen Geräte, Fahrzeuge, Werkzeuge und Materialien müssen öffentliche und private Straßen und Wege in Anspruch genommen werden. Die nachfolgend  dargestellten Arbeiten sind möglicherweise nicht in vollem Umfang auf jedem betroffenen Grundstück erforderlich. Art und Umfang der zum Einsatz kommenden Bohrverfahren und -geräte richten sich nach den individuellen Zielsetzungen und Anforderungen vor Ort.

Informationen zu den Baugrunduntersuchungen
Für die Baugrunduntersuchungen werden mit einem Bohrgerät (Bohrungen mit einem Durchmesser von bis zu 320 mm) Bodenproben von ca. 1 Meter Länge in 2 bis 70 Meter Tiefe entnommen. Dabei wird ein Lkw mit einklappbarem Bohrturm und separatem Bohrgestänge eingesetzt. Die Bohrungen werden an möglichst gut zugänglichen Stellen mit geringstmöglicher Störung der Flächennutzung erfolgen. Nach Abschluss der Bohrarbeiten werden die Bohrlöcher wieder fachgerecht verfüllt. Zeitlich parallel und in unmittelbarer Nähe zu den Kernbohrungen werden Drucksondierungen durchgeführt. Hierbei wird ein Messkopf an einem Gestänge (Durchmesser ca. 3,5 cm) bis zu 20 Meter in den Boden eingebracht. Für die Zuwegung zu den einzelnen Baugrund-Aufschlüssen werden außerhalb von befestigten Wegen Lastverteilerplatten und ggf. Schotteranschüttungen mit Geotextilunterlage ausgelegt bzw. eingebaut, welche nach Fertigstellung des jeweiligen Aufschlusses wieder rückgebaut werden. Auf einzelnen Flurstücken werden Schürfgruben mit bis zu 2 Meter Tiefe zur Entnahme von Bodenproben ausgehoben und im Anschluss wieder fachgerecht verfüllt. Bei Verdacht auf Kampfmittel ist eine Kampfmitteluntersuchung notwendig (dies wird vom verantwortlichen Feuerwerker nach § 20 SprengG festgelegt). Sondierungen und Kampfmitteluntersuchungen dauern nur wenige Stunden; für die Ausführung der Bohrungen sind pro Untersuchungsstelle ein bis zwei Tage Dauer zu erwarten. Pro Untersuchungsstelle sind mehrere Kernbohrungen (DIN EN ISO 22475-1) und Drucksondierungen (DIN EN ISO 22476-1 oder 22476-2) möglich.

Bodenkunde
Zur Erkundung des Bodenaufbaus und zur Entnahme von Bodenproben werden fachspezifische Untersuchungen mittels kleinkalibriger Kleinrammbohrungen durchgeführt (Bohrdurchmesser <10 cm). Diese bodenkundlichen Baugrunduntersuchungen werden ergänzend zu den geologisch-geotechnischen Baugrunduntersuchungen durchgeführt, und je nach angetroffenen Bodenverhältnissen ca. 2 bis 3 m tief abgeteuft und das gewonnene Bohrgut bodenkundlich dokumentiert. Die Kleinrammbohrungen werden an möglichst gut zugänglichen Stellen mit geringstmöglicher Störung der Flächennutzung erfolgen. Je nach Geländeverhältnissen wird der Bohrpunkt entweder mittels Kombi-Pkw bzw. Kleinlieferwagen angefahren oder zu Fuß erreicht. Nach Abschluss der Bohrarbeiten werden die Bohrlöcher fachgerecht verfüllt.

Wasserwirtschaftliche Beweissicherung
Ziel der wasserwirtschaftlichen Beweissicherung ist die qualitative und quantitative Dokumentation des Grundwasservorkommens. Es handelt sich hierbei um eine nichtinvasive Maßnahme.

Baubegleitungen
Bei den ausgewählten Querungsbereichen werden die Baugrunduntersuchungen von ökologischen, bodenkundlichen sowie archäologischen Baubegleitungen überwacht. Diese sorgen für die Einhaltung der umweltgerechten, bodenkundlichen und archäologischen Standards und Auflagen mit dem Ziel, unnötige Eingriffe in Natur und Landschaft und in den Boden auszuschließen sowie Schäden an archäologischen Denkmälern und Objekten zu vermeiden.

Eventuelle Schäden
Im Rahmen der Baubegleitungen sind Mitarbeitende mit Pkw, per Rad oder zu Fuß unterwegs und werden ggf. zeitlich begrenzt Markierungen setzen, wodurch keine Schäden an den Grundstücken entstehen. Baumaschinen werden bei diesen Maßnahmen nicht eingesetzt. Bei den Baugrunduntersuchungen sind die oben beschriebenen Geräte im Einsatz. Sollte es trotz aller Vorsicht bei der Ausführung der Baugrunduntersuchungen und weiteren bauvorbereitenden Maßnahmen zu Schäden oder unmittelbaren Vermögensnachteilen kommen, werden diese durch die TransnetBW GmbH oder den von ihr beauftragten Firmen entsprechend den gesetzlichen Regelungen in § 44 Absatz 3 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) angemessen entschädigt.

Bekanntmachung und Termine
Die Berechtigung zur Durchführung dieser Vorarbeiten ergibt sich aus § 44 Absatz 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) in Verbindung mit § 18 Absatz 5 NABEG. Mit dieser ortsüblichen Bekanntmachung werden den Eigentümern und sonstigen Nutzungsberechtigten die Vorarbeiten mitgeteilt. Der zeitliche Ablauf der Untersuchungen hängt von äußeren Umständen ab, z. B. von örtlichen Gegebenheiten und von den wetterbedingten Bodenverhältnissen. Die betroffenen Grundstücke ergeben sich aus der entsprechenden Flurstückliste und den zugehörigen Planunterlagen, die öffentlich zur Verfügung gestellt werden (genauer Auslageort: siehe Infokasten unten). Aufgrund der Größe des Untersuchungsgebiets und Vielzahl der Eigentümer und Nutzungsberechtigten wird es leider nicht möglich sein, jeden Eigentümer und Nutzungsberechtigten persönlich vor dem Betreten ihrer Grundstücke bzw. Wege einzeln über die Zuwegungen zu informieren

Quelle TransnetBW GmbH

Anforderungen an Baugrundgutachten für Gründungen von Windenergieanlagen und deren Kranstellflächen und Zuwegungen

Anforderungen an Baugrundgutachten für Gründungen von Windenergieanlagen und deren Kranstellflächen und Zuwegungen

1 Gründung: Fundament als Flachgründung
· Zulässige Bodenpressung als mittlere Bodenpressung.
· Angaben der Steifemodule „Es statisch“ und „Es dynamisch“ gemäß „Betonkalender 1978, Seite 848 ff“. (Anlage 1). Mit diesen Werten und der Fundamentgrundfläche wird die Drehfedersteifigkeit ermittelt.
· Angabe des Reibungswinkels zwischen Stahlbetonfundament und Boden.
· Angabe des Bemessungswasserstandes, der am Standort zu erwarten ist.
· Vorschlag von Bodenverbesserungsmaßnahmen, wenn abzusehen ist, dass diese erforderlich sind
· Angaben über die Aggressivität des Bodens und des Grundwassers.
· Zu erwartende Setzungen aus ständiger Belastung und aus den wechselnden Belastungen aus der Windenergieanlage und dem Fundamentkörper.
· Angaben über die Neigung der Böschung der Baugrube.
· Angaben über die Trockenhaltung der Baugrube während der Bauzeit.
· Angaben zur Verwendung des Erdaushubs zur Wiederanfüllung, auch für die Schnittstelle zwischen Fundamentarbeitsraum und Kranstellfläche.

2 Gründung: Fundament als Pfahl-/ Tiefgründung
· Angaben über die im Baugebiet üblichen Pfahlsysteme.
· Angaben über die äußere Tragfähigkeit der Pfähle bei Druck- und Zugbelastungen für die Extremlastfälle und für zyklische und dynamische Einwirkungen, auch bei der Wahl von Pfahlgruppen.
· Angaben über die dazugehörigen Pfahllängen, bezogen auf Oberkante Gelände in Fundamentmitte.
· Angaben über die Bodenschichtdicken mit den dazugehörigen horizontalen Steifemoduli „Es statisch“ und „Es dynamisch“ zur Ermittlung der „Horizontalfedersteifigkeit“ und „Drehfedersteifigkeit“ des räumlichen Tragsystems „Fundament und Pfähle“.
· Angaben über die zulässigen minimalen Pfahlabstände am Pfahlkopf und am Pfahlfuß.
· Angaben über möglichen Pfahlneigungen.
· Angaben über die zu erwartenden zugehörigen Pfahlkopfsetzungen bei den o.g. Pfahllasten.
· Angaben über den niedrigsten und höchsten Grundwasserstand, der am Standort zu erwarten ist.
· Angaben über die Aggressivität des Bodens und des Grundwassers.
· Angaben darüber, ob der Baugrund das Frischbetongewicht des Fundamentes aufnehmen kann, oder welche Betonierlast für den Boden unter dem Fundament aufnehmbar ist, damit die Dicke der Betonierabschnitte bestimmt werden kann.
· Angaben über die Neigung der Böschung der Baugrube.
· Angaben über die Trockenhaltung der Baugrube während der Bauzeit.
· Angaben zur Verwendung des Erdaushubs zur Wiederanfüllung, auch für die Schnittstelle zwischen Fundamentarbeitsraum und Kranstellfläche.

3 Bemessung: Montage-Kranstellflächen und Zuwegung
· Allgemeine Angaben zum Standort und Bemessung
– Lageplan, Geländemodell, Grabensysteme, Vornutzung
– Grundwasseranalyse (pH-Wert)
– Anforderungen an die Behandlung des Mutterbodens (kann der Mutterboden unter den Verkehrsflächen verbleiben oder muss er abgeschoben werden?)
· Angabe des verfügbaren Tragschichtmaterials (Kornverteilung, Kornfestigkeit, Kornform oder Eignungsprüfung nach z.B. TL SoB 04)
· Angaben zum Schichtenmodell und Beschreibung je Standort mit zugehörigen Aufschlüssen. Für die Planung der Kranstellflächen und Transportwege sind folgende Aufschlüsse durchzuführen:
– je Streckenstrang (≤ 650 m) eine indirekte Erkundung z. B. in Form einer Drucksondierung (CPT) bis auf die Einflusstiefe der Lasten unter Geländehöhe abzuteufen.
– je Streckenstrang (≤ 650 m) eine direkte Erkundung z. B. in Form einer Kleinrammbohrung. bis in die Einflusstiefe der Lasten unter Geländehöhe abzuteufen.
– je Bodenschicht- und/ oder Bodeneigenschaftswechsel oder Tiefenmeter mindestens eine Bodenprobe zu entnehmen.
– die Auswertung der gewonnen Bodenproben im Baugrundlabor zur Ermittlung der Bodenparameter (Rechenwerte) bzw. zur Bestätigung der in den Normen genannten Rechenwerte vorzunehmen.

V-CEU Dokument Nr.: 0019-5727.V03
Anforderungen an Baugrundgutachten für Gründungen von Vestas-Windenergieanlagen und deren Kranstellflächen und Zuwegungen
Geotechnisches Gutachten
Datum: 2017-11-13
Issued by: V-CEU/PM/ARDYC Class 1 Typ: T05
Vestas Central Europe · www.vestas.com Eingetr. Firmenname: Vestas Deutschland GmbH
Technische Änderungen vorbehalten

· Zuordnung von charakteristischen Kennwerten je Standort in engen Grenzen, ggf. je Aufschluss falls mehrere Aufschlüsse an einem Standort, für das maßgebende Spannungsniveau (im Fall einer Kranaufstandsfläche ca. 260 kPa):
– undrainierte Scherfestigkeit ju [°], cu [kN/m²]
– drainierte Scherfestigkeit j [°], c [kN/m²
– Wichte bei normaler Bodenfeuchte g [kN/m³], Wichte unter Auftrieb g ́[kN/m³]
– Verformungsverhalten anstehender Bodenschichten (E-Modul E [MPa] oder Steifemodul Es [MPa])
– Kennwerte zur Berücksichtigung des zeitabhängigen Verhaltens
– (Konsolidierungsbeiwert cv, ersatzweise Durchlässigkeitskoeffizient kf)
– ggf. Kohäsion infolge Bindemittelstabilisierung c [kN/m²])

4 Geotechnische Untersuchungen
Nach der „Richtlinie für Windkraftanlagen“, Fassung März 2004, Deutsches Institut für Bautechnik – DIBt – Berlin, Ziffer 11.2.1, 2. Absatz, und der „Richtlinie für die Zertifizierung von Windenergieanlagen; Ausgabe 2003 mit Ergänzung 2004“ der Germanischer Lloyd Industrial Services GmbH, Kapitel 6.7, Ziffer 6.7.2.3, sind die geotechnischen Untersuchungen für die Gründungen von Windenergieanlagen der Geotechnischen Kategorie 2 (GK 2) zuzuordnen. Die geotechnischen Untersuchungen des Baugrundes und Lieferung der geotechnischen Daten sind im „Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik – Teil 1: Allgemeine Regeln; Deutsche Fassung EN 1997-1:2004 + AC:2009“*, Ziffer 3, geregelt und genau beschrieben. Abweichend von dieser Norm sollten für jeden Windenergiestandort 3 Baugrunduntersuchungen, eine Sondierbohrung (z.B. RKS) sowie zwei Drucksondierungen (CPT), ausgeführt werden.

5 Geotechnisches Gutachten
Die Einzelheiten der „Geotechnischen Untersuchungen“ sind gemäß „„Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik – Teil 1: Allgemeine Regeln; Deutsche Fassung EN 1997-1:2004 + AC:2009“1, Ziffer 2.8 in einem „Geotechnischen Gutachten“ darzustellen. In diesem Gutachten sollten alle unter Punkt 1, 2 und 3 geforderten Angaben zur Bemessung der Gründung, Montage-, Kranstellfächen und Zuwegung von Windenergieanlagen enthalten sein.

6 Weitere Hinweise
Baugrunderkundungen sind grundsätzlich nach nationalen Normen und Vorschriften durchzuführen.. Die Anforderungen incl. der angegebenen Baugrundkennwerte in diesem Dokument ersetzen nicht bestehende Normen, Richtlinien und den Stand der Technik. Weiterhin ersetzen die Anforderungen aus diesem Dokument nicht die fachkundige Bewertung durch einen Baugrundgutachter, der idealerweise mit den geotechnischen Gegebenheiten am Standort vertraut ist. Wird aufgrund örtlicher Gegebenheit nach fachkundlicher Abwägung von den Anforderungen in diesem Dokument abgewichen, so ist dies im Gutachten entsprechend kenntlich zu machen.

7 Grundlagen
Eurocode 7
DIN 1997-2
DIN 4020
DIN 1054
DIN-Taschenbuch 113 (Baugrunderkundung, geotechnischen Untersuchung von Bodenproben, Grundlagen der Messtechnik)

Quelle: Anforderungen an Baugrundgutachten für Gründungen von Vestas-Windenergieanlagen und deren Kranstellflächen und Zuwegungen

V-CEU Dokument Nr.: 0019-
5727.V03

Wann ist eine wie geartete Baugrunduntersuchung notwendig?

Wann ist eine wie geartete Baugrunduntersuchung notwendig?

Eine Baugrunduntersuchung ist eine Maßnahme zur Erkundung von Baugrund. Über verschiedene Verfahren zur Baugrunduntersuchung wird die Beschaffenheit und Zusammensetzung des Baugrunds ermittelt. Die Ergebnisse werden analysiert und in einem Bodengutachten festgehalten. Baugrunduntersuchungen sind bei neuen Bauvorhaben erforderlich, um die Eignung als Baugrund und die Art der Gründung zu bestimmen. Bei Bestandsgebäuden mit Gründungs- oder Baugrundschäden sind Baugrunduntersuchungen zwar optional, dennoch unverzichtbar.

Warum ist eine Baugrunduntersuchung notwendig?

Ein wesentlicher Bestandteil der Sanierung einer Gründung ist das Erkennen der Schadensursache und das sichere Verhindern weiteren Einwirkens eben dieser Ursache. Und die ist nicht notwendig allein aus den Symptomen, bspw. Risse im Mauerwerk erkennbar. Eine klare Aussage ergibt sich oft erst aus dem Auswerten der Schadensbilder in Kombination mit den Ergebnissen der Baugrunduntersuchungen. Außerdem ist es für die notwendigen Baugrundverbesserungsarbeiten selbst wichtig zu wissen, wie der Boden aufgebaut ist, wo die zu verbessernden oder zu ersetzenden Bodenschichten liegen und woraus sie bestehen. Auch in welcher Tiefe gegebenenfalls das Grundwasser steht, ist eine wichtige Angabe. Deshalb sind die Ergebnisse der Baugrunduntersuchung als Voraussetzung für eine Gründungssanierung zu fordern. Die Baugrunderkundungen werden in einfachen Fällen, wenn nicht tief gebohrt werden muss, als Kleinrammbohrungen ausgeführt. Diese Erkundungen sind auch unter beengten Verhältnissen möglich.

Baugrunduntersuchung gibt Auskunft über geeignete Sanierungsverfahren

Für jede Bodenart werden die Ergebnisse unterschiedlicher bodenmechanischer Versuche benötigt. Die Analyse der festgestellten Schäden kann dann an Hand der Versuchsergebnisse erfolgen. Sie sollte, ebenso wie Hinweise auf geeignete Sanierungsverfahren, im Bodengutachten des Geotechnikers enthalten sein. Nicht in allen Fällen wird dies möglich sein. Dann sollten jedoch die Analyse und die geeigneten Sanierungsverfahren fachübergreifend von den am Projekt Beteiligten und jedenfalls unter Einschluss des Geotechnikers erarbeitet werden.

Was ist ein Bodengutachten?

Ein Bodengutachten, auch bodenmechanisches Gutachten genannt, ist ein geotechnischer Bericht, der von einem Sachverständigen für Geotechnik (Bodengutachter) erstellt wird. Das Bodengutachten dokumentiert die Ergebnisse aus der Baugrunduntersuchung. In der Regel enthält jedes Bodengutachten eine abschließende Beurteilung mit Handlungsempfehlungen zur bspw. Gründung einer geplanten Baumaßnahme.

Wann ist ein Bodengutachten Pflicht?

Grundsätzlich ist es erforderlich, für jedes Bauvorhaben ein Bodengutachten zu erstellen bzw. erstellen zu lassen. Jedem Architekten und Bauingenieur muss klar sein, dass er die Verantwortung für die zu schaffenden Grundlagen der Planung trägt. Es ist also in seinem Interesse zur Begrenzung dieser Verantwortung in einem für ihn fachfremden Gebiet, den Bauherrn auf die Notwendigkeit eines Bodengutachtens (schriftlich) hinzuweisen und die Beauftragung eines Bodengutachters durch den Bauherrn zu veranlassen.

Was wird bei einem Bodengutachten gemacht?

Die für das Bodengutachten erforderlichen geotechnischen Untersuchungen umfassen alle zur bautechnischen Beurteilung der auf dem Grundstück vorhandenen Böden notwendigen ingenieurgeologischen, hydrogeologischen, bodenmechanischen, umwelttechnischen und chemischen Untersuchungen.

Was beinhaltet ein Bodengutachten?

Das Bodengutachten enthält die Ergebnisse aller durchgeführten Untersuchungen und die sich aufgrund der Untersuchungen für das Bauvorhaben ergebenden Folgerungen. Wesentliche Inhalte eines Bodengutachtens sind die Hinweise für die Art und Bemessung der Gründung. Die Interaktion von Bauwerk und Boden muss mit der Wahl der Gründung und mit den Standsicherheitsnachweisen erfasst sein. Die Lage des höchsten Grundwasserstandes und die notwendigen Sicherungsmaßnahmen gegen Vernässung müssen angegeben sein. Für die Herstellung einer Baugrube notwendige Hinweise für Aushub, Sicherung der Baugrube, erforderlicher Wasserhaltung sowie die mögliche Verwertung bzw. notwendige Entsorgung des Aushubbodens müssen ebenfalls einem Bodengutachten zu entnehmen sein.

Wer macht ein Bodengutachten?

Bodengutachten werden von einem Sachverständigen für Geotechnik, umgangssprachlich Bodengutachter genannt, durchgeführt. Bodengutachter sind je nach der zu lösenden Aufgabe Geologen oder Bauingenieure. Der Bodengutachter legt nach Recherche in bekannten Unterlagen wie Geologischen Karten oder Bohrarchive und einer Geländebegehung die erforderlichen geotechnischen Untersuchungen fest. Im Fall der Beurteilung bestehender Gründungen, die insbesondere für das Bauen im Bestand entscheidend ist, wird vom Bodengutachter neben den Kenntnissen in Bodenmechanik und Gründungstechnik auch eine zutreffende Beurteilung der vorhandenen Konstruktion gefordert. So muss beispielsweise die Zulässigkeit der Beanspruchungen alter Konstruktionen meist ohne vorhandene Berechnungen beurteilt werden, um notwendige Maßnahmen ergreifen und nicht notwendige Maßnahmen vermeiden zu können. Häufig muss auf alten Industriegrundstücken oder anderen kontaminierten Grundstücken gebaut werden. In solchen Fällen muss der Bodengutachter aufgrund der durchgeführten bodenmechanischen und chemischen Untersuchungen angeben, welche Maßnahmen zu treffen sind.

Was kostet ein Bodengutachten?

Die Kosten für ein Bodengutachten variieren sehr stark. Je nach Anwendungsfall liegen die Kosten für bspw. ein Einfamilienhaus normaler Größe zwischen 600 und 2.000 Euro. Die Preisunterschiede ergeben sich hauptsächlich aus der Intensität der Untersuchung. Muss im Rahmen eines Schadenfalls, wie das Absacken eines Gebäudes ein Bodengutachten erstellt werden, können sich die Kosten auf bis zu 2.500 Euro und mehr belaufen, da die Baugrunduntersuchung und die zusätzliche Analyse der Schadensursache deutlich aufwendiger sind.

Quelle: URETEK Deutschland GmbH, Weseler Str. 110, 45478 Mülheim an der Ruhr

Baugrundrisiko

Jeder Bauherr trägt das Risiko, dass an seinem Neubau oder an Nachbargebäuden Schäden auftreten oder Personen beeinträchtigt werden. Diese Schäden und Beeinträchtigungen können vielfältige Ursachen haben:

  • Überbauung wenig tragfähiger Schichten: Torf, weicher Lehm, Altablagerungen, u.a.
  • Instabilitäten des Baugrunds: Rutschung, Erdfall, Schwellen, Schrumpfen
  • nicht standsichere Baugrundböschungen
  • fehlerhafte Gründungen infolge unzulässiger Setzung, Sackung, Senkung, Schiefstellung oder Grundbruch
  • unwirtschaftliche Gründung
  • ungenügende Berücksichtigung von Sicker- und Grundwasser oder Schadstoffen (BBodSchG, LAGA)
  • fehlende Sicherung bestehender Gebäude, z.B. durch Unterfangung


Pflicht zur Baugrunderkundung

Eine Pflicht zur Baugrunderkundung besteht nach:

  • den Landesbauordnungen
  • der Verdingungsordnung für Bauleistungen
  • Bundesbodenschutz-Gesetz
  • den von den Ländern baurechtlich eingeführten Normen, in der exakte Anforderungen an den Untersuchungsaufwand gestellt werden


Baugrund – Untersuchung

Angaben zur Beschaffenheit und zum Aufbau des Untergrundes sind zu erhalten durch:

  • Auswertung topographischer und Sondierungen geowissenschaftlicher Karten und Fachliteratur (Ramm-, Flügel-, Drucksondierungen)
  • Baggerschürfe
  • Bohrungen (Kleinrammbohrungen, Kernbohrungen)
  • geophysikalische Erkundungen (Seismik, Geoelektrik, Georadar)

Mit Hilfe dieser Angaben wird ein Baugrundgutachten erstellt. Durch bodenmechanische Versuche im Feld und an ausgewählten Proben im Labor werden charakteristische Rechenwerte ermittelt, die zum Rechenmodell des Baugrundes führen, das Grundlage der Gründungsberatung ist.

Vorteile

Ein Baugrund- und Gründungsgutachten…

  • gibt dem Bauherrn Planungssicherheit
  • verhindert baugrundbedingte Baustillstände
  • ermöglicht eine sichere und wirtschaftliche Gründung – viele schadensfreie Gebäude sind unwirtschaftlich gegründet
  • erspart in der Regel mehr als es kostet


Quelle: BDG – Berufsverband Deutscher Geowissenschaftler e.V.: Flyer: „Baugrundgutachten sind immer die richtige Entscheidung – Informationen für Bauherren“.

Baugrundrecht – Entscheidungen im Volltext (3): OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 14.02.2017 – 14 U 88/16

Baugrundrecht – Entscheidungen im Volltext (3): OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 14.02.2017 - 14 U 88/16

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Werklohn wegen einer Hangsanierung in Anspruch. Die Beklagte begehrt widerklagend die Kostenerstattung für eine Hangteilsicherung im Wege der Ersatzvornahme sowie die Feststellung, dass die Klägerin verpflichtet ist, alle etwaigen künftigen Nachbesserungsaufwendungen für die weitere Hangsanierung zu tragen.

Die Beklagte errichtete im Jahr 2011 in Stadt1 ein Logistikzentrum. Um eine ebene Baufläche für den Bau einer Halle herzustellen, musste der Boden hangseitig abgetragen und talseitig aufgeschüttet werden.

Dem Streithelfer zu 1) oblag die Planung. Die Streithelferin zu 2) erstellte unter dem 20.10.2008 ein Baugrundgutachten (Bd. I, Bl. 73 – 97 d.A.) und nachfolgend einen geotechnischen Bericht (Baugrundnachbegutachtung) vom 15.09.2010 (Bd. I, Bl. 47 – 72 d.A.). Die Streithelferin zu 3) ist der Versicherer für die Bauleistung der Beklagten.

Die Parteien schlossen am 26.11.2010 (Anlage K 2, Bd. I, Bl.12 d.A.) einen Werkvertrag nach VOB/B über das Gewerk “Erdarbeiten (Erdabtrag, Erdauftrag, Erdabfuhr/Herstellung Baufeld)”. Vertragsgrundlagen wurden unter Ziffer 2 des Bauvertrages die “beiliegenden Angebots- und Vertragsbedingungen”, das Angebot der Klägerin vom 12.11.2010 (K 1, Bd. I, Bl.11 d.A.), die Pläne Nr. E-2, P-1 bis P-5 (Bd. I, Bl.44 ff., Bd. V, Bl. 1212 – 1215 d.A.), das Verhandlungsprotokoll vom 12.11.2010 sowie das Bodengutachten des X. Die von der Klägerin über diesen Auftrag erstellte Schlussrechnung vom 05.03.2011 (K 25, Bd. II, Bl. 276 f. d.A.) über 428.804,19 € netto wurde von der Beklagten am 04.04.2012 und am 24.04.2012 in voller Höhe beglichen.

Nach dem Lösen und dem Abtransport des Bodens durch die Klägerin bis Mitte des Jahres 2011 verblieb hangseitig eine Abtragsböschung am Südrand des Bauplatzes, die die Beklagte durch eine Drittfirma begrünen ließ.

Mit weiterem Auftrag vom 28.10.2011 wurde die Klägerin beauftragt, Außenanlagen-, Pflaster- und Asphaltarbeiten sowie Arbeiten zur Auffüllung am Fuße der Böschung zur Herstellung des Baugrundes vorzunehmen.

Am 15.12.2011 rutschte der obere Teil der hangseitigen Böschung auf einer Länge von ca. 10 bis 20 m teilweise ab. Die Beklagte schaltete daraufhin die Streithelferin zu 2) zwecks Ursachenforschung und Erstellung eines Lösungsvorschlags ein, woraufhin die Streithelferin zu 2) am 24.01.2012 (K 4, Bd. I, Bl. 14 ff. d.A.) eine schriftliche Stellungnahme für die Sanierung der aufgetretenen Rutschung an der hangseitigen Abtragsböschung erstellte. Die Klägerin führte die vorgegebenen Arbeiten bis Anfang Februar aus. Im Zuge der Erdarbeiten nach dem Entfernen der abgerutschten Bodenmassen erstellte die Streithelferin zu 2) am 31.01.2012 eine 2. Stellungnahme zur Sanierung der hangseitig aufgetretenen Böschungsrutschung und stellte fest, dass der untere Teil der Böschung, der von standfestem Sandsteinfels bzw. Felsersatz aufgebaut wird, augenscheinlich nicht erfasst wurde (K 5, Bd. I, Bl.17 d.A.). Am 06.02.2012 reichte die Klägerin ihr Angebot, vordatiert auf den 09.01.2012, für die Baumaßnahme Böschungsrutsch über 47.782,07 € (K 6, Bd. I, Bl. 19 d.A.) an die Beklagte nach und stellte über die Arbeiten zur Hangsanierung die Rechnung vom 29.02.2012 über 48.972,07 € (K 7, Bd. I, Bl. 20 d.A.).

Wenige Wochen nach Abschluss der Arbeiten zur Böschungssanierung kam es an gleicher Stelle zu einer erneuten Rutschung, diesmal ab der Sohle der Böschung. Mit Schreiben vom 22.06.2012 (B 7, Bd. I, Bl. 179 ff. d.A.) forderte die Beklagte die Klägerin zur Beseitigung der Hangrutschung bis zum 29.06.2012 auf. Die Frist verlief fruchtlos.

Die Beklagte beauftragte sodann die Firma Y mit der Hangsicherung, die der Beklagten die Arbeiten mit der Schlussrechnung vom 06.12.2012 mit 124.826,41 € (B 9, Bd. I, Bl. 184 f. d.A.) in Rechnung stellte. Im Januar 2013 kam es erneut zu einem Hangrutsch. Die Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom 04.01.2013 (B 10, Bd. I, Bl. 228 f. d.A.) erneut erfolglos zur Beseitigung auf. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 14.01.2013 die Verantwortung für den erneuten Hangrutsch zurückgewiesen. Weitere Hangrutsche ereigneten sich im Januar 2014 und im März 2015.

Die Klägerin hat vorgetragen, die in Rechnung gestellten Arbeiten zur Hangsanierung seien vom Prokuristen der Beklagten, dem Projektleiter A, nach dem ersten Böschungsrutsch am 27.01.2012 mündlich in Auftrag gegeben worden. Nach Fertigstellung dieser Arbeiten sei die sanierte Böschung am 06.02.2012 von der Streithelferin zu 2) als vertragsgemäß hergestellt abgenommen worden. Die Abnahme dieser Arbeiten sei jedenfalls stillschweigend durch die Inbetriebnahme der Halle erfolgt. Die Klägerin sei auch nicht schon aus dem Vertrag vom 26.11.2010 zur Herstellung einer standhaften Böschung verpflichtet gewesen. Ihre Verpflichtung aus diesem Vertrag habe in dem Lösen, Abtransportieren und Abladen bestimmter Erdmassen zur Herstellung des Planums bestanden. Seitens der Beklagten habe bei dieser Auftragsvergabe auch kein Anlass dahingehend bestanden, die Herstellung einer standhaften Böschung mit zu beauftragen, da nach den Baugrunderkundungen der Streithelferin zu 2) davon auszugehen gewesen sei, dass der Baugrund aus stand- und rutschfestem Material bestünde. Die Klägerin habe demgemäß keinen Auftrag erteilt bekommen, die Abtragsböschung nach erfolgtem Lösen auf Standsicherheit zu prüfen und gegebenenfalls geeignete Maßnahmen vorzunehmen. Dies sei auch nicht Nebenpflicht des mit dem Erdaushub beauftragten Unternehmers. Die Klägerin sei lediglich zur Einhaltung der Vorgabe aus dem Baugutachten hinsichtlich der Generalneigung (1:1,5) verpflichtet gewesen. Darüber hinausgehende Sicherungsmaßnahmen seien nicht beauftragt gewesen. Die versteckte Problematik der Bodenstruktur des Baugrundes gehe zu Lasten der Beklagten, die das Baugrundrisiko allein zu tragen habe.

Die Beklagte hat in Abrede gestellt, dass sie an die Klägerin einen gesondert zu vergütenden Auftrag zur Sanierung hinsichtlich des ersten Hangrutsches erteilt habe. Vielmehr sei die Klägerin zur Vornahme der in Rechnung gestellten Arbeiten im Rahmen der Nacherfüllung verpflichtet gewesen. Die Herstellung der Standfestigkeit der Böschung (Verfestigung des Erdhangs) sei bereits aus dem Vertrag über Erdarbeiten vom 26.11.2010 geschuldet gewesen. Aus den einbezogenen Plänen E-2 und P-1 bis P-5 ergebe sich, dass eine Berme mit einem Böschungswinkel von 1:1,5 herzustellen gewesen sei. Zudem sei in dem Baugrundgutachten der Streithelferin zu 2) vom 20.10.2008 darauf verwiesen, dass die Böschung gemäß DIN 4142 (Baugrube und Graben) zu errichten gewesen sei. Aus der Baugrundnachbegutachtung vom 15.09.2010 ergebe sich, welche Sicherungsmaßnahmen bei dem Hangabtrag zu ergreifen gewesen seien. Die Klägerin habe den vorgegebenen Böschungswinkel nicht eingehalten und die im geotechnischen Bericht vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen (Einfügung von Steinkeilen u.ä. am Böschungsfuß) nicht ausgeführt. Ursächlich für die Hangrutschungen seien eine fehlerhafte Planung des Streithelfers zu 1) und die fehlerhafte Bauausführung der Klägerin. Zumindest hätte die Klägerin Bedenken hinsichtlich der fehlerhaften Planung des Streithelfers zu 1) anmelden müssen. Weil die Klägerin die Nachbesserung wegen Schlechterfüllung verweigere, könne die Beklagte auch hilfsweise ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen. Die Beklagte erklärte ferner hilfsweise die Aufrechnung mit Gegenforderungen.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen und der erstinstanzlichen Anträge wird auf das angefochtene Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Fulda vom 19.04.2016 gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO (Bd. IV, Bl. 1071 – 1087 d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.

Es hat zur Begründung ausgeführt, dass aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme feststehe, dass der mit Prokura versehene Bauleiter der Beklagten, der Zeuge A, die Klägerin am 27.01.2012 mit der Durchführung der Sanierungsarbeit der Böschung beauftragt habe. Dies folge aus der glaubhaften Aussage des Zeugen B, der bekundet habe, am 27.01.2012 von dem Zeugen A nach dem Böschungsrutsch auf der Baustelle mit der Herstellung der Böschung beauftragt worden zu sein. Das schriftliche Angebot vom 9.1.2012 sei sodann auf weitere Anforderung des Herrn A nachträglich erstellt worden. Der Preis habe am 27.1.2012 schon festgestanden. Der Zeuge habe weiter bekundet, dass die Sicherungsmaßnahmen der Böschung hangseitig durch die Streithelferin zu 2) überwacht und die Sicherungsmaßnahmen in Form der Beseitigung des Hangrutsches nach deren Vorgaben durchgeführt worden seien. Nach Beendigung der Arbeiten habe eine Begehung durch Herrn C stattgefunden und er habe die Sicherungsmaßnahmen als abgenommen angesehen. Auch der Zeuge A habe im Ergebnis bestätigt, dass die Klägerin nach dem Hangrutsch mit der Beseitigung der Erde beauftragt worden sei, ohne dass auf das vorhergehende Auftragsverhältnis zur Herstellung der Baugrube Bezug genommen worden sei. Der Zeuge habe auch bestätigt, dass auf seine Anforderung später ein Angebot von der Klägerin erstellt worden sei. Weil die Beklagte dem Angebot vom 9.1.2012 mit den darin enthaltenen Preisen nicht widersprochen habe, seien diese Preise jedenfalls als übliche Vergütung anzusehen.

Die Werklohnforderung sei auch ohne Abnahme fällig. Weil das Werk der Klägerin durch die eingetretenen weiteren Hangbrüche nicht mehr abgenommen werden könne und der Untergang des Werkes der Risikosphäre der Beklagten zuzuordnen sei, könne die Klägerin gemäß § 645 BGB ihre volle Vergütung verlangen. Ein Baugrundrisiko habe die Klägerin vertraglich nicht übernommen. Die Klägerin habe die Sicherungs- und Stabilisierungsmaßnahmen nach Vorgaben des X durchgeführt. Ein Baugrundrisiko, das sich u.a. dadurch verwirklicht habe, dass entgegen der weiteren Stellungnahme des Baugrundlabors am 31.01.2012 der untere Teil der Böschung nicht ausreichend standfest gewesen sei und es deshalb zu weiteren Böschungsbrüchen gekommen sei, habe die Klägerin nicht zu tragen.

Die von der Klägerin im Rahmen der Klageforderung geltend gemachten Arbeiten seien vergütungspflichtig, denn die Klägerin sei auch nicht zur Durchführung dieser Arbeiten gemäß Rechnung vom 05.06.2012 im Wege der Nacherfüllung aus dem ursprünglichen Bauvertrag vom November 2010 verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe auf Grundlage des Vertrages vom 26.11.2010 nicht die dauerhafte Herstellung der Standfestigkeit einer im Zuge der Arbeiten entstehenden Böschung geschuldet. Gemäß dem Angebot der Klägerin vom 12.11.2010, das Vertragsgrundlage geworden sei, habe die Klägerin Arbeiten in Form des Lösens, Ladens und des Transportes von Boden und dem Einbringen von Bindemitteln geschuldet. Eine Verpflichtung der Klägerin, die durch das Lösen von Erdmassen entstehende Abschlagsböschung standfest und dauerhaft zu errichten, sei dem Vertrag nicht zu entnehmen. Arbeiten zur endgültigen Herstellung und Befestigung der Böschung seien in dem Vertrag vom 26.11.2010 nicht vorgegeben worden. Dies habe auch der bestellte Sachverständige in seinem Gutachten ausgeführt. Auch ergebe sich eine Verpflichtung, die hangseitige Böschung mit allen erforderlichen Verfestigungsmaßnahmen als Dauerböschung anzulegen, nicht aus dem geotechnischen Bericht vom 15.09.2010, da sich schon dem Wortlaut nicht entnehmen lasse, wer zur Errichtung der Dauerböschung verpflichtet sein solle. Der Begriff der “Dauerböschung” beziehe sich erkennbar nur auf den Errichtungswinkel für den nachbauzeitigen Zustand. Auch die weiteren dortigen Ausführungen unter 5.1., wonach Sicherungsmaßnahmen zur Fassung örtlicher Hang-, Stau- bzw. Schichtwasseraustritte zu berücksichtigen seien (Steinkeile, lokal aufliegende Steinwürfe, Sickerkeile am Böschungsfuß o.ä.) seien zu unbestimmt, um eine vertragliche Verpflichtung zur Herstellung von Böschungssicherungsmaßnahmen zu begründen. Auch den Plänen E-2, P-1 bis P-5 des Streithelfers zu 1) seien keine Sicherungsmaßnahmen, sondern nur die Herstellung einer Berme mit der Generalneigung 1:1,5 zu entnehmen.

Dass die Beklagte die Schlussrechnung vom 24.04.2012 vollständig beglichen habe und der Nachtrag vom 08.03.2011 auf Aufforderung der Beklagten für die talseitige Böschung und einen Teil des Baufeldes erstellt worden sei, zeigten, dass die Beklagte selbst von einer Vergütungspflicht weiterer Maßnahmen zur Hangsicherung und -sanierung ausgegangen sei und die Parteien keine Überwälzung des Baugrundrisikos auf die Klägerin vornehmen wollten. Nichts anderes folge aus dem Baugrundgutachten vom 20.10.2008, in dem es heiße, dass bei allen Bodeneingriffen die einschlägigen Bestimmungen der DIN 4124 zu beachten seien. Die DIN 4124 beziehe sich auf Böschungen und Gräben, die während der Bauzeit entstünden. Sie sei auf Dauerböschungen nicht anwendbar. Diese seien nach der DIN 4084 zu beurteilen.

Selbst wenn die Klägerin im Rahmen des Vertrages vom 26.11.2010 zur Errichtung der Böschung verpflichtet gewesen wäre, wären die Böschungsarbeiten jedenfalls gesondert zu vergüten gewesen, denn im Rahmen des Vertrages und des zu Grunde liegenden Angebotes seien der Umfang und die Vergütung für die 4 vereinbarten Leistungspositionen festgelegt gewesen. Spezielle Sicherungsmaßnahmen für die Böschung seien den Leistungspositionen nicht zu entnehmen gewesen. Der vereinbarte Pauschalpreis beziehe sich nur auf die im Leistungsverzeichnis enthaltenen Positionen. Die Erstellung der standfesten Böschung sei – für die Beklagte erkennbar – gesondert zu vergüten. Der Unternehmer habe einen Anspruch auf Erstattung von Mehrkosten, wenn im Zuge der Nacherfüllung Leistungen erforderlich würden, die er nach dem Vertrag nicht zu erfüllen habe, die er aber erbringen müsse, weil sie zur ordnungsgemäßen Ausführung nötig seien.

Die Hangsicherungs- und Sanierungsarbeiten seien auch nicht deshalb als Nacherfüllung anzusehen, weil die Klägerin die Erdarbeiten gemäß Bauvertrag vom 26.11.2011 mangelhaft ausgeführt und hierdurch den 1. Hangrutsch herbeigeführt hätte. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, denen sich die Kammer voll umfänglich anschließe, liege der Grund für den ersten Böschungsbruch nicht in einer mangelhaften Ausführung der Arbeiten der Klägerin. Danach habe die Klägerin die vorgeschriebene Neigung von 1:1,5 ausgeführt. Soweit die Klägerin die Böschungsneigung in dem Bereich, in dem Fels anstand, nicht mit der Neigung von 1:1,5, sondern senkrecht ausgeführt habe, habe der Sachverständige dargelegt, dass dies für die Sicherheit in diesem Bereich keine Rolle spiele. Zudem seien die Pläne so zu verstehen, dass die Neigung im Bereich der Bermen so herzustellen sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen war es nicht die Klägerin, sondern der Fachplaner und Gutachter, die umfassende Kenntnis von der Heterogenität des Baugrundes hatten und aus dieser Erkenntnis nicht die nötigen Schlüsse für die Standsicherheit der Böschung gezogen hätten.

Dass die Böschungsbruchberechnungen unterblieben seien, sei nicht der Klägerin anzulasten. Diese sei zur Erstellung der Böschungsbruchberechnungen nicht verpflichtet. Es obliege dem Unternehmer nicht, die Gutachten der Fachplaner zu überprüfen und eigene Berechnungen anzustellen. Die im Baugrundgutachten beschriebenen Risiken seien durch die vorgeschlagene Generalneigung von 1:1,5 abgedeckt gewesen.

Der Beklagten stehe auch kein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Nacherfüllungsanspruches wegen fehlerhafter Sanierungsarbeiten nach dem 1. Böschungsbruch zu, weil der Nacherfüllungsanspruch mit der Geltendmachung von Schadensersatz im Wege der Widerklage erloschen sei.

Die Widerklage sei unbegründet, weil der Klägerin weder ein Ausführungsfehler noch ein Verstoß gegen eine ihr obliegende Bedenkhinweispflicht (§ 4 Nr.3 VOB/B) angelastet werden könne. Nach der Einholung des Sachverständigengutachtens stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der erste Hangbruch im Januar 2012 seinen Grund nicht in einer mangelhaften Ausführung der Arbeiten der Klägerin im Rahmen des Vertrages vom Oktober 2011 hatte. Auch die Arbeiten der Klägerin im Januar 2012 zur Sanierung nach dem ersten Hangrutsch seien nicht mangelhaft gewesen. Der Sachverständige habe dargelegt, dass der Baugrundgutachter in seinem Gutachten auf die Problematik des stark wechselnden Baugrundes (Heterogenität) hingewiesen habe, ohne hieraus aber die nötigen Schlüsse für die Standsicherheit der 7 – 9 m hohen Böschung zu ziehen, nämlich die Vornahme der erforderlichen Böschungsbruchberechnungen nach DIN 4084 zur Ermittlung des sog. worst case. Eine Generalneigung von 1:1,5 sei fälschlicherweise pauschal als zulässig beurteilt worden. Auch fehle es im Hinblick auf den Hinweis des Bodengutachtens auf das Erfordernis lokaler Entwässerungs- und Sicherungsmaßnahmen zur Fassung örtlicher Hang-, Stau- bzw. Schichtwasseraustritte an der entsprechenden Umsetzung in der Planung des Streithelfers zu 1). Im Hinblick auf die Klägerin habe der Sachverständige festgestellt, dass die Klägerin keine anderen als die beschriebenen Verhältnisse habe feststellen können und wegen der Erfassung der beschriebenen Risikoformulierungen habe davon ausgehen müssen, dass alle Risiken über die als zulässig beschriebene Generalneigung von 1:1,5 gesichert würden, nachdem der unterschiedliche Bodenaufbau im Bodengutachten umfassend beschrieben worden sei. Die Kammer folge der Auffassung des Sachverständigen, dass das Fehlen von Böschungsbruchberechnungen jedenfalls nicht der Klägerin als ausführendes Unternehmen anzulasten sei.

Es habe für die Klägerin keinen Grund gegeben, von einem Fehler oder einer Unvollständigkeit der Feststellungen zur Abdeckung der Risiken über die vorgesehene Generalneigung auszugehen und diese Vorgabe zu überprüfen. Bei der Einbeziehung eines Fachplaners, wie vorliegend der Streithelferin zu 2) als Baugrundgutachterin, sei gegenüber dem Kenntnisstand der Klägerin ein höheres Fachwissen vorauszusetzen. Die Klägerin sei nicht verpflichtet gewesen, das Bodengutachten zu überprüfen. Offenkundige Fehler oder Unrichtigkeiten habe keine der Partei vorgetragen. Solche seien auch unter Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen nicht zu erkennen. Es sei ferner nicht zu erkennen, dass für die Klägerin als Fachfirma für Straßen-, Tief- und Ingenieurbau ein Anknüpfungspunkt für eine Prüfpflicht wegen veränderter Umstände während der Bauausführung bestanden hätte. Der Sachverständige habe dargelegt, dass die Klägerin während der Bauausführung keine anderen als die beschriebenen Verhältnisse habe feststellen können. Auch der Streithelfer zu 1) habe ausgeführt, dass die im Bodengutachten für die Ausführungsphase beschriebenen Risiken und die im Zuge der Ausführung der Böschung zu beachtenden Risiken im Zuge der Arbeiten der Klägerin nicht eingetreten seien. Soweit der Streithelfer zu 1) darauf hingewiesen habe, dass im Zuge der Ausführungen auf eine Problemzone im Baufeld hingewiesen worden sei und daraufhin in einem bestimmten Bereich Boden ausgetauscht und Schotter verfüllt worden sei, betreffe dies nicht die streitgegenständliche hangseitige Böschung, sondern die talseitige Böschung. Unter den gegebenen Umständen sei mithin auch von der Klägerin als Fachfirma für Tiefbau nicht zu erwarten gewesen, dass sie das Risiko eines Böschungsbruches erkenne.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass die Klägerin verpflichtet gewesen sei, ein funktionsfähiges Werk entstehen zu lassen. Weder aus der ursprünglichen Beauftragung für die Erdarbeiten noch aus dem Angebot vom 09.01.2012 zur Beseitigung des Böschungsbruches folge, dass die Klägerin zu Herstellung einer dauerhaften funktionstauglichen Böschung verpflichtet gewesen wäre. Dies sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sanierung nach dem ersten Böschungsbruch anzunehmen, da diese Arbeiten unter der Leitung und auf Anweisung der Streithelferin zu 2) in deren Stellungnahmen vom 24.01.2012 und 31.01.2012 erfolgten, ohne dass der Klägerin eine funktionale Leistungsbeschreibung vorgegeben worden sei.

