Ax Vergaberecht

Hinweise zu den bauaufsichtlichen Anforderungen für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen

Hinweise zu den bauaufsichtlichen Anforderungen für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen

(Stand März 2022)

Aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine ist eine zunehmende Anzahl von Menschen auf der Flucht. Zahlreiche Flüchtlinge haben zwischenzeitlich auch Deutschland erreicht. Die Anzahl der in Hessen zu erwartenden Kriegsflüchtlinge kann derzeit kaum abgeschätzt werden, ebenso wenig die Dauer der Flüchtlingskrise. Häufig müssen die neu eintreffenden Menschen sehr kurzfristig in bisher anders genutzten Gebäuden untergebracht werden.
Nach der Hessischen Bauordnung (HBO) ist i. d. R. vor der Nutzungsaufnahme von bisher anderweitig genutzten bzw. genehmigten Gebäuden bzw. vor der Aufstellung von Zelt- oder Containeranlagen ein Baugenehmigungs- oder Zustimmungsverfahren erforderlich. So bedürfen Nutzungsänderungen von baulichen Anlagen und Räumen der Baugenehmigung, wenn für die neue Nutzung andere oder weitergehende öffentlich-rechtliche, insbesondere auch bauplanungsrechtliche Anforderungen als für die bisherige Nutzung in Betracht kommen (vgl. Abschnitt III Nr. 1 der Anlage zu § 63 HBO). Die bauplanungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden ergeben sich insbesondere aus der kommunalen Bauleitplanung, dem Baugesetzbuch (BauGB) und der hierauf gestützten Baunutzungsverordnung (BauNVO). Mögliche planungsrechtliche Einschränkungen bestehen unabhängig von der materiell-rechtlichen Bewertung der vorgesehenen Unterbringung nach HBO. Zu den bauplanungsrechtlichen Rahmenbedingungen siehe „Standorte für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Deutschland“ (unter dem Link: https://wirtschaft.hessen.de/wohnen-bauen/baurecht/bauplanungsrecht). Aktuell kommt die Durchführung förmlicher Verfahren aufgrund des engen zeitlichen Vorlaufs der Unterbringung und der damit drohenden Obdachlosigkeit der Flüchtlinge vor Nutzungsaufnahme meist nicht in Betracht.

I. Duldung

Vorausgesetzt, dass materielle Mindeststandards zur Gefahrenabwehr eingehalten sind, ist in Anbetracht der bestehenden Notsituation eine zeitlich befristete Duldung der Nutzung ohne förmliches Verfahren vertretbar. Die Personensicherheit, insbesondere die Durchführbarkeit einer schnellen Räumung im Gefahrenfall, hat dabei oberste Priorität. Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass eine Duldung für einen Zeitraum vertretbar ist, innerhalb dessen ein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werden kann. Im Regelfall sind dies drei Monate. Diese Frist dürfte in Anbetracht der aktuellen Lage zu kurz bemessen sein, da die zuständigen Stellen allein mit der Schaffung neuer Unterbringungsmöglichkeiten ausgelastet sind und aktuell entsprechende Änderungen des BauGB anstehen. Ist die Beendigung der Nutzung nach sechs Monaten nicht absehbar, so sollte durch den verantwortlichen öffentlichen Träger eine zeitliche Konzeption für die Durchführung eines förmlichen Verfahrens veranlasst werden.

II. Zuständigkeit

· Soweit die Voraussetzungen des Zustimmungsverfahrens nach § 79 Abs. 1 bis Abs. 3 HBO erfüllt sind, bedarf es keiner Duldung durch die untere Bauaufsichtsbehörde. So kann ein Vorhaben zur Unterbringung von Kriegsflüchtlingen (Neuerrichtung oder Nutzungsänderung) im Zuständigkeitsbereich der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge(HEAE) ohne Baugenehmigungsverfahren erfolgen, soweit die  Leitung der Entwurfsarbeiten einer Baudienststelle des Landes oder des Bundes übertragen wird, die den Anforderungen des § 60 Abs. 2 HBO entsprechend besetzt ist. Gebäude, die durch das HEAE zum Zweck der Erstunterbringung erstellt oder umgenutzt werden, sind i. d. R. Vorhaben in öffentlicher Trägerschaft. Die Regierungspräsidien sowie die unteren Bauaufsichtsbehörden und die örtlichen Brandschutzdienststellen werden ggf. im Wege der Amtshilfe bei der Einrichtung von Erstunterkünften tätig. Die Amtshilfe ist in den §§ 4 ff. des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG) geregelt. Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG ist die ersuchte Behörde im Rahmen des Amtshilfeersuchens für die Durchführung der Amtshilfe verantwortlich. Eine eigene Zuständigkeit der unteren Bauaufsichtsbehörde für die Überwachung von Bauvorhaben in öffentlicher Trägerschaft besteht nicht.
· In Einzelfällen ist die Einrichtung von Erstunterkünften auf direkte ministerielle Weisung durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport (HMdIS) bzw. das Hessische  Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) durch den Katastrophenschutz möglich. In diesen Fällen kommt die Freistellungsregelung nach Abschnitt I Nr. 11.14 der Anlage zu § 63 HBO in Betracht.
· Ein großer Teil der eintreffenden Kriegsflüchtlinge muss kurzfristig durch die Kommunen untergebracht werden. Eine Unterbringung in Wohnungen ist aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes i. d. R. nicht möglich. Eine Unterbringung, z. B. in Bürogebäuden, muss deshalb im Rahmen von (ggf. vorrübergehenden) Umnutzungen erfolgen. Soweit es sich nicht um Vorhaben in öffentlicher Trägerschaft handelt, sind für die Beurteilung der formellen und materiellen Zulässigkeit der Umnutzung die unteren Bauaufsichtsbehörden zuständig.

Ist aufgrund der Notwendigkeit einer zeitnahen Unterbringung die Durchführung eines erforderlichen Baugenehmigungsverfahrens vor Nutzungsaufnahme nicht möglich oder ist in Gebäuden nur eine vorübergehende Unterbringung vorgesehen, so kann die zuständige untere Bauaufsichtsbehörde die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in dafür nicht genehmigten Gebäuden vorübergehend dulden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Schutzziele des § 3 HBO, gegebenenfalls auch durch entsprechende Auflagen, gewährleistet sind. Für bauliche Anlagen in öffentlicher Trägerschaft (vgl. § 79 Abs. 6 HBO) obliegt es dem öffentlichen Bauherrn, in eigener Zuständigkeit die notwendigen Maßnahmen für eine sichere Unterbringung zu gewährleisten bzw. ggf. ein formales Baugenehmigungs- oder Zustimmungsverfahren zu veranlassen.

III Umgang mit Bestandsgebäuden

· Wohnungen
Die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in bestehenden Wohnungen führt i. d. R. nicht zu weitergehenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen, sofern der Wohncharakter mit der damit verbundenen Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises gewahrt bleibt. In Abgrenzung zum Wohnheim mit zentralen Einrichtungen (z. B. Toiletten, Duschen) bzw. Versorgung wird in der Wohnung regelmäßig das Vorhandensein eines Bades mit Badewanne/Dusche und Toilette sowie einer Küche oder Kochnische vorausgesetzt. Weitere Voraussetzung neben der weitgehend eigenständigen Lebensführung ist eine wohnungsadäquate Nutzung und Belegung der Wohnung. So muss für alle Bewohner die Zugänglichkeit der Rettungswege sichergestellt sein. Zudem dürfen die Wohnungen nicht überbelegt sein. Als Orientierung für die zulässige Belegungsdichte kann das Hessische Wohnungsaufsichtsgesetz (HwoAufG) herangezogen werden. Demnach dürfen Wohnungen nur überlassen und benutzt werden, wenn für jede Person eine Wohnfläche von mindestens 9 qm vorhanden ist. Einzelne Wohnräume dürfen nur überlassen und benutzt werden, wenn für jede Person eine Wohnfläche von mindestens 6 qm vorhanden ist und Nebenräume zur Mitbenutzung zur Verfügung stehen. Stehen Nebenräume nicht oder offensichtlich nicht ausreichend zur Verfügung, müssen pro Person Wohnräume von mindestens 9 qm zur Verfügung stehen (vgl. § 7 Abs. 1 und 2 HwoAufG).

· Pensionen/Hotels (Beherbergungsstätten)
Die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in bestehenden Beherbergungsstätten führt i. d. R. nicht zu über die bestehende Baugenehmigung hinausgehenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen. Dies gilt sowohl für Beherbergungsbetriebe, die Regelbauten sind, als auch für solche mit mehr als 30 Gastbetten, die den Sonderbautatbestand des § 2 Abs. 9 Nr. 11 b) HBO erfüllen. Voraussetzung in beiden Fällen ist, dass diese das typische Gepräge eines Beherbergungsbetriebes nicht verlieren und der genehmigte Nutzungsrahmen eingehalten wird. Dabei stellt die Nutzung von Bewirtungs- oder Konferenzräumen als Gemeinschaftsräume meist keine bauordnungsrechtlich relevante Nutzungsänderung dar. Insbesondere aufgrund der Erhöhung der Bettenanzahl kann jedoch der Nutzungsrahmen überschritten sein. Maßgeblich ist die der Baugenehmigung zugrundeliegende Anzahl der Betten.

· Wohnheime
Die Nutzung eines bestehenden und genehmigten Wohnheims, z. B. eines Alten- oder Studentenwohnheims, zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden führt nicht zu höheren bauordnungsrechtlichen Anforderungen, sofern der in der Baugenehmigung festgelegte Nutzungsrahmen nicht verlassen wird.

· Sammelunterkünfte
Die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in anderen Gebäuden, die bestimmungsgemäß nicht der Übernachtung von Menschen dienen (z. B. Büroeinheiten, Turnhallen, Veranstaltungsräume), stellt immer eine baugenehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar. Ungeachtet möglicher gebäudebezogener Sonderbautatbestände kommt bei der Unterbringung von Flüchtlingen eine Sonderbaueigenschaft nach § 2 Abs. 9 Nr. 9 HBO in Betracht. Danach sind sonstige Einrichtungen zur Unterbringung von Personen Sonderbauten. Die Unterbringung ist dabei abzugrenzen vom Wohnen. Während das Wohnen durch eine auf Dauer angelegte selbstständige Haushaltsführung sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet ist, sind Merkmale der Unterbringung im Regelfall der nur vorübergehende Unterbringungsbedarf sowie die gleichzeitige Betreuung, Aufsicht, Pflege oder Anleitung der untergebrachten Personen. Einrichtungen der Unterbringung weisen i. d. R. eine bestimmte Organisationsstruktur auf, die unabhängig von dem Wechsel und der Anzahl der untergebrachten Personen und deren Aufenthaltsdauer ist. Von einem Sonderbau ist insbesondere dann auszugehen, wenn in Nutzungseinheiten mehr als 30 Personen untergebracht werden sollen. Die Anforderungen für solche Sammelunterkünfte sind in einem Brandschutzkonzept einzelfallbezogen festzulegen (vgl. § 53 HBO). Für kleinere Nutzungseinheiten gelten die Regelanforderungen der HBO. Nach Ablauf einer befristeten Baugenehmigung zur Umnutzung einer Liegenschaft für die Unterbringung von Flüchtlingen ist die Rückkehr zur ursprünglich genehmigten Nutzung möglich, wenn sich keine grundlegenden, insbesondere bauplanungsrechtlichen Änderungen ergeben haben; auf die Regelungen des § 246 Abs. 13 Satz 5 und Abs. 14 Satz 6 BauGB wird hingewiesen. Auch soweit solche Umnutzungen ohne förmliches Verfahren vorübergehend geduldet werden, muss die Sicherheit für die im Gebäude befindlichen Menschen in allen Fällen gewährleistet sein. Die in der Checkliste (siehe Anlage) zusammengestellten Punkte sollen als Anhaltspunkt für die Bewertung und Festlegung von Mindestsicherheitsmaßnahmen zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben im Einzelfall, insbesondere bei ein- und zweigeschossigen Bestandsgebäuden, dienen. Vorhandene und aufgrund der Zeitvorgaben hinzunehmende bauliche Mängel sind dabei insbesondere durch betriebliche Maßnahmen zu kompensieren.

IV Betreiberverantwortung

Die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften sind für die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Anforderung im Betrieb verantwortlich. Sie haben die besondere sprachliche, kulturelle und psychische Disposition der Flüchtlinge bei der Wahrnehmung ihrer Obliegenheitspflichten zu berücksichtigen. In den Baugenehmigungen festgeschriebene betrieblichorganisatorische Maßnahmen (z. B. Brandschutzordnung) sind im Rahmen einer Duldung entsprechend anzupassen. Die Benutzer sind in geeigneter Form über die Rettungswege und das Verhalten im Brandfall zu informieren. Die Sicherstellung der Betriebsbereitschaft der nach § 14 Abs. 2 HBO erforderlichen Rauchwarnmelder in Schlafräumen, in denen Flüchtlinge untergebracht werden, ist durch die Betreiber zu gewährleisten. Es wird empfohlen, alle Schlafräume mit Rauchwarnmeldern auszustatten, auch soweit dies nicht zwingend bauaufsichtlich vorgeschrieben ist; dies gilt nicht für Räume im Überwachungsumfang einer wirksamen und betriebssicheren Brandmeldeanlage, durch die anwesende Personen im Brandfall automatisch gewarnt werden.

Flüchtlingsunterbringung und Bauplanungsrecht

Flüchtlingsunterbringung und Bauplanungsrecht

Zu den mit der Vielzahl von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden verbundenen enormen Herausforderungen für Länder und Kommunen gehört auch die Bereitstellung von Unterbringungsmöglichkeiten.

Bereits im Jahr 2014, als sich die starke Zunahme von Flüchtlingszahlen mehr und mehr abzeichnete, hat der Bundesgesetzgeber mit dem am 26. November 2014 in Kraft getretenen Flüchtlingsunterbringungsmaßnahmengesetz das Baugesetzbuch (BauGB) geändert.

Bereits hiermit wurden wirksame bauplanungsrechtliche Erleichterungen für die Flüchtlingsunterbringung geschaffen. Mit der massiven Zunahme der Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 wurde das Baugesetzbuch mit Wirkung vom 24. Oktober 2015 im Rahmen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes erneut und noch weitreichender geändert. Im Ergebnis existierten – befristet bis zum 31. Dezember 2019 – für sämtliche Gebietsarten (Bebauungsplangebiete, nicht beplanter Innenbereich, Außenbereich) erhebliche Erleichterungen bei der Zulassung von Flüchtlingsunterkünften. Dem lag ein zweistufiges System zugrunde:

1. Innerhalb der bauplanungsrechtlichen Systematik wurden für unterschiedliche Bedarfe gezielte Erleichterungen geschaffen.

2. Reichten die gezielten Erleichterungen nicht aus, waren weitgehende Abweichungen vom Bauplanungsrecht im erforderlichen Umfang möglich.

Die befristet geltenden Regelungen hatten den nachfolgend dargestellten Inhalt, wobei vorab darauf hingewiesen wird, dass die Ausführung des Bauplanungsrechts grundsätzlich Angelegenheit der Länder und Kommunen ist.

  • Bei Umnutzung zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen in Anlagen der Flüchtlingsunterbringung konnte unter bestimmten Voraussetzungen vom Erfordernis des Einfügens abgesehen werden (§ 246 Absatz 8 BauGB).
  • Die Unterbringung von Flüchtlingen konnte auch auf Flächen im Außenbereich gestattet werden, die unmittelbar an einen bebauten Ortsteil anschließen (§ 246 Absatz 9 BauGB).
  • An geeigneten Stellen in Gewerbegebieten wurden Erstaufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für die Unterbringung von Asylbegehrenden oder Flüchtlingen im Wege der Befreiung ermöglicht. Voraussetzung dafür war, dass an den entsprechenden Standorten Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder allgemein zulässig sind und dass das Vorhaben auch unter Berücksichtigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar ist (§ 246 Absatz 10 BauGB).
  • Soweit Anlagen für soziale Zwecke in den einzelnen Baugebieten als Ausnahme zugelassen werden können (z. B. § 3 Absatz 3 Nummer 2 der Baunutzungsverordnung – BauNVO), sollten Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende in der Regel zugelassen werden (§ 246 Absatz 11 BauGB).
  • Für die auf längstens drei Jahre zu befristende Errichtung mobiler Unterkünfte konnten in allen Baugebieten und für die ebenfalls auf längstens drei Jahre zu befristende Umnutzung zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen in Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten (§§ 8 bis 11 BauNVO) Befreiungen auch dann erteilt werden, wenn die Grundzüge der Planung berührt wurden (§ 246 Absatz 12 BauGB).
  • Im Außenbereich wurden die auf drei Jahre zu befristende Errichtung mobiler Unterkünfte und die Umnutzung bestehender Gebäude begünstigt (§ 246 Absatz 13 BauGB).
  • Im Wege einer subsidiären Generalklausel wurde in Anlehnung an § 37 BauGB die Möglichkeit eingeräumt, von bauplanungsrechtlichen Vorgaben im erforderlichen Umfang abzuweichen; Voraussetzung dafür war, dass sich auch unter Anwendung von § 246 Absatz 8 bis 13 BauGB dringend benötigte Unterkünfte anderweitig nicht oder nicht rechtzeitig bereitstellen ließen (§ 246 Absatz 14 BauGB).
  • Verfahrenserleichterungen im Hinblick auf das gemeindliche Einvernehmen und das Benehmen der Naturschutzbehörde wurden in § 246 Absatz 15 und 16 BauGB geregelt.
  • Zur Bedeutung der Befristung bis zum 31.12.2019 enthielt § 246 Absatz 17 BauGB eine klarstellende Regelung.


Ergänzend ist – ohne Befristung – Folgendes geregelt worden:

  • Die Belange von Flüchtlingen und ihrer Unterbringung sind nun ausdrücklich bei der Aufstellung von Bauleitplänen zu berücksichtigen (§ 1 Absatz 6 Nummer 13 BauGB).
  • Es ist ausdrücklich vorgesehen, dass die Flüchtlingsunterbringung zu den Belangen des Allgemeinwohls gehört, die eine Befreiung von Festsetzungen eines Bebauungsplans ermöglichen (§ 31 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 BauGB).

Nachdem die Länder Bedarf nach einer Verlängerung der dargestellten befristeten Sonderregelungen geäußert hatten, hat die Bundesregierung in dem am 4. November 2020 vom Kabinett beschlossenen Entwurf des Baulandmobilisierungsgesetzes vorgeschlagen, diese Regelungen mit Ausnahme von § 246 Absatz 14 BauGB befristet bis zum Ende des Jahres 2024 in eingeschränkter Form wieder einzuführen. Ergänzend soll ermöglicht werden, die in den Absätzen 12 und 13 enthaltenen Dreijahresfristen längstens bis zum 31. Dezember 2027 zu verlängern oder – im Fall bereits abgelaufener Fristen – die Zulässigkeit längstens bis zum 31. Dezember 2027 erneut zu begründen. Die Anwendung der genannten Regelungen soll insoweit begrenzt sein, als von den Vorschriften nur Gebrauch gemacht werden darf, soweit dringend benötigte Unterkünfte im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können.

BaWü: Brandschutzanforderungen und sonstige bauordnungsrechtliche Anforderungen an bauliche Anlagen zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden

BaWü: Brandschutzanforderungen und sonstige bauordnungsrechtliche Anforderungen an bauliche Anlagen zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden

Verfahren:

· Die unteren Baurechtsbehörden berichten bei im Einzelfall auftretenden Problemen mit Brandschutzanforderungen oder sonstigen bauordnungsrechtlichen Vorgaben (Barrierefreiheit, Stellplätze usw.), sofern diese vor Ort nicht gelöst werden können, unverzüglich den Regierungspräsidien als den höheren Baurechtsbehörden mit dem Ziel einer lösungsorientierten Beratung durch die Regierungspräsidien.

· Soweit die Regierungspräsidien keine vertretbare Lösung herbeiführen können, beteiligen diese das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur.
Das Ministerium steht auch im Übrigen weiterhin zur Beratung in besonders schwierigen Einzelfällen zur Verfügung.

Materiell-rechtliche Vorgaben:
Insbesondere bei der Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden dürfen die notwendigen Sicherheitsstandards nicht vernachlässigt werden, jedoch erlaubt das bauordnungsrechtliche Instrumentarium vertretbare, pragmatische Lösungen:

· Die Landesbauordnung (LBO) und auch ihre Ausführungsverordnung (LBOAVO) enthalten keine besonderen Brandschutzanforderungen für Unterkünfte von Flüchtlingen und Asylbegehrenden.

· § 56 Abs. 4 LBO sieht vor, dass bei Gemeinschaftsunterkünften, die der vorübergehenden Unterbringung oder dem vorübergehenden Wohnen dienen, Ausnahmen von Vorschriften in den §§ 4 bis 37 LBO – also auch von den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften zum Brandschutz – zugelassen werden können. Hiervon sollte soweit wie vertretbar Gebrauch gemacht werden.

· Sofern es sich um Sonderbauten handelt, entscheidet die Baurechtsbehörde nach § 38 LBO, ob sie zusätzliche Brandschutzanforderungen stellen muss oder aber von den allgemeinen gesetzlichen Vorgaben Erleichterungen zulassen kann. Sollen zusätzliche Anforderungen gestellt werden, ist deren Erforderlichkeit in jedem Einzelfall zunächst eingehend zu prüfen, um festzustellen, ob ggf. weniger einschneidende Maßnahmen geeignet und ausreichend sind.

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (7)

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (7):

VG HH: Unzulässigkeit der Errichtung und des Betriebs einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZEA)

Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 12. Feb. 2016 – 7 E 6816/15

Gründe


A.

Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit der Errichtung und des Betriebs einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZEA) auf dem knapp 32.000 m2 großen Gelände östlich der Straße Hinsenfeld und nordöstlich der Straße Fiersbarg (Flurstück 420 der Gemarkung Lemsahl-Mellingstedt). Auf dem Vorhabengrundstück befand sich bis vor einigen Jahren ein sog. „Pavillon-Dorf“ zur öffentlichen Unterbringung von Aussiedlern mit einer Höchstbelegungszahl von ca. 220 bis 240 Personen. Nach der Beseitigung der dazu gehörenden Gebäude war das Grundstück unbebaut, bis die Antragsgegnerin mit der Errichtung der zwischen den Beteiligten umstrittenen Einrichtung begann. Diese soll aus 17 Gebäuden zur Unterbringung von Personen bestehen, welche in Container-Modulbauweise errichtet werden. Verwendet werden sollen hierzu 20‘-Wohncontainer mit Abmessungen von 6,055*2,435*2,89 m, die zu zweigeschossigen Blöcken gruppiert werden. Die Wohnblöcke werden dabei aus jeweils 14 Wohncontainern und 4 Sanitärcontainern bestehen (je Ebene 9 Container) und Außenabmessungen von 21,92*6,055*5,78 m aufweisen. Bei einer Belegung eines Wohncontainers mit bis zu 4 Personen errechnet sich eine Gesamtkapazität von bis zu 952 Personen. Neben den Wohnblöcken ist die Errichtung (ebenfalls in Modul-Containerbauweise) eines Verwaltungsgebäudes, zweier Kantinengebäude, eines Gebäudes zur Unterbringung einer Kindertagesstätte sowie eines als „Schulcontainer“ bezeichneten Gebäudes geplant bzw. erfolgt.

Die Zufahrt zum Vorhabengrundstück soll – wie schon zuvor die Zufahrt zum früheren „Pavillon-Dorf“ – über den südöstlichen Grundstücksbereich erfolgen. Dort sollen sich auch ein Pförtnergebäude sowie das Verwaltungsgebäude befinden. Die weiteren nicht zur Unterbringung genutzten Gebäude („Schulcontainer“, Kantinen, Kindertagesstätte) sollen weitgehend in der Mitte des Vorhabengrundstücks gruppiert, die Wohngebäude ringartig um diese herum angeordnet werden. Die Einrichtung soll vollständig gebäudenah umzäunt werden. Der Zugang zum Gelände der Einrichtung soll durch einen täglich 24 Stunden vor Ort befindlichen Wachdienst kontrolliert werden.

Der erste Bauabschnitt, bestehend aus neun der 17 geplanten Wohngebäude, sowie den Verwaltungseinheiten, den Kantineneinheiten und dem „Schulcontainer“ ist fertig gestellt. Die Grundvorbereitungen für den zweiten Bauabschnitt sind überwiegend abgeschlossen. Die Einrichtung soll nach dem Willen der Antragsgegnerin möglichst unmittelbar ihren Betrieb aufnehmen und belegt werden. Betreiber der Unterkunft soll die Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. sein. Diese hat nach dem Vortrag der Antragsgegnerin für die Einrichtung eine sogenannte „Hausordnung“ entworfen, welche allen darin untergebrachten Personen zur Kenntnis gegeben werden soll. In der Einrichtung sollen u.a. Betreuer für die untergebrachten Personen sowie technisches Personal und Küchenpersonal tätig sein.

Die Antragsteller zu 1) bis 4) sind Eigentümer bzw. Miteigentümer von zu Wohnzwecken genutzten Grundstücken, die jeweils östlich des Vorhabengrundstücks belegen sind und durch die XX-Straße erschlossen werden. Zwischen den Grundstücken dieser Antragsteller und der Vorhabenfläche befindet sich ein mit Bäumen bewachsener, ca. 20 bis 50 m breiter Grünstreifen. Die Grundstücke der Antragsteller zu 1) bis 4) liegen wie das Vorhabengrundstück im räumlichen Geltungsbereich der Verordnung über den Bebauungsplan Lemsahl-Mellingstedt 19 vom 5.1.2015 (HmbGVBl. 2015, S. 11). Dieser weist die Grundstücke der Antragsteller zu 1) bis 4) als reines Wohngebiet (WR) aus. Das Vorhabengrundstück wird ebenfalls größtenteils als reines Wohngebiet ausgewiesen, durchzogen von (bislang nicht verwirklichten) Planstraßen sowie privaten Grünflächen und einer Fläche für ein Regenrückhaltebecken, wobei ein Großteil der von der Antragsgegnerin geplanten und bereits errichteten Gebäude auf als reines Wohngebiet ausgewiesenen Flächen errichtet werden soll bzw. errichtet ist. Der Grünstreifen zwischen dem Vorhabengrundstück und der als reines Wohngebiet ausgewiesenen Fläche, in welcher die Grundstücke der Antragsteller zu 1) bis 4) belegen sind, ist als „Fläche zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft – Artenreicher, gestufter Gehölzbestand“ festgesetzt.

Die Antragsteller zu 5) bis 7) sind Eigentümer von zu Wohnzwecken genutzten Grundstücken, die jeweils südlich bzw. süd-westlich der Vorhabenfläche belegen sind und durch die Straße XY erschlossen werden. Diese Grundstücke liegen im räumlichen Geltungsbereich des Baustufenplans Lemsahl-Mellingstedt vom 16.9.1952, erneut festgestellt am 14.1.1955, welcher sie mit W 1o ausweist. In der Legende heißt es weiter:

„Das reine Wohngebiet ist gemäss § 10 Abs. 4 der BPVO für die Hansestadt Hamburg vom 8.6.1938 besonders geschützt. a) Gewerbliche und handwerkliche Betriebe, Läden und Werbeanlagen sind nicht zulässig. Für die Flächen am rot signierten Straßenrande der Wohngebiete gelten diese Einschränkungen nicht. …”

Im Sommer 2015 begannen die Planungen der Antragsgegnerin zur Errichtung der zwischen den Beteiligten umstrittenen Einrichtung. Mit Handzetteln vom 25.8.2015 wurden die Anwohner erstmalig über die geplante Unterkunft unterrichtet. Am 15.9.2015 stellte die Antragsgegnerin ihre Pläne für eine Erstaufnahmeeinrichtung mit 952 Plätzen im Rahmen einer Anwohner-Informationsveranstaltung der Öffentlichkeit vor. Anschließend begann die Antragsgegnerin mit der Errichtung der Einrichtung; hierzu gab sie an, sich auf § 3 des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) zu stützen. Hiergegen ersuchten die Antragsteller um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nach § 123 VwGO. Mit Beschluss vom 15.12.2015 gab das erkennende Gericht der Antragsgegnerin auf, die Bauarbeiten für die Errichtung der streitbefangenen Einrichtung einstweilen einzustellen, die Innutzungnahme einstweilen zu unterlassen und ausführende Stellen entsprechend anzuhalten (7 E 6128/15). Ihre hiergegen mit Schriftsatz vom 29.12.2015 eingelegte Beschwerde nahm die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 18.1.2016 zurück. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht stellte das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom selben Tage ein (2 Bs 271/15).

Bereits unter dem 10.11.2015 hatte die Antragsgegnerin (vertreten durch die Behörde für Inneres und Sport) für die streitbefangene Einrichtung außerdem einen Antrag im Baugenehmigungsverfahren mit Konzentrationswirkung nach § 62 HBauO beim Bezirksamt Hamburg-Wandsbek eingereicht, verbunden mit einem Antrag auf Befreiung von u.a. den Festsetzungen des Bebauungsplans bezüglich der Ausweisung des Flurstücks 420 als reines Wohngebiet und private Grünfläche. Der Bauantrag wurde im weiteren Verlauf näher bestimmt. So legte die Bauherrin unter dem 18.12.2015 eine Baubeschreibung vor, wonach die Anlage auf die Unterbringung von insgesamt 901 Personen ausgelegt sei und in jedem der 17 Wohnblöcke 53 Plätze vorgesehen seien; in einem Container würden 3 bis 4 Personen untergebracht. In den beiden Verwaltungsblöcken würden die Funktionen „Sozialberatung, Unterkunftsmanagement, Technischer Dienst, Wachschutz, Arztdienst mit Warteraum, Lager für Kleider und Koffer” sowie Waschmaschinen- und Trocknerraum untergebracht. Das Betreuungs- und Verwaltungspersonal sei in unterschiedlicher Besetzung von 4 bis 13 Personen täglich von 7:00 Uhr bis 16:00 Uhr vor Ort; das Wachpersonal sei mit einer Besetzung von 4 Personen täglich 24 Stunden vor Ort. Die Essensausgabe werde von einem Catering-Unternehmen betrieben; Speisen würden fertig zubereitet angefahren und in einem Dampfgarer aufgewärmt. Das Küchenpersonal bestehe in der Regel aus ca. 8 bis 10 Personen.

Mit Schreiben vom 21.12.2015 „konkretisierte“ die Behörde für Inneres und Sport der Antragsgegnerin ihren Bauantrag gegenüber dem Bezirksamt Hamburg-Wandsbek dahingehend, dass nunmehr die Errichtung und Innutzungnahme der Einrichtung entsprechend der Bauantragsunterlagen befristet auf längstens drei Jahre beantragt wurde sowie die Zulassung für die Nutzung der Einrichtung zur Unterbringung von höchstens 252 Personen „bis zum Nachweis des Brandschutzes für die darüber hinausgehende Nutzung“.

Am 22.12.2015 erteilte das Bezirksamt Hamburg-Wandsbek hierauf eine „Befristete Genehmigung“ nach § 62 HBauO für „Temporäre Containerunterkünfte zur Erstaufnahme von max. 252 Flüchtlingen und Asylbewerbern“, befristet bis zum 22.12.2018 und verbunden mit der Bestimmung, nach Ablauf der Befristung sei die Nutzung der baulichen Anlage innerhalb eines Monats ohne Entschädigungsansprüche einzustellen. Ausdrücklich gestützt auf § 31 Abs. 2 i.V.m. § 246 Abs. 12 BauGB enthält die Baugenehmigung außerdem Befreiungen (Nr. 2 der Baugenehmigung) für das Errichten von Containerzeilen auf privater Grünfläche, für das Abweichen von der zulässigen Art der baulichen Nutzung (Anlage für soziale Zwecke) im reinen Wohngebiet, für das Überschreiten der Zahl der Vollgeschosse der nördlichen Containerzeilen, für die Errichtung von Containerzeilen teilweise auf ausgewiesenen Straßenverkehrsflächen und „für das Errichten aller Container teilweise ganz außerhalb der Baugrenzen”. Weiterhin enthält die Baugenehmigung einen Passus (Nr. 4 der Baugenehmigung), wonach jede Erhöhung der Belegungsanzahl die vorherige Durchführung eines gesonderten Genehmigungsverfahrens erfordere. Zu den Anlagen, die der Bescheid ausdrücklich umfasst, gehören “immissionsschutzrechtliche Auflagen und Hinweise”; in dem Abschnitt “Auflagen” werden hier Bestimmungen getroffen zu den Bereichen „Lärmschutz”, „Geruchsimmissionen”, „Lichtimmissionen” und „Abfall”. Für die im reinen Wohngebiet verursachten Geräuschimmissionen werden „unter Berücksichtigung der Vorbelastung” die Grenzwerte (am Beurteilungsort) tagsüber, in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22:00 Uhr, von 50 dB(A) und nachts, in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr, von 35 dB(A) festgelegt. Die Einhaltung der Lärmgrenzwerte sei mittels Schalltechnischer Untersuchung nachzuweisen, wenn die Anliefer- oder Betriebszeit der Kantine in die Nachtzeit fallen sollte. Die sich gegebenenfalls aus der Untersuchung ergebenden Schallschutzmaßnahmen seien vor Inbetriebnahme umzusetzen.

Gegen diese Baugenehmigung legte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller am 22.12.2015 Widerspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Mit Schriftsatz vom 23.12.2015 haben die Antragsteller um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz ersucht und dieses Ersuchen umfangreich begründet.

Die Antragsteller beantragen,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 22.12.2015 gegen die der Beizuladenden erteilte Baugenehmigung vom 22.12.2015 (Az: W/WBZ/14401/2015) anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen,

und trägt zur Begründung ebenfalls umfassend vor.

Nachdem sich in den Morgenstunden des 23.12.2015 Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende Belegung der streitbefangenen Einrichtung ergeben hatten, hat das erkennende Gericht auf Antrag der Antragsteller am selben Tag eine Zwischenverfügung erlassen, mit der der Antragsgegnerin aufgegeben worden ist, bis zum Ende der Anhängigkeit des vorliegenden Eilantrags in erster Instanz die streitbefangene Unterkunft nicht in Nutzung zu nehmen, insbesondere nicht zu belegen, bereits begonnene Nutzungen einzustellen bzw. zu unterbinden und ausführende Stellen entsprechend anzuhalten. Die hiergegen von der Antragsgegnerin erhobene Beschwerde hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 23.12.2015 zurückgewiesen (2 Bs 263/15).

Mit Schreiben vom 28.12.2015 hat das Gericht aufgrund von Presseberichten über allgemeines Vergleichsinteresse der Antragsgegnerin bei den Beteiligten angefragt, ob eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits möglich sei und Bedarf für weitere gerichtliche Initiativen gesehen werde. Auf die entsprechenden Interessebekundungen hat die Kammer am 8.1.2016 mit den Beteiligten Möglichkeiten einer umfassenden Einigung erörtert; die Antragsteller haben dazu Eckpunkte eines aus ihrer Sicht möglichen, hinsichtlich der Belegungszahl über den unmittelbaren Streitgegenstand hinausgehenden Vergleichs benannt. Mit Schriftsatz vom 15.1.2016 hat die Antragsgegnerin erklärt, dass sie sich nicht in der Lage sehe, einen Vergleich mit den Antragstellern zu schließen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, insbesondere auf die eingereichten Schriftsätze der Beteiligten, jeweils zuletzt vom 9.2.2016, sowie auf die Sachakte der Antragsgegnerin und die Planaufstellungsunterlagen zum Bebauungsplan Lemsahl-Mellingstedt 19 verwiesen, die dem Gericht bei seiner Entscheidungsfindung vorgelegen haben.

B.

Das Gericht kann über den Antrag wirksam entscheiden, obwohl die Inhaberin der Baugenehmigung als solche nicht beigeladen worden ist. Zwar handelt es sich bei einer Anfechtungsklage, die auf die Aufhebung einer durch die Bauaufsichtsbehörde einem Bauherrn erteilten Baugenehmigung gerichtet ist, um einen typischen Fall der notwendigen Beiladung iSv. § 65 Abs. 2 VwGO, da das entsprechende Gestaltungsurteil nur einheitlich, nämlich sowohl gegenüber dem Hoheitsträger wie auch gegenüber dem Bauherrn, ergehen kann. Entsprechendes gilt für das zugehörige Eilverfahren. Ist aber, wie hier, der genehmigende Hoheitsträger (die Freie und Hansestadt Hamburg) zugleich Bauherr, so wird diese Rechtsperson bereits durch ihre Verfahrensrolle als Antragsgegnerin hinreichend am Verfahren beteiligt.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 i.V.m. § 80a VwGO hat in Bezug auf die Antragsteller zu 1) bis 4) Erfolg; im Übrigen bleibt er erfolglos. Er ist zulässig, aber nur bezogen auf die Antragsteller zu 1) bis 4) begründet.

Der Antrag ist gemäß §§ 80a Absätze 1 und 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft. Bei dem angegriffenen Baugenehmigungsbescheid handelt es sich trotz des Umstands, dass Begünstigte der Genehmigung die Antragsgegnerin selbst ist, um einen Verwaltungsakt. Das allein fragliche Merkmal der Außenwirkung ist hier im Verhältnis zu den Antragstellern schon dadurch erfüllt, dass die Baugenehmigung auch ihnen als am Genehmigungsverfahren beteiligte Nachbarn gegenüber zur verbindlichen Regelung der Zulässigkeit des Bauvorhabens bestimmt und entsprechend bekannt gegeben worden ist (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 15.12.1981, Bs II 32/81 – BRS 38 Nr. 174).

Der Zulässigkeit des Antrags steht bezogen auf die Antragsteller zu 3) und 4) nicht entgegen, dass diese nicht Grundeigentümer, sondern Mitglieder einer Wohnungseigentumsgemeinschaft sind. Auch Mitglieder einer Wohnungseigentumsgemeinschaft, die gemäß § 10 Abs. 6 des Gesetzes über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz, WEG) vom 15.3.1951 m. spät. Änd. (BGBl. I S. 175, ber. S. 209) selbst rechts- und parteifähig ist, sind gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog antragsbefugt (vgl. nur VG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2015, 7 E 6128/15).

In Bezug auf die Antragsteller zu 1) bis 4) ist der Antrag außerdem auch begründet (hierzu unter I.); in Bezug auf die Antragsteller zu 5) bis 7) ist er hingegen unbegründet (hierzu unter II.).