Die Beklagte hat gegen das am 26.04.2016 zugestellte Urteil mit am 19.05.2016 eingegangenen Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten (Bd. IV, Bl. 1099 f. d.A.) Berufung eingelegt und hat diese, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 27.07.2016, mit am 14.07.2016 eingegangenen Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten (Bd. IV, Bl. 1116 ff. d.A.) begründet.

Die Beklagte verfolgt mit ihrem Rechtsmittel ihre erstinstanzlichen Anträge, die Klage abzuweisen und der Widerklage stattzugeben, weiter.

Die Klägerin habe keine fällige Werklohnforderung, weil der Werkerfolg nicht eingetreten sei. Das Landgericht habe verkannt, dass die Klägerin ein funktionsfähiges Werk geschuldet habe. Nach BGH, Urteil vom 08.11.2007, VII ZR 183/05, bestimme sich der werkvertraglich geschuldete Erfolg nicht alleine nach der zu seiner Erreichbarkeit vereinbarten Leistung oder Ausführungsart, sondern auch danach, welche Funktion das Werk nach dem Willen der Parteien erfüllen soll. Ein Werk sei fehlerhaft, wenn der mit dem Vertrag verfolgte Zweck zur Herstellung eines Werkes nicht erreicht werde und das Werk seine vereinbarte oder nach dem Vertrag vorausgesetzte Funktion nicht erfülle. In dem Bauvertrag vom 26.10.2010 seien unter Ziffer 2 ausdrücklich Unterlagen als Vertragsgrundlagen einbezogen worden. Ausweislich der Pläne E-2, P-1 bis P-5 habe der Streithelfer zu 1) vorgegeben, dass eine Berme mit einem Böschungswinkel von 1:1,5 an der Grundstücksgrenze “Z” herzustellen sei. Die Klägerin habe mithin den Auftrag gehabt, den Hang zu modellieren, so dass eine Herstellung und Befestigung der Böschung in dem Vertrag vom 26.10.2010 vorgegeben worden sei. Es seien gerade auch die Pläne, welche die Böschung sowie die Herstellung des gesamten Baufeldes zum Gegenstand haben, Grundlage des Vertrages geworden. Wenn ein Hang herzustellen sei, müsse der Hang auch funktionstauglich sein. Deshalb sei die Klägerin vertraglich verpflichtet gewesen, einen standsicheren Hang zu errichten. Es komme nicht darauf an, dass aus dem geotechnischen Bericht nicht zu entnehmen sei, wer die “Dauerböschung” erbauen sollte, weil sich dies aus dem Vertrag vom 26.10.2010 ergebe.

Das Werk sei nicht zufällig untergegangen oder verschlechtert worden, sondern dies sei die Folge handwerklicher Fehler gewesen. Ob diese im Bereich der Planung oder der Bauausführung zu suchen seien, sei für diesen Rechtsstreit irrelevant, da eine alternative und nicht eine kumulative Haftung der Klägerin mit den Streithelfern bestehe. Die Rechtsauffassung des Landgerichts, der Untergang des Werkes sei der Risikosphäre der Beklagten zuzuordnen, führe dazu, dass sich der Werkunternehmer bei Mängeln auf einen zufälligen Untergang oder eine zufällige Verschlechterung des Werkes berufe, sodass er gemäß § 326 BGB nicht mehr zu leisten brauche. Dies widerspreche sämtlichen baurechtlichen Gepflogenheiten und der Rechtsprechung des BGH zum funktionalen Mangelbegriff.

Dass die Beklagte trotz des ersten Böschungsbruchs die Schlussrechnung der Klägerin vom 24.04.2012 vollständig gezahlt habe, sei auch kein Indiz dafür, dass die Beklagte die Vergütungspflicht weiterer Maßnahmen zur Hangsicherung und -sanierung angenommen habe. Zu diesem Zeitpunkt seien sowohl die Klägerin als auch die Beklagte noch davon ausgegangen, dass es sich bei der Hangrutschung um ein versichertes Baugrundrisiko handele. Erst aus dem von der Streithelferin zu 3) beauftragten Gutachten habe sich dann ergeben, dass eine mangelhafte Bauplanung und -ausführung vorliege.

Die Parteien hätten zudem die VOB/B vereinbart. Gemäß § 1 der VOB/B gelten als Bestandteil des Vertrages auch die allgemeinen technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen VOB/C. Im Rahmen der VOB/C seien ebenfalls die allgemeinen technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV), Erdarbeiten gem. DIN 18300 zu berücksichtigen. Die DIN 18300 nehme Bezug auf die DIN 1054 (Baugrund). Dementsprechend hätten die DIN 4084 als auch die DIN 4124 durch die Klägerin mitberücksichtigt werden müssen. Die Klägerin habe durch die Gegenzeichnung des Bauvertrages eine vertragliche Verpflichtung zur Durchführung bestimmter Verfestigungsmaßnahmen für eine Dauerböschung übernommen. Die DIN 4124 als auch die DIN 4084 seien damit über die DIN 18300 als ATV Vertragsbestandteil geworden.

Auch hätte die Klägerin als Fachunternehmen die fehlende Böschungsbruchberechnung gem. DIN 4084 oder einen Standsicherheitsnachweis eines Statikers bzw. Tragwerksplaners einfordern müssen. Die Klägerin habe aufgrund des Gutachtens des X die Heterogenität des Baugrundes gekannt und hätte daraus die notwendigen Schlüsse für die Standsicherheit der Böschung ziehen müssen. Aus der Aussage des Zeugen B gehe hervor, dass die Klägerin den Hangrutsch billigend in Kauf genommen habe, weil eine Gefährdung von Gebäuden nicht bestanden habe. Die Beklagte habe den Hangrutsch aber nicht billigend in Kauf nehmen wollen, sondern habe die Herstellung eines funktionsfähigen Werkes vereinbart. Bei ihrer funktionalen Leistungsbeschreibung habe die Beklagte keinen detaillierten Leistungskatalog vorgegeben, sondern die zu erbringende Leistung nach dem zu erreichenden Ziel definiert. Sie habe im Wesentlichen nur die durch den angestrebten Nutzungszweck vorgegebenen Anforderungen eines Bauwerkes beschrieben und die technischen, wirtschaftlichen, gestalterischen und funktionalen Rahmenbedingungen definiert. Die Klägerin habe sich somit viel mehr Gedanken über die konkrete Art und Weise der Bauausführung machen müssen, als sie es tatsächlich getan habe. Sie hätte, falls die Unterlagen nicht vollständig gewesen wären oder aber weitere Unterlagen notwendig gewesen wären, entsprechende Bedenken anmelden müssen.

Der vereinbarte Pauschalpreis beziehe sich deshalb auch nicht nur auf die im Leistungsverzeichnis enthaltenen Positionen, sondern vergüte die geschuldete Herstellung des funktionsfähigen Werkes einschließlich des standsicheren Hanges. Wenn die Klägerin gemeint habe, dass für die Standsicherheit der Böschung noch weitergehende und kostenpflichtige Maßnahmen notwendig gewesen wären, dann hätte sie dies im Pauschalpreis mitberücksichtigen müssen. Im Nachhinein über “Sowieso-Kosten” eine Eintrittspflicht der Klägerin abzulehnen, gehe fehl und entspreche nicht der vertraglichen Vereinbarung.

Auch habe das Landgericht aufgrund einer falschen Beweiswürdigung angenommen, dass der Zeuge A als mit Prokura versehener Bauleiter der Beklagten der Klägerin einen Auftrag erteilt habe. Dies sei fehlerhaft, weil die Bauleitung ausschließlich bei dem Streithelfer zu 1) gelegen habe. Der Zeuge A sei nicht offiziell beauftragt worden, die Bauleitung zu übernehmen. Der Zeuge A habe die Prokura für die W Beteiligungsgesellschaft mbH Stadt2 und sei Niederlassungsleiter in Stadt1. Er sei vor Ort gewesen und habe deshalb in engem Kontakt mit dem Geschäftsführer der Beklagten gestanden. Bei der Bewertung der Zeugenaussagen habe das Landgericht die Aussage des Zeugen B, der als Geschäftsführer der Klägerin ein maßgebliches Interesse an einem vergütungspflichtigen Auftrag der Klägerin habe, als wahr unterstellt und sich mit der Aussage des Zeugen A nicht auseinandergesetzt. Der Zeuge A habe ausgesagt, dass keinerlei Gespräche über Preise für die Durchführung der Sanierungsmaßnahmen mit der Klägerin geführt worden seien. Es mache keinen Sinn, einen Auftrag ohne vorherige Preisverhandlungen zu erteilen. Die Klägerin habe nicht von einer kostenpflichtigen Beauftragung ausgehen können, wenn nicht festgestanden habe, was die Arbeiten überhaupt kosten sollen. Dass noch ein Angebot im Februar 2012 von der Klägerin nachgeschoben wurde, mache keinen Sinn, wenn die Auftragserteilung schon am 27.01.2012 an der Baustelle stattgefunden haben soll. Im Übrigen dürfte die Klägerin Kenntnis über Mängelgewährleistungsansprüche der Beklagten gehabt haben. Selbst wenn eine Beauftragung vorgelegen habe, so sei diese Beauftragung im Rahmen der Mängelgewährleistung als Mängelbeseitigungsaufforderung zu interpretieren und es sei nicht von einer stillschweigenden Vergütung gemäß § 632 Abs.1 BGB auszugehen. Der Zeuge A habe eindeutig eine Nachbesserungsforderung gegenüber der Klägerin artikuliert.

Der Beklagten stehe ein Schadensersatzanspruch gem. § 13 Abs.7 Nr.3 VOB/B zu, weil ein Ausführungsfehler und ein Verstoß der Klägerin als Fachfirma mit Spezialkenntnissen gegen die obliegende Bedenkhinweispflicht vorliege, denn die Klägerin hätte ggf. fehlende Unterlagen wie die Böschungsbruchberechnung nach DIN 4084 oder den vom Gutachter geforderten Standsicherheitsnachweis eines Tragwerkplaners einfordern müssen.

Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 14.07.2016 (Bd. IV, Bl. 1116 ff. d.A.) und den Schriftsatz vom 05.12.2016 (Bd. V, Bl. 1173 ff. d.A.) verwiesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Fulda vom 19.04.2016, Aktenzeichen 4 O 497/12, abzuändern und die Klage abzuweisen,

sowie die Klägerin im Rahmen der Widerklage zu verurteilen,

an die Beklagte im Wege des Schadensersatzes einen Betrag in Höhe von 124.826,41 € nebst 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen,an die Beklagte vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.166,50 € zu zahlen,und festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten aufgrund der fehlerhaften Herstellung der Böschung die über die eingeklagten Mängelbeseitigungskosten hinausgehenden Nachbesserungsaufwendungen wegen der fehlerhaften Böschung zu ersetzen,hilfsweise,für den Fall, sollte die Klägerin Mängelbeseitigungsarbeiten selbst vornehmen wollen, festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten aufgrund der fehlenden Funktionsfähigkeit der Böschung des Gewerbegrundstückes der W Grundstücks GmbH & Co. KG in Stadt1, Straße1, Stadt2, eine funktionsfähige und entsprechend den anerkannten Regeln der Technik hergestellte Böschung herzustellen.Die Streithelfer zu 1), zu 2) und zu 3) schließen sich den Anträgen der Beklagten an.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Es wird die Ordnungsmäßigkeit der Berufungsbegründung im Hinblick auf § 520 Abs.3 S.2, Nr.2 ZPO gerügt.

Eine funktionelle Ausschreibung habe die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen. Die DIN 4084 sei nicht Vertragsgegenstand geworden. Verfestigungsmaßnahmen für eine Dauerböschung seien nicht vereinbart worden. Es handele sich vielmehr um einen Planungsfehler, für den die Beklagte als Auftraggeberin der Planung die Verantwortung trage. Die Erdarbeiten aus dem Vertrag vom 26.11.2010 seien vorbehaltlos abgenommen worden und ein Nachbesserungsverlangen habe es danach gegenüber der Klägerin nicht gegeben. Über den genannten Angebotspreis für die Hangsanierung sei nicht mehr diskutiert worden, weil der Zeuge A zu diesem Zeitpunkt auch davon ausgegangen sei, dass die Versicherung der Beklagten die Kosten übernehmen werde. Die bloße Behauptung einer Bedenkhinweispflicht der Klägerin reiche nicht aus.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung der Klägerin vom 29.08.2016 (Bd. V, Bl. 1148 ff. d.A.) verwiesen.

II.

Die Berufung ist statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig.

Es sind die Anforderungen, welche § 520 Abs.3 ZPO an die Berufungsbegründung stellt, vorliegend erfüllt worden. In der Berufungsbegründungsschrift vom 14.07.2016 sind die Umstände bezeichnet, aus denen sich nach Ansicht der Berufungsklägerin die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Es wird im Gesamtzusammenhang deutlich, dass die Berufungsklägerin bemängelt, dass das Landgericht Fulda den nach dem Vertrag vom 26.11.2010 geschuldeten Werkerfolg falsch bestimmt habe und dass es unter falscher Beweiswürdigung einen neuen Vertragsabschluss am 27.01.2012 angenommen habe. Es habe deshalb verkannt, dass die Klägerin nach dem Vertrag vom 26.11.2010 einen Hang mit dauerhafter Standfestigkeit habe herstellen müssen. Weil sie dies nicht getan habe, hätte die Beklagte einen Anspruch auf vergütungsfreie Nachbesserungsarbeiten gehabt. Auch auf Grund der Verletzung einer der Klägerin obliegenden Bedenkhinweispflicht bestünden die widerklagend geltend gemachten Ansprüche. Daraus geht eindeutig hervor, welche Teile des Urteils angegriffen werden. Die Berufungsbegründung ist auch auf den konkreten Streitfall zugeschnitten und beschränkt sich nicht auf die bloße Wiedergabe formularmäßiger Sätze oder allgemeiner Redewendungen oder gar auf den Verweis des Vorbringens erster Instanz. Die einzelnen unabhängigen, selbständigen, tragenden Erwägungen des Urteils werden angegriffen. Da Klage und Widerklage gegensätzlich auf demselben Sachverhalt beruhen, war es auch nicht erforderlich, jeden einzelnen Streitgegenstand gesondert durch wiederholende Ausführungen in der Berufungsbegründung zu behandeln. Es ist von der Berufungsklägerin ausreichend klar gestellt worden, in welchen Punkten und mit welchen Gründen das Ersturteil angegriffen wird. Aus den Ausführungen der Berufungsklägerin lässt sich erkennen, in welchen Streitpunkten sie die Ansicht des Erstrichters bekämpft.

Die Berufung des Klägers hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung; § 513 Abs. 1 ZPO.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Werklohn in Höhe von 47.782,07 € gemäß §§ 631 Abs.1, letzter Halbsatz, 632 BGB aus dem am 27.01.2012 geschlossenen Werkvertrag.

Soweit die Parteien darüber streiten, ob der Zeuge A die Klägerin anlässlich des gemeinsamen Ortstermins am 27.01.2012 namens der Beklagten mit der Durchführung der nach der Stellungnahme der Streithelferin zu 2) notwendigen Sanierungsarbeiten im Rahmen eines vergütungspflichtigen Werkvertrages beauftragt hat, ist der Senat gemäß § 529 Abs.1 Nr.1 ZPO an die diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts gebunden. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen begründen könnten, zeigt die Berufungsbegründung nicht auf. Solche liegen auch nicht vor.

Unstreitig war die Böschung im Januar 2012 auf einer Länge von 10 bis 20 m teilweise abgerutscht. Die Beklagte beauftragte daraufhin die Streithelferin zu 2) als Bodengutachterin, welche auch schon am 20.10.2008 ein Bodengutachten erstellt hatte, die Ursache dieses Böschungsrutsches zu untersuchen und Vorschläge zur Behebung zu machen, woraufhin die Stellungnahme vom 24.01.2012 erstellt wurde. Es gab sodann am 27.01.2012 einen Ortstermin auf der streitgegenständlichen Baustelle an dem jedenfalls der Zeuge A für die Beklagte, der Zeuge B für die Klägerin und der Streithelfer zu 1) teilgenommen haben.

Auf der Grundlage seiner Beweisaufnahme ist das Landgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Zeuge A am 27.01.2012 die Klägerin mit der Durchführung der Sanierungsarbeit der Böschung beauftragt hat.

Insoweit kann auf die Ausführungen des Landgerichts in seinen Entscheidungsgründen im Urteil vom 19.04.2016 verwiesen werden (S.9 f.; Bd. IV, Bl. 1078 d.A.), wonach der Zeuge B glaubhaft ausgesagt habe, am 27.1.2012 von dem Zeugen A nach dem Böschungsrutsch auf der Baustelle mit der Herstellung der Böschung beauftragt worden zu sein und der Zeuge A dies im Ergebnis bestätigt habe.

Die darauf gestützte Überzeugungsbildung des Landgerichts ist nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. Der Zeuge A hat ausgesagt, dass er im Gespräch mit dem Streithelfer zu 1) und dem Zeugen B diesen gegenüber gesagt habe, dass die Erde beseitigt werden müsse. Speziell Bezug genommen auf das Auftragsverhältnis zur Herstellung der Baugrube habe er jedoch nicht. Mithin hat der Zeuge A die Klägerin zweifellos aufgefordert, die Sanierungsarbeiten für die Böschung durchzuführen.

Der Zeuge A handelte dabei auch mit Vertretungsmacht für die Beklagte.

Allerdings hat das Landgericht fälschlich angenommen, dass der Zeuge A als mit Prokura versehener Bauleiter der Beklagten tätig geworden sei. Tatsächlich hat die Bauleitung ausschließlich bei dem Streithelfer zu 1) gelegen.

Indes war der Zeuge A nach eigenem Sachvortrag der Beklagten Gesamtprokurist der Komplementärgesellschaft der Beklagten i.S.d. § 49 HGB und als solcher schon vertretungsberechtigt, denn die Prokura ermächtigt zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt. Unstreitig ist der Zeuge A als Niederlassungsleiter in Stadt1 vor Ort gewesen und hat stets in engem Kontakt mit dem Geschäftsführer der Beklagten gestanden.

Jedenfalls handelte der Zeuge A aber auch mit Duldungsvollmacht. Eine Duldungsvollmacht ist gegeben, wenn der Vertretene es wissentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt und der Geschäftsgegner dieses Dulden nach Treu und Glauben dahin versteht und auch verstehen darf, dass der als Vertreter Handelnde bevollmächtigt ist (BGH NJW 2002, 2325 ; BGH WM 2011, 1148 ; Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Auflage, 2017, § 172, Rn. 8). Der Zeuge A zeigte sich nach dem eigenen Sachvortrag der Beklagten mehrfach auf der Baustelle, weil er als Niederlassungsleiter in Stadt1 vor Ort war. Er meldete den von ihm entdeckten Böschungsrutsch persönlich telefonisch dem Zeugen B und er nahm nach seiner eigenen Zeugenaussage für die Beklagte stets allein an den Ortsterminen betreffend den ersten Hangrutsch, auch am 27.01.2012, teil. Dort erklärte er, ohne dass er auf irgendwelche Einschränkungen hinsichtlich seiner Vertretungsbefugnis hingewiesen hätte, dass die Erde beseitigt werden müsse. Zuvor war auch schon das ursprüngliche Angebot vom 12.11.2010 über die Erdarbeiten an die Beklagte “z. Hd. Herrn A” gesandt worden. Die Klägerin durfte dieses Verhalten so verstehen, dass der Zeuge A zur Auftragserteilung am 27.01.2012 bevollmächtigt war. Dem steht auch nicht entgegen, dass die schriftlichen Bauverträge zwischen den Parteien nicht von dem Zeugen A auf Seiten der Beklagten unterschrieben wurden. Dies schließt nicht aus, dass der Zeuge A auch die Beklagte vertreten durfte, vor allem auch vor dem Hintergrund, dass über die Sanierung des Hangrutsches eilig entschieden werden musste, ohne dass Zeit für die Abfassung eines schriftlichen Bauvertrages war. Mithin setzte der Zeuge A jedenfalls den Rechtsschein, als Vertreter der Beklagten den Auftrag für die Sanierungsarbeiten am 27.01.2012 vergeben zu dürfen.

Die Klägerin ist im Anschluss an dieses Gespräch unstreitig Ende Januar/Anfang Februar 2012 auch tätig geworden und hat die von der Streithelferin zu 2) vorgesehenen Sanierungsarbeiten durchgeführt, was der Beklagten auch bekannt war, so dass jedenfalls auch seitens der Beklagten eine Genehmigung der Beauftragung der Klägerin am 27.01.2012 durch den Zeugen A gemäß § 177 Abs.1 BGB vorliegt.

Das Landgericht konnte auch offen lassen, ob die Parteien zuvor über die Höhe der Vergütung für die Sanierungsarbeiten betreffend den Hangrutsch gesprochen hatten, nachdem die Aussagen der vernommenen Zeugen diesbezüglich widersprüchlich waren. Denn die Kammer geht zu Recht davon aus, dass § 632 Abs.1 BGB zur Anwendung kommt, wonach eine Vergütung als stillschweigend vereinbart gilt, wenn die Herstellung des Werkes den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.

Maßgeblich für eine objektive Vergütungserwartung sind die Verkehrssitte, Art, Umfang und Dauer der Dienste sowie die Stellung der Beteiligten zueinander; auf deren persönliche Meinung kommt es nicht an (Palandt/Weidenkaff, BGB, 76. Auflage, 2017, § 632, Rn.9, 612 Rn.4).

Durch Auslegung der Parteierklärungen nach den §§ 133, 157 BGB ist mithin zu bestimmen, ob die Beauftragung der Klägerin durch den Zeugen A als Mängelbeseitigungsaufforderung im Rahmen der Mängelgewährleistung aus dem Ursprungsbauvertrag vom 26.11.2010 zu interpretieren war, mithin nicht von einer stillschweigenden Vergütung gemäß § 632 BGB auszugehen ist, weil der Zeuge A eine Nachbesserungsforderung gestellt hat, oder sein Ansinnen als ein selbständiger, von der ursprünglich beauftragten Bauleistung unabhängiger, entgeltlicher Auftrag zu verstehen war (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 16.01.2008, 4 U 49/07, Tz. 17 – zitiert nach juris).

Handelt es sich um eine Leistung, die in keinem Zusammenhang mit dem Leistungsziel des ersten Vertrages steht, ist von einem selbständigen, gesondert zu vergütenden neuen Vertrag auszugehen (BGH, Urteil vom 13.12.2001, VII ZR 28/00, Tz. 14 – zitiert nach juris). Ist die Leistung aber nach dem Ursprungsvertrag geschuldet und von der dort vereinbarten Vergütung mitumfasst, kann eine gesonderte Vergütung nur verlangt werden, wenn der Auftraggeber in vertragsändernder Weise sich eindeutig damit einverstanden erklärt hat, eine zusätzliche Vergütung ohne Rücksicht auf die schon bestehenden Leistungspflichten des Auftragnehmers zu zahlen (BGH, Urteil vom 26.04.2005, X ZR 166/04, Rz. 26 – zitiert nach juris).

Die Auffassung des Landgerichts, dass die Klägerin im Bauvertrag vom 26.11.2010 nur zu Erdarbeiten verpflichtet war und dass nach dem vereinbarten Leistungsziel bei der Herstellung des Baufeldes von ihr nicht auch die endgültige Böschungsherstellung mit Hangsicherung geschuldet wurde, wird vom Senat geteilt.

Insoweit kann zunächst auf die diesbezüglich zutreffenden Ausführungen der Kammer auf S. 10 f. in den Entscheidungsgründen ihres Urteils vom 19.04.2016 verwiesen werden (Bd. IV, Bl. 1080 f. d.A.), die sich der Senat zu Eigen macht.

Welche Sollbeschaffenheit des Werkes die Parteien im ursprünglichen Bauvertrag vom 26.11.2010 vereinbart haben, ergibt sich aus der Auslegung dieses Werkvertrags gemäß §§ 133, 157 BGB.

Nach dem Wortlaut der Gewerkbeschreibung im schriftlichen Bauvertrag vom 26.11.2010 soll im Gewerbegebiet “Stadt1-Mitte” für das Bauvorhaben “Neubau eines Logistikzentrums” die Erstellung des Gewerkes “Erdarbeiten (Erdabtrag, Erdauftrag, Erdabfuhr/Herstellung Baufeld)” zu einem “Pauschalpreisvertrag” geschuldet sein. Zwar ist mithin das Gewerk mit dem Oberbegriff “Erdarbeiten” beschrieben, indes befindet sich in dem Klammerzusatz die Konkretisierung “Erdabfuhr/Herstellung des Baufeldes”. Daraus könnte geschlussfolgert werden, dass alle zur dauerhaften Herstellung des Baufeldes erforderlichen Maßnahmen, ggf. auch Sicherungsmaßnahmen für die Hänge, geschuldet sein könnten. Allerdings ist dem Begriff “Baufeld” auch ein temporärer Zustand immanent, weil “Bau” die Ausführungs- und Errichtungszeit beschreibt, was sich auch dahingehend interpretieren lässt, dass endgültige Maßnahmen wie die dauerhafte Böschungssicherung der Bauzeit noch nachfolgen sollten. So differenziert auch die Streitverkündete zu 2) in ihrem Baugrundgutachten vom 15.09.2010 eindeutig zwischen Angaben zu “bauzeitigen” Böschungsneigungen (dort Seite 11) und “nachbauzeitig herzustellenden” Böschungen (dort Seite 1).

Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich auch nicht aus den unter Ziffer 2 des Bauvertrages einbezogenen Vertragsunterlagen, dass die Klägerin alle dort angesprochenen über die Erdarbeiten hinausgehenden Entwässerungs- bzw. Sicherungsmaßnahmen für die endgültige Sicherung der Böschungshänge so durchzuführen hatte, dass es zu keinen Hangrutschungen gekommen wäre.

Das Bau-Soll kann grundsätzlich auch durch die Gesamtheit aller zum Vertragsinhalt gewordener Unterlagen bestimmt werden, sog. Totalitätsprinzip (Kues in: Nicklisch/Weick/Jansen/Seibel, VOB/B, 4. Auflage, 2016, § 2 VOB/B, Rn.4).

Die erwähnten “Verhandlungsprotokolle vom 12.11.2010” und auch eine Leistungsbeschreibung der Beklagten für das geschuldete Werk existieren unstreitig nicht.

Aus den “beiliegenden Angebots- und Vertragsbedingungen” ergibt sich unter Ziffer 1 nur die Reihenfolge, in der die Vertragsbestandteile bei etwaigen Widersprüchen gelten sollen; der vereinbarte Leistungsumfang ist darin nicht geregelt.

Im “Angebot des Auftragnehmers vom 12.11.2010”, das nicht nur ausdrücklich als Vertragsgrundlage unter Ziffer 2 des Bauvertrages aufgeführt ist, sondern auf dessen Pos. 1 – 4 auch unter Ziffer 6 des Vertrages (“Weitere Vereinbarungen”) Bezug genommen wird, werden unter Pos. 1 – 3 als Tätigkeiten beschrieben: Boden der Bodenklasse 3-7 zu lösen, zu laden, zu transportieren, abzuladen, lagenweise einzubauen und zu verdichten. Unter Pos. 4 werden die Lieferung, das Ausstreuen und das Einfräsen des Bindemittels Kalk/Zement zur Bodenverdichtung aufgeführt. Mithin ist das Angebot der Klägerin dahingehend eindeutig, dass Böschungs- und Hangsicherungsarbeiten gerade nicht aufgeführt sind. So wird – was die Kammer zutreffend anführt – auch vom gerichtlich bestellten Sachverständigen D ausdrücklich festgestellt, dass aus den Leistungspositionen des klägerischen Angebots vom 12.11.2010 eine vertragliche Verpflichtung zur Herstellung von Baugruben und Böschungen gerade nicht hervorgehe (S.9 f. des Gutachtens vom 28.05.2014).

Auch die Einbeziehung der sonstigen Planungsunterlagen in den Bauvertrag vom 26.11.2010 lässt auf keine Erweiterung des Leistungsziels über die Erdarbeiten hinaus schließen.

“Die Pläne Nr. E-2, P-1 bis P-5” sind reine Plandarstellungen, die vorgeben, dass bei den im Angebot unter Pos. 1 – 3 beschriebenen Erdarbeiten bei der Ausgestaltung des Geländeprofils eine Berme mit einer Böschungsneigung von 1:1,5 anzulegen war, was die Klägerin bei der Baufeldherstellung auch eingehalten hat. Die Pläne enthalten darüber hinaus keine Vorgaben für Maßnahmen der Absicherung der hangseitigen Böschung vor Rutschungen.

Die Einbeziehung der “Bodengutachten X” – darunter sind unstreitig das Baugrundgutachten vom 20.10.2008 und der geotechnische Bericht vom 15.09.2010 der Streithelferin zu 2) zu verstehen – ist auch für die reinen Erdarbeiten erforderlich gewesen. So waren die in den Baugrundgutachten aufgeführten unterschiedlichen Bodenklassen wichtig für die Preiskalkulationen der Erdbewegungen. Weiterhin erhielt das Gutachten vom 20.10.2008 Angaben zu den Schutthöhen und dem erforderlichen Verdichtungsaufwand, der für die Auswahl der Verdichtungsgeräte wichtig ist. Ferner ergab sich aus den Baugrundgutachten, dass während der Erdarbeiten der Erdaushub zu beobachten war, um der Streithelferin zu 2) Abweichungen von den Feststellungen in den Gutachten sofort mitzuteilen, damit diese gegebenenfalls das Gutachtenergebnis an die veränderten Bodenverhältnisse anpassen konnte.

Die unbestimmten Formulierungen in den beiden Bodenbewertungen hinsichtlich der Festlegung der genauen Böschungssicherungsmaßnahmen, der Person ihres Schuldners, aber insbesondere auch der Zeit ihrer Vornahme, spricht dafür, dass durch ihre Vorlage nur die Erdarbeiten vorbereitet werden sollten, während die konkrete Befestigung der Böschungen erst danach beauftragt werden sollte.

Es sind in dem Gutachten vom 20.10.2008 und dem Bericht vom 15.09.2010 Entwässerungs- und Sicherungsmaßnahmen von der Streithelferin zu 2) bereits angesprochen und Beispiele (Steinkeile, lokal aufliegende Steinwürfe, Sickerkeile am Böschungsfuß o.ä.) benannt worden, ohne aber eine konkrete Auswahl nach Art und Umfang zu treffen, so dass die Klägerin dies für eine Umsetzung in ihrem Werk selbst hätte konkretisieren und festlegen müssen. Dabei handelt es sich – wie der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinem Gutachten vom 28.05.2014 festgestellt hat (S.10) – bei der Herstellung von Böschungen gemäß DIN 4124 bzw. nach DIN 4084 grundsätzlich um zusätzliche Arbeiten, die von den Leistungsbeschreibungen im Angebot der Klägerin vom 12.11.2010 gerade nicht erfasst waren. Es sei auch – so der Sachverständige – eindeutig erkennbar gewesen, dass die unter Pos. 1 – 4 angebotenen Erdarbeiten Maßnahmen zur Böschungssicherung gerade nicht beinhalteten, solche Planungsleistungen in den Pos. 1 – 4 der Leistungsbeschreibung also gerade nicht als zusätzliche Arbeiten aufgenommen waren und mithin nach dem eindeutigen Wortlaut des Angebotes vom 12.11.2010 eben nicht vertraglich vereinbart wurden.

Die Formulierung im geotechnischen Bericht vom 15.09.2010 (S.11; Bd. I, Bl. 58 d.A.): “(…) Angaben zu bauzeitig zulässigen Böschungsneigungen sind im vorliegenden Fall nicht notwendig, da davon auszugehen ist, dass alle hangseitigen Abtragsböschungen gleich als Dauerböschungen für den nachbauzeitigen Zustand angelegt werden müssen. (…)” zeigt, dass die durch die Pläne Nr. E-2, P-1 bis P-5 und die beiden Gutachten vorgegebenen Böschungsneigungen und -höhen bereits zusammen mit den im Angebot vom 12.11.2010 aufgeführten Erdarbeiten dauerhaft erstellt werden sollten, weshalb bei den diesbezüglichen Vorgaben nicht zwischen bauzeitigen und nachbauzeitigen Böschungsneigungen unterschieden wurde. Dies hat die Klägerin auch beachtet.

Wenn im selben Bericht vom 15.09.2010 von “nachbauzeitig herzustellenden Böschungen” (S. 1; Bd. I, Bl. 48 d.A.) die Rede ist, zeigt dies in der Textgesamtheit, dass die endgültige, also dauerhafte Böschungsgestaltung offensichtlich erst nach der Bauausführung erfolgen sollte, mithin die Klägerin bei den nach den Pos. 1 – 4 ihres Angebotes geschuldeten Leistungen nur die bereits für den Dauerzustand der Böschung vorgegebene Geländeneigung 1:1,5 einzuhalten hatte.

Dafür spricht auch, dass im Baugrundgutachten vom 20.10.2008 nur darauf hingewiesen wird, dass bei allen Bodeneingriffen die einschlägigen Bestimmungen der DIN 4124 zu beachten seien (dort S.16, Bd.I, Bl.89 d.A.). Diese DIN 4124 bezieht sich aber – worauf das Landgericht zutreffend hinweist – nach den Ausführungen des gerichtliche bestellten Sachverständigen nur auf Böschungen und Gräben, die während der Bauzeit, also nicht nachbauzeitig als Dauerböschungen errichtet werden. Diese sind nämlich nach der nicht erwähnten DIN 4084 zu beurteilen.

Dass die Parteien die Einbeziehung der VOB/B vereinbart haben, führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

Es gelten gemäß § 1 der VOB/B als Bestandteil des Vertrages auch die allgemeinen technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen VOB/C und im Rahmen der VOB/C sind die allgemeinen technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV), Erdarbeiten gem. DIN 18300 zu berücksichtigen. Aus der DIN 18300, Ziffer 3.8 (Herstellen der Böschungen von Erdbauwerken) ergibt sich gerade keine Festlegung des geschuldeten Leistungsumfangs bei der Herstellung von Böschungen, sondern es wird bereits danach unterschieden, ob der Auftragnehmer mit der endgültigen Befestigung der Böschung beauftragt wurde (Ziffer 3.8.1) oder nicht (Ziffer 3.8.2). Ist dem Auftragnehmer die endgültige Befestigung nicht übertragen worden, so sind die in der Bauzeit bis zur endgültigen Böschungsbefestigung erforderlichen Maßnahmen gemeinsam mit dem Auftraggeber festzulegen, wobei ausdrücklich geregelt ist, dass es sich dann um besondere Leistungen ergänzend zur ATV DIN 18299 handelt (DIN 18300 Ziffer 4.2) und um nicht bereits aus dem Ursprungsvertrag geschuldete Leistungen.

Der Bauvertrag vom 26.11.2010 wurde auch nicht auf der Grundlage einer nur funktionalen Leistungsbeschreibung abgeschlossen, welche der Klägerin auferlegt hätte, die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen für die hangseitige Böschung selbst festzulegen. Bei einer funktionalen Leistungsbeschreibung ist nur die Bauaufgabe als solche und die an diese aus der Sicht des Auftraggebers zu stellenden technischen, wirtschaftlichen, gestalterischen und funktionsbedingten Anforderungen zur Festlegung des Bau-Solls benannt (Kues in: Nicklisch/Weick/Jansen/Seibel, VOB/B, 4. Auflage, 2016, § 2 VOB/B, Rn.6). Im Übrigen obliegt es dem Auftragnehmer, auf diesen Grundlagen die Planung zu entwickeln und das Objekt entsprechend zu bauen (Kues, aaO., Rn.7). Das typische Merkmal einer solchen funktionalen Leistungsbeschreibung ist der erhebliche gestalterische Spielraum, der sich zugunsten des Auftragnehmers dadurch ergibt, dass der Auftraggeber den zu erzielenden Nutzungszweck des Bauwerkes oder dessen grundlegende Eigenschaften nur grob festlegt und dem Auftragnehmer letztlich die technische, funktionsgerechte, gestalterische und wirtschaftliche Lösung zur Erreichung des Bauzieles überlässt (Kues, aaO., Rn.9). Hier hat jedoch nicht die Klägerin die Entwurfs- und Ausführungsplanung erarbeitet, mithin selbst Planungsleistungen in erheblichem Umfang erbracht, sondern es sind ihr gerade die vorher von der Beklagten beauftragten Pläne und Gutachten als Vertragsgrundlage vorgelegt worden, so dass die Klägerin gerade nicht das Risiko der eigenen Planung übernommen hat, sondern diesbezüglich auf Weisung der Beklagten handelte. So hat sie die Böschungsneigung nicht selbst errechnet, sondern den Neigungswert 1:1,5 übernommen. Dass die Bewertung des Baugrundrisikos nicht der Klägerin, sondern der Streithelferin zu 2) überlassen werden sollte, ergibt sich aus den Gesamtumständen: Ausweislich des Angebotes des Streithelferin zu 2) vom 12.04.2010 (Bd. III, Bl. 708 ff. d.A.) an die Beklagte für die Übernahme der Baugrunderkundung, Baugrundbeurteilung und Gründungsberatung wurde bei den Ingenieurleistungen für den geotechnischen Bericht auch das Ausarbeiten und die Empfehlungen zur Sicherung von Böschungen mit angeboten (Bd. III, Bl. 710 d.A.). Dass bei allen Baugrunduntersuchungen seitens der Beklagten die Streithelferin zu 2) um Stellungnahmen gebeten wurde und die Streithelferin zu 2) in den Bauvertrag vom 26.11.2010 unter Ziffer 3 als beauftragte Fachbauleiterin für die Überwachung der dortigen Arbeiten eingetragen wurde, zeigt, dass die Beklagte die planerische Umsetzung der Hangsicherung gerade nicht der Klägerin überlassen wollte.

Soweit die Beklagte im Zusammenhang mit den einbezogenen Vertragsunterlagen in ihrer Berufungsbegründung der Kammer unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH vom 08.11.2007 (Az.: VII ZR 183/05) vorwirft, verkannt zu haben, dass die Klägerin vertraglich die Herstellung eines funktionsfähigen Werkes geschuldet habe, ist dem nicht zu folgen.

Aus diesem Urteil ergibt sich, dass durch Auslegung des Werkvertrages zu bestimmen ist, welche Beschaffenheit eines Werkes die Parteien vereinbart haben. Zur vereinbarten Beschaffenheit gehören alle Eigenschaften des Werkes, die nach der Vereinbarung der Parteien den vertraglich geschuldeten Erfolg herbeiführen sollen. Der vertraglich geschuldete Erfolg bestimmt sich nicht allein nach der zu seiner Erreichung vereinbarten Leistung oder Ausführungsart, sondern auch danach, welche Funktion das Werk nach dem Willen der Parteien erfüllen soll. Eine Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit sei anzunehmen, wenn der mit dem Vertrag verfolgte Zweck der Herstellung eines Werkes nicht erreicht wird und das Werk seine vereinbarte oder nach dem Vertrag vorausgesetzte Funktion nicht erfüllt. Das gilt unabhängig davon, ob die Parteien eine bestimmte Ausführungsart vereinbart haben oder die anerkannten Regeln der Technik eingehalten worden sind. Ist die Funktionstauglichkeit für den vertraglich vorausgesetzten oder gewöhnlichen Gebrauch vereinbart und ist dieser Erfolg mit der vertraglich vereinbarten Leistung oder Ausführungsart oder den anerkannten Regeln der Technik nicht zu erreichen, schuldet der Unternehmer die vereinbarte Funktionstauglichkeit (BGH, Urteil vom 08.11.2007, Az.: VII ZR 183/05, Rz. 15 – zitiert nach juris).

Die Beklagte trägt vor, dass die Klägerin ausweislich der einbezogenen Vertragsunterlagen, den Auftrag gehabt habe, den Böschungshang zu modellieren. Wenn ein Hang herzustellen sei, müsse der Hang auch funktionstauglich sein. Deshalb sei die Klägerin vertraglich verpflichtet gewesen, einen standsicheren Hang zu errichten.

Dies vermag nicht zu überzeugen, denn die Beklagte verkennt, dass der Bundesgerichtshof es nach wie vor den Parteien überlässt, zu vereinbaren, welche Funktion das Werk nach ihrem Willen erfüllen soll und dafür auf die Auslegung des Werkvertrages abstellt. Anders als bei einem undichten Dach oder einer defekten Heizanlage, bei denen nur ein funktionstaugliches Werk (dichtes Dach, wärmende Heizanlage) einen Sinn macht, handelt es sich bei den Erdverschiebungen zur Hangmodellierung und der endgültigen Befestigung einer Böschung um trennbare Arbeiten, die mithin auch in getrennten Werkverträgen zeitlich nacheinander beauftragt werden können. So geht auch die DIN 18300, wie oben bereits dargestellt wurde, davon aus, dass bei der Herstellung der Böschungen von Erdbauwerken die endgültige Befestigung der Böschungen nicht ohne weiteres mit beauftragt ist. Auch in der Unterscheidung der DIN 4124 (betrifft Böschungen, die in der Bauzeit entstehen) von der DIN 4084 (betrifft Dauerböschungen) zeigt sich diese Trennung der sukzessiven Leistungen. Im geotechnischen Bericht vom 15.09.2010 nimmt die Streithelferin zu 2) diese Differenzierung zwischen bauzeitigen und nachbauzeitigen Maßnahmen gerade auch vor.

Zu Recht stellt die Kammer bei der Vertragsauslegung zudem darauf ab, dass die Gesamtumstände darauf hinweisen, dass auch die Parteien selbst den Bauvertrag vom 26.11.2010 so verstanden haben, dass die Klägerin über die Erdarbeiten hinaus nicht verpflichtet werden sollte, die Böschungen vor Rutschungen dauerhaft abzusichern.

Denn die dauerhafte Sicherung der talseitigen Böschung ist genauso wie die Begrünung der hangseitigen Böschung gesondert beauftragt worden. Für die talseitige Böschung hatte die Klägerin ein Nachtragsangebot vom 23.02.2011 erstellt (K 23, Bd. II, Bl. 271 d.A.), woraufhin diesbezüglich ein gesonderter Bauvertrag zwischen den Parteien abgeschlossen wurde (K 24, Bd. II, Bl. 273 f. d.A.). In der Schlussrechnung vom 05.03.2012 (K 25, Bd. II, Bl. 276 f. d.A.) sind neben den Pos. 1 – 4, die aus dem Angebot der Klägerin vom 12.11.2010 übernommen wurden, die weiteren Böschungsarbeiten aus dem Nachtragsvertrag gesondert abgerechnet und von der Beklagten beanstandungslos bezahlt worden. Diese im Nachtragsangebot vom 23.02.2011 beschriebenen Arbeiten waren bereits auf den Seiten 12 – 15 des geotechnischen Berichts vom 15.09.2010 aufgeführt und vorgeschlagen worden. Insbesondere findet sich unter Pos. N 4 in der Schlussrechnung vom 05.03.2012 jene Drainage, die am Fuß der streitgegenständlichen hangseitigen Abtragsböschung einzubauen war (Seite 11 des geotechnischen Berichts vom 15.09.2010) und für die der Bodengutachter erst nach “Lösen des Bodens” Detailangaben gemacht hat, als gesondert abgerechnete und bezahlte Arbeit. Mithin ist auch die Beklagte nicht davon ausgegangen, dass diese nunmehr gesondert vergüteten Leistungen betreffend die Böschungen bereits nach dem Bauvertrag vom 26.11.2010 geschuldet waren und von dem dort vereinbarten Pauschalpreis bereits abgedeckt waren. Es ist deshalb widersprüchlich, wenn die Beklagte einerseits vorträgt, dass die Klägerin bereits gemäß dem Bauvertrag vom 26.11.2010 zu diesen Böschungsarbeiten verpflichtet gewesen sein soll, die Beklagte diese dann aber andererseits gesondert beauftragt und vergütet.

Dafür, dass die Parteien von einer gesonderten Vergütungspflicht ausgegangen sind, spricht auch, dass der Zeuge A bei dem Ortstermin am 27.01.2012 die Sanierungsarbeiten gerade nicht als Nachbesserungsarbeiten des ursprünglichen Bauvertrages vom 26.11.2010 beauftragt hat. Unstreitig war bis zu diesem Zeitpunkt auch noch keine Aufforderung zur Mangelbeseitigung seitens der Beklagten gegenüber der Klägerin erfolgt. Dass der Zeuge A das schriftliche Angebot über die Sanierungsarbeiten bei der Klägerin anforderte, um es bei der Streithelferin zu 3) einzureichen, zeigt, dass die Beklagte nicht davon ausging, dass es sich bei dem Hangrutsch um einen Gewährleistungsfall handelte, den bei einem Anspruch auf Nachbesserungsarbeiten hätte kein Versicherungsfall vorgelegen. Die Idee, dass der Hangrutsch als mangelhafte Leistung der Klägerin aus dem Werkvertrag vom 26.11.2010 bewertet werden könnte, ist der Beklagten erst viel später nach der Einholung des Gutachtens des Sachverständigen E vom 28.03.2012, beauftragt von der Streithelferin zu 3), gekommen. Bis dahin ging die Beklagte, wie sie selbst vorträgt, davon aus, dass die Streithelferin zu 3) die Kosten der am 27.01.2012 beauftragten Arbeiten übernehmen werde. Daraus erklärt sich auch, dass dem Zeugen A die genaue Höhe der dadurch verursachten Vergütung zum Zeitpunkt der Auftragserteilung gleichgültig war, weil die Beklagte diese nach seiner Vorstellung nicht selbst tragen musste. Dies ändert aber nichts daran, dass er am 27.01.2012 eine vergütungspflichtige Leistung beauftragen wollte. Dass die Beklagte davon ausging, dass alle Sicherungsarbeiten an der talseitigen wie auch an der hangseitigen Böschung gesondert zu vergüten sind, ergibt sich daraus, dass die Beklagte in Kenntnis von den im Bodengutachten vom 15.09.2010 beschriebenen und vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen am 11.3.2011 einen vergütungspflichtigen Nachtragsauftrag für die talseitige Böschung erteilte.

Der Senat teilt auch die Auffassung des Landgerichts, wonach der Umstand, dass die Beklagte trotz des ersten Böschungsbruchs die Schlussrechnung der Klägerin am 24.04.2012 vollständig zahlte, als zusätzliches Indiz dafür gewertet werden kann, dass die Beklagte die Vergütungspflicht für die weiteren Maßnahmen zur Hangsicherung und -sanierung angenommen hat. Im Falle einer Nachbesserung hätte nämlich, wie bereits ausgeführt, keine Vergütungspflicht bestanden und auch kein Versicherungsfall vorgelegen. Die Vergütungszahlung damit zu begründen, dass die Beklagte davon ausgegangen sei, es handele sich bei dem Hangrutsch um ein versichertes Baugrundrisiko, ist deshalb widersprüchlich.

Die Vergütungspflicht der Klägerin ist auch nicht deshalb entfallen, weil es, wie die Beklagte behauptet, infolge von mangelhaft durchgeführten Sanierungsarbeiten der Klägerin nach dem ersten Hangrutsch an gleicher Stelle zu einem 2. und 3. Hangrutsch gekommen ist.

Die Klägerin hat die Sanierung des abgerutschten Hanges nach Maßgabe der gesondert dafür von der Beklagten beauftragten Stellungnahme der Streithelferin zu 2) vom 24.01.2012 durchgeführt, welche diese Arbeiten auch überwachte. So wurde von der Streithelferin zu 2) am 31.01.2012 während der Beaufsichtigung der klägerischen Arbeiten eine weitere Stellungnahme erstellt, welche den Bodengrund und die sich daraus ergebenden notwendigen Sicherungsmaßnahmen abschließend bewertete. Dass die Arbeiten von der Klägerin plan- oder weisungswidrig durchgeführt wurden, ist seitens der Beklagten nicht vorgetragen worden. Das Landgericht hat festgestellt, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige ausgeführt habe, dass alle Böschungsbrüche geotechnisch, nämlich in einer nachgewiesenen und bestätigten Inhomogenität des Baugrundes mit erheblicher Variation boden- und felsmechanischer Eigenschaften, verursacht seien (schriftliches Gutachten vom 28.05.2014, Seite 24). Die nachfolgenden Hangrutsche betrafen den unteren Teil der hangseitigen Böschung, den die Streithelferin zu 2) in der Stellungnahme am 31.01.2012 als nicht weiter sanierungsbedürftig bewertet hatte.

Die Kammer hat auch rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Werklohnforderung fällig ist.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Streithelferin zu 2), wie die Klägerin meint, das Werk abgenommen hat, indem sie die streitgegenständlichen Sanierungsarbeiten nach dem ersten Hangrutsch beaufsichtigte und nach ihrer Beendung beanstandungslos hinnahm.

Darauf kommt es deshalb nicht an, weil die Kammer zutreffend von einer Entbehrlichkeit der Werksabnahme ausgegangen ist.

Die Böschungsbrüche sind geotechnisch verursacht.

Grundsätzlich trägt der Unternehmer die Vergütungsgefahr bis zur Abnahme, d.h. er hat keinen Vergütungsanspruch für bisherige Arbeiten und Aufwendungen, wenn das Werk untergeht (Palandt/Sprau, BGB, 76. Auflage, 2017, § 645, Rn.3). Das ist die Folge des Unternehmerrisikos und der Erfolgsbezogenheit des Werkvertrages. Vor der Abnahme trägt der Besteller ausnahmsweise in den Fällen des § 645 Abs.1 BGB das Vergütungsrisiko, nämlich wenn das Werk vor der Abnahme infolge eines Mangels des von dem Besteller gelieferten Stoffes oder infolge einer von dem Besteller für die Ausführung erteilten Anweisung untergegangen, verschlechtert oder unausführbar geworden ist, ohne dass ein Umstand mitgewirkt hat, den der Unternehmer zu vertreten hat. Diese Vorschrift beruht auf der objektiven Verantwortlichkeit des Bestellers für den Eintritt des Schadens, der sich aus einer von ihm herbeigeführten Risikolage ergibt (Palandt/Sprau, BGB, 76. Auflage, 2017, § 645, Rn.7). Der Begriff des Stoffes umfasst alle Gegenstände, aus denen, an denen oder mit deren Hilfe das Werk herzustellen ist, z.B. die stoffliche Umgebung, in oder auf der ein Werk errichtet werden soll (Palandt/Sprau, aaO.).

Teils wird dazu die Auffassung vertreten, dass der Baugrund vom Auftraggeber gestellter Baustoff i.S.d. § 645 BGB sei, für dessen Beschaffenheit der Auftraggeber stets einzustehen habe und woran auch rechtsgeschäftliche Vereinbarungen und die funktionale Ausrichtung eines Werkvertrags nichts ändern könnten (OLG Bamberg, BauR 2009, 647; OLG Koblenz, Urteil vom 08.06.2012, 8 U 1183/10, Rz. 68 – zitiert nach juris). Teilweise wird nicht auf den Stoffbegriff des § 645 BGB abgestellt, sondern darauf, wer nach dem werkvertraglichen Verpflichtungsvertrag das Baugrundrisiko tragen soll (Holzapfel, BauR 2012, 1015; OLG München, Urteil vom 10.12.2013, 28 U 732/11, Tz. 60). Nach beiden Auffassungen ergibt sich hier dasselbe Ergebnis, denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in irgendeinem der abgeschlossenen Werkverträge nach dem Willen der Parteien das Baugrund- bzw. Bodenrisiko übernehmen sollte. Die Klägerin war mit keinen Bodenuntersuchungen und mit keinen Vorarbeiten dazu (z.B. Bohrungen) beauftragt worden. Ersichtlich ist auch die Beklagte nicht davon ausgegangen, dass die Klägerin das Bodengrundrisiko prüfen sollte, denn von Beginn an wurde seitens der Beklagten die Streithelferin zu 2) mit Bodenbegutachtungen beauftragt. Auch nach dem ersten Hangrutsch erstellte diese die Stellungnahmen vom 24.01.2012 und vom 31.01.2012 im Auftrag der Beklagten. Es wurden von der Klägerin bei ihren Arbeiten stets die Weisungen aus den Gutachten und Stellungnahmen der Streithelferin zu 2) umgesetzt. Die geotechnischen Risiken sollten mithin während der Arbeiten – so auch die Schlussfolgerung des gerichtlich bestellten Sachverständigen – von der Streithelferin zu 2) überwacht werden. Aus allen werkvertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass die Klägerin das Baugrundrisiko in irgendeiner Form vertraglich übernommen hat.

Zudem hat die Beklagte der Klägerin mit der Vorlage der Bodengutachten der Streithelferin zu 2) die konkrete Anweisung erteilt, die dort festgesetzte Böschungsneigung 1:1,5 auszuführen, wenn sich nicht während der Erdarbeiten zuvor unerkennbare Veränderungen der Bodenverhältnisse zeigten, was aber von den Parteien nicht vorgetragen wurde. Eine Anweisung i.S.d. § 645 BGB liegt vor, wenn der Besteller für eine von ihm gewünschte Modalität der Ausführung das Risiko übernimmt (Palandt/Sprau, aaO.). Wenn die Beklagte das Bodengrundgutachten zuvor selbst in Auftrag gegeben hat und es zur Vertragsgrundlage macht, ist ihr auch bewusst, dass sie für die Richtigkeit des Gutachtens einzustehen hat.

War nach alledem die streitgegenständliche Sanierung des Hanges nur gegen eine Vergütung zu erwarten, ist die übliche Vergütung als vereinbart anzusehenen (§ 632 Abs.2, letzter Halbsatz BGB). Dass das Angebot vom 09.01.2012 (Anlage K 6, Bd. I, Bl. 19 d.A.), auf dessen Höhe die Kammer bei der Bemessung der üblichen Vergütung abstellt, vor Vertragsschluss den Parteien noch nicht schriftlich vorlag, sondern erst später – vordatiert – nachgereicht wurde, ist unerheblich, denn die übliche Vergütung, die zur Zeit des Vertragsschlusses für nach Art, Güte und Umfang gleiche Leistungen nach allgemeiner Auffassung der beteiligten Kreise am Ort der Werkleistung gewährt zu werden pflegt, braucht den Vertragspartnern nicht bekannt zu sein (Palandt/Sprau, BGB, 76. Auflage, 2017, § 632, Rn.15). Dass die Höhe der von der Klägerin geltend gemachten Vergütung üblich und angemessen ist, wurde von der Beklagten nicht bestritten.

Der Vergütungsanspruch ist auch nicht durch die von der Beklagten hilfsweise erklärte Aufrechnung untergegangen, denn der Beklagten stehen gegen die Klägerin keine Gegenansprüche zu.

Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung vorträgt, dass ihr ein Schadensersatzanspruch gem. § 13 Abs.7 Nr.3 VOB/B zustehe, weil ein Ausführungsfehler und ein Verstoß der Klägerin als Fachfirma mit Spezialkenntnissen gegen die ihr obliegende Bedenkhinweispflicht vorliege, denn die Klägerin hätte gegebenenfalls fehlende Unterlagen wie die Böschungsbruchberechnung nach DIN 4084 oder den vom Gutachter geforderten Standsicherheitsnachweis eines Tragwerkplaners einfordern müssen, hat die Kammer dies zutreffend verneint.

Gemäß § 13 Abs.7 Nr. 3 VOB ist dem Auftraggeber der Schaden an der baulichen Anlage zu ersetzen, zu deren Herstellung, Instandhaltung oder Änderung die Leistung dient, wenn ein wesentlicher Mangel vorliegt, der die Gebrauchsfähigkeit erheblich beeinträchtigt und auf ein Verschulden des Auftragnehmers zurückzuführen ist. Einen darüber hinausgehenden Schaden hat der Auftragnehmer u.a. nur dann zu ersetzen, wenn der Mangel auf einem Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik beruht oder wenn der Mangel in dem Fehlen einer vertraglich vereinbarten Beschaffenheit besteht.

Die Klägerin hat sowohl das Werk aus dem ursprünglichen Bauvertrag vom 26.11.2010 als auch aus dem Auftrag vom 27.01.2012 mangelfrei erfüllt.

Der Sachverständige hat festgestellt hat, dass die Bauausführung der Klägerin betreffend den Werkvertrag vom 26.11.2010 plangerecht war (die Neigung von 1:1,5 im Bereich der Bermen wurde eingehalten) bzw. dass geringfügige Abweichungen von der Ausführungsplanung auf die Standsicherheit der Böschung keinen Einfluss hatten (S. 8 des Verhandlungsprotokolls vom 15.12.2015, Bd. IV, Bl. 950 d.A.). Die Klägerin hat auch – wie oben bereits ausgeführt wurde – die Sanierung des abgerutschten Hanges nach den Vorgaben der Streithelferin zu 2) mangelfrei durchgeführt.

Inwieweit ein Verstoß des Auftragnehmers gegen die Bedenkhinweispflicht nach § 4 Nr.3 VOB/B a.F., wonach sich der Auftragnehmer durch Mitteilung seiner Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung, gegen die Güte der vom Auftraggeber gelieferten Stoffe oder Bauteile oder gegen die Leistungen anderer Unternehmer aus seiner Haftung befreien kann, überhaupt einen Schadensersatzanspruch des Auftraggebers zu begründen vermag, kann hier letztendlich dahingestellt bleiben, denn ein solcher Verstoß der Klägerin gegen eine Prüf- und Hinweispflicht lässt sich schon nicht feststellen.

Hinsichtlich der Prüf- und Hinweispflicht der Klägerin hat der Sachverständige ausgeführt, dass sich die Klägerin habe darauf verlassen dürfen, dass die im Baugrundgutachten beschriebenen Risiken vom Baugrundgutachter bereits bei der vorgeschlagenen Generalneigung von 1:1,5 ausreichend berücksichtigt worden seien (S.5 des Protokolls, Bd. IV, Bl. 947 d.A.). So hat der Sachverständige nachvollziehbar ausgesagt, dass ihm aus praktischer Sicht keine Baufirma bekannt sei, die vor der Durchführung ihrer Leistung nach der Böschungsbruchberechnung frage (S.6 des Protokolls vom 15.12.2015, Bd. IV, Bl. 948 d.A.). Der Bauunternehmer erhalte regelmäßig einen Plan, nach dem er bauen soll und in dessen Erstellung alle Unterlagen und Kenntnisse der Fachleute eingeflossen sein sollen (S. 8 des Protokolls, Bd. IV, Bl. 950 d.A.).

Diese Ansicht teilt der Senat, denn der Unternehmer hat nur zu überprüfen, ob er seine eigene Leistung ordnungsgemäß erbringen kann. Er ist nicht “Ersatzplaner” des Auftraggebers. Soweit Sonderfachleute und Architekten eingeschaltet sind, ist ein Werkunternehmer nicht verpflichtet, deren Erkenntnisse auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, es sei denn, “ein Fehler springt ins Auge” (OLG Bamberg, Urteil vom 04.05.2016, 3 U 214/15, Rz. 153 – zitiert nach juris).

Das Planungsergebnis für die Hangneigung hat sich hier problemlos von der Klägerin in ihrer Eigenleistung umsetzen lassen. Die Klägerin hat “nur” die Verschiebung und gegebenenfalls Verdichtung von Erdmassen zur Herstellung des Baufeldes geschuldet, wie sie es in der Leistungsbeschreibung ihres Angebotes vom 12.11.2010 angegeben hatte. Für die Durchführung dieser Arbeiten war es für die Klägerin nur wichtig zu wissen, in welcher Neigung dabei die Böschungshänge aufzuschieben waren. Insoweit ergab sich aus den vorgelegten Plänen E-2, P-1 bis P-5 das eindeutige Planungsergebnis von 1:1,5, das auf sorgfältig erstellten Bodengrundbegutachtungen zu basieren schien.

Die fehlerhafte Einschätzung dieser Neigung beruhte auch nicht auf offensichtlich “ins Auge springenden” falschen Rechenfaktoren, sondern – wie der Sachverständige festgestellt hat – auf einer falschen fachlichen Schlussfolgerung aus den festgestellten heterogenen Bodenverhältnissen.

Weil die Klägerin auch nicht die endgültige Befestigung der hangseitigen Böschung schuldete, sondern davon ausgehen durfte, dass mangels der Vorgabe hinreichend bestimmter Hangbefestigungsmaßnahmen die bislang insoweit noch fehlenden Entscheidungen während der Erdarbeiten noch erfolgen und dann gegebenenfalls noch weitere Leistungen durch den Fachplaner oder die Fachgutachterin angewiesen und beauftragt werden sollten, erfolgte auch keine unzureichende Leistungsbeschreibung.

Weil der Beklagten nach alledem keine Schadensersatzansprüche gegen die Klägerin zustehen, ist auch die Widerklage vom Landgericht zu Recht abgewiesen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zukommt noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern; § 543 Abs. 2 BGB.

Baugrundrecht – Entscheidungen im Volltext (2): OLG München – Az.: 28 U 732/11 Bau – Urteil vom 10.12.2013

Baugrundrecht – Entscheidungen im Volltext (2): OLG München – Az.: 28 U 732/11 Bau – Urteil vom 10.12.2013

Gründe

A

Die Parteien streiten um Ansprüche der Klägerin wegen eines von der Beklagten nach Nichtziehbarkeit von Bohrrohren nicht fertiggestellten Trinkwasserbrunnens, wegen eines bei der Bohrung verursachten Ölschadens, sowie wegen der Rückzahlung von Werklohn.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts München II vom 26.01.2011 wird Bezug genommen.

Ergänzend ist auf den Vortrag der Beklagten in erster Instanz zu verweisen, in dem sie der Ansicht ist, dass eine freie Kündigung durch die Klägerin gegeben sei und diese daher keinen Schadensersatzanspruch habe. Die Nichtherbeiführung des Erfolges habe im Verantwortungsbereich der Klägerin gelegen, weil der Baugrund nicht erkennbare Anomalien aufgewiesen habe. Im Schiedsgutachten liege keine Schuldzuweisung an die Beklagte im Sinne von § 276 BGB vor. Für den Baugrund trage allein die Klägerin die Verantwortung gem. § 13 Nr. 3 VOB/B. Den Nachweis für das Vertretenmüssen habe zudem die Klägerin zu führen.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 64.121,46 € zuzüglich Zinsen verurteilt und festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, welcher der Klägerin durch Sanierung und Fertigstellung des Brunnens am … in …, auch im Falle einer Neubohrung, entsteht.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Das Urteil des Landgerichts sei fehlerhaft. Es handle sich um ein Überraschungsurteil, welches keinerlei Berechnung enthalte. Ein Vertretenmüssen bzw. Verschulden der Beklagten liege nicht vor. Das Landgericht habe die Beweislast verkannt und es gebe keinen bindenden Schiedsgutachterausspruch. Daher sei eine Beweisaufnahme geboten. Die Feststellungen des Sachverständigen seien auch anders zu verstehen, als vom Landgericht angenommen. Eine Neubegutachtung sei zwingend erforderlich.

Ein öffentlicher Auftraggeber dürfe das Baugrundrisiko auch nicht abwälzen. Begrifflich sei bei der Verwirklichung des Baugrundrisikos jegliches Verschulden ausgeschlossen. Die vertraglichen Regelungen, insbesondere die Einbeziehung der VOB/C und damit der ATV DIN 18 301 zur Frage der Ziehbarkeit der Rohre, sei nicht berücksichtigt worden. Ein Verschulden der Beklagten sei nicht nachgewiesen, zumal beim Ziehen der Rohre nichts falsch gemacht werden könne. Das Landgericht habe § 4 Nr.7 VOB/B falsch angewendet. Die gesamte Bohrung sei erbracht worden, insbesondere auch die Maßnahmen zum Ziehen des festsitzenden Rohres. Gemäß § 645 Abs. 1 BGB bestehe ein Vergütungsanspruch und infolgedessen kein Rückzahlungsanspruch der Klägerin.

Bei der neuen Bohrung seien unnötig hohe Kosten verursacht werden, denn es hätte ohne weiteres der Brunnen in die von der Beklagten gefertigte Bohrung eingebracht werden können. Es liege insoweit auch ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vor, weil allenfalls Kosten in Höhe von 50.000 € berechtigt wären.

Die Klägerin habe durch den Ausbau der Rohre auch den Beweis für die Ursache des Feststeckens vereitelt. Schließlich sei in der Kostenentscheidung die Teilerledigung nicht berücksichtigt worden.

Die Beklagte beantragt:

1.

Das Urteils des Landgerichts München II, Aktenzeichen 5 O 4065/10 Bau, vom 26.01.2011 wird aufgehoben.

2.

Die Klage wird abgewiesen und unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens der Rechtsstreit an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Zurückweisung der Berufung.

Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts. Die Beklagte habe durch ungenügendes Arbeitsmaterial und fehlerhafte Vorgehensweise die Havarie zu vertreten.

Nach Ausbau des Brunnens und Beendigung der Arbeiten durch einen anderen Unternehmer mit Übergang von der Feststellungs- zur Leistungsklage

beantragt sie nunmehr: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 190.479,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz aus 64.121,46 € vom 11.8.2010 – 10.12.2011 und aus 190.479,95 € seit dem 11.12.2011 sowie vorprozessuale Rechtsanwaltskosten in Höhe von 5.469,24 € zu bezahlen.

Hierzu beantragt die Beklagte, Klageabweisung.

Die Klägerin macht kündigungsbedingte Mehrkosten in Höhe von 190.479,95 € geltend. In die Berechnung hat sie auch eine Rückforderung der an die Beklagte geleisteten Zahlungen in Höhe von 64.022.- € einbezogen (zur Berechnung vgl. Anlage BB 2). Die Kündigung sei berechtigt gewesen, da die Beklagte den Brunnen nicht erstellt habe. Dies habe sie auch zu vertreten.

Der Senat hat das Schiedsgutachten für ergänzungsbedürftig erachtet. Nachdem sich herausgestellt hat, dass der Schiedsgutachter verstorben war, haben die Parteien die Schiedsgutachtenvereinbarung aufgehoben.

Der Senat hat sodann Beweis erhoben durch Beauftragung des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für das Brunnenbauerhandwerk Dipl.-Ing. … . Auf dessen Gutachten vom 16.11.2012, 30.3.2013 sowie 08.09.2013 wird verwiesen.

Hierzu hat die Klägerin jeweils Stellungnahmen ihrer Bauleiters Dr. …, welcher öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Hydrogeologie, Erkundung, Beurteilung und Erschließung von Grundwasser ist, vom 22.01.2013, 19.02.2013, 14.05.2013 und 27.09.2013, vorgelegt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 22.10.2013 wurde der Sachverständige … angehört. Auf das Protokoll wird hinsichtlich seiner Angaben verwiesen.

Die Parteien haben zur Anhörung des Sachverständigen mit Schriftsätzen vom 21.01.2013 und 11.11.2013 Stellung genommen.

B

Die statthafte, sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung, hat in der Sache überwiegend Erfolg.

Lediglich hinsichtlich der unstreitigen Rechnung betreffend den Ölschaden/Dr. … ist die Klage begründet. Im Übrigen war das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen

I. Ölschaden

1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ersatz des ihr durch den von der Beklagten verursachten Ölschaden an der Bohrstelle gem. § 4 Abs. 7 Satz 2 VOB/B.

2. Die Beklagte hat die entsprechende Rechnung in Höhe von 2.758,61 € anerkannt.

3. Der Zinsanspruch ergibt sich insoweit aus §§ 291, 288 BGB.

4. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind nicht zuzusprechen, da nicht ersichtlich ist, wann die Rechnung vom 07.10.2010 vor Klageerhebung angemahnt worden sein soll.

II. Mehrkosten für die Brunnenfertigstellung

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gem. § 8 Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 VOB/B i.V.m. § 4 Nr. 7 VOB/B oder auf Rückzahlung des entrichteten Werklohns.

Zwar liegen die Voraussetzungen des § 4 Nr. 7 Satz 2 und 3 VOB/B, nämlich Fristsetzung und Androhung der Auftragsentziehung nach fruchtlosem Fristablauf und sodann die Kündigung vor (§ 8 Nr. 3 VOB/B).

Der entstandene Schaden steht jedoch nicht adäquat kausal im Zusammenhang mit einer mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung.

Soweit der Beklagte Pflichtverletzungen anzulasten sind, sie also vertragswidrig geleistet hat, stehen diese nicht im gebotenen Kausalzusammenhang mit dem entstandenen Schaden.

Im Übrigen hat die Beklagte den Mangel, nämlich die Nichtfertigstellung des Trinkwasserbrunnens, nicht zu vertreten.

Sie konnte insoweit das gesetzlich vermutete Verschulden nach Beweisaufnahme widerlegen.

1. Umfang der vertraglich geschuldeten Leistung

a) Die Beklagte hat sich entsprechend dem Angebot (Anlage K 1) vertraglich verpflichtet, entsprechend der Leistungsbeschreibung einen Förderbrunnen zur Gewinnung von Trinkwasser mit Kurz- und Dauer-Pumpversuch für die Klägerin zu erstellen.

In den Besonderen Vertragsbedingungen ist unter Ziffer 13 bestimmt, dass Bohrungen, die aufgrund von schwierigen Untergrundverhältnissen oder aus bohrtechnischen Gründen aufgegeben werden müssen, nicht vergütet werden.

Angaben zu den zu erwarteten Untergrundverhältnissen wurden laut Besonderer Vertragsbedingung nach bestem Wissen gemacht. Sie sollen nur der Information dienen und nicht Vertragsgrundlage sein. In der Leistungsbeschreibung ist vermerkt, dass die Angaben zu den Untergrundverhältnissen bis zur Endteufe von ca. 75 m auf einer Versuchsbohrung beruhen. Es wurde darauf hingewiesen, dass es sich um unverbindliche Schätzwerte handelt. Für die Tiefe von 73,3 m wurde dabei der Untergrund mit schluffig mit Einlagen von Sand und Nagelfluh im dm-Bereich beschrieben.

Vorgeschrieben wurde den Bietern die Art der Niederbringung des Brunnens, nämlich durch Trockenbohrung mit Hilfsverrohrung.

Im Leistungsverzeichnis ist ein Bohrdurchmesser zunächst mit mindestens 1200 mm bis ca. 52 m unter Geländeoberkante, sodann mit mindestens 900 mm bis zur Endteufe gefordert mit Hilfsverrohrung. Bei den für die Bauausführung und Abrechnung geltenden Vertragsbedingungen ist auch die DIN 18301-Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen/Bohrarbeiten genannt.

b) Die Beklagte hatte es somit übernommen, einen Trinkwasserbrunnen entsprechend der Leistungsbeschreibung und den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses bei den zu erwartenden Untergrundverhältnissen herzustellen.

Dabei war für ein Fachbauunternehmen ersichtlich, dass es sich um eine anspruchsvolle, tiefe Bohrung in schwierigen geologischen Verhältnissen handelt. Zudem musste die Beklagte mit Schichtwasserzutritt in kiesigen oder sandigen Lagen und ab der Tiefe von ca. 51 bis 52 m unter Geländeoberkante durchgehend mit Grundwasser führendem Untergrund rechnen. Auch musste sie damit rechnen, dass entsprechend der Versuchsbohrung Nagelfluh zu erwarten war.

Gleichzeitig hatte sie sich auf die geforderten Bohrlochdurchmesser einzustellen, um in der Lage zu sein, die Leistung entsprechend der Ausschreibung und damit vertragsgerecht zu erbringen.

Diesen Anforderungen entsprechend musste sie ihre Leistung kalkulieren, planen und erbringen.

Hierfür hat sie das vertragliche Risiko übernommen. Sie musste also in der Lage sein, die zu erwartenden Bodenverhältnisse zu meistern.

c) Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte darüber hinaus ein unerwartetes, also von ihr nicht beeinflussbares, Risiko übernommen hat, ergeben sich weder aus dem Vertrag noch aus den Umständen.

Von einer derartigen vertraglichen Vereinbarung kann nicht ausgegangen werden.

aa) Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung vom 20.08.2009 (VII ZR 205/07; BauR 2009,1724 ff) der sogenannten Lehre vom (spezifischen) Baugrundrisiko eine Absage erteilt.

Die Auffassung, der Baugrund sei vom Auftraggeber gestellter Baustoff, für dessen Beschaffenheit der Auftraggeber stets einzustehen habe und woran auch rechtsgeschäftliche Vereinbarungen und die funktionale Ausrichtung eines Werkvertrags nichts ändern könnten, kann nicht nur keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen, sondern ist vielmehr unzutreffend.

Auch wenn es um Bauverträge geht, deren Durchführung und Erfüllung von gegebenen, möglicherweise ungeklärten Bodenverhältnissen abhängen, sind die Hauptpflichten aus dem werkvertraglichen Verpflichtungsvertrag entscheidend und somit vorrangig zu bestimmen.

Ein spezifisches Baugrundrisiko, welches bedeuten würde, dass der Auftraggeber für dessen, wie auch immer geartete Verwirklichung stets einzustehen hätte, ist nicht existent.

Entscheidend sind vielmehr der Inhalt des vereinbarte Bausolls bzw. Bauziels und der vom Auftraggeber hierfür geschuldete Werklohn, also die getroffenen, rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen und die konkreten Umstände des Einzelfalles (BGH VII ZR 205/07 Rz 77, zit. nach juris, unter Hinweis auf Kuffer, NZ Bau 2006,1 ff.)

bb) Aus der Vertragsautonomie folgt, dass es den Vertragspartnern frei steht, jegliches Wagnis zu vereinbaren (Kuffer a.a.O., S. 6 unter Hinweis auf das sogenannte Kammerschleusenurteil, BGH NJW 1997,61).

Auch öffentliche Auftraggeber können Verträge abschließen, die die Überbürdung eines sogenannten Bodenrisikos beinhalten (so auch Althaus, Heindl, Der öffentliche Bauauftrag, Vergabe und Ausführung von Bauleistungen nach VOB Teile A, B und C, 2. Aufl., ibr-online, Stand 18.09.2013, Rz 77 ff). Zur Bestimmung dessen, was Vertragsinhalt ist und wie die Risikozuordnung zu sehen ist, sind alle Vertragsbestandteile heranzuziehen. Dazu gehören insbesondere auch die Regelungen der VOB/C, soweit diese, wie hier durch Vereinbarung mit der VOB/B, wirksam vereinbart worden sind.

Damit war die Beklagte zunächst zur Leistungserbringung wie oben unter II.2. dargestellt, verpflichtet.

d) Soweit in der Leistungsbeschreibung eine Klausel enthalten ist, wonach Bohrungen, die aufgrund von schwierigen Untergrundverhältnissen oder aus bohrtechnischen Gründen aufgegeben werden müssen, samt Material nicht vergütet werden, wird von der auch unter den Vorschriften unter Ziffer 5.1 der Leistungsbeschreibung genannten DIN 18 301 VOB/C abgewichen.

Die Klausel ist nicht schon wegen der Abweichung von der genannten Norm unwirksam, sondern deswegen, weil sie den Auftragnehmer unangemessen benachteiligt.

aa. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A hat der Auftraggeber in der Ausschreibung die Bodenverhältnisse so zu beschreiben, dass der Kreis der Bewerber ihre Auswirkungen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen kann. AGB-widrig sind Klauseln in Ausschreibungs- und Vertragsbedingungen des Auftraggebers nur dann, wenn eine unangemessene Überwälzung auf den Bieter und späteren Auftragnehmer erfolgt (Kratzenberg in Ingenstau/Korbion VOB 18. Aufl.2013, zu § 7 VOB/A Rz 54 f).

bb. Versetzt die Klausel einen Bieter ohne weiteres in die Lage, die erkennbaren Risiken in seine Kalkulation einzupreisen, kann sie Bestand haben.

Hiervon ist im vorliegenden Fall hingegen nicht auszugehen. Es liegt eine unangemessene Benachteiligung vor.

Grundsätzlich liegt das Ausführungsrisiko beim Auftragnehmer. Die Beklagte soll nach der Vertragsbestimmung jedoch verschuldensunabhängig für Bohrungen, samt verlorenem Gerät, keine Vergütung erhalten, wenn diese aufgrund von schwierigen Untergrundverhältnissen oder aus bohrtechnischen Gründen aufgegeben werden müssen.

Eine solche Regelung widerspricht wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Normierung, von der abgewichen werden soll, also hier u.a. hinsichtlich der Vergütung (§ 645 BGB, § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

Gleichzeitig stellt die Klausel einen wesentlichen Eingriff in § 13 Abs. 3 VOB/B dar, so dass die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart ist und es zur AGB- Kontrolle kommen kann (Ganten in Beck‘scher VOB-Kommentar, Teil B, 3. Aufl. 2013, § 13 Abs. 3 Rz 69).

e) Selbst wenn die Klausel Bestand haben sollte, würde sie lediglich eine Bestimmung enthalten, die es ermöglicht, der Beklagten den Werklohn und die Vergütung für ihr verlorenes Material zu versagen.

Sie würde hingegen nicht ein verschuldensunabhängiges Einstehen für die Fertigstellung oder Neubohrung des Brunnens enthalten.

f) Ersichtlich ist jedoch auch die Klägerin nicht davon ausgegangen, dass die Beklagte vertraglich die Verwirklichung von Risiken übernommen hat, die ohne Verschulden eines Vertragspartners sich unerwartet und unbeeinflussbar aus den Verhältnissen im Boden verwirklichen.

In der Schiedsgutachtervereinbarung vom 25./27.06. 2008 (Anlage K 11) haben die Parteien vereinbart, ihre unterschiedlichen Auffassungen zur Frage, ob die Nichtziehbarkeit der Rohre auf einer Schlechtleistung beruht oder durch widrige Bodenverhältnisse veranlasst ist, klären zu lassen.

Damit ist offensichtlich auch die Klägerin davon ausgegangen, dass die Beklagte nur für Umstände einzustehen hat, die sie auch zu vertreten hätte.

g) Ein Baugrundrisiko, unter dem das Wagnis zu verstehen ist, dass ohne Verschulden eines Vertragspartners die angetroffenen, geotechnischen Verhältnisse die Leistungserbringung erschweren oder verhindern, hat die Beklagte vertraglich nicht übernommen.

2. Pflichtverletzung, Kausalzusammenhang, Verschulden

Die Beklagte hat ihre Leistungen teilweise vertragswidrig erbracht und darüber hinaus mit unzureichendem Arbeitsgerät gearbeitet.

Indessen haben diese Umstände nicht kausal zur Havarie der Bohrung, der Nichtziehbarkeit der Bohrrohre, der Nichtfertigstellung des Brunnens und des daraus entstandenen Schadens geführt.

a) Der Senat stützt sich bei der Beurteilung der technischen Fragen auf die Gutachten des Sachverständigen …, der unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Schiedsbegutachtung, soweit dieses nicht mit realen Gegebenheiten in Widerspruch stand, seine Feststellungen getroffen hat.

Dabei war zu berücksichtigen, dass der Sachverständige im Gegensatz zum Schiedsgutachter auch den Wissensstand nach Ziehung der havarierten Bohrrohre (Gutachten vom 16.11.2012, S. 2-5; Begutachtung der gezogenen Rohre, Auswertungen der getätigten Arbeiten samt Arbeitsberichten des weiteren Unternehmens Abt Wasser und Umwelttechnik GmbH, Feststellungen des Tauchunternehmens, Kamerabefahrung, Gutachten vom 30.03.2013, S. 22 ff) mit einbeziehen konnte.

Bei der Beurteilung der technischen Fragen waren auch die gutachtlichen Stellungnahmen des Bauleiters der Klägerin einzubeziehen und mithilfe des gerichtlichen Sachverständigen dessen Einwände zu bewerten.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung wurden sämtliche Einwände gegen die Gutachten des Sachverständigen … erörtert.

Die Stellungnahmen der Parteien zur Anhörung des Sachverständigen waren ebenfalls zu berücksichtigen.

b) Nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens … ist davon auszugehen, dass der Grund für die Nichtziehbarkeit der Bohrrohre das Verkeilen der Bohrkrone mit dem anstehenden Gebirge im Bereich des Bohrrohrschuhs war und dieser Umstand nicht ursächlich von der Beklagten zu verantworten ist.

Weiterhin war nach den Feststellungen des Sachverständigen das Feststecken der Bohrrohre weder bei der Kalkulation noch bei der Durchführung der Arbeiten vorhersehbar.

aa) Der Sachverständige hat sich mit dem Schiedsgutachten in nachvollziehbarer und überzeugender Weise auseinandergesetzt und dessen wesentliche Widersprüche zu realen Gegebenheiten aufgezeigt.

Dem Senat ist es daher verwehrt, seine Entscheidung auf das Schiedsgutachten zu stützen.

(1) Der Sachverständige … teilt die Einschätzung des Schiedsgutachters nicht, der festgestellt haben will, dass das geologische Schichtenprofil der beiden Bohrungen, bis auf wenige Zentimeter deckungsgleich ist und deshalb nicht ersichtlich sei, dass die anstehende Schichtenfolgen für das Festsitzen der Bohrrohre in Betracht kommt (Anlage K 14).

Der Sachverständige … hat darin einen Widerspruch zu den realen Gegebenheiten gesehen, weil im Bohrprofil der Brunnenbohrung zwischen 70,40 und 70,70 m die Bodenschicht Nagelfluh benannt wird, in der Versuchsbohrung die Nagelfluhschlicht jedoch zwischen 70,90 Metern und 71,0 m, sowie zwischen 71,60 und 72,0 Meter angesprochen wird.

Dieser Widerspruch ist aus der Zeichnung des Bauleiters Dr. …, beigegeben dem Schiedsgutachten (Anlage K 14, S.6), zu entnehmen.

Aus diesem Grunde könne die Nagelfluhschicht für das Festwerden der Bohrrohre tatsächlich in Betracht kommen.

(2) Der Sachverständige ist auch der Auffassung des Schiedsgutachters nicht gefolgt, wonach Beschädigungen der Verbindungsbolzen nur durch die Verrohrungsmaschine (im Folgenden: HVM) oder Lastfälle von 500 oder 720 t technisch nicht möglich seien.

Er hat festgestellt, dass dabei der tatsächlich vorliegende Lastfall für die Verbindungbolzen nicht berücksichtigt worden sei. Dem Schiedsgutachten (Anlage K 14, S. 6) ist eine Schnittdarstellung des Bauleiters Dr. … der eingebauten Bohrrohre beigegeben. Hierauf ist zu erkennen, dass mit den Bohrrohren mit 880 mm Außendurchmesser bis zur Tiefe von ca. 52 m innerhalb einer vorab eingebrachten Verrohrung mit einem Durchmesser von 1100 mm gearbeitet wurde (sogenannte teleskopierte Verrohrung). Dadurch entsteht ein freier Ringraum zwischen den 880 und den 1100 mm Rohren. Im Zuge der Bohrarbeiten wird mit der HVM von oben starker Druck bei gleichzeitiger horizontaler Drehbewegung aufgebracht. Durch die gleichzeitige, wegen des freien Ringraums mögliche Seitenbewegung, entstehen Biegedruckkräfte. Durch diesen Lastfall ist das Lösen der Schraubbolzen nur durch die HVM möglich (Gutachten vom 30.3.2013, S. 2, Gutachten vom 16.11.2012, S. 8).

(3) Der Sachverständige … hat auch folgende weitere Feststellung des Schiedsgutachters in Widerspruch zu realen Verhältnissen gesehen:

“Andererseits wird deutlich, dass von Beginn an und mit zunehmender Tiefe die technischen Schwierigkeiten beim Herstellen und Verrohren der Bohrung nicht bewältigt wurden und diese nicht ursächlich im geologischen Aufbau der Bohrung zu suchen sind,…”

Nach Auffassung des Sachverständigen steht dies in eindeutigem Widerspruch mit der ebenfalls vom Schiedsgutachter aufgeführten Darstellung, dass die Bohrung bis zur vorgesehenen Endtiefe von 75 m durchgeführt wurde (Gutachten vom 30.3.2013, S.3).

Für den Senat wiederum war diese, in sich unverständliche, nicht nachvollziehbare, vom Landgericht jedoch ungeprüft übernommene und der Entscheidung zugrunde gelegte, Aussage Anlass dafür, eine Ergänzung des Schiedsgutachtens für erforderlich zu halten.

(4) Der Sachverständige ist auch der Annahme im Schiedsgutachten entgegengetreten, dass das Festwerden der Rohre nach 2,50 m durch von in den Ringraum 800 mm / 500 mm eingebrachten Kies zuerst verdrängtes und sodann über den Rohrschuh in den Ringspalt 880 mm / 900 mm eingespültes Bohrklein, im Sinne einer Fangbirne, verursacht worden ist.

Der Sachverständige hat hierzu festgestellt, dass der eingebrachte Kies mit der Körnung 3,15 – 5,6 mm nicht in der Lage ist, Sand oder gar Kieskörner unter Wasser mit einem derart starken Auftrieb zu verdrängen, dass diese durch den Bereich des Bohrschuhs nach oben in den Ringspalt zwischen Bohrrohr und Bohrlochwand von unten nach oben eingespült oder sogar gepresst werden. Kleinere Partikel wie Schluff oder Ton seien nicht in der Lage, in derart geringer Menge eine so starke Verkeilung des Bohrschuhs zu verursachen, dass dieser nicht mehr nach unten zu drücken gewesen sein soll (Gutachten vom 30.3.2013, S.3). Zudem wurden die Bohrrohre laut Tagesbericht vom 28.1.2008 vor dem Einbau der Brunnenrohre bewegt und ausgegreifert. Ein weitergehendes Ausschlämmen von feinen Partikeln wird nach den anerkannten Regeln der Technik (DVGW Arbeitsblätter W 115 und W123) nicht gefordert (Gutachten vom 16.11.2012, S.9/10).

bb) Somit ist von den weiteren Feststellungen des Sachverständigen …, der sich in den Ergänzungsgutachten mit den Stellungnahmen des Bauleiters der Klägerin auseinandergesetzt hat, auszugehen.

(1) Unstrittig haben sich die geschraubten Bolzenverbindungen der Rohre in erkennbar schlechten Zustand befunden. Dies hat der Sachverständige beim Ortstermin festgestellt.

(2) Dennoch fehlt es an der erforderlichen Kausalität zwischen der Havarie und dem schlechten Zustand der Verbinder.

(a) Die einzelnen Bohrrohre 880 mm waren durch insgesamt zwölf Schraubbolzen miteinander verbunden. Für die Befestigung der Bolzen waren Schrauben mit unterschiedlichen Wandstärken verwendet worden. Die Passnuten und -federn waren stark ausgeschlagen. Dies erschwert den Einbau der Bohrrohre, Drehkräfte oder Zuglasten werden von ihnen aber nicht übertragen, so dass sie auch beim Ziehen nicht versagen konnten (Gutachten vom 30.3.2013, S. 9).

Die Rohrverbindungen waren, vor allem angesichts der zu erreichenden, überdurchschnittlichen Tiefe in schlechtem Zustand (Gutachten vom 16.11.2012, S. 5, Gutachten vom 30.3.2013, S. 4).

(b) Damit die Bohrkrone bei dem gegebenen Boden richtig bohren kann, ist es zwingend erforderlich, dass diese in horizontaler Richtung gedreht wird, denn dadurch fräsen die Schneidezähne den Boden ab. Bei der HVM der Beklagten besteht ein maximaler Drehwinkel von 26° bei den verwendeten Rohren mit 880 mm Außendurchmesser. Zur Übertragung der geringen waagrechten, je abwechselnd von links nach rechts oszillierenden Bewegung von maximal 200 mm Drehweg, ist es erforderlich die sehr stabilen eingesetzten doppelwandigen Bohrrohre mit Schraubbolzen zu verbinden.

(c) Die Tatsache, dass die Endtiefe erreicht wurde, beweist, dass die Rohrverbinder die Drehbewegung bis zu diesem Zeitpunkt übertragen haben mussten und somit weitestgehend intakt waren.

(d) Schließlich ergibt sich aus der Ziehbarkeit des Bohrrohrstranges auf einer Länge von ca. 2,50 Metern bis zur Verkeilung die fehlende Kausalität.

Die Zug- und Drehkraft der HVM muss längskraftschlüssig bis zur Bohrkrone übertragen worden sein, da ein Ziehen nach oben nur unter gleichzeitigem Drehen vorstellbar ist. Dies setzt voraus, dass die Bohrrohre, trotz ihres schlechten Zustandes, für die vertikale und seitliche Kraftübertragung ausreichend miteinander verbunden waren.

Weiter ergibt sich daraus, dass die Kraft der Bohranlage ausreichend bemessen war, um die Rohre aus dem höchst anzunehmenden Lastfall, nämlich dem Rückzug nach oben im Anschluss an den Filtereinbau zu bewegen und so stark zu verkeilen, dass diese nicht mehr nach unten bewegt werden konnten.

Für die Bewertung ist der Inhalt des Tagesberichts der Beklagten vom 29.1.2008, der dieses Ziehen um 2,50 m beschreibt, elementar.

Dies beweist die Funktionalität der Verbinder und der Bohranlage bis zur Havarie, auch wenn der schlechte Zustand der Bohrrohre dies nicht erwarten ließ (Gutachten vom 16.11.2012, S. 5/6, Gutachten vom 30.3.2013, S. 4) Im Augenblick des Blockierens lag ein vorangegangenes Lösen von Rohrverbindungen nicht vor (Gutachten vom 16.11.2012, S. 9).

Die Bolzenverbindungen sind im teleskopierten Bereich, hier bei 28,0 m unter GOK, gerissen. Eine anerkannte Regel der Technik, die das Verschweißen bzw. Sichern der Bolzen vorschreibt, gibt es nicht. Es ist aber unter erfahrenen Bohrleuten üblich, im teleskopierten Bereich die Bolzen zu sichern (Gutachten vom 30.3.2013, S.17). Nach der Havarie hat die Beklagte das Verschweißen vorgenommen. Eine Bergung war trotzdem nicht möglich. Infolgedessen ist auch dieser Umstand nicht kausal geworden (Protokoll vom 22.10.2013, S.5)

Ein Abriss von Bohrrohren im teleskopierten Bereich ist aufgrund von seitlichen Biegedruckspannungen auch bei gutem Zustand der Verbinder nicht auszuschließen (Gutachten vom 30. 3.2013, S. 7). Unterhalb der teleskopierten Bohrung waren nach der Kamerauntersuchung vom 1.4.2011 alle 12 Schlösser vorhanden.

Die fehlenden und lockeren Bolzenverbindungen wurden nach den fehlgeschlagenen Ziehversuchen mit Pressen festgestellt. Im Zuge dieser Ziehversuche wurden die Bolzenverbindungen deutlich über ihre zulässigen Grenzen belastet (Gutachten vom 16.11.2012, S.9).

Die Rohre wurden über Tage mit der HVM nach oben gezogen. Wären die Verbinder innerhalb der teleskopierten Verrohrung bereits beim Ziehvorgang auseinandergezogen worden, wäre eine Blockade des gesamten Rohrstrangs nicht möglich gewesen (Gutachten vom 30.3.2013, S. 8/9).

(e) Dem technischen Zustand der Rohre nach, läge die Verantwortlichkeit für die Havarie wohl unzweifelhaft bei der Beklagten.

Der Sachverständige hat aber festgestellt, dass das erfolgreiche Ziehen aus gutachterlicher Sicht nur den Schluss zulasse, dass die Funktion der Rohrverbinder bis zum Festziehen intakt war. Der Sachverständige hat das Erfüllen der Funktion bei der Bewertung der Verantwortlichkeit höher bewertet als den Zustand der mindestens 40 Jahre alten Rohre. Er hat dabei berücksichtigt, dass es keine allgemein anerkannte Regel der Technik für den Zustand oder das Höchstalter von Bolzenrohren oder deren Verbinder gibt und die Rohre trotz ihres offensichtlich schlechten Zustandes die Zugkräfte bis zum Festziehen zum Bohrschuh übertragen haben (Gutachten vom 30.3.2013, S.10/11).

Im tatsächlich festgestellten Zustand waren die Rohre daher noch geeignet, die Endtiefe zu erreichen. Die Rohre waren auch noch im elastischen Bereich belastbar, von einer Materialermüdung kann sicher nicht ausgegangen werden. Wäre der elastische Bereich überschritten worden, wäre die axiale Rohrverdrehung an den ausgebauten Rohren zu erkennen gewesen (Gutachten vom 30.3.2013 S.12).

(f) Dass ein Drehwegverlust mitursächlich geworden ist, kann nicht angenommen werden, weil bei der Bergung der Rohre nach Verschweißen und Sicherung der Verbinder von der Firma … kein Ziehversuch vor dem Abtrennen der unteren Rohrstücke durchgeführt worden ist. Hätten sich hierbei die Rohre einschließlich der Bohrkrone herausziehen lassen, wären der Dominoeffekt beim Lösen von Verschraubungen oder zu schwache Gerätschaften des Bohrunternehmers der Grund für die Havarie und damit in der Verantwortlichkeit der Beklagten gelegen.