25

Im Rahmen des Eilverfahrens sind die betroffenen öffentlichen und privaten Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Der Gegensatz zwischen dem Interesse der Antragsgegnerin einerseits, von der erteilten Baugenehmigung Gebrauch zu machen, und dem Interesse der Antragsteller als Drittbetroffene andererseits zu verhindern, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, kann in der Regel – und so auch hier – angemessen nur in der Weise gelöst werden, dass jeweils den Interessen desjenigen Beteiligten der Vorrang eingeräumt wird, der aller Voraussicht nach im Hauptsacheverfahren obsiegen wird.

Im vorliegenden Fall überwiegen bei dieser Abwägung die Interessen der Antragsteller zu 1) bis 4) diejenigen der Antragsgegnerin, nicht jedoch überwiegen die Interessen der Antragsteller zu 5) bis 7) die Interessen der Antragsgegnerin. Die angefochtene Baugenehmigung vom 22.12.2015 wird nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung in einem Hauptsacheverfahren voraussichtlich nur wegen der Verletzung subjektiver Rechte der Antragsteller zu 1) bis 4) aufzuheben sein. Ein Grundstückseigentümer kann sich gegen ein Bauvorhaben auf einem Nachbargrundstück nur mit Erfolg zur Wehr setzen, wenn die Genehmigung dieses Vorhabens ihn in seinen eigenen Rechten verletzt, also gegen solche baurechtlichen Bestimmungen verstößt, die ein subjektiv-öffentliches (eigenes) Abwehrrecht des betroffenen Nachbarn begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.9.1986, 4 C 8/84, NVwZ 1987, 409; OVG Hamburg, Beschluss vom 7.5.1990, Bs II 65/90, HmbJVBl 1991, 7). Demgegenüber kann durch den Drittbetroffenen weder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes noch im Hauptsacheverfahren eine umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Baugenehmigung erreicht werden.

I.

Die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb der Einrichtung verletzt die Antragsteller zu 1) bis 4) in ihrem Gebietserhaltungsanspruch. Inwieweit eine Verletzung sonstiger von diesen Antragstellern geltend gemachter Rechtspositionen vorliegt, ist vor diesem Hintergrund nicht zu entscheiden.

Der Gebietserhaltungsanspruch steht nur den Grundstückseigentümern und sonstig dinglich Berechtigten innerhalb eines durch Bebauungsplan festgesetzten oder faktischen Baugebiets zu, da nur in diesem Falle die Nachbarn denselben rechtlichen Bindungen unterliegen (näher dazu sogl.). Zu den sonstig dinglich Berechtigten, denen der Gebietserhaltungsanspruch zustehen kann, zählen dabei auch einzelne Wohnungseigentümer wie die Antragsteller zu 3) und 4). Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist keine sachliche Rechtfertigung dafür erkennbar, den Gebietserhaltungsanspruch nur der Wohnungseigentümergemeinschaft als Ganzer zuzubilligen und den einzelnen Sondereigentümer von diesem Anspruch auszunehmen. Das Bundesverwaltungsgericht hat ausdrücklich hervorgehoben, dass für Sondereigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz Nachbarschutz „in gleicher Weise“ wie für Eigentum an Wohngrundstücken besteht (BVerwG, Beschluss vom 20.8.1992, 4 B 92/92, juris, Rn. 10; vgl. auch OVG Bremen, Urteil vom 13.2.2015, 1 B 355/14, juris, Rn. 23 f.).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts hat die Festsetzung von Baugebieten im Sinne der Art der baulichen Nutzung durch einen Bebauungsplan nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet (BVerwG, Urteil vom 16.9.1993, 4 C 28/91, BVerwGE 94, 151; OVG Hamburg, u.a. Beschluss vom 22.9.2014, 2 Bs 168/14). Ein Nachbar im Baugebiet soll sich auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden können, wenn er durch sie nach den gröberen Maßstäben des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes nicht unzumutbar beeinträchtigt würde. Der Gebietserhaltungsanspruch beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen (BVerwG, Urteil vom 11.5.1989, 4 C 1/88, BVerwGE 82, 61). Durch die Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer (nach der Terminologie des Bundesverwaltungsgerichts) „rechtlichen Schicksalsgemeinschaft” verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer in der gleich ausgewiesenen Nachbarschaft diesen Beschränkungen unterworfen sind (BVerwG, Urteil vom 16.9.1993, 4 C 28/91, BVerwGE 94, 151). Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können (BVerwG, Beschluss vom 18.12.2007, 4 B 55/07, juris, Rn. 5).

Das gilt auch im vorliegenden Fall. Die Grundstücke der Antragsteller zu 1) bis 4) liegen in demselben Baugebiet wie das Vorhaben (hierzu unter 1.). Mit der Errichtung und dem Betrieb der geplanten Einrichtung wäre ein Eindringen einer gebietsfremden Nutzung in dieses Baugebiet verbunden. Die Beeinträchtigung des Gebietserhaltungsanspruchs der Antragsteller zu 1) bis 4) wird auch nicht durch die nach § 246 Abs. 12 BauGB erteilte Befreiung von der Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung unbeachtlich (hierzu unter 2.).

1. Die betreffenden Grundstücke liegen – wie die Kammer bereits in ihrem rechtskräftigen Beschluss zu dem polizeirechtlichen Vorhaben der Antragsgegnerin auf demselben Grundstück ausgeführt hat (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2015, 7 E 6128/15, S. 8 ff.) – in „demselben Baugebiet”. Diese Feststellung gilt auch unter Berücksichtigung des ergänzenden Vortrags der Antragsgegnerin hierzu fort.

Für die Annahme eines Gebietserhaltungsanspruchs bedarf es der Klärung, dass die an dem Nachbarrechtsstreit beteiligten Grundstücke in „demselben Baugebiet” liegen. Wären die Berechtigten der Grundstücke nicht gemeinsam hinsichtlich der Nutzungsart denselben rechtlichen Bindungen unterworfen – so, wenn der Bebauungsplan unterschiedliche Nutzungsarten ausweist bzw. aus sonstigen Gründen als getrennt zu verstehende Baugebiete –, würde die Grundlage für den Gebietserhaltungsanspruch fehlen. Denn es reicht hierfür nicht aus, dass sich das Grundstück im Geltungsbereich desselben Bebauungsplans befindet. Notwendig ist eine Belegenheit sowohl des Vorhabengrundstücks wie auch des Grundstücks, von dem aus der Gebietserhaltungsanspruch geltend gemacht wird, innerhalb „desselben Baugebiets” (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14; OVG Münster, Beschluss vom 28.11.2002, 10 B 1618/02, juris, Rn. 5 ff.; VGH München, Beschluss vom 2.10.2003, 1 CS 03.1785, NVwZ-RR 2004, S. 248 f.; OVG Bremen, Urteil vom 13.2.2015, 1 B 355/14, juris, Rn. 29; VG Minden, Urteil vom 29.9.2915, 1 K 2703/14, juris, Rn. 20 ff.; VG Ansbach, Urteil vom 3.12.2014, AN 9 K 12.01753, juris, Rn. 76; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 5.5.2011, 10 L 358/11, juris, Rn. 26; Schröer, NZBau 2008, 169 f.). Die Frage, ob in diesem Sinne von einem einheitlichen Baugebiet oder unterschiedlichen Baugebieten auszugehen ist, ist dabei anhand des Bebauungsplans zu beantworten und nicht allein anhand schlichter geographischer oder sonstiger tatsächlicher Gegebenheiten (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14). Entscheidend ist, ob bei normativer Betrachtung davon auszugehen ist, dass der Plangeber die betroffenen Grundstückseigentümer zu einer Schicksalsgemeinschaft in Bezug auf die Art der baulichen Nutzung ihrer Grundstücke verbinden oder aber eine Trennung zwischen unterschiedlichen Baugebieten vorsehen wollte (OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14). Zur Klärung dieser Frage ist insbesondere auf die textlichen und zeichnerischen Festsetzungen des jeweiligen Bebauungsplans sowie auf dessen Begründung zurückzugreifen (vgl. auch Schröer, NZBau 2008, S. 169 f.).

Die Grundstücke der Antragsteller zu 1) bis 4) sind hiernach nicht nur innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs desselben Bebauungsplans wie das Vorhabengrundstück belegen, sondern auch innerhalb eines insgesamt einheitlichen reinen Wohngebiets. Für die verbindende Bedeutung der Festsetzung spricht zunächst schlicht der Umstand, dass die identische Ausweisung der Nutzungsart („WR”) hier nicht nur benachbarte (sogar unmittelbar aneinandergrenzende) Flurstücke betrifft, sondern alle in dem – überdies mit ca. 5 ha vergleichsweise kleinen – Plangebiet überhaupt zur baulichen Nutzung vorgesehenen Flächen erfasst. Trifft m.a.W. der Plangeber im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung für das Plangebiet eine einheitliche Festsetzung, ist im Zweifel auch von einer Einheitlichkeit des entsprechenden Baugebiets nach der Art der baulichen Nutzung auszugehen.

Für diese maßgebliche Identität der Ausweisung ist nach der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts, der sich die Kammer anschließt, unerheblich, dass der Bebauungsplan hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, der überbaubaren Grundflächen sowie der Bauweise innerhalb des reinen Wohngebietes durchaus unterschiedliche Festsetzungen trifft. Auf diese sonstigen Festsetzungen kommt es für den Gebietserhaltungsanspruch nicht an, eben weil sich das für die Annahme eines Gebietserhaltungsanspruchs maßgebliche Austauschverhältnis zwischen den betroffenen Grundstücken allein aus der Art der baulichen Nutzung ergibt, welche als solche durch (unterschiedliche) Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung nicht verändert wird (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14). Ebenso wenig gebietet – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin – die Tatsache, dass die in der Fläche westlich des Grünstreifens festgesetzten Teilflächen des dortigen reinen Wohngebiets in der Planzeichnung nummeriert sind, die Annahme, dass der Plangeber bei Aufstellung des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung unterschiedliche Baugebiete schaffen wollte, obwohl er die betroffenen Grundeigentümer in dieser Hinsicht denselben rechtlichen Regelungen unterwarf. Bei der Nummerierung der einzelnen Flächen handelt es sich schon ausweislich der Legende zur Planzeichnung um bloße Ordnungsnummern ohne eigenen normativen Gehalt. Die Nummerierung dient wiederum nicht der Zuordnung unterschiedlicher Arten der baulichen Nutzung – sämtliche Grundstücke sind als reines Wohngebiet festgesetzt –, sondern der Feingliederung des Baugebiets im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung und die Bauweise. Unterschiedliche Festsetzungen in dieser Hinsicht lassen indes keinen Schluss auf die Festsetzung unterschiedlicher Baugebiete im Sinne des Gebietserhaltungsanspruchs zu (vgl.o.). Vor diesem Hintergrund, dass allein die Festsetzungen des Bebauungsplans nach der Art der baulichen Nutzung über die Frage des Bestehens eines einheitlichen Baugebiets i.S.d. Gebietserhaltungsanspruchs entscheidend sind, sind darüber hinaus auch die von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Faktoren wie die verkehrliche Erschließung der Grundstücke der Antragssteller zu 1) bis 4) und des Vorhabengrundstücks, aus denen sie das Fehlen einer Wechselbezüglichkeit i.S.d. Gebietserhaltungsanspruchs ableitet, unbeachtlich.

Der Annahme der Festsetzung eines einheitlichen reinen Wohngebiets, in welchem sowohl das Vorhabengrundstück als auch die Grundstücke der Antragsteller zu 1) bis 4) belegen sind, steht auch nicht entgegen, dass sowohl in der Planverordnung als auch in der Planbegründung teilweise die Pluralform „Wohngebiete“, nicht aber die Formulierung „Wohngebiet“ verwendet wird (vgl. § 2 Nr. 3, 7 und 15 der Planverordnung, S. 24 ff. der Planbegründung). Diesem Umstand fehlt es schon deshalb an Aussagekraft für eine Systematik, weil Singular und Plural in Bezug auf den Begriff „Wohngebiet” in der Planbegründung uneinheitlich verwendet werden. Im Inhaltsverzeichnis der Planbegründung findet sich unter Punkt 5.1 auch die singularische Formulierung „Reines Wohngebiet“ und im Text der Planverordnung wird der Plural für solche Teile auf dem westlichen Flurstück verwendet, die lediglich nach dem Maß der baulichen Nutzung unterschiedlich ausgewiesen werden. Überdies ergibt die bloße Verwendung eines solchen Plurals im Rahmen der zur Beurteilung dieser Frage gebotenen normativen Betrachtung schon als solche keine verlässliche Auskunft über die Intention des Plangebers, ob er hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung unterschiedliche Baugebiete i.S.d. Gebietserhaltungsanspruchs oder ein einheitliches Baugebiet festsetzen wollte. Auch wenn in einem Bebauungsplan Flächen als „Baugebiete“ bezeichnet werden, können sie dennoch im Rechtssinne des Gebietserhaltungsanspruchs in demselben Baugebiet belegen sein (so OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14).

Der Umstand, dass nach der Planzeichnung zwischen den farblich (der WR-Ausweisung entsprechend) gleich unterlegten Flächen im Osten und auf dem Vorhabengrundstück (und insoweit allein auf dem Vorhabengrundstück gelegen) in Weiß ein polygonal geschnittener, länglicher Streifen als „Fläche zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft” von jedenfalls etwa 20m Breite ausgewiesen ist, führt zu keiner anderen Bewertung. Diese anderweitige Funktionszuweisung einer Teilfläche (die im Übrigen ihre Entsprechung am westlichen Rand des Plangebiets findet) bedeutet – zumal Unterschiede in der Ausweisung zum Maß der baulichen Nutzung insoweit unerheblich sind (vgl.o.) – nicht, dass der Plangeber bei der Überplanung des kompakten, lediglich ein Karree bildenden Gesamtgebiets im Januar 2015 die Intention verfolgt hätte, zwar sowohl östlich als auch westlich des von baulicher Nutzung freizuhaltenden Naturstreifens jeweils dieselbe Art der baulichen Nutzung festzusetzen, das kleine Plangebiet aber dennoch auch in Bezug auf die Art der baulichen Nutzung in unterschiedliche Baugebiete aufzuteilen, obwohl die Grundeigentümer in beiden Flächen denselben rechtlichen Regelungen unterworfen werden. Dies wird insbesondere daran deutlich, dass der Plangeber sich gerade nicht darauf beschränkt hat, die im östlichen Bereich vorgefundene Bestandsbebauung lediglich zu erfassen, sondern (auch) den auf der Fläche östlich des Grünstreifens belegenen Grundstücken bewusst bauliche Entwicklungsmöglichkeiten in Richtung auf die Fläche westlich des Grünstreifens zugebilligt hat: Durch die Festsetzung der Baugrenze in unmittelbarer Nähe zum Grünstreifen bzw. zur Fläche zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft hat der Plangeber die Möglichkeit zu einer Nachverdichtung der Bebauung dieser Grundstücke im rückwärtigen Bereich eröffnet. Hierdurch sollte eine „maßvolle städtebauliche Entwicklung, nicht zuletzt im Hinblick auf die übergeordneten Ziele der Stadt Hamburg, Flächen für den Wohnungsbau zu schaffen, erreicht werden.“ (S. 25 f. der Planbegründung). Die für die Fläche westlich des Grünstreifens durch den Bebauungsplan vorgesehene Wohnbebauung und die (weitere) Bebauung auf den (schon teilweise bebauten) Grundstücken östlich des Grünstreifens sollten sich mithin gleichsam aufeinander zu bewegen. Die Bestandsbebauung westlich der Lemsahler Landstraße sollte mit entsprechenden Entwicklungsmöglichkeiten „städtebaulich eingebunden werden“ (S. 25 der Planbegründung). Dies widerspricht unmittelbar einer auf Trennung zielenden Planung des Inhalts, mit dem Grünstreifen zum Ausdruck zu bringen, dass sich beide reinen Wohngebiete unabhängig voneinander entwickeln sollten, nämlich im Osten ausschließlich im Sinne einer Sicherung der Bestandsbebauung und im Westen als davon abzusondernde Neubeplanung der Freifläche. Beabsichtigt war vielmehr die „behutsame Weiterentwicklung“ des vorhandenen Wohnquartiers durch die neue Wohnbebauung (S. 24 der Planbegründung), was einer vereinheitlichenden, nicht einer getrennten Entwicklung der beiden Flächen westlich und östlich des Grünstreifens entspricht. Die von der Antragsgegnerin in Bezug genommene Vorgeschichte der Planung legt kein anderes Ergebnis nahe. Dass ursprünglich ein größeres Plangebiet mit dem in Rede stehenden Bebauungsplan erfasst werden sollte, ändert nichts an der Tatsache, dass sich der Plangeber in der Folge auf das festgesetzte Plangebiet und die getroffenen Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung im Bebauungsplan Lemsahl-Mellingstedt 19 beschränkt und keine Unterteilung des reinen Wohngebietes vorgenommen hat. Auch insoweit ist auf den Begründungstext zu verweisen, wonach die bei Planaufstellung vorgefundene Bestandsbebauung westlich der Lemsahler Landstraße mit entsprechenden Entwicklungsmöglichkeiten „städtebaulich eingebunden werden“ sollte (S. 25).

Gegen eine besondere, auf Trennung zweier Wohngebiete zielende Regelungsintention bei Festsetzung des Naturstreifens spricht auch die Entstehungsgeschichte dieser Flächenausweisung. Die Grünzone war als solche mit naturschutzrechtlich beachtlichem Bestand an Flora und Fauna bei Aufstellung des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 bereits vorhanden, stellte also eine räumliche Trennung beider Flächen, aber keine gezielt durch die Planung erst hervorgerufene (normative) Trennung dar. Einer schlichten Trennung zweier Flächen durch tatsächliche Gegebenheiten (Straßen etc.) lässt sich normativ nicht die Wertung entnehmen, dass dadurch die Wechselbezüglichkeit der jeweiligen Nutzungsbeschränkungen aufgehoben werden sollte (so ausdrücklich OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14). Dass dem Fortbestand des bei Planaufstellung bereits vorhandenen Grünstreifens darüber hinaus seitens des Plangebers eine normative Bedeutung zur Aufhebung der Wechselbezüglichkeit der Wohnbauflächen beigemessen worden wäre, lässt sich auch weder den auf diese Teilfläche bezogenen Bestimmungen des Bebauungsplans bzw. der Planverordnung noch den Ausführungen in der Planbegründung entnehmen. Der Zweck des Fortbestands des Naturstreifens an seinem schon bei Planaufstellung vorgefundenem Standort besteht gemäß § 2 Nr. 11 der Planverordnung vielmehr in seiner Bedeutung als naturnahe Gehölzfläche. Gemäß § 2 Nr. 15 der Planverordnung dient der Erhalt des Streifens und seine Festsetzung als Fläche für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft mit dem Entwicklungsziel „Artenreiches, gestuftes Gehölz“ dem naturschutzrechtlichen Ausgleich. Ausgeglichen werden sollen hierdurch Beeinträchtigungen, die durch den Bebauungsplan an anderer Stelle hervorgerufen werden (S. 32 der Planbegründung); wäre der gewachsene Grünbestand auch an dieser Stelle einer Überbaubarkeit preisgegeben worden, hätte der Plan erheblichen weiteren Ausgleichsbedarf begründet. Die Entwicklung des Naturstreifens dient den Zielsetzungen des Artenschutzes zur Schaffung von Ersatzlebensräumen für potenzielle oder reale Vorkommen besonders geschützter Tier- und Pflanzenarten und der übergeordneten Zielsetzung des Landschaftsprogramms zum Schutz des Landschaftsbildes (S. 32 der Planbegründung). Es soll sichergestellt werden, dass die Funktion u.a. dieses Streifens zwischen der Straße Fiersbarg und der nördlichen Plangebietsgrenze als Fledermaus-Flugroute (Orientierung und Nahrungssuche) auch künftig erhalten wird (S. 33 der Planbegründung). Die in der Planbegründung außerdem enthaltene Aussage, der Naturstreifen bewahre einen „Puffer zwischen dem neuen Bebauungsgebiet und der Bestandsbebauung“ (S. 32 der Planbegründung), hat keine abweichende, gesonderte Bedeutung. Zwar kann, je nach Kontext, eine Planaussage zu einer „Pufferfunktion“ einer Fläche nicht nur auf eine tatsächliche, sondern auch auf eine normative Wirkung zielen (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 28.10.2015, 7 E 5333/15, juris, Rn. 38). Eine normative Bedeutung im Sinne der Trennung zweier Flächen in unterschiedliche Baugebiete nach der Art der baulichen Nutzung ist dem hier zu betrachtenden Naturstreifen indes auch nicht vor dem Hintergrund dieser Formulierung in der Planbegründung beizumessen. Mit der Bezeichnung des Streifens als „Puffer“ zwischen den Flächen östlich und westlich davon stellt der Begründungstext keinen Bezug zu der Art der baulichen Nutzung her, auf die es jedoch allein für eine Einordnung der beiden Flächen als ein einheitliches Baugebiet im Sinne des Gebietserhaltungsanspruchs ankäme (vgl. wiederum OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14). Die für den Bebauungsplan Lemsahl-Mellingstedt 19 dem Naturstreifen zugewiesene „Pufferfunktion“ bezieht sich allein auf naturschutzfachliche bzw. naturschutzrechtliche Aspekte. Dies lässt der Kontext der hierauf bezogenen Ausführungen in der Planbegründung ohne Weiteres erkennen (S. 32 der Planbegründung):

„Mit der Festsetzung wird zur Stabilisierung des bestehenden Biotoptyps als Lebensraum für Tiere und Pflanzen beigetragen. Gleichzeitig wird der Puffer zwischen dem neuen Bebauungsgebiet und der Bestandsbebauung bewahrt und die Funktion der Gehölzstruktur insgesamt sowohl als Fledermaus-Flugroute als auch für Brutvögel und besonders geschützte Artengruppen gestärkt.“

Nicht bezogen auf die Art der baulichen Nutzung soll danach ein „Puffer“ durch den Naturstreifen errichtet werden, sondern im Interesse der von der Planung betroffenen Fledermaus- und Vogelarten, denen ihre Flugrouten bzw. Brutplätze zwischen den hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung denselben rechtlichen Regelungen unterworfenen Flächen erhalten werden sollen, wird der Naturstreifen als „Puffer“ erhalten und entsprechend festgesetzt (so auch S. 33 der Planbegründung).

Eine rein faktisch abgrenzende Wirkung des Streifens – auf welche sich die Antragsgegnerin beruft – ist vor dem Hintergrund unbeachtlich, dass die Beantwortung der bauplanungsrechtlichen Frage, inwieweit die von der Geltendmachung eines Gebietsschutzanspruchs betroffenen Grundstücke in demselben Baugebiet belegen sind, allein anhand normativer Kriterien zu beantworten ist (OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14).

2. Das Vorhaben der Antragsgegnerin zielt auf eine gebietsfremde Nutzung. Zulässig nach Art der baulichen Nutzung sind in reinen Wohngebieten gemäß § 3 Abs. 2 BauNVO regelhaft Wohngebäude sowie Anlagen zur Kinderbetreuung, die den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienen. Ausnahmsweise können neben den hier nicht relevanten gewerblichen Anlagen i.S.v. § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO sonstige Anlagen für soziale Zwecke (sowie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienende Anlagen für kulturelle, gesundheitliche oder sportliche Zwecke) zugelassen werden. Die vorliegend in Rede stehende Einrichtung stellt keine Wohnnutzung dar (hierzu unter a). Sie ist auch nicht als soziale Einrichtung in einem reinen Wohngebiet zulässig (hierzu unter b). Ihre bauplanungsrechtliche Zulässigkeit folgt schließlich nicht aus der nach § 246 Abs. 12 BauGB erteilten Befreiung von den Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung (hierzu unter c).

a) In der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts, der sonstigen Oberverwaltungsgerichte sowie des Verwaltungsgerichts Hamburg ist geklärt, dass Anlagen zur öffentlichen Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in der Form der Erstaufnahmeeinrichtung keine Wohnnutzung darstellen, da es jedenfalls an der Eigengestaltung und Freiwilligkeit des Aufenthalts fehlt. Diese Einrichtungen sind vielmehr – insbesondere in Ansehung der Residenzpflicht nach § 47 AsylG sowie der von der Einrichtung zu gewährleistenden zentralen Vollverpflegung und Versorgung mit sonstigen Sachleistungen – als Anlagen für soziale Zwecke einzuordnen (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 28.5.2015, 2 Bs 23/15, juris, Rn. 30; Urteil vom 10.4.1997, Bf II 72/96, NordÖR 1999, 354; Beschluss vom 17.6.2013, 2 Bs 151/13, juris; VG Hamburg, Beschluss vom 22.1.2015, 9 E 4775/14; Beschluss vom 28.10.2015, 7 E 5333/15, juris, Rn. 59; Beschluss vom 6.11.2015, 7 E 5650/15, S. 17; VGH Kassel, Beschluss vom 18.9.2015, 3 B 1518/15, NVwZ 2016, 88; vgl. auch VGH Mannheim, Beschluss vom 6.10.2015, 3 S 1695/15, juris, Rn. 12; VG Köln, Urteil vom 11.1.2012, 23 K 1277/11, juris; so auch BT-Drs. 18/6185, S. 87).

b) Das Vorhaben der Antragsgegnerin ist, wovon bereits die streitgegenständliche Baugenehmigung selbst zutreffend ausgeht, als nicht lediglich kleine Anlage für soziale Zwecke in dem reinen Wohngebiet nicht zulässig.

Für die Anwendbarkeit der Ausnahmemöglichkeit gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO müsste es sich bei einer Anlage für soziale Zwecke in einem reinen Wohngebiet um eine sogenannte kleine, gebietstypische Anlage handeln, die sich in die Zweckbestimmung des Baugebiets fügt (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 28.5.2015, 2 Bs 23/15, juris, Rn. 39; Beschluss vom 28.11.2012, 2 Bs 210/12, NVwZ-RR 2013, 352, 354; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL, Stand: 8/2015, § 3 BauNVO, Rn. 79). Dem liegt zugrunde, dass bei zahlreichen Nutzungsarten, insbesondere der reinen Wohnnutzung, schon der Umfang der Nutzung selbst ein typenbildendes Merkmal ist, weil von der Nutzungsart mit zunehmendem Umfang gebietsunverträgliche Störungen ausgehen. Diese Maßstäblichkeit gilt insbesondere auch für ausnahmsweise zulassungsfähige Nutzungen. Regelhaft erwartet werden in einem reinen Wohngebiet nur die beim privaten Wohnen üblichen bzw. zweckmäßigen, d.h. auch entsprechend dimensionierten Infrastruktureinrichtungen (vgl. VGH Mannheim zu einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber mit 26 Plätzen als Umnutzung eines Bestandsgebäudes, Beschluss vom 6.10.2015, 3 S 1695/15, NVwZ 2015, 1781 ff., bzw. VGH Kassel, Beschluss vom 18.9.2015, 3 B 1518/15, NVwZ 2016, 88, 89, zu einer Einrichtung für 25 Personen). Für die Gebietsverträglichkeit geht es um die Frage, ob ein Vorhaben dieser Art aufgrund der typischerweise mit ihm verbundenen Auswirkungen auf die nähere Umgebung generell geeignet ist, das Wohnen in einem reinen Wohngebiet zu stören (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 18.9.2015, 3 B 1518/15, NVwZ 2016, 88), insbesondere nach seinem räumlichen Umfang, der Art und Weise der Nutzung und dem vorhabenbedingten An- und Abfahrtsverkehr (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 28.5.2015, 2 Bs 23/15, juris, Rn. 41). Individuelle Besonderheiten der zu betrachtenden Einrichtung, des Verhaltens der darin untergebrachten Personen oder auch besondere individuelle Fähigkeiten des Betreibers zur Herabsetzung der Störungsintensität einer konkreten Einrichtung sind demgegenüber wegen des eine typisierende Betrachtung erfordernden Maßstabs des Gebietserhaltungsanspruchs nicht in die gerichtliche Prüfung einzubeziehen (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 18.9.2015, 3 B 1518/15, NVwZ 2016, 88). Die Bewertung der Dimensionierung ergibt sich aus dem Vergleich mit der plangemäßen Bebauung, insoweit unter Berücksichtigung der Vorgaben zum Maß der baulichen Nutzung (vgl. Stock in König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, 3. Aufl. 2014, § 3 Rn. 43); in durch geringe Verdichtung geprägten Gebieten können dementsprechend nur solche Anlagen ausnahmsweise zugelassen werden, die der Eigenart des konkreten Gebiets entsprechen (so, unter Bezugnahme auf § 15 Abs. 1 BauNVO als ergänzender rechtlicher Maßstab, Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL, Stand: 8/2015, § 3 BauNVO, Rn. 79).

Nach diesem Maßstab kann das Vorhaben nicht als eine in dem reinen Wohngebiet gebietsverträgliche, zulässige „kleine“, die Zweckbestimmung des Baugebiets nicht gefährdende (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 28.5.2015, 2 Bs 23/15, juris, Rn. 39; Beschluss vom 28.11.2012, 2 Bs 210/12, NVwZ-RR 2013, 352, 354; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL, Stand: 8/2015, § 3 BauNVO, Rn. 79) Anlage für soziale Zwecke gewertet werden.

Mit seiner Erstreckung auf insgesamt 24 zumeist große Baukörper (mit insgesamt 238 Einheiten, die für jeweils 4 Personen nutzbar wären) bzw. Teilanlagen (vgl. Lageplan, Vorlage Nr. 7/21), der Ausrichtung auf (derzeit) 252 Nutzer zuzüglich Personal und der Ausdehnung über den gesamten westlichen Planbereich geht das Vorhaben weit über die in dem Bebauungsplan angelegte kleinteilige Wohngebietsausweisung hinaus: Durch den Bebauungsplan Lemsahl-Mellingstedt 19 sollten insbesondere für das städtische Grundstück (Flurstück 420) am Fiersbarg die planungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bau von insgesamt nur 40 bis 45 Wohneinheiten in Form von Einzel, Doppel- und Reihenhäusern sowie in (drei) Stadtvillen (diese mit bis zu 5 Wohneinheiten) geschaffen werden (vgl. Bebauungskonzept, Planbegründung S. 5). Hierfür wurden insgesamt für die bauliche Nutzung nur 17 Baufenster bestimmt und hierbei „die Baugrenzen … baukörperscharf festgesetzt, um die Umsetzung des Bebauungskonzeptes zu gewährleisten” (S. 24 der Planbegründung). Die Reihenhauszeilen sollten aus je drei Einheiten bestehen (S. 25 der Planbegründung) und die höchstzulässige Zahl der Wohneinheiten in Wohngebäuden wurde „gemäß der im Bebauungskonzept vorgesehenen Gebäudetypen mit einer Wohnung in den Einzel- und Doppelhaustypen sowie in den Hausgruppen und mit 5 Wohnungen für die Stadtvillen festgesetzt” (S. 25 der Planbegründung).

Im Übrigen ist die Einrichtung bei der gebotenen typisierenden Betrachtung auch ihrer Zweckbestimmung nach in einem reinen Wohngebiet nicht gebietsverträglich (vgl. im Einzelnen Beschluss der Kammer vom 15.12.2015, 7 E 6128/15). Auch in der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts ist – für eine Folgeunterkunft, d.h. für eine Nutzung mit geringerer Belegungsdichte sowie durch Personen mit günstigerer Bleibeperspektive – geklärt, dass eine größere Einrichtung zur öffentlichen Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern bei typisierender Betrachtung als in einem reinen Wohngebiet gebietsunverträglich anzusehen ist (OVG Hamburg, Beschluss vom 28.5.2015, 2 Bs 23/15, juris, Rn. 43 ff.). Dies muss erst recht für Einrichtungen wie die vorliegend zu betrachtende gelten, denn hierbei soll es sich um eine sogenannte zentrale Erstaufnahmeeinrichtung (ZEA) handeln, welche i.S.v. § 47 AsylG dazu dient, Ausländer unmittelbar nach Stellung ihres Asylauftrags, also unmittelbar nach ihrer Ankunft in Hamburg, für mindestens sechs Wochen, längstens sechs Monate (gemäß Absatz 1a der Vorschrift Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat allerdings auch länger), unterzubringen. Gerade solche Einrichtungen sind nach den spezifischen Belegungs- und Nutzungsbedingungen geeignet, typischerweise erhebliche Auswirkungen auf die Wohnruhe eines reinen Wohngebiets zu entfalten.

c) Bauplanungsrechtlich zulässig wird das Vorhaben auch nicht durch die Befreiung nach § 246 Abs. 12 BauGB; die Befreiung ist rechtswidrig und nicht geeignet, die Verbindlichkeit der Ausweisung „reines Wohngebiet” wie auch des daraus folgenden Gebietserhaltungsanspruchs der Antragsteller zu 1) bis 4) aufzuheben.

Die Voraussetzungen zur Erteilung einer Befreiung nach § 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB sind nicht erfüllt.

Nach dieser Vorschrift kann bis zum 31. Dezember 2019 für die auf längstens drei Jahre zu befristende Errichtung mobiler Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Insoweit kann vorliegend dahingestellt bleiben, wie der Begriff der mobilen Anlage widerspruchsfrei abzugrenzen ist, d.h. ob es sich bei der Gesamtanlage wegen der Verwendung von Containern als wesentliche Bauelemente und trotz der erforderlichen Erschließungs- und Fundamentierungsarbeiten um eine im Rechtssinne mobile Unterkunft i.S.v. § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 BauGB handelt, bzw. wie der Umstand zu erklären ist, dass eine andere Behörde der Antragsgegnerin zu einer für einen anderen Standort vorgesehenen, ebenfalls wesentlich aus Containern gleicher Bauart zusammengesetzten, um Dachbauteile ergänzten Anlage eine „Fachbehördliche Entscheidung“ nach § 246 Abs. 14 BauGB vorgelegt hat, welche zur Begründung der Anwendung von § 246 Abs. 14 BauGB betont:

„Die Erteilung einer befristeten Zulassung nach Abs. 12 scheidet aus, da die zu errichtenden Anlagen keine ‘mobilen Unterkünfte’ im Sinne des Satzes 1 Nr. 1 sind. Vielmehr werden von umfangreichen Erschließungsmaßnahmen begleitete, fest gegründete Bauten errichtet.“

Vorliegend ist entscheidend, dass die allgemeine Tatbestandsvoraussetzung nach § 246 Abs. 12 Satz 1 a.E. BauGB, wonach die Befreiung mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muss, nicht erfüllt ist.

Die Frage nach der Vereinbarkeit der Befreiung mit den öffentlichen Belangen ist im vorliegenden Nachbarstreitverfahren trotz seiner prozessrechtlichen Beschränkung auf die subjektiven Rechte der Antragsteller (vgl. o.) Gegenstand der gerichtlichen Prüfung. Betrifft die Erteilung einer Befreiung eine nachbarschützende Festsetzung – hier zur Art der baulichen Nutzung (s.o.) –, führt bereits das Fehlen der objektiven Befreiungsvoraussetzungen zu einer Verletzung von Nachbarrechten (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.9.1986, 4 C 8.84, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 71, und Beschluss vom 8.7.1998, 4 B 64/98, NVwZ-RR 1999, 8).

Der Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen steht hier entgegen, dass die Befreiung von der Art der baulichen Nutzung sich als Verletzung eines Grundzugs der Planung des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 erweist. Zu den öffentlichen Belangen, mit denen ein Vorhaben gemäß § 246 Abs. 12 BauGB zu vereinbaren sein muss, gehört insbesondere die Beachtung der Grundzüge der Planung – jedenfalls dergestalt, dass sie durch die Befreiung nicht verletzt werden dürfen (hierzu unter aa)). Steht ein erheblicher öffentlicher Belang der Befreiung entgegen, ist sie ausgeschlossen; andere, für die Befreiung sprechende Belange sind dann unerheblich und insbesondere nicht im Wege einer Gesamtabwägung zur Geltung zu bringen (hierzu unter bb)).

aa) Die erteilte Befreiung von der Art der baulichen Nutzung ist schon deshalb nicht mit den öffentlichen Belangen im Sinne von § 246 Abs. 12 BauGB vereinbar, weil sie einen Grundzug der Planung verletzt.

aaa) Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ermächtigt die Vorschrift nicht zu einer unbeschränkten Abweichung von den Festsetzungen des jeweiligen Bebauungsplans. Mit dem Gebot, dass die Befreiung mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muss, ist jedenfalls verbunden, dass die Grundzüge der Planung nicht verletzt werden dürfen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff der öffentlichen Belange im Zusammenhang mit der bauplanungsrechtlichen Befreiung lässt sich dieser nicht allgemein randscharf abgrenzen, umfasst indes immer die Wahrung des wesentlichen Gehalts des Bebauungsplans (BVerwG, Urteil vom 19.9.2002, 4 C 13/01, BVerwGE 117, 50):

„Welche Umstände als öffentliche Belange im Sinne von § 31 Abs. 2 BauGB eine Befreiung ausschließen, lässt sich nicht generell beantworten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt der Schluss, eine Befreiung sei mit den öffentlichen (bodenrechtlichen) Belangen nicht vereinbar, um so näher, je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht einer Planung eingreift. Eine Befreiung ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung nur durch Planung zu bewältigende Spannungen hineinträgt oder erhöht, so dass es bei unterstellter Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 BauGB nicht zugelassen werden dürfte (BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1978 – BVerwG 4 C 54.75 – BVerwGE 56, 71 <78 f.>).”

In der angeführten Grundsatzentscheidung vom 9. Juni 1978 hatte das Bundesverwaltungsgericht die zentrale Bedeutung des Schutzes der Grundzüge der Planung für das System der bauplanungsrechtlichen Ordnung erläutert:

„Durch die Entgegensetzung von Regelfällen und Sonderfällen wird auch die Grenze zwischen der Befreiung und der etwa erforderlichen Planänderung markiert: Ist die Befreiung auf atypische Sonderfälle beschränkt, so folgt daraus, daß in allen übrigen (Regelfällen) Fällen zulässige Abweichungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nur mit Hilfe eines Planänderungsverfahrens bewirkt werden können. Diese Folgerung entspricht in dreifacher Hinsicht dem System des Bundesbaugesetzes: Zum einen dürfen die Festsetzungen eines Bebauungsplans – gemäß § 10 BBauG handelt es sich um Rechtssätze – nicht generell, insbesondere nicht in den vom Plan erfaßten Regelfällen, durch Verwaltungsakte “außer Kraft gesetzt” werden. Ferner obliegt die Änderung eines Bebauungsplans nach § 2 Abs 1 und Abs 7 BBauG 1976 der die Planungshoheit ausübenden Gemeinde und nicht der Baugenehmigungsbehörde. Außerdem ist für die Planung in § 2 Abs 5 und Abs 7, § 2a Abs 1 bis 6 BBauG 1976 ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Träger öffentlicher Belange und der Bürger vorgeschrieben. Würde die Baugenehmigungsbehörde gleichwohl in “Regelfällen” befreien, so würde sie damit die vom Bundesbaugesetz bestimmte Zuständigkeit und das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren umgehen.“

Spätere Änderungen der allgemeinen bauplanungsrechtlichen Befreiungsvorschrift, des § 31 Abs. 2 BauGB, mit denen das Verbot, mit einer Befreiung die Grundzüge der Planung zu berühren, in den Normtext eingefügt und tatbestandlich zugeordnet worden ist, sind angesichts der Systemnotwendigkeit einer die Grundentscheidungen des Plangebers schützenden Grenze für die Abweichungsentscheidung der Baugenehmigungsbehörde lediglich als (den Maßstab verfeinernde) Bestätigung dessen zu verstehen, was mit dem Begriff der „öffentlichen Belange” bereits vorgegeben ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5.3.1999, 4 B 5/99, ZfBR 1999, 283). In der Abfolge des Normwortlauts des § 31 Abs. 2 BauGB gegenüber der Bedingung, dass die Befreiung mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muss, vorgehende einzelne Tatbestandselemente bzw. einzelne Befreiungstatbestände können sich zwar bereits auf die Vereinbarkeit mit der Plankonzeption beziehen; dies ändert indes nichts daran, dass die Wahrung der Grundzüge des Bebauungsplans wesentlicher Gegenstand des Begriffs der öffentlichen Belange ist (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL., Stand: 8/2015, § 31, Rn. 55 ff.).

Die Bedingung, dass die Befreiung mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muss, hat in der speziellen Befreiungsnorm des § 246 Abs. 12 BauGB keine andere Bedeutung als im Rahmen der allgemeinen Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB. Insoweit sind nicht nur der Wortlaut und die systematische Stellung innerhalb der Norm identisch. Dasselbe Ergebnis folgt auch aus der gesamtsystematischen Betrachtung, insbesondere dem Abgleich mit höherrangigem Recht, sowie Sinn und Zweck der Vorschrift; das vorliegende Material über den Gesetzgebungsvorgang steht dem ebenfalls nicht entgegen.

Der verfassungsrechtliche Rahmen für die Möglichkeiten der Baugenehmigungsbehörde, von der – rechtssatzförmigen – Entscheidung des Plangebers über die bauliche Entwicklung des Plangebietes abzuweichen, ist für alle Vorschriften zur bauplanungsrechtlichen Befreiung gleich: Zulässiger Zweck der im Baugesetzbuch – auch vor Inkrafttreten des § 246 Abs. 12 BauGB im Zuge des sog. „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes“ am 24.10.2015 – bereits enthaltenen Bestimmungen, die es unter bestimmten Voraussetzungen ermöglichen, von den Festsetzungen eines Bebauungsplans abzuweichen, ist es, durch eine gewisse Flexibilisierung planerischer Festsetzungen vor dem Hintergrund des Übermaßverbots Einzelfallgerechtigkeit zu ermöglichen (Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 31, Rn. 1). Abweichungsvorschriften, zu denen auch § 246 Abs. 12 BauGB zu zählen ist, stehen damit in einem Spannungsverhältnis zu anderen elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen bzw. grundgesetzlichen Garantien. Die Rechtssicherheit als ein i.S.d. Art. 20 GG wesentliches Element der Rechtsstaatsgarantie erfordert eine Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtslage und der Rechtsanwendung (BVerfG, Beschluss vom 8.1.1981, 2 BvL 3/77, 9/77, BVerfGE 56, 1, 12; Beschluss vom 9.4.2003, 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01, BVerfGE 108, 52, 75; Beschluss vom 3.3.2004, 1 BvF 3/92, BVerfGE 110, 33, 53 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl. 2012, Art. 20, Rn. 58), die nur dann gewahrt bleibt, wenn die Möglichkeit zur Abweichung von planungsrechtlichen Festsetzungen durch gesetzlich normierte Voraussetzungen auf ein vertretbares Maß beschränkt wird (Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 31, Rn. 2).

Zu beachten ist zudem die Zuordnung der Befugnisse. Vor dem Hintergrund des Art. 28 Abs. 2 GG darf durch die Schaffung von Abweichungsvorschriften oder ihre Anwendung die Umgehung einer eigentlich erforderlichen Planänderung nicht ermöglicht werden (Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 31, Rn. 28). In die sachliche Reichweite der hierdurch geschützten und garantierten gemeindlichen Selbstverwaltung fällt als eine der sog. Gemeindehoheiten auch die Planungshoheit als Befugnis der Gemeinde zur Ordnung und Gestaltung des Gemeindegebiets im Sinne einer längerfristigen Entwicklung, namentlich in Ansehung der baulichen Nutzung (BVerfG, Beschluss vom 7.10.1980, 2 BvR 584/76 et. al., BVerfGE 56, 298, 310, 317 f.; BVerwG, Urteil vom 16.12.1988, 4 C 40/83, BVerwGE 81, 95, 106; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl. 2012, Art. 28, Rn. 13; Hellermann, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Ed. 26, Stand: 9/2015, Art. 28, Rn. 40.5). Auch und gerade hieraus ergibt sich der Vorbehalt, nach dem der Bebauungsplan als Rechtsnorm grundsätzlich nur durch Änderung, Ergänzung oder Aufhebung in seinem Inhalt geändert werden kann, so dass Abweichungsvorschriften nicht dazu verwendet werden dürfen, den Bebauungsplan – wie es hier die Antragsgegnerin beabsichtigt – an geänderte tatsächliche Verhältnisse oder neue städtebauliche Vorstellungen anzupassen (BVerwG, Urteil vom 9.6.1978, 4 C 54.75; Beschluss vom 13.2.1996, 4 B 199.95; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL., Stand: 8/2015, § 31, Rn. 15), und es allein der Gemeinde vorbehalten ist, eine solche Anpassung durch Änderung des Bebauungsplans selbst herbeizuführen, nicht der Bauordnungsbehörde im Wege einer Abweichungsentscheidung (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL., Stand: 8/2015, § 31, Rn. 15). Zudem ist wegen der grundrechtsgestaltenden Wirkung der Planung von erheblicher Bedeutung, dass die nach den §§ 3 und 4 BauGB notwendige Beteiligung der Bürger und Träger öffentlicher Belange nicht im Wege behördlicher Abweichungsentscheidungen unterlaufen oder geradezu „aus den Angeln gehoben“ wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5.3.1999, 4 B 5/99, NVwZ 1999, 1110; Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 31, Rn. 29). Dies gilt auch in der Einheitsgemeinde Hamburg, in der den Bezirksämtern sowohl die Bauaufsicht als auch die Aufstellung der Bebauungspläne übertragen ist (OVG Hamburg, Beschluss vom 17.6.2013, 2 Bs 151/13, S. 6); wird durch die Erteilung einer Befreiung eine an sich erforderliche Planänderung funktionell ersetzt, handelt es sich um einen Übergriff der Bauaufsicht in die Kompetenz der Bauleitplanung.

Ein von dem allgemeinen abweichendes Verständnis des Begriffs „öffentliche Belange” dergestalt, dass im Rahmen von § 246 Abs. 12 BauGB das Verhältnis zwischen dem durch Befreiung zu ermöglichenden Vorhaben und dem Konzept des Bebauungsplans unerheblich sein sollte, ist auch weder nach der Systematik der Vorschrift selbst anzunehmen, noch nach den sonstigen Zusammenhängen mit den übrigen Vorschriften des Baugesetzbuches. Zu beachten ist insoweit zunächst, dass der maßgebliche Normkontext darin besteht, dass die Vereinbarkeit mit den öffentlichen Belangen zu den Bedingungen für eine auch nur in das Ermessen der Baugenehmigungsbehörde gestellte Befreiung gehört. Schon dem Begriff der „Befreiung” ist der Ausnahmecharakter immanent, d.h. das Sonderverhältnis zu der Regel, die schlicht in der Beachtung des Bebauungsplans liegt (vgl. bereits oben, BVerwG, Urteil vom 9.6.1978, aaO.). Zielt das Gesetz demgegenüber selbst darauf, dem Bebauungsplan bzw. seinen Grundzügen die Maßgeblichkeit zu nehmen bzw. seine Regelungsaussage zu ändern, so bringt es dies – auch zur Wahrung des rechtsstaatlichen Gebotes der Normenklarheit – unmittelbar zum Ausdruck und setzt die gewünschte Rechtsfolge selbst verbindlich (vgl. u.a. §§ 245a Abs. 1, 246 Abs. 11 BauGB). Vor diesem Hintergrund ist auch, entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin, die Auslegung des § 246 Abs. 10 BauGB (durch den VGH Mannheim, Beschluss vom 11.3.2015, 8 S 492/15, juris), wonach dessen Zielrichtung, Unterkünfte auch in Gewerbegebieten zu ermöglichen, es verbiete, bei der Prüfung der entgegenstehenden öffentlichen Belange auf die Planfestsetzung zur Art der baulichen Nutzung abzustellen, nicht auf § 246 Abs. 12 BauGB zu übertragen. Das ergibt sich bereits daraus, dass es insoweit um Vorschriften maßgeblich unterschiedlicher Struktur geht: § 246 Abs. 10 BauGB setzt (als Bundesgesetz) allgemein bei dem planungsrechtlichen Bedeutungsgehalt der Gewerbegebietsausweisung an, während § 246 Abs. 12 BauGB die planerische Grundaussage selbst nicht regelt, sondern ihre Beachtung der Baugenehmigungsbehörde überantwortet.

Die intendierte Rücksichtnahme auf die besondere Stellung des Plangebers drückt sich in § 246 Abs. 12 BauGB weiter darin aus, dass Satz 2 der Vorschrift § 36 des Gesetzes für entsprechend anwendbar erklärt. Hiernach ist die für die Bebauungsplanung zuständige Gemeinde an dem Genehmigungsverfahren zu beteiligen, sie kann, wie § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB im Sinne eines Numerus Clausus, zugleich indes die Erheblichkeit der Grundzüge der Planung bestätigend anführt, das Einvernehmen wirksam u.a. aus den sich aus § 31 BauGB ergebenden Gründen versagen. Dementsprechend stellt sich der Umstand, dass § 246 Abs. 12 BauGB die besondere Befreiungsmöglichkeit nur mit einer Befristung auf (zunächst, vgl. Abs. 17 der Vorschrift) drei Jahre und nur für die Errichtung mobiler Unterkünfte (oder die Umnutzung von Baulichkeiten in besonderen Gebieten) eröffnet, lediglich als Einschränkung des Anwendungsbereichs dar. Begründet wird durch diese Einschränkungen nicht das Erfordernis einer eigenständigen Definition des Begriffs der öffentlichen Belange, sondern die Möglichkeit, dass sich im Einzelfall ein Vorhaben im Hinblick auch auf die konkrete zeitliche Befristung der Befreiung als für die Grundkonzeption des Bebauungsplans unerheblich erweist.

Auch der Abgleich der Regelungssystematik mit § 31 Abs. 2 BauGB führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar enthält § 246 Abs. 12 BauGB gerade nicht die dort gesondert von den öffentlichen Belangen angeführte Bedingung, dass die „Grundzüge der Planung nicht berührt werden”. Hierbei handelt es sich nach der Begründung zu dem Entwurf der Bundesregierung, wonach eine Befreiung auch dann möglich sein soll, „wenn die Grundzüge der Planung berührt werden” (vgl. BT-Drs. 18/6185, S. 54), auch um eine bewusste Abweichung von der allgemeinen Befreiungsvorschrift. Ergebnis dieser Regelungstechnik ist indes nur, dass die besondere Grenze für Beeinträchtigungen der Grundzüge der Planung, die § 31 Abs. 2 BauGB mit „berührt” definiert, als solche nicht auf die Befreiungen nach § 246 Abs. 12 BauGB anzuwenden ist, während die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl.o.) in dem Begriff der öffentlichen Belange enthaltene, allgemeine, grundsätzliche Grenzziehung zugunsten der Verbindlichkeit des Bebauungsplans zu beachten bleibt. Auch der Satz in der Entwurfsbegründung (aaO., S. 54 u.) „Soweit sich im zeitlich befristeten Nutzungszeitraum der Flüchtlingseinrichtung ergibt, dass eine langfristige Nutzung erforderlich wird, wäre eine nachhaltige Bauleitplanung erforderlich”, erfordert im Übrigen keine abweichende Auslegung des dort zugrunde liegenden Systemverständnisses. Denn auch in dem Fall, dass das durch Befreiung nach § 246 Abs. 12 BauGB ermöglichte Vorhaben die Grundzüge der Planung iSv. § 31 Abs. 2 BauGB berührt, jedoch nicht in einer Weise verletzt, dass es mit den öffentlichen Belangen iSv. § 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB unvereinbar wäre, ist nach Verfassungsrecht wie auch Systematik des Baugesetzbuches (vgl.o.) eine Auflösung des Widerspruchs zu dem Bebauungsplan durch eine Planänderung angemessen.

Nach allem hat die von § 31 Abs. 2 BauGB teilweise abweichende Formulierung der Befreiungsvorschrift in § 246 Abs. 12 BauG nur zur Folge, dass hier jener, mit „nicht berührt” besonders strenge Maßstab zur Wahrung der Grundzüge der Planung nicht anzuwenden ist. Die allgemeinen Anforderungen an das Verhältnis zwischen Einzelfallentscheidung der Baugenehmigungsbehörde und Planentscheidung des Plangebers verlangen demgegenüber weiterhin Beachtung. Mit dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 19.9.2002, 4 C 13/01, BVerwGE 117, 50) ist danach als unvereinbar mit öffentlichen Belangen eine Befreiung ausgeschlossen, „wenn das Vorhaben in seine Umgebung nur durch Planung zu bewältigende Spannungen hineinträgt oder erhöht, so dass es bei unterstellter Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 BauGB nicht zugelassen werden dürfte”. Dieses Kriterium dürfte sachgerecht in der Formulierung zusammenzufassen sein, dass eine Befreiung mit den öffentlichen Belangen iSv. § 246 Abs. 12 BauGB insbesondere dann nicht vereinbar ist, wenn das Vorhaben die Grundzüge der Planung in diesem Sinne schwerwiegend beeinträchtigt, d.h. verletzt.

Die Bezugnahme nicht allein auf § 246 Abs. 12 BauGB, sondern zugleich auf § 31 Abs. 2 BauGB in dem Baugenehmigungsbescheid ergibt im Übrigen keinen anderen Maßstab für die Zulässigkeit der erteilten Befreiung. Insoweit handelt es sich lediglich, wie das die Nichtanwendbarkeit der Schranken in § 31 Abs. 2 BauGB betonende Vorbringen der Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren bestätigt, um eine an die übliche Terminologie bei bauplanungsrechtlichen Befreiungsentscheidungen anknüpfende Formulierung. Rechtlich werden mit einer Berufung auch auf § 31 Abs. 2 BauGB indes keine über § 246 Abs. 12 BauGB hinausgehenden bzw. davon zugunsten des Vorhabens abweichenden Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet (vgl.o.).

bbb) Die von der Antragsgegnerin gemäß § 246 Abs. 12 BauGB erteilte Befreiung von der Art der baulichen Nutzung ist im Sinne des aufgezeigten Maßstabs nicht mit öffentlichen Belangen vereinbar. Sie steht in deutlichem Gegensatz zu dem Plankonzept des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 und verletzt damit die Grundzüge der Planung.

Das den Grundzügen der Planung zugrunde liegende Plankonzept beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Willen des Plangebers. Zu dessen Ermittlung ist neben zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Plans auch seine Begründung auszuwerten (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL., Stand: 8/2015, § 31, Rn. 36; Siegmund, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, Stand: 4/2015, § 31, Rn. 61).

Die Bestimmung insbesondere der Art der baulichen Nutzung gerade für die Fläche des Flurstücks 420 war wesentlicher Anlass für die Aufstellung sowie wesentlicher Gegenstand des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19; dies macht im Übrigen die Antragsgegnerin selbst, wenn auch in anderem Zusammenhang (nämlich als vermeintlicher Beleg für die normative Trennung der Flächen westlich und östlich des Naturstreifens), geltend.

Schon den zeichnerischen Festsetzungen ist die zentrale Bedeutung der „WR”-Ausweisung insbesondere des Flurstücks 420 zu entnehmen. Hiernach ist die reine Wohnnutzung die einzige eröffnete bauliche Nutzung, sind die Baufenster mit den unterschiedlichen Maßen der baulichen Nutzbarkeit aufeinander bezogen angeordnet und gruppieren sich die sonstigen Flächenausweisungen darum, die Wohnruhe und den Grünschutz begünstigend, herum.

Die Planbegründung bestätigt die entsprechende planerische Absicht. Hiernach war es ein besonderes Anliegen der Planaufstellung, im Plangebiet die Realisierung von Familienheimen und sonstiger kleinteiliger Wohnnutzung zu ermöglichen. Ausdrücklich für das nunmehr in Rede stehende Vorhabengrundstück sollten die planungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bau von 40 bis 45 Wohneinheiten in Form von Einzel-, Doppel- und Reihenhäusern sowie in Stadtvillen, davon 30 % öffentlich gefördert, geschaffen werden (S. 3 der Planbegründung), wodurch ein Beitrag zum dringend benötigten Wohnungsbau in Hamburg geleistet werden sollte (S. 3 der Planbegründung). Die neuen und bestehenden Bauflächen sollten für die Wohnnutzung bei entsprechender Wohnruhe gesichert werden, was durch die Festsetzung eines reinen Wohngebiets, insbesondere für das jetzige Vorhabengrundstück, geschehen sollte (S. 24 der Planbegründung). Ausdrücklich erkennt die Planbegründung dabei an, dass derartige Wohnlagen in Hamburg besonders nachgefragt und „unverzichtbares Segment des gesamtstädtischen Wohnungsmarktes“ seien (S. 24 der Planbegründung). Durch die eine solche Wohnbebauung ermöglichende Festsetzung sollte auch der Abwanderung in das Umland entgegengewirkt werden (S. 24 der Planbegründung).

Eine überdies gerade auch auf den Ausschluss anderer Nutzungsarten zielende Intention der Planentscheidung für die reine Wohnnutzung ergibt sich zudem daraus, dass die planerische Grundentscheidung zur Ausweisung des Vorhabengrundstücks als Teil eines reinen Wohngebiets von dem Plangeber gerade auch in bewusster Abkehr von einer vorherigen Nutzung der Fläche mit einer großen sozialen Einrichtung (sog. „Pavillon-Dorf“) erfolgte, obwohl seinerzeit (im Januar 2015) ein Bedarf an Schaffung von Unterkunftsplätzen bereits bestand und von der Antragsgegnerin für andere Standorte auch als dringlich geltend gemacht wurde.

Die erteilte Befreiung von der Art der baulichen Nutzung für das streitgegenständliche Vorhaben stellt sich hiernach als erhebliche Verletzung dieser Grundzüge der Planung dar, die einer Umplanung gleichkommt: Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die hierbei in Anspruch genommene Fläche – das Grundstück von rund 32.000 m2 wird der plangemäßen Bebaubarkeit für Wohngebäude vollständig entzogen -, und ihren hohen Anteil (von etwa drei Fünfteln) an der Gesamtfläche des Geltungsbereichs des Bebauungsplans.

Diese Verletzung der Grundzüge der Planung wird schließlich nicht dadurch unbeachtlich, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung nur eine dreijährige Nutzungszeit für die geplante Einrichtung legalisiert. Allein aus der (gegenwärtigen) Befristung einer Genehmigung kann nicht gefolgert werden, dass Grundzüge der Planung durch diese nicht berührt werden (OVG Hamburg, Beschluss vom 17.6.2013, 2 Bs 151/13, juris, Rn. 11 ff.). Für die vorliegend festgestellte Verletzung der Grundzüge der Planung gilt nichts anderes. Ein Ausschluss der Planumsetzung für drei Jahre hat bereits erhebliches Gewicht. Überdies kann diese Befristung nicht damit gleichgesetzt werden, dass nach ihrem Ablauf die Fläche tatsächlich der plangemäßen Nutzung zur Verfügung stünde.

bb) Ist die Befreiung nach § 246 Abs. 12 BauGB mit dem öffentlichen Belang, dass die Grundzüge der Planung nicht verletzt werden dürfen, nicht vereinbar, ist sie ausgeschlossen. Andere, gegebenenfalls für die Befreiung sprechende Belange sind insoweit nicht geeignet, die Verletzung der Grundzüge der Planung im Wege einer Gesamtabwägung zu kompensieren (vgl. Roeser, in: Berliner Kommentar BauGB, 3. Aufl. 2002, 7. EL., Stand: 9/2006, § 31, Rn. 18; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, 75. EL., Stand: 7/2010, § 31, Rn. 54). Auch dies ist Ausdruck der zu unterscheidenden Befugnisse der Baugenehmigungsbehörde einerseits (zur Einzelfallregelung in Umsetzung des Bebauungsplans) und des Plangebers andererseits (zur umfassenden Gestaltung der städtebaulichen Entwicklung). Die auf die seinerzeitige Normfassung bezogenen Erläuterungen des Bundesverwaltungsgerichts hierzu (Urteil vom 9.6.1978, IV C 54.75, BVerwGE 56, 71) gelten in der Sache unverändert:

„Eine Befreiung, mit der einem bestimmten öffentlichen Interesse Rechnung getragen werden soll, verbietet sich, wenn dadurch die geordnete städtebauliche Entwicklung beeinträchtigt würde. In Fällen dieser Art bedarf es eines Ausgleichs zwischen einander widerstreitenden – häufig zum Teil bodenrechtlich, zum anderen Teil nicht-bodenrechtlichen – Gemeininteressen. Ein solcher Ausgleich bedarf gleichsam der Einbettung in die gesamte Interessenlage. Die Befreiung ist nicht das geeignete und deshalb auch nicht das zugelassene Mittel, dies zu erreichen. Steht der Befreiung ein bodenrechtlicher Belang in beachtlicher Weise entgegen, so vermag sich gegen ihn weder der atypische – obschon vielleicht gewichtige – Gemeinwohlgrund durchzusetzen, noch ist eine “Kompensation” (Saldierung) aller betroffenen, für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange möglich. Für eine Kompensation oder Saldierung der öffentlichen Belange im Sinne einer Bevorzugung des einen Belanges unter Zurücksetzung anderer Belange läßt das Gesetz bei der Anwendung des § 31 Abs 2 BBauG so wenig Raum wie bei der Anwendung des § 35 BBauG (vgl Urteil vom 16. Februar 1973 – BVerwG IV C 61.70 – BVerwGE 42, 8 (15/16)) und des § 34 BBauG (Urteil vom 26. Mai 1978 – BVerwG 4 C 9.76 -). Eine solche Saldierung widerstreitender Belange würde eine Abwägung im Sinne des § 1 Abs 7 BBauG 1976 voraussetzen. Eine derartige Abwägung ist gekennzeichnet durch die Gewichtung der einzelnen Belange und durch ihren – zur Gewichtigkeit der einzelnen Belange nicht außer Verhältnis stehenden – Ausgleich (Urteil vom 5. Juli 1974 – BVerwG IV C 50.72 – aaO (S 314ff) unter Hinweis auf das Urteil vom 12. Dezember 1969 – BVerwG IV C 105.66 – BVerwGE 34, 301). Sie erfordert notwendig den Einsatz einer spezifisch planerischen Gestaltungsfreiheit (vgl insbesondere Urteil vom 12. Dezember 1969 aaO S 309f). Eine derartige “planerische” Abwägung kann nach dem System des Bundesbaugesetzes nicht im Zuge einer von der Baugenehmigungsbehörde auszusprechenden Befreiung vorgenommen werden.“

II.

Die erteilte Baugenehmigung regelt die Errichtung und den Betrieb der Einrichtung mit einer Belegung mit 252 Personen in einer Weise, dass eigene Rechte der Antragsteller zu 5) bis 7) nicht verletzt werden. Weder können die Antragsteller zu 5) bis 7) einen Gebietserhaltungsanspruch bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruch geltend machen (hierzu unter 1.), noch verstößt die Baugenehmigung in Bezug auf die Antragsteller zu 5) bis 7) gegen das Rücksichtnahmegebot (hierzu unter 2.).

1. Die Verletzung eines Gebietserhaltungsanspruchs der Antragsteller zu 5) bis 7) scheitert bereits daran, dass die im Eigentum dieser Antragsteller stehenden Grundstücke nicht in demselben Baugebiet wie das Vorhabengrundstück belegen sind, sondern in dem Geltungsbereich eines anderen Plans, nämlich des Baustufenplans Lemsahl-Mellingstedt (vgl.o.).

Auch für das Bestehen eines sogenannten gebietsübergreifenden Gebietserhaltungsanspruchs der Antragsteller zu 5) bis 7) ist nichts erkennbar. Einem außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, in welchem das umstrittene Vorhaben verwirklicht werden soll, ansässigen Nachbarn kommt im Grundsatz kraft Bundesrechts kein Gebietserhaltungsanspruch zu, da das „planungsrechtliche Austauschverhältnis“ begriffsnotwendig nur für die im Planungsverband zusammengeschlossenen Grundeigentümer in Frage kommt (BVerwG, Beschluss vom 18.12.2007, 4 B 55/07, juris, Leitsatz 1). Das gilt auch für unmittelbar angrenzende, in einem anderen Bebauungsplangebiet liegende Grundstücke; wenn – wie vorliegend – zwischen den am Nachbarstreit beteiligten Grundstücken die Grenze der Bebauungspläne verläuft, steht dem außerhalb des Bebauungsplanes Ansässigen bundesrechtlich allenfalls der Schutz aus dem Rücksichtnahmegebot zu (so ausdr. Siegmund, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, 31. Ed., Stand: 10/2015, § 31, Rn. 78). Ein gebietsübergreifender Schutz eines Nachbarn vor gebietsfremden Nutzungen wäre m.a.W. nicht bundesrechtlich vorgegeben, sondern müsste durch den Bebauungsplan, der für das Vorhabengrundstück gilt, begründet werden. Dies setzt den erkennbaren Willen des Plangebers voraus, dass Gebietsausweisungen in einem Bebauungsplan auch dem Schutz der jenseits der Gebietsgrenze liegenden benachbarten Bebauung dienen sollen (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 13.9.2013, 9 E 3452/13, juris, Leitsatz 1 und Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 14.12.1973, IV C 71.71, juris, Rn. 28; OVG Koblenz, Beschluss vom 2.7.2013, 1 B 10480/13, juris, Rn. 9). Dies ist vorliegend hinsichtlich der Festsetzungen des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 zur Art der baulichen Nutzung in Bezug auf die Grundstücke der Antragsteller zu 5) bis 7) nicht anzunehmen. Anlass der Festsetzung der Art der baulichen Nutzung des Plangebiets – insbesondere des jetzigen Vorhabengrundstücks – als reines Wohngebiet war – wie ausgeführt – die von dem Plangeber beabsichtigte Schaffung zusätzlichen Wohnraums insbesondere für Familien mit sichergestellter entsprechender Wohnruhe (vgl. S. 24 der Planbegründung). Der Umstand, dass auch südlich des XY, dem Baustufenplan entsprechend, reine Wohnnutzung den Bestand prägt, hat den Plangeber des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 zwar in seiner auf den Schutz von Wohnruhe und aufgelockerter Bebauung zielenden Konzeption bestätigt (bzw. diese mit begründet), ihn jedoch nicht erkennbar dazu bewegt, die Schutzwirkung der „WR”-Ausweisung auch auf die Flächen jenseits der Plangebietsgrenzen auszuweiten. Die Planbegründung spricht insofern zwar auch von einem Planungsziel, eine für die angrenzende Wohnnutzung verträgliche Nutzung zu gewährleisten (S. 24 der Planbegründung). Hieraus folgt aber nicht, dass – über allgemein städtebauliche Erwägungen hinaus (vgl. auch § 50 BImSchG) – die Eigentümer dort belegener Grundstücke auch einen Anspruch auf Einhaltung des Gebietscharakters der Planflächen als reines Wohngebiet erhalten sollten. Schon objektiv-rechtlich wäre im Übrigen insoweit u.a. ein Nebeneinander von reinem und allgemeinem Wohngebiet zulässig, d.h. würde die genannten Anforderungen erfüllen.

Ebenso wenig steht den Antragstellern zu 5) bis 7) der sog. Gebietsprägungserhaltungsanspruch i.S.d. § 15 Abs.1 Satz 1 BauNVO zu. Auch dieser Anspruch kann lediglich von Nachbarn geltend gemacht werden, deren Grundstücke in demselben Plangebiet belegen sind wie das Vorhabengrundstück (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL., Stand: 8/2015, § 15 BauNVO, Rn. 37 unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 18.12.2007, 4 B 55/07, juris, Leitsatz 1).

2. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist in Bezug auf das genehmigte, eine Belegung mit 252 Personen betreffende Vorhaben nicht von einer Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots zulasten der Antragsteller zu 5) bis 7) auszugehen.

Allgemeine, einheitliche Maßstäbe für die gebotene Rücksichtnahme bestehen nicht; welche konkreten Anforderungen sich aus dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme ergeben, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Nachbarn ist, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen; je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht der Bauherr Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist m.a.W. darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, 4 C 1/04, juris; Urteil vom 25.1.2007, 4 C 1/06, BVerwGE 128, 118 ff.). Die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, sind gegeneinander abzuwägen. Feste Regeln lassen sich dabei nicht aufstellen; erforderlich ist vielmehr eine Gesamtschau, insbesondere der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen. Für die Bewertung der widerstreitenden Belange im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung ist auch zu berücksichtigen, dass im Falle eines planwidrigen und daher einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 bzw. § 246 Abs. 12 BauGB bedürftigen Vorhabens den Belangen des Vorhabenträgers tendenziell ein geringeres Gewicht beizumessen ist als bei der Beurteilung eines plankonformen Vorhabens (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 28.7.2009, 2 Bs 67/09, juris m.w.N.). Insoweit kommt es auf eine Drittschutzwirkung der fraglichen Planfestsetzung nicht an und ist vorliegend im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass die geplante Unterkunft insbesondere der Festsetzung des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 hinsichtlich der auf der Vorhabenfläche zulässigen Nutzungsart widerspricht.

Auch vor diesem Hintergrund ist indes im Falle einer Umsetzung der streitgegenständlichen Baugenehmigung nicht von einer unzumutbaren Belastung der Antragsteller zu 5) bis 7) auszugehen und zwar – im maßgeblichen Betrachtungsrahmen (dazu a) – weder im Hinblick auf die von ihnen geltend gemachte Lärmbelästigung (hierzu unter b) noch im Hinblick auf die geltend gemachten Verkehrsauswirkungen bzw. sonstige Unruhe (hierzu unter c) oder aufgrund einer Gesamtabwägung sämtlicher zu berücksichtigender Aspekte (hierzu unter d).

a) Dem Vortrag der Antragsteller, die Rücksichtslosigkeit ergebe sich auch aus einer Minderung des Marktwertes ihrer Grundstücke aufgrund des Vorhabens, ist dabei nicht näher nachzugehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urteil vom 6.5.2015, 2 Bf 2/12) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 11.1.1999, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 159) bezieht sich der bauplanungsrechtliche Abwehranspruch aufgrund von Rücksichtslosigkeit im Rechtssinne maßgeblich auf Nutzungsstörungen. Wertminderungen als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung bilden demgegenüber für sich genommen keinen Maßstab dafür, ob Beeinträchtigungen im Sinn des Rücksichtnahmegebots zumutbar sind oder nicht.

Soweit die Antragsteller ihren Vortrag auf die Erwartung beziehen, dass sie durch eine Mitnutzung der südlich der Straße XY und nordwestlich der Straße XYZ belegenen großen Freifläche (Flurstück 2385) durch Personen aus der geplanten Anlage gestört werden, ist nicht dargelegt, weshalb dies derzeit in die Betrachtung der Rücksichtslosigkeit der Baugenehmigung einzustellen wäre. Eine Nutzung dieser Fläche wird durch die streitgegenständliche Baugenehmigung weder vorgesehen noch legalisiert. Sie ist auch nicht in anderer Weise der geplanten Einrichtung erkennbar zugeordnet. Solange es sich um eine bloße Grünfläche handelt, die zudem nicht frei zugänglich ist, ist auch eine faktische Zuordnung nicht anzunehmen. Sollte die Antragsgegnerin hier eine Sportanlage einrichten, so wären deren Betriebsbedingungen gesondert zu regeln.

Nicht zu folgen ist schließlich dem Ansatz der Antragsteller, im Wesentlichen auf Auswirkungen einer kapazitätsausschöpfenden Nutzung der Anlage abzustellen. Im vorliegenden Rechtsstreit ist nicht bereits über die von ihnen geltend gemachte Rücksichtslosigkeit einer Anlagennutzung durch 952 Personen zu befinden. Insoweit hat die Antragsgegnerin zutreffend darauf hingewiesen, dass schon der Baugenehmigungsbescheid (unter 4., Seite 4 oben) die Beschränkung seiner Regelungswirkung mit dem Hinweis unmissverständlich klarstellt, dass es für eine Nutzung der Einrichtung mit mehr als 252 Personen eines gesonderten Genehmigungsverfahrens bedürfte.

b) Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass mit der genehmigten Anlage in ihrer konkreten Form eine unzumutbare Lärmbelastung der Antragsteller verbunden wäre, sind nicht erkennbar. Die Schwelle der Rücksichtslosigkeit im bauplanungsrechtlichen Sinne überschreiten Lärmimmissionen (erst) dann, wenn sie das Maß schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 BImSchG erreicht haben. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Betrieb der Einrichtung mit 252 Personen dies zur Folge haben wird. Vielmehr trifft die Baugenehmigung insoweit eine sachgerechte Regelung zur Konfliktbewältigung (aa), die auch in Bezug auf die Antragsteller zu 5) bis 7) zu beachten ist (bb) und deren Umsetzbarkeit im Betrieb der Einrichtung möglich erscheint (cc).

aa) Die Baugenehmigung sieht eine Immissionsbegrenzung vor, mit der eine rücksichtslose Lärmbelastung der Nachbargrundstücke vermieden wird. Ausweislich der Auflagen unter Nr. 8 der streitgegenständlichen Baugenehmigung soll insbesondere die Beurteilung der von der umstrittenen Anlage einschließlich aller Nebenanlagen erzeugten Geräusche nach der TA Lärm erfolgen und werden für die im reinen Wohngebiet verursachten Geräuschimmissionen die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6 Abs. 1 Buchst. e TA Lärm für reine Wohngebiete als Grenzwerte festgelegt. Zusätzlich hierzu müssen Verdichter von Klima- und Kühlaggregaten so im Gebäude untergebracht sein, dass der Schall nicht ungedämmt nach außen dringt. Gefordert wird schließlich, dass die Geräuschentwicklung der Kantine einschließlich ihres Zu- und Abfahrtsverkehrs nicht zu einer unzulässigen Lärmbelästigung führen darf.

Die Baugenehmigung leistet damit die gebotene Konfliktbewältigung; sie schließt die Regelungslücke hinsichtlich der Bestimmung des Maßes schädlicher Umwelteinwirkungen, die immissionsschutzrechtlich zunächst dadurch besteht, dass die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) nach ihrer Nr. 1 Abs. 2 Buchst. h auf Anlagen für soziale Zwecke nicht (unmittelbar) anwendbar ist. Insbesondere dadurch, dass die Baugenehmigung das Vorhaben in Bezug auf die Nachbarschaft auf die Einhaltung derjenigen Grenzwerte verpflichtet, die bei unmittelbarer Anwendung der TA Lärm gemäß deren Nr. 6 Abs. 1 Buchst. e) in reinen Wohngebieten als Richtwert das Maß für den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen vorgeben, wird das Rücksichtnahmegebot gegenüber den Nachbarn gewahrt.

bb) Mit den Bestimmungen zum Lärmschutz wird auch auf die Antragsteller zu 5) bis 7) Rücksicht genommen. Auch sie werden von der Bestimmung erfasst, dass für die im reinen Wohngebiet verursachten Geräuschimmissionen die genannten Grenzwerte einzuhalten sind. Zwar sind ihre Grundstücke nicht durch einen Bebauungsplan mit „WR” ausgewiesen, sondern durch den Baustufenplan mit „W 1o”, allerdings ergänzt durch weitere Einschränkungen zu Lasten möglicherweise störender Nutzungen als „besonders geschützt”. Die Auflage ist vor diesem Hintergrund dahin zu verstehen, dass es auf die materielle bauplanungsrechtliche Situation ankommt und nicht auf die formale Ausweisung, welche ansonsten mit „WR” zu bezeichnen gewesen wäre. In der bauplanungsrechtlich materiellen Bewertung sind die Grundstücke der Antragsteller zu 5) bis 7) wegen der Bestimmungen zu ihrem besonderen Schutz in dem Baustufenplan als im Sinne der Immissionsschutzauflage in einem „reinen Wohngebiet” belegen zu verstehen. Dies ergibt sich aus der gebotenen und in der Praxis der Antragsgegnerin auch üblichen Parallelwertung zwischen der Systematik der Baupolizeiverordnung und derjenigen der Baunutzungsverordnung (vgl. u.a. OVG Hamburg, Beschluss vom 28.11.2012, 2 Bs 210/12, NVwZ-RR 2013, 352).

cc) Die Bestimmungen zum Immissionsschutz erscheinen auch zur Konfliktbewältigung geeignet; ihre Einhaltung dürfte möglich sein.