Jedenfalls wäre ohne Drehbewegung ein Ziehen um 2,50 m keinesfalls möglich gewesen.

Die Standzeit der Rohre kann ebenfalls nicht mitursächlich für die Havarie gewesen sein, weil nach mehreren Jahren Standzeit die Bohrrohre nach Abtrennung des unteren Teils des Bohrstranges, durch die Firma … innerhalb von zwei Tagen zurückgebaut werden konnten (Gutachten vom 30.3.2013, S. 15/16). In diesem Zusammenhang hat das Sachverständige den Regiebericht der Firma … vom 18.4.2011, die Angaben der Bauleitung im Ortstermin (Gutachten vom 16.11.2012, S.5) sowie das Schreiben der Bauleitung an die Klägerin vom 23.8.2012 (Gutachten vom 30.3.2013, S. 7) bewertet.

(g) Eine erschwerte Ziehbarkeit wegen mangelnder Vertikalität des Bohrloches war nicht gegeben.

Die Vertikalitätsmessung mit der Kamera zeigt keine gravierenden Auffälligkeiten. Der Ruhewasserspiegel war bei den Kamerabefahrungen von oben gut sichtbar. Dies wäre bei einer starken Abweichung nicht der Fall gewesen. Die Firma … hat nach dem Vorfüllen mit Kies mit eigenen Bohrrohren 900 mm die Bohrung nochmals abgeteuft. Dabei ist sie exakt auf die noch im Boden verbliebenen Bohrrohre der Beklagten bei 65,50 Meter Tiefe gestoßen. Bei einer größeren Abweichung hätte die neue Bohrung seitlich an den bestehenden Rohren vorbei laufen müssen (Gutachten vom 30.3.2013, S.13, 22/23).

(h) Die Tatsache, dass die Beklagte vertragswidrig entgegen dem Leistungsverzeichnis zunächst nicht mit Bohrrohren 1200 mm, sondern mit Bohrrohren mit 1100 mm Außendurchmesser mit einem Bohrschuh 1200 mm im Bereich bis 52 m gebohrt hat, ist, wenngleich der Einsatz einer derartigen Bohrkrone unvertretbar ist (Gutachten vom 8.9.2013, S.2/3), ebenfalls nicht schadensursächlich geworden.

Ein direkter oder indirekter Zusammenhang des Einbaus der 1100 mm anstatt der 1200 mm Rohre mit dem Feststecken der Bohrrohre 800 mm ist nicht gegeben. Allerdings hätten sich hieraus extreme Komplikationen ergeben können.

Auch nur dieses Rohr kann bei dem Bedenkenschreiben des Bauleiters vom 22.11.2007 gemeint gewesen sein.

Diese Rohre haben sich aber gemäß Tagesbericht der Beklagten vom 05.02.2008 noch Drehen, Ziehen und Drücken lassen. Hieraus hat sich unterhalb von 52 m keine Gefahr des Einsandens der Bohrrohre 880 mm ergeben. Die im Bedenkenschreiben beschriebene Gefahr hat sich daher nicht realisiert (Gutachten vom 30.3.2013, S. 11, Gutachten vom 8.9.2013, S. 9).

cc) Die Einwendungen der Klägerin, vorgelegt insbesondere mit den gutachterlichen Stellungnahmen ihres Bauleiters, oben unter aa und bb berücksichtigt, greifen nicht durch.

Der Sachverständige … hat sich in den Ergänzungsgutachten und in der Anhörung überzeugend mit den Einwendungen gegen seine Gutachten auseinandergesetzt. Auf die Stellungnahmen des Bauleiters der Klägerin vom 24.1.2013, 19.2.2013, 14.5.2013, S. 22, vom 27.9.2013 ist er im Einzelnen eingegangen.

– Die Auswahl von Bohrrohren 1100 mm Außendurchmesser mit aufgeschweißten Zähnen zum Durchmesser 1200 mm bis 52 m Tiefe hat er als absolut unüblich und fehlerhaft bezeichnet, wegen des extrem großen Ringraums und der damit verbundenen Gefahr des Einsandens.

Das Rohr mit 1100 mm hat sich aber laut Tagesbericht vom 5.2.2008 noch Drehen, Ziehen und Drücken lassen. Da die Bohrrohre 880 mm ab 52 m Tiefe innerhalb der Verrohrung 1100 mm für das Abstützen der Bohrlochwand verwendet wurden, kann der Ringraum 1100 mm/1200 mm nicht mit dem Ringraum 880 mm / 900 mm derart verbunden gewesen sein, dass Bodenteile eingeschwemmt worden sind. Demzufolge bestand aus diesem Grund unterhalb von 52 m keine Gefahr des Einsandens der Bohrrohre 880 mm. Am 05.02.2008 und auch am 06.02.2008 wurden die Rohre 1100 mm bewegt, die Rohre 900 mm bewegten sich jedoch nicht mit. Dies wäre im Falle des Einsandens zwischen der Verrohrung 1100 und 880 mm nicht möglich gewesen (Gutachten vom 30.3.2013, S. 11).

– Zur Frage der Überalterung des Rohrmaterials und des Zubehörs, angesichts der hohen technischen Anforderungen und deren Kausalität für die Havarie und Nichtziehbarkeit hat sich der Sachverständige umfassend geäußert.

Demnach waren die verwendeten Materialien den Anforderungen gerade noch gewachsen. Eine Feststellung, dass die Verrohrungsmaschine zu schwach ausgelegt war, konnte nicht getroffen werden. Auch die nachfolgende Firma hat keinen Ziehversuch vor dem Abschneiden der unteren Rohre durchgeführt.

Die Tatsache, dass die Rohre zunächst etwa 2,50, also den erheblichsten Lastfall aufnehmend, gezogen werden konnten, und die daraus vom Sachverständigen gezogene Schlussfolgerung, wurde in keiner Stellungnahme des Privatsachverständigen der Klägerin technisch widerlegt.

– Zur Frage der Abweichung von der Vertikalen hat der Sachverständige … die Kamerabefahrungen begutachtet und die Tatsache berücksichtigt, dass die nachfolgende Firma direkt auf die im Boden befindlichen abgeschnittenen Rohre gestoßen ist.

– Auch die Standzeit von 14 Tagen zur Befestigung der Schlösser hat der Sachverständige gewertet.

Das Herausfallen der Schlösser ist nicht ursächlich für das Feststecken und auch nicht für die anschließende Nichtziehbarkeit.

Soweit der Bauleiter der Klägerin darauf hinweist, dass die erfolgreichen Rettungsarbeiten im Jahr 2011 gezeigt hätten, dass ein erfolgreicher Abschluss der Arbeiten möglich gewesen wäre, ist festzustellen, dass dies ohne Ziehversuch an der gesamten Rohrtour erfolgt ist und erst nach Abschneiden des unteren Rohres samt Bohrschuh geglückt ist. Hieraus können deshalb keine Rückschlüsse auf die Verantwortlichkeit der Beklagten gezogen werden.

– Entgegen den Vorhalten des Privatsachverständigen stellt der Sachverständige … auch nicht bloße Vermutungen an.

Vielmehr folgt der Senat dessen technischen Ausführungen, weil er jeweils im Einzelnen die Anknüpfungstatsachen und damit den Ausgangspunkt seiner Überlegungen darstellt, begründet und erläutert. Dies ist für das Gericht nachvollziehbar. Tatsächliche Umstände jedenfalls, wie sie z. B. auch in unstreitigen Regieberichten beschrieben werden, kann und darf das Gericht nicht unberücksichtigt lassen.

dd) Soweit die Klägerin nunmehr im Rahmen der Beweiswürdigung nach Abschluss der Anhörung vorträgt, der Sachverständige … gehe von falschen Anknüpfungstatsachen aus, ist diese Einschätzung unzutreffend.

Der Sachverständige hat lediglich darauf hingewiesen, dass die Probebohrung und die Brunnenbohrung entgegen der Auffassung des Schiedsgutachters hinsichtlich der Nagelfluhlagerung voneinander abweichen und er von einer Lagerung zwischen 70,40 und 70,70 Meter entsprechend der Zeichnung des Bauarbeiters ausgehe.

Entgegen dem Vorbringen der Klägerin hat sich der Sachverständige auch mit dem sogenannten Dübelprinzip auseinandergesetzt. Er hat dieses als plausibel erachtet (Gutachten vom 8.9.2013, S. 4) ohne dass sich dabei an der Frage der Kausalitätseinschätzung etwas ändern würde.

Der Sachverständige … hat sich auch mit den vom Regiebericht der Firma … abweichenden Darstellungen des Bohrmeister … befasst.

Die Angaben des Bohrmeisters als wahr unterstellt, ergebe sich keine andere Bewertung, weil es sich um einen Zustand mehrerer Jahre nach der Havarie gehandelt habe. Jedenfalls trifft die Bewertung des Sachverständigen … zu, dass sich die Bohrrohre nach Abtrennen des unteren Teils der Rohre und der Bohrkrone nach über 3 Jahren Standzeit innerhalb weniger Tage haben herausziehen lassen. Dies lässt die vom Sachverständigen gezogenen Rückschlüsse auf die Mantelreibung zu.

Der Sachverständige hat sich auch mit der Frage der Verzögerung durch das Sichern der Rohrverbinder befasst und hierzu auch in der Anhörung Stellung genommen.

ee) Der Senat hat im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO keine Zweifel an der Sachkunde des als Betriebsleiter eines Brunnenbaubetriebes tätigen Sachverständigen. Seine Gutachten sind vollständig und widerspruchsfrei. In der Anhörung war der Sachverständige erkennbar in der Lage, die technischen Sachverhalte zu erläutern. Weitere Feststellungen sind aus Sicht des Senat weder möglich noch geboten.

Soweit die Klägerin die Beauftragung eines weiteren Gutachten beantragt hat, liegen die Voraussetzungen des §412 Abs. 1 ZPO nicht vor.

Eine neues Gutachten wäre nur dann zu erholen, wenn das erste Gutachten mangelhaft, unvollständig, widersprüchlich und nicht überzeugend wäre, es von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausginge, der Sachverständige erkennbar oder erklärtermaßen nicht über die notwendige Sachkunde verfügte, die sogenannten Anschlusstatsachen sich durch neuen Sachvortrag geändert hätten oder ein anderer Sachverständiger über überlegene Forschungsmittel oder Erfahrungen verfügte. Keine der genannten Voraussetzungen liegt vor.

Vielmehr hat der Sachverständige im Gutachten den Sachverhalt wie er seitens der Parteien vorgetragen worden ist, wie er sich aus den Akten ergibt und wie er ihn beim Ortstermin festgestellt hat, auch aufgrund von Angaben der Teilnehmer bei der Ortsbesichtigung, im Einzelnen dargestellt und gewürdigt.

Der gerichtliche Sachverständige ist umfassend und überzeugend auf die Darstellungen und Auffassungen des Privatsachverständigen der Klägerin eingegangen und hat diese im Einzelnen dargestellt, gewürdigt und beantwortet.

Eine Unvollständigkeit bzw. Widersprüchlichkeit kann nicht erkannt werden. Das Gutachten geht auch nicht von falschen tatsächlichen Voraussetzungen aus.

Letztlich gibt es durch die Unzugänglichkeit des Bereichs der feststeckenden Bohrkrone auch keinerlei Möglichkeiten weiterer Erkenntnisse oder Klärung.

ff) Unabhängig von der Frage, inwieweit Pflichtverletzungen der Beklagten kausal für die Havarie geworden sind, muss im vorliegenden Fall ausgehend von der Darstellung des Sachverständigen in seiner Anhörung vor dem Senat davon ausgegangen werden, dass sich im konkreten Fall das Bodenrisiko realisiert hat, da keine andere Ursache festgestellt werden konnte und die durch die Beklagte gesetzten Umstände als Ursache nicht in Frage kamen.

Da die Beklagte, wie oben festgestellt, das Baugrundrisiko nicht, jedenfalls aber nicht wirksam, übernommen hat, kann von einer schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten nicht ausgegangen werden.

3. Die Klägerin hat somit auch keinen Anspruch auf Rückzahlung des bereits an die Beklagte ausbezahlten und in die Mehrkostenabrechnung eingestellten Werklohns.

Dieser Werklohn ist für die erbrachten Leistungen geschuldet. Wie oben dargestellt hat die Beklagte es nicht zu vertreten, dass der Brunnen durch sie nicht hergestellt werden konnte.

Infolgedessen hat sie ein Recht aus § 645 BGB zum Behaltendürfen der erhaltenen Zahlungen.

Die Berufung der Beklagten ist somit überwiegend begründet und nur in geringem Umfang zurückzuweisen.

Die Klage der Klägerin, auch mit den nunmehr in der Berufung geltend gemachten Beträgen, ist überwiegend abzuweisen.

C

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 711Nr. 10, 711 ZPO.

Anhaltspunkte, die die Zulassung der Revision rechtfertigen könnten, ergeben sich weder aus dem Vortrag der Parteien noch aus den Umständen.

Baugrundrecht – Entscheidungen im Volltext (1): OLG Koblenz, Urteil vom 08. Juni 2012 – 8 U 1183/10:

Baugrundrecht – Entscheidungen im Volltext (1): OLG Koblenz, Urteil vom 08. Juni 2012 – 8 U 1183/10:

Zur Verantwortlichkeit des Bestellers für die Bodenverhältnisse und die Prüfungs- und Hinweispflicht des Gartenbauunternehmers bei Errichtung einer Stützmauer

Gründe
I.

1
Die Parteien streiten um die Verantwortung des Beklagten für Rissbildungen in einer Mauer auf dem Grundstück des Klägers und die Übernahme von entsprechenden Rückbaukosten im Wege des Schadensersatzes.

2
Der Beklagte, Betreiber eines Gartenbauunternehmens, errichtete im Auftrag des Klägers, mit dem er freundschaftlich verbunden und der für ihn mehrfach als Rechtsanwalt tätig war, ohne vorherige Planung und Bodenuntersuchung im Zeitraum Mai bis Juli 2005 auf dessen Grundstück eine Stützmauer aus Hangflorsteinen. Diese erreicht eine Höhe von ca. 5 Meter und weist eine mittlere Neigung von 85º auf. Die Mauer besteht aus 16 übereinander gesetzten Reihen ovaler Beton-Pflanzringe (B/T/H 40 cm/30 cm/30 cm) und umschließt eine Gartenterrasse von drei Seiten. Die Hangflorsteine und das Verfüllungsmaterial stellte der Kläger.

3
Im Jahr 2007 kam es zur Rissbildung in der Mauer. Der Kläger forderte den Beklagten mit Schreiben vom 08. Januar 2007 zur Mangelbeseitigung bis zum 26. Januar 2007 auf. Nachdem der Beklagte hierauf nicht reagierte, setzte der Kläger mit Schreiben vom 29. Januar 2007 erfolglos Nachfrist bis zum 06. Februar 2007.

4
Daraufhin leitete der Kläger ein selbständiges Beweisverfahren bei dem AG St. Goar –3 H 2/07 – ein. Mit der Begutachtung wurde der Sachverständige …[A] beauftragt. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass die Stützmauer ohne Erstellung eines Bodengutachtens, Bauantragsunterlagen und Genehmigung, Konstruktionspläne und Tragwerksplanung erstellt worden sind. Diese seien vor Baubeginn zu erstellen (Bl. 105 BA).

5
Zusammenfassend hat der Sachverständige, der die Rückbaukosten mit 64.470 € beziffert hatte, in seiner mündlichen Anhörung am 22. Januar 2009 (Bl. 213 BA), wie bereits mit seiner ersten Stellungnahme vom 29. Juli 2007 noch vor der Ortsbesichtigung am 03. August 2007 (Bl. 78 BA), Folgendes ausgeführt:

6
„Das Fundament ist nicht standsicher gegründet, es besteht Einsturzgefahr. (…) Die Mauer ist nicht fachgerecht errichtet, insbesondere ist die zulässige Aufbauhöhe überschritten. Die Kippsicherheit ist nicht gewährleistet und es kann ein Böschungsbruch eintreten.

7
Die vorgelegte Statik für die Baugenehmigung ist so nicht durchführbar, denn der Statiker hat die Erkenntnisse aus der Bodenuntersuchung nicht berücksichtigt. Sie sind nicht in die Statik eingeflossen. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass es sich teilweise um aufgeschüttetes Material mit einer Höhe von ca. 1,5 m handelt, auf die das jetzige Fundament aufgelegt wurde. Das ist nicht standsicher. Der Statiker hat dieses aufgeschüttete Material auch nicht berücksichtigt. Im Übrigen hat er anders als die errichtete Mauer bereits zwei Hangflorsteine nebeneinander im Aufbau berücksichtigt. Das ist zwar besser, ich warne aber davor, ohne Bauartzulassung ein derartiges Bauwerk in einer Höhe von 5 m zu errichten. Eine Nachbesserung der jetzt stehenden Mauer ist nicht möglich bzw. wirtschaftlich nicht vertretbar. Meines Erachtens kommt nur ein Rückbau in Betracht.“

8
Im Anschluss an die Ortsbesichtigung, an welcher für den Kläger Herr Dipl.-Ing. …[B] teilnahm, teilte der Sachverständige mit:

9
„Herr …[B] erklärte, er sei Sachverständiger, Lagerstättengeologe und habe den freiliegenden Fundamentgraben seinerzeit besichtigt. Er könne sich an die Bodenverhältnisse an der Nordseite nicht mehr erinnern. Im Bereich des geradläufigen Nord-West Teils der Stützmauer und im Bereich Westseite seien ihm keine Problembereiche aufgefallen. Er habe damals geraten, den Fundamentbalken zu bewehren und die Reihen 1 bis 3 senkrecht gestellt, ausbetoniert und mit Stahl armiert, einzubauen. Herr …[B] betonte ausdrücklich, sein damaliger Vorschlag zu der Gründung der Stützmauer sei unverbindlich und ohne Detailangaben erfolgt.“

10
Ergänzend hat der Sachverständige in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 29.06.2009

11
(Bl. 237 GA) festgestellt:

12
„Neben der nicht standsicheren Konzeption der Stützmauer wurden bauliche Mängel festgestellt, die sich auf die Standsicherheit des Bauwerks zusätzlich ungünstig auswirken.

13
Der innere Verbund der Mauer ist offensichtlich nicht gegeben, ein Abscheren der Mauerelemente ist möglich und wahrscheinlich. Die Betonringe sind im unteren Bereich nicht vollständig mit Beton verfüllt. Die Verfüllung mit Bodenmaterial im oberen Bereich ist augenscheinlich locker bis sehr locker bzw. nicht vollständig vorhanden. Die Höhendifferenzen an dem Betonfuß der Mauer wurden teilweise regelwidrig durch gemauerte Betonringbruchstücke ausgeglichen. In Anbetracht der zu geringen Fundamentbreite, der außermittigen Belastung und der fehlenden Gründungskörper in den seitlichen Bereichen, das Fundament bindet hier nicht in den tragfähigen Untergrund ein, ist die Gründung nicht ausreichend zur Gewährleistung der Standsicherheit der Stützmauer. Das angeschüttete Material ist nicht frostsicher und nicht dränfähig und daher als Drainageschicht hinter der Mauer nicht geeignet. Die Dränrohre sind, neben der falschen Materialverwendung (Rollenware), zufolge fehlender Drainageschicht für das Sickerwasser nicht ausreichend zugängig und nicht funktionsfähig. Die zulässige Aufbauhöhe ist mit der vorhandenen Konstruktion gravierend überschritten. Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen ist es zur ordnungsgemäßen Herstellung der Stützmauer für die Gartenanlage erforderlich, die vorhandene Stützmauer zunächst zurückzubauen.

14
Das Bauwerk ist aufgrund der bisherigen Untersuchungen als nicht standsicher zu bewerten. Arbeiten auf der Mauerkrone und am Fuß der Mauer sind zufolge zusätzlicher Belastungen und Erschütterungen riskant. Bei der Kalkulation der Einheitspreise zu den einzelnen Positionen sind aufgrund der schwierigen Gelände- und Zufahrtsverhältnisse Rückgriffe auf Kalkulationstabellen ohne Korrekturen nicht möglich. Diese können bei einer Ausschreibung der Leistungen zu erheblichen Preisunterschieden führen. Als Anlage 5 ist das von der Abbruchfirma …[C], angeforderte Angebot vom 26.06.2009 angefügt. Die hier angebotene Gesamtsumme deckt mit den vom Unterzeichner vorgetragenen Rückbaukosten“.

15
Der Kläger hat vorgetragen:

16
Der Beklagte sei auch mit der Planung der Mauer beauftragt worden. Bereits diese Planung sei mangelhaft gewesen. Zu keinem Zeitpunkt habe der Beklagte Bedenken gegen die Art der Ausführung angemeldet.

17
Mit seiner am 06. Mai 2009 zugestellten Klage hat der Kläger beantragt,

18
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 64.470 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

19
2. festzustellen, dass der Beklagte ihm sämtliche über den Klageantrag zu Ziff. 1. hinausgehende Schäden zu ersetzen habe, die ihm dadurch entstanden sind, dass der Beklagte die Stützmauer auf seinem Grundstück, …[X], Gemarkung …[X], Flur 2, Flurstück 36/7, 38/2 nicht den Regeln der Technik entsprechend errichtet habe.

20
Der Beklagte hat beantragt,

21
die Klage abzuweisen.

22
Er hat vorgetragen:

23
Bauliche Mängel, die von ihm verursacht worden seien, hätten sich auf die Standsicherheit nicht ausgewirkt. Zunächst sei nur eine Mauer mit fünf Reihen Hangflorsteinen geplant gewesen. Der Kläger habe während der Ausführung das Vorgehen geändert und beschlossen, dass die Mauer auf bis zu 5 m erhöht werden solle. Zudem seien keine Angaben über den Boden und seine Beschaffenheit gemacht worden. Das Baugrundrisiko trage jedoch der Kläger. Die fehlende Standsicherheit sei zudem darauf zurückzuführen, dass die Stützmauer ohne Bodengutachten, Bauantragsunterlagen, Baugenehmigung, Konstruktion und Tragwerkplanung erstellt worden sei. Im Übrigen handele es sich bei den vom Kläger geltend gemachten Kosten um Sowieso-Kosten.

24
Nach Schluss der mündlichen Verhandlung I. Instanz hat der Beklagte in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz Ausführungen gemacht und die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, dass dem Kläger ein Mitverschulden zur Last falle. Der von ihm vor Ausführung konsultierte Sachverständige habe ihm gegenüber im Auftrag des Klägers das Fundament zur Errichtung der Mauer als geeignet bezeichnet. Der Kläger habe ihn nicht beauftragen dürfen, da er kein Fachmann für die Errichtung von Mauern sei und der Kläger von dessen fachlicher und sachlicher Kompetenz nicht überzeugt sein durfte. Der Kläger habe auch gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen. Der Sachverständige habe sich zur Ermittlung der Kosten auf ein Angebot der …[C] gestützt. Dieses sei jedoch rechnerisch falsch, zudem decke sich das Gutachten nicht mit dem Angebot.

25
Soweit Kosten für Wiederherrichten der Flächen und Beseitigung der Flurschäden geltend gemacht würden, handele es sich um Sowieso-Kosten. Schließlich stehe ihm ein Schadensersatzanspruch in Höhe der Klageforderung zu, weil der Kläger –unstreitig –in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt über mehrere Mandatsverhältnisse mit dem Beklagten verbunden gewesen sei und den Kläger damit eine Warnpflicht dahin getroffen habe, dass der Beklagte den Auftrag nicht habe übernehmen dürfen. Dies sei insbesondere deswegen geboten gewesen, weil der Kläger auch im Bereich des Bau- und Architektenrecht als Anwalt tätig sei.

26
Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Ausführungen im Übrigen Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), hat der Klage mit Urteil vom 13. September 2009, in vollem Umfang stattgegeben, aber – entgegen der Klage – nicht als Schadensersatz, sondern als Vorschuss auf die Kosten für den Abriss der Mauer. Die vom Beklagten errichtete Mauer sei mangelhaft. Ihr fehle es aufgrund der Einsturzgefahr an der Funktionsfähigkeit der Stützmauer.

27
Das Landgericht ist insoweit den Ausführungen des Sachverständigen gefolgt. Zwar habe eine Planung nicht stattgefunden, sie sei von dem Beklagten auch nicht geschuldet gewesen. Darauf komme es aber nicht an. Der Beklagte habe ein funktionsfähiges, den Regeln der Technik entsprechendes Werk geschuldet. Wenn er es übernehme, eine Mauer zu errichten, sei er dafür verantwortlich, dass diese standsicher sei. Wenn dafür eine besondere Planung erforderlich gewesen sei, habe er das veranlassen müssen. Er könne sich nicht darauf berufen, dass der Kläger im Rahmen der Bauausführung das Vorgehen geändert und eine Erhöhung der Mauer zu dem Mangel geführt habe.

28
Vielmehr hätte der Beklagte dann prüfen müssen, ob die behauptete Anweisung durch den Kläger die Erstellung eines mangelfreien Werkes in Frage gestellt habe. In diesem Fall hätte der Beklagte nicht nur auf die Risiken des Weiterbaus hinweisen, sondern einen Weiterbau gänzlich ablehnen müssen, da eine Mauer, die derart einsturzgefährdet sei, auch nach einem entsprechenden Hinweis nicht hätte errichtet werden dürfen. Auch das Fehlen der öffentlich-rechtlichen Erlaubnis und etwaiger Bodengutachten entlasteten nicht.

29
Die vertraglichen Verpflichtungen des Beklagten blieben davon unberührt. Er habe trotzdem ein mangelfreies, standsicheres Werk geschuldet. Hätte er ein Bodengutachten für erforderlich gehalten, hätte er darauf hinweisen müssen. Der Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung hat das Landgericht abgelehnt.

30
Gegen dieses ihm am 16. September 2010 zugestellte Urteil vom 13. September richtet sich die am 13. Oktober 2010 eingelegte Berufung des Beklagten, mit der er seinen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

31
Der Kläger hat Tatbestandsberichtigung (Bl. 200 GA) und Urteilsergänzung gemäß § 321 ZPO beantragt (Bl. 215 GA). Durch Beschluss vom 13. Oktober 2010 (Bl. 115 GA) hat das Landgericht den Tatbestand berichtigt (Schadensersatz statt Kostenvorschuss), durch Urteil vom 06. Januar 2011 die Ergänzung des Urteils aber abgelehnt. Die Kammer habe keinen Antrag übergangen, sondern sie habe ihn lediglich falsch bezeichnet. Insoweit lägen die Voraussetzungen des § 321 ZPO nicht vor. Auch eine entsprechende Anhörungsrüge hat das Landgericht mit Beschluss vom 10. Januar 2010 zurückgewiesen.

32
Mit seiner am 14. Oktober 2011 eingelegten Berufung gegen das ihm am 14. September 2010 zugestellte Urteil vom 13. September 2010 sowie mit seiner am 14. Februar 2011 eingelegten Berufung gegen das ihm am 14. Januar 2011 zugestellte Urteil vom 10. Januar 2011 wendet sich der Kläger gegen das erstinstanzliche Urteil mit dem Ziel der Abänderung dahin, dass die tenorierte Summe als Schadensersatz zu zahlen sei.

33
Der Beklagte trägt im Wesentlichen die bereits in seinem nicht nachgelassenen Schriftsatz dargelegten Gründe vor. Er sei für die Verursachung des Mangels insbesondere nicht für die fehlende Planung und den ungeeigneten Untergrund verantwortlich (Bl. 296 GA).

34
Der Kläger habe durch den Sachverständigen …[B] das Vorliegen der Voraussetzungen für den Bau der Mauer beurteilen lassen. Auf dessen Beurteilung habe er sich zulässigerweise verlassen dürfen. Dies sei auch dem Kläger klar gewesen, da er, der Beklagte, als Gärtner keine Planungskompetenz gehabt habe.

35
Er habe als Gärtner nicht das erforderliche Sonderwissen und müsse es auch nicht haben. Wenn aber – wie er – ein fachlich nicht kompetenter Handwerker ausgewählt worden sei, habe der Bauherr dadurch die Einwirkungsmöglichkeit auf seine Rechtsgüter eröffnet (BGH NJW 1999, 3627, 3628; NJW-RR 2006, 1265 f.).

36
Im Übrigen sei die Nachbesserung unmöglich, da keine Baugenehmigung für eine technisch baubare Mauer existiere. Jedenfalls liege ein überwiegendes Mitverschulden des Klägers vor, da weder eine Baugenehmigung noch eine Planung vorgelegen habe. Außerdem habe das Landgericht den Schaden fehlerhaft berechnet und weitere Angebote unberücksichtigt gelassen (Bl. 307, 308 GA).

37
Der Kläger beantragt,

38
unter Aufhebung des Urteils der 4. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 13. September 2010 und 10. Januar 2011,

39
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn Schadensersatz i.H.v. 64.470 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06. Mai 2010 zu zahlen,

40
2. festzustellen, dass der Beklagte ihm sämtliche über den Klageantrag zu Ziff. 1. hinausgehende Schäden zu ersetzen habe, die ihm dadurch entstanden sind, dass der Beklagte die Stützmauer auf seinem Grundstück, …[X], Gemarkung …[X], Flur 2, Flurstück 36/7, 38/2 nicht den Regeln der Technik entsprechend errichtet habe.

41
Der Beklagte beantragt,

42
die Berufung des Klägers zurückzuweisen sowie die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Koblenz, Az.: 4 O 119/10, abzuweisen.

43
Der Kläger beantragt,

44
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

45
Der Senat hat terminsvorbereitend eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen eingeholt auf die ebenso verwiesen wird wie wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Verfahren II. Instanz auf die Schriftsätze und die Terminsniederschrift.

II.

46
A. Berufung des Klägers

1.

47
Die Berufung des Klägers ist zulässig (a) und begründet (b).

a)

48
Soweit der Kläger die Berufung gegen ein Urteil vom 10. Januar 2010 eingelegt hat, das tatsächlich aber vom 06. Januar 2011 datiert ist, ist dies unschädlich, da die Identität des angefochtenen Urteils schon durch die der Berufungsschrift beigefügte Urteilsabschrift feststeht (vgl. Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO, 33. Auflage (2012), § 519 Rdnr. 13 m.w.N.).

49
Der Kläger ist durch das erstinstanzliche Urteil auch noch zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel beschwert. Ihm steht insoweit das notwendige Rechtsschutzbedürfnis für die Anrufung einer höheren Instanz zu (vgl. Reichold a.a.O. Vorbem § 511 Rdnrn. 16 und 22 m.w.N.: Abweisung der Klage als unbegründet anstatt als unzulässig; Musielak/Ball, ZPO, 9. Auflage (2012), Vor § 511 Rdnr. 23).

50
Denn ausgehend vom für das Vorliegen der Beschwer maßgeblichen rechtskraftfähigen Inhalt der angefochtenen Entscheidung, wozu Tenor und Entscheidungsgründe zählen (Reichold a.a.O. Rdnr. 21), kommt trotz ggf. fehlender „Abweisung der Klage im Übrigen“ nicht eindeutig zum Ausdruck, dass dem Kläger Schadensersatz und nicht ein Minus, nämlich lediglich abrechenbarer Vorschuss zugesprochen worden ist.

51
Grundsätzlich ist der Kläger durch die Zuerkennung von Vorschuss, obwohl er Schadensersatz geltend gemacht hat, beschwert (OLG Koblenz, Urteil vom 09. März 2011 – 12 U 1260/10, zitiert nach juris Orientierungssatz 1). Daran ändert auch nichts, dass der Tenor nicht ausdrücklich „abrechenbaren Vorschuss“ zuspricht. Der Urteilstenor enthält zwar grundsätzlich keine Begründung der Klageabweisung oder des Klagezuspruchs. Ausnahmen gelten z.B. für § 598 ZPO (mangelnde Statthaftigkeit), 850 f Abs. 2 ZPO (Forderung aus unerlaubter Handlung, vgl. auch § 302 Nr. 1 InsO), 1032 Abs. 1 ZPO (Unzulässigkeit) oder die Abweisung als „zur Zeit unbegründet“ wegen mangelnder Fälligkeit (z.B. bei unzureichend abgerechnetem Anspruch aus § 649 Satz 2 BGB).

52
Wird Vorschuss ausgeurteilt entspricht es zwar verbreiteter Übung, dies auch im Tenor zu kennzeichnen (OLG Koblenz a.a.O. Rdnr. 1). Die Verurteilung zu Schadensersatz findet sich im Urteilstenor allerdings regelmäßig nicht. Dennoch steht hier trotz berichtigtem Tatbestand nicht eindeutig aus Tenor und Gründen fest, dass dem Kläger erstinstanzlich tatsächlich Schadensersatz zugesprochen wurde.

b)

53
Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Denn dem Kläger steht Schadensersatz, nicht Vorschuss zu. Ab dem hier spätestens mit der Klageschrift geltend gemachten Schadensersatzanspruch scheidet der auf dem weiterhin bestehenden Nacherfüllungsanspruch beruhende Vorschussanspruch nach §§ 634 Nr. 2, 633 Abs.1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 637 Abs. 3 BGB aus (Palandt/Sprau, BGB, 71. Auflage (2012), § 634 Rdnr. 7, § 637 Rdnr. 1). Denn mit Geltendmachung des Schadensersatzverlangens erlischt der Nacherfüllungsanspruch (Palandt a.a.O. § 634 Rdnr. 3). Dafür, dass der Kläger hier Schadensersatz und nicht Vorschuss verlangt spricht im Übrigen auch, dass er Nettoentschädigung verlangt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2010 – VII 176/09 – BGHZ 186, 330, zitiert nach juris).

54
B. Berufung des Beklagten

55
Die Berufung des Beklagten hat in der Sache teilweise Erfolg.

1.

56
Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Beklagte dem Grunde nach für die Kosten des Rückbaus der Mauer aufzukommen und für eventuelle Folgeschäden einzustehen hat. Dem Kläger steht Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 634 Nr. 4 Alt.1, 633 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. 281 Abs. 1 Satz 1 Alt.2, 280 Abs. 1 Satz1 BGB zu.

a)

57
Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die Mauer mangelbehaftet ist, weil sie i.S.d. § 633 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB als Stützmauer errichtet bei bestehender Einsturzgefahr nicht funktionstauglich ist. Bereits das im selbständigen Beweisverfahren eingeholte Sachverständigengutachten hat dies bestätigt. Letztlich bestreitet der Beklagte die mangelhafte Konstruktion der Mauer auch nicht. Die Mauer ist handwerklich nicht ordnungsgemäß erstellt worden. Der entscheidende Mangel liegt in der fehlenden Standsicherheit, weil dies die eigentliche Funktion der Mauer als Stützmauer aufhebt. Die mangelnde Standsicherheit hat neben den handwerklichen Mängeln nach den Feststellungen des Sachverständigen drei Gründe, nämlich fehlende Planung, fehlende Statik und fehlendes Bodengutachten.

b)

58
Der Mangel, der eine –werkvertragliche –Pflichtverletzung i.S.d. § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellt, ist von dem Beklagten aber auch zu vertreten (§§ 280 Abs. 1 S. 2, 276 BGB). Zu vertreten hat der Schuldner gem. § 276 Abs. 2 BGB jedenfalls Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt dabei derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Erforderlich ist das Maß an Umsicht und Sorgfalt, das nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger des in Betracht kommenden Verkehrskreises zu beachten ist. Was zur Risikovermeidung erforderlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei der Beurteilung kommt es auf den Erkenntnisstand zurzeit der Verursachung des Schadens an. Fahrlässig handelt aber danach nur der, der den Schadenseintritt vermeiden konnte und musste (vgl. zum Ganzen Palandt a.a.O. §276 Rdnr. 16ff. m.w.N.).

59
Dass dem Beklagtem kein Verschulden zur Last fällt, ist jedenfalls hinsichtlich der handwerklichen Mängel von ihm nicht dargetan. Nach dem Ergebnis des vom Senat eingeholten Sachverständigengutachtens zwingen bereits diese Mängel, d.h. die fehlerhaft hergestellten Mauerfundamente auf der einen sowie der fehlende kraftschlüssige Versatz mit den teilweise nicht vollständig verfüllten Mauerelementen auf der anderen Seite, zum vollständigen Rückbau. Auf die Frage, ob der Beklagte zur Einholung eines Bodengutachtens oder einer Statik vertraglich verpflichtet war, kommt es in diesem Zusammenhang ebenso wenig an, wie auf die Frage, ob der Beklagte seinen Hinweispflichten nachgekommen ist.

2.

60
Der Höhe nach kann der Kläger aber lediglich Schadensersatz in Höhe von 48.700 € verlangen.

a)

61
Der Schadensersatzanspruch des Klägers (Erfüllungsinteresse) geht gemäß § 249 Abs. 1 BGB zwar grundsätzlich auf Naturalrestitution (= Rückbau der Mauer und ggf. Neuerrichtung mangelfreier Einfriedung). Da ansonsten der nach §281 Abs. 4 BGB untergegangene Erfüllungsanspruch aber wieder aufleben würde (BGH, Urteil vom 22. Juli 2010 a.a.O.), folgt die Entschädigung in Fällen wie hier in Geld aus §249 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB (BGH a.a.O. juris Rdnr. 10 m.w.N. zur Rechtslage bis zum 31. Dezember 2001). Auch vor dem Hintergrund, dass der Beklagte bislang lediglich zur Behebung der Mauerrisse, nicht aber ausdrücklich zum Rückbau der Mauer aufgefordert wurde, lassen ein über §§ 249 Abs. 1, 250 BGB, § 255 ZPO vom Kläger dann zu forcierendes Recht des Beklagten (vgl. Palandt, a.a.O. § 250 Rdnr. 2 m.w.N.), die Mauer in Eigenleistung zurückzubauen, nicht entstehen. Denn auch der Rückbau der Mauer war vom Nacherfüllungsbegehren des Klägers umfasst. Der Beklagte nahm jedoch keine der sich gem. § 635 BGB bietenden Nacherfüllungsoptionen wahr. Im Übrigen wäre eine Fristsetzung nach § 250 BGB aber auch entbehrlich, weil der Beklagte wiederholt endgültig den Rückbau verweigerte (vgl. hierzu Palandt a.a.O. § 250 Rdnr. 2). Daran ändert auch nichts, dass er aus prozesstaktischen Erwägungen darauf abstellt, den Rückbau günstiger vornehmen zu können. Denn hierdurch zeigt er keine –nachträgliche und nachhaltige –Nachbesserungsbereitschaft.

62
Da diese fehlt kommt ein Nachbesserungsrecht auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB oder aus Treu und Glauben nach § 242 BGB in Betracht (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 27. November 1991 – 25 U 51/91; BGH, Urteil vom 12. Juli 1971 – VII ZR 239/69, jeweils zitiert nach juris). Die insoweit entschiedenen Fallkonstellationen (Nachbesserungsrecht durch den gesamtschuldnerisch mit dem Bauunternehmer haftenden Architekten) sind mit der vorliegenden auch nicht vergleichbar.

b)

63
Der Schadensersatzanspruch bemisst sich nach den vom Sachverständigen angesetzten Nettokosten zur ordnungsgemäßen Mängelbeseitigung (BGH a.a.O. Rdnr. 11 m.w.N.). Der Sachverständige hat die Rückbaukosten zunächst und nachvollziehbar auf den mit der Klage begehrten Betrag taxiert. Die vom Beklagten eingeholten Alternativangebote setzen sich mit den Besonderheiten der Ausführung nicht auseinander.

64
Da der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme zuletzt aber ein aktuelles Nettoangebot über 48.287,00 € mitteilt, muss sich der Kläger hierauf verweisen lassen. Zwar hat der Sachverständige erklärt, dass er angesichts der Schwankungsbreiten am Markt seine ursprüngliche Schätzung weiterhin für angemessen halte (Bl. 502 GA = Seite 10 des Gutachtens letzter Absatz).

65
Nach § 249 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB schuldet der Beklagte den zur Mängelbeseitigung erforderlichen Geldbetrag, aber eben auch nur diesen. Das sind all die Kosten, die der Geschädigte vernünftigerweise zur Schadensbeseitigung für notwendig erachten darf. Maßgeblich ist das Wirtschaftlichkeitsgebot. Der Geschädigte muss aus mehreren zum Ausgleich des Schadens führenden Möglichkeiten diejenige wählen, die den geringsten Aufwand erfordert (Fricke, VersR 2011, 966 m.w.N.). Ihn trifft eine Kostenminderungspflicht (Fricke a.a.O.). Da die Angebote …[D] (Bl. 504 GA) und der …[C](Bl. 250 BA) jeweils sieben identische Angebotspositionen und dieselben vom Gutachter ermittelten Massen zugrunde legen (…[D] zu Pos. 4 sogar 120 (…[C]: 60) Kubikmeter für Abbruch und Entsorgung der Steine, Bl. 245 ff BA) stellt sich das – im Übrigen auch aktuellere – Angebot …[D] als das Wirtschaftlichere dar. Mehrkosten können über den Feststellungsantrag geltend gemacht werden. Zurzeit jedenfalls stehen Mehrkosten nicht fest.

c)

66
Um nicht erstattungsfähige „Sowiesokosten“ handelt es sich – anders als der Beklagte meint – ebenso wenig. „Sowieso“ müsste der Kläger die Mauer nämlich ohne die Pflichtverletzung des Beklagten nicht abreißen lassen. Nur das aber zieht – nicht „sowieso“ sondern „wegen“ der Einsturzgefahr – die Notwendigkeit einer Flurschadensbeseitigung (Punkt 7. des Angebots) nach sich. Der Beklagte schuldet mindestens den hier nach § 249 Abs.1, Abs. 2 Satz 1 BGB mit Geld herzustellenden Zustand vor –mangelhafter –Errichtung der Mauer, d.h. ohne den nach Abriss verbleibenden Flurschaden. Nur wenn der Kläger zusätzlich die Kosten für die Neuerrichtung des Mauerwerks verlangen würde, müsste er sich entgegenhalten lassen, die Flurschadensbeseitigung sei für die Mängelbeseitigung nicht erforderlich. „Sowiesokosten“ wären das aber auch nicht.

3.

67
Der Anspruch ist auch nicht um einen Mitverschuldensanteil des Klägers nach § 254 BGB zu kürzen. Das gilt sowohl für die nach § 645 BGB in den Risikobereich des Klägers fallende Beschaffenheit des Bodens wie auch für die unterblieben Planung. Die unterlassene Hinweispflicht sowie die handwerklichen Baumängel auf Seiten des Beklagten überwiegen etwaige Verursachungsanteile des Klägers derart, dass diese dahinter zurücktreten.

a)

68
Soweit ein Bodengutachten nicht eingeholt worden ist, ist dies dem Beklagten grundsätzlich nicht zur Last zu legen. Soweit der Untergrund für den Bau nicht geeignet war, trägt der Kläger als Besteller das Risiko (§ 645 BGB). Der Begriff „Stoff“ umfasst dabei alle Gegenstände, aus denen, an denen oder mit deren Hilfe das Werk herzustellen ist (Palandt a.a.O. § 645 Rdnr. 7). Dazu gehört auch die stoffliche Umgebung, in oder auf der ein Werk errichtet werden soll. Bei den Bodenverhältnissen handelt es sich um einen Umstand, der als „von dem Besteller gelieferter Stoff“ i. S. von § 645 BGB anzusehen ist (OLG Karlsruhe NZBau 2011, 31, 32; OLG Brandenburg NZBau 2009, 181). Mit Planungsleistungen, in deren Rahmen auch die Bodenverhältnisse zu überprüfen gewesen wären, war der Beklagte nicht beauftragt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen spricht Vieles dafür, dass der Beklagte erkennen musste, dass er gerade aufgrund der Steilhanglage des Grundstücks ohne Bodengutachten nicht für eine nachhaltige Standsicherheit der Mauer würde einstehen können. Jedenfalls durfte sich der Beklagte nicht auf die ausdrücklich ungeprüften Angaben des für den Kläger auftretenden Sachverständigen …[B] verlassen.

69
Denn nur bei dezidierter Übertragung einer Teilaufgabe auf einen Sonderfachmann lässt dies die Haftung des eigentlich beauftragten Unternehmers entfallen (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. Dezember 2008 –8 U 102/07 –zitiert nach juris).

b)

70
Soweit darüber hinaus die fehlende Standfestigkeit auf die mangelnde Planung und die fehlende Statik zurückzuführen ist, war die Planung zwar ebenfalls vom Beklagten nicht geschuldet. Dies entlastet ihn aber letztlich nicht. Auch außerhalb des VOB Vertrags ist anerkannt, dass dem Unternehmer gegenüber dem Bauherrn eine Prüfungs- bzw. Anzeigepflicht treffen kann.

71
Verletzt der Bauunternehmer eine bestehende Prüfungs- und Hinweispflicht, macht das seine an sich ordnungsgemäße Bauleistung mangelhaft, falls ein Fachmann den Mangel erkennen konnte (vgl. Werner/Pastor, Der Bauprozess, 12. Aufl. 2008, Rdnr. 1526). Diese Grundsätze sind entsprechend auf den vorliegenden Fall anzuwenden, in denen der Kläger als Bauherr Vorgaben machte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. Oktober 2010 –19 W 33710 = NJW 2011, 237, 238, zitiert nach juris). Der Einwand, der Bauherr habe die Ausführung „so gewollt“ lässt die Haftung des Unternehmers nicht entfallen. Denn dies würde voraussetzen, dass der Unternehmer dem Bauherrn die gravierenden Folgen seines Handelns vor Augen führt und ihn mit den Konsequenzen konfrontiert (OLG Dresden, Urteil vom 27. März 2003 –9 U 1644/05, BauR 2009, 862, zitiert nach juris, Rdnr. 90). Entsprechende Aufklärungsarbeit leistete der Beklagte nicht. Bei einer 5 m hohen Mauer musste der Beklagte aber als auch Gartenbauer erkennen, dass ohne eine entsprechende Planung und Statik ein derartiges Bauwerk nicht errichtet werden durfte. Hierauf musste er den Kläger hinweisen. Das hat er nicht getan.

72
Eine Ausnahme von der regelmäßigen Prüfungs- und Hinweispflicht des Unternehmers kann zwar bei einer einverständlich getroffenen Vereinbarung zwischen Besteller und Unternehmer, den Unternehmer von der Überprüfungspflicht zu entbinden, anzunehmen sein. Die Vertragsfreiheit erlaubt insoweit, auch solche Pflichten zu beseitigen oder der anderen Partei aufzuerlegen, die nach dem gesetzlichen Leitbild des betreffenden Vertragstyps zu der Hauptleistungspflicht einer bestimmten Vertragspartei gehören.