Nach dem Grundriss der Gesamtanlage, der vermittels des einbezogenen Lageplans (Vorlage Nr. 7/21) Gegenstand der Baugenehmigung ist, sind die einzelnen Baulichkeiten sowie die für den Aufenthalt erheblichen Außenflächen so angeordnet, dass Lärmquellen sich im Wesentlichen in erheblichem Abstand zu den Grundstücken der Antragsteller zu 5) bis 7) befinden: So sind die Gebäude, die zur Unterbringung von Personen genutzt werden, um die Gebäude herum angeordnet, in welchen Nutzungen wie Kantine, Schule oder Kindertagesstätte stattfinden sollen. Die Unterbringungsgebäude stehen dabei in einem Winkel von ca. 45° zur Straße XY. Hierdurch ergibt sich innerhalb des Ringes aus Unterbringungsgebäuden im mittleren Teil des Vorhabengrundstücks eine insbesondere zur Straße XY hin durch die Unterbringungsgebäude abgeschirmte Fläche. Zumal auf dieser Fläche auch die für das soziale Leben der Bewohner wichtigen Gebäude aufgestellt werden (Kantine, Schule, Kindertagesstätte), ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch die im Freien stattfindenden Aktivitäten der Bewohner in der wärmeren Jahreszeit sich vor allem auf diese Fläche innerhalb der Einrichtung konzentrieren werden. Dass nennenswert laute Aktivitäten auch auf den Flächen zwischen den Unterbringungsgebäuden und der Zaunanlage zu der Straße XY stattfinden werden, erscheint demgegenüber wenig wahrscheinlich, da diese Flächen vergleichsweise klein sind. Lautstarke Aktivitäten, die auf der – von den Grundstücken der Antragsteller jeweils gut 100 m entfernten – Fläche im Inneren der Einrichtung stattfinden, werden dabei außerdem nicht nur durch die Unterbringungsgebäude zur Straße XY und damit zu den Grundstücken der Antragsteller zu 5) bis 7) hin abgeschirmt, sondern auch durch den zwischen den Gebäuden und der Straße XY befindlichen Grünstreifen, welcher ca. 20 m breit und dicht mit Bäumen bestanden ist und lediglich durch die vergleichsweise schmale Zufahrt zum Einrichtungsgelände unterbrochen wird.

Unter Beachtung der Weitläufigkeit des Geländes sowie der geringen Belegungsdichte bei Nutzung mit 252 Personen ist vorliegend der Frage nicht weiter nachzugehen, ob durch die Baugenehmigung die zur Wahrung der Lärmgrenzwerte erforderlichen Modalitäten der Nutzung auch durch die Untergebrachten selbst hinreichend gesichert sind. Zwar ergibt sich aus der in dem Verfahren 7 E 6128/15 von der Antragsgegnerin informatorisch vorgelegten Hausordnung, die der künftige Betreiber verwenden wolle, dass die Einhaltung der Nachtruhe eingefordert werden soll. Diese Hausordnung ist jedoch weder in die Baugenehmigung einbezogen worden noch scheint – bei Betriebszeiten des allgemeinen Personals von 7:00 bis 16:00 Uhr und einer Besetzung des Wachtdienstes mit lediglich vier Personen (vgl. Nutzungsbeschreibung, Vorlage Nr. 7/20) – ihre Einhaltung strukturell abgesichert.

Insbesondere für das nahe der Einfahrt zu der Anlage gelegene Grundstück der Antragstellerin zu 7) bleibt allerdings der Lärm durch Ziel- und Quellverkehr mit Kraftfahrzeugen von Bedeutung. Im Tagesbetrieb der Einrichtung für 252 Personen dürfte es insoweit möglich sein, den Immissionsgrenzwert einzuhalten, zumal zu erwarten ist, dass einer im Vergleich zu einer plangemäßen Bebauung des Flurstücks möglicherweise erhöhten Belastung durch Lieferfahrzeuge eine geringere Belastung durch Individualverkehr gegenübersteht. Für Randzeiten trifft die Baugenehmigung die gebotene Vorsorge im Hinblick darauf, dass die Betriebsabläufe bzw. -zeiten nur teilweise über die Nutzungsbeschreibung (Vorlage Nr. 7/20) definiert sind: So ist gemäß Auflage Nr. 8 die Einhaltung der Lärmgrenzwerte mittels schalltechnischer Untersuchung nachzuweisen, wenn die Anliefer- oder Betriebszeit der Kantine in die Nachtzeit (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr, vgl. Nr. 6.4 Abs. 1 TA Lärm) fallen soll.

c) Die – neben der Lärmproblematik – geltend gemachten weiteren Verkehrsauswirkungen bzw. die angeführte sonstige „Unruhe” begründen ebenfalls nicht die Annahme, die Antragsteller zu 5) bis 7) würden durch das genehmigte Vorhaben in ihren Belangen übermäßig betroffen.

Im Hinblick auf eine mögliche Verschlechterung der Stellplatzsituation ist nicht von einer Unzumutbarkeit der Einrichtung im Sinne eines Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot zulasten der Antragsteller zu 5) bis 7) auszugehen. Zwar kann im Einzelfall die Genehmigung eines Vorhabens ohne die erforderlichen Stellplätze gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen; dies kommt allerdings nur dann näher in Betracht, wenn der Mangel an Stellplätzen zu Beeinträchtigungen führt, die den Nachbarn – auch unter Berücksichtigung einer Vorbelastung ihrer Grundstücke – bei Abwägung aller Umstände unzumutbar sind (OVG Schleswig, Beschluss vom 8.12.2014, 8 B 37/14, juris, Leitsatz 4, Rn. 23; vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 12.5.2003, 9 TG 2037/02, juris; OVG Bremen, Beschluss vom 18.10.2002, 1 B 315/02, BauR 2003, 509; OVG Münster, Urteil vom 10.07.1998, 11 A 7238/95, NVwZ-RR 1999, 365). Hiervon ist für die Grundstücke der Antragsteller zu 5) bis 7) vorliegend nicht auszugehen. Eine Verschlechterung der Situation dahingehend, dass sie selbst keine Möglichkeit mehr hätten, in ihrem Eigentum stehende Fahrzeuge in zumutbarer Weise abzustellen, ist nicht zu befürchten. Bei den Grundstücken der Antragsteller zu 5) bis 7) handelt es sich nach Auswertung des zugänglichen Luftbildmaterials um Einfamilienhausgrundstücke mit auf den Grundstücken befindlichen eigenen Stellplätzen, die bei Inbetriebnahme der Einrichtung weiter genutzt werden könnten. Auch eine sonstige, den Antragstellern zu 5) bis 7) unzumutbare Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraums aufgrund einer Überzahl dort abgestellter, dem Betrieb der geplanten Einrichtung zurechenbarer Fahrzeuge ist nicht zu befürchten. Da die Anlage ausweislich der streitgegenständlichen Baugenehmigung über 14 ausgewiesene Stellplätze verfügen soll (Vorlage Nr. 7/21) und zudem weitläufig genug ist, um Fläche für weitere Abstellbedarfe zu bieten, zeichnet sich eine in dem Betrieb der Einrichtung angelegte Überlastung des Straßenraums im XY nicht ab. Das gilt sowohl für die Parkbedarfe des regelhaft auf dem Gelände tätigen Personals (des Betreuers, des Caterers sowie des Wachdienstes) wie auch den unmittelbar mit den Nutzern zusammenhängenden Kraftfahrzeugverkehr (im Wesentlichen Busse bzw. Kleinbusse) bzw. sonstiger Besucher (insbesondere Handwerker, Lieferanten). Dabei ist zu erwarten, dass Anlieferungs- oder Abholungsvorgänge nicht auf der Straße XY stattfinden, sondern auf dem Gelände der Einrichtung selbst. Die Fahrer von Lieferanten- oder Entsorgungsfahrzeugen werden schon aufgrund der Verkürzung von Tragewegen ein erhebliches Interesse daran haben, mit ihren Fahrzeugen auf das Gelände der Einrichtung zu fahren und nicht auf der Straße davor halten zu müssen. Die Nutzer der Erstaufnahmeeinrichtung selbst werden, möglicherweise im Unterschied zu Nutzern von Folgeunterkünften, in aller Regel nicht über Kraftfahrzeuge verfügen. Schließlich werden auch Busse, die eine größere Anzahl Bewohner zur Einrichtung transportieren oder diese dort abholen, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht längerfristig vor der Einrichtung parken, sondern nach Möglichkeit auf das Gelände der Einrichtung fahren.

Dieser Einschätzung steht auch die von den Antragstellern in diesem Zusammenhang in Bezug genommene Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts sowie des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht entgegen. Weder hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (in dem Beschluss vom 28.5.2015, 2 Bs 23/15, juris, Rn. 43) einen für Erstaufnahmeeinrichtungen in Hamburg maßgeblichen Stellplatzschlüssel dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vom 13.9.2012, 2 B 12.109, juris) entnommen, noch wird mit jenem Urteil zu einer Erstaufnahmeeinrichtung eine Aussage zugunsten eines strikten Stellplatzschlüssels für Anlagen zur Unterbringung von Asylbewerbern von einem Stellplatz pro zehn Betten getroffen. Erkennbar ist dort nur, dass bei einem solchen Schlüssel nicht von einer Überbelegung der Einrichtung auszugehen sein soll (VGH München, aaO., Rn. 42).

Aus der Fachanweisung „Notwendige Stellplätze und notwendige Fahrradplätze“ vom 21.1.2013 sowie der Anlage 1 hierzu folgt nichts anderes. Gemäß Nr. 1.6 der Anlage 1 ist zwar für Heime und sonstige Einrichtungen zur Unterbringung oder Pflege von Personen (z.B. sozialtherapeutische Einrichtungen) je zehn Betten ein Stellplatz vorzuhalten. Schon allgemein ergibt sich hieraus aber nicht, dass eine Unterschreitung dieses Schlüssels stets und ohne weitere Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles zu einer unzumutbaren Situation für benachbarte Grundstücke im Sinne einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots führen müsste. Die tatsächlichen Gegebenheiten des hier zu betrachtenden Falles lassen – wie ausgeführt – nicht auf eine unzumutbare Belastung der Antragsteller zu 5) bis 7) durch eine Verschlechterung der Stellplatzsituation schließen. Ohnehin ist nicht erkennbar, dass eine Anwendung von Nr. 1.6 der Anlage 1 zur Fachanweisung vom 21.1.2013 für Einrichtungen wie die hier in Rede stehende der sonstigen Praxis der Antragsgegnerin entsprechen würde bzw. überhaupt sachgerecht wäre, da hinsichtlich der Verkehrsverhältnisse wesentliche Unterschiede bestehen dürften. Unter dem Begriff „Heim“ werden schon dem allgemeinen Sprachgebrauch nach vorrangig personalintensive Einrichtungen zur Pflege unterstützungsbedürftiger Personen verstanden, worauf auch die beispielhafte Nennung sozialtherapeutischer Einrichtungen in Nr. 1.6 der Anlage 1 schließen lässt. So definiert auch § 1 HeimG den Begriff „Heim“ als Einrichtung, die dem Zweck dient, ältere Menschen oder pflegebedürftige oder behinderte Volljährige u.a. aufzunehmen. Beschrieben werden damit Einrichtungen, mit denen regelhaft erhebliche Stellplatzbedarfe sowohl für das Personal wie auch für Besucher verbunden sind. Für Erstaufnahmeeinrichtungen kommt demgegenüber kaum Besucherverkehr in Betracht; der Personalschlüssel dürfte zudem deutlich geringer als bei einem Heim sein.

Die anzunehmenden tatsächlichen Gegebenheiten lassen nicht auf eine Unzumutbarkeit der Verkehrsbelastungen schließen. Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass gewerblicher Verkehr zeitlich außerhalb des allgemein üblichen Rahmens stattfindet. Das gilt für Versorgungstransporte wie für die Fahrten von Dienstleistern. Auch der Transport von Bewohnern zur bzw. von der Einrichtung wird sich aller Voraussicht nach auf wenige Fahrten am Tag beschränken. Neue Bewohner werden in der Regel nicht einzeln zu den Einrichtungen transportiert, denen sie zugewiesen sind, sondern durch Sammeltransporte mit Bussen, welche – schon mit Rücksicht auf die Lärmschutzverpflichtungen, aber auch im Hinblick auf die Dienstzeiten des Personals in den beteiligten Einrichtungen – in aller Regel tagsüber stattfinden dürften. Der Verkehr zur Abholung von Abfällen wird aufgrund der üblichen Arbeitszeiten solcher Betriebe ebenfalls vermutlich weitgehend tagsüber stattfinden und wohl insgesamt, d.h. in Bezug auf die Situation rund um den Eingangsbereich zu dem Einrichtungsgelände auch das Maß nicht wesentlich übersteigen, das bei Umsetzung des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 erreicht würde. Auch in diesem Falle wäre in etwa mit einer „Belegung“ des Vorhabengrundstücks mit ca. 250 Personen zu rechnen gewesen (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2015, 7 E 6128/15, S. 15 f.), die als Besitzer von Familienheimen ebenfalls Dienstleistungen wie Müllabfuhr, Handwerker etc. in Anspruch genommen hätten.

Soweit der Vortrag der Antragsteller zu 5) bis 7) zu der mit der Einrichtung verbundenen „Unruhe” dahin zu verstehen ist, dass sie über die Verkehrsbelastungen hinaus weitere Formen sozialer Umfeldauswirkungen der Einrichtung von unzumutbarer Intensität für ihre Grundstücke erwarten, erscheint auch dies nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens nicht gerechtfertigt. So gilt schon grundsätzlich, dass negative soziale Umfeldauswirkungen einer bestimmten Grundstücksnutzung nur dann als unzumutbare, bodenrechtlich erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO in Betracht kommen, wenn sie zum einen mit dem bestimmungsgemäßen Betrieb einer Anlage der fraglichen Art typischerweise verbunden sind und zum anderen eine konkrete räumliche Wirkungsbeziehung zum betreffenden Nachbargrundstück aufweisen (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 6.11.2015, 7 E 5650/15 und Beschluss vom 19.1.2015, 7 E 5893/14 m.w.N.; VG Düsseldorf, Urteil vom 4.4.2011, 25 K 5561/10, juris).

Hinsichtlich der Grundstücke der Antragsteller zu 5) bis 7) ist nicht davon auszugehen, dass die genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Zwar weisen – im Sinne des den Antragstellern zu 5) bis 7) nicht zustehenden Gebietserhaltungsanspruchs – Einrichtungen wie die vorliegend zu betrachtende bei typisierender Betrachtung Eigenschaften auf, die eine im reinen Wohngebiet unzulässige Unruhe erzeugen können. Eine konkrete, im Sinne unzumutbarer Einwirkungen auf die Grundstücke gerade der Antragsteller zu 5) bis 7) bestehende Wirkungsbeziehung ist jedoch nach den gegenwärtig erkennbaren Umständen nicht feststellbar. Insbesondere spricht entgegen der Annahme der Antragsteller zu 5) bis 7) wenig dafür, dass die Vorgärten ihrer Grundstücke von Nutzern der Einrichtung unbefugt in Anspruch genommen werden. Die Gestaltung der Einrichtung, der Umzäunung, der Toranlage sowie die weiteren Gegebenheiten in der Straße XY und Umgebung sind insbesondere nicht darauf angelegt, dass sich vor der Anlage erhebliche, gar die Zugänglichkeit der antragstellerischen Grundstücke einschränkenden Menschenansammlungen bilden würden. Wesentlicher Aufenthaltsraum ist vielmehr das Einrichtungsgelände selbst und der Ziel- und Quellverkehr von Fußgängern dürfte sich auf den kürzesten WEG zu den Bushaltestellen an der Lemsahler Landstraße konzentrieren.

d) Eine Gesamtbetrachtung der verschiedenen von den Antragstellern geltend gemachten, vorangehend jeweils für sich gewürdigten Beeinträchtigungen führt zu keinem anderen Ergebnis; auch in der Gesamtgewichtung sind die absehbaren Auswirkungen des genehmigten Vorhabens nicht als unzumutbar zu bewerten. Dementsprechend bedarf es hier auch keiner näheren Erörterung, ob, den Rücksichtnahmeanspruch der Nachbarn mindernd, in die Belange des Bauherrn abstrakt das öffentliche Interesse an einer weiteren Einrichtung zur Erstaufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen iSv. § 44 AsylG einzustellen oder die Erforderlichkeit einer Neuerrichtung in dem konkreten tatsächlichen und rechtlichen Rahmen der Antragsgegnerin näher zu prüfen wäre.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 VwGO i.V.m. § 100 ZPO und berücksichtigt, dass nur die Antragsteller zu 1) bis 4) mit ihrem Antrag Erfolg haben.

D.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG und folgt der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts zu der Bewertung baunachbarrechtlicher Rechtsschutzanliegen.

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (6)

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (6):

VG Augsburg: Erfolgreiche Nachbarklage – Fehlende Bestimmtheit einer Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines Sozialgebäudes in eine Flüchtlingsunterkunft und einen Jugendtreffpunkt

VG Augsburg:  Urteil vom 26.10.2017 – Au 5 K 16.1303

Tatbestand


Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung und Umbau eines Sozialgebäudes zu einer Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Asylbewerber sowie für einen Sozialdienst im Erdgeschoss (EG) und Kellergeschoss (KG).

Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft des nordwestlich an das beabsichtigte Baugrundstück angrenzenden Grundstücks Fl.Nr. * der Gemarkung … (…). Die Wohnungseigentümergemeinschaft besteht laut einem Auszug aus dem Liegenschaftskataster vom 18. November 2015 aus 65 Wohnungseigentümern. Auf dem Grundstück Fl.Nr. * der Gemarkung … befinden sich die Wohnanlagen der Klägerin, die aus zwei Gebäuden bestehen, die ohne seitliche Abstände unmittelbar aneinandergebaut sind.

Der Beigeladene ist Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. * der Gemarkung … (…), welches südlich an das Grundstück der Klägerin angrenzt. Auf diesem Grundstück befindet sich ein ca. 25 m bis 30 m langes und 10 m breites Sozialgebäude, das derzeit leer steht, sowie ein deutlich kleineres Nebengebäude (ca. 2 m x 6 m) am nördlichen Rand des Baugrundstücks.

Für die streitgegenständlichen Grundstücke bestehen keine planungsrechtlichen Festsetzungen. Sie liegen innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles der Beklagten. Östlich der Baugrundstücke verläuft die … Auf der den vorbezeichneten Grundstücken gegenüberliegenden Seite befinden sich nahezu ausschließlich Ein- bzw. bis zu achtstöckige Mehrfamilienhäuser.

Südlich des Baugrundstücks befinden sich die Grundstücke des … Beim … handelt es sich um ein ehemaliges Bahnbetriebswerk, welches nicht mehr als solches betrieben wird. Es befinden sich vereinzelte weitere Gebäude, die ehemals als Werkstätten, Verwaltungsgebäude und Unterkünfte für das Eisenbahnpersonal dienten. Der … wird derzeit als … genutzt und befindet sich noch weitgehend im Aufbau.

Die südlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke mit den Fl.Nrn., … und … unterfallen sämtlich dem eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsvorbehalt. Auch das streitgegenständliche Baugrundstück unterfiel ursprünglich dem eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsvorbehalt. Mit Freistellungsbescheid des Eisenbahn-Bundesamtes vom 10. Februar 2015 wurde es von Bahnbetriebszwecken freigestellt.

Mit Formblatt vom 18. Dezember 2015 beantragte der Beigeladene bei der Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung und Umbau eines Sozialgebäudes zu einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber sowie Räumen für einen Sozialdienst im EG und KG auf dem Grundstück Fl.Nr. * der Gemarkung … In einer Nutzungs- und Betriebsbeschreibung vom 10. Februar 2016 ist ausgeführt, dass das konkrete Vorhaben im Erdgeschoss und in beiden Obergeschossen die Eröffnung einer Gemeinschaftsunterkunft für bis zu 68 Asylbewerber, aufgeteilt auf 30 Zimmer, umfassen solle. Zudem sei im Erdgeschoss sowie im Kellergeschoss ein zugehöriger Sozialdienst samt zweier Büros geplant. Weiter wurde angegeben, dass in den Räumen des Sozialdienstes neben Verwaltungstätigkeiten persönliche Beratungsgespräche mit den Bewohnern stattfinden sollten, um diese zu unterstützen.

Mit Stellungnahme vom 17. März 2016 führte das Amt für Kinder, Jugend und Familie der Beklagten ergänzend aus, dass im streitgegenständlichen Gebäude ein Jugendtreffpunkt eingerichtet werden solle. Die Öffnungszeiten seien täglich von 16.00 Uhr bis 21.00 Uhr. Gewünscht sei auch eine Öffnung an Samstagen und Sonntagen. Weiter seien gelegentliche Veranstaltungen geplant, die auch bis 23.00 Uhr dauern könnten. Die Anzahl der Nutzer liege täglich bei ca. 50, bei Veranstaltungen bis 150. Mit Schreiben vom 19. Mai 2016 ergänzte das Amt für Kinder, Jugend und Familie das Vorbringen dahingehend, dass maximal acht Abendveranstaltungen im Jahr geplant seien. Die Art der Veranstaltung könne noch nicht näher bezeichnet werden. Aus Erfahrung mit anderen Jugendhäusern sei aber davon auszugehen, dass es sich um Poetry Slams oder Lesungen handeln werde. Kommerzielle Veranstaltungen seien ausgeschlossen.

Das im Baugenehmigungsverfahren angehörte Umweltamt Immissionsschutz der Beklagten führte mit Stellungnahme vom 3. Februar 2016 aus, dass keine Einwände gegen die Nutzungsänderung bestünden.

Die Klägerin hat die Baupläne des Beigeladenen nicht unterzeichnet.

Mit Bescheid der Beklagten vom 11. August 2016 (Gz.: …) wurde das Bauvorhaben des Beigeladenen nach Maßgabe des Bescheides und der beiliegenden geprüften Bauvorlagen genehmigt.

In den Gründen des Bescheids ist ausgeführt, dass das Vorhaben gemäß Art. 55 Bayerische Bauordnung (BayBO) genehmigungspflichtig sei. Es handle sich um einen Sonderbau. Unter Nr. IV “Hinweise” ist unter A.3 ausgeführt, dass entsprechend der Antragsunterlagen in der Jugendbegegnungsstätte maximal acht Abendveranstaltungen (Veranstaltungen bis 23.00 Uhr) im Jahr geplant seien. Es würden keine kommerziellen Veranstaltungen stattfinden. Die Räumlichkeiten würden nicht im Sinne einer Vergnügungsstätte genutzt.

Auf den weiteren Inhalt des Bescheides der Beklagten vom 11. August 2016 wird ergänzend verwiesen.

Der Bescheid wurde öffentlich bekanntgemacht; der Klägerin wurde eine Ausfertigung zugestellt.

Die Klägerin hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 12. September 2016 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,

Die Baugenehmigung der Beklagten vom 11. August 2016 (Az.: …) für die Nutzungsänderung und Umbau eines Sozialgebäudes zu einer Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Asylbewerber sowie für einen Sozialdienst im EG und KG in der, Fl.Nr., Gemarkung, wird aufgehoben.

Zur Begründung der Klage ist mit Schriftsatz vom 16. November 2016 vorgetragen, dass die erteilte Baugenehmigung zu unbestimmt sei, da auf ihrer Grundlage nicht beurteilt werden könne, ob vom Vorhaben ausgehende Emissionen zu unzumutbaren (Lärm-)Immissionen in der Nachbarschaft, insbesondere auf den Grundstücken der Klägerin führen könnten. Die Baugenehmigungsbehörde sei verpflichtet, betroffene Nachbarn vor unzumutbaren Immissionen ausreichend zu schützen. Dem werde die Baugenehmigung nicht gerecht, da diese nicht die verschiedenen Nutzungs- und Betriebsbeschreibungen in Bezug nehme. Es sei bereits fraglich, ob das Schreiben des Amts für Kinder, Jugend und Familie der Beklagten den Bauantrag des Beigeladenen wirksam konkretisieren könne. Jedenfalls seien die geplanten Nutzungen nicht hinreichend konkretisiert worden. Der im Rahmen des angegriffenen Bescheids erteilte Hinweis unter Ziffer IV.A.3. bewirke keine wirksame Beschränkung der Baugenehmigung. Weiter sei das Bauvorhaben nicht gebietsverträglich. Aufgrund der dominierenden Wohnnutzung in der Umgebung sei von einem faktischen allgemeinen Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB), § 4 Baunutzungsverordnung (BauNVO) auszugehen. Das Vorhaben des Beigeladenen sei nicht gebietsverträglich, da die geplante Mischnutzung als Gemeinschaftsunterkunft einerseits und als Jugendzentrum andererseits unzumutbar sei. Auch sei das Gebot der Rücksichtnahme dadurch verletzt, dass ein absehbarer Schallschutzkonflikt weder ermittelt noch bewältigt worden sei. Die Stellungnahme des Umweltamtes im Baugenehmigungsverfahren sei noch vor der Nutzungs- und Betriebsbeschreibung des Beigeladenen sowie der ergänzenden Beschreibung des Amts für Kinder, Jugend und Familie, erfolgt. Deshalb sei die Tatsachengrundlage nicht hinreichend ermittelt worden. Darüber hinaus sei die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig, weil die Eingabeplanung auch Grundstücke umfasse, die nicht förmlich von Eisenbahnbetriebszwecken freigestellt worden seien. Die Eingabeplanung umfasse Außenanlagen auf dem Grundstück mit der Fl.Nr. * sowie die wegemäßige Erschließung über die Grundstücke mit den Fl.Nrn. * und … jeweils der Gemarkung … Bahnfremde bauliche Anlagen seien auf diesen Grundstücken ausgeschlossen.

Auf den weiteren Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 16. November 2016 wird ergänzend verwiesen.

Die Beklagte ist der Klage mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2017 entgegengetreten und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Drittanfechtungsklage habe keine Aussicht auf Erfolg. Der angegriffene Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren nachbarschützenden Rechten. Die Baugenehmigung sei inhaltlich hinreichend bestimmt. Der Nachbar könne die unzureichende inhaltliche Bestimmtheit der Baugenehmigung nur dann geltend machen, soweit hierdurch nicht sichergestellt sei, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspreche. Nach der im Verfahren vorliegenden Nutzungs- und Betriebsbeschreibung ergebe sich inhaltlich hinreichend bestimmt, in welchem Umfang die Sozialräume im EG und KG genutzt werden könnten. Nicht beantragt sei die Nutzung als Jugendbegegnungsstätte, wenn auch eine Beschreibung mit Datum vom 17. März 2016 hierfür vorliegen möge. Da eine Jugendbegegnungsstätte nicht beantragt und auch nicht genehmigt worden sei, sei unter Ziffer IV.A.3. der Baugenehmigung nur ein Hinweis aufgenommen worden. Auch sei das Bauvorhaben als gebietsverträglich zu beurteilen. Die genehmigten Nutzungen würden in jedem Fall dem vorhandenen Störpotenzial der umgebenden Nutzungen, insbesondere des angrenzenden Wohnens in Form von bis zu 8-geschossigem Geschosswohnungsbau in Form von Zeilen- und Blockrandbebauung sowie des Bahnparks entsprechen. Hierbei nicht mit einzubeziehen sei die beantragte und nicht genehmigte Nutzung als Jugendtreff, der als sozialadäquat zu beurteilen sei. Das Vorhaben füge sich hinsichtlich Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise sowie der überbaubaren Grundstückfläche gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung ein. Das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt. Der Beurteilung des Umweltamtes/Abteilung Immissionsschutz liege nur die beantragte Nutzung als Gemeinschaftsunterkunft und hier zugehörigem Sozialdienst zugrunde. Das Grundstück der Beigeladenen mit der Fl.Nr. * sei mit Bescheid vom 10. Februar 2015 zum Zeitpunkt 16. März 2015 von Bahnbetriebszwecken freigestellt worden. Damit sei das Fachplanungsprivileg des § 38 BauGB entfallen und es bestünde somit wieder die Planungshoheit der Beklagten. Ein Drittschutz sei hier nicht zu erkennen. Damit sei die Baugenehmigung auch nicht objektiv rechtswidrig.

Auf den weiteren Vortrag im Klageerwiderungsschriftsatz vom 4. Oktober 2017 wird ergänzend Bezug genommen.

Die Klägerin hat auf den Schriftsatz der Beklagten mit Schreiben vom 19. Oktober 2017 repliziert und ihr Vorbringen ergänzt und vertieft. Auf den Schriftsatz der Klägerin vom 19. Oktober 2017 wird ergänzend Bezug genommen.

Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 13. September 2016 wurde der Bauherr zum Verfahren notwendig beigeladen. Der Beigeladene hat sich im Verfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Am 26. Oktober 2017 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegten Verfahrensakten verwiesen.

Gründe

Das Gericht konnte über die Klage der Klägerin verhandeln und entscheiden, ohne dass der Beigeladene an der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2017 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Der Beigeladene ist zur mündlichen Verhandlung form- und fristgerecht geladen worden.

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO. Sie kann geltend machen, möglicherweise in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die Klägerin grenzt mit dem Grundstück Fl.Nr. * der Gemarkung … unmittelbar im Nordwesten an das vom Beigeladenen in Aussicht genommene Baugrundstück an. Eine Nachbareigenschaft der Klägerin ist zweifelsfrei gegeben.

Die Klägerin ist als Wohnungseigentümergemeinschaft auch befugt, Rechte im Klageverfahren geltend zu machen (OVG NW, U.v. 20.11.2013 – 7 A 2341/11 – BauR 2014, 225; U.v. 6.7.2012 – 2 D 27/11ZfBR 2012, 684; OVG Berlin-Bbg, B.v. 7.8.2009 – 10 A 6.07 – juris Rn. 20). Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG). Als solche ist sie gemäß § 61 Nr. 2 VwGO im Klageverfahren beteiligungsfähig, da § 10 Abs. 6 Satz 1 und 2 WEG einer solchen Gemeinschaft die Rechtsfähigkeit verleiht.

Die Klägerin ist auch klagebefugt. § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG weist der Gemeinschaft nicht nur die Befugnis zur Wahrung eigener Rechte am Gemeinschaftseigentum zu, sondern auch die Ausübungsbefugnis für fremde Rechte im eigenen Namen der Gemeinschaft. Bei diesen geht es um bestimmte Rechte der einzelnen Wohnungseigentümer als Sondereigentümer. Das Gesetz geht damit über die Anerkennung der Rechtsfähigkeit hinaus und statuiert eine Ausübungsermächtigung und Prozessstandschaft des Verbands auch für individuelle Eigentümerrechte. Die Wahrnehmungskompetenz der Gemeinschaft erfasst die gemeinschaftsbezogenen Rechte der Wohnungseigentümer (§ 10 Abs. 6 Satz 3 Alt. 1 WEG) sowie die sonstigen Rechte der Wohnungseigentümer, soweit diese gemeinschaftlich geltend gemacht werden können (§ 10 Abs. 6 Satz 3 Alt. 2 WEG). Im letzteren Fall genügt es, wenn eine Ausübung durch die jeweilige Gemeinschaft für die Anspruchsdurchsetzung förderlich ist. Der Gegenstand des Anspruchs muss noch innerhalb der gemeinschaftlichen Verwaltung liegen und einen Bezug zum Verbandszweck aufweisen. Es handelt sich insoweit um Individualansprüche mit “Gemeinschaftsbezug” (Beck OGK/Falkner, WEG, Kommentar, § 10 Rn. 466, zitiert nach beck-online).

Die Geltendmachung von Abwehransprüchen, die – wie hier – gegen ein durch eine Baugenehmigung ermöglichtes Vorhaben ausgelöst werden, können zur Ausübungsbefugnis der WEG-Gemeinschaft nach § 10 Abs. 6 Satz 3 Alt. 2 WEG gehören (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2014 – 15 CS 14.949 – juris Rn. 19). Dies ist dann der Fall, wenn die befürchteten Beeinträchtigungen der Gemeinschaft nicht nur ein einzelnes Sondereigentum betreffen und daher die Ausübung des Rechts durch die Gemeinschaft der Anspruchsdurchsetzung förderlich, wenn vielleicht auch nicht zwingend ist. Dies ist vorliegend hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten, nicht abschätzbaren Lärmbetroffenheit der genehmigten Asylbewerberunterkunft mit angeschlossenem Sozialraum der Fall. Diesbezüglich kann sich die Klägerin möglicherweise auf einen Verstoß gegen das Gebot des Einfügens nach Art der Nutzung (§ 34 Abs. 2 BauGB) bzw. auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme berufen (§ 34 Abs. 1 BauGB bzw. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 BauNVO). Diesbezüglich bestehen keine Zweifel am Vorliegen einer Klagebefugnis für die Klägerin für das von ihr angestrengte Klageverfahren.

2. Die Klage ist auch begründet.

Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. August 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin besitzt daher einen Anspruch auf Aufhebung der dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung.

Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Die Beklagte ist bei der Erteilung der Baugenehmigung vom Vorliegen eines Sonderbaus nach Art. 2 Abs. 4 Nr. 11 BayBO ausgegangen (vgl. hierzu für Asylbewerberunterkünfte Dirnberger in Simon/Busse/Dirnberger, BayBO, Stand Mai 2017, Art. 2 Rn. 455). Bei einem Sonderbau ergibt sich der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde aus Art. 60 BayBO.

Die Klägerin kann die Baugenehmigung mit dem Ziel ihrer Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch dem nachbarlichen Schutz dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Ein Rechtsanspruch auf Aufhebung einer erteilten Baugenehmigung bzw. eines Vorbescheides steht einem Nachbar nicht schon dann zu, wenn der Bauvorbescheid bzw. die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr müssen durch den Rechtsverstoß zugleich nachbarliche Rechte verletzt werden. Das ist dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt ist, ihr mithin drittschützende Wirkung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris).

Für einen Erfolg der Klage genügt es daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke dienen. Eine Nachbarklage kann allerdings auch dann Erfolg haben, wenn ein Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75BVerwGE 52, 122 ff.). Demnach beschränkt sich der verwaltungsgerichtliche Prüfungsumfang auf die Frage, ob die Klägerin in nachbarschützenden Rechten verletzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93NVwZ 1994, 686; OVG RHPf, B.v. 8.2.2012 – 8 B 1001/12. OVG – BauR 2012, 931 f.).

3. Durch die streitgegenständliche Baugenehmigung wird die Klägerin in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt, da diese hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen zu unbestimmt ist und daher eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist, wenn das Bauvorhaben des Beigeladenen wie genehmigt umgesetzt wird.

Hinsichtlich der Verletzung in eigenen Rechten der Klägerin bedarf es vorliegend keiner Entscheidung darüber, ob das vom Beigeladenen beabsichtigte Bauvorhaben sich innerhalb eines faktischen allgemeinen Wohngebietes gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO befindet oder ob die maßgebliche nähere Umgebung einer bloßen Gemengelage mit einem nicht der Typisierung der BauNVO entsprechendem Nebeneinander von Wohnnutzung und westlich an die Grundstücke von Klägerin und Beigeladenem angrenzender Eisenbahnnutzung entspricht.

Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung im unbeplanten Innenbereich einem Baugebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 1 Abs. 2, §§ 2 ff. BauNVO, so hat der mit seinem Grundstück im selben Baugebiet gelegene Nachbar einen Schutzanspruch auf Wahrung der Gebietsart, der über das Rücksichtnahmegebot hinausgeht (vgl. BVerwG, B.v. 11.4.1996 – 4 B 51/96NVwZ-RR 1997, 463). Gemäß § 34 Abs. 2 BauGB beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem jeweiligen Baugebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässig wäre. Bei der Bestimmung der “näheren Umgebung” im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB ist darauf abzustellen, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die Umgebung und andererseits die Umgebung auf das Baugrundstück prägend auswirken kann. Als nähere Umgebung ist der das Baugrundstück umgebende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann, und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder doch zumindest beeinflusst.

Hingegen bleibt bei Annahme einer bloßen Gemengelage bereits begrifflich kein Raum für einen der Klägerin Drittschutz vermittelnden Gebietserhaltungs- bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruch.

Es bedarf aber auch keiner Entscheidung darüber, ob es sich bei der näheren Umgebung vorliegend um ein faktisches allgemeines Wohngebiet, wie von der Klägerin vorgetragen, handelt. In einem solchen wäre die vom Beigeladenen beabsichtigte zentrale Nutzung als Asylbewerberunterkunft allgemein zulässig. Eine Nutzung zur Unterbringung von Asylbewerbern ist, selbst wenn sie nicht als Wohnnutzung eingestuft werden sollte, in einem allgemeinen Wohngebiet als Anlage für soziale Zwecke gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO regelmäßig zulässig (vgl. BVerwG, B.v. 4.6.1997 – 4 C 2/96NVwZ 1998, 173). Eine Asylbewerberunterkunft ist somit auch in einem allgemeinen Wohngebiet grundsätzlich mit der umgebenden Wohnbebauung verträglich.

4. Ungeachtet der Einstufung der näheren Umgebung als Gemengelage bzw. als faktisches allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO ist die streitgegenständliche Baugenehmigung in nachbarrechtlicher Hinsicht zu unbestimmt und verstößt daher gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme.

a) Nach Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) muss ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein; eine hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Umstände unbestimmte Baugenehmigung, in deren Folge die Verletzung von Nachbarrechten bei der Ausführung des Vorhabens nicht auszuschließen ist, begründet regelmäßig ein nachbarliches Abwehrrecht (vgl. OVG NRW, U.v. 15.5.2013 – 2 A 3010/11 – juris; OVG RhPf, B.v. 26.9.2013 – 8 A 10587/13.OVG – juris). In nachbarrechtlicher Hinsicht verlangt das Bestimmtheitsgebot, dass der Baugenehmigung und den mit ihr genehmigten Bauvorlagen mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen ist, dass nur solche Nutzungen erlaubt sind, die Nachbarrechte nicht beeinträchtigen können. Hinsichtlich des von dem Vorhaben ausgehenden und von der Klägerin gerügten Lärmgeschehens ist erforderlich, dass mit der Baugenehmigung durch hinreichend konkrete Festlegungen sichergestellt ist, dass durch die genehmigte Nutzung keine unzumutbaren Lärmbelästigungen auf das klägerische Grundstück ausgehen.

Die Baugenehmigungsbehörde ist demnach verpflichtet sicherzustellen, dass betroffene Nachbarn vor unzumutbaren Immissionen ausreichend geschützt werden. Erforderlichenfalls ist dies durch Auflagen sicherzustellen, auf die der Nachbar einen Anspruch besitzt (BayVGH, U.v.16.11.2006 – 26 B 03.2486 – juris). Diesem Anspruch kann eine Baugenehmigung nur gerecht werden, wenn sie Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lässt, damit einerseits der Bauherr die Bandbreite der für ihn legalen Nutzungen zweifelsfrei feststellen kann und andererseits für Drittbetroffene das Maß der für sie aus der Baugenehmigung erwachsenden Betroffenheit deutlich wird.

Eine dem Bestimmtheitsgebot genügende Aussage muss aus der Baugenehmigung selbst – gegebenenfalls durch Auslegung – ersichtlich sein, wobei die mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen bei der Ermittlung des objektiven Erklärungsinhalts von Bauvorbescheid und Baugenehmigung herangezogen werden können (OVG NRW, U.v. 25.8.2011 – 2 A 38/10 –, NVwZ – RR 2012, 132). Wenn der Bauvorbescheid bzw. die nachfolgende Baugenehmigung und die genehmigten Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Baumaßnahmen so unbestimmt sind, dass bei der Ausführung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist, so sind Bauvorbescheid und Baugenehmigung als nachbarrechtswidrig aufzuheben (vgl. OVG RhPf, U.v. 2.5.2013 – 1 A 11021/12.OVG –, NVwZ – RR 2013, 794). Verbleiben Abgrenzungsunschärfen im Hinblick auf die Reichweite und die Art der zugelassenen Nutzung, ist im Zweifel ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 –, juris).

b) An dieser Stelle ist zwischen der Nutzung als bloße Asylbewerberunterkunft und der beabsichtigten Nutzung als Sozialraum für die “Jugendsozialarbeit” zu differenzieren.

Bezüglich der beabsichtigten Nutzung als Asylbewerberunterkunft mit bis zu 68 Asylbewerbern (30 Räume) sind die streitgegenständliche Baugenehmigung und die mit ihr genehmigten Bauvorlagen hinreichend bestimmt und nicht geeignet, eine Verletzung von drittschützenden Rechten der Klägerin zu begründen. Zwar fehlt auch hier eine entsprechend mit Genehmigungsvermerk der Beklagten versehene Betriebsbeschreibung. Einer solchen bedarf es jedoch nach Auffassung der Kammer für die insoweit beabsichtigte Nutzung als bloße Asylbewerberunterkunft nicht, weil die geplante Nutzung nach dem vorliegenden Bauantrag und den eingereichten Bauvorlagen der typischen Nutzung einer Asylbewerberunterkunft entspricht (vgl. BayVGH, B.v. 28.8.2017 – 9 ZB 14.1283 – juris Rn. 6 für ein Feuerwehrgerätehaus). Mit der zum Baugesuch beigefügten Erklärung des Beigeladenen vom 10. Februar 2016 und den mit Genehmigungsvermerk versehenen Planunterlagen ist für die Klägerin insoweit hinreichend abschätzbar, mit welchen Folgen sie aufgrund der beabsichtigten künftigen Nutzung als Asylbewerberunterkunft zu rechnen hat. Da das grundstücksbezogene Baurecht darüber hinaus keinen Raum für einen irgendwie gearteten Milieuschutz gibt, entspricht die Baugenehmigung für die Nutzungsart “Asylbewerberunterkunft” der inhaltlichen Bestimmtheit. Dies gilt auch im Hinblick auf eine Nutzung der sich im Erdgeschoss und Untergeschoss befindlichen größeren Räume (82 bzw. 55 qm), wenn sich diese im Umfang der ursprünglichen Nutzungs- bzw. Betriebsbeschreibung vom 10. Februar 2016 halten würde. In dieser ist ausgeführt, dass in den Räumen Gespräche mit den Bewohnern (Asylbewerbern) stattfinden sollen, um diese zu unterstützen. In den geplanten Büros würden Verwaltungstätigkeiten sowie persönliche Beratungsgespräche durchgeführt. Bei einer Nutzung in diesem beschränkten Umfang der sich im EG und UG befindlichen großen Räume würde es sich noch um eine typischerweise mit der genehmigten Nutzung als Asylbewerberunterkunft verbundene Nutzung handeln, die hinsichtlich der hiermit verbundenen nachbarlichen Folgen rechtlich unbedenklich wäre. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass insoweit keine Nutzungsöffnung für Externe stattfinden würde und sich der Benutzerkreis auf die Bewohner des Hauses und das angestellte Betreuungspersonal beschränken würde. Auch wäre mit einer solchen beschränkten Nutzung voraussichtlich keine Inanspruchnahme der Räumlichkeiten zur Nachtzeit verbunden.

c) Anders verhält sich dies jedoch mit der beabsichtigten weitergehenden Nutzung der großen Räume im EG und UG für die Nutzungsart “Jugendtreff – Jugendbegegnungshaus”. Hierbei handelt es sich nach Auffassung der Kammer um eine zur geplanten Nutzung als Asylbewerberunterkunft hinzutretende gesonderte spezifische Nutzungsart, da diesbezüglich insbesondere nach den Stellungnahmen des Amtes für Kinder, Jugend und Familie vom 17. März 2016 bzw. 9. Mai 2016 eine Nutzung der Einrichtung auch durch externe Personen in beträchtlichem Umfang angestrebt ist. Die vom Amt für Kinder, Jugend und Familie beabsichtigte zusätzliche Nutzung des Bauvorhabens wird im Genehmigungsbescheid in der Vorbemerkung Ziffer I Nr.2 (“Sozialdienst für Jugendsozialarbeit”), den Hinweisen (Ziffer IV.A.3 “Jugendbegegnungsstätte”) und im Eingabeplan (“Räume für Jugendsozialarbeit”) jedenfalls teilweise aufgenommen. In welchem konkreten Umfang die Vorstellungen des Amts für Kinder, Jugend und Familie jedoch mit dem Bescheid vom 11. August 2016 genehmigt werden sollten, lässt dieser völlig offen.

Zur beabsichtigten Nutzung ist ausgeführt, dass eine tägliche Öffnung von 16.00 Uhr bis 21.00 Uhr auch an Wochenenden beabsichtigt ist und darüber hinaus Veranstaltungen von mit bis zu 150 Besuchern, die im Einzelfall auch bis 23.00 Uhr dauern können, angedacht seien. Mit Schreiben vom 9. Mai 2016 hat das Amt für Kinder, Jugend und Familie der Beklagten weiter ausgeführt, dass in den Räumlichkeiten im EG und UG maximal acht Abendveranstaltungen im Jahr geplant seien, für die jedoch noch kein Nutzungskonzept vorliege. In dem zum Gegenstand der Baugenehmigung erklärten Eingabeplan sind die südlich an das Gebäude der Klägerin unmittelbar angrenzenden größeren Räume im Umfang von insgesamt 137 qm als Räume für die “Jugendsozialarbeit” mit flexibler Raumeinteilung erklärt. Auch insoweit bleibt in den genehmigten Plänen die konkrete Nutzung der jeweiligen Räume offen.

d) Im vorliegenden Fall ist eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots zu Lasten der Klägerin hinsichtlich der Lärmbelastung durch die beabsichtigte Nutzung als Räume für die Jugendsozialarbeit nicht auszuschließen, denn durch die streitgegenständliche, mit der Klage angegriffene Baugenehmigung wird nicht hinreichend sichergestellt, dass die Klägerin als betroffene Nachbarin vor unzumutbaren Immissionen ausreichend geschützt wird. Insbesondere finden sich in der Baugenehmigung selbst keine entsprechenden Regelungen zur Vorsorge gegen das Entstehen entsprechender Immissionsbelastungen. Auch finden sich keine vollziehbaren Auflagen mit entsprechendem Inhalt.

Zwar könnte das Bestimmtheitsgebot insofern gewahrt werden, als eine hinreichende Betriebs- und Nutzungsbeschreibung von der zuständigen Bauordnungsbehörde zum Gegenstand der Baugenehmigung selbst oder ihrer Nebenbestimmungen gemacht wird (vgl. BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 22; B.v. 17.6.2016 – 15 ZB 15.644 – juris Rn. 6). Zwar findet sich in den Hinweisen (Ziffer IV der Baugenehmigung) unter Allgemeines (A.), dass entsprechend der Antragsunterlagen in der Jugendbegegnungsstätte maximal acht Abendveranstaltungen (Veranstaltungen bis 23.00 Uhr) im Jahr geplant sind, dass keine kommerziellen Veranstaltungen stattfinden sollen und dass die Räumlichkeiten nicht im Sinne einer Vergnügungsstätte genutzt werden (Nr. 3.).

Dieser bloße Hinweis stellt keine vollziehbare Nebenbestimmung zur Baugenehmigung im Sinne von Art. 36 BayVwVfG dar, da er selbst keinen Regelungscharakter aufweist (vgl. Lechner in Simon/Busse, BayBO, Stand: Mai 2017, Art. 68 Rn. 422). Der der streitgegenständlichen Baugenehmigung beigefügte Hinweis wiederholt vom Wortlaut her die Stellungnahme des Amts für Kinder, Jugend und Familie vom 9. Mai 2016. Auch diesbezüglich fehlt es am erforderlichen Regelungscharakter und mangelt es an einem Verweis auf eine Nutzungs- oder Betriebsbeschreibung für die Räume der geplanten Jugendsozialarbeit. Ungeachtet der offensichtlich ins Auge gefassten zusätzlichen Nutzung der beiden größeren Räume im EG bzw. UG für die Jugendsozialarbeit und einer angedachten zumindest temporären Nutzung für eine größere Zahl von Veranstaltungen auch zur Nachtzeit nach der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) bzw. der Richtlinie des LAI zur Beurteilung der von Freizeitanlagen verursachten Geräusche (Freizeitlärm-Richtlinie) hat die Beklagte es versäumt, Regelungen hinsichtlich des Schutzes der Nachbarn vor unzumutbaren Immissionen zu treffen. Gerade die geplante Zahl von Veranstaltungen, deren Dauer bis in die Stunden der Nachtzeit (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) bzw. in den Ruhezeiten nach der Freizeitlärm-Richtlinie (20.00 Uhr bis 22.00), der für Externe geöffnete Nutzerkreis und eine Besucherzahl von zeitweise bis zu 150 Personen hätte es für die Beklagte nahe legen müssen, durch die Aufnahme von Nebenbestimmungen hinreichend Vorsorge bezüglich der im Norden angrenzenden Wohnnutzung der Klägerin zu treffen. Dies gilt umso mehr, als sich die in Aussicht genommenen Räume im EG bzw. UG an der unmittelbar dem Wohngebäude der Klägerin zugewandten Seite befinden.

Der von der Beklagten vorgelegten Bauakte ist zu entnehmen, dass bezüglich der mit Stellungnahmen vom 17. März 2016 bzw. 9. Mai 2016 gegenüber der ursprünglichen Nutzungsplanung erweiterten Nutzung als Jugendtreff bzw. Jugendbegegnungsstätte keine immissionsschutzfachliche Beurteilung (mehr) stattgefunden hat. Es liegt lediglich eine Stellungnahme des zuständigen Umweltamtes/Immissionsschutz vom 3. Februar 2016 vor, wonach gegen das Bauvorhaben keine Einwände bestünden. Diese fachliche Einschätzung bezog sich aber offensichtlich auf die ursprüngliche Betriebskonzeption als Asylbewerberheim mit Sozialdiensträumen, wie sie in der nachfolgenden Betriebsbeschreibung vom 10. Februar 2016 vom Beigeladenen konkretisiert wurde. Eine fachtechnische Würdigung der nachfolgend insbesondere mit Stellungnahmen des Amtes für Kinder, Jugend und Familie vom 17. März 2016 bzw. 9. Mai 2016 beabsichtigten Nutzungserweiterung um einen “Jugendtreff – Jugendbegegnungsstätte” hat, soweit ersichtlich, vor Erlass der Baugenehmigung nicht mehr stattgefunden.

e) Für die Bewältigung der zutage getretenen Konfliktlage zwischen der Wohnnutzung der Klägerin einerseits und der beabsichtigten teilweisen Nutzung als “Jugendtreff – Jugendbegegnungsstätte” andererseits ist der in die Baugenehmigung aufgenommene Hinweis ohne verbindlichen Regelungscharakter völlig unzureichend.

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass sich die beabsichtigte Nutzung der großen Räume im EG bzw. UG als Jugendtreff bzw. Jugendbegegnungsstätte noch innerhalb der beantragten und genehmigten Nutzungsänderung für einen Sozialdienst bewege. Der im Baugenehmigungsbescheid gewählte Vorhabenszweck rekurriert auf die ursprünglich vorgelegenen Pläne, wie sie Gegenstand der Bau- und Betriebsbeschreibung vom 10. Februar 2016 waren. Mit den im Verfahren später erfolgten Erweiterungen der Nutzungskonzeption um einen Jugendtreff/eine Jugendbegegnungsstätte und der damit verbundenen Erweiterung des Benutzerkreises auf externe Personen und die Durchführung von Veranstaltungen auch in der Nachtzeit nach TA Lärm bzw. der Freizeitlärm-Richtlinie handelt es sich um eine von der ursprünglichen Betriebskonzeption (10.2.2016) abweichende neue Nutzungsqualität, die im Hinblick auf die unmittelbar angrenzende Wohnnutzung der Klägerin einer entsprechenden Regelung bedurft hätte, um unzumutbare Lärmimmissionen auszuschließen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die geplante Zahl der Nutzer (bis zu 150) und die im Genehmigungsbescheid letztlich offen gebliebene Zahl der geplanten Veranstaltungen und deren Dauer. Im Hinblick auf die beabsichtigte Nutzungserweiterung auch auf externes Publikum wird auch die Stellplatzfrage in anderer Qualität berührt bzw. neu aufgeworfen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Zufahrt unmittelbar zwischen den Gebäuden von Klägerin und Beigeladenem vorgesehen ist. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass auch eine Jugendbegegnungsstätte isoliert betrachtet eine Anlage für soziale Zwecke darstellt, die auch in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB allgemein zulässig sein kann. Ungeachtet dessen bedarf es jedoch stets einer Einzelfallbetrachtung anhand der gesetzlichen Bestimmung des § 15 Abs. 1 BauNVO, ob das genehmigte Bauvorhaben nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt bzw. zumindest verstoßen kann. Um einen derartigen Verstoß sicher auszuschließen, bedarf es gegebenenfalls der Festsetzung erforderlich werdender vollziehbarer Nebenbestimmungen (Art. 36 BayVwVfG). In diesem Punkt ist der mit der Klage angegriffene Bescheid der Beklagten defizitär.

f) Nicht geeignet, einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme durch fehlende inhaltliche Bestimmtheit des Bescheids auszuschließen, ist auch der von der Beklagten erfolgte Hinweis auf die Bestimmung in Nr. 7.2 der TA Lärm, wonach Lärmwertüberschreitungen wegen voraussehbarer Besonderheiten beim Betrieb einer Anlage an nicht mehr als zehn Tagen oder Nächten eines Kalenderjahres unbeachtlich und hinzunehmen sind (Seltene Ereignisse). Zum einen bestehen bereits erhebliche Bedenken an der Anwendbarkeit der TA Lärm im vorliegenden Fall. Nach Nr. 1.b, h TA Lärm ist diese auf nicht genehmigungsbedürftige Freizeitanlagen bzw. Anlagen für soziale Zwecke bereits nicht anwendbar. Sie erfasst auch nur Geräusche, die durch technische Anlagen hervorgerufen werden (Landmann/Rohmer, Umweltrecht, TA Lärm Nr. 1 Rn. 23). Darüber hinaus bedürfte es insoweit voraussehbarer Besonderheiten beim Betrieb der jeweiligen Anlage. Dies setzt aber zunächst ein irgendwie geartetes, festgeschriebenes Nutzungskonzept für die Einrichtung selbst voraus, auf dessen Grundlage dann beurteilt werden kann, ob es sich um voraussehbare Besonderheiten handelt, die eine Einhaltung der grundsätzlich geltenden Lärmrichtwerte im Einzelfall ausschließt. An dieser grundsätzlichen Betriebskonzeption, die eine Einhaltung geltender Lärmrichtwerte grundsätzlich garantiert, fehlt es vorliegend bereits. Nichts anderes gilt hinsichtlich der Freizeitlärm-Richtlinie bezüglich der dort eröffneten Sonderfallbeurteilung bei seltenen Veranstaltungen mit hoher Standortgebundenheit oder sozialer Adäquanz und Akzeptanz (Nr. 4.4).

4. Zusammenfassend erweist sich die Baugenehmigung wegen fehlender inhaltlicher Bestimmtheit des genehmigten Nutzungsumfanges und der daraus resultierenden fehlenden Möglichkeit einer Überprüfung und Beurteilung möglicher unzumutbarer Auswirkungen auf die Klägerin als rechtswidrig. Wie aufgezeigt, lässt sich dieser Bestimmtheitsmangel auch nicht im Wege der Auslegung der Baugenehmigung beheben.

Auf die Frage, ob das Vorhaben gegen weitere drittschützende Vorschriften verstößt, kommt es für die Entscheidung nicht mehr an. Dies gilt insbesondere für den von der Klägerin erfolgten Hinweis auf einen bestehenden eisenbahnrechtlichen Planvorbehalt. Dies bedarf keiner vertiefenden Betrachtung, da selbst bei Bestehen eines solchen, der Umstand nicht geeignet wäre, der Klägerin Drittschutz zu vermitteln.

5. Nachdem die Baugenehmigung keine ausreichenden Vorkehrungen gegen eine Lärmbetroffenheit der Klägerin im Rahmen der beabsichtigten Nutzung jedenfalls für Zwecke der Jugendsozialarbeit trifft, kann die Verletzung des Rücksichtnahmegebots der Klägerin gegenüber nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 11. August 2016 war daher antragsgemäß aufzuheben. Eine bestandserhaltende Teilung der Baugenehmigung hinsichtlich des Gegenstandes der Genehmigung als bloße Asylbewerberunterkunft war dem Gericht verwehrt, da es sich um einen einheitlichen Antragsgegenstand der Nutzungsänderung in eine Asylbewerberunterkunft mit angeschlossener Nutzung zweier Räume im EG und UG für einen Sozialdienst bzw. für Zwecke der Jugendsozialarbeit handelt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Nachdem der Beigeladene sich ohne Antragstellung keinem Prozesskostenrisiko aus § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Aufwendungen selbst zu tragen hat.

Die Entscheidung über die vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (5)

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (5):

VG Augsburg: Vorläufiger Rechtsschutz gegen eine Baugenehmigung für eine Asylbewerberunterkunft

VG Augsburg, Beschluss vom 17.03.2016 – Au 4 S 16.191

Tatbestand


Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Baugenehmigung für eine Asylbewerberunterkunft.

Der Beigeladene beantragte am 23. November 2015 beim Landratsamt … die Erteilung einer Baugenehmigung zur Nutzungsänderung zur Wohnnutzung für Flüchtlinge und Asylbegehrende. Das Gebäude befindet sich auf der Flurnummer … der Gemarkung …, … In dem ehemaligen Speichergebäude mit sechs Stockwerken, welches vormalig leer stand und gewerblich genutzt wurde, sollen auf sechs Etagen insgesamt 450 Asylbewerber untergebracht werden (450 Betten). Im Untergeschoß des Gebäudes ist eine Küche sowie ein Schulungsraum als Versammlungsstätte und Speiseraum mit ca. 390 m² geplant. Im zweiten Dachgeschoß sind Aufenthaltsräume vorgesehen.

Im Norden des Grundstück Flurnummer … verläuft eine Bahnlinie. Ferner grenzt es im Westen an das Grundstück Flurnummer … und im Süden an das Grundstück Flurnummer …, welche im Eigentum der Antragstellerin stehen. Südlich dieser Grundstücke liegen die Grundstücke Flurnummern … und …, die ebenfalls im Eigentum der Antragstellerin stehen. Diese Grundstücke sind bebaut und weisen insgesamt acht Märkte auf, darunter einen Lebensmitteldiscounter, ein Drogeriemarkt, eine Autovermietung und ein Sandwichrestaurant. In Nord-Süd-Richtung wird das Grundstück Flurnummer … durch einen förmlich als Eigentümerweg gewidmeten Weg über die Grundstücke Flurnummern … und Flurnummer … mit der Stichstraße “…” verbunden. Soweit aus den Plänen ersichtlich und auch in der von Seiten der Antragstellerin vorgelegten brandschutztechnischen Stellungnahme eingeräumt verläuft dieser Eigentümerweg bis an die Grenzen der Grundstücke Flurnummern … und …

Das Vorhaben befindet sich ausweislich des vorgelegten Bebauungsplans M81 “…Strasse” in einem Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO, vgl. Nr. 2.3 dieses Plans.

Er trifft unter dieser Nummer folgende Aussagen:

“2.3 Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO)

Zulässig sind:

– Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe (§ 8 (2) Nr. 1 BauNVO)

– Geschäfts-, Büro und Verwaltungsgebäude (§ 8 (2) Nr. 2 BauNVO)

– Tankstellen (§ 8 (2) Nr. 3 BauNVO)

– Anlagen für sportliche Zwecke (§ 8 (2) Nr. 4 BauNVO)

– Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die den Gewerbebetrieben zugeordnet sind und diesen gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind, können als Ausnahme zugelassen werden (§ 8 (3) Nr. 1 BauNVO).

Vergnügungsstätten (§ 8 (3) Nr. 3 BauNVO) sind nicht zulässig.”

Das Gebäude weist eine Höhe von 21 m auf und ist etwa 20,30 m breit.

Ausweislich des Bauantrags handelt es sich um einen Sonderbau nach Art. 2 Abs. 4 Nr. 7, 11 BayBO. Unter “Gebäudeklasse” wird Art. 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BayBO angegeben (Gebäudeklasse 5).

Unter “Brandschutznachweis” ist das Feld “wird durch Prüfsachverständigen bescheinigt” ausgefüllt. Entsprechende Anlagen sind beigefügt.

Im Übrigen wird auf den Bauantrag Bezug genommen.

Die Antragstellerin wurde mit Schreiben vom 11. November 2015 im Rahmen der Nachbarbeteiligung benachrichtigt. Nach Änderung des Vorhabens erfolgte eine erneute Nachbarbeteiligung mit Schreiben vom 26. November 2015. Die Antragstellerin stimmte dem Vorhaben nicht zu.

Die Antragsgegnerin stimmte dem Bauvorhaben mit Beschluss 15. Dezember 2015 zu.

Mit Bescheid vom 11. Januar 2016 erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen die beantragte Genehmigung. Dabei erteilte sie gemäß § 246 Abs. 10 BauGB eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans und ließ eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge und Asylbegehrende in einem Gewerbegebiet zu.

Unter “6. Gründe” wird unter anderem ausgeführt, dass beim beantragten Vorhaben die in diesem Verfahren zu prüfenden öffentlichrechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Der Bebauungsplan M81 setze ein Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO fest. Nachdem dieser Bebauungsplan Anlagen für soziale Zwecke nicht explizit ausschließe, könne nach der Neuregelung in § 246 Abs. 10 BauGB für Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden. Die Befreiung sei auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar. Die beantragte Flüchtlingsunterkunft sei mit den zulässigen Nutzungen im Gewerbegebiet verträglich, da die wohnähnliche Nutzung durch die dortigen Gewerbebetriebe nicht unzumutbar gestört werde. Konflikte mit Lärm- und Geruchsimmissionen seien nicht zu erwarten. Es entstünden auch keine Einschränkungen für die dortigen gewerblichen Nutzungen. Die Voraussetzungen für eine Befreiung seien deshalb im vorliegenden Fall gegeben. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme bzw. eine Beeinträchtigung öffentlichrechtlich geschützter nachbarlicher Belange sei nicht erkennbar.

Die Antragstellerin erhob gegen die ihr am 13. Januar 2016 zugestellte Baugenehmigung am 9. Februar 2016 Klage (Az. Au 4 K 16. 190) mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids.

Ebenfalls am 9. Februar 2016 beantragte sie die Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit dem Antrag:

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die dem Beizuladenden durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 11.01.2016, Az.: …, erteilte Baugenehmigung betreffend die Nutzungsänderung eines Gebäudes zur Wohnnutzung für Flüchtlingen und Asylbegehrende auf dem Grundstück Flst.-Nr. …, …, …, – zugestellt am 13.01.2016 – wird angeordnet.

Zur Begründung führte sie insbesondere aus, dass der Gebietsgewährleistungsanspruch verletzt sei. Denn für das Bauvorhaben im Gewerbegebiet seien nicht die Befreiungsvoraussetzungen des § 246 Abs. 10 BauGB gegeben. Nach den textlichen Festsetzungen des einschlägigen einfachen Bebauungsplans M 81 “…

…‘ Straße” unter Nr. 2.3 seien Anlagen für soziale Zwecke gerade nicht allgemein zugelassen und könnten auch nicht ausnahmsweise zugelassen werden. Ob und inwieweit im Bebauungsplan Ausnahmen festgesetzt werden, richte sich nach den für die Aufstellung des Bebauungsplans geltenden Vorschriften. Dazu gehörten entsprechende Rechtsgrundlagen für die Festsetzung von Ausnahmen, die Beachtung der materiellrechtlichen Voraussetzungen, insbesondere des § 1 BauGB, sowie die Einbeziehung der Festsetzung über die Ausnahme in das Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans. Entsprechend dem Grundsatz, dass als Regelungsinhalt in den Bebauungsplänen nur solche Festsetzungen aufgenommen werden dürften, für die das BauGB und die BauNVO entsprechende Rechtsgrundlagen enthalten, seien auch für die Festsetzung von Ausnahmen entsprechende Rechtsgrundlagen erforderlich. Die Gemeinde sei nicht darin frei, beliebige Ausnahmen festzusetzen. Daraus folge, dass – weil nach Nr. 2.3 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans ausschließlich Betriebsleiterwohnungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ausnahmsweise zugelassen worden seien – die anderen vom Verordnungsgeber vorgesehenen Ausnahmen gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 und 3 BauNVO nicht Gegenstand des Bebauungsplans geworden seien. Von den Festsetzungen des Bebauungsplans könnten nur solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen seien. Eine Ausnahme könne nicht etwa durch Auslegung als “ungeschriebene Regelung” in einen Bebauungsplan hineingelesen werden, was auch das Bundesverwaltungsgericht bestätige. § 31 Abs.1 BauGB verlange vielmehr, dass die Ausnahme in dem Bebauungsplan “nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen” sei. Auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werde verwiesen (BVerwG, U. v. 17.12.1998 – 4 C 16/97 – BRS 60 Nr. 71).

Hier sei aber den Festsetzungen des Bebauungsplans eine abschließende Regelung zu entnehmen, welche Nutzungen ausnahmsweise zulässig bzw. ausgeschlossen sind. So würden die gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 BauNVO im Gewerbegebiet allgemein zulässigen Tankstellen sowie die gleichfalls allgemein zulässigen Anlagen für sportliche Zwecke im angrenzenden eingeschränkten Gewerbegebiet ausgeschlossen. Die Ausnahmen nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 und 3 BauNVO seien insoweit nicht Bestandteil des Bebauungsplans geworden und somit generell ausgeschlossen worden.

Im hier vorliegenden Gewerbegebiet seien enumerativ durch textliche Festsetzungen unter Nr. 2.3 unter Übernahme des Wortlauts des § 8 Abs. 2 Nr. 1,2,3 und 4 BauNVO und unter Übernahme des Wortlauts des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter ausnahmsweise für zulässig erklärt. Vergnügungsstätten im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO seien hingegen ausnahmslos für unzulässig erklärt worden. Daraus folge, dass nur solche Nutzungsarten ausnahmsweise zugelassen werden könnten, die in den Festsetzungen positiv aufgeführt sind. Dies ergebe sich aus dem objektiven Erklärungsinhalt des Bebauungsplans. Diese Auslegung sei auch mit § 1 Abs. 5 Nr. 1 BauNVO vereinbar. Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (B. v. 5. 3. 2015 – 1 ZB 14.2373 – juris Rn. 4) folge daraus keine Verpflichtung der planenden Gemeinde, alle nicht erwünschten Nutzungen durch ausdrückliche Festsetzung auszuschließen. Vielmehr reiche es aus, dass durch die Festsetzung der Zulässigkeit von in § 8 Abs. 3 BauNVO genannten Ausnahmen – hier Anlagen nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO – umgekehrt zum Ausdruck kommt, dass die übrigen dort genannten Ausnahmen nicht Bestandteil des Bebauungsplans werden und damit unzulässig seien.

Da damit Anlagen für soziale Zwecke wirksam ausgeschlossen seien, scheide sowohl eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB als auch nach § 246 Abs. 10 BauGB aus.

Die Anwendung von § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB sei wegen des spezialgesetzlichen Vorrangs von § 246 Abs.10 BauGB gesperrt. Im Übrigen würden dessen Voraussetzungen auch nicht vorliegen, weil das Vorhaben Grundzüge der Planung berühre. Es sei nicht gebietsverträglich. Auf dem Standort des beabsichtigten Vorhabens bestehe die Möglichkeit, dass Lärm von den umliegenden Grundstücken erhebliches Störpotenzial erzeuge. Die Gemeinschaftsunterkunft mit wohnähnlicher Unterbringung einer so großen Personenzahl stehe in offensichtlichem Widerspruch zu der allgemeinen Zweckbestimmung des Gebiets, weil in Gewerbegebieten grundsätzlich keine Wohnnutzung vorgesehen sei.

Unabhängig von der Verletzung des Gebietsgewährleistungsanspruchs sei auch das Gebot der Rücksichtnahme nach § 15 Abs. 1 BauNVO verletzt. Das Gebäude befinde sich direkt an der Bahnlinie und sei daher einer erheblichen Lärmbeeinträchtigung durch den Eisenbahnverkehr ausgesetzt.

Darüber hinaus würden sich auf den Grundstücken der Antragstellerin mehrere Gewerbebetriebe befinden, die auf eine Nachtanlieferung ihrer Waren angewiesen sein. Es handele sich darüber hinaus um Betriebe mit vergleichsweise intensivem Publikumsverkehr tagsüber. Von den Betrieben gingen sowohl während der Tages- als auch während der Nachtzeit beträchtliche Lärmemissionen aus, die in einem Gewerbegebiet selbstverständlich ohne weiteres zulässig seien, weil die hier geltenden Immissionsrichtwerte nicht überschritten werden. Wenn jedoch eine Wohnnutzung oder eine wohnähnliche Nutzung in dem beschriebenen erheblichen Umfang an dieser Stelle zugelassen würde, müsste die Antragstellerin bzw. deren Mieter mit erheblichen Einschränkungen rechnen, um die Lärmimmissionen, die auf das Bauvorhaben einwirken, zu reduzieren. Ein solches Maß an Rücksichtnahme könne nicht verlangt werden. Maßgeblich sei, ob sich die Störwirkungen, die die konkrete Anlage bei funktionsgerechter Nutzung erwarten lasse, innerhalb des Rahmens halten, der durch die Gebietseigenart vorgegeben werde.

Ohne Erstellung einer Lärmprognose bezogen auf Lärmemissionen der nahegelegenen Kfz.-Werkstätte und des Lebensmitteldiscounters sei die Einstellung verfehlt, dass die Wohnnutzung durch die Gewerbebetriebe nicht unzumutbar gestört werde.

Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand sei daher davon auszugehen, dass das Bauvorhaben auch gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoße.

Zudem seien Beeinträchtigungen und insbesondere ein Übergreifen von Bränden auf die Grundstücke der Antragstellerin angesichts der beengten räumlichen Situation nicht auszuschließen. Daher würden nachbarliche Belange nachhaltig beeinträchtigt, weshalb sich auch aus diesem Grund Ausnahmen und Befreiungen zur Zulassung des Bauvorhabens verbieten würden.

So seien nach Art. 5 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 BayBO bei Gebäuden, die ganz oder teilweise mehr als 50 m von einer öffentlichen Verkehrsfläche entfernt seien, Zufahrten und Durchfahrten zu den vor und hinter den Gebäuden gelegenen Grundstücksteilen und Bewegungsflächen herzustellen, wenn sie aus Gründen des Feuerwehreinsatzes erforderlich seien. Derartige Zu- und Durchfahrten, Aufstellflächen und Bewegungsflächen müssten für Feuerwehreinsatzfahrzeuge ausreichend befestigt und tragfähig sein. Sie seien außerdem als solche zu kennzeichnen und ständig freizuhalten. Auf die Richtlinien des Bayerischen Staatsministeriums des Innern über Flächen für die Feuerwehr werde Bezug genommen.

Danach müssten Zu- oder Durchfahrten für die Feuerwehr, Aufstell- und Bewegungsflächen so befestigt werden, dass sie von Feuerwehrfahrzeugen mit einer Achslast von bis zu 10 t und einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 16 t befahren werden können. Ferner dürfe der Einsatz durch Kurven in Zu- oder Durchfahrten nicht behindert werden.

Die genannten Voraussetzungen seien jedoch in Ansehung des Baugrundstücks offensichtlich nicht erfüllt. Das Baugrundstück befinde sich in einer Entfernung von ca. 170 m von der öffentlichen Verkehrsfläche/Straße “…” entfernt. Die Erschließung erfolge über einen dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Eigentümerweg über die Grundstücke Flurnummern … und … der Gemarkung … Die Unterkunft stehe so dicht an den jeweiligen Grundstücksgrenzen, dass die nach der genannten Richtlinie erforderlichen Kurvenradien nicht realisiert werden könnten. Außerdem seien auf dem Baugrundstück Aufstell- und Bewegungsflächen nicht vorhanden. Eine Inanspruchnahme der angrenzenden Grundstücke der Antragstellerin scheide sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen aus. In tatsächlicher Hinsicht sei zu berücksichtigen, dass zwischen dem Baugrundstück mit der Flurnummer … einerseits und den Grundstücken … und … der Antragstellerin andererseits Höhenunterschiede bestehen, welche das zulässige Maß nach den Feuerwehrrichtlinien deutlich überschreiten würden. In rechtlicher Hinsicht sei zu berücksichtigen, dass Aufstell- und Bewegungsflächen für die Feuerwehr jeweils auf dem Baugrundstück zu schaffen seien und Grundstücke Dritter hierfür grundsätzlich nicht in Anspruch genommen werden dürften. Die Antragstellerin sei mit einer Inanspruchnahme von Teilflächen ihres Grundstücks nicht einverstanden.

Die genannten Punkte hätten zur Folge, dass das Baugrundstück für Feuerlösch- und Rettungsfahrzeuge nur eingeschränkt erreichbar sei. Eine Brandbekämpfung könne daher nicht rasch erfolgen. Währenddessen drohe eine Ausbreitung des Brandes auf die benachbarten Gebäude der Antragstellerin.

Zudem sei eine Baugenehmigung zwar nach Art. 68 BayBO zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlichrechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Gleichwohl dürfe die Bauaufsichtsbehörde den Bauantrag auch dann ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentlichrechtliche Vorschriften verstößt. Es sei zu bedenken, dass bei der Prüfung etwaiger Ausnahmen und Befreiungen die nachbarlichen Belange in die Prüfung einzubeziehen seien. Die Erschließung des Baugrundstücks erfolge über einen Eigentümerweg und damit über das grundrechtlich geschützte Eigentum der Antragstellerin. Eine brandschutztechnische Stellungnahme werde beigelegt.

Auf sie wird Bezug genommen.

Der Antragsgegner beantragt

den Antrag abzuweisen.

Er sei zwar zulässig, aber unbegründet. Der im Antrag dargestellte objektive Sachverhalt werde nicht bestritten.

Auch die Rechtsausführungen würden insoweit nicht angegriffen, als dort die Interpretation einer Bebauungsplanfestsetzung zur singulären Zulassung einer Ausnahme und der Umkehrschluss des Ausschlusses der anderen ausnahmsweisen Zulässigkeiten hier nach § 8 Abs. 3 BauNVO dargestellt werde. Umgekehrt bedeute dies aber auch, dass beim singulären Ausschluss einer solchen ausnahmsweisen Zulässigkeit die übrigen zulassungsfähigen Ausnahmen möglich seien.

Vorliegend enthalte der Bebauungsplan, wie vom Bevollmächtigten der Antragstellerin dargestellt, zwar bezüglich der Ausnahme nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO eine Regelzulassung gemäß § 1 Abs. 6 BauNVO, allerdings auch bezüglich der Ausnahme nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO eine Ausschlussregelung gemäß § 1 Abs. 5 BauNVO.

Bezüglich der Ausnahmen nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO enthalte der Bebauungsplan keine Festsetzungen. Die oben genannte Interpretationsregel könne hier nicht angewandt werden, da der Bebauungsplan sowohl eine positive wie auch eine negative Festsetzung enthalte und damit unklar sei, was auf die Nr. 2 interpretativ anzuwenden sei. Bebauungspläne seien wie alle Normen auszulegen. Durch die beiden Festlegungen zu § 8 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 BauNVO ergebe sich, dass der Normgeber zu § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO gerade keine Festsetzung treffen wollte. Somit bleibe § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO anwendbar. Auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 8. Januar 2016 (Az.: 1 CS 15.2687) werde verwiesen. Damit aber könnten dann Anlagen für soziale Zwecke ausnahmsweise zugelassen werden. Die Voraussetzungen des § 246 Abs. 10 BauGB lägen damit vor. Das Bauvorhaben liege in einem Gewerbegebiet, in dem soziale Einrichtungen ausnahmsweise zulässig seien. Das Bauvorhaben sei auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Die gesetzliche Befreiungsvorschrift enthalte insoweit ein intendiertes Ermessen bzw. eine Ermessensreduzierung mit der Folge, dass grundsätzlich bei Vorliegen der Tatbestände die Befreiung zu erteilen sei. Die Würdigung nachbarlicher Interessen stehe dem hier nicht entgegen. Eine nachbarliche Wohnnutzung sei vorliegend nicht gegeben. Hinsichtlich der umgebenden Nutzung durch einen …-Markt, einen …markt, den …-Markt und das … handele es sich durchweg um Nutzungen, die auch der Art nach in einem Misch- oder Dorfgebiet zulässig wären. Auch in diesen Gebieten sei Wohnnutzung zulässig. Es sei daher nicht nachvollziehbar, inwiefern von diesen Gewerbebetrieben ein Störpotenzial ausgehen soll, das die Gewährung der Befreiung nach § 246 Abs. 10 BauGB ausschließen müsste. Andererseits seien gerade diese Betriebe auf Kundschaft angewiesen und es sei nicht ersichtlich, weshalb die dort unterzubringenden Flüchtlinge eine diesen Betrieben nicht zumutbare Belästigung darstellen sollten. Deshalb sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb das Gebot der Rücksichtnahme verletzt sein sollte. Der Gesetzgeber habe selbst mit dem Befreiungstatbestand des § 246 Abs. 10 BauGB sowohl den grundsätzlich gegebenen Anspruch auf Erhaltung der Gebietsart durchbrochen als auch bestimmt, dass die Unterbringung von Flüchtlingen in Gewerbegebieten nicht gebietsunverträglich und damit rücksichtslos sei. Im Gegenteil stelle die dort vorhandene gewerbliche Nutzung den Idealfall für eine Unterbringung im Gewerbegebiet dar, da diese Nutzungen abends geschlossen seien und damit keine nächtliche Störung durch Gewerbelärm zu befürchten sei. Die vom Bevollmächtigten der Antragstellerin lediglich pauschal befürchteten Lärmemissionen durch Lieferverkehr nachts und Publikumsverkehr tagsüber seien viel zu unsubstantiiert, um daraus eine nach § 15 BauNVO eventuell abzuleitende unzumutbare Unterbringungssituation für die Flüchtlinge abzuleiten. Der in § 246 Abs. 10 BauGB manifestierte gesetzgeberische Wille würde im Übrigen leerlaufen, wenn die Unterbringung von Flüchtlingen im Gewerbegebiet grundsätzlich den bestehenden Gewerbebetrieben gegenüber unzumutbar sei. Mit dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof sei daher davon auszugehen, dass, von ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen abgesehen, den Gewerbebetrieben in einer solchen Lage die Flüchtlingsunterbringung grundsätzlich zuzumuten und das Ermessen der Baugenehmigungsbehörde entsprechend reduziert sei. Was den Brandschutz angehe, irre der Bevollmächtigte der Antragstellerin bezüglich der Lage zu einer öffentlichen Verkehrsfläche. Bis an die Grundstücksgrenze des Bauvorhabens führe ein als Eigentümerweg nach Art. 53 Nr. 3, Art. 55 BayStrWG gewidmeter öffentlicher Weg. Dieser sei für Fahrzeuge aller Art befahrbar. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayBO komme deshalb nicht zum Tragen, da es sich vorliegend nicht um ein “rückwärtiges Gebäude” handele. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 BayBO treffe ebenfalls nicht zu, da für das Bauvorhaben ein zweiter baulicher Rettungsweg erforderlich sei. Im Übrigen seien Brandschutzvorschriften der BayBO nicht nachbarschützend. Der Antragstellerin fehle insoweit ein subjektives öffentliches Recht.