73
Als Abweichung von der gesetzlichen Pflichtenverteilung wäre das Zustandekommen einer solchen Vereinbarung aber anders als hier geschehen vom Unternehmer darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen (BGH, Urteil vom 14. September 1999 – X ZR 89/97BB 1999, 2477 ff., zitiert nach juris mit Verweis auf Rosenberg, Die Beweislast, 5. Aufl., S. 295). Das ist nicht geschehen.

c)

74
Nach § 254 Abs. 1 BGB hängt die Verpflichtung zum Ersatz des Schadens auch nur dann davon ab, inwieweit der Schaden überwiegend oder teilweise von dem anderen Teil (dem Geschädigten) verursacht worden ist, wenn dieser die Entstehung des Schadens mitverschuldet, d.h. im Sinne von § 276 Abs. 1 und 2 BGB zu vertreten hat, worunter auch der unterlassene Hinweis auf bestehende, dem Geschädigten bekannte Gefahren gem. § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB fallen kann.

75
Der Kläger hat die Notwendigkeit des Rückbaus der Mauer aber nicht – mit – zu vertreten. Denn er hat weder die inadäquate Bodenbeschaffenheit fahrlässig verkannt noch zu erkennen müssen, dass die „planlose“ Errichtung der Mauer zwangsläufig deren kurzfristigen Einsturz nach sich ziehen musste.

76
Denn nach dem ergänzenden Sachverständigengutachten musste es sich allenfalls dem Beklagten aufdrängen, dass die Gründungssituation im Hinblick auf die Standsicherheit eines derartigen Bauwerks kritisch war und daher eine gesonderte Planung erforderte. Weshalb der Kläger dies erkennen sollte, bzw. unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verkannt haben soll, erschließt sich dem Senat nicht.

77
Denn schließlich hat der Kläger mit dem Beklagten keinen Laien beauftragt, sondern einen Werkunternehmer der als Gartenbauer über Grundkenntnisse von Bodenbeschaffenheit und Planungsnotwendigkeiten für Garteneinfriedungen verfügt (Bl. 498 GA = Seite 6 des Ergänzungsgutachtens). Da der Kläger hierauf auch vertrauen durfte, scheidet ein Mitverschulden im o.g. Sinne auch im Hinblick darauf aus, dass der Kläger vorwerfbar „ausgewählt“ hat.

78
In der Regel trägt nämlich der Unternehmer, der sich zur entgeltlichen Ausführung eines Werkes anbietet, im Verhältnis zum Besteller die alleinige Verantwortung (BGH, NJW 1991, 165; NJW 1993, 1191 f.). Ohne besonderen Anlass muss der Auftraggeber Eignung, Befähigung und Ausstattung seines Vertragspartners nicht überprüfen.

79
Von einer Verletzung der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten kann bei einer Auftragsvergabe erst dann gesprochen werden, wenn der konkrete Sachverhalt Anlass für die Annahme bietet, der Unternehmer werde durch die angetragenen Aufgaben überfordert, weil er die erforderliche Ausstattung oder notwendige fachliche Kompetenz nicht besitze (BGH a.a.O.).

80
Das ist hier jedoch nicht der Fall. Die Errichtung einer Garteneinfriedung fällt für den Laien nämlich durchaus in den Kompetenzbereich eines Gartenbauers. Zudem wirbt der Beklagte auf seiner Homepage (www….de/) mit Folgendem:

81
„Wir helfen Ihnen, Ihren Gartentraum zu verwirklichen. Oder die repräsentative Außenanlage für ihr Unternehmen. Nutzen Sie dazu die kompetente, professionelle Beratung.“

82
Wenn es der Beklagte dann aber übernimmt, neben der reinen Gestaltung einer Gartenfläche auch deren Abschluss durch Errichtung einer Mauer auszuführen, muss sich nicht der Auftraggeber kundig machen, ob der Gartenbauer hierzu in der Lage ist, indem er nachfragt, wo der Unternehmer wann Ähnliches bewerkstelligt hat. Es ist vielmehr am Auftragnehmer ungefragt zu offenbaren, dass dies nicht der Fall ist.

83
Nichts anderes würde für einen Rechtsanwalt gelten, der ohne seine Spezialisierungen zu offenbaren, eine komplexe Bauvertragssache übernimmt, ohne je in dieser Materie tätig gewesen zu sein.

84
Die Zurechnung eines Mitverschuldensanteils des für den Kläger tätigen Sachverständigen über §§ 254 Abs. 2 Satz 2, 278 BGB scheidet ebenso aus. Denn selbst wenn man den Sachverständigen …[B] als Erfüllungsgehilfen des Klägers ansähe, war dieser erkennbar nicht dazu eingeschaltet, verbindliche Angaben zu Bodenqualität zu verlautbaren und Planungsvorgaben zu tätigen. Weshalb der Sachverständige …[B] hätte erkennen müssen, dass der Beklagte mit der übernommenen Tätigkeit überfordert war, ist nicht ebenfalls zu erkennen.

4.

85
Aufrechenbare Schadensersatzansprüche wegen anwaltlicher Pflichtverletzung stehen dem Beklagten nicht zu. Denn der Kläger musste den Beklagten vor Erteilung des Auftrags nicht als ggf. in Bauvertragssachen bewanderter Rechtsanwalt warnen. Er erteilte den Auftrag als Privatperson.

5.

86
Der Beklagte schuldet Rechtshängigkeitszinsen erst ab einem Tag nach Rechtshängigkeit, §§ 291,187 Abs. 1 BGB analog (BGH, Urteil vom 24. Januar 1990 – VIII ZR 296/88, zitiert nach juris Rdnr. 25).

6.

87
Den Feststellungsantrag ist mit den Ausführungen des Landgerichts zutreffend begründet.

III.

88
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 97, 543 Abs. 2, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

89
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

90
Der Berufungsstreitwert wird auf 64.470 € festgesetzt. Der Berufung des Klägers ist dabei kein darüber hinausgehender wirtschaftlicher Wert, § 3 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG, beizumessen.

VergMan ® Tiefbaurecht und Hochbaurecht: Entschädigung für den Vorhalt von Arbeitskräften während des Annahmeverzugs

VergMan ® Tiefbaurecht und Hochbaurecht: Entschädigung für den Vorhalt von Arbeitskräften während des Annahmeverzugs

Ein Urteil des KG spricht dem Werkunternehmer eine Entschädigung für den Vorhalt von Arbeitskräften während des Annahmeverzugs des Bestellers zu. Kann ein Werkunternehmer während des Annahmeverzugs des Bestellers die Vergütung aus dem gestörten Werkvertrag nicht wie vorgesehen erwirtschaften, steht ihm für diesen Umsatznachteil zwar keine Entschädigung aus § 642 BGB zu. Begehrt ein Werkunternehmer Entschädigung für den Vorhalt von Arbeitskräften während dieses Annahmeverzugs, steht ihm dem Grunde nach ein Anspruch zu, er hat aber darzulegen und ggf. zu beweisen, dass er die Arbeitskräfte im fraglichen Zeitraum nicht anderweitig einsetzen konnte. Zeigt der Besteller dem Unternehmer die Umstände an, die seinen Annahmeverzug begründen, so liegt in einer solchen Verzugsmitteilung in aller Regel eine Leistungsänderung gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B, sodass dem Unternehmer ein Mehrvergütungsanspruch nach dieser Vorschrift zustehen kann. In diesem Fall besteht der Mehrvergütungsanspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B neben demjenigen aus § 642 BGB. Im Unterschied zu § 642 BGB gewährt er auch eine Mehrvergütung für annahmeverzugsbedingte Kostensteigerungen.
KG, Urteil vom 29.01.2019 – 21 U 122/18

A.
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einem Bauvertrag über Trockenbauarbeiten in Anspruch, nachdem sie ihre Leistungen nicht innerhalb der vertraglich vereinbarten Ausführungsfristen abschließen konnte.

Der Beklagte, vertreten durch das Bezirksamt N…, schrieb für das Bauvorhaben “Erweiterungsbauten für die Gemeinschaftsschule auf dem Campus R…-…” im Jahr 2016 Trockenbauarbeiten aus. Die Trockenbauarbeiten waren in drei unterschiedlichen Gebäuden zu erbringen, nämlich dem “WAT-Gebäude” (im Folgenden auch “WAT”), dem “Elternzentrum” (im Folgenden auch “ELZ”) und der “Schulerweiterung” (im Folgenden auch “SCH”). Bei der Ausschreibung nahm der Beklagte Bezug auf die VOB/B und auf Besondere Vertragsbedingungen. Diese regeln in Ziff. 1 “Ausführungsfristen (§ 5 VOB/B)”, in Ziff. 10 sehen sie ergänzend zu Ziff. 1.2 für die Trockenbauarbeiten die folgenden “Einzelfristen” vor:

“1. Schulerweiterunga. Wände 1. Seite 21.11.2016 bis 13.01.2017b. Wände schließen 19.12.2016 bis 17.02.2017c. Decken 30.01.2017 bis 07.04.20172. Elternzentruma. Wände 1. Seite 04.07.2016 bis 29.07.2016b. Wände schließen 22.08.2016 bis 16.09.2016c. Decken 05.09.2016 bis 30.09.20163. WAT-Gebäudea. Wände 1. Seite 20.06.2016 bis 01.07.2016b. Wände schließen 15.08.2016 bis 02.09.2016c. Decken 29.08.2016 bis 16.09.2016”
Mit Schreiben vom 7. April 2016 gab die Klägerin ein Angebot zu einer Vergütung von 334.215,86 € zuzüglich 63.501,01 € Mehrwertsteuer = 397.716,87 € brutto ab. Von dieser Vergütung entfallen auf das Gebäude WAT 33.932,38 €, auf das Gebäude ELZ 71.673,06 € und auf das Gebäude SCH 228.610,42 € (Beträge jeweils netto). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlagen K 1 und 2 verwiesen.

Auf Bitten des Beklagten verlängerte die Klägerin zweimal die Bindefrist für ihr Angebot, zuletzt bis zum 5. August 2016. Mit Schreiben vom 2. August 2018 beauftragte das Bezirksamt N… die Klägerin gemäß ihrem Angebot (Anlage K 3). In diesem Schreiben hatte das Bezirksamt den folgenden Textbaustein angekreuzt:

”Ich fordere Sie auf, mit der Ausführung der Bauleistung gemäß Ziff. 1.1 der Besonderen Vertragsbedingungen zu beginnen.”
Am 22. August 2016 fand eine Baubesprechung statt, an der unter anderem Vertreter der Klägerin und die Bauleitung des Beklagten teilnahmen. Dort gab die Bauleitung der Klägerin für ihre Arbeiten im Gebäude WAT einen Baubeginn am 5. September 2016 vor. Hinsichtlich des Gebäudes ELZ teilte sie der Klägerin – möglicherweise bei anderer Gelegenheit – mit, sie solle am 19. September 2016 mit den Arbeiten beginnen. In beiden Bereichen begann die Klägerin fristgerecht mit ihren Arbeiten, konnte sie aber erst im Februar bzw. März 2017 abschließen.

Im Gebäude SCH konnte die Klägerin erst am 2. Mai 2017 mit den Arbeiten beginnen und hatte sie am Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch nicht abgeschlossen.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe sich bei allen drei Gebäuden gemäß § 642 BGB im Annahmeverzug befunden, weil er ihr das Baugrundstück nicht so überlassen habe, dass sie die Trockenbauarbeiten innerhalb der Fristen ausführen konnte, wie sie in Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen vorgegeben waren. Aus diesem Grund sei der Beklagte verpflichtet, sie für den Umsatz zu entschädigen, der ihr dadurch entgangen sei, dass sie nicht innerhalb der Vertragsfristen die vertraglichen Leistungen ausführen und die hierfür vorgesehene Vergütung erwirtschaften konnte. Auch wenn sie diese Leistungen zeitlich verschoben nachholen konnte und musste, ändere dies nichts daran, dass ihr die Möglichkeit endgültig genommen sei, innerhalb der vertraglich vorgesehenen Zeitfenster die vereinbarte Vergütung zu erwirtschaften und dass ihr in der Zeit des Nachholens wegen der Bindung ihrer Produktionsmittel an den Vertrag mit der Beklagten die Möglichkeit genommen war, Umsatz aus anderen Aufträgen zu erzielen. Die Höhe ihres Anspruchs ermittelt die Klägerin in der Form, dass sie von ihrer Vergütung, soweit sie auf die drei Gebäude entfällt und nicht innerhalb der jeweils vorgesehenen Fristen erwirtschaftet werden konnte, sich die durch die Nichtleistung ersparten Material- und Gerätekosten abziehen lässt. Auf diese Weise hat sie eine auf § 642 BGB gestützte Entschädigungsforderung von zunächst 235.290,18 € (einschließlich Mehrwertsteuer) ermittelt.

Wegen dieser Forderung hat die Klägerin Klage gegen den Beklagten erhoben und ihre Forderung vor dem Landgericht auf zuletzt 216.836,94 € (einschließlich Mehrwertsteuer) ermäßigt. Mit Urteil vom 10. Juli 2018 hat das Landgericht die Klage gemäß dem Antrag des Beklagten abgewiesen. Diese Abweisung hat es vorrangig darauf gestützt, dass der Beklagte sich nicht im Annahmeverzug befunden habe. Dass die Klägerin ihre Leistungen in den drei Gebäuden unstreitig nicht zu den in Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen vorgesehenen Fristen habe erbringen können, sei unerheblich, denn aufgrund der verspäteten Auftragserteilung nach Bindefristverlängerung seien die (Teil-) Fristen 2.a (Gebäude ELZ) und 3.a (Gebäude WAT) schon bei Auftragserteilung vollständig verstrichen gewesen. Damit seien die Vertragsfristen insgesamt hinfällig geworden und könnten somit nicht den Mitwirkungsverzug des Beklagten begründen. Im Übrigen habe die Klägerin ihre Leistungen auch nicht gemäß §§ 293 ff BGB angeboten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens und der Begründung des Landgerichts wird auf diese Entscheidung verwiesen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung, zu deren Begründung sie ihr erstinstanzliches Vorbringen vertieft und die Forderung um rund 9.000,- € (einschließlich Mehrwertsteuer) aufgrund der Anrechnung von anderweitigem Erwerb reduziert.

Die Klägerin beantragt nunmehr sinngemäß,

das Urteil des Landgerichts dahin abzuändern, dass die Beklagte verurteilt wird, an sie 207.286,30 € nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Ferner behauptet sie, die Klägerin habe ihre für den streitgegenständlichen Vertrag eingeplanten Arbeitskräfte jeweils an anderer Stelle des Bauvorhabens bzw. auf näher bezeichneten anderen Baustellen einsetzen können, sodass sie diese nicht aufgrund eines etwaigen Mitwirkungsverzugs des Beklagten vergeblich vorgehalten habe.

B.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

I. Anwendbares Recht
Auf den Vertrag zwischen den Parteien ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung anzuwenden, Art. 229 § 39 EGBGB.

II. Kein Anspruch aus § 642 BGB
Der Klageanspruch ergibt sich nicht – auch nicht teilweise – aus § 642 BGB.
Nach § 642 hat der Unternehmer einen Entschädigungsanspruch gegen den Besteller, wenn dieser bei der Durchführung des Werkvertrags in Annahme- bzw. Mitwirkungsverzug geraten ist (beide Begriffe sind gleichbedeutend, vgl. Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 2) und dem Unternehmer dadurch ein nach dieser Norm ersatzfähiger Nachteil entstanden ist.

1. Entstehung eines Nachteils ist Anspruchsvoraussetzung
§ 642 BGB regelt einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch des Unternehmers, wenn der Besteller eine ihm obliegende Mitwirkungshandlung unterlässt, die bei der Herstellung des Werks erforderlich ist, und der Besteller hierdurch in Annahmeverzug gerät (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 19; Urteil vom 24. Januar 2008, VII ZR 280/05, BGHZ 175, 118). Der Anspruch aus § 642 BGB ist kein Schadensersatzanspruch, sondern er ist vergütungsähnlich (BGH, Urteil vom 24. Januar 1008, VII ZR 280/05, BGHZ 175, 118, Rz. 11). Diese Vergütungsähnlichkeit zeigt sich darin, dass der Unternehmer nach § 642 BGB ein Entgelt für eine Leistung erhält, nämlich das vergebliche Bereithalten seiner Produktionsfaktoren während des Annahmeverzugs des Bestellers (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17; Urteil vom 24. Januar 2008, VII ZR 280/05, BGHZ 175, 118), dass die Höhe der Entschädigung nach der vereinbarten Vergütung zu bestimmen ist (§ 642 Abs. 2 BGB, vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 45; Urteil vom 24. Januar 2008, VII ZR 280/05, BGHZ 175, 118; KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16, Rz. 93) und dass sie der Umsatzsteuer unterfällt (BGH, Urteil vom 24. Januar 2088, VII ZR 280/05, BGHZ 175, 118).

Trotz dieser Vergütungsähnlichkeit kann einem Unternehmer aber nur dann ein Anspruch aus § 642 BGB zustehen, wenn ihm durch den Mitwirkungsverzug des Bestellers ein Nachteil entstanden ist. Hierin liegt kein Widerspruch. Das Erfordernis einer Nachteilsentstehung ist eine zwingende Folge des Umstands, dass der Anspruch aus § 642 BGB von den Parteien bei Vertragsschluss in der Regel nicht beziffert worden ist (Ausnahme: Eventualpositionen im Leistungsverzeichnis, vgl. Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 108). Aus diesem Grund ist für die Bestimmung der Anspruchshöhe eine Bemessungsgrundlage erforderlich, sonst ist der Anspruch konturenlos (KG, Urteil vom 16. Februar 2018, 21 U 66/16; Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16; Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 3 und 38 ff). Der durch den Annahmeverzug bedingte Nachteil ist genau diese Bemessungsgrundlage, die sodann einvernehmlich durch die Parteien oder einen Dritten, etwa ein Gericht, zu bewerten ist. Beim Mehrvergütungsanspruch des Unternehmers aus § 2 Abs. 5 bis 7 VOB/B – zweifelsfrei ein Vergütungsanspruch -, verhält es sich genauso. Ändert der Besteller die Leistung des Unternehmers nach § 1 Abs. 3 oder 4 VOB/B, ist die geänderte Leistung typischerweise nicht bereits durch den ursprünglichen Vertrag bepreist, sodass sich die Frage der Ermittlung des Mehr- oder Mindervergütungsanspruchs stellt. Auch zu seiner Ermittlung, die einvernehmlich durch die Parteien oder im Streitfall durch einen Dritten – etwa ein Gericht – vorzunehmen ist, bedarf es einer Bemessungsgrundlage. Diese Bemessungsgrundlage sind die durch die Leistungsänderung bedingten Mehr- oder Minderkosten (vgl. § 2 Abs. 5, § 2 Abs. 6 Nr. 2 und § 2 Abs. 7 Nr. 1 VOB/B). Diese Mehr- oder Minderkosten beim Anspruch aus § 2 Abs. 5 bis 7 VOB/B entsprechen dem Nachteil beim Anspruch aus § 642 BGB. In beiden Fällen bilden sie die Bemessungsgrundlage für einen bei Vertragsschluss nicht einvernehmlich bezifferten Anspruch, ohne dass dieser dadurch die Rechtsnatur eines Schadensersatzanspruchs annimmt.

Nicht richtig wäre es, im Rahmen von § 642 BGB anstelle von “annahmeverzugsbedingtem Nachteil” in Anlehnung an § 2 Abs. 5 bis 7 VOB/B von “annahmeverzugsbedingten Mehrkosten” zu sprechen. Denn in einer solchen Terminologie läge bereits die Vorentscheidung, dass nach § 642 BGB nur Kostennachteile (erhöhte Kosten beim Unternehmer in Folge des Annahmeverzugs) ersatzfähig sind, nicht aber auch Umsatznachteile (dem Unternehmer entgangener Umsatz in Folge des Annahmeverzugs), was gerade im vorliegenden Fall zwischen den Parteien umstritten ist. Zwar kann nach Auffassung des Senats ein Anspruch aus § 642 BGB tatsächlich nur auf Kostennachteile gestützt werden, dieses Ergebnis muss aber erst noch begründet werden (hierzu unten II. 3.a) bb) (1)) und darf nicht durch die Terminologie vorweggenommen werden. Der vom Senat verwendete Begriff des Nachteils ist somit Ausdruck einer terminologischen Ergebnisoffenheit für die von der Klägerin vertretene Ansicht der Entschädigungsfähigkeit von Umsatznachteilen.

Die Anspruchsvoraussetzung eines Nachteils im Rahmen von § 642 BGB ist insbesondere auch durch die Rechtsprechung des BGH vorgegeben. Danach ist gerade nicht jeder annahmeverzugsbedingte Nachteil entschädigungsfähig: Vorhaltekosten sind es, Kostensteigerungen sind es nicht (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17). Diese Aussage des BGH verlangt, dass ersatzfähige Positionen – Vorhaltekosten – von nicht ersatzfähigen Positionen – Kostensteigerungen – unterschieden werden können. Eine solche Unterscheidung setzt aber voraus, dass, wenn sich ein Besteller im Mitwirkungsverzug befindet, zuallererst hierdurch bedingte Nachteile identifiziert werden, wie es der Senat fordert. Erst dann können in einem zweiten Schritt die nach Vorgabe des BGH nicht ersatzfähigen Positionen ausgesondert werden.

Es ist unerheblich, dass das Entstehen eines annahmeverzugsbedingten Nachteils nicht explizit in § 642 BGB erwähnt wird. Der Begriff des Nachteils erfüllt allein die Funktion, die durch § 642 BGB aufgeworfenen Rechtsfragen strukturiert abarbeiten zu können und dient somit der Gesetzesanwendung. Dies wird im Folgenden (vgl. II.3.a) bb)) ausgeführt.

2. Kein Anspruch der Klägerin aus § 642 BGB hinsichtlich der Gebäude WAT und ELZ
Soweit sich die Klägerin darauf beruft, sie habe ihre Bauleistungen im WAT-Zentrum und im Elternzentrum nicht in den vertraglich vorgesehen Fristen erbringen können, hat sie einen Anspruch aus § 642 BGB nicht dargelegt.

a) Fehlende Baufreiheit vor dem 5. bzw. 19. September 2016
Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe in den Gebäuden WAT und ELZ nicht vor dem 5. (WAT) bzw. 19. September 2016 (ELZ) und somit nicht zu Beginn der in Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen vorgesehenen Fristen bzw. nicht zu Vertragsbeginn mit ihren Arbeiten beginnen können, fehlt es bereits an einem Mitwirkungsverzug des Beklagten.

aa) Baufreiheit
Zwar gerät der Besteller grundsätzlich in Mitwirkungsverzug, wenn ein Bauvertrag Ausführungsfristen regelt und der Besteller dem Unternehmer das Baugrundstück zu Beginn der Frist nicht so zur Leistungserbringung bereit überlässt, wie es nach dem Vertrag hätte geschehen müssen (“baufrei”). Denn wenn ein Unternehmer durch eine vertragliche Ausführungsfrist gebunden ist, ist er zugleich berechtigt, diese Frist auszuschöpfen. Dazu ist er aber nur in der Lage, wenn ihm der Besteller das Grundstück bei Fristbeginn baufrei überlässt, was dem Besteller folglich als Mitwirkung im eigenen Interesse obliegt. Wann das Grundstück als ”baufrei” anzusehen ist, d.h. welche Behinderungen der Unternehmer ggf. hinzunehmen hat und welche nicht, richtet sich danach, wie die Kooperation der Vertragsparteien im konkreten Einzelfall durch den Bauvertrag ausgestaltet ist (BGH, Urteil vom 20. April 2017, VII ZR 194/13, BGHZ 214, 340, Rz. 18), das heißt, wie die Mitwirkungsschnittstelle (vgl. Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 19 ff) zwischen den Vertragsparteien durch den Vertrag definiert ist.

bb) Modifizierte Fristen für WAT und ELZ
Im vorliegenden Fall oblag es dem Beklagten nicht, der Klägerin die Gebäude WAT und ELZ vor dem 5. bzw. 19. September 2016 baufrei zu überlassen. Die Parteien haben in dem streitgegenständlichen Bauvertrag keine Ausführungsfristen für die Gebäude WAT und ERZ wirksam vereinbart. Zwar regelt Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen unter “2. Elternzentrum” und “3. WAT-Gebäude” solche Fristen, diese begannen aber im Fall von WAT am 20. Juni 2016 und im Fall von ERZ am 4. Juli 2016. Diese Regelung ist nicht Vertragsbestandteil geworden. Denn der Beklagte hat der Klägerin erst am 2. August 2016 den Auftrag erteilt, als der Fristbeginn schon seit mehreren Wochen verstrichen war. Der Vertrag ist deshalb so auszulegen, dass die Parteien ihn ohne die offenkundig nicht mehr einzuhaltenden Fristen für WAT und ERZ schlossen und er also insoweit eine Regelungslücke enthält, die entweder durch eine gesonderte Vereinbarung der Parteien, hilfsweise im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu füllen ist (BGH, Urteil vom 26. April 2018, VII ZR 81/17, Rz. 16; Urteil vom 10. September 2009, VII ZR 152/08, Rz 24 f).

Danach haben sich die Parteien im vorliegenden Fall auf den 5. bzw. den 19. September 2016 als neuen Beginntermin für die Gebäude WAT und ELZ geeinigt. Die erste Baubesprechung nach Auftragserteilung fand am 22. August 2018 statt. Davor hat die Klägerin dem Beklagten ihre Leistungen nicht angeboten. Auf der Besprechung hat der Bauleiter des Beklagten, der hierfür im Zweifel bevollmächtigt war, der Klägerin zunächst den 5. September 2016 als Baubeginn für das Gebäude WAT mitgeteilt, später dann den 19. September 2016 als Baubeginn für das Gebäude ELZ. Da die Klägerin dem nicht widersprach, in beiden Gebäuden sodann an diesen Tagen mit der Arbeit begann und die Parteien keine abweichende Vereinbarungen vorgetragen haben, sind im Zweifel diese beiden Tage einvernehmlich als neue Beginntermine festgelegt.
Wenn der Vertreter des Bezirksamts N… im Auftragsschreiben vom 2. August 2016 die Klägerin durch das Ankreuzen eines Textbausteins zum Arbeitsbeginn “gemäß Ziff. 1.1 der Besonderen Vertragsbedingungen” aufforderte, kommt dem vor dem Hintergrund, dass die Beginntermine für WAT und ELZ bereits deutlich überschritten und damit erkennbar hinfällig geworden waren und sie außerdem auch nicht in Ziff. 1.1 der Besonderen Vertragsbedingungen geregelt waren, keine entscheidende Bedeutung zu.

b) Verlangsamte Bautätigkeit nach dem 5. bzw. 19. September 2016
Der Klägerin steht auch deshalb kein Anspruch aus § 642 BGB zu, weil sich der Beklagte nach dem Baubeginn in den Gebäuden WAT bzw. ELZ am 5. bzw. 19. September 2016 dort in Mitwirkungsverzug befunden hätte. Zwar deutet Einiges auf diese Möglichkeit hin. Denn nach den in Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen ursprünglich vorgesehenen Fristen war für die Leistungen der Klägerin in diesen Gebäuden ein Zeitfenster von jeweils insgesamt 13 Kalenderwochen vorgesehen (WAT: vom 20. Juni bis zum 16. September 2016, ELZ: vom 4. Juli bis zum 30. September 2016 – jeweils ohne Berücksichtigung der Unterbrechungen). Ab dem neu vereinbarten Baubeginn am 5. bzw. 19. September 2016 war die Klägerin in beiden Gebäuden aber deutlich länger als 13 Kalenderwochen gebunden, nämlich bis zum Februar bzw. März des Jahres 2017.
Unerheblich ist insoweit, dass die Bautätigkeit der Klägerin in Gebäuden WAT und ELZ nach ihrem Beginn nicht zwangsläufig zu einem nicht geplanten vorübergehenden Stillstand gekommen sein muss, sondern möglicherweise nur langsamer voranschritt als vorgesehen. Denn auch wenn der Mitwirkungsverzug des Bestellers nicht zum Stillstand, sondern nur zur Verlangsamung der Arbeiten des Unternehmers führt, steht dem Unternehmer eine Entschädigung nach § 642 BGB zu, sofern er aufgrund dieser Verlangsamung seine Produktionsmittel länger vorhalten muss (KG, Urteil vom 16. Februar 2018, 21 U 24/18; Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 49f, 63 ff).

Soweit von Althaus hiergegen vorgebracht wird, es sei “sehr zweifelhaft, ob eine eingeschränkte Baufreiheit, die lediglich ein Ausweichen in andere Baubereiche erfordert, einen Annahmeverzug begründen” könne (NZBau 2018, 646), geht dies am entscheidenden Punkt vorbei. Wenn ein Prozess verlangsamt ist, der Unternehmer aber “in andere Baubereiche” – also auf einen anderen Arbeitsprozess – ausweichen kann, liegt natürlich kein Annahmeverzug vor. Unter dem Schlagwort “Verlangsamung des Bauablaufs durch Mitwirkungsverzug” geht es aber um die Verlangsamung terminkritischer Abläufe, von denen der Unternehmer gerade nicht terminneutral “in andere Bereiche” überwechseln kann, sodass er seine Leistungsgeschwindigkeit notgedrungen drosseln muss. Weil damit die Leistungszeit zwangsläufig länger wird und der Unternehmer deshalb gezwungen sein kann (nicht: muss), seine Produktionsmittel länger vorzuhalten, ist er für solche Nachteile, sofern sie ihm aufgrund des verlangsamenden Mitwirkungsverzugs des Bestellers entstehen, von diesem zu entschädigen (vgl. Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 82 ff). Richtig ist, dass solch ein annahmeverzugsbedingter Nachteil erst nach Ablauf der hypothetischen Dauer des gestörten Prozesses entsteht, allerdings irrt Althaus ebenfalls, wenn er meint, dass der Nachteil damit nicht während des Annahmeverzugs entstanden sei und deshalb aufgrund der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17) nicht entschädigt werden könne (NZBau 2018, 646). Tatsächlich dauert der Annahmeverzug so lange, wie der Besteller dem Unternehmer das Grundstück nicht in der Weise baufrei überlässt, wie es der Unternehmer nach dem Vertrag erwarten darf. Wenn der Unternehmer die verlangsamende Störung nicht einplanen musste, besteht der Verzug deshalb für die gesamte Dauer dieser Störung (also den gesamten verlangsamten ”Ist-Ablauf”), sodass grundsätzlich sämtliche Nachteile erstattungsfähig sind, die dem Unternehmer während des gestörten Prozesses entstehen.
Im vorliegenden Fall scheitert ein auf die Verlangsamung des Baugeschehens in den Gebäuden WAT und ELZ nach dem 5. bzw. 19. September 2016 gestützter Anspruch der Klägerin aber daran, dass sie weder dargelegt hat, welche konkreten Störungen aus der Mitwirkungssphäre des Beklagten es nach dem Baubeginn gegeben haben soll, noch dass die hiervon betroffenen Prozesse terminkritisch waren, für die Klägerin also keine Möglichkeit bestand, terminneutral auf die Abarbeitung eines ungestörten Prozesses auszuweichen. Nur dann kann die verlangsamende Störung beim Unternehmer zu erhöhten Vorhaltekosten geführt haben, das Faktum eines verlangsamten Bauablaufs allein genügt hierfür nicht.

3. Kein Anspruch der Klägerin aus § 642 BGB hinsichtlich des Gebäudes SCH
Auch wegen des Gebäudes SCH steht der Klägerin kein Anspruch aus § 642 BGB gegen den Beklagten zu.

a) Kein Baubeginn vor dem 2. Mai 2017
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten, weil sie mit den beauftragten Arbeiten im Gebäude SCH erst am 2. Mai 2017 beginnen konnte.

aa) Mitwirkungsverzug insoweit gegeben
Allerdings befand sich der Beklagte insoweit vom 21. November 2016 bis mindestens zum 2. Mai 2017 in Mitwirkungsverzug. Insoweit beurteilt der Senat den Rechtsstreit anders als das Landgericht.

(1) Fortgeltung der Fristen für das Gebäude SCH
Es oblag dem Beklagten, der Klägerin das Gebäude SCH zum Beginn der vertraglichen Ausführungsfrist am 21. November 2016 baufrei zu überlassen (vgl. oben II.2.a) aa)). Dieser Termin sowie die sonstigen Einzelfristen unter Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen (aufgeführt unter “1. Schulerweiterung”) haben für den streitgegenständlichen Vertrag Gültigkeit. Anders als bei den Fristen für die Gebäude WAT und ELZ war bei denjenigen für das Gebäude SCH bei Auftragserteilung am 2. August 2018 noch nicht der Beginntermin überschritten, vielmehr stand dieser erst mehr als drei Monate später an. Da der Fristenplan für SCH trotz der verzögerten Vergabe somit nominell noch einhaltbar war, ist er nicht ohne Weiteres obsolet geworden. Natürlich ist es möglich, dass der Fristenplan für SCH von denjenigen für die Gebäude WAT und ELZ in der Form abhängig ist, dass mit den Arbeiten in SCH zwangsläufig erst 9 bzw. 7 Wochen nach dem Ende von WAT bzw. ELZ begonnen werden kann (entsprechend dem zeitlichen Abstand zwischen dem 16. September bzw. 30. September und dem 21. November 2016, vgl. Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen, Zeilen 1.a, 2.c und 3.c). Das bedeutete, dass der zeitliche Abstand zwischen WAT und ELZ einerseits und SCH andererseits terminkritisch wäre, also keine “Zeitpuffer” enthielte. Genau dies behauptet auch der Beklagte (vgl. z.B. Schriftsatz vom 7. Mai 2018, S. 6) und ist vom Landgericht der erstinstanzlichen Entscheidung zugrundegelegt worden. Allerdings bestreitet die Klägerin die Abhängigkeit der Fristen für SCH von denjenigen für WAT und ELZ (vgl. z.B. Berufungsbegründung S. 13). Da diese Abhängigkeit jedenfalls nicht zwingend ist, ist im Zweifel davon auszugehen, dass die nicht durch die Vergabeverzögerung überholten Fristen für SCH fortgalten und von der Klägerin beachtet werden mussten, um nicht in Verzug geraten, woraus im Gegenzug wiederum der Mitwirkungsverzug des Beklagten folgt, wenn er der Klägerin keine Baufreiheit zum Fristenbeginn ermöglicht.

Auf seine vom Landgericht abweichende rechtliche Bewertung musste der Senat den Beklagten aber nicht hinweisen, weil der Anspruch der Klägerin aus einem anderen Grund scheitert (dazu unten bb)).

(2) Mitwirkungsverzug des Beklagten
Der Beklagte befand sich somit vom 21. November 2016 bis (mindestens) zum 2. Mai 2017 in Mitwirkungsverzug, weil er der Klägerin das Gebäude SCH innerhalb der fortgeltenden vertraglichen Fristen (vgl. Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen) und auch danach nicht baufrei überließ, vermutlich deshalb, weil die Vorgewerke nicht ausreichend vorangeschritten waren. Dies war für den Beklagten auch offenkundig (vgl. § 6 Abs. 1 VOB/B).

bb) Der Klägerin ist kein Nachteil entstanden
Gleichwohl steht der Klägerin kein Anspruch aus § 642 BGB gegen den Beklagten zu. Aus ihrem Vortrag ergibt sich nicht, dass ihr durch den Mitwirkungsverzug des Beklagten ein zu entschädigender Nachteil entstanden ist.

(1) Zeitbezogener Umsatzverlust aus dem Bauvertrag als Nachteil?
Die Klägerin beruft sich zur Begründung ihres Anspruchs aus § 642 BGB primär darauf, dass es ihr infolge des Mitwirkungsverzugs des Beklagten betreffend das Gebäude SCH nicht möglich gewesen sei, den hierauf entfallenden Anteil der vereinbarten Vergütung (rund 228.000,- € netto). innerhalb des vorgesehenen Zeitraums vom 21. November 2016 bis zum 7. April 2017 zu erwirtschaften. Somit belaufe sich ihr annahmeverzugsbedingter Nachteil auf den Umsatz, den sie andernfalls aus dem Vertrag im Zeitraum des Annahmeverzugs erwirtschaftet hätte, abzüglich der Aufwendungen, die sie dadurch erspart hat, dass sie ihre Leistungen tatsächlich nicht ausführen konnte. Diese Einsparungen beziffert die Klägerin mit rund 86.000,- € für nicht verwendetes Material und nicht verwendete Geräte, sodass sich eine Entschädigung von rund 142.000,- € errechnet. Davon zieht sie sodann anderweitigen Erwerb ab, der sich angeblich auf rund 8.000,- € belaufen soll (vgl. Klageschrift vom 18. Dezember 2017, S. 10 f sowie Berufungsbegründung vom 20. September 2018, S. 18).

Auf diese Weise lässt sich kein Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB begründen. Denn auch wenn der Mitwirkungsverzug des Bestellers dazu führt, dass während seiner Dauer der Unternehmer die vertraglich vereinbarte Vergütung nicht oder nicht in der vorgesehenen Höhe erwirtschaften kann, ist dieser zeitbezogene Umsatzverlust kein nach § 642 BGB ersatzfähiger Nachteil.

(aa) Berechnung des zeitbezogenen Umsatzausfalls
Allerdings lässt sich die Entschädigungsfähigkeit des zeitbezogenen Umsatzausfalls nicht schon mit dem Argument ablehnen, der Unternehmer habe aufgrund des Mitwirkungsverzugs die Vergütung aus dem gestörten Vertrag nicht endgültig verloren, sondern erziele sie nur zeitlich verzögert.

Beispiel 1: Der Besteller B 1 beauftragt den Unternehmer U mit Bauleistungen zu einer Vergütung von 120.000,- € (im Folgenden auch kurz: 120 t €). Dieser Auftrag A 1 soll nach dem vertraglichen Terminplan während der Monate M 1 bis M 3 ausgeführt werden. Aufgrund des Mitwirkungsverzugs von B 1, kann U den Vertrag erst in den Monaten M 5 bis M 7 ausführen. U nimmt B 1 nun dafür aus § 642 BGB in Anspruch, dass er die vertragliche Vergütung nicht in den Monaten M 1 bis M 3 habe erwirtschaften können.

Dieses Beispiel zeigt: Dem Unternehmer ist der Umsatz aus A 1 nicht endgültig entgangen, er konnte ihn in den Monaten M 5 bis M 7 realisieren, dies war lediglich zeitversetzt. Allerdings ist dem Unternehmer endgültig die Möglichkeit genommen, die Vergütung im Zeitraum M 1 bis M 3 zu erwirtschaften. Die Nachholung des Umsatzes in M 5 bis M 7, ist aufgrund der begrenzten Produktionskapazitäten eines Unternehmers kein vollwertiger Ersatz, denn sie bindet diese Kräfte und nimmt ihm zugleich die Möglichkeit in M 5 bis M 7 Umsatz aus eventuellen anderen Aufträgen zu erzielen. Wenn ein Mitwirkungsverzug bezogen auf einen bestimmten Zeitraum (M 1 bis M 3) zu einer Umsatzeinbuße beim Unternehmer führt, dann spricht Vieles dafür, dass diese Einbuße in der Folgezeit zumindest nicht mehr vollständig ausgeglichen wird und im Vermögen des Unternehmers fortwirkt. Da dem Unternehmer zugleich im Zeitraum M 1 bis M 3 Kosten entstanden sind (wenngleich sie geringer waren, als wenn er den Auftrag A 1 in dieser Zeit ausgeführt hätte), spricht dies durchaus für die Entschädigungsfähigkeit des zeitbezogenen Umsatzausfalls nach § 642 BGB, wobei die ersparten Aufwendungen in Abzug zu bringen wären:

Beispiel 2: Im Beispiel 1 lässt sich die Vergütung von U wie folgt aufschlüsseln:
Arbeitskräfte:40 t €Material:40 t €Geräteeinsatz:20 t €Kosten gesamt:100 t €Zuschlag für allgemeine Geschäftskosten: 10 t €Gewinn:10 t €Vergütung gesamt:120 t €
Da der Unternehmer in M 1 bis M 3 nicht für den Auftrag gearbeitet und folglich kein Material verbraucht hat, müsste er sich die Materialkosten in Höhe von 40 t € abziehen lassen. Im Übrigen hätte er aber im Zweifel nichts erspart, sofern er seine Arbeiter und Geräte durchgängig in seinem Unternehmen vorhält und sie somit bezogen auf die Monate M 1 bis M 3 nicht variabilisiert sind (was allerdings der Fall wäre bei ad hoc angeworbenen Leiharbeitern oder Mietgeräten). Somit beliefe sich im Beispiel 2 die Entschädigung gemäß § 642 BGB für U auf 120 t € – 40 t € = 80 t €, wobei etwaiger anderweitiger Erwerb von U noch nicht berücksichtigt ist. Da U sodann im Zeitraum M 5 bis M 7 die Vergütung von 120 t € “regulär” als Gegenleistung für die beauftragten Leistungen erwirtschaftet hat, stünden ihm gegen B 1 aus dem Vertrag A 1 insgesamt Ansprüche in Höhe von 80 t € + 120 t € = 200 t € zu. Genau nach diesem Muster hat die Klägerin vorliegend ihre auf § 642 BGB gestützte Klageforderung berechnet, wobei sie sich zusätzlich noch geringe Gerätekosten und einen geringen anderweitigen Erwerb abziehen lässt.

(bb) Aber: Keine Entschädigungsfähigkeit
Trotz dieser Überlegungen ergibt aber eine genauere Betrachtung, dass ein Unternehmer aus § 642 BGB keine Entschädigung für einen zeitbezogenen Umsatzausfall beanspruchen kann, der ihm aufgrund des Mitwirkungsverzugs des Bestellers entstanden ist (vgl. hierzu auch Sienz, BauR 2014, 398).

(aaa) Rechtsprechung des BGH
Dies lässt sich nach der Auffassung des Senats bereits aus der Rechtsprechung des BGH, nämlich dem Urteil vom 26. Oktober 2017 (VII ZR 16/17) ableiten. Nach dieser Entscheidung gewährt § 642 BGB dem Unternehmer eine angemessene Entschädigung dafür, dass er seine Produktionsmittel zur Herstellung der Werkleistung während der Dauer des Annahmeverzugs des Bestellers bereithält. Der zeitbezogene Umsatzausfall würde zwar das zeitliche Begrenzungskriterium dieser Entscheidung einhalten, denn es handelt sich um einen Nachteil, der dem Unternehmer ebenfalls “während der Dauer des Annahmeverzugs” entstanden ist. Allerdings ist dieser Entscheidung noch ein zweites inhaltliches Begrenzungskriterium zu entnehmen, wonach der Unternehmer nach § 642 BGB nur für Nachteile zu entschädigen ist, die ihm durch den vergeblichen Vorhalt von Produktionsfaktoren während des Mitwirkungsverzugs des Bestellers entstehen. Dies spricht dafür, dass gemäß § 642 BGB nur Nachteile auszugleichen sind, die in der Erhöhung seiner Kosten liegen, nicht aber ausgebliebene Umsatzerlöse. Die Beschränkung des Anspruchs aus § 642 BGB ausschließlich auf Vorhaltekosten ergibt sich nach der Einschätzung des Senats schon daraus, dass der BGH sogar die Entschädigungsfähigkeit von Kostennachteilen verneint, die keine Vorhaltekosten sind, sondern Kostensteigerungen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17). Damit muss die Entschädigungsfähigkeit von Umsatznachteilen erst recht ausgeschlossen sein. Hierfür spricht ferner die Bemerkung des BGH in dieser Entscheidung, wonach der “entgangene Gewinn” des Unternehmers nicht vom Anspruch aus § 642 BGB umfasst sei (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017,VII ZR 16/17, Rz. 45 e.E.), wobei aber auf der anderen Seite zu bemerken ist, dass sich entgangener Umsatz nicht in entgangenem Gewinn erschöpft: Entgeht dem Unternehmer die Vergütung aus dem Bauvertrag im Beispiel 2, so beläuft sich sein entgangener Umsatz auf 120 t €, sein entgangener Gewinn hingegen nur auf 10 t €.

(bbb) Interessengerechtigkeit
Die Ansicht, wonach der Ersatz von zeitbezogenen Umsatzausfällen nicht nach § 642 BGB zu entschädigen ist, ist auch interessengerecht.
Dies zeigt ein Vergleich des Werkvertrags mit dem Dienstvertrag. Bei beiden Vertragsformen will ein Leistungserbringer (einerseits Werkunternehmer, andererseits Dienstverpflichteter, z.B. Arbeitnehmer) durch den Einsatz von Produktionsfaktoren eine Vergütung erzielen. Beim Dienstvertrag sind die Produktionsfaktoren des Dienstverpflichteten – im Wesentlichen seine Arbeitskraft – typischerweise eng an den Vertrag gebunden, insbesondere wenn er sie zu vorgegebenen Zeiten bereithalten und einsetzen muss. Gerät der Leistungsempfänger zur Dienstzeit in Annahmeverzug (zum Beispiel: Werkschließung an drei Tagen aufgrund ausbleibender Zulieferungen) ist es deshalb gerechtfertigt, dass der sich bereithaltende Dienstverpflichtete die Vergütung weiter gezahlt bekommt, obgleich er wegen des Annahmeverzugs des Dienstberechtigten keine Dienste erbracht hat. Dieses Ergebnis leistet die Regelung des § 615 BGB, die nach der Systematik des BGB keine Anspruchsgrundlage ist, sondern “einwendungsvernichtende” Wirkung hat (vgl. Weidenkaff in: Palandt, BGB, 78. Auflage, 2019, § 615 BGB, Rz. 3 m.w.N.): Während sich der Dienstberechtigte gegenüber dem Vergütungsanspruch des Dienstverpflichteten für die drei Ausfalltage (§ 611 BGB) wegen des synallagmatischen Charakters des Dienstvertrags zunächst auf den Grundsatz “Kein Lohn ohne Arbeit” berufen kann (Einwendung), kann der Dienstverpflichtete wiederum § 615 BGB ins Feld führen, wonach ihm seine Vergütung für die Dauer des Annahmeverzugs des Dienstberechtigten erhalten bleibt, wenn er die Dienste aus diesem Grund nicht erbringen konnte. Dieses Ergebnis ist interessengerecht, wenn und soweit der Dienstverpflichtete aufgrund der vertragstypischen Pflicht, seine Arbeitskraft zu bestimmten Dienstzeiten bereitzuhalten, typischerweise keine Möglichkeit hat, mit diesem Produktionsfaktor anderweitig Umsatz zu erzielen, wenn der Vertragspartner in Annahmeverzug gerät.