Der Bauplanmappe liegt ein Brandschutzplan für das Gebäude im Ganzen sowie für die jeweiligen Stockwerke bei.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Gründe

Der zulässige Antrag nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO ist unbegründet.

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Baugenehmigung des Antragsgegners vom 11. Januar 2016. Mangels aufschiebender Wirkung der Klage gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung (§ 212 a Abs. 1 BauGB i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) kann das Gericht der Hauptsache nach § 80a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung aufgrund einer eigenen Ermessensentscheidung ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen. Insoweit stehen sich das Suspensivinteresse des Nachbarn und das Interesse des Bauherrn, von der Baugenehmigung sofort Gebrauch zu machen, grundsätzlich gleichwertig gegenüber. Deshalb ist bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in erster Linie auf die Erfolgsaussichten des Nachbarrechtsbehelfs abzustellen. Fällt die Erfolgsprognose zugunsten des Nachbarn aus, erweist sich also nach summarischer Prüfung die angefochtene Baugenehmigung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (BayVGH, B. v. 12.4.1991 – 1 CS 91.439BayVBl 1991, 720). Erscheint der Nachbarrechtsbehelf dagegen als offensichtlich aussichtslos, ist der Rechtsschutzantrag abzulehnen. Stellen sich die Erfolgsaussichten als offen dar, hat eine reine Interessenabwägung stattzufinden (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 28.11.2001 – 26 CS 99.2592 – juris Rn. 17; zum Ganzen: Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage 2014, Rn. 152 ff zu § 80).

Nach der im Rahmen des im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung wird die Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11. Januar 2016 im Hinblick auf eine Verletzung nachbarschützender Rechte, auf die allein sich die Antragstellerin berufen könnte (BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20), wohl erfolglos bleiben. Der Bescheid vom 11. Januar 2016 verletzt die Antragstellerin voraussichtlich nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).

1. Ein Gebietserhaltungsanspruch der Antragstellerin wird durch die angefochtene Baugenehmigung nicht verletzt.

a) Der einfache Bebauungsplan Nr. M 81 “…/… Strasse” in der Fassung vom 4. Februar 1997 setzt unter Nr. 2.3 als Art der baulichen Nutzung ein “Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO)” fest. Aus einer solchen Festsetzung kann die Antragstellerin grundsätzlich Nachbarschutz ableiten (BVerwG, U. v. 16.09.1993 – 4 C 28/91– juris Rn. 15; BayVGH, U. v. 28.06.2012 – 2 B 10.788 – juris Rn. 24). Allerdings können Anlagen für soziale Zwecke nach § 8 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden. Die Festsetzungen unter Punkt 2.3 dieses Bebauungsplans schließen eine solche ausnahmsweise Zulassung auf den ersten Blick nicht aus, sehen sie aber auch nicht ausdrücklich vor (vgl. VG München, B. v. 30.11.2015 – M 1 SN 15.4780 – juris Rn. 17; BayVGH, B. v. 5.3.2015 – 1 ZB 14.2373 – juris Rn. 4).

Nach § 246 Abs. 10 BauGB (Absatz zuletzt geändert durch Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen vom 20.11.2014,BGBl I S. 1748) kann bis zum 31. Dezember 2019 in Gewerbegebieten für Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn an dem Standort Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder allgemein zulässig sind und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar ist.

b) Mit der herrschenden Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BayVGH, B. v. 5.3.2015 – 1 ZB 14.2373BayVBl 2015, 413 – juris Rn. 3, m. w. N.) geht das Gericht davon aus, dass eine Unterkunft für Asylbewerber keine – im Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO von vornherein unzulässige – Wohnanlage im bauplanungsrechtlichen Sinn darstellt, sondern eine Anlage für soziale Zwecke mit wohnähnlichem Charakter. Diese Auffassung findet ihre Rechtfertigung insbesondere darin‚ dass der Aufenthalt von Asylbegehrenden in solchen Unterkünften nicht freiwillig ist‚ sondern auf einer Zuweisungsentscheidung der zuständigen Behörde beruht‚ auf die der Asylbegehrende keine Einflussmöglichkeiten hat (s. § 53 1 Satz 1 AsylG; Art. 4 Abs. 1 AufnG). Zudem sind Asylbegehrende von den Entscheidungen der Verwaltung der Unterkunft – z. B. im Hinblick auf die Raumbelegung – abhängig‚ so dass von einer – wie das Bundesverwaltungsgericht fordert (B. v. 25.3.1996 – 4 B 302.95 – ZfBR 1996‚ 228) – Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises nicht die Rede sein kann.

Mit der jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und der Oberverwaltungsgerichte ist auch die Kammer der Auffassung, dass Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber, auch wenn diese als Anlagen für soziale Zwecke im bauplanungsrechtlichen Sinn angesehen werden können, mit dem Charakter eines Gewerbegebiets grundsätzlich unvereinbar sind (vgl. BayVGH, B. v. 6.2.2015 – 15 B 14.1832 – juris Rn. 16 m. w. N.), weil die Unterbringung von Asylbewerbern keine Funktion im Zusammenhang mit oder für eine der im Gewerbegebiet zulässigen Hauptnutzungsarten erfüllt. Die von § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO als ausnahmsweise zulassungsfähig erklärten Wohnungen, “die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber … untergeordnet sind”, genießen die Vorteile ihrer betriebsnahen Unterbringung nur unter Inkaufnahme des von den Gewerbetrieben ausgehenden Störpotentials. Damit ist die Unterbringung von Asylbewerbern nicht vergleichbar (vgl. VG München, B. v. 30.11.2015 – M 1 SN 15.4780 – juris Rn. 19). Ferner bildet eine Gemeinschaftsunterkunft für einen mehr als nur unbeachtlich kurzen Zeitraum den Lebensmittelpunkt des einzelnen Asylbewerbers (BayVGH, B. v. 6.2.2015 a. a. O. Rn. 16).

c) Allerdings widerspricht die Unterbringung von Asylbewerbern in einer Anlage für soziale Zwecke mit wohnähnlichem Charakter dem Gebietscharakter eines Gewerbegebiets dann nicht, wenn für eine solche Unterbringung eine Befreiung nach § 246 10 Satz 1 BauGB erteilt wird.

Unter den dort genannten Voraussetzungen werden die – in § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB im Unterschied zu § 31 Abs. 2 BauGB nicht genannten – Grundzüge der Planung nicht berührt (vgl. BayVGH, B. v. 5.3.2015 a. a. O. Rn. 6).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Befreiung nach dieser Bestimmung liegen vor. Anlagen für soziale Zwecke können vorliegend als Ausnahme zugelassen werden.

aa) Es ist dem Bebauungsplan Nr. M 81 “…/… Strasse” entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten der Antragstellerin keine abschließende Regelung zu entnehmen, welche Nutzungen ausnahmsweise zulässig bzw. ausgeschlossen sind.

(1) Der Bebauungsplan setzt unter Nr. 2.3 ein “Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO)” fest. Damit wird der Katalog der regelhaft oder ausnahmsweise zulässigen Vorhaben im Sinn von § 8 Abs. 1, 2 und 3 BauNVO grundsätzlich in den Bebauungsplan übernommen (vgl. jüngst BayVGH, B. v. 8.1.2016 – 1 CS 15.2687 – juris Rn. 2). Die Festsetzung, wonach Wohnungen nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 ausnahmsweise zugelassen werden, lässt nicht den Schluss zu, dass die übrigen in § 8 Abs. 3 BauNVO genannten Anlagen ausgeschlossen sein sollen (vgl. BayVGH, B. v. 8.1.2016, a. a. O.).

Anders als beim vom Bevollmächtigten der Antragstellerin zitierten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (BayVGH, B. v. 5.3.2015 – 1 ZB 14.2373 – juris Rn. 4) wurde hier keine der in § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO genannten Anlagen (etwa eine solche für kirchliche Zwecke) einzeln herausgegriffen und ausnahmsweise für zulässig erklärt und lediglich für die sonstigen Anlagen in dieser Vorschrift keine ausdrückliche Regelung getroffen (vgl. BayVGH, B. v. 8.1.2016, a. a. O.). Vielmehr schweigt der Bebauungsplan zu den Anlagen nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO gänzlich.

(2) Auch die Tatsache, dass Vergnügungsstätten nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO vom Bebauungsplan für nicht zulässig erklärt worden sind, ändert nichts an dieser Auslegung.

Anders als im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Januar 2016 (BayVGH, B. v. 8.1.2016, a. a. O., juris Rn. 2) ist hier zwar ein weiterer Punkt vom Bebauungsplan geregelt worden (Ausschluss von Vergnügungsstätten). Der Bebauungsplan geht aber von seiner ausdrücklich regelnden Wirkung nicht so weit, wie es im Fall des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 5. März 2015 geschehen war (BayVGH, B. v. 5.3.2015, a. a. O., juris Rn. 4). Dort hatte der Bebauungsplan zu jedem der in § 8 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 genannten Punkte für jede einzelne Nummer Feststellungen getroffen. Dadurch musste er so ausgelegt werden, dass in Nummer 2 die Anlagen für soziale Zwecke wegen ihrer Nichterwähnung im Gegensatz zu den Anlagen für kirchliche Zwecke als nicht ausnahmsweise zulässig anzusehen waren (BayVGH, B. v. 5.3.2015, a. a. O., juris Rn. 4). Hier wurde jedoch keine Regelung zu irgendeiner Anlage im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO getroffen. Fragen zu § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO wurden somit – anders als bei Nr. 1 und Nr. 3 – bewusst ungeregelt gelassen.

Damit musste es beim Grundsatz bleiben, dass in Bezug auf § 8 Abs. 3 Nr. 2

BauNVO wegen des Verweises auf ein “Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO)” die Regelung des Gesetzestextes eingreift. Folglich können wegen § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO Anlagen für soziale Zwecke in Gewerbegebieten ausnahmsweise zugelassen werden.

(3) Auch die im Klageschriftsatz erwähnte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 17.12.1998 – 4 C 16.97 – BRS 60 Nr. 71) steht dieser Auslegung nicht entgegen. Zwar ist richtig, dass dort darauf hingewiesen wird, dass Ausnahmen im Bebauungsplan “nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen” sein müssen, also als solche bestimmt und vom planerischen Willen umfasst sein müssen (BVerwG, U. v. 17.12.1998 – 4 C 16/97 – juris Rn. 16). Das Urteil betraf aber offenbar einen Plan, der für die streitgegenständlichen Grundstücke und deren Umgebung “Wohngebiet” mit zweigeschossiger offener Bebauung festsetzte (BVerwG, U. v. 17.12.1998 – 4 C 16/97 – juris Rn. 2). Es ging also um die Frage, ob die Baunutzungsverordnung auch in einem solchen Fall eines nicht ausdrücklichen Verweises ergänzend zur Auslegung herangezogen werden kann (BVerwG, U. v. 17.12.1998 – 4 C 16/97 – juris Rn. 8). Wie das Bundesverwaltungsgericht festhält, sind “nach § 173 Abs. 3 BBauG “bestehende baurechtliche Vorschriften und festgestellte städtebauliche Pläne” mit verbindlichen Regelungen der in § 9 BBauG bezeichneten Art nur mit dem Inhalt übergeleitet worden, mit dem sie erlassen worden sind. Soweit es um Ausnahmen geht, setzt § 31 Abs. 1 BBauG (…) voraus, dass sie als solche ausdrücklich vorgesehen waren.” (BVerwG, U. v. 17.12.1998 – 4 C 16/97 – juris Rn. 17). Der vorliegende Fall ist insofern anders, als dass ein ausdrücklicher Verweis auf § 8 BauNVO in der Überschrift der Festsetzung Nr. 2.3 erfolgte. Damit ist auch eine Ausnahme “ausdrücklich vorgesehen”. Zudem schließt der neue § 246 Abs.10 BauGB nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes die Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB ohnehin aus. Die neue Norm sei nach dem eindeutigen Wortlaut für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2019 für die dort im Einzelnen aufgeführten Einrichtungen in Gewerbegebieten als lex specialis zu § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB anzusehen (BayVGH B. v. 5.3.2015 – 1 ZB 14.2373 – juris Rn. 6).

(4) Gestützt wird diese Auslegung ferner dadurch, dass § 1 Abs. 5 BauNVO gestattet, “bestimmte Arten von Nutzungen” für nicht zulässig oder ausnahmsweise zulässig zu erklären. Davon machte die Antragsgegnerin bei § 8 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 BauNVO Gebrauch. Würde eine solche Regelung ohne Weiteres zu einem zusätzlichen Ausschluss der Nr. 2 führen, träte ein vom Gesetz so nicht vorgesehener Automatismus in Kraft, der die Wahlmöglichkeit der planenden Gemeinde missachten würde. Will sie nichts zu einer bestimmten Nummer sagen (anders bei BayVGH, B. v. 5.3.2015 – 1 ZB 14.2373BayVBl 2015, 413 die Erwähnung wenigstens einer Anlage der in mitten stehenden Nummer), bleibt es damit – abgesehen vom eben zitierten Ausnahmefall, auf den der Bevollmächtigte der Antragstellerin verweist- beim Verweis auf § 8 Abs. 3 BauNVO.

bb) Die Abweichung ist voraussichtlich auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Befreiung nach dieser Bestimmung liegen vor. Der Gesetzgeber wollte in Ansehung der Tatsache‚ dass Anlagen für Asylbegehrende von der herrschenden Rechtsprechung als Anlagen für soziale Zwecke mit wohnähnlichem Charakter angesehen werden‚ die grundsätzlich im Gewerbegebiet unzulässig sind und für die auch eine Befreiung wegen des Widerspruchs zu den Grundzügen der Planung nicht erteilt werden konnte‚ in Ergänzung zu § 31 Abs. 2 BauGB einen befristeten Privilegierungstatbestand für derartige Unterkünfte in Gewerbegebieten schaffen‚ die im Einzelfall einer sozialen Einrichtung mit wohnähnlicher Nutzung gegenüber offen sind (s. Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrats über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen, BT-Drs. 18/2752). Der Gesetzgeber geht offensichtlich davon aus‚ dass nur unter diesen engen Voraussetzungen und unter Beachtung der Befristung der Regelung bis zum 31. Dezember 2019 die – in § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB im Gegensatz zu § 31 Abs. 2 BauGB nicht genannten – Grundzüge der Planung nicht berührt werden. § 246 Abs. 10 BauGB geht insofern als speziellere Norm der allgemeinen Befreiungsvorschrift nach § 31 Abs. 2 BauGB vor (BayVGH, B. v. 5.3.2015 – 1 ZB 14.2373BayVBl 2015, 413 – juris Rn. 6; VG München, B. v. 30.11.2015 – M 1 SN 15.4780 – juris Rn. 22). Für die Prüfung der Vereinbarkeit der Abweichung mit öffentlichen Belangen, wie sie von § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB gefordert wird, sind wie bei der allgemeinen Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB keine generellen Maßstäbe zu bilden. Denn es ist nicht generell zu beantworten, welche Umstände als öffentliche Belange einer Befreiung entgegenstehen. Der Schluss, eine Befreiung sei mit den öffentlichen (bodenrechtlichen) Belangen nicht vereinbar, liegt umso näher, je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht einer Planung eingreift. Eine Befreiung ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung nur durch Planung zu bewältigende Spannungen hineinträgt oder erhöht, so dass es bei unterstellter Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 BauGB nicht zugelassen werden dürfte. Es kommt also – auch für die hypothetische Prüfung am Maßstab des § 34 Abs. 1 BauGB – darauf an, ob durch das Bauvorhaben städtebauliche Spannungen hervorgerufen werden, die vorhandene bauliche Situation verschlechtert wird, das Bauvorhaben mithin “Unruhe stiftet”. Bei der Anwendung des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB ist – insoweit abweichend – zu berücksichtigen, dass die mögliche Unruhe, die durch die Genehmigung der wohnähnlichen Nutzung eines Gebäudes als Aufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft für Asylbegehrende, in ein Gewerbegebiet getragen wird, das aufgrund seines durch die Bestimmungen der Baunutzungsverordnung geprägten Gebietstypus wohnähnliche Nutzungsformen nicht verträgt, nicht relevant für die Frage der Vereinbarkeit der Befreiung mit den öffentlichen Belangen sein kann. Denn insoweit hat der Gesetzgeber für den Tatbestand des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB eine abschließende Regelung zugunsten der Möglichkeit, Befreiungen für solche Nutzungsformen zu erteilen, getroffen. Als öffentlicher Belang ist hingegen die Wahrung gesunder Wohnverhältnisse zu berücksichtigen. Eine Zulassung der in der Norm benannten Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende ist daher tatbestandlich unter anderem dann mangels Vereinbarkeit mit den öffentlichen Belangen ausgeschlossen, wenn die Bewohner voraussichtlich gesundheitsgefährdenden Immissionen ausgesetzt wären (vgl. VGH BW, B. v. 11. 3 2015 – 8 S 492/15 -, a. a. O., Rn. 15, juris Rn. 15; VG Schwerin, B. v. 19.1.2016 – 2 B 3825/15 SN- juris Rn. 18 ).

Nach diesen Vorgaben sind öffentliche Belange im Sinne des § 246 Abs. 10 BauGB aller Voraussicht nach nicht betroffen. Die von einer baulichen Anlage ausgehenden Störungen und Belästigungen sind nur insoweit auf ihre Nachbarverträglichkeit zu prüfen, als sie typischerweise bei der bestimmungsgemäßen Nutzung auftreten und von bodenrechtlicher Relevanz sind. Über das typischerweise zu erwartende Maß hinausgehende Ruhestörungen sind kein Gegenstand des bauplanungsrechtlicher Betrachtungen; verhaltensbedingten Störungen dieser Art ist vielmehr mit Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts oder des zivilen Nachbarrechts zu begegnen (BayVGH B. v. 21.8.2015 – 9 CE 15.1318– juris Rn. 19). Solche bodenrechtlichen Spannungen vermag die Kammer hier nicht zu erkennen. Bodenrechtliche Spannungen sind auch nicht vorgetragen. Zudem ist das dringende öffentliche Interesse an der Unterbringung der Flüchtlinge zu berücksichtigen. Den Nachbarn ist somit ein Mehr an Beeinträchtigungen grundsätzlich zuzumuten (VGH HessVGH, B. v. 18.9.2015 – 3 B 1518/15 – juris Rn. 18).

2. Auch auf eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme nach § 15 BauNVO kann die Antragstellerin sich nicht mit Erfolg berufen.

Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann er Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, U. v. 18.11.2004 – 4 C 2.04 – juris). Entscheidend ist letztlich, ob eine für den Rücksichtnahmebegünstigten unzumutbare Beeinträchtigung entsteht. Ob und inwieweit sich Belästigungen oder Störungen auswirken können, ist nach objektiven Maßstäben unter Berücksichtigung der bestimmungsgemäßen Nutzung der Anlage und der sich daraus ergebenden Erwartung von Auswirkungen zu beurteilen (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, Stand August 2015, Rn. 21 ff., 28 zu § 15).

Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin rügt, dass sie bzw. ihre Mieter mit erheblichen Einschränkungen rechnen müsse, um Lärmimmissionen, die auf das Bauvorhaben einwirken, zu reduzieren, geht diese Rüge fehl.

Es fehlt an einem substantiierten Vortrag, dass diese Lärmimmissionen eine derart große Belastung für die Bewohner der Asylunterkunft darstellen. Zu beachten ist, dass Gewerbegebiete nach § 8 Abs. 1 BauNVO ohnehin nur der Unterbringung von “nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben” dienen. Zudem müssen die vorhandenen gewerblichen Nutzungen auch die nach der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm vom 26. August 1998 (GMBI. S. 503) – TA Lärm – für ein Gewerbegebiet geltenden Immissionsrichtwerte von 65 dB(A) am Tag und 50 dB(A) in der Nacht einhalten (vgl. VG Schwerin B. v. 19.1.2016 – 2 B 3825/15 SN- juris Rn. 19). Zudem sind auch Betriebsleiterwohnungen nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO in diesem Bereich zugelassen. Für solche Betriebswohnungen besteht eine geminderte Schutzwürdigkeit im Gewerbegebiet. Emissionen auf dem für das Gebiet zulässigen Niveau müssten die Bewohner auch bei diesen grundsätzlich hinnehmen (vgl. Bönker in Bönker/Bischopink, Baunutzungsverordnung, 1. Auflage 2014, § 8 Rn. 111). Ein konkretes Abweichen von der TA Lärm wird derzeit nicht vorgetragen. Allenfalls wird auf die Nachtanlieferung von Waren hingewiesen, die aber ohnehin die Grenzwerte der TA einzuhalten hat.

Überwindet der Gesetzgeber mit der Befreiungsmöglichkeit des § 246 Abs. 10 BauGB die grundsätzliche Gebietsunverträglichkeit einer wohnähnlichen Nutzung im Gewerbegebiet, so ist aus dieser Regelung zudem auch die Absenkung eines immissionsbezogenen Schutzanspruchs der Nutzer solcher Einrichtungen abzuleiten (vgl. VG München, B. v. 30.11.2015 – M 1 SN 15.4780 – juris Rn. 29).

3. Eine Verletzung nachbarlicher Belange ist auch bauordnungsrechtlich nicht erkennbar, insbesondere soweit die Antragstellerin ein Übergreifen von Bränden auf ihre Grundstücke angesichts der beengten räumlichen Situation befürchtet, weil die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BayBO (Zugänge und Zufahrten) nicht vorliegen würden.

a) Soweit die Antragstellerin einen Verstoß gegen Art. 5 BayBO selbst rügt, kann sie nicht durchdringen, da diese Vorschrift nicht nachbarschützend ist (Famers, in: Molodovsky/Famers/Kraus, Bayerische Bauordnung, 111.AL, Art. 5 Rn. 15).

b) Soweit sie der Meinung ist, dass die von ihr zitierten Richtlinien des Bayerischen Staatsministeriums des Innern über Flächen für die Feuerwehr missachtet würden und dadurch eine Inanspruchnahme von Teilflächen ihres Grundstücks (Art. 14 1 GG) droht, kann sie ebenfalls nicht durchdringen.

Nach vorläufiger Beurteilung erscheint eine Verletzung der Grundstücksflächen der Antragstellerin nicht zwingend. Die Breite einer Feuerwehrzufahrt ist mit mindestens 3,50 m zu bemessen, in Ausnahmefällen 50 cm breiter. Auch wenn Kurven gefahren werden müssen, sind gegebenenfalls größere Breiten in Abhängigkeit vom Kurvenradius erforderlich (Famers, in: Molodovsky/Famers/Kraus, Bayerische Bauordnung, 111. AL, Art. 5 Rn. 45; Strohhäker, in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 121. EL September 2015, Art. 5 Rn. 15, Abb. 2). Die Messung über das Programm “Bayern Atlas plus” hat eine ungefähre Breite von 4,3 m an der engsten Stelle der Zufahrt ergeben, so dass eine ausreichende Breite im Rahmen summarischer Beurteilung für Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayBO gegeben sein dürfte. Auch erscheint die Kurve in das streitgegenständliche Grundstück beim Blick auf das Luftbild hinein an der Südseite ausreichend Platz zu lassen.

Das Grundstück erscheint nach Messung über das Programm “Bayern Atlas plus” insgesamt auch erreichbar.

Die Erschließung erfolgt über einen gewidmeten Eigentümerweg. Dieser Eigentümerweg wird durch eine beiliegende Skizze nachgewiesen. Ein Zugang zum Grundstück ist erkennbar. Der Weg ist laut Plan 6 m breit, soweit er am Grundstück … entlang führt. Am Ende des Weges verbeitert er sich jedoch, um – wie auch auf dem Luftbild erkennbar – einem Hindernis an der nordöstlichen Seite am Grundstück Flurnummer …, Gebäudenummer … auszuweichen. Er macht dabei einen Knick in östlicher Richtung. Dem folgend ist auf dem Luftbild eine Zufahrt in Richtung des Grundstücks … (nordwestliche Richtung) sichtbar.

Anhand des Luftbildes in Verbindung mit der amtlichen Karte ist eine Berührung dieses Weges mit dem Grundstück der Antragstellerin (Flurnummer …) nicht erkennbar. Die südwestliche Spitze dieses Grundstücks bildet nach den vorliegenden Unterlagen zugleich das östliche Ende der Zufahrt zum Grundstück …

Die Gefahr der Benutzung des Grundstücks der Antragstellerin und damit ihres Eigentums erscheint nach summarischer Prüfung somit ausgeschlossen.

Auch ein etwaiger Verstoß gegen die Zufahrtsvorschrift des Art. 4 BayBO kann die Antragstellerin nicht in ihren Rechten beeinträchtigen, da auch diese Norm keinen Drittschutz vermittelt (Molodovsky, in Molodovsky/Famers/Kraus, Bayerische Bauordnung, 111.AL, Art. 4 Rn. 9)

c) Soweit aufgrund eingeschränkter Erreichbarkeit des Grundstücks die Ausbreitung eines Brandes auf die benachbarten Gebäude drohe, kann die Antragstellerin ebenfalls nicht durchdringen. Zwar vermittelt die betreffende Vorschrift zum Brandschutz (Art. 12 BayBO) Drittschutz (Famers, in: Molodovsky/Famers/Kraus, Bayerische Bauordnung, 111.AL, Art. 12 Rn. 3).

Der erforderliche Gebäudeabstand ist aber voraussichtlich eingehalten. So geht das Gesetz davon aus, dass bei Einhaltung jeweils der Mindestabstandsflächentiefe von 3 m nach Art. 6 Abs. 5 und 6 BayBO im Normalfall das Schutzziel eingehalten ist. Der Gesamtabstand der Gebäude sollte somit 6 m grundsätzlich nicht unterscheiten (Famers, in: Molodovsky/Famers/Kraus, Bayerische Bauordnung, 111.AL, Art. 12 Rn. 43 f). Diese Werte werden vorliegend voraussichtlich eingehalten, so dass keine Ausbreitung des Brandes auf die Nachbargebäude droht.

So ergab eine Messung über das Programm “Bayern Atlas plus” zwischen dem äußersten Rand des streitgegenständlichen Gebäudes zum Rand des Gebäudes auf dem östlichen Nachbargrundstück Flurnummer … an den engsten Stellen einen Abstand von ca. 13,5 m.

In südlicher Richtung zum Nachbargrundstück Flurnummer … betrug der Abstand an der engsten Stelle zur nächsten Bebauung etwa 8,7 m.

Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin rügt, dass wirksame Löscharbeiten aufgrund einer wohl länger andauernden Anfahrt der Feuerwehr und längerer Rangierzeit behindert würden, bleibt auch diese Rüge voraussichtlich ohne Erfolg.

Zwar müssen nach Art. 12 BayBO bauliche Anlagen so angeordnet und beschaffen sein, dass wirksame Löscharbeiten möglich sind. Diese Forderung dient aber nicht dem von der Antragstellerin gerügten Sachschutz (Famers, in: Molodovsky/

Famers/Kraus, Bayerische Bauordnung, 111.AL, Art. 12 Rn. 55).

Im Bescheid ist unter der Nummer 3.7 zum Brandschutz als Auflage zudem geregelt, dass mit der Bauausführung erst begonnen werden darf, wenn die “Bescheinigung Brandschutz I” vorgelegt wird. Mit der Anzeige der Nutzungsaufnahme ist dann auch die “Bescheinigung Brandschutz II (ordnungsgemäße Bauausführung nach Art. 77 Abs. 2 BayBO i. V. m. § 19 PrüfVBau) sowie eine Fertigung des geprüften Brandschutznachweises vorzulegen. Der angegriffene Bescheid berücksichtigt somit, dass der Brandschutznachweis durch einen Prüfsachverständigen bescheinigt sein muss, Art. 62 Abs. 3 BayBO. Außerdem beurteilt die vorgelegte brandschutztechnische Stellungnahme der Antragstellerin die zur Verfügung stehenden Flächen für die Feuerwehr als “zumindest kritisch”. Aus dieser abgeschwächten Formulierung ist erkennbar, dass die Zufahrt der Feuerwehr zum Grundstück selbst vom Gutachter der Antragstellerin nicht für unmöglich gehalten wird.

4. Nach allem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Kosten des Beigeladenen waren hiervon wegen §§ 154 Abs. 3 Hs. 1, 162 Abs. 3 VwGO auszunehmen, da er mangels Antragstellung auch kein Risiko eigener Kostentragungspflicht übernommen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 162 Rn. 23).

Die Bemessung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (4)

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (4):

Verwaltungsgericht Karlsruhe: Rechtsschutzbegehren einer Gemeinde gegen eine von der Nachbargemeinde erteilte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines ehemaligen Hotels in eine Asylbewerberunterkunft

VG Karlsruhe 11. Kammer, Beschluss vom 24.08.2016, 11 K 772/16

Gründe

I.

Die Antragstellerin, eine Gemeinde, begehrt die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine dem Beigeladenen vom Antragsgegner erteilte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines ehemaligen Hotels in eine Asylbewerberunterkunft.

Das Baugrundstück (…) befindet sich südlich einer Fachklinik für Mutter/Vater und Kind im Ortsteil L. der Antragstellerin. Sowohl die Klinik als auch das im Abstand von ca. 265 m zum Klinikgebäude befindliche Bauvorhaben liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans der Antragstellerin „…“. Für das im nördlichen Teil des Bebauungsplans gelegene Klinikgelände weist dieser das Sondergebiet 1 aus, in dem nach dessen schriftlichen Festsetzungen zulässig sind: Kliniken, Sanatorien u.ä. einschließlich aller dazugehörenden Nebenanlagen, Personalwohnungen bzw. -häuser, Stallungen, Therapie-Reithalle einschließlich aller dazugehörenden Nebenanlagen und die erforderlichen Parkplätze bzw. Tiefgaragen. Das Baugrundstück liegt im Bereich des Sondergebiets 2, in dem nach den schriftlichen Festsetzungen des Bebauungsplans zulässig sind: Einrichtungen für den Fremdenverkehr wie Gästezimmer, Ferienwohnungen u.a. einschließlich aller dazu gehörenden Nebeneinrichtungen, Schank- und Speisewirtschaften; ausnahmsweise sollen zulässig sein: Wohngebäude, private Krankenanstalt, Kurklinik u.ä. einschließlich aller dazugehörenden Nebeneinrichtungen.

Unter dem 02.11.2015 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zur Nutzungsänderung des bisherigen Hotels in eine Unterkunft für mindestens 120 Asylbewerber und Flüchtlinge. Mit Beschluss des Ortschaftsrats des Ortsteils L. der Antragstellerin vom 17.11.2015 wurde das gemeindliche Einvernehmen versagt. Nachdem die Antragstellerin nochmals die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden war, teilten die Bürgermeisterin der Antragstellerin und der Ortsvorsteher mit gemeinsamem Schreiben vom 16.12.2015 dem Antragsgegner mit: Der Ortschaftsrat L. habe am 15.12.2015 erneut öffentlich getagt und das Einvernehmen zur Nutzungsänderung nicht erteilt. Zur Begründung führte sie aus: Durch die geplante Nutzungsänderung – die Unterbringung von Flüchtlingen – im ehemaligen … seien Grundzüge der Planung im Wesentlichen berührt. Der Bebauungsplan sehe eine Sondernutzung für Kur und Erholung vor, welche bislang auch tatsächlich vorhanden sei. Der Ortsteil L. sei ein Luftkurort und diene in seiner Ganzheit dem Gesundheitstourismus, dies zeigten die jährlich über 200.000 Übernachtungen. Die Auswirkungen einer Gemeinschaftsunterkunft mit über 100 Flüchtlingen auf den Luftkurort mit rund 1.200 Einwohnern erscheine beträchtlich, außerdem würde die Vermarktung der Gemeinde als Gesundheitstal bzw. Erholungsgebiet stark eingeschränkt. Auch die Berücksichtigung nachbarlicher Interessen spiele eine wichtige Rolle. In unmittelbarer Nähe zum Baugrundstück befinde sich eine Mutter-Kind-Klinik, deren Existenz durch die Nutzungsänderung bedroht werde. Aufgrund des schwierigen Klientels der Mutter-Kind-Klinik sei davon auszugehen, dass sich eine große Anzahl von Flüchtlingen in der Nachbarschaft sehr schnell auf die Belegung der Klinik auswirke. Ein Vermeiden des Aufeinandertreffens könne aufgrund der Lage der Grundstücke nicht gewährleistet werden, da der Fußweg vom Ort zur Klinik unmittelbar am Gebäude … entlang führe.

Nach Anhörung der Antragstellerin ließ das Regierungspräsidium Karlsruhe mit an den Antragsgegner gerichtetem Schreiben vom 01.02.2016 gem. § 246 Abs. 14 BauGB eine Abweichung von den Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans zur Nutzungsänderung des ehemaligen Hotels in eine Unterkunft für Flüchtlinge und Asylbewerber zu.

Mit Bescheid vom 03.02.2016 erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen die Baugenehmigung. In der Begründung ist ausgeführt:

Das Regierungspräsidium lasse gem. § 246 Abs. 14 BauGB die Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungsplans „…” zur Nutzungsänderung des ehemaligen Hotels … in eine Unterkunft für Flüchtlinge und Asylbewerber zu. Das ehemalige Hotel stehe seit ca. 5 Jahren leer, davor seien darin 51 Fremdenbetten und 2 Wohnungen mit insgesamt 56 Plätzen untergebracht gewesen. Das Landratsamt plane als untere Unterbringungsbehörde derzeit die Unterbringung von bis zu 120 Flüchtlingen, die sich dort während der Dauer ihres Asylverfahrens bis zu 2 Jahre aufhalten sollen. Dazu werde das Haus geringfügig umgebaut, so dass im Erdgeschoss und im 1. OG Gemeinschaftsräume, eine Gemeinschaftsküche und ein Wasch- und Trockenraum und in den darüber liegenden Geschossen die bisherigen Hotelzimmer als Mehrbettzimmer entstünden. Zwischen dem Landkreis … und dem Beigeladenen sei ein auf zehn Jahre befristeter Mietvertrag abgeschlossen worden, der allerdings hinfällig sei, sofern die baurechtliche Genehmigung der Nutzungsänderung durch die zuständige Baurechtsbehörde rechtskräftig abgelehnt werde.

Die Erteilung einer vorrangig zu erteilenden Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB scheitere im vorliegenden Fall daran, dass mit der Zulassung einer Flüchtlingsunterbringung im Sondergebiet 2 die Grundzüge der Planung berührt wären. Zudem habe die Gemeinde das nach § 36 Abs.1 BauGB erforderliche Einvernehmen wirksam versagt. An letzterem scheitere auch die Anwendung von § 246 Abs. 12 BauGB. Zudem ließe die Bestimmung des § 246 Abs. 12 BauGB nur eine auf längstens drei Jahre zu befristende Genehmigung zu. Dem Antrag auf Erteilung einer unbefristeten Baugenehmigung könnte daher im Wege dieses Befreiungstatbestandes nicht entsprochen werden.

Da anderweitige Befreiungsmöglichkeiten ausschieden, eröffne sich der Anwendungsbereich einer Abweichungsentscheidung nach § 246 Abs. 14 BauGB. Danach könne dann von Bestimmungen des Baugesetzbuchs oder von aufgrund dieses Gesetzbuchs erlassenen Vorschriften in erforderlichem Umfang abgewichen werden, wenn andernfalls dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden könnten. Zur Prüfung der Erforderlichkeit seien auch die betroffenen öffentlichen Belange unter Würdigung nachbarlicher Interessen zu berücksichtigen. Für die Abweichungsentscheidung gehe das Regierungspräsidium davon aus, dass die Schaffung der hier in Frage stehenden Unterbringungsplätze sachlich dringend geboten sei. Der Landkreis müsse monatlich zwischen 200 und 250 Flüchtlinge aufnehmen und unterbringen. Dafür stünden bisher 8 Sammelunterkünfte und 107 Wohnungen zur Verfügung, die Unterbringungsmöglichkeiten seien nach den glaubhaften Angaben des Landkreises bis Ende Januar erschöpft. Von den drei ab Januar angemieteten Unterkünften (in B., A. und W.) stehe nur der … zeitnah zur Verfügung, die übrigen Unterkünfte erst nach länger dauernden Umbauarbeiten. Im Hinblick auf die beispiellose Zahl von Asylbewerbern, die in den letzten Monaten nach Deutschland eingereist seien und mit großer Sicherheit auch in naher Zukunft einreisen würden, und den damit verbundenen Schwierigkeiten, für eine so große Zahl von Personen innerhalb kürzester Zeit Unterkunftsmöglichkeiten zu schaffen, bestehe ein dringendes öffentliches Interesse an der Schaffung weiterer Unterbringungskapazitäten.

Die von der Betreiberin der Klinik angebotenen Unterbringungsalternativen – die Umnutzung eines Personalwohnheims mit Unterbringungsmöglichkeit für rund 50 Flüchtlinge und ein Grundstück mit einer Kapazität für eine Containeranlage für 100 Personen – stellten, abgesehen davon, dass die Unterbringungskapazität des Personalwohnheims deutlich hinter den im … derzeit geplanten 120 Plätzen zurück bliebe, keinen angemessenen Ersatz für diese Unterbringungsmöglichkeit dar. Das Personalwohnheim könnte erst nach einem erforderlichen Umbau zur Verfügung stehen und somit nicht zur Bewältigung der aktuellen Notlage genutzt werden. Dies gelte auch für die von der Fachklinik angesprochene Containeranlage, zumal nach Auskunft des Landratsamtes derzeit kurzfristig keine Containeranlagen erhältlich seien. Im Übrigen dürfte die Qualität der Unterbringung in dem ehemaligen Hotel … deutlich höherwertiger sein als in einer behelfsmäßigen Containeranlage.

Das Regierungspräsidium gehe davon aus, dass die abweichende Zulassung einer Flüchtlingsunterbringung einen Eingriff in die Planungshoheit der Gemeinde darstelle. Es scheine aber vertretbar, in der gebotenen Abwägung, in welcher Intensität durch die Zulassung einer Flüchtlingsunterbringung in die planerische Hoheit der Gemeinde eingegriffen werde, die relativ hotelnahe Qualität der Flüchtlingsunterbringung bei der Schwere des Eingriffs zu berücksichtigen. In der gebotenen Gesamtschau komme diese Abweichungsentscheidung daher zu dem Ergebnis, dass insbesondere auch unter Berücksichtigung des nach wie vor extrem hohen Handlungsdrucks, dem die Unterbringungsbehörden auch in den kommenden Monaten ausgesetzt sein würden, den Eingriff in die planerische Hoheit als noch vertretbar zu bewerten.

Zur Prüfung der Erforderlichkeit des Vorhabens seien auch die nachbarlichen Interessen zu berücksichtigen. Durch die Genehmigung des Betriebs einer Flüchtlingsunterkunft werde die baurechtlich vorgegebene Nutzbarkeit des Grundstücks, auf dem sich die Fachklinik befinde, nicht beeinträchtigt. Wertminderungen als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung bildeten für sich genommen keinen Maßstab dafür, ob Beeinträchtigungen im Sinne des Rücksichtnahmegebots zumutbar seien, soweit diese nicht auf eine entsprechende Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks zurückgingen. Die Begegnung mit Flüchtlingen müsse aus nachbarlicher Sicht hingenommen werden. Ein nachbarrechtlicher Anspruch darauf, nicht mit Menschen aus anderen Kulturkreisen in Berührung zu kommen, bestehe nicht. Dem entspreche auch die rechtliche Annahme, dass § 15 Abs. 1 BauNVO, der das Gebot der Rücksichtnahme im Hinblick auf die Gebietsverträglichkeit einzelner Bauvorhaben konkretisiere, keinen städtebaulich relevanten Anspruch auf die Bewahrung des bisher im Umfeld der Fachklinik bestehenden sozialen Milieus und der nationalen Zusammensetzung der Bevölkerung gewähre.

Die Baugenehmigung wurde der Bürgermeisterin der Antragstellerin am 05.02.2016 zugestellt. Diese hat mit am 16.02.2016 beim Antragsgegner eingegangenem Schreiben Widerspruch gegen die Baugenehmigung erhoben.

Mit am 24.02.2016 bei Gericht eingegangenem Telefax hat die Antragstellerin die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt und zur Begründung ausgeführt: Die Baugenehmigung widerspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans. Sie sei unter Missachtung des grundgesetzlich geschützten Planungsvorbehalts der Gemeinde erteilt worden. In Ausübung seiner Planungshoheit habe der Gemeinderat für den Bereich des … ein Sondergebiet festgesetzt, in dem Anlagen für Asylbegehrende und Flüchtlinge als Anlagen für soziale Zwecke unzulässig seien. Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB sei nicht möglich, da die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht gegeben seien. Mit der Zulassung einer Flüchtlingsunterkunft würden die Grundzüge der Planung berührt. Auch die Voraussetzungen des neuen § 246 Abs. 14 BauGB lägen nicht vor. Es werde zu Unrecht davon ausgegangen, dass nur der … für die dringend benötigte Unterkunft von Flüchtlingen benutzt werden könne. Es bestehe bereits kein aktuelles Bedürfnis, dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde bereit zu stellen. Die Zahl der ankommenden „Neu-Flüchtlinge” habe sich in den vergangenen Monaten erheblich verringert. Die Antragstellerin sei derzeit im Besitz mehrerer leerstehender Gebäude. Durch kleinere bauliche Maßnahmen könnte die Umnutzung zu Notunterkünften für Flüchtlinge erfolgen. Erst wenn im gesamten Gebiet der jeweiligen Gemeinde insbesondere auch unter Nutzung der Genehmigungsmöglichkeiten nach den Absätzen 8 bis 13 des § 246 BauGB der dringende Unterbringungsbedarf für Flüchtlinge nicht gedeckt werden könne, dürfe von den weitreichenden Abweichungsmöglichkeiten nach Abs. 14 Gebrauch gemacht werden. Vorrang hätten alle möglichen Vorhaben zur Einrichtung von Unterkünften, die unmittelbar oder als Ausnahme mit dem Bebauungsplan vereinbar seien, für die es lediglich einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB bedürfe bzw. für die auf die Abweichungsmöglichkeiten nach den Absätzen 8 bis 13 des § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB zurückgegriffen werden könnte. Gerade weil die über die vorstehenden Möglichkeiten hinausgehende Abweichung nach Abs. 14 an die Stelle dessen treten können solle, was nach bisheriger Rechtslage allein durch eine Bebauungsplanänderung rechtmäßig zu gestalten gewesen wäre, seien nach der Gesetzeskonzeption bei Anwendung der Vorschrift sowohl der Eingriff in die Planungshoheit der Gemeinde als auch die betroffenen Belange und die rechtssichernde Bedeutung des Planungsverfahrens zu würdigen. Mit der Vorgehensweise der Antragsgegnerin werde rechtswidrig gegen die Planungshoheit der Gemeinde, die sich in der Bebauungsplanung „…“ niedergeschlagen habe, verstoßen. Die Prognose, es sei auch in der Zukunft eine hohe Zahl von Flüchtlingen zu erwarten und damit ein dringendes öffentliches Interesse an der Schaffung weiterer Unterbringungskapazitäten vorhanden, sei nicht zutreffend.

Im Übrigen sei auch das Ermessen, das die Vorschrift des § 246 Abs. 14 BauGB der Behörde einräume, rechtswidrig ausgeübt worden. Es hätte eine Abwägung der verschiedenen Interessen und damit eine Ermessenbetätigung stattfinden müssen. Zum einen sei – wie ausgeführt – von unzutreffenden tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen worden, zum anderen seien wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen worden, die berücksichtigt hätten werden müssen. Zu Unrecht sei davon ausgegangen worden, dass die geplante Flüchtlingsunterkunft die baurechtliche Situation des im Bebauungsplan „…” festgesetzten Gebiets nicht verändere. Das Gegenteil sei der Fall: Die Belegung der Gemeinschaftsunterkunft mit 120 Personen unterschiedlichster Zusammensetzung, insbesondere was die Herkunftsländer, die Abstammung und den Familienstand betreffe, würde eine Unruhe in das Gebiet bringen, das der Erholung und Rekonvaleszenz dienen solle. Daher seien bodenrechtliche Spannungen vorgegeben. Damit werde in die Planungshoheit der Gemeinde massiv eingegriffen, die mit der Bebauungsplanung „…” die Festsetzung besonders „störempfindlicher” Nutzungen zum Gegenstand gehabt habe. Einem Kurgebiet – wie es im Bebauungsplan „…” festgesetzt worden sei – solle eine besonders hohe Schutzbedürftigkeit zugemessen werden, anders als in anderen Baugebieten, in denen „gewohnt und/oder gearbeitet” werde. Die Abweichungsentscheidung habe sich damit nicht auseinandergesetzt, geschweige denn, diese planungsrechtlich von der Gemeinde getroffenen Festlegungen mit den Interessen an der Unterbringung von Flüchtlingen abgewogen. Diese Abwägungsentscheidung wäre aber notwendig gewesen, selbst dann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 246 Abs. 14 BauGB im vorliegenden Fall bejaht werden könnten. Das Interesse der Antragstellerin an der Beibehaltung ihres Kurgebiets sei unabhängig davon, ob der Bebauungsplan in ein „Sondergebiet 1″ und ein „Sondergebiet 2″ aufgeteilt worden sei, bei der Abweichungsentscheidung nicht berücksichtigt worden. Schon dadurch sei in unzulässiger Weise in die Planungshoheit der Gemeinde nach Artikel 28 Abs. 2 GG eingegriffen worden.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Antragsgegners vom 03.02.2016 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er verweist zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid und trägt ergänzend vor: Da die Antragstellerin ihr für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB notwendiges Einvernehmen nach § 36 BauGB versagt habe, habe die Nutzungsänderungsgenehmigung erst nach der Entscheidung des Regierungspräsidiums vom 01.02.2016 erteilt werden können, mit der eine Abweichung nach § 246 Abs. 14 BauGB zugelassen worden sei. Die Abweichung sei zu erteilen gewesen, da das dringende öffentliche Interesse an der Schaffung weiterer Unterbringungskapazitäten das Interesse der Gemeinde an der Einhaltung des Bebauungsplans zulässigerweise einschränke. Die Unterbringungsbehörde sei auf die Nutzung des … angewiesen, da andere Unterbringungsmöglichkeiten nicht in angemessener Zeit und in angemessenem Umfang zur Verfügung gestanden hätten. Mit dieser Entscheidung werde zwar die Planungshoheit der Gemeinde tangiert. Dies sei jedoch im höherrangigen Interesse gerechtfertigt, da die Aufnahmebehörde angesichts des derzeit herrschenden Flüchtlingsdrucks auf jede Unterkunft angewiesen sei, um eine Obdachlosigkeit der Asylsuchenden abzuwenden oder eine Massenunterbringung in Hallen zu vermeiden. Auch die von der Gemeinde und der Fachklinik vorgeschlagenen Objekte seien geprüft, jedoch vorläufig zurückgestellt worden, da die Infrastruktur und die Anzahl der Unterbringungsplätze im … den Anforderungen der Aufnahmebehörde am ehesten entsprochen hätten und unmittelbar verfügbar gewesen seien. Nach der Gesetzesbegründung zum § 246 Abs. 14 BauGB seien angesichts der Dringlichkeit der Unterbringung die Anforderungen an diese Alternativsuchen ohnehin nicht zu streng zu sehen. Eine sich aus der örtlichen Situation ergebende Plausibilität der Erforderlichkeit des Vorhabens sei ausreichend (BT-Drucksache 18/6185). Im Übrigen seien die Argumente der Gemeinde gegen die Unterbringung nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung in Frage zu stellen. Soweit die Gemeinde vortrage, dass sich die Unterkunft negativ auf die wirtschaftliche Situation der Fachklinik auswirke, handele es sich nicht um städtebauliche Gründe, die von der Gemeinde im Rahmen ihrer Beteiligungsrechte geltend gemacht werden könnten, sondern um rein private Belange. Es sei auch nicht erkennbar, inwieweit die Unterbringung von Flüchtlingen in einem ehemaligen Hotel den Zielsetzungen der Gemeinde als Fremdenverkehrsgemeinde mit „Gesundheitstourismus” widerspreche. Bei der Abwägung zwischen gemeindlichen Belangen und dem öffentlichen Interesse an der angemessenen Unterbringung von Flüchtlingen könnten allerdings grundsätzlich nur städtebaulich relevante Nachteile berücksichtigt werden. Solche seien jedoch nicht ersichtlich. Zwar bestehe in dem den Asylbewerbern überlassenen Hotel eine höhere Belegungsdichte, die Nutzung des Gebäudes durch nur vorübergehend dort wohnende Personen ähnele jedoch der einer klassischen Hotelbelegung, zu der auch ausländische Gäste gehören könnten; diese würden nicht zwangsläufig für die Gemeinde unzumutbare Beeinträchtigungen hervorrufen. Die vom Landratsamt vorgesehene Unterbringung überwiegend von Familien führe zusätzlich zu einer Angleichung von „normaler Hotelnutzung” und Flüchtlingsunterbringung, da nach den Festsetzungen des Bebauungsplans auch Ferienheime oder Familienpensionen zulässig wären, die eine ähnliche Gästestruktur aufweisen könnten wie die geplante Unterkunft.

Der Beigeladene beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung trägt er vor: Der Antrag sei bereits unzulässig. Die Abweichungsentscheidung habe insbesondere bezüglich der betroffenen Gemeinde unmittelbare Außenwirkung und sei somit ein Verwaltungsakt. Die Antragstellerin habe gegen die Abweichungsentscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 01.02.2016 keinen Rechtsbehelf eingelegt; ihr fehle es daher an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Zudem greife die Antragstellerin eine Baugenehmigung an, die vom Gemeindeverwaltungsverband erlassen worden sei, bei dem sie selbst Mitglied sei. Die Antragstellerin könne nicht einerseits Rechte und Pflichten auf den Gemeindeverwaltungsverband übertragen und dann, wenn der Gemeindeverwaltungsverband davon Gebrauch mache, diese Rechte und Pflichten doch selbst und in eigenem Namen (gegen den Gemeindeverwaltungsverband) geltend machen. Im Übrigen sei der Antrag auch unbegründet. Soweit die Antragstellerin vortrage, dass das Subsidiaritätsverhältnis des § 246 Abs. 14 BauGB bzw. die Voraussetzung der Erforderlichkeit nicht beachtet worden sei, da kein aktuelles Bedürfnis bestehe, dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde bereitzustellen, werde auf die Ausführungen in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23.06.2016 verwiesen. Darin werde ausgeführt, dass Änderungen der Sachlage nach Erteilung der Baugenehmigung zu Lasten des Beigeladenen nicht zu berücksichtigen sein dürften. Soweit die Antragstellerin vortrage, sie sei derzeit im Besitz mehrerer leerstehender Gebäude, die durch kleinere bauliche Maßnahmen zu Notunterkünften für Flüchtlinge umgenutzt werden könnten, habe diese demgegenüber noch mit E-Mail vom 19.11.2015 dem Antragsgegner mitgeteilt, dass weitere Unterkunftsmöglichkeiten weder zur Verfügung stünden noch kurzfristig bereitgestellt werden könnten. Der Verwaltungsgerichtshof führe darüber hinaus aus, dass sich die streitigen Fragen des Unterkunftsbedarfs und des Vorhandenseins alternativer Unterkunftsmöglichkeiten nicht ohne weitere Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht beantworten ließen. Ließe sich ein Fehler der Abweichungsentscheidung im summarischen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mit hinreichender Verlässlichkeit feststellen, so seien die Erfolgsaussichten des Widerspruchs gegen die Baugenehmigung offen. Dann müsse sich aber im Rahmen der Interessenabwägung nach § 80 a Abs. 3 Satz 2 und § 80 Abs. 5 VwGO das öffentliche Vollzugsinteresse durchsetzen.

Die Betreiberin der dem Vorhaben angrenzenden Fachklinik hatte ebenfalls Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Die Kammer ordnete mit Beschluss vom 11.03.2016 – 11 K 494/16 – die aufschiebende Wirkung deren Widerspruchs gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung an. Auf die Beschwerden des Antragsgegners und des Beigeladenen änderte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 23.06.2016 – 5 S 634/16 – diesen Beschluss ab und lehnte den Antrag der Fachklinik ab.

Der Kammer liegen vor: Die einschlägige Bauakte, die Bebauungsplanakten „…“, „… – 1. Änderung“ und „…- 2. Änderung“, die Akte des Regierungspräsidiums Karlsruhe betreffend die Abweichungsentscheidung sowie die Verfahrensakte 11 K 494/16.

II.

1. Offen bleiben kann, ob – wofür allerdings einiges spricht – der Antrag zulässig ist.

Nicht entgegenstehen dürfte der Umstand, dass die Antragstellerin bislang keinen Rechtsbehelf gegen die vom Regierungspräsidium Karlsruhe unter dem 01.02.2016 erlassene Abweichungsentscheidung eingelegt hat. Die Abweichungsentscheidung wurde an den Antragsgegner adressiert und – wie aus den dem Gericht vorliegenden Akten hervorgeht – diesem auch lediglich formlos übersandt. Eine Rechtsmittelbelehrung war ihr nicht beigefügt. Sollte der von der höheren Verwaltungsbehörde nach § 246 Abs. 14 Satz 2 BauGB getroffenen Abweichungsentscheidung – wie bei der Entscheidung nach § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 BauGB – gegenüber der Gemeinde, auf deren Gebiet das Vorhaben verwirklicht werden soll, die Wirkung eines Verwaltungsakts zukommen (vgl. zu § 37 BauGB bejahend: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krauzberger, Baugesetzbuch, Stand: Mai 2016, § 37 RN 27), hätten mangels Rechtsmittelbelehrung und Zustellung an die Antragstellerin Rechtsmittelfristen noch nicht zu laufen begonnen, sodass diese derzeit noch in zulässiger Weise Rechtsmittel einlegen könnte. Die Antragstellerin hat auch nicht zu erkennen gegeben, dass sie die Abweichungsentscheidung nicht anfechten würde. Vielmehr ist die Abweichungsentscheidung vom Antragsgegner zum Bestandteil der angefochtenen Baugenehmigung (s. Seite 2 der Baugenehmigung) gemacht worden, gegen welche die Antragstellerin Widerspruch eingelegt hat.

Es dürfte auch nicht an der Antragsbefugnis der Antragstellerin (§ 42 Abs. 2 VwGO) fehlen. Diese hat substantiiert geltend gemacht, durch die auf der Abweichungsentscheidung beruhende Baugenehmigung des Antragsgegners vom 03.02.2016 in ihren Rechten verletzt zu sein. Subjektive Rechte werden der Antragstellerin durch die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vermittelt. Ausfluss dieser Selbstverwaltungsgarantie ist die Planungshoheit, welche das Recht der Kommune umfasst, die Bodennutzung auf ihrem Gebiet zu planen und zu regeln (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.04.1986 – 4 C 51.83 – BVerwGE 74, 124, 132). Die angefochtene Entscheidung des Antragsgegners greift in die Planungshoheit der Antragstellerin ein, denn sie entzieht einen Teil ihres Gemeindegebiets einer durchsetzbaren Planung. Weiterhin überwindet sie deren einfachgesetzliches Beteiligungsrecht aus § 36 Abs. 1 Satz 2 BauGB. Auch der Einwand des Antragsgegners dürfte nicht durchschlagen, die Antragstellerin sei wegen ihrer Mitgliedschaft im Gemeindeverwaltungsverband an der Geltendmachung ihrer Rechte gehindert. Die Antragstellerin, die selbst vor dem Zusammenschluss keine untere Baurechtsbehörde war, ist auch nach dem Zusammenschluss Trägerin der Planungshoheit geblieben. Der Gemeindeverwaltungsverband nimmt für diese lediglich die vorbereitende Bauleitplanung wahr (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 der Neufassung der Verbandssatzung des Antragsgegners vom 09.10.2010).

2. Einer abschließenden Klärung bedürfen diese Fragen nicht, da der Antrag jedenfalls in der Sache keinen Erfolg hat.

Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Interessenabwägung des Gerichts ergibt, dass das Interesse der Antragstellerin, vorläufig vom Vollzug der angefochtenen Baugenehmigung verschont zu bleiben, hinter das öffentliche Interesse an der Umsetzung der Nutzungsänderung des ehemaligen Hotels in eine Asylbewerberunterkunft zurücktreten muss. Im Rahmen der zu treffenden Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in der Hauptsache eine maßgebliche Bedeutung zu. Ergibt die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die angefochtene Entscheidung offensichtlich rechtswidrig ist, so kann ein überwiegendes Vollziehungsinteresse, das eine sofortige Vollziehung rechtfertigt, an einer solchen offensichtlich rechtswidrigen Verfügung nicht bestehen. Ergibt sich hingegen, dass die angefochtene Verfügung offenkundig rechtmäßig ist, so überwiegt das Vollziehungsinteresse das grundsätzlich nach § 80 Abs. 1 VwGO bestehende Aussetzungsinteresse der Antragstellerin nur dann, wenn darüber hinaus noch ein besonderes Interesse an der Vollziehung des Bescheids besteht. Erweisen sich die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in der Hauptsache hingegen als offen, so hat eine Abwägung unter Berücksichtigung der gegenseitig bestehenden Belange zu erfolgen. Dabei ist dem Aussetzungsinteresse umso mehr Gewicht beizumessen, je schwerwiegender die dem Betroffenen auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung unabänderliches bewirkt (BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 – 2 BvR 304/07 – NVwZ 2007, 946). Im Übrigen kann die Interessenabwägung je nach Konstellation und Bedeutung der widerstreitenden Interessen zugunsten eines der Beteiligten ausgehen (BVerfG, Beschl. v. 29.05.2007 – 2 BvR 695/07 – NVwZ 2007, 1176). Nach diesen Grundsätzen überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse an der Nutzungsänderung des geplanten Vorhabens das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.

Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 LBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem genehmigungspflichtigen Vorhaben keine von der Baurechtsbehörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen.

a. Das Vorhaben verstößt gegen die Vorschriften des Bebauungsplans „… – 2. Änderung“ der Antragstellerin. Für den Bereich, in dem das Vorhaben liegt, wurde die Festsetzung des Sondergebiets 2 getroffen. Bei der geplanten Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber und Flüchtlinge handelt es sich nicht um eine nach diesem Bebauungsplan zulässige Einrichtung für den Fremdenverkehr. Das Vorhaben fällt auch nicht unter diejenigen Nutzungsarten, die nach den schriftlichen Festsetzungen des Bebauungsplans im Wege der Ausnahme gem. § 31 Abs. 1 BauGB zugelassen werden können, insbesondere soll es nicht als Wohngebäude genutzt werden. Vielmehr handelt es sich nach dessen Zuschnitt – und wovon auch die Beteiligten ausgehen – um eine soziale Einrichtung. Insoweit kann auf die Ausführungen in dem den Beteiligten bekannten Beschluss der Kammer vom 11.03.2016 – 11 K 494/16 – verwiesen werden. Die Erteilung einer Befreiung gem. § 31 Abs. 2 BauGB kommt – wovon auch die Antragstellerin und der Antragsgegner ausgehen – nicht in Betracht, da mit der Zulassung einer sozialen Einrichtung in dem als Sondergebiet für Einrichtungen des Fremdenverkehrs (Beherbergungsbetriebe) ausgewiesenen Gebiet Grundzüge der Planung berührt würden. Dies gilt namentlich deswegen, weil aufgrund der geringen Größe des Sondergebiets 2 eine bauliche Nutzung entsprechend den Festsetzungen im Bebauungsplan faktisch ausgeschlossen wäre. Eine Befreiung gem. § 246 Abs. 12 BauGB scheidet bereits deswegen aus, weil diese lediglich auf längstens drei Jahre erteilt werden kann und der Beigeladene eine unbefristete Baugenehmigung erstrebt.

b. Zwar kann nach § 246 Abs. 14 BauGB bei Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder sonstigen Unterkünften für Flüchtlinge oder Asylbegehrende bis zum 31.12.2019 von Bestimmungen des Baugesetzbuchs oder von aufgrund dieses Gesetzbuchs erlassenen Vorschriften in erforderlichem Umfang abgewichen werden, wenn andernfalls dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können. Zuständig ist die höhere Verwaltungsbehörde (§ 246 Abs. 14 Satz 2 BauGB).

Nach Auffassung der Kammer ist indes derzeit offen, ob die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung auf Grundlage der vom Regierungspräsidium unter dem 01.02.2016 ergangenen Abweichungsentscheidung erteilt werden durfte. Denn es ist nicht hinreichend geklärt, ob die Voraussetzungen für eine Abweichungsentscheidung nach § 246 Abs. 14 BauGB vorliegen.

Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine § 37 BauGB nachgebildete Sonderregelung. Bis zum 31.12.2019 ist sie gegenüber § 37 BauGB vorrangig, soweit es um dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten für Flüchtlinge geht (Battis/Mitschang/Reidt: Das Flüchtlingsunterbringungs-Maßnahmengesetz 2015, NVwZ 2015, 1633). In Anknüpfung an § 37 BauGB, der nach bisheriger Rechtslage auf Aufnahmeeinrichtungen der Länder Anwendung finden kann, regelt § 246 Abs. 14 BauGB, dass für Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftseinrichtungen oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende bis zum 31.12.2019 von den Vorschriften des BauGB oder den aufgrund des BauGB erlassenen Vorschriften in erforderlichem Umfang abgewichen werden kann. Dies gilt auch, wenn die Einrichtung von einem Dritten (z. B. von Landkreisen oder Privaten) betrieben wird; etwaige in dieser Hinsicht bei § 37 BauGB zu beachtende Beschränkungen gelten bei Anwendung des Absatzes 14 nicht. Zuständig ist wie bei § 37 BauGB die höhere Verwaltungsbehörde. Die Ausgestaltung des Verfahrens obliegt den Ländern. Diese sehr weitgehende Abweichungsbefugnis soll an die Voraussetzung gebunden sein, dass auch bei Anwendung von § 246 Absatz 8 bis 13 BauGB dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können. Die Abweichungsbefugnis gilt inhaltlich nicht unbegrenzt, sondern nur im erforderlichen Umfang; eine besondere Ortsgebundenheit ist insoweit jedoch regelmäßig nicht erforderlich. An beide Vorgaben sollen schon angesichts der Dringlichkeit der Unterbringung keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden. Eine sich aus der örtlichen Situation ergebende Plausibilität der Erforderlichkeit des Vorhabens ist zur Vermeidung eines ausufernden Gebrauchs dieser Abweichungsbefugnis ausreichend, aus Gründen des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Hinblick auf den Eingriff in Artikel 28 Abs. 2 GG aber auch erforderlich. Vergleichbar zu § 37 BauGB werden zur Prüfung der Erforderlichkeit die widerstreitenden öffentlichen Belange, auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen, zu gewichten sein (vgl. BT-Drs. 18/6185, S. 55 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 14.02.1991 – 4 C 20.88 -).

Diese Erforderlichkeitsprüfung hat von ihrer Konstruktion zwar Ähnlichkeit mit derjenigen in § 37 Abs. 1 BauGB. Allerdings ergibt sich hierzu wohl in zweifacher Hinsicht eine Abweichung.

aa) Während es in § 37 Abs. 1 BauGB heißt: „Macht die besondere öffentliche Zweckbestimmung für bauliche Anlagen … erforderlich, von den Vorschriften dieses Gesetzbuchs oder den auf Grund dieses Gesetzbuchs erlassenen Vorschriften abzuweichen …, entscheidet die höhere Verwaltungsbehörde“, hat § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB einen anderen Wortlaut. Im Unterschied zu § 37 Abs. 1 BauGB lautet dieser: „Soweit auch bei Anwendung der Absätze 8 bis 13 dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde … nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können, kann bei Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften … von den Vorschriften dieses Gesetzbuchs oder den auf Grund dieses Gesetzbuchs erlassenen Vorschriften in erforderlichem Umfang abgewichen werden.“ Die Formulierung „kann“ spricht dafür, dass diese Vorschrift der höheren Verwaltungsbehörde ein Ermessen bei der zu treffenden Entscheidung einräumt (a.A. ohne Begründung: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 13. Aufl. 2016, § 246, RN 49 und Battis/Mitschang/Reidt: Das Flüchtlingsunterbringungs-Maßnahmengesetz 2015, NVwZ 2015, 1633). Dafür, dass mit der Verwendung des Wortes „kann“ nicht ein „echtes“ Ermessen, sondern lediglich die Zuweisung einer Befugnis für eine Abweichungsentscheidung gemeint ist, bestehen keine Anhaltspunkte. Dies gilt namentlich deswegen, weil der Gesetzgeber bei § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB einen anderen Wortlaut als bei § 37 Abs. 1 BauGB gewählt hat.

bb) Ein weiterer Unterschied zu der Regelung in § 37 Abs. 1 BauGB besteht darin, dass bei der Abweichungsentscheidung nach § 246 Abs. 14 BauGB aufgrund des Wortlauts: „Soweit … dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten … nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können“ wohl ein strengerer Maßstab an die Erforderlichkeitsprüfung anzusetzen ist. Denn diese Formulierung spricht dafür, dass – selbst wenn ansonsten die Erforderlichkeit der Unterkunftsmöglichkeit zu bejahen wäre – zu prüfen ist, ob die zur Genehmigung gestellte Kapazität der geplanten Unterkunft die nach der Abweichungsvorschrift zulässige „Bedarfsdeckung“ überschreitet.

cc. Nach Maßgabe dessen dürfte daher auf Tatbestandsseite zu prüfen sein, ob der von der Genehmigung erfasste Umfang der Nutzungsänderung des ehemaligen Hotels (mit einer Kapazität für 56 Gäste) in eine Gemeinschaftsunterkunft für bis zu 120 Flüchtlinge die nach der Abweichungsvorschrift zulässige „Bedarfsdeckung“ überschreitet. Änderungen der Sachlage nach Erteilung der Baugenehmigung zu Lasten des Beigeladenen dürften hierbei nicht zu berücksichtigen sein (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.06.2016 – 5 S 634/16 – juris), sodass es auf die von der Antragstellerin geltende gemachte nachträgliche Entwicklung der Flüchtlingszahlen und deren Auswirkungen auf den Unterkunftsbedarf oder die derzeitige Absicht des Landratsamts, den … mit bereits anderweitig im Gemeindegebiet untergebrachten Flüchtlingen zu belegen, nicht ankommt. Hinsichtlich des Vorhandenseins alternativer Unterkunftsmöglichkeiten hatte die Betreiberin der dem Vorhaben angrenzenden Fachklinik dargelegt, dass sie bereit sei, in der Gemeinde Objekte zur Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen und diese auch rechtzeitig, nämlich bereits mit E-Mail vom 28.10.2015, dem Landrat angeboten habe. Hierbei handele es sich um zwei Häuser mit einer Wohnfläche von 390 m² und 200 m². Zusätzlich habe sie das Angebot unterbreitet, auf einem der dortigen Hausgrundstücke auch Flächen zum Aufstellen von Wohncontainern zur Verfügung zu stellen. Vom Antragsgegner wurde bestritten, dass diese Objekte die beabsichtigte Kapazität für 120 Personen abdeckten.

Nach derzeitigem Kenntnisstand lassen sich die zwischen den Beteiligten streitigen Fragen des Unterkunftsbedarfs und des Vorhandenseins alternativer Unterkunftsmöglichkeiten nicht ohne weitere Aufklärung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beantworten. Damit lässt sich aber nicht hinreichend verlässlich beurteilen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Abweichungsentscheidung erfüllt sind, nämlich dass auch bei Anwendung von § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.06.2016 – 5 S 634/16 – juris).

c. Einhergehend damit ist derzeit auch offen, ob – sollte bei der nach § 246 Abs. 14 BauGB zu treffenden Abweichungsentscheidung ein Ermessen eingeräumt sein (s.o. Nr. 2.b.aa.) – ein Ermessensfehler vorliegt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin lässt sich – unabhängig von den hier streitigen Fragen des Unterkunftsbedarfs und alternativer Unterkunftsmöglichkeiten – ein Ermessensfehler aber jedenfalls nicht aus ihrer Überlegung herleiten, die Belegung der Gemeinschaftsunterkunft mit 120 Personen unterschiedlichster Zusammensetzung bringe Unruhe in das von ihr festgesetzte Kurgebiet. Hierzu hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in dem Beschluss vom 23.06.2016 – a.a.O. – ausgeführt, dass die Zusammensetzung der Belegung der Gemeinschaftsunterkunft städtebaulich nicht relevant sei. Ausgangspunkt für die Bestimmung der Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit sei die baurechtlich zulässige Nutzung des Klinikgrundstücks. Mit einer solchen Nutzung sei typischerweise ein erhöhtes Ruhebedürfnis verbunden, nicht aber die Freihaltung der näheren Umgebung von anderen Menschen oder Menschengruppen. Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an.

d. Lässt sich nach allem ein Fehler der Abweichungsentscheidung im summarischen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mit hinreichender Verlässlichkeit feststellen, sind die Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Baugenehmigung als offen zu beurteilen. Dann aber vertritt der Antragsgegner zu Recht die Auffassung, dass sich im Rahmen der Interessenabwägung das öffentliche Vollzugsinteresse durchsetzen muss. Denn insoweit ist nicht nur die Wertung des Gesetzgebers in § 212a BauGB zu berücksichtigen, sondern auch seine der Regelung des § 246 Abs. 14 BauGB deutlich zu entnehmende Absicht, die Schaffung von Flüchtlingsunterkünften zu erleichtern (s. im Übrigen auch die in der Baugenehmigung angeführten Regelungen in § 1 Abs. 6 Nr. 13 und § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.06.2016 – 5 S 634/16 – RN 26, juris). Demgegenüber wiegt das Suspensivinteresse der Antragstellerin weniger schwer. Es ist nicht ersichtlich, dass für die Antragstellerin während der Dauer des Hauptsacheverfahrens durch den Vollzug der Baugenehmigung unabänderbare Folgen entstünden. Streitgegenständlich ist hier nicht ein Neubau oder eine Änderung in der Kubatur der vorhandenen Bausubstanz, sondern eine Nutzungsänderung. Diese kann auch nach einem etwaigem Ausgang des Hauptsacheverfahrens zugunsten der Antragstellerin wieder rückgängig gemacht werden.

e. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und in Anlehnung an Nr. 9.10 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nach dem Streitwertkatalog wird das Interesse einer Gemeinde an der Aufhebung der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens mit 15.000 € bewertet. Das bei der Festsetzung des Streitwerts zu bewertende Interesse der Gemeinde an der Anfechtung einer auf einer Abweichungsentscheidung nach § 246 Abs. 14 BauGB beruhenden Baugenehmigung kommt diesem Interesse gleich.

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (3)

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (3):

VG Ansbach: Nachbarklage gegen erteilte Baugenehmigung für Asylbewerberunterkunft in Gewerbegebiet

VG Ansbach, Urteil vom 03.05.2017, Az. AN 9 K 16.00105

Tatbestand


Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines Bürogebäudes in eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber.

Die Beigeladene ist Eigentümerin des nördlich der … in … gelegenen Vorhabengrundstücks FlNr. …(…) und des sich nördlich daran anschließenden Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … Auf der südlichen Hälfte des Vorhabengrundstücks FlNr. … befindet sich ein 5-geschossiges Bürogebäude; an dieses schließt sich auf der nördlichen Grundstückshälfte eine Lagerhalle an, die sich auch nahezu über das gesamte Grundstück FlNr. … erstreckt.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung …, …in …, welches nordöstlich des Anwesens der Beigeladenen liegt und mit seiner südwestlichen Ecke an deren Grundstück FlNr. … angrenzt. Das klägerische Grundstück, welches mit einem fast die gesamte südliche Grundstückshälfte einnehmenden Gewerbegebäude bebaut ist, wird von der Firma A. … GmbH zur Herstellung und zum Vertrieb chemischer Stoffe genutzt (nachfolgend: Firma A. …). Die Firma A. … betreibt auf den Anwesen … immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen. Im dazugehörigen Rohstoff- und Produktlager befinden sich auch Stoffe, die im Sinne der 12. BImSchV (sog. Störfallverordnung) grundsätzlich als gefährliche Stoffe eingestuft sind. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2016 zeigte die Firma A. … gegenüber dem Umweltamt der Beklagten an, dass sie im Verlauf des Jahres 2016 die Mengenschwellen der Seveso-III-Richtlinie (gemeint ist die Richtlinie 2012/18/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates; im Folgende weiterhin als Seveso-III-Richtlinie bezeichnet) überschreiten werde und folglich als Störfallbetrieb einzustufen sei.

Beide Grundstücke der Beigeladenen wie auch das der Klägerin liegen im räumlichen Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. … der Beklagten vom 2. Juli 1971, der für diesen Bereich als Art der baulichen Nutzung ein Gewerbegebiet gemäß § 8 BauNVO (1968) vorsieht. Im Bebauungsplan selbst sind keine Nutzungsausschlüsse festgesetzt. Südlich der an das Anwesen der Beigeladenen angrenzenden … befindet sich Wohnbebauung; im Bebauungsplan ist dort ein allgemeines Wohngebiet (WA) festgesetzt.

Am 22. Oktober 2015 beantragte die Beigeladene die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung des auf dem Grundstück FlNr. … gelegenen Bürogebäudes zu einer Asylbewerberunterkunft und Errichtung einer Außentreppe. Im Erdgeschoss waren hauptsächlich Sozialräume geplant. Die Bewohnerzimmer sollten sich überwiegend in den vier Obergeschossen befinden. Das Dachgeschoss sollte als Terrasse zu Aufenthaltszwecken genutzt werden. Die sich an das Bürogebäude im Norden anschließende Lagerhalle war nicht Gegenstand des Bauantrags. Mit planungsrechtlicher Stellungnahme vom 16. November 2015 erteilte das Stadtplanungsamt … für die Beklagte das gemeindliche Einvernehmen und führte aus, dass die Ausnahme für die im Baugebiet nur ausnahmsweise zulässige Anlage für soziale Zwecke erteilt werden könne. Eine spätere Nutzungsänderung zu (allgemeinem) Wohnraum sei hingegen nicht möglich, da dadurch die Grundzüge der Planung berührt würden.

Mit Bescheid vom 18. Dezember 2015 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die bauaufsichtliche Genehmigung zur „Nutzungsänderung von Bürogebäude zu Gemeinschaftsunterkunft für Leistungsberechtigte nach Asylbewerberleistungsgesetz mit 144 Betten und Errichtung einer Außentreppe“ unter Gewährung einer Ausnahme gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO für die Errichtung einer Anlage für soziale Zwecke in einem Gewerbegebiet und einer Befreiung gemäß § 246 Abs. 10 BauGB für die Unterbringung einer wohnähnlichen Nutzung in einem Gewerbegebiet. Weiter wurde eine Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 von Art. 6 Abs. 5 bzw. 6 BayBO wegen Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsflächen nach Norden zwischen gegenüberliegenden Gebäudeteilen auf dem Baugrundstück zugelassen. Der Klägerin, die als Eigentümerin eines Nachbaranwesens dem Bauvorhaben nicht zugestimmt hatte, wurde am 29. Dezember 2015 eine Ausfertigung der Baugenehmigung zugestellt.