Dieses Ergebnis würde auch im Rahmen des Werkvertrags gelten, wenn der zeitbezogene Umsatz als Nachteil im Rahmen des § 642 BGB ersatzfähig wäre. Beim Werkvertrag kann der Leistungserbringer (Unternehmer) seine Produktionsfaktoren (die Arbeitskraft des Unternehmers bzw. seiner Angestellten sowie Material und Geräte) aber in der Regel flexibler einsetzen als der Arbeitnehmer als typischer Leistungserbringer beim Dienstvertrag. Denn anders als im Regelfall ein Arbeitnehmer schuldet der Werkunternehmer dem Besteller nicht zwangsläufig den vollen Einsatz aller seiner Produktionsmittel zu bestimmten Dienstzeiten. Selbst wenn der Werkunternehmer sein Werk zu einem bestimmten Zeitpunkt fertigzustellen hat, ist er in der Regel nicht verpflichtet, sein Unternehmen durchgängig ausschließlich für einen Auftrag bereitzuhalten. Aus diesem Grund kann er – anders als ein durch Dienstzeiten gebundener Dienstverpflichteter – mehrere Werkverträge schließen, die er sodann nach Maßgabe des Einzelfalls zeitlich parallel abarbeiten kann.
Beispiel 3: Wie das obige Beispiel 1. B 1 befindet sich in M 1 bis M 3 durchgängig in Mitwirkungsverzug. Allerdings sind U in diesem Zeitraum von den weiteren Bestellern B 2 bis B 10 weitere Aufträge – A 2 bis A 10 – erteilt.

Dieser Fall belegt die unterschiedliche Situation von Werkunternehmer und Arbeitnehmer: Der Annahmeverzug von B 1 kann, muss aber nicht dazu führen, dass U während M 1 bis M 3 keinen Umsatz mit seinen Produktionsfaktoren erzielt. Vielmehr kann U, sobald er mit dem Annahmeverzug konfrontiert ist, auf die Abarbeitung eines anderen Auftrags aus seinem Bestand (A 2 bis A 10) überwechseln. Durch den Prozess des Überwechselns entsteht ein Zeitverlust, der länger oder kürzer sein kann: Ist U ein Schreiner, der an einem Möbelstück nicht weiterarbeiten kann, weil der Besteller notwendige Entscheidungen über die Gestaltung nicht trifft, geht es um die Zeit, die verstreicht, bis er das Möbelstück in der Werkstatt zur Seite geräumt und die Arbeit an einem anderen Auftrag aufgenommen hat. Ist U ein Bauunternehmer, geht es um die Zeit, die verstreicht, bis er nach Absprache mit einem seiner anderen Auftraggeber (B 2 bis B 10) auf einer der anderen Baustellen arbeiten kann. Die Produktionsfaktoren von U sind hier also nicht für den gesamten Annahmeverzug, sondern nur für die Dauer der Umschaltphase unproduktiv.

Die Umschaltphase kann im Einzelfall durchaus länger sein.

Beispiel 4: Wie Beispiel 3, allerdings hatte U Anlass, einen Teil seiner Produktionsfaktoren in den Monaten M 1 bis M 3 ausschließlich für A 1 einzuplanen. Aus diesem Grund hatte U für sämtliche anderen Aufträge seines Bestands (A 2 bis A 10) von vornherein und unwiderruflich Zeitfenster nach M 1 bis M 3 vereinbart. Als B 1 in Mitwirkungsverzug gerät, gelingt es U deshalb nicht, die für A 1 vorgesehenen Produktionsfaktoren innerhalb von M 1 bis M 3 auf einen anderen Auftrag umzusetzen.
Hier hat U keine Möglichkeit, mit seinen für A 1 bereitgehaltenen Produktionsmitteln innerhalb von M 1 bis M 3 anderweitigen Umsatz zu erzielen. Aufgrund der engen Bindung der Produktionsfaktoren an A 1 im Beispiel 4 ist der vollständige Umsatzverlust aus A 1 nun also doch eine Folge des Mitwirkungsverzugs von B 1.

Nach Einschätzung des Senats ist eine solche enge Bindung der Produktionsfaktoren anders als beim Dienstvertrag für den Werkvertrag aber nicht charakteristisch. Natürlich müssen Bauunternehmer häufig Fertigstellungstermine einhalten. Diese Termine können aber durchaus auch so angesetzt sein, dass der Unternehmer nicht alle für den Vertrag erforderlichen Produktionsmittel durchgängig auf der Baustelle einsetzen muss. Außerdem gibt es regelmäßig auch Werkverträge ohne strenge terminliche Bindung, die ebenfalls die Möglichkeit eröffnen, Leistungen vorzuziehen oder für kurze Zeit zu unterbrechen. Gerade auch im vorliegenden Fall hat sich im Verlauf des Rechtsstreits herausgestellt, dass die Klägerin durchaus die Möglichkeit hatte, während des Annahmeverzugs des Beklagten bei dem Gebäude SCH mit ihren Arbeitnehmern auf andere Verträge überzuwechseln (vgl. unten II.3.a) bb) (5) (c)).
Bei Werkverträgen, die keine Bauverträge sind, ist die Bindung der Produktionsmittel des Unternehmers an einen bestimmten Vertrag typischerweise noch weniger eng. Ein Bauvertrag zeichnet sich dadurch aus, dass der Unternehmer seine Leistungen primär oder sogar vollständig, auf einem fremden Grundstück erbringen muss und deshalb verstärkt von der Terminplanung des Bestellers und anderer Gewerke abhängig ist. Anders verhält es sich bei einem Unternehmer, der in seiner Werkstatt oder seinem Büro arbeiten kann, wie etwa ein Schneider, Schreiner, Schuster, ein Softwareentwickler oder ein planender Architekt. Einem solchen Unternehmer ist das Umschalten seiner Leistungen von einem gestörten Vertrag auf einen anderen Vertrag noch leichter möglich als einem Bauunternehmer. Dieser Aspekt ist deshalb bedeutsam, weil § 642 BGB, um dessen Auslegung es hier geht, keine spezifisch bauvertragliche Regelung ist, sondern zum allgemeinen Werkvertragsrecht gehört, das vom Gesetzgeber des BGB nicht mit Fokus auf das Bauvertragsrecht geschaffen worden ist.
Wenn es auch nicht der vollständige zeitbezogene Umsatz ist, entstehen einem Werkunternehmer durch den Annahmeverzug des Bestellers zweifellos Nachteile, weil er seine für den Vertrag benötigten Produktionsfaktoren wie bereits erwähnt zumindest für die Phase des Umschaltens der Leistungserbringung auf einen anderen Auftrag vergeblich vorhält. Für eben diese Vorhaltekosten erhält er aber auch eine Entschädigung nach § 642 BGB. Es ist lediglich nicht gerechtfertigt, dem Unternehmer unabhängig von der Darlegung konkreter Vorhaltekosten die zu seinen Gunsten stärker pauschalierte und somit in aller Regel deutlich höhere Entschädigung für Umsatznachteile zuzusprechen.

(ccc) Wortlaut von § 642 BGB
Die fehlende Entschädigungsfähigkeit des zeitbezogenen Umsatzausfalls ist auch mit dem Wortlaut von § 642 Abs. 2 BGB vereinbar.
Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass die Entschädigungsfähigkeit des zeitbezogenen Umsatzausfalls zu einer Ermittlung der Anspruchshöhe wie bei der großen Kündigungsvergütung (nach §§ 649 bzw. 648a Abs. 5 S. 2 BGB a.F., zu dieser Terminologie vgl. KG, Urteil vom 15, Juni 2018, 21 U 140/17; Urteil vom 16. Februar 2018, 21 U 66/16) führt, mit der Besonderheit, dass nur die im Zeitraum des Annahmeverzugs bei Störungsfreiheit zu erwirtschaftende Vergütung betrachtet wird. Im obigen Beispiel 2 ermittelte sich so eine Entschädigung von 80 t €.

Ebenfalls zu Recht weist die Klägerin darauf hin, dass der Wortlaut von § 642 Abs. 2 BGB mit der Annahme einer solchen “zeitbezogenen großen Kündigungsvergütung” durchaus vereinbar ist. Eine solche Auslegung ist nach Meinung des Senats aber nicht zwingend. Gerade wegen der Verwendung der Wörter “einerseits… andererseits” kann § 642 Abs. 2 BGB auch so verstanden werden, dass hier lediglich die Parameter aufgezeigt werden, nach denen die Entschädigung des Unternehmers für vergeblich vorgehaltene Produktionsmittel zu bemessen ist. Zudem richtet sich auch die nach Auffassung des Senats mit § 642 Abs. 2 BGB angesprochene Entschädigung für Vorhaltekosten nach der “vereinbarten Vergütung” mit der Konsequenz, dass der Unternehmer Zuschläge auf seine Vorhaltekosten erhält, wenn diese vor dem Hintergrund der vereinbarten Vergütungshöhe darstellbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 45; KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16). Schließlich sind “Dauer des Annahmeverzugs”, “ersparte Aufwendungen” und “anderweitiger Erwerb des Unternehmers” auch für die Ermittlung annahmeverzugsbedingter Vorhaltekosten relevant (vgl. dazu unten II.3.a) bb) (5)).

(ddd) Zusammenfassung
Diese Überlegungen führen den Senat zu folgendem Ergebnis:
Der Annahmeverzugs des Werkbestellers führt beim Unternehmer im Regelfall nicht zwangsläufig zu einem Umsatzverlust, sondern nur zur Vorhaltekosten. Wegen des beträchtlichen Umfangs, den eine Entschädigung für einen zeitbezogenen Umsatzausfall erreichte – sie beliefe sich auf die zeitbezogene große Kündigungsvergütung – wäre es deshalb nicht interessengerecht, den Unternehmer nach § 642 BGB pauschalierend für einen Nachteil zu entschädigen, der ihm in dieser Form möglicherweise gar nicht entstanden ist. Vielmehr ist es ausreichend, wenn er nur für die Kosten entschädigt wird, die ihm für tatsächlich vergeblich vorgehaltene Produktionsfaktoren entstanden sind.
Somit kann die Klage keinen Erfolg haben, soweit die Klägerin mit ihr die Entschädigung für zeitbezogene Umsatznachteile geltend macht.

(2) Endgültiger Umsatzverlust aus dem gestörten Vertrag
Im Einzelfall kann es auch dazu kommen, dass einem Unternehmer aufgrund des Mitwirkungsverzugs des Bestellers der Umsatz aus dem gestörten Vertrag zumindest teilweise nicht nur vorübergehend, sondern endgültig entgeht, nämlich wenn er sich zu einer Vertragsbeendigung nach § 643 BGB mit der Vergütungsfolge des § 645 Abs. 1 BGB veranlasst sieht. Auch dann ist dieser Nachteil aber aus den Erwägungen unter (1) – möglicherweise auch aus weiteren Gesichtspunkten – ebenfalls nicht nach § 642 BGB ersatzfähig.

(3) Umsatzverlust aus einem anderen Vertrag
Beispiel 5: Wie Beispiel 1. U hätte in den Monaten M 5 bis M 7 den Auftrag A 2 annehmen und so einen Umsatz von 80 t € erwirtschaften können. Er musste aber A 2 ablehnen, weil er in M 5 bis M 7 die verschobenen Leistungen aus dem Vertrag A 1 nachholen musste.
In diesem Fall steht im Raum, dass U seine Entschädigung aus § 642 BGB mit dem endgültig und nicht nur zeitbezogen entgangenem Umsatz aus A 2 begründet. Dies kann aber schon deshalb keinen Erfolg haben, weil dieser Nachteil nach Wegfall des Annahmeverzugs entstanden und somit nicht nach § 642 BGB entschädigungsfähig ist (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17).
Die Klägerin hat ihre Klageforderung auch hilfsweise nicht mit einer solchen Begründung versehen.

(4) Zeitbezogene “AGK-Unterdeckung” bzw. Vorhalt des Gesamtunternehmens als Nachteil
Der Klägerin ist auch nicht in der Form ein Nachteil entstanden, dass sie während des Annahmeverzugs des Beklagten nicht die in der vereinbarten Vergütung enthaltenen Deckungsbeiträge für ihre allgemeinen Geschäftskosten (im Folgenden: AGK-Deckungsbeitrag) erwirtschaften konnte, obgleich sie sich für die Leistungserbringung bereit gehalten hat.

Beispiel 6: Der Besteller befindet sich während des gesamten Zeitraums der geplanten Vertragsdurchführung von M 1 bis M 3 in Annahmeverzug. Die Vergütung von U lässt sich wie folgt aufschlüsseln:
Arbeitskräfte:40 t €Material:40 t €Geräteeinsatz:20 t €Kosten gesamt:100 t €Zuschlag für allgemeine Geschäftskosten: 10 t €Gewinn:10 t €Vergütung gesamt:120 t €

U ist es in diesem Fall nicht möglich, während M 1 bis M 3 den AGK-Deckungsbeitrag von 10 t €, der in der Vergütung enthalten ist, zu erwirtschaften. Die Ersatzfähigkeit dieses Nachteils kann auf zwei Weisen begründet werden, nämlich indem man ihn entweder als Umsatz- oder als Kostenposition begreift.

(a) AGK-Deckungsbeitrag als Umsatzposition
Wird der AGK-Deckungsanteil als Umsatzposition angesehen, wäre er entschädigungsfähig, wenn der Umstand, dass der Unternehmer diesen Deckungsbeitrag während des Störungszeitraums M 1 bis M 3 nicht erwirtschaften konnte, einen entschädigungsfähigen Nachteil darstellt. Derartige zeitbezogene Umsatzausfälle sind aber aus den oben dargelegten Gründen (vgl. II.3.a) bb) (1)) nach Auffassung des Senats nicht nach § 642 BGB zu ersetzen. Dies gilt auch, wenn nicht der gesamte entgangene Umsatz, sondern nur ein Teilbetrag in Rede steht.

(b) AGK-Deckungsbeitrag als Kostenposition
Daneben erscheint es denkbar, den AGK-Deckungsbeitrag als Kostenposition aufzufassen: Der Unternehmer hat nach § 642 BGB Anspruch auf Entschädigung für die Kosten, die ihm durch den vergeblichen Vorhalt seiner Produktionsmittel im Annahmeverzug des Bestellers entstehen. Der AGK-Deckungsbeitrag könnte nun als Bewertung derjenigen Produktionsmittel des Unternehmers aufgefasst werden, die er in seinem allgemeinen Geschäftsbetrieb für den gestörten Vertrag vorgehalten hat und die ihm folglich zu entschädigen sind.

Auch diese Überlegung ist aber aus zwei Gründen nicht richtig: Nach Auffassung des Senats lässt sich nur bei Produktionsmitteln, deren Einsatz zu direkten Kosten der Bauleistung führt (also Einzelkosten der Teilleistungen und Baustellengemeinkosten) sinnvoll davon sprechen, dass sie für ein Bauvorhaben vorgehalten werden. Denn ein Produktionsmittel ist nur dann für einen Vertrag “vorgehalten”, wenn der Unternehmer es in einem bestimmten Zeitraum ausschließlich hierfür bereithält, sodass es nicht für andere Verträge eingesetzt werden kann. Hingegen hält ein Unternehmer seinen darüber hinausgehenden allgemeinen Geschäftsbetrieb niemals nur für ein Projekt vor, selbst wenn er in einem Zeitraum – im Beispiel 6: M 1 bis M 3 – nur auf einen einzigen Vertrag Leistungen erbringen sollte. Wenn nicht ohnehin zeitlich parallele Verträge abgearbeitet werden, dient der allgemeine Geschäftsbetrieb eines Unternehmers immer auch dazu, dass frühere Aufträge abgerechnet und neue akquiriert werden und somit die Fortsetzung des Unternehmens sichergestellt ist. Damit fehlt es an einem Vorhalten des allgemeinen Geschäftsbetriebs in Bezug auf einen konkreten gestörten Vertrag.

Daneben spricht gegen die Entschädigungsfähigkeit des AGK-Deckungsbeitrags als Kostenposition, dass an seiner Höhe nicht abgelesen, also insbesondere nicht durch den Besteller überprüft werden kann, in welchem Umfang der Unternehmer Produktionsmittel seines allgemeinen Geschäftsbetriebs im Annahmeverzug des Bestellers vorgehalten hat. Da er zu dem Teil der Vergütung gehört, der nicht zur Deckung der direkten Kosten des Bauvorhabens benötigt wird, hängt seine Höhe keinesfalls nur von der Kostenstruktur des Unternehmers, sondern auch von der Verhandlungssituation bei Vertragsschluss ab, also davon, inwieweit es dem Unternehmer gelungen ist, eine Vergütung auszuhandeln, die den zur Deckung seiner tatsächlichen direkten Kosten benötigten Betrag übersteigt (vgl. Sienz, BauR 2014, 399).

Damit ist der zeitbezogene AGK-Deckungsbeitrag aus der Gesamtvergütung des Unternehmers kein nach § 642 BGB erstattungsfähiger Nachteil. Dies ist von dem Umstand zu unterscheiden, dass, wenn ein Unternehmer Produktionsmittel aufgrund des Annahmeverzugs des Bestellers vergeblich vorhält, bei der Ermittlung seiner Entschädigung nach § 642 BGB ein Zuschlag für Allgemeine Geschäftskosten und Gewinn vorzunehmen ist, sofern ein solcher in der vereinbarten Vergütung darstellbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 45; KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16).
Beispiel 7: Im obigen Beispiel 6 belaufen sich die direkten Kosten des Unternehmers auf 100 t €, die Vergütung auf 120 t €, sodass sich bezogen auf die Kosten ein Zuschlagsfaktor von 1,2 ergibt (vgl. hierzu KG, Urteil vom 10. Juli 2018, 21 U 30/17). Im Annahmeverzug von B hält U vergeblich diverse Maschinen auf der Baustelle vor, wodurch ihm Vorhaltekosten von 5 t € entstehen.

Wegen des Vorhalts der Maschinen steht U eine Entschädigung nach § 642 BGB zu. Diese beläuft sich auf 5 t € x 1,2 = 6 t € BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 45; KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16). Der Unternehmer erhält also auf seine Vorhaltekosten einen Zuschlag von absolut 1.000,- €. Da sich der Unternehmerzuschlag im Beispiel je zur Hälfte auf Gewinn und AGK-Deckung aufteilt, wäre er also in Höhe von 500,- €, als AGK-Deckungsbeitrag “deklariert”. Dieser AGK-Deckungsbeitrag resultiert aber nur aus dem Umstand, dass sich die Entschädigung des Unternehmers für vergeblich vorgehaltene Produktionsmittel nach der Höhe der vereinbarten Vergütung richtet und darin enthaltene Zuschläge folglich fortzuschreiben sind (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 45; KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16). Dies ist eine Folge der Vergütungsähnlichkeit des Anspruchs aus § 642 BGB. Der AGK-Zuschlag ist im Anspruch aus § 642 BGB nur “akzessorisch” als Zuschlag auf einen entschädigungsfähigen Nachteil enthalten. Demgegenüber ist der vergeblich vorgehaltene allgemeine Geschäftsbetrieb insgesamt bzw. ein Umsatzanteil in Höhe des vollen zeitbezogenen AGK-Deckungsbeitrags nicht selbst als Nachteil entschädigungsfähig.

Das Beispiel 7 zeigt die Auswirkung dieser Unterscheidung: Wäre der AGK-Deckungsbeitrag als solcher entschädigungsfähig, so ist die Bemessungsgrundlage zu seiner Berechnung die im Störungszeitraum insgesamt nicht erwirtschaftete Vergütung bzw. die hypothetisch insgesamt angefallenen Kosten. Im Beispiel 6 (Störungszeitraum M 1 bis M 3) ergäbe sich so eine “AGK-Entschädigung” von 10.000,- €. Ist der AGK-Deckungsbeitrag hingegen nur im Zuge der Preisfortschreibung als Teil des Zuschlags auf die zu entschädigenden Vorhaltekosten anzusetzen, sind nur diese Vorhaltekosten, also ein geringerer Betrag die Bemessungsgrundlage. Im Beispiel 7 ermittelt sich deshalb nur eine “AGK-Entschädigung” von 500,- €.

Ein Nebeneffekt dieses Befundes ist, dass sowohl bei der Preisfortschreibung nach § 2 Abs. 5 bis 7 VOB/B (hierzu vgl. KG, Urteil vom 10. Juli 2018, 21 U 30/17) als auch bei der Ermittlung der Entschädigung nach § 642 BGB zwischen AGK-Deckungsbeitrag und Gewinn generell nicht unterschieden werden muss. Zur Ermittlung des in der Vergütung enthaltenen Zuschlags müssen lediglich diejenigen Preisbestandteile isoliert werden, die zur Deckung der tatsächlichen direkten Kosten des Vertrages erforderlich sind. Der Rest ist Zuschlag (in den Beispielen 6 und 7 in Höhe von 20 t €). Inwieweit dieser Zuschlag als AGK-Deckungsbeitrag und / oder Gewinn bezeichnet wird, ist unerheblich.

(5) Vorhalt von Arbeitskräften als Nachteil
Der Klageanspruch kann nicht – auch nicht teilweise – darauf gestützt werden, dass die Klägerin während des Annahmeverzugs des Beklagten vergeblich Arbeitskräfte vorgehalten hätte. Zwar macht die Klägerin dies hilfsweise mit ihrer Klage geltend, aus ihrem Vortrag ergibt sich aber nicht, dass ihr ein solcher Nachteil tatsächlich entstanden ist.

(a) Wann sind Arbeitskräfte vorgehalten?
Hält ein Unternehmer im Annahmeverzug des Bestellers vergeblich Produktionsmittel vor, so steht ihm für diesen Nachteil eine Entschädigung nach § 642 BGB zu (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17 m.w.N.). Allerdings sind Produktionsmittel nur dann für einen Vertrag vorgehalten, wenn der Unternehmer sie in einem bestimmten Zeitraum ausschließlich für diesen bereithält, sodass sie in Folge des Annahmeverzugs brachliegen. Kann der Unternehmer hingegen die Produktionsmittel, die er für einen Auftrag A 1 benötigt, bei dem der Besteller in Mitwirkungsverzug gerät, für einen anderen Auftrag A 2 einsetzen, sind sie grundsätzlich nicht für A 1 vorgehalten (vgl. zum Vorhalt des allgemeinen Geschäftsbetriebs des Unternehmers insgesamt oben II.3.a) bb)(4)(b)).

Es kann durchaus dazu kommen, dass ein Unternehmer seine Arbeitskräfte im Mitwirkungsverzug des Bestellers für diesen vorhält. Allerdings ist der Vorhalt von Arbeitskräften naturgemäß schwieriger darzulegen als der Vorhalt von Geräten oder der Baustelleneinrichtung. Wenn Geräte oder die Baustelleneinrichtung im Annahmeverzug nutzlos vorgehalten werden, dann ist das typischerweise auf der Baustelle offen zu erkennen, indem sie dort ungenutzt vorhanden sind. Arbeitskräfte sind demgegenüber mobiler als zum Beispiel eine aufwändig errichtete Baustelleneinrichtung, ein Gerüst oder ein Kran und können vom Unternehmer deshalb auch leichter von einer Baustelle abgezogen werden. Kann der Unternehmer sie nicht anderweitig einsetzen, sind sie weiter für den Besteller vorgehalten. Kann der Unternehmer sie aber auf einer anderen Baustelle einsetzen, endet aber der Vorhalt und somit der zu entschädigende Nachteil, ohne dass dies für den Besteller erkennbar wäre.

Die Problematik des annahmeverzugsbedingten Vorhalts von Arbeitskräften lässt sich durch die folgenden typisierenden Beispielsfälle näher erläutern:
Beispiel 8: B 1 hat den Unternehmer U mit dem Vertrag A 1 mit Bauleistungen beauftragt. U soll ab dem 1. Juni mit den Arbeiten beginnen. Parallel ist U von den Bestellern B 2 bis B 10 mit den weiteren Aufträgen A 2 bis A 10 beauftragt, deren Abarbeitung U aber erst im Anschluss an A 1 eingetaktet hat. Als U am 1. Juni mit seinen Mitarbeitern auf der Baustelle A 1 erscheint, teilt B 1 ihm mit, er könne heute wegen des Verzugs eines Vorgewerks noch nicht anfangen, solle sich aber bereithalten und am Folgetag mit den Arbeiten beginnen. U erscheint sodann am 2. Juni wieder mit seinen Arbeitskräften. B vertröstet ihn erneut auf den Folgetag. So geht es jeden Arbeitstag bis zum 1. Juli, dann kann U mit den Arbeiten beginnen.

Hier befindet sich B 1 den gesamten Juni hindurch in Annahmeverzug. Da U gezwungen war, sich währenddessen durchgängig bereit zu halten, hat er seine für A 1 benötigten Arbeitskräfte im Zweifel durchgängig für B 1 bereitgehalten, sodass dieser ihn hierfür gemäß § 642 BGB entschädigen muss.
Beispiel 9: Wie Beispiel 8. Allerdings teilt B 1 dem U bereits am 1. Juni mit, dass er wegen des Verzugs des Vorgewerks erst in einem Monat mit den Arbeiten beginnen könne. U und seine Arbeiter verlassen die Baustelle. U gelingt es nicht, durch Absprache mit den B 2 bis B 10 seine Leistungen für die Verträge A 2 bis A 10 in den Juni vorzuziehen. U kann seine Mitarbeiter im Juni deshalb nicht anderweitig einsetzen.

In diesem Fall verhält es sich genauso wie im Beispiel 8. Zwar hat B 1 den U nicht von Tag zu Tag hingehalten, sondern zu Beginn des Annahmeverzugs dessen Dauer klar mitgeteilt. Da U die Taktung seiner Aufträge aber nicht mehr anpassen konnte, war er dennoch gezwungen, seine für A 1 benötigten Arbeitskräfte im Juni durchgängig für B 1 vorzuhalten, was dieser nach § 642 BGB zu entschädigen hat.

Beispiel 10: Wie Beispiel 8. B 1 verschiebt Us Einsatz bereits am 1. Juni auf den Folgemonat. Allerdings gelingt es U, nach Absprache mit B 2 ab dem 4. Juni mit den Arbeiten aus dem Vertrag A 2 zu beginnen. U kann seine Arbeiter deshalb vom 4. bis zum 30. Juni auf der Baustelle von A 2 einsetzen.
Hier ist es anders: Von dem Tag an, an dem U seine für A 1 benötigten Mitarbeiter für A 2 einsetzen kann, hält er sie nicht mehr für A 1 vor. Vergeblich vorgehalten waren sie nur in der Umschaltphase also bis einschließlich zum 3. Juni. U kann von B 1 deshalb nur für diese drei Tage eine Entschädigung beanspruchen.

Beispiel 11: Wie Beispiel 8. U hat insgesamt zwölf Arbeitskräfte. Er hatte von vornherein geplant, im Juni die Aufträge A 1 und A 2 parallel abzuarbeiten und hatte dort jeweils sechs Arbeitskräfte eingeplant. Nachdem B 1 in Mitwirkungsverzug gerät, setzt U die für A 1 eingeplanten sechs Arbeitskräfte im Juni ebenfalls für A 2 ein, sodass diese Baustelle nun durchgängig mit zwölf Personen besetzt ist. Da die Baustelle von A 2 nicht ausreichend groß ist, ist die Produktivität einer einzelnen Arbeitskraft dort jetzt geringer, als wenn die 12 Personen nebeneinander auf A 1 und A 2 eingesetzt wären.
Der Senat meint, dass dieser Fall wie das Beispiel 10 zu lösen ist. Ein Produktionsmittel ist nur dann im Sinne von § 642 BGB bzw. der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17) “vorgehalten”, wenn der Unternehmer es ausschließlich für einen bestimmten Auftrag bereithält, sodass er anderweitige Umsatzmöglichkeiten verliert. Das ist im Beispiel 11 von dem Tag an nicht mehr der Fall, in dem U die für A 1 benötigten Arbeitskräfte für A 2 einsetzt. Die geringere Produktivität im Einsatz für A 2 aufgrund der dort nun zu hohen Mitarbeiterzahl ändert nichts daran, dass die “Vorhaltebeziehung” der sechs Arbeitskräfte zu A 1 gelöst ist. Natürlich ist es einem Unternehmer zuzubilligen, dass er den Mitwirkungsverzug eines Bestellers dazu nutzt, auf einer anderen Baustelle die Leistungsgeschwindigkeit zu erhöhen, aber dies geschieht eben um den Preis der Entschädigung für den Vorhalt der umgesetzten Arbeitnehmer. Diese beiden Effekte muss der Unternehmer miteinander abwägen. Würde im Beispiel 11 die Baustelle A 2 nur noch zwei zusätzliche Arbeitskräfte ohne Produktivitätsabfall vertragen, während es für weitere zusätzliche Kräfte “nicht mehr genug zu tun gibt”, dann sollte der Unternehmer nur zwei von A 1 umsetzen und die restlichen vier weiter für B 1 vorhalten, um – wie im Beispiel 9 – hierfür entschädigt werden zu können.

(b) Unternehmer muss das Fehlen von anderweitigem Erwerb darlegen und beweisen

Diese Beispiele zeigen:
Der Mitwirkungsverzug des Bestellers führt nicht automatisch dazu, dass der Unternehmer seine Arbeitskräfte in der gesamten Dauer dieses Verzugs vergeblich vorhält. Dies kann so sein (Beispiele 8 und 9), stattdessen ist es aber auch möglich, dass der Unternehmer die Arbeitskräfte nur für die Dauer der notwendigen Umschaltphase bereithält oder dass er nur einige seiner Arbeitskräfte vorhalten muss, während andere umgesetzt werden können. Da es der Unternehmer ist, der eine Entschädigung aus § 642 BGB beansprucht, hat er im Einzelnen darzulegen und zu beweisen, in welchem Umfang er in Folge des Mitwirkungsverzugs des Bestellers seine Arbeitskräfte vergeblich vorgehalten hat. Da eine Arbeitskraft nur dann für einen Auftrag vorgehalten ist, wenn der Unternehmer nicht durch anderweitigen Einsatz mit ihr Umsatz erzielt, gehört zur Darlegung des Vorhalts einer Arbeitskraft, dass der Unternehmer im fraglichen Zeitraum mit ihr keinen anderweitigen Erwerb erzielen konnte. Während der anderweitige Erwerb bei den Ansprüchen eines Leistungserbringers aus § 611, 615 oder aus § 649 BGB a.F. nicht zur Anspruchsbegründung gehört, sondern eine Einwendung des Leistungsempfängers darstellt (mit der prozessualen Erleichterung des § 138 Abs. 4 ZPO), ist sein Fehlen im Rahmen von § 642 BGB also eine anspruchsbegründende Voraussetzung. Dies ergibt sich aus der dargelegten Systematik und der Bedeutung des zentralen Begriffs der Vorhaltekosten. Im Übrigen ist diese Ansicht auch keineswegs unbillig, denn es ist der Unternehmer, der am besten in der Lage ist, zu dem anderweitigen Erwerb für seine Produktionsmittel vorzutragen.

Eine besonders aufwändige Darlegung ist dazu nicht erforderlich. Vielmehr genügt eine tabellarische Aufstellung über die einzelnen Mitarbeiter des Unternehmers und die Zeiträume, in denen es aufgrund des Mitwirkungsverzugs des Bestellers für sie keine Einsatzmöglichkeit gab (wobei ein Unternehmer bei einem längeren Mitwirkungsverzug keinen Anlass zum zeitlich unbegrenzten Vorhalt seiner Produktionsmittel hat, vgl. KG, Urteil vom 16. Februar 2018, 21 U 66/16, Rz. 131 f).

Diese Sichtweise deckt sich mit den Ausführungen des Senats im Urteil vom 10. Januar 2017 (21 U 14/16, Rz. 86). Dort hat der Senat ausgeführt, dass für die Begründung eines Anspruchs aus § 642 BGB nicht immer eine “bauablaufbezogene Darstellung” erforderlich ist. Entscheidend ist vielmehr, auf was für einen entschädigungsfähigen Nachteil der Unternehmer seinen Anspruch aus § 642 BGB stützt, dadurch werden die Anforderungen an die Darlegung des Anspruchs vorgegeben. Wenn der Nachteil im vergeblichen Vorhalt von Arbeitskräften liegen soll, dann muss der Unternehmer also diesen vergeblichen Vorhalt darlegen. Dazu gehört, dass er die betroffenen Arbeitskräfte nicht anderweitig einsetzen konnte, weil sie nur dann für den in seinem Ablauf gestörten Vertrag bereit gehalten sind.

(c) Keine Darlegung des Vorhalts von Arbeitskräften durch die Klägerin
Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich nicht, ob und in welchem Umfang sie infolge des Mitwirkungsverzugs des Beklagten beim Gebäude SCH zum vergeblichen Vorhalt von Arbeitskräften gezwungen war. Der Senat muss den Schriftsatz der Klägerin vom 20. Dezember 2018 hierbei eigentlich nicht berücksichtigen, denn er hatte sie bereits mit Schreiben vom 4. Oktober 2018, also zwei Monate vor dem Termin darauf hingewiesen, dass ihr die Darlegungs- und Beweislast für die fehlende alternative Einsatzmöglichkeit ihrer Produktionsmittel zufallen und sie bislang keinen ausreichenden Vortrag geliefert haben könnte. Nachdem dies auch im Termin noch nicht geschehen war, musste der Klägerin kein weiterer Schriftsatznachlass gewährt werden, um nochmals zu dieser Thematik vortragen zu können.

Allerdings kann dies letztlich dahinstehen. Denn auch dem Schriftsatz der Klägerin vom 20. Dezember 2018 kann nicht klar entnommen werden, welche ihrer Arbeitskräfte sie im Zeitraum zwischen dem 21. November 2016 und dem 2. Mai 2017 vergeblich für das Bauvorhaben des Beklagten vorgehalten haben will. Dazu müsste sie mitteilen, welche Arbeitskräfte sie in der vorgesehenen Zeit ab dem 21. November 2016 auf der Baustelle für das Gebäude SCH eingeplant hätte und welche sie infolge der fehlenden Baufreiheit sodann nicht anderweitig einsetzen konnte und also vergeblich bereitgehalten hat.
Das ist nicht geschehen. Vielmehr behauptet die Klägerin nur abstrakt, ihre Arbeitskräfte für den Beklagten vorgehalten zu haben (vgl. z.B. Schriftsatz vom 21. Juni 2018, S. 6), es fehlt aber an einer Darlegung, aus der Einsatz und Beschäftigungslosigkeit ihrer Mitarbeiter im betreffenden Zeitraum hervorgeht.
Vielmehr ergibt sich umgekehrt bereits aus dem eigenen Vorbringen der Klägerin, dass ihre Behauptung eines durchgängigen Vorhalts ihrer Arbeitskräfte während der Ausführungsfristen für das Gebäude SCH unzutreffend ist. Sie trägt selbst vor, ihre hierfür bestimmten Arbeitskräfte während des Annahmeverzugs des Beklagten, in folgender Weise anderweitig beschäftigt zu haben:

Im Gebäude ELZ (vgl. Klageschrift S. 4, Berufungsbegründung S. 3 f), bei dem die im streitgegenständlichen Vertragsformular vorgesehenen Ausführungsfristen hinfällig geworden waren (vgl. oben II.2.a)bb)),

auf dem Bauvorhaben M… Straße 7 (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 20. Dezember 2018, S. 7 und 9),

auf dem Bauvorhaben L… straße 44 (Schriftsatz der Klägerin vom 20. Dezember 2018, S. 8) sowie

auf dem Bauvorhaben B… Straße 3 (Schriftsatz der Klägerin vom 20. Dezember 2018, S. 11).
Dass es neben diesen anderweitigen Einsatzmöglichkeiten auch “Leerlauf” für die Arbeitskräfte der Klägerin gegeben haben dürfte, ist als abstrakter Befund unerheblich. Die Klägerin muss den konkreten Umfang dieses “Leerlaufs” bzw. des fehlenden anderweitigen Erwerbs bezogen auf die jeweiligen Arbeitskräfte vorzutragen, denn exakt darin liegt der Vorhalt von Produktionsmitteln, für den sie Entschädigung begehrt. Die Ungewissheit über den genauen Umfang muss sich folglich zu Lasten der Klägerin auswirken. Auf den Vortrag des Beklagten, wonach die Klägerin ihre Arbeitskräfte neben den genannten Baustellen auch noch auf weiteren eingesetzt haben soll (Schriftsatz des Beklagten vom 30. November 2018), kommt es deshalb nicht mehr an. Ebensowenig kommt eine Beweisaufnahme in Betracht, wobei allerdings das von der Klägerin angebotene Sachverständigengutachten (Schriftsatz vom 20. Dezember 2018, S. 5) kein geeignetes Beweismittel wäre. Wenn die Klägerin ihre Arbeitskräfte vergeblich vorgehalten haben will, diese also aufgrund einer Störung keine Beschäftigung hatten, dann müssen hierfür Zeugen benannt werden, die diese Beschäftigungslosigkeit bestätigen können, wofür insbesondere die betroffenen Mitarbeiter selbst in Betracht kommen.

b) Verlangsamte Bautätigkeit im Gebäude SCH nach dem 2. Mai 2017
Auch insoweit steht der Klägerin kein Anspruch gegen den Beklagten aus § 642 BGB zu. Zwar war die Bautätigkeit der Klägerin in diesem Bereich offensichtlich verlangsamt, da ihre Arbeiten zum Zeitpunkt des Termins vor dem Senat noch nicht abgeschlossen waren und also bereits jetzt deutlich länger dauerten als mit den vertraglichen Ausführungsfristen vorgesehen. Die Klägerin hat mit ihrer Klage aber keine Störungen aus dem Zeitraum nach dem 2. Mai 2017 geltend gemacht und weder dargelegt, inwieweit diese Verlangsamung auf den Mitwirkungsverzug des Beklagten zurückgeht noch wie ihr dadurch entschädigungsfähige Nachteile entstanden sein könnten.

II. Kein Anspruch aus § 304 BGB
Der Klageanspruch ergibt sich hinsichtlich aller drei Gebäude auch nicht aus § 304 BGB.
Gerät eine Vertragspartei in Annahmeverzug kann die Gegenseite nach dieser Norm Ersatz der Mehraufwendungen verlangen, die sie für das erfolglose Angebot der Leistung und für Aufbewahrung und Erhaltung des geschuldeten Gegenstands machen musste. Diese Vorschrift hat allerdings einen recht engen Anwendungsbereich (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 31, Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 152) und regelt im Wesentlichen den Ersatz für Lager- und Sicherungskosten, nicht aber die im vorliegenden Fall in Rede stehenden Vorhaltekosten, geschweige denn, dass sich aus ihr ein Ersatz für annahmeverzugsbedingte Umsatzverluste herleiten ließe.

III. Kein Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B
Der Klageanspruch ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 5 VOB/B

1. Leistungsänderung gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B
Allerdings hat der Beklagte die Leistung der Klägerin im Sinne von § 2 Abs. 5 VOB/B geändert.

a) Vereinbarung der VOB/B
Die Parteien haben die Geltung der VOB/B für den streitgegenständlichen Bauvertrag vereinbart.

b) Verzugsmitteilung des Beklagten
Es kann zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden, dass der Beklagte ihr mitgeteilt hat, sie könne die Arbeiten im Gebäude SCH nicht innerhalb der vereinbarten Vertragsfrist ab dem 21. November 2016, sondern erst später ausführen. Selbst wenn sich eine solche “Verzugsmitteilung” nicht eindeutig aus dem Parteivorbringen ergeben sollte, ist diese Annahme jedenfalls naheliegend.

c) Verzugsmitteilung ist in der Regel Leistungsänderung
Teilt der Besteller eines VOB/B-Vertrags dem Unternehmer mit, er könne nicht wie vorgesehen, sondern erst zu einer späteren Zeit auf der Baustelle arbeiten, liegt in dieser Verzugsmitteilung, mit der der Besteller dem Unternehmer seinen Mitwirkungsverzug anzeigt, in aller Regel eine Leistungsänderung nach § 2 Abs. 5 VOB/B.

Soweit dem Senat bekannt hat sich der BGH zu dieser Rechtsfrage noch nicht klar positioniert. Zuletzt hat er angemerkt, allein die Störung des Vertrags wegen der Verzögerung der Bauausführung könne nicht als Anordnung einer Leistungsänderung gemäß § 2 Abs. 5 oder Abs. 6 VOB/B gewertet werden (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 40). Dies mag als Andeutung verstanden werden, dass der BGH auch die Verzugsmitteilung nicht als Leistungsänderung verstanden wissen will. Andererseits hat auch der BGH einem Unternehmer bei einer verzögerten Vergabeentscheidung einen Mehrvergütungsanspruch in entsprechender Anwendung von § 2 Abs. 5 VOB/B zugesprochen, was wiederum belegt, dass nach seiner Rechtsprechung verzögerungsbedingte Nachteile des Unternehmers jedenfalls im Grundsatz nach § 2 Abs. 5 VOB/B vergütungsfähig sind.

Im Übrigen ist in Rechtsprechung und Literatur allerdings anerkannt, dass die Verzugsmitteilung eines Bestellers an den Unternehmer eine Leistungsänderung nach § 2 Abs. 5 VOB/B sein kann (vgl. KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16; OLG München, Urteil vom 27. April 2016, 28 U 4738/13; OLG Dresden, Urteil vom 9. Januar 2013, 1 U 1554/09; OLG Hamm, Urteil vom 12. April 2011, 24 U 29/09; OLG Celle, Urteil vom 22. Juli 2009, 14 U 166/08; Kniffka/Koeble, Kompendium, 5. Teil Rn. 112; Keldungs in: Ingenstau/Korbion, VOB, §1 Abs. 3 VOB/B, Rdn. 7; a.A. z.B. Markus in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 6. Auflage, § 6 VOB/B, Rz. 59).

Diese Ansicht ist auch überzeugend. Zwar ist ein Bauvertrag kein Fixgeschäft, das Interesse des Bestellers an einer Bauleistung steht und fällt also nicht mit dem Zeitpunkt der Bauleistung, auch wenn der Faktor Zeit für beide Parteien eines Bauvertrags von großer Bedeutung ist. Dieser Umstand spricht dafür, “Leistungsänderungen” des Bauvertrags nur auf das inhaltliche Bausoll zu beziehen, also auf die vom Unternehmer zu erbringenden Leistungen, nicht hingegen den Zeitpunkt der Leistung. Auf der anderen Seite sind inhaltliche und zeitliche Anordnungen im Baugeschehen häufig nicht klar zu unterscheiden. So kann etwa die Änderung einer vorgesehenen Herstellungsweise den am Ende geschuldeten Werkerfolg unberührt lassen und sich im Wesentlichen auf die Wirkung beschränken, dass der Unternehmer arbeitsintensiver vorgehen muss, also mehr Zeit aufwenden muss. Auch der Wortlaut von § 2 Abs. 5 VOB/B lässt Raum, Störungsmitteilungen als Leistungsänderung zu verstehen, denn er erwähnt neben der “Änderung des Bauentwurfs” explizit auch “andere Anordnungen” des Auftraggebers, die solche Modifikationen, die über das inhaltliche Bausoll hinausgehen, ohne Weiteres erfassen können.

aa) Verzugsmitteilung als Leistungsänderung erweitert die Rechte des Unternehmers
Insbesondere ist zu beachten: Wenn eine Störungsmitteilung des Bestellers an den Unternehmer zugleich eine Leistungsänderung des Bestellers ist, dann führt dieser Befund nicht zu einer Ausweitung der Befugnisse des Bestellers, sondern umgekehrt zu einer Ausweitung der Rechte des Unternehmers. Dass der Unternehmer nicht wie vorgesehen bauen kann, steht aufgrund des Mitwirkungsverzugs des Bestellers ohnehin schon fest, die verbindliche Anordnungswirkung einer Leistungsänderung ist insoweit ohne Bedeutung. Sie hat aber die Konsequenz, dass der Unternehmer nun auch den Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B geltend machen kann, der über denjenigen aus § 642 BGB hinausgeht (vgl. dazu unten III.1. d)).

bb) Auch konkludente Leistungsänderung ist möglich
Unerheblich ist, dass der Besteller seiner Anzeige des Mitwirkungsverzugs gegenüber dem Unternehmer möglicherweise nicht die Wirkung einer rechtsverbindlichen Anordnung beimessen möchte. Denn ob eine Anordnung vorliegt oder nicht, richtet sich danach, ob der Unternehmer das ihm abverlangte Tun oder Unterlassen nach dem Bauvertrag in die vereinbarte Vergütung einkalkulieren musste (vgl. z.B. Keldungs in: Ingenstau/Korbion, VOB, 20. Auflage, 2017, § 2 Abs. 5 VOB/B, Rz. 21 m.w.N.). Beim Mitwirkungsverzug des Bestellers ist dies gerade nicht der Fall, deshalb kann die Mitteilung des Bestellers hierüber eine Leistungsänderung sein. Auf die genaue Wortwahl des Bestellers kommt es für das Vorliegen einer Anordnung hingegen nicht an. Eine Anordnung kann auch lediglich konkludent getroffen werden, wenn der Besteller vom Unternehmer eine Leistung oder eben einen Aufschub verlangt, den dieser nicht einkalkulieren musste. Andernfalls hätte es der Besteller in der Hand, durch Wortklauberei und taktisches Formulieren bestimmte Rechtsfolgen zu verhindern. Maßgeblich muss deshalb eine objektive Auslegung sein: Teilt der Besteller dem Unternehmer ein Erschwernis mit, dass dieser nicht einpreisen musste nun aber – mangels Baufreiheit – zwangsläufig hinnehmen muss, dann stellt sich diese Störungsmitteilung als Leistungsänderung dar.
Offenbleiben kann an dieser Stelle, ob die Verzugsmitteilung des Bestellers an den Unternehmer als “Änderung des Bauentwurfs” im Sinne von § 1 Abs. 3 und § 2 Abs. 5 VOB/B oder als “andere Anordnung” gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B anzusehen ist. Der Senat neigt eher dazu, die Verzugsmitteilung als “andere Anordnung” anzusehen, entscheidend ist aber allein, dass die Voraussetzung für einen Mehrvergütungsanspruch nach § 2 Abs. 5 VOB/B erfüllt ist. Das ist in jedem der beiden Fälle gegeben.

Zur Vermeidung von Missverständnissen wird ferner angemerkt: Aus der Ansicht, wonach die Verzugsmitteilung des Bestellers eine Leistungsänderung nach § 2 Abs. 5 VOB/B ist, folgt keineswegs, dass der Besteller aus § 1 Abs. 3 oder § 2 Abs. 5 VOB/B auch berechtigt wäre, gegenüber dem Unternehmer Beschleunigungsmaßnahmen anzuordnen. Eine solche Anordnung hat ein größeres eigenständiges Gewicht als die Mitteilung einer vom Unternehmer ohnehin zu duldenden Störung. Mit ihr verlangt der Besteller vom Unternehmer darüber hinaus das Ergreifen zusätzlicher Maßnahmen. Ob der Besteller dazu berechtigt ist, muss im vorliegenden Fall nicht geklärt werden.

d) Gilt insbesondere, wenn VOB/B vom Besteller gestellt
Nach Auffassung des Senats liegt in der Verzugsmitteilung des Bestellers an den Unternehmer jedenfalls dann eine Leistungsänderung nach § 2 Abs. 5 VOB/B, wenn die VOB/B aufgrund einer vom Besteller vorformulierten Klausel in den Vertrag einbezogen sind. In diesem Fall sind die VOB/B vom Besteller gestellte allgemeine Geschäftsbedingungen, sodass Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Bestellers zu lösen sind (§ 305c Abs. 2 BGB). Nach dem Wortlaut von § 310 Abs. 1 S. 3 BGB gilt dies auch dann, wenn die VOB/B ohne Modifikation insgesamt in den Vertrag einbezogen sind.
Unter dieser Voraussetzung, die im vorliegenden Fall erfüllt ist, gilt weiter:

Es ist zumindest möglich, § 2 Abs. 5 VOB/B dahin auszulegen, dass auch eine Verzugsmitteilung des Bestellers an den Unternehmer eine Leistungsänderung im Sinne dieser Norm ist. Dafür sprechen die soeben ausgeführten Argumente und der Umstand, dass zahlreiche Stimmen in Rechtsprechung und Literatur genau diese Auffassung vertreten (vgl. III.1.c) m.w.N.). Für den Unternehmer ist diese Auffassung vorteilhaft gegenüber der Ansicht, nach der eine Verzugsmitteilung keinen Fall von § 2 Abs. 5 VOB/B darstellt. Ist eine Verzugsmitteilung eine Leistungsänderung, so folgt daraus, dass dem Unternehmer beim Mitwirkungsverzug des Bestellers nicht nur der Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB zusteht, sondern auch der Mehrvergütungsanspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B. Beide Anspruchsgrundlagen kommen zum selben Ergebnis, soweit der Unternehmer annahmeverzugsbedingte Vorhaltekosten geltend macht. Hier steht ihm sowohl nach § 642 BGB als auch nach § 2 Abs. 5 VOB/B ein Anspruch zu, dessen Höhe nach Auffassung des Senats auf dieselbe Weise zu ermitteln ist (nämlich Preisfortschreibung anhand tatsächlicher Mehrkosten, vgl. zu § 642 BGB: KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 10/16; Urteil vom 16. Februar 2018, 21 U 66/16; zu § 2 Abs. 5 VOB/B: KG, Urteil vom 10. Juli 2018, 21 U 30/17). Ebenso ist die Rechtslage nach beiden Anspruchsgrundlagen dieselbe, soweit sich der Unternehmer auf verzugsbedingte Umsatzverluste beruft. Diese sind nach § 642 BGB nicht entschädigungsfähig (vgl. oben II. 3.a) bb) (1)), nach § 2 Abs. 5 VOB/B aber ebensowenig, denn in einem Umsatzverlust liegen keine “Mehrkosten” im Sinne dieser Norm.

Die spezifische Differenz zwischen beiden Anspruchsgrundlagen liegt aber in der Behandlung von annahmeverzugsbedingten Mehrkosten, die keine Vorhaltekosten sind, sondern zum Beispiel Kostensteigerungen:

Beispiel 12: Der Besteller B hat den Unternehmer U mit Ausbauleistungen in einem zu errichtenden Gebäude beauftragt. Wegen der Insolvenz des Rohbauers ist die Baustelle nicht zur vertraglich vorgesehenen Ausführungsfrist baufrei, sondern erst 20 Monate später. Durch die verzögerte Ausführung der Leistung entstehen U Mehrkosten, da die Löhne seiner Mitarbeiter und die Preise des von ihm zu beschaffenden und einzubauenden Materials mittlerweile höher sind.
Diese Mehrkosten sind nicht nach § 642 BGB entschädigungsfähig (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17), durchaus aber nach § 2 Abs. 5 VOB/B (vgl. BGH, Urteil vom 10. September 2009, VII ZR 152/08, Rz. 42). Denn anders als § 642 BGB lässt sich § 2 Abs. 5 VOB/B keine Beschränkung auf die Vergütungsfähigkeit von Vorhaltekosten entnehmen. Da die Mehrkosten im Beispiel 12 dem Unternehmer aufgrund des Mitwirkungsverzugs bzw. seiner vom Unternehmer zu befolgenden Verzugsmitteilung entstanden sind, muss dem Unternehmer folglich eine entsprechende Mehrvergütung aus § 2 Abs. 5 VOB/B zustehen.

Auf der anderen Seite entstehen dem Unternehmer keine Nachteile durch die Auffassung, eine Verzugsmitteilung sei eine Leistungsänderung nach § 2 Abs. 5 VOB/B. Insbesondere folgt aus dieser Ansicht nicht, dass der Besteller dann gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B auch zu Beschleunigungsanordnungen berechtigt sein muss (vgl. oben III.1.c)bb)), was in der Tat nachteilig für einen Unternehmer sein könnte (nicht: muss).

Aus dem Gesagten folgt:
Eine Verzugsmitteilung muss gemäß § 305c Abs. 2 BGB insbesondere dann eine Leistungsänderung nach § 2 Abs. 5 VOB/B sein, wenn die VOB/B dem Unternehmer vom Besteller als allgemeine Geschäftsbedingungen gestellt worden sind.

e) Leistungsänderung ist hier gegeben
Der Beklagte hat also die Leistung der Klägerin gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B geändert, indem er ihr – vom Senat als naheliegend zugunsten der Klägerin unterstellt – mitgeteilt hat, die beauftragten Arbeiten im Gebäude SCH erst am 2. Mai 2017 beginnen zu können und nicht, wie vertraglich vorgesehen, bereits am 21. November 2016.

f) Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B steht neben demjenigen aus § 642 BGB
Es stellt keinen Widerspruch dar, wenn der Senat trotz dieses Befundes einen Anspruch der Klägerin aus § 642 BGB geprüft hat (oben II.). Befindet sich der Besteller aufgrund einer Störung des Bauablaufs in Mitwirkungsverzug und teilt er dem Unternehmer zugleich mit, nur nach Maßgabe dieser Störung seine Leistung erbringen zu können, dann bestehen beim Unternehmer der Anspruch aus § 642 BGB und der Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B nebeneinander, sofern deren sonstige Voraussetzungen erfüllt sind. Dies folgt aus dem zivilrechtlichen Grundsatz der Anspruchskonkurrenz. Der Umstand, dass der Besteller durch seine Verzugsmitteilung an den Unternehmer dessen Leistung geändert hat, führt nicht dazu, dass der Mitwirkungsverzug des Bestellers entfiele.
Sieht ein Bauvertrag ein Recht des Bestellers zur einseitigen Leistungsänderung vor, dann ist dies kein Recht zur einseitigen Vertragsänderung. Ein Leistungsänderungsrecht wirkt nur punktuell: Der Besteller wird lediglich ermächtigt, die im Vertrag ursprünglich vorgesehene Leistung des Unternehmers in bestimmten Grenzen zu ändern, nicht aber darüber hinaus auch die sonstigen Regelungen des Vertrages. Der Besteller kann also anordnen, dass der Unternehmer statt der Leistung A die Leistung B zu erbringen hat. Er ist aber nicht befugt, einseitig den Preis der Leistung A abzuändern, einseitig einen Preis für die Leistung B vorzugeben oder sonst die Parameter der Preisermittlung zu ändern. Vielmehr bleiben die Vereinbarungen der Parteien über die Vergütung unverändert. Nur so kann die Vergütung für die neue Leistung auf Grundlage des geschlossenen Vertrages fortgeschrieben werden. Auch sonstige vertragliche Regelungen kann der Besteller aufgrund seines Leistungsänderungsrechts nicht mit rechtsverbindlicher Wirkung einseitig ändern. So kann er beispielsweise nicht einseitig eine vereinbarte Mängelhaftungszeit von 4 Jahren in 5 Jahre abändern, die Ausführungsfristen verkürzen oder die Regelung einer Vertragsstrafe nachträglich modifizieren. Wenn sich bei einem Pauschalvertrag ergibt, dass eine bestimmte vom Besteller verlangte Leistung nicht von der Leistungsbeschreibung erfasst ist, sodass der Unternehmer zu einem Nachtrag berechtigt ist, dann kann der Besteller den Vertrag nicht einseitig in der Form ändern, dass die betreffende Leistung nunmehr doch vom Leistungssoll erfasst ist und der Unternehmer sie also ohne Anspruch auf Mehrvergütung ausführen kann. Wenn und soweit der Besteller die Planungsverantwortung trägt, sodass er auch eine eventuelle Nachtragsleistung zu planen hat, kann er diese Aufteilung der Planungsverantwortung nicht durch eine Leistungsänderung einseitig zu Lasten des Unternehmers ändern. Und wenn ein Architektenvertrag über die Leistungsphasen 1 bis 8 ein Leistungsänderungsrecht für den Besteller vorsieht (etwa gemäß §§ 650q Abs. 1, 650b Abs. 2 BGB n.F.)., kann der Besteller nicht nachträglich die Leistung dahin ändern, dass der Architekt zusätzlich auch die Leistungsphase 9 zu erbringen hat.
Dies zeigt: Mit einem Leistungsänderungsrecht kann nur die Leistung des Unternehmers geändert werden, deren Preis sodann auf Grundlage des im Übrigen ungeänderten Vertrags zu bestimmen ist. Die sonstigen vertraglichen Regelungen werden durch ein Leistungsänderungsrecht nicht für den Besteller disponibel.

Daraus folgt: Begründet die Störung der Bauarbeiten den Mitwirkungsverzug des Bestellers (weil der Unternehmer die Störung nicht einkalkulieren musste), dann kann der Besteller diesen Mitwirkungsverzug und seine finanziellen Folgen nicht dadurch beseitigen, dass er gegenüber dem Unternehmer die Anordnung trifft, nach Maßgabe dieser Störung arbeiten zu müssen. Vielmehr gilt: Die Mitwirkungsschnittstelle zwischen den Parteien eines Bauvertrags wird durch eine Leistungsänderung nicht geändert. Deshalb bleibt bei einer Leistungsänderung in Form einer Verzugsmitteilung des Bestellers der Mitwirkungsverzug als solcher bestehen, allerdings tritt neben den Anspruch aus § 642 BGB ein weiterer aus § 2 Abs. 5 VOB/B in Anspruchskonkurrenz. Ob und inwieweit dem Unternehmer im Ergebnis tatsächlich diese Ansprüche zustehen hängt davon ab, ob deren übrigen Voraussetzungen erfüllt sind.

2. Keine vergütungsfähigen Mehrkosten der Klägerin
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin allerdings keinen Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B gegen den Beklagten.
Die von ihr primär als Folge des Mitwirkungsverzugs geltend gemachten Umsatzverluste stellen keine Mehrkosten im Sinne von § 2 Abs. 5 VOB/B dar, sodass dieser Nachteil ebensowenig nach dieser Norm vergütungsfähig ist, wie er nach § 642 BGB entschädigungsfähig ist.
Vorhaltekosten, die ihr durch den Annahmeverzug des Beklagten entstanden sind, sind als änderungsbedingte Mehrkosten durchaus nach § 2 Abs. 5 VOB/B zu vergüten, allerdings gilt auch hier, dass die Klägerin nicht dargelegt hat, Produktionsmittel – insbesondere ihre Mitarbeiter – im Annahmeverzug des Beklagten vorgehalten zu haben. Es gelten hier die Ausführungen zu § 642 BGB entsprechend (vgl. oben II.3.a)bb)(5)).
Kostensteigerungsnachteile, die nicht nach § 642 BGB, wohl aber nach § 2 Abs. 5 VOB/B ersatzfähig sind, macht die Klägerin im vorliegenden Fall nicht geltend.

IV. Kein Anspruch aus § 6 Abs. 6 VOB/B
Der Klageanspruch ergibt sich nicht, auch nicht teilweise, aus § 6 Abs. 6 VOB/B.
Macht der Unternehmer eines Bauvertrags wegen einer Störung des Bauablaufs auf dieser Rechtsgrundlage Schadensersatz geltend, setzt dies voraus, dass die Störung der Vertragsdurchführung auf eine Pflichtverletzung des Bestellers zurückzuführen ist.

1. Pflichtverletzung trotz Leistungsänderung
Dieser Anspruch entfällt nicht schon deshalb, weil die zugunsten der Klägerin unterstellte Verzugsmitteilung des Beklagten dazu führte, dass die Störung aufgrund ihrer Mitteilung ihren Charakter als Pflichtverletzung verloren hätte. Zwar stellt eine Verzugsmitteilung grundsätzlich eine Leistungsänderung gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B dar, dadurch werden aber nicht die sonstigen Regelungen des Vertrages geändert (vgl. oben III.1.f)).

2. Keine Pflichtverletzung des Beklagten
Allerdings ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht, dass ihr die mit der Klage geltend gemachten Vermögensnachteile – seien es Vorhaltekosten oder der (zeitbezogene) Umsatzverlust – aufgrund einer Pflichtverletzung des Beklagten entstanden sind.

a) Pflichtverletzung wegen fehlender Baufreiheit im Gebäude SCH?
Es begründet keine Pflichtverletzung des Beklagten, dass er der Klägerin das Gebäude SCH nicht innerhalb der vertraglich vereinbarten Ausführungsfrist vom 21. November 2016 bis zum 7. April 2017 baufrei überließ.

Zwar sah der streitgegenständliche Vertrag für das Gebäude SCH noch diesen Zeitraum als verbindliche Ausführungsfrist vor. Vereinbaren die Parteien eines Bauvertrags verbindliche Ausführungsfristen, so ist diese Regelung im Zweifel aber so auszulegen, dass sie nur für den Unternehmer Vertragspflichten begründet, nicht hingegen für den Besteller (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1999, VII ZR 185/98, BGHZ 143, 32, Rz 22; KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16).

Das heißt: Eine solche Regelung ist so zu verstehen, dass der Unternehmer grundsätzlich seine Vertragspflichten verletzt, wenn er die Frist nicht einhält. Für den Besteller hingegen ist die fristgemäße Kooperation nur eine Obliegenheit.
Unterbleibt sie – etwa weil der Besteller dem Unternehmer zu Beginn der Ausführungsfrist das Grundstück nicht baufrei überlässt – führt dies zu den folgenden Rechtsfolgen zugunsten des Unternehmers:

Die rechtsverteidigende Wirkung für den Unternehmer besteht darin, dass sich eine ihn bindende Vertragsfrist nach hinten verschiebt oder im Einzelfall bei einer schwerwiegenden Störung auch vollständig hinfällig werden kann.
Die anspruchsbegründende Wirkung besteht darin, dass dem Unternehmer wie dargelegt ein Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB oder bei einer Verzugsmitteilung außerdem ein Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B gegen den Besteller zustehen kann.
Allerdings hat der Unternehmer wegen einer solchen Störung aus der Sphäre des Bestellers grundsätzlich keinen Schadensersatzanspruch aus § 6 Abs. 6 VOB/B gegen diesen. Dies gilt erst recht, wenn ein Bauvertrag überhaupt keine Vertragsfristen vorsieht. Dann besteht erst recht keine Vertragspflicht des Bestellers, dem Unternehmer ein baufreies Grundstück zu überlassen, sondern lediglich eine dahingehende Mitwirkungsobliegenheit im Sinne von § 642 BGB.
Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte vorgetragen, die dafür sprechen, dass die für das Gebäude SCH vereinbarten Ausführungsfristen – insbesondere die jeweiligen Fristanfänge – auch für den Beklagten eine Vertragspflicht begründen könnten.

b) Pflichtverletzung wegen fehlender Verschaffung der Ausführungsplanung?
Ebensowenig begründet es eine Pflichtverletzung des Beklagten, dass er der Klägerin während der Ausführungsfrist ihrer Arbeiten im Gebäude SCH vom 21. November 2016 bis zum 7. April 2017 keine Ausführungsplanung für ihre Leistung übergab.

aa) Keine Ausführungsplanung des Beklagten
Es kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass ihr der Beklagte nach dem Vertrag eine Ausführungsplanung zu verschaffen hatte und dass dies hinsichtlich des Gebäudes SCH bis zum 7. April 2017 nicht geschehen war. So hat es die Klägerin im Termin vor dem Senat unwidersprochen vorgetragen.

bb) Keine diesbezügliche Vertragspflicht des Beklagten
Ist ein Bauvertrag gemäß dem soeben erläuterten Grundsatz (oben IV.2.a)) dahin auszulegen, dass keine Pflicht des Bestellers besteht, dem Unternehmer ein baufreies Grundstück zu überlassen, dann kann es zumindest in aller Regel auch keine anderen Mitwirkungspflichten des Bestellers gegenüber dem Unternehmer geben, deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch nach § 6 Abs. 6 VOB/B begründen könnte. Vielmehr ist dann die gesamte Mitwirkung des Bestellers nicht als Pflicht, sondern nur als Obliegenheit ausgestaltet (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 27. November 2008, VII ZR 206/06, BGHZ 179, 55, Rn. 34 f; vgl. hierzu Leupertz, BauR 2010, 1999 ff und BauR 2014, 381 ff)

Zwar wird durchaus auch die Rechtsauffassung vertreten, dass der Besteller, wenn er nach dem Vertrag die Ausführungsplanung zu erstellen hat, hierzu gegenüber dem Unternehmer in Form einer Nebenpflicht gebunden sein soll (vgl. z.B. Markus in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 6. Auflage, § 6 VOB/B, Rz. 55 ff m.w.N., der allerdings die abweichende Auffassung des BGH im Urteil vom 27. November 2008, VII ZR 206/06, BGHZ 179,55, Rz. 34 ff nicht erwähnt). Träfe dies zu, wäre im vorliegenden Fall ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten aus § 6 Abs. 6 VOB/B zumindest dem Grunde nach gegeben. Denn die Klägerin hätte ihre Leistungen im Gebäude SCH ab dem 21. November 2016 erbringen müssen. Der Beklagte hätte ihr deshalb die Ausführungsplanung im Zweifel spätestens an diesem Tag übergeben müssen. Da dies nicht geschehen ist, wäre der Beklagte mit der Übergabe der Ausführungsplanung seit diesem Datum in Verzug und hätte damit möglicherweise der Klägerin Schadensersatz in noch zu klärender Höhe zu leiste (wobei der Ausschluss des entgangenen Gewinns in § 6 Abs. 6 VOB/B zu beachten wäre).

(1) Entscheidend ist die rechtliche Qualifikation des Mitwirkungserfolgs
Allerdings steht die Annahme solcher Mitwirkungspflichten des Bestellers in Widerspruch zu der Aussage des BGH, wonach der Besteller grundsätzlich nicht verpflichtet ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt die Baufreiheit für den Unternehmer sicherzustellen (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1999, VII ZR 185/98, BGHZ 143, 32, Rz 22), sondern ihn nur eine entsprechende Obliegenheit trifft. Die vollständig fehlende Baufreiheit stellt in zeitlicher Hinsicht die stärkste denkbare Behinderung des Unternehmers bei der Leistungserbringung dar. Sie führt dazu, dass er – hier in Bezug auf das Gebäude SCH – überhaupt keine Leistungen erbringen kann. Fehlende Ausführungspläne können zwar auch dazu führen, dass der Unternehmer nicht bauen kann, das muss aber nicht so sein. Insbesondere wenn die Pläne nur unvollständig sind, kann der Unternehmer durchaus in der Lage sein, seine Leistungen zumindest teilweise schon auszuführen.

Wenn aber die vollständige Störung der Leistungserbringung keine Pflichtverletzung ist, warum sollte dann eine Teilstörung, die jedenfalls keine weitergehenden Folgen hat, so eingestuft werden? Warum sollte im vorliegenden Fall eine Pflichtverletzung des Beklagten darin liegen, dass er der Klägerin bis zum 7. April 2017 keine Ausführungspläne für das Gebäude SCH übergeben hat, wo es doch keine Pflichtverletzung darstellt, dass er der Klägerin nicht einmal die Möglichkeit eingeräumt hat, in dem Gebäude auch nur irgendeine Leistungen auszuführen?

Nach Meinung des Senats ist es deshalb nicht sinnvoll, die Frage, ob die Mitwirkung des Bestellers beim Werkvertrag als Pflicht oder Obliegenheit zu qualifizieren ist, nach der Art der Mitwirkungshandlung zu entscheiden (Beispiele für Arten von Mitwirkungshandlungen: Übergabe von Plänen, Taugliche Leistung des Vorgewerks, Treffen von Auswahlentscheidungen, Beschaffen von Genehmigungen etc.). Vielmehr muss es entscheidend auf den Mitwirkungserfolg ankommen. Denn für einen Bauunternehmer ist es von entscheidender Bedeutung ob bzw. in welchem Umfang er seine Leistungen ausführen kann. Ist er bei der Ausführung gestört und entstehen ihm dadurch zusätzliche Kosten, ist es für ihn – wenn überhaupt – von sekundärer Bedeutung, aus welchem konkreten Grund es dazu gekommen ist.

Daraus folgt weiter: Wenn der BGH die Grundentscheidung getroffen hat, dass sogar das vollständige Fehlen von Baufreiheit auf dem Baugrundstück zu Beginn einer Ausführungsfrist keine Pflichtverletzung darstellt (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1999, VII ZR 185/98, BGHZ 143, 32, Rz 22), dann muss das auch für andere Mitwirkungsversäumnisse des Bestellers gelten, die keine weiter gehenden Folgen haben, sondern ebenfalls höchstens dazu führen, dass der Unternehmer vorübergehend keinerlei Leistungen ausführen kann. Von daher ist die entsprechende Aussage im Urteil des BGH vom 27. November 2008 (VII ZR 206/06, BGHZ 179, 55, Rn. 34 f) folgerichtig.

Der Senat verkennt nicht, dass es für den Unternehmer eine starke Beeinträchtigung bedeuten kann, wenn der Besteller nicht so mitwirkt, wie es nach dem Vertrag vorgesehen ist. Es kann auch durchaus eine adäquate Antwort der Rechtsordnung darstellen, die Mitwirkung des Bestellers bei der Vertragsdurchführung deshalb als Pflicht anzusehen, was bei Störungen dann zu Ansprüchen des Unternehmers aus Verzug nach § 286 BGB oder § 6 Abs. 6 VOB/B führen kann. Wenn dies erwünscht ist, muss aber zu allererst durch den BGH die Grundentscheidung anders getroffen werden, wonach die Gewährleistung von Baufreiheit durch den Besteller zu einem bestimmten vertraglich vorgesehenen Zeitpunkt im Zweifel keine Vertragspflicht ist.

(2) §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 S. 2 VOB/B sind kein Gegenargument
§§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 S. 2 VOB/B zwingen nicht zu der Annahme, dass das dort behandelte Verschaffen von Plänen und Genehmigungen eine Pflicht des Bestellers sei. Vielmehr können diese Normen auch so verstanden werden, dass sie lediglich die Mitwirkungsschnittstelle zwischen den Vertragsparteien für den Regelfall definieren und also bloße Bestellerobliegenheiten formulieren.

(3) Das Haftungsmodell der Planer-Unternehmer-Gesamtschuld ist kein Gegenargument
Ebensowenig folgen entsprechende Bestellerpflichten aus dem Haftungsrecht.
Beispiel 14: Der Besteller B übergibt die Ausführungsplanung seines Architekten A an den Unternehmer U, der danach baut, ohne Bedenken anzumelden. Die Planung war mangelhaft, deshalb ist dies auch Us Bauleistung. Die Beseitigung der Mängel kostet 100 t €.
In diesem Fall haftet nur A auf Schadensersatz in Höhe von 100 t €, während sich U auf die Mitverursachung des Baumangels durch A als den Erfüllungsgehilfen des Bestellers gemäß §§ 254, 278 BGB berufen kann, sodass sich seine Haftung bereits im Außenverhältnis gegenüber B im Zweifel auf 50 % reduziert (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2008, VII ZR 206/06, BGHZ 179,55, Rz. 29 f m.w.N.). Diese Rechtsfigur des bauvertraglichen Haftungsrechts ist nicht von der Voraussetzung abhängig, dass der Besteller dem Unternehmer die Ausführungsplanung aufgrund einer entsprechenden vertraglichen Pflicht schuldet. Vielmehr hat der BGH ausdrücklich klargestellt, dass bereits die Mitverursachung des Mangels durch die mangelhafte Planung die Haftungsminderung gemäß §§ 254, 278 BGB zugunsten des Unternehmers rechtfertigt und dass im Regelfall von einer bloßen Obliegenheit des Bestellers zur Übergabe einer (mangelfreien) Planung an den Unternehmer auszugehen ist (BGH, Urteil vom 27. November 2008, VII ZR 206/06, BGHZ 179,55, Rz 34 ff).

(4) Schutzpflichten des Bestellers gibt es
Aus der hier vertretenen Auffassung folgt nicht, dass es keine Schutzpflichten des Bestellers gäbe.
Beispiel 15: Der Besteller B übergibt dem Unternehmer U ein Planungsdetail seines Architekten A, wie ein Baugerüst an einer Stahlfassade zu befestigen ist. U baut das Gerüst nach dieser Vorgabe auf. Die Planung war mangelhaft, weil die Befestigung nicht ausreichend und das Gerüst deshalb nicht standfest ist. Es stürzt ein und verletzt zwei Mitarbeiter von U.

In diesem Fall kommt durchaus ein Schadensersatzanspruch von U gegen B in Betracht, wobei eine eventuelle Mitverursachung durch U gemäß § 254 BGB zu berücksichtigen wäre. Haftungsbegründend für die Haftung von B wäre jedenfalls seine allgemeine Schutzpflicht, auf die Rechtsgüter seines Vertragspartners U und dessen Mitarbeiter Rücksicht zu nehmen. B darf deshalb keine Arbeitsanweisungen treffen, die er oder sein Erfüllungsgehilfe A (§ 278 BGB) als gefährlich erkennen können. Aufgrund dieser allgemeinen Schutzpflicht wird aber nur ein Einzelaspekt der Planverschaffung von B an U zur Pflichtverletzung, nämlich das Plandetail, das die unzureichende Gerüstverankerung vorsah. Hingegen folgt aus der Annahme eines solchen Schadensersatzanspruchs nicht, dass die Planverschaffung insgesamt als Mitwirkungspflicht des Bestellers angesehen werden müsste.

(5) Weitere Schlussfolgerungen
Soweit der BGH angemerkt hat, dem Unternehmer könnte wegen einer Störung des Bauablaufs ein Schadensersatzanspruch gegen den Besteller zustehen, wenn dieser eine “selbständige Nebenpflicht” verletzt habe (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 34), so folgt aus den vorstehenden Ausführungen, dass dies nur in dem Ausnahmefall denkbar erscheint, wo eine vertragliche Ausführungsfrist entgegen der Grundregel doch eine Mitwirkungspflicht des Bestellers begründet (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 1999, VII ZR 185/98, BGHZ 143, 32, Rz. 22).
Im Übrigen hat sich gezeigt, dass der Sprachgebrauch von der Kooperationspflicht der Parteien des Bauvertrags etwas ungenau ist. Tatsächlich ist die Kooperation des Bestellers im Verlauf der Vertragsdurchführung weitgehend gerade nicht als Pflicht, sondern nur als Obliegenheit ausgestaltet.

V. Kein Anspruch aus §§ 280, 286 BGB
Aus den Ausführungen unter IV. folgt, dass der Klageanspruch mangels einer Pflichtverletzung des Beklagten nicht – auch nicht teilweise – auf §§ 280, 286 BGB gestützt werden kann.

VI. Nebenentscheidungen
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

VII. Zulassung der Revision
Die Revision wird zugelassen.

Der praktische Fall zum Baugrundrisiko (1) – BGH, Urteil vom 20.08.2009 – VII ZR 205/07

Der praktische Fall zum Baugrundrisiko (1) - BGH, Urteil vom 20.08.2009 - VII ZR 205/07:

Der Fall: Grundlage eines funktionalen Angebots werden bestimmte Bodenverhältnisse. Deren Vorhandensein wird zum Vertragsinhalt erhoben. Änderungen der Herstellparameter sind darauf zurückzuführen, dass die Bodenverhältnisse sich grundlegend anders als im Vertrag beschrieben dargestellt haben. Die Leistungsbeschreibung und die ihr zugrunde liegenden Bodenuntersuchungen stellen den Boden als sehr dicht gelagert dar. Es stellt sich jedoch eine extrem schwankende Lagerungsdichte und extrem hohe Dichten der unteren Sande heraus.

Die Lösung: Mehrkosten können wegen von den Vorstellungen des Auftragnehmers abweichender Bodenverhältnisse nicht mit der allgemeinen Erwägung geltend gemacht werden, den Bauherrn treffe das Baugrundrisiko (Kuffer, NZBau 2006, 1 ff.). Auszugehen ist vielmehr von den konkreten Umständen des Einzelfalles und den getroffenen Vereinbarungen. Liegen einer Ausschreibung Baugrundgutachten bei, so ist es möglich, dass die darin dargestellten Bodenverhältnisse zur vertraglich geschuldeten Leistungsverpflichtung erhoben werden.

Ob und inwieweit dies gegeben ist, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände durch eine am objektiven Empfängerhorizont orientierte Auslegung der Vereinbarung zur Bauleistung zu beurteilen. Ein gewichtiger Gesichtspunkt ist dabei, inwieweit die Bodenverhältnisse für die Leistung des Auftragnehmers und damit auch für die Kalkulation seines Preises erheblich sind. Ist dies der Fall, wird regelmäßig davon auszugehen sein, dass die beschriebenen Bodenverhältnisse zum Leistungsinhalt erhoben werden sollen.

Dabei kann auch von Bedeutung sein, ob das Baugrundgutachten im Hinblick auf die ursprünglich ausgeschriebene Leistung und den dann geschlossenen Vertrag oder im Hinblick auf Vertragsänderungen oder Nachträge erstellt worden ist. Stellen sich die zur Leistungspflicht erhobenen Bodenverhältnisse anders dar, so ist die Anordnung des Auftraggebers, die Leistung trotz der veränderten Umstände zu erbringen, eine Änderung des Bauentwurfs im Sinne des § 1 Nr. 3 VOB/B mit der Folge, dass ein neuer Preis nach Maßgabe des § 2 Nr. 5 VOB/B zu bilden ist.

Sind von den Parteien bestimmte Bodenverhältnisse zum Inhalt des Vertrages gemacht worden, so ist nicht davon auszugehen, dass die von dem AN abgegebenen Erklärungen zur Übernahme von Mehrkosten auch für den Fall gelten, dass andere Bodenverhältnisse angetroffen werden. Denn die Bodenverhältnisse waren und sind im Zweifel ein entscheidender Umstand für die Wahl des Herstellverfahrens und die Festlegung der Herstellparameter.

Waren bestimmte, für das Herstellverfahren relevante Bodenverhältnisse Inhalt des Vertrages, so liegt es fern, dass der AN mit seinen Erklärungen das Risiko abweichender Bodenverhältnisse hat mit übernehmen wollen. Ein Unternehmer ist zwar nicht gehindert, mit dem Bauvertrag ihm unbekannte Risiken zu übernehmen (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2008 – VII ZR 194/06, BGHZ 176, 23, 29; Kuffer, NZBau 2006, 1, 6).

Jedoch sind an eine Risikoübernahme, die unbekannte Bodenverhältnisse betrifft, jedenfalls dann strenge Anforderungen zu stellen, wenn sie die Baukosten erheblich beeinflussen können (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2008 – VII ZR 194/06, aaO). Wurden Angaben in Bodengutachten zum Inhalt des Vertrages erhoben, liegt es nahe, dass die sonstigen Erklärungen des AN auf diesen Bodengutachten aufbauen. Es liegt dann auch ein Verständnis der von dem AN abgegebenen Erklärungen nahe, dass lediglich diejenigen Veränderungen der Herstellparameter gemeint sind, die sich aus der Erprobung bei unveränderten Bodenverhältnissen ergeben.

VergMan ® – Spruchpraxis der Vergabekammern und Vergabesenate von A bis Z

VergMan ® - Spruchpraxis der Vergabekammern und Vergabesenate von A bis Z

von Thomas Ax

A
Anforderungen aus “Spezialvorschriften” müssen beachtet werden

EuGH, Urteil vom 26.01.2023 – Rs. C-403/21

1. Art. 58 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit den in Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie garantierten Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz ist dahin auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber als Eignungskriterien Verpflichtungen vorschreiben kann, die sich aus Spezialvorschriften für Tätigkeiten ergeben, die im Rahmen der Ausführung eines öffentlichen Auftrags möglicherweise durchgeführt werden müssen und die von geringer Bedeutung sind.

2. Die in Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24 garantierten Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz sind dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass die Auftragsunterlagen automatisch durch Qualifikationskriterien ergänzt werden, die sich aus für Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem zu vergebenden Auftrag geltenden Spezialvorschriften ergeben, die in den Auftragsunterlagen nicht vorgesehen sind und die der öffentliche Auftraggeber den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern nicht vorschreiben wollte.

3. Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 ist dahin auszulegen, dass er dem Ausschluss eines Bieters aus dem Vergabeverfahren mit der Begründung, dass er den Unterauftragnehmer nicht benannt habe, dem er die Erfüllung von Verpflichtungen zu übertragen beabsichtige, die sich aus Spezialvorschriften für Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Auftrag ergäben und die in den Auftragsunterlagen nicht vorgesehen seien, entgegensteht, wenn dieser Bieter in seinem Angebot angegeben hat, dass er diese Verpflichtungen unter Inanspruchnahme der Kapazitäten eines anderen Unternehmens erfüllen werde, ohne jedoch mit diesem Unternehmen durch einen Unterauftrag verbunden zu sein.

A
Änderung der Vergabeunterlagen

OLG Bremen, Beschluss vom 04.11.2022 – 2 Verg 1/22

1. Angebote, bei denen Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen wurden, sind von der Wertung auszuschließen. Eine (unzulässige) Änderung der Vergabeunterlagen liegt vor, wenn ein Bieter von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht, er also eine andere als die ausgeschriebene Leistung anbietet.
2. Hält ein Bieter die Vorgaben des Auftraggebers für unzweckmäßig, rechtfertigt dies keine Abweichung von für sich genommen eindeutigen Vorgaben der Leistungsbeschreibung. Es ist Sache des Auftraggebers, den eigenen Bedarf zu definieren.
3. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht dazu verpflichtet, in der Ausschreibung eine weitergehende Vielfalt von technischen Lösungen zuzulassen.
4. Ein Nachprüfungsantrag ist grundsätzlich nur solange der statthafte Rechtsbehelf, solange ein Vergabeverfahren noch nicht durch einen wirksamen Zuschlag abgeschlossen ist.
5. Sobald der Zuschlag wirksam erteilt ist und eine damit verbundene Rechtsverletzung des Bieters nicht mehr verhindert werden kann, können die Vergabenachprüfungsinstanzen nicht mehr in zulässiger Weise angerufen werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur in den beiden in § 135 Abs. 1 GWB genannten Fällen.

A
Änderung des Beschaffungsbedarfs ist sachlicher Aufhebungsgrund

VK Nordbayern, Beschluss vom 06.07.2022 – RMF-SG21-3194-7-16

1. Anders als die Zuschlagsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers wirkt seine Aufhebungsentscheidung nicht als absolute, den Primärrechtsschutz ausschließende Zäsur, so dass die Aufhebungsentscheidung einer Kontrolle im Nachprüfungsverfahren unterzogen werden kann.
2. Als Feststellungsinteresse genügt jedes anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern. Es ist jedenfalls gegeben, wenn die Feststellung zur Vorbereitung eines Schadensersatzanspruchs dient und ein solcher Prozess mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist und nicht offenbar aussichtslos erscheint.
3. Es ist nicht Aufgabe der Vergabekammer – anders als im Fall, in dem die Unwirksamkeit eines Zuschlags gerügt wird – streitig über die Frage, ob ein Zuschlag wirksam zustande gekommen ist, zu befinden.
4. Bieter müssen die Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht nur dann hinnehmen, wenn sie vergaberechtlich zulässig und daher von vornherein rechtmäßig ist. Ein öffentlicher Auftraggeber ist grundsätzlich nicht gezwungen, ein Vergabeverfahren mit der Zuschlagserteilung abzuschließen, auch wenn keiner der zur Aufhebung berechtigenden Tatbestände erfüllt ist. Die vergaberechtlichen Aufhebungsgründe schränken das Recht des Auftraggebers, ein Vergabeverfahren ohne Zuschlag zu beenden, grundsätzlich nicht ein. Sie haben vielmehr Bedeutung für die Abgrenzung einer rechtmäßigen Aufhebung von einer zwar wirksamen, aber rechtswidrigen Beendigung des Vergabeverfahrens.
5. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV ist der öffentliche Auftraggeber berechtigt, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat. Anerkannt ist, dass die Änderung erst nach Einleitung des Vergabeverfahrens, d. h. nach Bekanntmachung, eingetreten sein darf. Zudem ist anerkannt, dass die Änderungen zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens nicht vorhersehbar gewesen sein durften. Dies gilt insbesondere für die Änderung des definierten Beschaffungsbedarfs.
6. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV ist die Entscheidung über die Aufhebung in das Ermessen der Vergabestelle gestellt, da die Vorschrift zur Aufhebung berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung, die nachvollziehbar dokumentiert sein muss, sind die betroffenen Interessen in eine Abwägung einzustellen. Neben den Interessen des Auftraggebers sind daher insbesondere auch die Interessen der Bieter in die Abwägung mit einzubeziehen.

A
Aufhebung ist kein Automatismus

VK Thüringen, Beschluss vom 07.07.2022 – 4003-392-2022-E-004-WAK

1. Auch wenn ein in der einschlägigen Vergabeverordnung normierter Aufhebungsgrund vorliegt, ist die Aufhebung der Ausschreibung vergaberechtswidrig, wenn der Auftraggeber das ihm eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt bzw. dies nicht hinreichend dokumentiert hat.
2. Der Auftraggeber hat – auch wenn ein Aufhebungsgrund vorliegt -zu überlegen und abzuwägen, ob er die Ausschreibung aufhebt. Er hat sämtliche für und gegen eine Aufhebung des Vergabeverfahrens sprechenden Belange seiner selbst und der Bieter gegeneinander abzuwägen. Zu prüfen ist zudem, ob weniger einschneidende Alternativen in Betracht kommen.
3. In einem Vergabeverfahren nach VgV sind die Bieter im Öffnungstermin (weiterhin) nicht zugelassen und die Preise damit zumindest bis auf Weiteres geheim. Die Regelungen über den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen der Unternehmen sind bieterschützend.
4. Verstößt der öffentliche Auftraggeber gegen die Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit, ist er wegen Verletzung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses zum Schadensersatz verpflichtet, wenn dem Bewerber oder Bieter dadurch nachweislich ein Schaden entstanden ist.

B
Bauplatzvergabe muss transparent erfolgen

VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.07.2022 – 1 S 1121/22

1. Der bei gemeindlichen Bauplatzvergaben grundsätzlich bestehende, in Art. 3 Abs. 1 GG wurzelnde sog. Vergabeverfahrensanspruch vermittelt Bewerbern einen Anspruch auf eine ermessens-, insbesondere gleichheitsrechtsfehlerfreie Vergabeentscheidung.
2. Jeder Mitbewerber muss aufgrund seines Anspruchs auf Gleichbehandlung eine faire Chance erhalten, nach Maßgabe der für die spezifische Vergabe wesentlichen Kriterien und des vorgesehenen Verfahrens berücksichtigt zu werden. Das setzt voraus, dass der die Vergabeentscheidung treffende Hoheitsträger etwaige ermessenslenkende Richtlinien im Hinblick auf die Vergabekriterien so klar und eindeutig formuliert, dass jeder verständige Bewerber sie gleichermaßen verstehen, seine Chancen abschätzen und insbesondere erkennen kann, welche Unterlagen er einreichen und welche Angaben er machen muss, um im Vergabeverfahren zugelassen und inhaltlich berücksichtigt zu werden (sog. Transparenzgebot).

B
Beschaffungs- und Rechtsdienstleistung

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.05.2022 – Verg 33/21

1. Der Bereich der Beschaffungsdienstleistung kann gegenüber dem Bereich der Rechtsdienstleistung als eigenständiges Fachlos eingeordnet werden.
2. Kann die benötigte Leistung auch in Form einer Fachlosvergabe erbracht werden, ist zu prüfen, ob von einer losweisen Vergabe ausnahmsweise abgesehen werden kann, etwa weil wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern.
3. Unter technischen und wirtschaftlichen Gründen sind solche zu verstehen, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen.
4. Mit der beruflichen Haupttätigkeit des Beschaffungsdienstleisters sind typischerweise bestimmte Rechtsdienstleistungen verbunden, da der Übergang zwischen bloßer Rechtsanwendung und juristischer Rechtsprüfung fließend ist.

B
Beteiligungsverhältnisse überschritten: Gesellschafter darf abgelehnt werden

EuGH, Urteil vom 01.08.2022 – Rs. C-332/20

1. Art. 58 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 der Kommission vom 18. Dezember 2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer von dem Verfahren zur Gründung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft und zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags an diese Gesellschaft mit der Begründung ausschließen kann, dass, wenn er ihn als Mitgesellschafter auswählen würde, seine nach den Ausschreibungsunterlagen höchstzulässige Beteiligung an der gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft wegen seiner mittelbaren Beteiligung an ihm faktisch überschritten würde, sofern sein wirtschaftliches Risiko dadurch zunimmt.*)
2. Art. 38 der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe, in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2366 der Kommission vom 18. Dezember 2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer von dem Verfahren zur Gründung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft und zur Vergabe einer Dienstleistungskonzession an diese Gesellschaft mit der Begründung ausschließen kann, dass, wenn er ihn als Mitgesellschafter auswählen würde, seine nach den Ausschreibungsunterlagen höchstzulässige Beteiligung an der gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft wegen seiner mittelbaren Beteiligung an ihm faktisch überschritten würde, sofern sein wirtschaftliches Risiko dadurch zunimmt.*)

B
„Billigender Prüfvermerk“ durch den Auftraggeber

VK Bund, Beschluss vom 07.12.2022 – VK 1-95/22

1. Die Wertungsentscheidung kann vom Auftraggeber nicht auf Dritte delegiert werden. Es handelt sich um eine eigenverantwortlich zu treffende Entscheidung des Auftraggebers.
2. Zieht der Auftraggeber – was grundsätzlich zulässig ist – externen Sachverstand bei der Angebotsbewertung hinzu, muss die Wertungsentscheidung dennoch vom Auftraggeber selbst getragen werden.
3. An den “billigenden Prüfvermerk”, mit dem sich der Auftraggeber die Angebotswertungen des externen Dienstleisters zu eigen machen kann, sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Der Vermerk “inhaltlich richtig” oder “einverstanden” auf dem Vergabevermerk reicht bereits aus.

C
Carsharing von E-Fahrzeugen ist Dienstleistungskonzession

EuGH, Urteil vom 10.11.2022 – Rs. C-486/21

1. Art. 5 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die Konzessionsvergabe in der Fassung der Delegierten Verordnung (EU) 2019/1827 der Kommission vom 30.10.2019 ist dahin auszulegen, dass es sich bei einem Vorgang, durch den ein öffentlicher Auftraggeber mit der Einrichtung und Verwaltung eines Systems des Mietens und der gemeinschaftlichen Nutzung (Carsharing) von Elektrofahrzeugen einen Wirtschaftsteilnehmer zu betrauen beabsichtigt, dessen finanzieller Beitrag überwiegend für den Erwerb dieser Fahrzeuge verwendet wird, wobei die Einnahmen dieses Wirtschaftsteilnehmers hauptsächlich aus den von den Nutzern dieser Dienstleistung gezahlten Gebühren stammen werden, um eine „Dienstleistungskonzession“ handelt, da solche Merkmale zu belegen vermögen, dass das Risiko im Zusammenhang mit der Verwertung der konzessionierten Dienstleistungen auf diesen Wirtschaftsteilnehmer übertragen wurde.
2. Art. 8 der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 ist dahin auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Feststellung, ob der Schwellenwert für die Anwendbarkeit dieser Richtlinie erreicht ist, den „Gesamtumsatz ohne Mehrwertsteuer, den der Konzessionsnehmer während der Vertragslaufzeit erzielt“ unter Berücksichtigung der Gebühren, die die Nutzer an den Konzessionsnehmer entrichten werden, sowie der Beiträge und Kosten, die der öffentliche Auftraggeber tragen wird, zu schätzen hat. Der öffentliche Auftraggeber kann jedoch auch davon ausgehen, dass der für die Anwendung der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 vorgesehene Schwellenwert erreicht ist, wenn die Investitionen und Kosten, die vom Konzessionsnehmer allein oder zusammen mit dem öffentlichen Auftraggeber während der gesamten Laufzeit des Konzessionsvertrags zu tragen sind, diesen Schwellenwert offensichtlich überschreiten.
3. Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 in Verbindung mit Anhang V Nr. 7 Buchst. b und dem vierten Erwägungsgrund dieser Richtlinie sowie mit Art. 4 und Anhang XXI Punkt III.1.1 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986 der Kommission vom 11. November 2015 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen für öffentliche Aufträge und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 842/2011 ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber als Eignungskriterium und für die qualitative Bewertung der Bewerber verlangen kann, dass die Wirtschaftsteilnehmer im Handels- oder Berufsregister eingetragen sind, sofern ein Wirtschaftsteilnehmer seine Eintragung im entsprechenden Register in dem Mitgliedstaat, in dem er niedergelassen ist, vorweisen darf.
4. Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 in Verbindung mit Art. 27 dieser Richtlinie und Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2195/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.11.2002 über das Gemeinsame Vokabular für öffentliche Aufträge (CPV) ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein öffentlicher Auftraggeber, der von den Wirtschaftsteilnehmern verlangt, im Handels- oder Berufsregister eines Mitgliedstaats der Union eingetragen zu sein, nicht auf das aus CPV-Codes bestehende Gemeinsame Vokabular für öffentliche Aufträge verweist, sondern auf die Klassifikation NACE Rev. 2, wie sie durch die Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 zur Aufstellung der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige NACE Revision 2 und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates sowie einiger Verordnungen der EG über bestimmte Bereiche der Statistik eingeführt wurde.
5. Art. 38 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 in Verbindung mit Art. 26 Abs. 2 dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber nicht ohne Verstoß gegen den durch Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie gewährleisteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von jedem Mitglied eines befristeten Zusammenschlusses von Unternehmen verlangen kann, in einem Mitgliedstaat im Handels- oder Berufsregister eingetragen zu sein, um die Tätigkeit der Vermietung von Kraftwagen mit einem Gesamtgewicht von 3,5 t oder weniger auszuüben.

C
Chance auf den Zuschlag für Nachprüfungsantrag notwendig

BayObLG, Beschluss vom 20.01.2023 – Verg 14/22

1. Liegt das Angebot eines Bieters auf einem abgeschlagenen Platz, muss er zur Begründung seiner Antragsbefugnis (§ 160 Abs. 2 GWB) schlüssig Vergabeverstöße behaupten, die sich auf die Rangfolge der Angebote in der Weise auswirken können, dass sein Angebot auf eine aussichtsreiche Rangstelle vorrückt, oder die es gebieten, das Vergabeverfahren – bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht – noch weitergehend zurückzuversetzen.
2. Erforderlich ist, dass der Bieter Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorträgt, die einen hinreichenden Verdacht auf den gerügten Vergabeverstoß begründen. Daran fehlt es, wenn die Argumentation des Antragstellers nicht plausibel ist, weil er ihm bekannte Tatsachen ausblendet.

E
Eignungskriterien nicht bekannt gemacht: Schwer wiegender Vergaberechtsverstoß

VK Bund, Beschluss vom 31.08.2022 – VK 2-72/22

1. Ein Bieter ist im Vergabenachprüfungsverfahren nur antragsbefugt, wenn er darlegt, dass ihm durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
2. Bezugspunkt des Schadens hat ein Nachteil zu sein, der kausal auf den Vergabefehler zurückgeht. Im Entgehen einer zweiten Chance liegt kein Schaden, wenn der Vergabefehler nicht ursächlich für die Nichtberücksichtigung des Angebots war.
3. Führt der öffentliche Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung keine Eignungskriterien auf, liegt zwar ein Vergaberechtsverstoß vor. Eine Gesamtbetrachtung des Vorgangs kann aber ergeben, dass es sich um keinen schwer wiegenden Vergabefehler handelt (Abgrenzung zu OLG Düsseldorf, IBR 2018, 640).

E
Einziges Angebot ungeeignet: Verhandlungsverfahren mit nur einem Bieter zulässig

EuGH, Urteil vom 16.06.2022 – Rs. C-376/21

1. Art. 160 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.07.2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1296/2013, (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 1304/2013, (EU) Nr. 1309/2013, (EU) Nr. 1316/2013, (EU) Nr. 223/2014, (EU) Nr. 283/2014 und des Beschlusses Nr. 541/2014/EU sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 und Art. 102 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates in der durch die Verordnung (EU, Euratom) 2015/1929 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Oktober 2015 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie auf von öffentlichen Auftraggebern der Mitgliedstaaten durchgeführte Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge selbst dann keine Anwendung finden, wenn diese Aufträge aus Mitteln der europäischen Struktur- und Investitionsfonds finanziert werden.
2. Art. 32 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2015/2170 der Kommission vom 24.11.2015 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 in der durch die Delegierte Verordnung 2015/2170 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sich ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung an einen einzigen Wirtschaftsteilnehmer wenden darf, wenn dieses Verfahren die ursprünglichen Auftragsbedingungen, die in einem zuvor eingeleiteten Verfahren genannt waren, das eingestellt worden ist, weil das einzige abgegebene Angebot ungeeignet war, ohne grundlegende Änderungen übernimmt, auch wenn der Gegenstand des fraglichen Auftrags objektiv keine Besonderheiten aufweist, die es rechtfertigen, seine Ausführung nur diesem Wirtschaftsteilnehmer anzuvertrauen.

E
eVergabe: Beschaffungsdienstleister darf Angebote öffnen

VK Südbayern, Beschluss vom 16.05.2022 – 3194.Z3-3_01-21-62

1. Beantwortet ein öffentlicher Auftraggeber eine Bieterfrage nicht eindeutig, so kann ein Bieter, der in seinem Angebot eine vertretbare Interpretation der Antwort berücksichtigt, nicht wegen Änderungen der Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden.
2. Die Vergabekammer hält für mit elektronischen Mitteln nach § 10 und § 11 VgV geführte Vergabeverfahren nicht mehr an ihrer im Beschluss vom 02.01.2018 (IBR 2018, 343, zu einem in Papier durchgeführten Vergabeverfahren) geäußerten Rechtsauffassung fest. Durch die Nutzung von Vergabeplattformen zur Angebotsabgabe und Angebotseröffnung, aufgrund der umfassenden elektronischen Protokollierung der Angebotsschritte ist die Gefahr von Manipulationen verschwindend gering.

F
Fachpersonal muss schon bei Angebotsabgabe zur Verfügung stehen

VK Sachsen, Beschluss vom 01.08.2022 – 1/SVK/010-22

1. Nimmt eine Bietergemeinschaft an einem Vergabeverfahren teil, muss die Rüge eines Vergaberechtsverstoßes von sämtlichen Mitgliedern der Bietergemeinschaft geltend gemacht werden. Macht hingegen lediglich ein Mitglied der Bietergemeinschaft die Verletzung von Bewerber- oder Bieterrechten geltend, ist ein späterer Nachprüfungsantrag der Bietergemeinschaft mangels ordnungsgemäßer Rüge unzulässig, wenn die Bietergemeinschaft das Mitglied nicht zur Rüge ermächtigt hat oder die Ermächtigung nicht spätestens mit der Rüge offengelegt wird.
2. Es ist nicht erforderlich, dass dem Bieter im Zeitpunkt der Wertung der Angebote oder der Zuschlagserteilung die zur Leistungserbringung erforderlichen Mittel bereits zur Verfügung stehen. Dies gilt auch für Personal, das erst auf der Grundlage des erteilten Auftrags für den Bieter erforderlich ist und arbeitsvertraglich gebunden werden muss. Etwas anderes gilt dann, wenn es sich bei den zu vergebenden Dienstleistungen um solche handelt, für die auf dem Arbeitsmarkt nur eine begrenzte Anzahl an geeigneten Mitarbeitern zur Verfügung steht, so dass von einer jederzeitigen Verfügbarkeit nicht ohne weiteres ausgegangen werden kann. In einem solchen Fall ist erforderlich, dass der Bieter in seinem Angebot konkret darlegen kann, aus welchen Gründen ihm das zur Auftragserfüllung erforderliche Personal bei Vertragsbeginn tatsächlich zur Verfügung stehen wird.

F
Funktionaler Ausschreibung: Angebote müssen vergleichbar sein

VK Westfalen, Beschluss vom 17.02.2023 – VK 3-48/22

1. Eine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB kommt jedenfalls bei offensichtlichen, ins Auge fallenden Rechtsverstößen in Betracht, die einem Bieter bei der bloßen Durchsicht der Vergabeunterlagen auffallen bzw. sich ihm aufdrängen müssen. Unter einem sich Aufdrängen fällt auch ein bewusstes Sich-der-Erkenntnis-Verschließen. Ein Unternehmer verschließt sich der Erkenntnis eines Vergaberechtsverstoßes, wenn er als Teilnehmer eines Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb einen Vergaberechtsverstoß erst nach Abgabe des finalen Angebots rügt, obwohl er sich mit den Vergabeunterlagen bereits zur Erstellung eines ersten indikativen Angebots intensiv auseinandersetzen musste und die streitigen Ausschreibungsunterlagen nicht nur gelesen, sondern auch angewendet hat.
2. Ein Zuschlags(unter)kriterium soll dem Auftraggeber eine weitergehende Differenzierung zwischen den Angeboten ermöglichen, um auf dieser Grundlage eine nachvollziehbare Auswahlentscheidung treffen zu können. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es im Rahmen der Bewertung einen Punktwert erhält und sich dieser in der Gesamtwertung wiederfindet. In Abgrenzung hierzu sind mit Blick auf den einem öffentlichen Auftraggeber bei der Wertung zukommenden Beurteilungsspielraum nicht sämtliche Überlegungen, die er im Rahmen der Wertung anstellt, gleich Zuschlagskriterien. Ein öffentlicher Auftraggeber muss sich mit den Angebotsinhalten auseinandersetzen und diese unter die Zuschlagskriterien subsumieren können.
3. Im Rahmen einer funktionalen Ausschreibung überlässt der Auftraggeber dem Wettbewerb Rahmenbedingungen zur Lösung einer Aufgabe. Er ist zur Vorgabe von Lösungsvorschlägen nicht verpflichtet. Das gilt nicht nur bei standardisierten Leistungen, sondern auch bei einem komplexen Auftragsgegenstand. Diesbezüglich ist allerdings zu berücksichtigen, dass mit steigender Komplexität wechselwirkend die Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit der vorgegebenen Rahmenbedingungen steigen. Die Offenheit des Verhandlungsverfahrens darf nicht dazu führen, dass Bieter nicht mehr miteinander vergleichbare Angebote abgeben bzw. nicht mehr erkennen können, was von ihnen verlangt ist.

G
Geschäftsgeheimnisse

EuGH, Urteil vom 17.11.2022 – Rs. C-54/21

1. Art. 18 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 50 Abs. 4 und Art. 55 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge, nach denen die den öffentlichen Auftraggebern von den Bietern übermittelten Informationen – mit Ausnahme allein der Geschäftsgeheimnisse – vollständig zu veröffentlichen oder den anderen Bietern mitzuteilen sind, sowie einer Praxis der öffentlichen Auftraggeber, die darin besteht, Anträgen auf vertrauliche Behandlung wegen Geschäftsgeheimnissen systematisch stattzugeben, entgegenstehen.
2. Art. 18 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 und Art. 55 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 sind dahin auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber
– bei der Entscheidung darüber, ob er einem Bieter, dessen ordnungsgemäßes Angebot abgelehnt wurde, den Zugang zu den Informationen verweigert, die die anderen Bieter zu ihrer einschlägigen Erfahrung und den entsprechenden Referenzen, zur Identität und zu den beruflichen Qualifikationen der für die Ausführung des Auftrags vorgeschlagenen Personen oder von Unterauftragnehmern, zur Konzeption der Projekte, die im Rahmen des öffentlichen Auftrags durchgeführt werden sollen, und zur Art und Weise seiner Ausführung vorgelegt haben, zu beurteilen hat, ob diese Informationen einen wirtschaftlichen Wert haben, der sich nicht auf den fraglichen öffentlichen Auftrag beschränkt, so dass ihre Offenlegung berechtigte geschäftliche Interessen oder den lauteren Wettbewerb beeinträchtigen kann;
– im Übrigen den Zugang zu diesen Informationen verweigern kann, wenn ihre Offenlegung, selbst wenn sie keinen solchen wirtschaftlichen Wert haben, den Gesetzesvollzug behindern würde oder sonst einem öffentlichen Interesse zuwiderliefe;
– dem Bieter, wenn der vollständige Zugang zu den Informationen verweigert wird, Zugang zum wesentlichen Inhalt der betreffenden Informationen gewähren muss, damit die Wahrung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleistet ist.
3. Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 ist im Licht ihres Art. 67 Abs. 4 dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass die Zuschlagskriterien das “Arbeitskonzept” für die Entwicklung der Projekte, die im Rahmen des betreffenden öffentlichen Auftrags durchgeführt werden sollen, und die “Beschreibung der Art und Weise der Auftragsausführung” umfassen, sofern diese Kriterien mit Präzisierungen versehen sind, die es dem öffentlichen Auftraggeber ermöglichen, die eingereichten Angebote konkret und objektiv zu beurteilen.
4. Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass dann, wenn bei der Behandlung eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags festgestellt wird, dass der öffentliche Auftraggeber verpflichtet ist, dem Rechtsbehelfsführer Informationen offenzulegen, die zu Unrecht als vertraulich behandelt wurden, und dass aufgrund der fehlenden Offenlegung dieser Informationen gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verstoßen wurde, diese Feststellung nicht zwingend zum Erlass einer neuen Entscheidung über die Vergabe des Auftrags durch diesen Auftraggeber führen muss, sofern es das nationale Verfahrensrecht dem angerufenen Gericht erlaubt, während des Verfahrens Maßnahmen zu ergreifen, durch die das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf wieder gewahrt wird, oder davon auszugehen, dass der Rechtsbehelfsführer gegen die bereits ergangene Vergabeentscheidung einen neuen Rechtsbehelf einlegen kann. Die Frist für die Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs darf erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, zu dem der Rechtsbehelfsführer Zugang zu allen Informationen hat, die zu Unrecht als vertraulich eingestuft worden waren.

H
Hyperbolische Preisbewertungsformel

OLG Celle, Beschluss vom 07.07.2022 – 13 Verg 4/22

1. Zur Antragsbefugnis im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, wenn nach der Bewertung der Angebote die fehlende Bekanntgabe der – hyperbolischen – Preisbewertungsformel in den Vergabeunterlagen beanstandet wird.
2. Zur Frage, ob die gewählte – hyperbolische – Preisbewertungsformel in den Vergabeunterlagen bekannt gegeben werden muss (vgl. EuGH, IBR 2016, 530 – Dimarso).
3. Zur Frage, welche Anforderungen an die vom EuGH geforderte Festlegung der Bewertungsmethode vor Angebotsöffnung zu stellen sind, wenn die Preisbewertungsformel durch die vom Auftraggeber verwendete Vergabesoftware fest vorgegeben ist.
3. Zum Ausgleich eines Informationsvorsprungs eines Bieters, der in einem in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzten Vergabeverfahren ein Informationsschreiben gem. § 134 Abs. 1 GWB erhalten hatte, und zur Rügepräklusion in diesem Fall.

I
Inhouse-Auftrag

EuGH, Urteil vom 12.05.2022 – Rs. C-719/20

Die Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift oder Praxis entgegensteht, nach der die Ausführung eines öffentlichen Auftrags, der ursprünglich ohne Ausschreibung an eine Inhouse-Einrichtung vergeben wurde, über die der öffentliche Auftraggeber gemeinsam mit anderen eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübte, automatisch von dem Wirtschaftsteilnehmer fortgesetzt wird, der diese Einrichtung nach einer Ausschreibung übernommen hat, wenn der öffentliche Auftraggeber über diesen Wirtschaftsteilnehmer keine solche Kontrolle ausübt und auch nicht an dessen Kapital beteiligt ist.

K
Kenntnis vom Angebotsinhalt

EuGH, Urteil vom 15.09.2022 – Rs. C-416/21

1. Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 d der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 der Kommission vom 18.12.2017 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2364 der Kommission vom 18.12.2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der in diesem Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d genannte fakultative Ausschlussgrund Situationen, in denen hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Wirtschaftsteilnehmer eine gegen Art. 101 AEUV verstoßende Vereinbarung geschlossen haben, erfasst, aber nicht auf die in diesem Artikel angeführten Vereinbarungen beschränkt ist.
2. Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 in der durch die Delegierte Verordnung 2017/2365 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25 in der durch die Delegierte Verordnung 2017/2364 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass dieser Art. 57 Abs. 4 die fakultativen Ausschlussgründe abschließend regelt, mit denen der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren aus Gründen gerechtfertigt werden kann, die sich, gestützt auf objektive Anhaltspunkte, auf seine berufliche Eignung sowie auf einen Interessenkonflikt oder eine aus seiner Einbeziehung in dieses Verfahren resultierende Wettbewerbsverzerrung beziehen. Aus diesem Art. 57 Abs. 4 ergibt sich jedoch nicht, dass der in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 in der durch die Delegierte Verordnung 2017/2364 geänderten Fassung vorgesehene Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen könnte.

K
Konzernverbundenheit

VK Bund, Beschluss vom 03.06.2022 – VK 1-45/22

1. Im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb prüft der öffentliche Auftraggeber die Eignung der am Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Dadurch wird mit der positiven Eignungsprüfung – anders als im offenen Verfahren – grundsätzlich ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen begründet.
2. Voraussetzung für einen solchen Vertrauenstatbestand ist jedoch, dass der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Bieter abschließend bejaht hat, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Hieran fehlt es, wenn der Bieter bis zum Abschluss des Teilnahmewettbewerbs nicht alle zur abschließenden Prüfung seiner Eignung erforderlichen Unterlagen eingereicht hat.
3. Ein Bewerber oder Bieter, der selbst nicht über die erforderliche Eignung verfügt, kann sich zwar im Rahmen der sog. Eignungsleihe auf die Eignung eines anderen Unternehmens – ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesem Unternehmen bestehenden Verbindungen – berufen.
4. Es besteht für Bewerber oder Bieter eine Nachweispflicht dafür, dass ihnen die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, wenn sie sich für einen bestimmten Auftrag auf die Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen berufen. Zu den “anderen” Unternehmen im Sinne der Eignungsleihe zählen auch Unternehmen innerhalb eines Konzernverbunds, auf deren Eignung sich der Bewerber oder Bieter stützen will.
5. Die bloße Konzernverbundenheit selbst genügt noch nicht für den Nachweis, dass der Bewerber tatsächlich auf die Kapazitäten oder Fähigkeiten eines verbundenen Unternehmens zurückgreifen kann. Auch in diesen Fällen muss vom Bewerber nachgewiesen werden, dass ihm die Kapazitäten des Unternehmens zur Verfügung stehen.

K
Korrektur von Vergaberechtsfehlern ist sachlicher Aufhebungsgrund

VK Bund, Beschluss vom 13.06.2022 – VK 2-52/22

1. Unabhängig davon, ob ein Aufhebungsgrund vorliegt, kann ein öffentlicher Auftraggeber von einem Vergabeverfahren grundsätzlich Abstand nehmen.
2. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Aufhebung der Ausschreibung aufgrund Fehlens eines sachlich gerechtfertigten Grunds willkürlich ist oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zum Schein und tatsächlich zu dem Zweck erfolgt, einen Bieter gezielt zu diskriminieren.
3. Die Korrektur von Vergaberechtsfehlern ist ein sachlicher Aufhebungsgrund, wenn eine Manipulation des Vergabeverfahrens hierdurch ausgeschlossen ist. Das gilt insbesondere auch für Aufhebungen, die nach unzureichender Bekanntmachung der Eignungskriterien eine regelrechte Eignungsprüfung der Bieter ermöglichen sollen.

K
Kritische Bauaufgabe: Unterauftragsvergabe unzulässig

VK Lüneburg, Beschluss vom 14.10.2022 – VgK-17/2022

1. Die Eignungskriterien sind in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen. Die früher angewandte Praxis, die Eignungskriterien erst in Vergabeunterlagen mitzuteilen, ist nicht mehr zulässig.
2. Die Eignungskriterien müssen in der Bekanntmachung eindeutig und abschließend beschrieben sein müssen. Ein Verweis genügt nicht. Der (potentielle) Bieter und Bewerber soll sich bereits aufgrund der Bekanntmachung überlegen können, ob er die festgelegten Eignungskriterien erfüllen kann.
3. Eine Mindestanforderung an die Eignung ist vorschriftsgemäß bekannt gemacht, wenn in der Bekanntmachung durch einen Link auf die Internetseite der Vergabestelle verwiesen wird und die interessierten Unternehmen durch bloßes Anklicken zum entsprechenden Formblatt gelangen können (Abschluss an OLG Düsseldorf, IBR 2012, 1336 – nur online).

L
Leistungsansatz als Wertungskriterium

VK Bund, Beschluss vom 07.06.2022 – VK 2-40/22

1. Bei der Bewertung möglicher Gründe für den niedrigen Angebotspreis ist zu berücksichtigen, dass bei Reinigungsdienstleistungen, die personalintensiv sind, der ganz überwiegende Anteil des Preises auf die Lohnkosten entfällt.
2. Da die Löhne im Gebäudereiniger-Handwerk durch allgemeinverbindliche Tarifverträge geregelt sind, eröffnet die Höhe der Löhne keinen Wettbewerbsspielraum.
3. Ein Angebot mit einem hohen Leistungsansatz ist zwangsläufig günstiger als ein solches mit einem niedrigen Ansatz, da weniger Personal zum Einsatz kommt. Wird aber auf der einen Seite der hohe Leistungsansatz mit Pluspunkten belohnt, kann nicht auf der anderen Seite die zwangsläufige Folge des entsprechend niedrigeren Preises als Kehrseite derselben Medaille zum Ausschluss wegen fehlender Auskömmlichkeit führen.

M
Missverständliche Angaben sind nicht irreführend

BayObLG, Beschluss vom 29.07.2022 – Verg 16/21

1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme am Verfahren ausschließen, wenn es fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung erheblich beeinflussen könnten, oder versucht hat, solche Informationen zu übermitteln. Das gilt für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber.
2. Irreführend ist eine Information, wenn sie bei objektiver Betrachtung dazu geeignet ist, beim öffentlichen Auftraggeber einen Irrtum über deren Inhalt hervorzurufen. Hierunter fallen vorrangig Erklärungen, die bereits für sich genommen nicht der Wahrheit entsprechen, in Betracht kommen auch Angaben, die aufgrund der Umstände falsch zu verstehen sind.
3. Nicht jede Widersprüchlichkeit oder Unklarheit eines Angebots, eines Teilnahmeantrags oder einer sonstigen Erklärung eines Unternehmens im Vergabeverfahren, die einer Aufklärung zugänglich ist, kann bereits für sich genommen als (versuchte) Irreführung des Auftraggebers aufgefasst werden.
4. Angaben zu missverständlichen, mehrdeutigen oder unklaren Vorgaben sind nicht ohne weiteres objektiv falsch bzw. irreführend. Auch bei unvollständigen oder lückenhaften Angaben ist kritisch zu prüfen, ob ihnen ein konkreter, irreführender Aussagegehalt beigemessen werden kann.

N
Nachunternehmer nicht geeignet

VK Rheinland, Beschluss vom 07.06.2022 – VK 4/22

1. Ein im Zusammenhang mit der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit zu prüfendes Unterkriterium ist die Erfahrung aus früher ausgeführten Aufträgen.
2. Der öffentliche Auftraggeber kann sich Ansprechpartner und Kontaktdetails nennen lassen, um bei den Referenzgebern Informationen über die Eignung der Unternehmen einzuholen.
3. Dem öffentlichen Auftraggeber kommt hinsichtlich der Vergleichbarkeit von Referenzen ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.
4. Im Rahmen der Eignungsleihe nach § 47 VgV ist es auch zulässig, dass ein Bieter (als Generalunternehmer) sämtliche Leistungen von Nachunternehmern erbringen lässt.
5. Etwaige Eignungsmängel des (im Rahmen der Eignungsleihe) benannten Dritten schlagen unmittelbar auf den Bieter durch.
6. Es gibt (für den öffentlichen Auftraggeber) Zumutbarkeitsgrenzen hinsichtlich der Erkenntnissicherheit über die Eignung. Selbst Umstände, die eine fehlende Eignung begründen, müssen nicht mit einer prozessualen Tatsachenfeststellungen Genüge leistenden Gewissheit feststehen.

O
oHG muss auf Gesellschaftermittel zurückgreifen: Eigene und Gesellschafter-EEE vorzulegen

EuGH, Urteil vom 10.11.2022 – Rs. C-631/21

Art. 59 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 und Art. 63 dieser Richtlinie sowie Anhang 1 der Durchführungsverordnung (EU) 2016/7 der Kommission vom 05.01.2016 zur Einführung des Standardformulars für die Einheitliche Europäische Eigenerklärung ist dahin auszulegen, dass ein Gemeinschaftsunternehmen, das – ohne eine juristische Person zu sein – die Form einer Gesellschaft hat, die dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats unterliegt, in dessen Handelsregister eingetragen ist, sowohl vorübergehender als auch dauerhafter Natur sein kann und deren Gesellschafter auf dem gleichen Markt tätig sind wie das Unternehmen und gesamtschuldnerisch für die ordnungsgemäße Erfüllung der vom Unternehmen eingegangenen Verpflichtungen haften, dem öffentlichen Auftraggeber ausschließlich seine eigene Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) vorlegen muss, wenn es in eigenem Namen an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags teilnehmen oder ein Angebot abgeben möchte und den Nachweis erbringt, dass es den in Rede stehenden Auftrag ausschließlich mit eigenem Personal und Material ausführen kann. Meint das Gemeinschaftsunternehmen hingegen, für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags auf die Mittel bestimmter Gesellschafter zurückgreifen zu müssen, ist dies als eine Inanspruchnahme der Kapazitäten anderer Unternehmen gemäß Art. 63 der Richtlinie 2014/24 zu betrachten, und das Unternehmen muss dann nicht nur seine eigene EEE, sondern auch eine EEE für jeden Gesellschafter vorlegen, dessen Kapazitäten es in Anspruch nehmen möchte.

P
Prämierter Wettbewerbsentwurf darf für Planungswettbewerb verwendet werden

VK Südbayern, Beschluss vom 21.07.2022 – 3194.Z3-3_01-21-78

1. Die Verpflichtung eines Wettbewerbsteilnehmers zur Wahrung der Anonymität der Wettbewerbsarbeit verbietet nicht grundsätzlich einen bereits veröffentlichten Entwurf nahezu unverändert (erneut) in einen Wettbewerb einzubringen.
2. Solange während der Preisgerichtssitzungen oder der Bewertung der Wettbewerbsarbeiten die Identität des Bieters nicht offenkundig wird, bleibt die Anonymität der Wettbewerbsarbeit gewahrt. Dies gilt auch, wenn einzelnen Mitgliedern des Preisgerichts die Ähnlichkeit der Wettbewerbsarbeit mit einer bereits bekannten Arbeit auffällt, solange die Grenze zur Befangenheit nicht überschritten wird.
3. Die Protokolle der Vorbesprechung des Preisgerichts und der Preisgerichtssitzung haben negative Beweiskraft. Wird darin nicht erwähnt, dass über eine für die Durchführung des Wettbewerbs bedeutsame Sache gesprochen oder diskutiert wurde, so ist davon auszugehen, dass ein Austausch darüber auch nicht stattfand.

P
Präqualifikation befreit nicht von geforderten Nachweisen

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.06.2022 – Verg 19/22

1. Die Teilnahme am Präqualifikationssystem dient der Entlastung des Bieters von der Beibringung der Eignungsnachweise, nicht jedoch ihrer Ersetzung. Die Erleichterung in Bezug auf die Beibringung ändert nichts daran, dass die Erfüllung der Eignungskriterien grundsätzlich vom Bieter nachzuweisen ist.
2. Die inhaltlichen Anforderungen an die Eignung und ihre Nachweise müssen für jeden Bieter gleich sein, unabhängig davon, ob dieser präqualifiziert ist oder nicht. Auch bei einem präqualifizierten Bieter hat der öffentliche Auftraggeber daher zu prüfen, ob die im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten Nachweise, die im konkreten Verfahren geforderten Eignungsangaben und Nachweise abdecken.
3. Fordert der öffentliche Auftraggeber die Angabe dreier mit der zu vergebenden Leistung vergleichbarer Referenzen, kann nur der Bieter die verlangten Angaben allein mit Verweis auf seine Eintragung im Präqualifikationsverzeichnis leisten, für den dort drei Nachweise über mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbare Leistungen hinterlegt sind. Die Eintragung ersetzt insoweit lediglich die Eintragung in der Eigenerklärung Eignung.

P
Prüf- und Überwachungsstellen als Nachunternehmer

BayObLG, Beschluss vom 31.08.2022 – Verg 18/21

1. An eindeutige Angaben in seinem Angebot ist der Bieter gebunden.
2. Weist der Auftraggeber den Bieter im Rahmen des Aufklärungsgesprächs darauf hin, dass die vom Bieter vorgesehene Ausführungsvariante nicht möglich ist, und passt der Bieter daraufhin sein Angebot an, liegt eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor. Ein Angebot ist bei einer Aufklärung in seinem Inhalt unverändert zu belassen.
3. Auf die Unterscheidung zwischen einer zulässigen Klarstellung des Angebotsinhalts und einer unzulässigen nachträglichen Änderung des Angebots kommt es auch dann an, wenn eine falsche Angabe versehentlich erfolgte oder anfechtbar ist.
4. Als Nachunternehmer wird ein Unternehmen bezeichnet, das Teile der ausgeschriebenen und vom Bieter zu erbringenden Leistung ausführt, ohne selbst in einem unmittelbaren vertraglichen Verhältnis zum Auftraggeber zu stehen. Der Nachunternehmer steht nur zum Bieter in Vertragsbeziehungen.
5. Unternehmer, die selbst keine Teile der in Auftrag gegebenen Bauleistung erbringen, sondern in Hilfsfunktionen tätig sind oder Hilfsleistungen übernehmen, wie z. B. Lieferanten von Baustoffen oder Verleiher von Baumaschinen, sind schon begrifflich keine Nachunternehmer.
6. Prüf- und Überwachungsstellen können Nachunternehmer sein. Leistungen anerkannter Prüfstellen werden allerdings nicht als Nachunternehmerleistungen qualifiziert, wenn die Prüfung per se nicht durch einen Bieter erbracht werden kann. Etwas anderes gilt, wenn auch ein Bieter grundsätzlich die Möglichkeit hat, die Leistung nach entsprechender Qualifikation zu erbringen.
R
Rechtzeitige Rüge notwendig, andernfalls Vergabenachprüfungsantrag unzulässig
VK Thüringen, Beschluss vom 20.12.2022 – 4003-404-2022-E-V-009-EF
1. Ein Antrag auf Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens ist gem. § 160 Abs. 3 GWB unzulässig, wenn der Bieter/Antragsteller erkannte bzw. erkennbare Vergaberechtsverstöße nicht rechtzeitig gegenüber dem Auftraggeber gerügt hat.
2. Die Präklusionsvorschriften des § 160 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB sind nicht unionsrechtswidrig, da diese Regeln hinreichend genau, klar und vorhersehbar festlegen, wie und bis zu welcher Frist der Interessent/Bieter potentielle Vergaberechtsverstöße rügen muss.

R
Reinigungsleistungen können sicherheitsempfindliche Tätigkeiten sein

VK Bund, Beschluss vom 22.12.2022 – VK 2-100/22

1. Öffentliche Auftraggeber können besondere Bedingungen für die Ausführung des Auftrags festlegen, die mit dem Auftragsgegenstand entsprechend stehen. Diese müssen sich aus der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen ergeben und können insbesondere den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen umfassen.
2. Reinigungsleistungen in einer Liegenschaft, in denen Verschlusssachen anfallen, auf die sich eingesetztes Reinigungspersonal grundsätzlich Zugriff verschaffen könnte, sind sicherheitsempfindliche Tätigkeiten.
3. Der Auftraggeber kann verlangen, dass der Auftragnehmer nach Erhalt des Zuschlags die für die Sicherheitsüberprüfung erforderlichen Formulare für die einzusetzenden Personen bei ihm einreicht.

S
Schwere berufliche Verfehlung

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.06.2022 – Verg 36/21

1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Unternehmen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird.
2. Der Begriff “Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit” umfasst jedes fehlerhafte Verhalten, das Einfluss auf die berufliche Glaubwürdigkeit des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers hat.
3. Eine Form beruflichen Fehlverhaltens stellt die Verletzung von Wettbewerbsregeln oder Rechten des geistigen Eigentums dar, weshalb die Verletzung eines fremden gewerblichen Schutzrechts wie eines Patentrechts eine schwere berufliche Verfehlung darstellen kann.
4. Ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund vorliegt, wird nicht von der Teilnahme an dem Vergabeverfahren ausgeschlossen, wenn es dem öffentlichen Auftraggeber oder dem Bundeskartellamt nachgewiesen hat, dass es für jeden durch eine Straftat oder ein Fehlverhalten verursachten Schaden einen Ausgleich gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat, die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend geklärt hat und konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten zu vermeiden.
5. Eines Schadensausgleichs bedarf es nicht, wenn durch die Straftat kein ausgleichungsfähiger materieller Schaden verursacht wurde.

T
„Technische Fachkräfte”
KG, Beschluss vom 10.05.2022 – Verg 2/21

1. “Technische Fachkräfte” i.S.d. § 46 Abs. 3 Nr. 2 VgV sind Fachkräfte, deren Leistungen eine durch Qualifikationen und Berufserfahrung belegbare besondere Fachkunde erfordern.
2. Maßgeblich für die Eignungsprüfung nach § 57 Abs. 1 VgV sind alleine die in der Auftragsbekanntmachung festgelegten Eignungskriterien und die dort für ihren Beleg geforderten Nachweise (§ 122 Abs. 4 Satz 2 GWB, § 48 Abs. 1 VgV). Gefordert werden kann danach nur, was sich der Ausschreibung nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 157 BGB) aus Sicht der angesprochenen Unternehmen entnehmen lässt.
3. Der im Vergabenachprüfungsverfahren gewährte Rechtsschutz ist rügebezogen. Es ist den Nachprüfungsinstanzen daher verwehrt, nicht gerügte Rechtsverletzungen von Amts wegen in das Verfahren einzuführen. Macht ein Beteiligter eine solche Rechtsverletzung zum Gegenstand seiner Rüge, ist sie aber, soweit zulässig und insbesondere nicht präkludiert (§ 160 Abs. 3 GWB), zu berücksichtigen.

T
„Textform“ für Nachforderungsschreiben

VK Lüneburg, Beschluss vom 19.09.2022 – VgK-16/2022

1. Im Rahmen einer E-Vergabe hat die gesamte Bieterkommunikation in “Textform” stattzufinden.
2. An die Textform werden erheblich geringere Anforderungen als an die Schriftform gestellt. Die Textform verlangt die Nennung der Person des Erklärenden. Gleichgültig ist, wo der Name des Erklärenden genannt wird. Möglich ist also eine Nennung in einer faksimilierten Unterschrift, aber etwa auch im Kopf oder Inhalt der Erklärung.
3. Die Textform kann ihre Funktion – Information und Dokumentation von Erklärungen – nur dann erfüllen, wenn für den Empfänger ersichtlich ist, ob die Erklärung rechtlich bindend sein soll und vollständig ist. Daher muss bei der Textform der Abschluss der Erklärung erkennbar gemacht werden.
4. Die Kenntlichmachung des Abschlusses der Erklärung kann auf verschiedene Weise erfolgen, etwa durch die Nennung des Namens am Textende, ein Faksimile, eine eingescannte Unterschrift, den Zusatz “Diese Erklärung ist nicht unterschrieben”, aber auch durch eine Datierung oder eine Grußformel.
5. Lässt sich der Aussteller eines Schreibens sowohl der E-Mail-Adresse im Briefkopf als auch dem abgedruckten Namen unter der Grußformel entnehmen, genügt das Schreiben dem Textformerfordernis.

U
Übermittlungsrisiko ist Bieterrisiko

VK Rheinland, Beschluss vom 28.06.2022 – VK 39/21

1. Eine Zuständigkeit der Vergabe-Nachprüfungsinstanzen kann weder durch eine Angabe in der Bekanntmachung noch durch Parteivereinbarung begründet werden.
2. Zur Abgrenzung einer Konzession von einem öffentlichen Auftrag und von einem Mietvertrag.
3. Unaufklärbare Widersprüche in Vergabebedingungen sind grundsätzlich als Vergabeverstoß erkennbar.
4. Auch bei Konzessionsvergaben sind wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes Angebote, denen geforderte Unterlagen nicht beigefügt sind, zumindest nach erfolgloser Nachforderung auszuschließen.
5. Für die Rechtzeitigkeit des Eingangs und die Vollständigkeit des Angebots trägt grundsätzlich der Bieter die Beweislast. Auch das Übermittlungsrisiko liegt im Grundsatz bei ihm. Die Vergabestelle muss die Gründe für eine Unvollständigkeit des Angebots nicht aufklären.
6. Bejaht ein Auftraggeber im Teilnahmewettbewerb die Eignung eines Bewerbers, begründet er zu dessen Gunsten einen Vertrauenstatbestand. Ob dies einem rechtsschutzsuchenden anderen Unternehmen entgegengehalten werden kann, ist dagegen zweifelhaft.
7. Bei der Eignungsprüfung darf der Auftraggeber von einer Überprüfung von Eigenerklärungen absehen, soweit keine begründeten Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.
8. Nach Auslegung verbleibende Unklarheiten und Widersprüche bei Eignungsanforderungen gehen grundsätzlich zu Lasten des Auftraggebers.
9. Zur Ermittlung der Verwaltungsgebühr für die Tätigkeit der Vergabekammer bei einer Konzession.

U
Unklare Vergabeunterlagen

OLG Koblenz, Beschluss vom 23.05.2022 – Verg 2/22

1. Mehrdeutige und damit unklare Vergabeunterlagen verstoßen gegen das Transparenzgebot und sind vergaberechtswidrig.
2. Ob die Vergabeunterlagen mehrdeutig sind, ist aus Sicht der durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt zu beurteilen.
3. Ein Verstoß gegen den Transparenzgrundsatz liegt nur dann vor, wenn die Vorgaben und Formulierungen in den Vergabeunterlagen auch nach erfolgter Auslegung noch mehrdeutig sind.
4. Die Mehrdeutigkeit der Vergabeunterlagen ist für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter zumindest erkennbar und muss daher bis spätestens zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden.

U
Unschuldsvermutung
VK Südbayern, Beschluss vom 06.07.2022 – 3194.Z3-3_01-21-72

1. Nach Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. § 47 Abs. 1 Satz 3 VgV können sich Wirtschaftsteilnehmer in Bezug auf die Kriterien für die einschlägige berufliche Erfahrung (dies sind nach Art. 58 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in der Regel Referenzen) nur dann auf die Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen stützen, wenn das andere Unternehmen auch die Arbeiten ausführt bzw. die Dienstleistung erbringt, für die die Leistungsfähigkeit nachzuweisen ist. Das bedeutet hinsichtlich der durch eine Referenz nachzuweisenden beruflichen Erfahrung, dass alle Teile der ausgeschriebenen Leistung, für welche eine Referenz zu erbringen war und für die der Bieter nicht auf eine eigene Referenz zurückgreifen kann, von dem Unternehmen auszuführen sind, auf dessen Leistungsfähigkeit – nämlich die durch eine Referenz nachzuweisende berufliche Erfahrung – sich der Bieter stattdessen stützen will.
2. Ein allgemeines Berufen darauf, dass Mitarbeitende der eignungsverleihenden Unternehmen, die an den entsprechenden Referenzaufträgen beteiligt waren, dem neu gegründeten Tochterunternehmen über den gesamten Leistungszeitraum irgendwie zur Verfügung stehen, kann aufgrund des deutlichen Wortlauts des Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU und des § 47 Abs. 1 Satz 3 VgV angesichts der Intention des Richtliniengebers, die Eignungsleihe stärker zu reglementieren, nicht ausreichen.
3. Hat ein Unternehmen überhaupt keine eigenen, bei der Eignungsprüfung zu berücksichtigenden Referenzen, muss das die Eignung „verleihende“ Unternehmen die gesamten von der Referenz umfassten Leistungen ausführen.
4. Hat der Auftraggeber zulässigerweise nach Art. 4 Abs. 7 der Verordnung (EG) 1370/2007 ein Selbstausführungsgebot bzgl. eines bedeutenden Teils der öffentlichen Personenverkehrsdienste festgelegt, kann ein Unternehmen in diesem Umfang keine Eignungsleihe durch Berufen auf Referenzen anderer Unternehmen in Anspruch nehmen, wenn diese nach § 47 Abs. 1 S. 3 VgV die Leistung erbringen müssten.
5. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB setzt voraus, dass nur das Unternehmen vom Verfahren ausgeschlossen werden kann, das selbst eine wettbewerbsbeschränkende Absprache getroffen hat. Eine Zurechnung des Verhaltens anderer, auch konzernverbundener Unternehmen sieht weder § 124 GWB noch Art. 57 der Richtlinie 2014/24/EU vor.
6. Die bloße Durchführung von kartellbehördlichen Ermittlungsmaßnahmen reicht regelmäßig noch nicht aus, um einen Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu begründen.

U
Unterauftragnehmer
VK Bund, Beschluss vom 26.04.2022 – VK 2-34/22

1. Antragsbefugt im Vergabenachprüfungsverfahren ist jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht.
2. Die Antragsbefugnis setzt ein Interesse des jeweiligen Antragstellers am Auftrag voraus. Dieses Auftragsinteresse muss in Bezug auf den Antragsteller selbst gegeben sein.
3. Fallen Antragsteller und Teilnehmer am Wettbewerb auseinander, ist das für die Antragsbefugnis geforderte Auftragsinteresse des Antragstellers nicht gegeben.
4. Unterauftragnehmer haben zwar ein indirektes wirtschaftliches Interesse daran, dass der Teilnehmer am Wettbewerb, also der – im Fall der Auftragserteilung – zukünftige Auftraggeber und Vertragspartner der Unterauftragnehmer den Auftrag erhält. Dies begründet aber mangels eigenem Interesse an dem zur Vergabe anstehenden und im Nachprüfungsverfahren streitig gestellten Auftrag keine Antragsbefugnis.

V
Verbundene Unternehmen – Angebote unabhängig voneinander zu erstellen

BayObLG, Beschluss vom 11.01.2023 – Verg 2/21

1. Die Aufzählung der fakultativen Ausschlussgründe in § 124 GWB ist abschließend.
2. Bei richtlinienkonformer Auslegung steht allerdings der in § 97 Abs. 2 GWB normierte Gleichbehandlungsgrundsatz einer Berücksichtigung von Angeboten miteinander verbundener Unternehmen entgegen, die zwar getrennt abgegeben wurden, aber weder eigenständig noch unabhängig sind.
3. Die Vergabestelle ist verpflichtet, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu prüfen, ob die Angebote miteinander verbundener Unternehmen eigenständig und unabhängig voneinander erstellt worden sind. Dies folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
4. Die Eröffnung der sog. “zweiten Chance” durch eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens kommt nur in Betracht, wenn aufgrund der Sach- und Rechtslage am Schluss der (letzten) mündlichen Verhandlung feststeht, dass ein vergaberechtskonformer Zuschlag unmöglich ist und sich daran auch durch bloße Fortsetzung des Vergabeverfahrens nichts mehr ändern kann.

V
Vergabeunterlagen sind klar und eindeutig zu formulieren

OLG Schleswig, Beschluss vom 28.03.2022 – 54 Verg 11/21

1. Die Vergabestellen sind verpflichtet, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und Widersprüchlichkeiten zu vermeiden.
2. Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens müssen klar, präzise und eindeutig formuliert werden, so dass zum einen alle mit der üblichen Sorgfalt handelnden Unternehmen die genaue Bedeutung dieser Bedingungen und Modalitäten verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und zum anderen der Auftraggeber tatsächlich überprüfen kann, ob die Teilnahmeanträge oder Angebote die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen.
3. Nicht mehr eindeutig sind Vergabeunterlagen, wenn fachkundigen Unternehmen auch nach Auslegungsbemühungen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben. Unklare Vorgaben der Vergabestelle dürfen nicht zu Lasten der Bieter gehen.

V
“Vergleichbare Referenzprojekte”

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.04.2022 – Verg 25/21

1. Im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb prüft der öffentliche Auftraggeber zwar die Eignung der am vorgeschalteten Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen grundsätzlich, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Dadurch wird mit der positiven Eignungsprüfung ein Vertrauenstatbestand geschaffen.
2. Ein solcher Vertrauenstatbestand kann jedoch nur dann begründet werden, wenn der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Bewerber abschließend bejaht hat, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Hieran fehlt es folglich, wenn der Bieter bis zum Abschluss des Teilnahmewettbewerbs nicht alle zur abschließenden Prüfung seiner Eignung erforderlichen Unterlagen eingereicht hat.
3. Zu den im Rahmen der Eignungsprüfung vorzulegenden Unterlagen gehört bei Inanspruchnahme einer Eignungsleihe eine ordnungsgemäße Verpflichtungserklärung des Eignungsleihgebers.
4. Bei dem Begriff “vergleichbare Referenzprojekte” handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der anhand des Wortlauts der Vergabeunterlagen und von Sinn und Zweck der geforderten Angaben unter Berücksichtigung des Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatzes auszulegen ist. Dabei bedeutet die Formulierung “vergleichbar” nicht “gleich” oder gar “identisch”, sondern, dass die Leistungen im technischen oder organisatorischen Bereich einen gleich hohen oder höheren Schwierigkeitsgrad hatten.
5. Der öffentliche Auftraggeber hat die Bewertung selbst vorzunehmen; die Wertungsentscheidung ist nicht delegierbar, die an ihr beteiligten Personen müssen Vertreter des öffentlichen Auftraggebers sein. Diese haben zu prüfen, inwieweit die Angebote die in der Bewertungsmatrix aufgestellte Anforderung erfüllen.

W
Wertungsfehler

VK Sachsen, Beschluss vom 28.03.2022 – 1/SVK/041-21

1. An den Inhalt von Rügen sind im Allgemeinen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Der rügende Bieter muss aber grundsätzlich – wenn sich der Vergaberechtsverstoß nicht seiner Einsichtsmöglichkeit entzieht – zumindest Anknüpfungstatsachen oder Indizien vortragen, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß.
2. Entzieht sich die Wertung des Auftraggebers – zum Zeitpunkt der Rüge – der Einsichtsmöglichkeit des Antragstellers, darf der Antragsteller im Nachprüfungsverfahren behaupten, was er auf der Grundlage seines nur beschränkten Informationsstands redlicher Weise für wahrscheinlich oder möglich halten darf.
3. Je weniger der Auftraggeber an tatsächlichen Gründen für eine abschlägige Wertung des Angebots in der Bieterinformation preisgibt, desto geringer sind die Anforderungen an die Darlegung einer Rechtsverletzung.
4. Fehler in der Wertung sind unbeachtlich, wenn sich durch diese die Bieterreihenfolge – also die Aussichten auf den Erhalt des Zuschlags – nicht ändert und einem Antragsteller dadurch insoweit kein Schaden entsteht.
5. Ein Auftraggeber darf den Angaben eines Bieters, die er in seinem Angeboten gemacht hat, grundsätzlich vertrauen. Nur dann, wenn sich aus dem Angebot Zweifel ergeben, die das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen lassen und/oder Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Bieter die gesetzten Vorgaben möglicherweise nicht einhalten kann, ist der Auftraggeber gehalten, eine Aufklärung herbeizuführen.
6. An den Prüfungsumfang der materiellen Eignungsprüfung sind im Fall konkreter Eignungskriterien mit jeweils unterschiedlichen (Mindest-)Anforderungen keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Einer umfassenden wertenden Beurteilung bedarf es nicht, wenn festgestellt wird, dass die gestellten Anforderungen inhaltlich erfüllt wurden.

W
Widerruf der Förderung ist die Regel bei Verstoß gegen Vergaberecht

VG Cottbus, Urteil vom 03.02.2023 – 3 K 1618/19

1. Das EU-Recht ermächtigt die nationale Vollzugsbehörde nicht zur Aufhebung der Zuwendungsbescheide, sondern enthält nur Vorgaben für die Geltendmachung der Forderung nach nationalem Recht unter Berücksichtigung der durch das Unionsrecht gesetzten Grenzen, insbesondere hinsichtlich des Vertrauensschutzes.
2. Die gesetzlich in § 49 Abs. 3 VwVfG normierten Widerrufsgründe sind abschließend. Die Verpflichtung zur Einhaltung der Vergaberechtsvorschriften als Hinweis auf das Gesetz stellt für sich genommen noch keine Auflage dar. Maßgeblich für den Auflagencharakter ist der Vorbehalt der Rückforderung. Hierfür reicht nicht, allgemein im Bescheid Rechtsvorschriften zu benennen.
3. Dem gesetzlichen Gebot, bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten, ist zu entnehmen, dass bei Verfehlung des mit der Gewährung von öffentlichen Zuschüssen verfolgten Zwecks das Ermessen nur durch eine Entscheidung für den Widerruf fehlerfrei ausgeübt werden kann, sofern nicht außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen (sog. intendiertes Ermessen).
4. Diese Haushaltsgrundsätze überwiegen im Allgemeinen das Interesse des Begünstigten, den Zuschuss behalten zu dürfen, und verbieten einen großzügigen Verzicht auf den Widerruf von Subventionen.

Ax Vergaberecht
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