Mit am 18. Januar 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben. Zur Begründung lässt die Klägerin u.a. mit Schriftsätzen vom 13. Juni 2016 und 16. September 2016 im Wesentlichen vortragen, die streitgegenständliche Baugenehmigung sei rechtswidrig und verstoße gegen auch dem Nachbarschutz dienende Vorschriften. Die Klägerin werde durch sie in ihrem Eigentum, insbesondere in ihrem Anspruch auf Gebietserhaltung und in ihren Entwicklungsmöglichkeiten verletzt. Es lägen bereits die Voraussetzungen für die seitens der Beklagten gewährte Ausnahme i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO bzw. erteilte Befreiung gemäß § 246 Abs. 10 BauGB nicht vor. In Bezug auf § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO sei bereits fraglich, ob es sich bei einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber überhaupt um eine Anlage für soziale Zwecke handele. Selbst wenn man dies bejahen wolle, wäre eine solche Unterkunft aufgrund ihres wohnähnlichen Charakters in einem Gewerbegebiet gebietsunverträglich und daher nicht zulassungsfähig. Eine Befreiung nach § 246 Abs. 10 BauGB komme nicht in Betracht, da davon auszugehen sei, dass der Bebauungsplan für das Gewerbegebiet Anlagen für soziale Zwecke ausschließe. Überdies sei eine Befreiung auch nicht unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar. Das Grundstück der Klägerin werde gewerblich genutzt. Es würden dort u.a. chemische Stoffe hergestellt, welche teilweise hochexplosiv seien. Durch die Nutzung des in Rede stehenden Gebäudes als Asylbewerberunterkunft mit 144 Betten und damit 144 Personen trete eine erhöhte Gefährdungssituation ein. Einerseits seien so wesentlich mehr Personen einem vom klägerischen Grundstück ausgehenden Risiko ausgesetzt. Andererseits erhöhe sich auch die Gefahr unbefugten Betretens des klägerischen Grundstücks oder des Einbringens von leicht entflammbaren Gegenständen wie brennenden Zigaretten durch die im angrenzenden Grundstück untergebrachten Personen. Bei einer Nutzung als Asylbewerberunterkunft seien daher u.a. erhöhte Sicherheitsmaßnahmen erforderlich, die zusätzliche Kosten verursachen würden. Zudem sei damit zu rechnen, dass die Klägerin (gemeint ist wohl die Firma A. …) zukünftig strengere Auflagen hinsichtlich Brand- und Explosionsschutz bzw. hinsichtlich Lärmschutz einhalten müsse, da die im benachbarten Grundstück untergebrachten Personen sich dort auch nachts zum Schlafen aufhielten. Überdies halte das streitgegenständliche Vorhaben keinen angemessenen Abstand zu den baulichen Anlagen der Klägerin ein. Welcher Abstand hier angemessen sei, ergebe sich aus der Seveso-III-Richtlinie. Auch wenn diese nicht bis zum 31. Mai 2015 in nationales Recht umgesetzt worden sei, sei sie insbesondere mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG sowie den Referentenentwurf der Bundesregierung anwendbar und nicht nur im Rahmen der Bauleitplanung zu berücksichtigen, sondern auch bei Genehmigung von Einzelbauvorhaben. Eine Asylbewerberunterkunft zähle grundsätzlich zu den Schutzobjekten, für welche eine Abstandsregelung zu berücksichtigen sei. Aus dem Leitfaden „Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfallverordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung“ der Kommission für Anlagensicherheit (im Folgenden: Leitfaden KAS 18) ergäbe sich für die auf dem Grundstück der Klägerin gehandhabten Stoffe eine „Abstandsempfehlung für die Bauleitplanung ohne Detailkenntnisse“ von 200 m. Bei Verwirklichung des streitgegenständlichen Vorhabens sei eine Erweiterung der Genehmigung für die Produktion aufgrund zu geringen Abstands nicht mehr möglich. Dies führe zu einer gravierenden Einschränkung der Entwicklungsmöglichkeiten des Betriebes und damit zu einer Verletzung der sich aus Art. 12 GG und Art. 14 GG ergebenden Rechte. Auch wenn zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung der Beklagten eine Anzeige nach § 7 Abs. 2 Störfallverordnung noch nicht vorgelegen habe, so führe dies entgegen der Auffassung der Beklagten nicht dazu, dass die Klägerin sich nicht auf eine Unterschreitung eines angemessenen Achtungsabstandes im Rahmen des Rücksichtnahmegebotes berufen könne. Denn zum einen hätten die Gegebenheiten, die zur Anwendung der Störfallverordnung führen, bereits zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung vorgelegen. Zum anderen sei der Beklagten – wenn auch nach Erteilung der Genehmigung – jedenfalls noch vor dem Einzug der ersten Asylbewerber und damit vor dem Vollzug des Vorhabens die Verletzung des Rücksichtnahmegebots erkennbar gewesen. Es sei daher unbillig, im Rahmen der Beurteilung der Verletzung des Rücksichtnahmegebots ausschließlich auf den Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung abzustellen. Vielmehr sei vorliegend ausnahmsweise der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich.

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 18. Januar 2016 beantragt die Klägerin:

Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung von Bürogebäude zu Gemeinschaftsunterkunft für Leistungsberechtigte nach Asylbewerberleistungsgesetz mit 144 Betten und Errichtung einer Außentreppe auf dem Anwesen … vom 18. Dezember 2015 wird aufgehoben.

Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 18. Juli 2016,

die Klage abzuweisen.

Zum Sachverhalt trägt sie vor, aufgrund vorzunehmender Neueinstufung von Stoffen und Gemischen nach der europäischen CLP-Verordnung und der Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie falle die Firma A. … nunmehr unter die Störfallverordnung. Entscheidend für die Eigenschaft als Störfallbetrieb sei die Anzeige der Firma A. … nach § 7 der Störfallverordnung vom 10. Oktober 2016. Im Rahmen eines Antrags auf Änderungsgenehmigung nach BImSchG habe die Firma A. … dem Umweltamt der Beklagten am 18. Januar 2016 eine aktuelle Auflistung und Einstufung der Gefahrstoffmengen unter Berücksichtigung der Seveso-III-Richtlinie zugesandt. Nach dieser Auflistung würde der Betrieb grundsätzlich unter die Störfallverordnung fallen und das Abstandsgebot nach Art. 13 der Seveso-III-Richtlinie greifen. Der notwendige Abstand zur schutzwürdigen Umgebungsbebauung werde gutachterlich zu bestimmen sein, wobei zu erwarten sei, dass ein solcher gutachterlich ermittelter sog. angemessener Abstand geringer ausfalle als der klägerseits vorgetragene sog. Achtungsabstand von 200 m. Dass das Vorhabengrundstück wegen der Nähe zum Lagerbereich auf dem Grundstück der Klägerin innerhalb des noch zu ermittelnden angemessenen Abstands liege, könne jedoch derzeit nicht ausgeschlossen werden. In rechtlicher Hinsicht führt die Beklagte aus, die angefochtene Baugenehmigung sei rechtmäßig. Entgegen des Vortrags der Klägerin schließe der Bebauungsplan Anlagen für soziale Zwecke nicht aus, so dass § 246 Abs. 10 BauGB hier anwendbar sei. Auf eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Lärm- und Geruchsemissionen seien weder ersichtlich, noch von der Klägerin substantiiert vorgetragen. Bei der Bewertung von Gefahren und Beeinträchtigungen der Interessen der Klägerin und der Betreiberfirma seien nur solche Störungen zu berücksichtigen, die typischerweise bei der bestimmungsgemäßen Nutzung des Vorhabens auftreten und von bodenrechtlicher Relevanz seien. Anderen Gefahren sei im jeweiligen Einzelfall mit den Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts und des privaten Nachbarrechts zu begegnen. Aufgrund der zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung noch fehlenden Anzeige nach § 7 Abs. 2 Störfallverordnung sei die Klägerin mit dem Einwand ausgeschlossen, das Vorhaben der Beigeladenen verletze wegen Unterschreitung eines angemessenen Achtungsabstands das Rücksichtnahmegebot. Diese Anzeigepflicht diene auch dem Interesse von Grundstücksnachbarn. Ohne diese könne die Betroffenheit durch die Auswirkung der BImSchG-Anlage nicht beurteilt werden. Vor diesem Hintergrund könne offen bleiben, wie groß der notwendige Abstand in der konkreten Situation tatsächlich sein müsse – bei den klägerseits angegebenen 200 m handele es sich lediglich um den Abstand „ohne Detailkenntnisse“ – und ob die Flüchtlingsunterkunft tatsächlich als „öffentliches Gebäude“ im Sinne der Seveso-III-Richtlinie einzustufen sei.

Die Beigeladene beantragt mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 12. Juli 2016 ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung lässt sie ausführen, die Asylbewerberunterkunft sei eine Anlage für soziale Zwecke und nach dem hier geltenden Bebauungsplan ausnahmsweise zulässig sei. Die Voraussetzungen zur Gewährung einer Ausnahme gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO lägen vor. Das Vorhaben sei insbesondere gebietsverträglich und verletze nicht das Rücksichtnahmegebot. Auch habe zusätzlich eine Befreiung nach § 246 Abs. 10 BauGB rechtmäßig erteilt werden können. Die Abweichung sei auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar. Der Vortrag der Klägerin, der Betrieb könne für die Asylbewerber gefährlich sein, da die dort hergestellten chemischen Stoffe teilweise hochexplosiv seien, könne nicht nachvollzogen werden. Es komme nicht darauf an, in welcher Dichte die gefährdeten Personen auftreten. Vielmehr sei der Betrieb der Klägerin so durchzuführen, dass auch angrenzende Gewerbebetriebe mit nur wenigen Mitarbeitern keinen Explosionsgefahren ausgesetzt werden. Überdies sei für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung das baurechtliche Nutzungskonzept und das dadurch typischerweise verursachte Störpotenzial maßgeblich und nicht das individuelle und mehr oder weniger störende oder als störend empfundene Verhalten der Bewohner. Durch eine bestimmungsgemäße Nutzung der Asylbewerberunterkunft werde der Gewerbebetrieb der Klägerin jedenfalls nicht eingeschränkt. Die Belästigungen durch die Gewerbebetriebe, die auf eine Asylbewerberunterkunft in einem Gewerbegebiet einwirken, seien von deren Bewohnern zu dulden. Entsprechendes müsse auch für andere Belästigungen oder mögliche Gefahren gelten, da die Einhaltung strengerer Anforderungen nicht verlangt werden könne. Das Gewerbegebiet grenze unmittelbar an ein Wohngebiet an, so dass die darin ansässigen Gewerbebetriebe bereits auf diese Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen hätten; dies viel stärker, als dies bei Asylbewerberunterkünften in „gewöhnlichen“ Gewerbegebieten der Fall sei. Die Abstandsflächen seien aufgrund der Festsetzungen im zugrundeliegenden Bebauungsplan eingehalten. Auch aus europarechtlichen oder europarechtlich umgesetzten Vorschriften ergebe sich kein anderes Ergebnis. Die Seveso-III-Richtlinie sei bisher nicht umgesetzt worden. Ebenso wenig sei ein Referentenentwurf der Bundesregierung verbindlich und anzuwenden. Die derzeit rechtswirksame Störfallverordnung setze lediglich Betreiberpflichten fest, regele aber nicht die Zulässigkeit von Bauvorhaben. Überdies habe die Klägerin bislang nicht dargelegt, ob es sich bei dem Betrieb der Firma A. … tatsächlich um einen Störfallbetrieb handele, was vorliegend bei einem Hersteller für Kleber und Pflegeprodukte für Natur- und Kunststein wohl zu verneinen sei. Die seitens der Klägerin zitierte Rechtsprechung sei auf den vorliegenden Fall schon deshalb nicht anwendbar, da es sich vorliegend um die Nutzungsänderung eines Bestandsgebäudes handele, welches keine „Achtungsgrenzen“ einhalten könne. Der Leitfaden KAS 18 sei, da es sich bei der Asylbewerberunterkunft um eine Bestandsbebauung handele, unanwendbar und im Verfahren daher nicht zu berücksichtigen. Vielmehr sei hier die der Firma A. … zuletzt erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 28. August 1995 maßgeblich, in der in den Gründen ausgeführt sei, dass die Prüfung der eingereichten Unterlagen ergeben habe, dass die Anlage nicht der Störfallverordnung unterliege, da die Einsatzstoffmengen bzw. die bei einem Störfall entstehenden Stoffmengen weit unter den im Anhang III der Verordnung genannten Mengenschwellen lägen und damit keine Gemeingefahr zu befürchten sei. Dieser Genehmigung nach BImSchG seien lediglich baurechtliche Genehmigungen nachgefolgt, deren Inhalt sich auf bauliche, nicht aber auf immissionsschutzrechtliche Änderungen bezogen habe. Unabhängig davon sei ein Achtungsabstand i.S.d. Störfallverordnung nur notwendig zwischen Störfallbetrieb und öffentlich genutzten Gebäuden. Eine Asylbewerberunterkunft stelle aber kein solches öffentlich genutztes Gebäude dar. Unabhängig davon sei die Klägerin mit dem Einwand der Unterschreitung eines angemessenen Achtungsabstandes ausgeschlossen, denn bei Erteilung der Baugenehmigung habe die Beklagte davon ausgehen dürfen und müssen, dass hier kein Störfallbetrieb vorliege. Dies folge aus der mangelnden Anzeige nach § 7 Abs. 2 der Störfallverordnung und dem Prioritätsgrundsatz, wonach Bauanträge nach dem Antragseingang zu bearbeiten seien.

Mit Änderungsantrag vom 2. August 2016 modifizierte die Beigeladene das Bauvorhaben dahingehend, dass eine Grundrissänderung im Erdgeschoss und im 1. Obergeschoss beabsichtigt sei, die Fluchttreppe anders ausgeführt und zusätzlich eine Außenterrasse im 1. Obergeschoss errichtet werden solle. Das Dachgeschoss solle hingegen nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, als Terrasse genutzt werden.

Mit Bescheid vom 18. Januar 2017 erließ die Beklagte die beantragte Änderungsgenehmigung.

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 30. Januar 2017 ließ die Klägerin erklären, dass sich die Klage auch auf diese Änderungsgenehmigung vom 18. Januar 2017 erstrecken und auch diese aufgehoben werden solle. Die Beigeladene beantragt, auch diesbezüglich die Klage abzuweisen.

Im Rahmen eines anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (AN 9 K 16.00764) legte die Klägerin mit Schreiben vom 15. Februar 2017 einen Bericht des … vom 12. Dezember 2016 über mögliche Einwirkungen von Störfällen in Hinblick auf die Bauleitplanung vor, den die Firma A. … im Rahmen des laufenden immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigungsverfahrens zur Vorlage bei der Umweltbehörde der Beklagten hat erstellen lassen. Nach dem Bericht betrage der angemessene Abstand i.S.d. Artikels 13 der Seveso-III-Richtlinie zwischen dem sich auf dem klägerischen Anwesen befindlichen Betriebsbereich der Firma A. … und schutzwürdigen Objekten bei Anwendung des Leitfadens KAS 18 unter Berücksichtigung der konkreten emissionsrelevanten Anlageteile der Firma A. … hinsichtlich einer möglichen Freisetzung von leicht entzündbaren Flüssigkeiten 57 m. Damit seien ausreichende Abstände zwischen der untersuchten Anlage und der benachbarten Bebauung vorhanden. Auf einem beigefügten Lageplan ist zu erkennen, dass das Grundstück Fl. … zu ca. 1/3 innerhalb des – von einem im klägerischen Betriebsgebäude eingezeichneten Tankraum ausgehenden – 57-m-Schutzradius liegt, das Grundstück Fl.Nr. … hingegen nur in seinem nord-östlichen Teil vom Schutzradius angeschnitten wird und sich die im südlichen Teil des Grundstücks befindliche Asylbewerberunterkunft komplett außerhalb des Schutzradius befindet. Die Gerichtsakte aus dem Verfahren AN 9 K 16.00764 sowie die seitens der Beklagten dort vorgelegten Behördenakten zur Firma A. … wurden mit Verfügung vom 20. März 2017 zum hiesigen Verfahren beigezogen.

Mit Schriftsatz vom 19. April lässt die Klägerin unter Bezugnahme auf eine umwelttechnische Stellungnahme des Dr.-Ing. … vom 12. April 2017 zum Bericht des … zu den Erweiterungsabsichten der Firma A. … ergänzend vortragen, dass zwar der vom … errechnete angemessene Abstand von 57 m vom Tanklager zu schutzwürdigen Objekten nach derzeitiger Rechtslage auch bei größeren Lagermengen unverändert bliebe. Seitens der Firma A. …wie auch der Behörden bestehe jedoch schon seit längerem der Wunsch, das Tanklager technisch zu erneuern. Eine Verlegung aus der heutigen Betriebsmitte an die Grundstücksgrenze sei dabei nicht auszuschließen. Damit würde sich ebenfalls das Gebiet verlagern, das innerhalb des angemessenen Abstandes von 57 m liege. Auch sei nicht unwahrscheinlich, dass die Bewertung von Objekten als Schutzgut nach § 50 BImSchG in naher Zukunft enger gesehen werde. Überdies sei im Zuge der Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie eine sog. Technische Anleitung Abstand geplant, mit der sich der als angemessen zu betrachtende Abstand künftig erhöhen könnte. Auch sei künftig eine mengenabhängige Berechnung denkbar; eine Erhöhung der Lagermengen könnte dann zur Notwendigkeit höherer angemessener Abständen führen. Die Klägerin könne sich im vorliegenden Verfahren auch auf die Erweiterungsabsichten der Firma A. … berufen, da ihre Interessen mit denen der Firma A. … deckungsgleich seien. Bei der Klägerin und der Firma A. … handele es sich um eine Betriebsaufspaltung. Die Klägerin sei die Besitzgesellschaft, die Firma A. … die Betreibergesellschaft.

Ebenfalls mit Schriftsatz vom 19. April 2017 teilt die Beklagte mit, dass die Firma A. … den im Januar 2016 gestellten Antrag auf Änderungsgenehmigung nach BImSchG zwischenzeitlich erneut zum 30. Januar 2017 eingereicht habe. Hiernach seien auf dem klägerischen Anwesen vielfältige Änderungen beabsichtigt u.a. ein Hallenneubau, eine Aktualisierung des Anlagenbestands sowie eine Erhöhung der Produktionskapazität. Eine Genehmigung sei hier noch nicht ergangen; einzelne Maßnahmen seien mit Bescheid vom 4. April 2017 jedoch vorzeitig zugelassen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten, auch die des beigezogenen Verfahrens AN 9 K 16.00764 Bezug genommen; hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Sie ist zwar zulässig, im Ergebnis aber unbegründet.

Die Klägerin wird durch die Baugenehmigung vom 18. Dezember 2015 in der Fassung der Änderungsgenehmigung vom 18. Januar 2017 nicht in ihren Rechten verletzt, so dass ihr auch kein Anspruch auf deren Aufhebung zusteht (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Bei der Klage eines Dritten – hier eines baurechtlichen Nachbarn – hat dieser aus § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht schon dann einen Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung, wenn diese lediglich objektiv rechtswidrig ist; vielmehr muss sich die Rechtswidrigkeit gerade aus solchen Normen ergeben, die zum Prüfungsumfang im bauaufsichtlichen Verfahren gehören (vgl. Art. 68 Abs. 1 Satz 1; BayVGH, B.v. 10.10.2013 – 15 ZB 11.1480 – juris, Rn. 9) und zugleich aber auch dem Schutz dieses Dritten dienen (sog. Schutznormtheorie, vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris, Rn. 20). Der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde ergibt sich wegen Einstufung des streitgegenständlichen Vorhabens als Sonderbau i.S.d. Art. 2 Abs. 4 BayBO vorliegend aus Art. 60 BayBO.

Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben liegt keine Rechtsverletzung der Klägerin durch die Baugenehmigung vor. Eine Verletzung der vom Prüfungsumfang nach Art. 60 Satz 1 Nr. 2 BayBO umfassten bauordnungsrechtlichen Vorschriften wird von der Klägerin schon nicht vorgetragen und ist für das Gericht auch nicht ersichtlich. Soweit es nach Art. 60 Satz 1 Nr. 1 BayBO zu prüfende bauplanungsrechtliche Vorschriften betrifft, kann sich die Klägerin insbesondere nicht erfolgreich auf die Verletzung eines Anspruchs auf Gebietserhaltung berufen.

Der Anspruch auf Gebietserhaltung ermöglicht es dem Eigentümer eines in einem Bebauungsplangebiet (§ 30 BauGB) gelegenen Grundstücks, Vorhaben auch ohne konkrete Beeinträchtigung abzuwehren, welche nach ihrer Art in diesem Gebiet nicht zulässig sind oder unter Erteilung von Abweichungen auch nicht zugelassen werden können. Der Gebietserhaltungsanspruch resultiert daraus, dass Baugebietsfestsetzungen kraft Gesetzes dem Schutz aller Eigentümer der in dem Gebiet gelegenen Grundstücke dienen. Diese weitreichende nachbarschützende Wirkung beruht auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Grundstücke in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Im Hinblick auf diese wechselseitige Wirkung der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG hat jeder Eigentümer unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung das Recht, sich gegen eine schleichende Umwandlung des Gebietes durch die Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris Rn. 10).

Vorliegend wird dieser Anspruch auf Erhaltung des Gebietscharakters nicht verletzt. Zwar ist das Vorhaben der Beigeladenen nicht schon allgemein oder ausnahmsweise, dafür aber mittels der hier erfolgten Erteilung einer nicht zu beanstandenden Befreiung nach § 246 Abs. 10 BauGB im festgesetzten Gewerbegebiet zulässig.

Das Gericht stimmt zunächst mit der obergerichtlichen Rechtsprechung darin überein, dass eine Unterkunft für Asylbewerber, insbesondere weil der Aufenthalt darin nicht freiwillig ist, sondern auf einer Zuweisungsentscheidung der zuständigen Behörden beruht, eine Anlage für soziale Zwecke darstellt und damit trotz des wohnähnlichen Charakters nicht als eine im Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO per se unzulässige Wohnnutzung zu qualifizieren ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2015 – 1 ZB 14.2373 – juris, Rn. 3 m.w.N.; VG Ansbach, U.v. 29.6.2016 – AN 9 K 15.01348 – juris, Rn. 48 f.). Trotz dieser Einstufung als Anlage für soziale Zwecke geht das Gericht aber in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung auch davon aus, dass die hier geplante Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber aufgrund ihres Umfangs und ihrer allgemeinen Zweckbestimmung mit dem Charakter eines Gewerbegebiets zunächst unvereinbar wäre und damit jedenfalls nicht nach § 31 Abs. 1 BauGB als Ausnahme zugelassen werden könnte (vgl. BayVGH, B.v. 6.2.2015 – 15 B 14.1832 – juris, Rn. 16 m.w.N.; VG Ansbach U.v. 29.6.2016, AN 9 K 15.01348 – juris, Rn. 48 f.).

Aufgrund der gesetzgeberischen Wertung des neu eingeführten § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB widerspricht eine Unterkunft für Asylbewerber allerdings dann nicht dem Gebietscharakter eines Gewerbegebiets, wenn für sie – wie dies vorliegend geschehen ist – in zulässiger Weise eine Befreiung erteilt wurde. Nach dieser Regelung kann bis zum 31. Dezember 2019 in Gewerbegebieten insbesondere für Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn an dem Standort Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder allgemein zulässig sind und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine solche Befreiung sind hier erfüllt.

Entgegen der Ansicht der Klägerin können in dem streitgegenständlichen Gewerbegebiet Anlagen für soziale Zwecke grundsätzlich als Ausnahme zugelassen werden. Durch die Festsetzung eines Gewerbegebiets nach § 8 BauNVO hat die plangebende Beklagte den Katalog der regelhaft oder ausnahmsweise zulässigen Vorhaben i.S.v. § 8 Abs. 1, 2 und 3 BauNVO (1968) in den Bebauungsplan übernommen (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO). Da keine diesen Katalog im konkreten Fall einschränkenden Festsetzungen ersichtlich sind, ergibt sich aus dem festgesetzten Gebietscharakter zugleich nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO (1968) eine ausnahmsweise Zulässigkeit von Anlagen für soziale Zwecke.

Die Abweichung ist auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Für diese Prüfung sind wie bei der insoweit vergleichbaren allgemeinen Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB keine generellen Maßstäbe zu bilden; vielmehr sind die Umstände des Einzelfalles zu würdigen. Im Rahmen der hiernach erforderlichen Einzelfallbetrachtung liegt die Annahme der Unvereinbarkeit einer Befreiung mit den öffentlichen (bodenrechtlichen) Belangen umso näher, je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht einer Planung eingreift. Eine Befreiung ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung nur durch eine Planung zu bewältigende Spannungen hineinträgt oder erhöht, das Bauvorhaben mithin „Unruhe stiftet“. Eine eventuelle Unruhe, die durch die Genehmigung einer Unterkunft für Asylbewerber und der damit verbundenen wohnähnlichen Nutzung in ein Gewerbegebiet getragen wird, muss allerdings für die Erteilung einer Befreiung außer Betracht bleiben. Der Gesetzgeber hat sich nämlich durch die Schaffung des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB bewusst für die Möglichkeit einer Befreiung in diesen Fällen entschieden (vgl. VGH BW, B.v. 11.3.2015 – 8 S 492/15 – juris, Rn. 15). Eine Zulassung der in der Vorschrift benannten Unterkünfte für Asylbewerber ist daher tatbestandlich u. a. nur dann unvereinbar mit öffentlichen Belangen bzw. nachbarlichen Interessen, wenn die Bewohner voraussichtlich gesundheitsgefährdenden Immissionen ausgesetzt wären (vgl. VGH BW, B.v. 11.3.2015 – 8 S 492/15 – juris, Rn. 15, VG Ansbach, U.v. 29.6.2016 – AN 9 K 15.01348 – juris Rn. 53) oder wenn sich das Vorhaben gegenüber der Klägerin als rücksichtslos erweist.

Beides ist jedoch nicht der Fall. Anders als die Klägerin meint, verhält sich das Vorhaben ihr gegenüber schon nicht rücksichtslos. Insbesondere ist das Gebot der Rücksichtnahme vorliegend nicht vor dem Hintergrund eines ggf. nicht eingehaltenen, aber möglicherweise entsprechend Art. 13 Abs. 2 der Seveso-III-Richtlinie einzuhaltenden Sicherheitsabstands verletzt. Nach Art. 13 Abs. 2 der Seveso-III-Richtlinie sind die Mitgliedstaaten sinngemäß dazu aufgerufen, dem Erfordernis Rechnung zu tragen, dass bei einem sogenannten Störfallbetrieb einerseits und öffentlich genutzten Gebäuden andererseits ein angemessener Sicherheitsabstand gewahrt bleibt. Jedenfalls mit Ablauf der Umsetzungsfrist zum 31. Mai 2015 (§ 31 Abs. 1 der Seveso-III-Richtlinie) ist diese Vorschrift bei der Anwendung des nationalen Rechts im Wege richtlinienkonformer Auslegung zu berücksichtigen (st. Rspr. des EuGH, vgl. U.v. 4.7.2006 – Rs. C-212/04 Ziffer 115). Für die Anwendung des Gebots der Rücksichtnahme bedeutet dies, dass, wenn es um die Beurteilung der Zulässigkeit von öffentlich genutzten Gebäuden im Umkreis von Störfallbetrieben geht, auch gewürdigt werden muss, ob zwischen solchen baulichen Anlagen ein „angemessener Sicherheitsabstand“ eingehalten ist (grundlegend zur inhaltlich weitestgehend identischen Vorgängernorm des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG Seveso-II-Richtlinie: BVerwG, U.v. 20.12.2012 – 4 C 11/11 – juris, Rn. 28 ff.).

Hier steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Betrieb der Firma A. … zu dem für die nachbarliche Anfechtungsklage maßgeblichen Zeitpunkt, also dem der Erteilung der Baugenehmigung am 18. Dezember 2015 als letzte Behördenentscheidung (vgl. BayVGH, U.v. 14.2.2005 – 26 B 03.2579 – juris, Rn. 15), (noch) nicht als Störfallbetrieb im Sinne der Seveso-III-Richtlinie zu qualifizieren war. Die Firma A. … hat selbst gegenüber dem Umweltamt der Beklagten mit Schreiben vom 10. Oktober 2016 angezeigt, dass sie erst im Laufe des Jahres 2016 zu einem Störfallbetrieb werde. Dass die Beigeladene für ihr Vorhaben im August 2016 eine Tektur beantragt hat, die erst mit Änderungsgenehmigung vom 18. Januar 2017 und damit nach dieser Anzeige der Firma A. … verbeschieden wurde, vermag hieran nichts zu ändern. Die Tektur betraf nämlich lediglich Randbereiche der bereits genehmigten Nutzung als Asylbewerberunterkunft; mithin wurde hierdurch die Genehmigungsfrage insgesamt nicht neu aufgeworfen, so dass die Tekturgenehmigung auch nicht geeignet ist, den entscheidungsrelevanten Zeitpunkt zu verlagern.

Unabhängig davon wäre auch fraglich, ob es sich bei der Asylbewerberunterkunft überhaupt um ein „öffentlich genutztes Gebäude“ im Sinne von Art. 13 Abs. 2 der Seveso-III-Richtlinie handelt, da diese Unterkunft ihrem Zwecktypus entsprechend nicht für einen unbegrenzten Personenkreis und damit gerade nicht öffentlich zugänglich ist (vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 50, Rn. 15).

Aber auch wenn man dem klägerischen Vortrag folgend der Firma A. … die Qualifikation als Störfallbetrieb zugestehen würde, hätte dies kein anderes Ergebnis zur Folge, da der erforderliche Sicherheitsabstand nach § 13 Abs. 2 der Seveso-III-Richtlinie gewahrt ist. Dies ergibt sich aus der seitens der Firma A. … im Rahmen ihres Änderungsverfahrens nach BImSchG in Auftrag gegebenen Einzelfallbetrachtung des … vom 12. Dezember 2016. Danach ist unter Zugrundelegung der Vorgaben des Leitfadens KAS 18 und unter Berücksichtigung der konkreten emissionsrelevanten Anlageteile, also hier des Tankraums als Bezugspunkt, ein Abstand von 57 ausreichend und somit als „angemessen“ i.S.v. § 13 Abs. 1 der Seveso-III-Richtlinie anzusehen. Dieser Abstand ist vorliegend eingehalten, da sich das auf der südlichen Hälfte des Grundstücks Fl.Nr. … befindliche streitgegenständlichen Vorhaben vollständig außerhalb dieses Schutzradius von 57m befindet. Unerheblich ist hierbei, dass die Grundstücke der Beigeladenen teilweise noch innerhalb des Schutzradius liegen, da für die Einhaltung des Abstandes eben eine anlage- und nicht eine grundstücksbezogene Sichtweise heranzuziehen ist. An der Validität des Gutachtens bestehen für das Gericht schließlich auch keine Zweifel. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass der … den Leitfaden KAS 18 als Berechnungsgrundlage herangezogen hat, da weder das Unionsrecht noch das innerstaatliche Recht bislang Regelungen zur Frage des „angemessenen Abstands“ vorhalten, die dann eine verdrängende Wirkung haben könnten (vgl. HessVGH, U.v. 26.3.2015 – 4 C 1566/12.N – juris, Rn. 44, 47; so auch zu dem vorangegangenen Leitfaden SFK/TAA BayVGH, U.v. 14.7.2006 – 1 BV 03.2179 – juris Rn. 58). Auch wurden keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die auf Grundlage des Leitfadens KAS 18 vorgenommene Berechnung als solche fehlerhaft wäre; entsprechende Gründe sind für das Gericht auch nicht ersichtlich.

Vor diesem Hintergrund vermag das Vorhaben zulasten der Firma A. … als Anlagenbetreiberin auch keine neuen oder anderen störfallrechtlichen Auflagen auszulösen. Überdies geht mit der Überwindung der grundsätzlichen Gebietsunverträglichkeit einer wohnähnlichen Nutzung im Gewerbegebiet durch die neu geschaffene Befreiungsmöglichkeit des § 246 Abs. 10 BauGB auch zugleich eine Absenkung des immissionsbezogenen Schutzanspruchs der Nutzer solcher Einrichtungen einher (vgl. VG Ansbach, a.a.O., VG München, B.v. 30.11.2015 – M 1 SN 15.4780 – juris Rn. 29), so dass das Vorhaben ohnehin nicht mehr Schutz beanspruchen kann, als im Gewerbegebiet auch jedem anderen zulässigen Vorhaben zu Teil wird.

Soweit die Klägerin aus eventuellen Erweiterungsabsichten, auch im Hinblick auf das in Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, eine Abwehrposition herzuleiten versucht, übersieht sie, dass unter Zugrundelegung ihres Vortrages weder im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigungen noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein schützenswertes Erweiterungsinteresse der Firma A. … vorliegt. In der Stellungnahme des Umwelttechnikers Dr.-Ing. … vom 12. April 2017, die die Klägerin in diesem Zusammenhang beigebracht hat, ist zwar ausgeführt, dass bei der Firma A. … schon seit längerem der Wunsch bestehe, das Tanklager technisch zu erneuern. Ein konkreter Zeitpunkt für die geplanten Modernisierungsmaßnahmen wird allerdings nicht genannt. Vielmehr zeigt die Stellungnahme selbst auf, wie ungewiss derzeit eine Realisierung der geplanten Maßnahmen ist, indem darin dargelegt wird, dass eine Verlegung des Tanklagers an die Grundstücksgrenze zum heutigen Zeitpunkt lediglich „nicht auszuschließen“ sei. Vor dem Hintergrund dieser nur als vage zu bezeichnenden Planungsabsichten, bei denen gegenwärtig noch völlig unklar ist, ob und inwieweit sie überhaupt realisiert werden, kann das Gebot der Rücksichtnahme der Beigeladenen nicht abverlangen, ihre eigenen konkreten Nutzungsabsichten zurückstellen, um der Firma A. … möglichst große Spielräume für deren künftige Nutzung offen zu halten. Selbiges gilt für die seitens der Klägerin befürchteten Änderungen der Rechtslage insbesondere mit Blick auf den angemessenen Abstand oder die die Eigenschaft als Störfallbetrieb und damit die Abstandspflicht auslösenden Mengenschwellen. Der bloße Hinweis auf generelle zukünftige Rechtsänderungen vermag der Klägerin keinen Abwehranspruch zu vermitteln.

Ohne Aussicht auf Erfolg bleiben auch die von der Klägerin erhobenen Bedenken gegen die streitgegenständliche Nutzung im Hinblick auf Sicherheitsbelange wie das unbefugte Betreten ihres Grundstücks oder das Einbringen von leicht entflammbaren Gegenständen wie brennenden Zigaretten durch die Bewohner der Unterkunft. Als unzumutbar können im nachbarschaftlichen Verhältnis nur solche Einwirkungen angesehen werden, die bei der bestimmungsgemäßen Nutzung einer baulichen Anlage typischerweise auftreten und von bodenrechtlicher Relevanz sind. Hingegen sind über das typischerweise zu erwartende Maß hinausgehende verhaltensbedingte Störungen durch das Fehlverhalten einzelner Personen kein Gegenstand der bauplanungsrechtlichen Betrachtung; vielmehr ist dem mit Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts oder des zivilen Nachbarrechts zu begegnen (BayVGH B.v. 21.8.2015 – 9 CE 15.1318 – juris, Rn. 19). Bodenrechtliche Spannungen in diesem Sinne vermag das Gericht nicht zu erkennen. Die seitens der Klägerin dargestellte Brandgefahr durch weggeworfene Zigaretten ist gerade nicht spezifisch in der Nutzung der Asylbewerberunterkunft angelegt, sondern hat im persönlichen Fehlverhalten einzelner Bewohner ihre Ursache. Bei solchen Rechts- oder Ordnungsverletzungen sieht die Rechtsordnung vor, dass primär die konkret handelnden Personen als Verhaltensstörer zur Verantwortung zu ziehen sind, nicht aber gegen die bauliche Anlage als solche vorgegangen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2015 – 9 CE 14.2854 – juris, Rn. 19). Gleiches gilt auch für den Vortrag der Klägerin bezüglich einer Gefahr durch unbefugtes Betreten ihres Grundstücks. Im Übrigen obliegt es ihr selbst, ihr Grundstück so zu sichern, dass derartige Gefahren vermieden werden. Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass Sicherheitsmaßnahmen mit hohen Kosten verbunden seien, so ist auch dieser Vortrag ohne jeden Bezug zum Baurecht und kann daher im Baugenehmigungsverfahren nicht berücksichtigt werden.

Schließlich ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Bewohner des Vorhabens gesundheitsgefährdenden Immissionen ausgesetzt würden. Es ist schon weder erkennbar noch von der Klägerin substantiiert vorgetragen worden, dass hier beispielsweise vom Gewerbegebiet ausgehende Lärm- und Geruchsimmissionen zu einer gesundheitlichen Gefährdung der Bewohner des streitgegenständlichen Asylbewerberheimes führen könnten.

Nach alledem ist daher auch mit Blick darauf, dass aufgrund des dringenden öffentlichen Interesses an der Unterbringung von Asylbewerbern den Nachbarn ein Mehr an Beeinträchtigungen grundsätzlich zuzumuten ist (HessVGH, B.v. 18.9.2015 – 3 B 1518/15 – juris Rn. 18), die streitgegenständliche Asylbewerberunterkunft im Gewerbegebiet auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar.

Die Beklagte hat schriftlich auch ihr Einvernehmen mit dem in Rede stehenden Vorhaben erklärt und in der mündlichen Verhandlung nochmals explizit ausgeführt, dass für das betreffende Baugebiet keine planungsrechtlichen Probleme aufgrund der geänderten Nutzung zu erwarten seien (vgl. § 246 Abs. 10 Satz 2 BauGB i.V.m § 36 BauGB).

Die Erteilung der streitgegenständlichen Befreiung durch die Beklagte ist auch nicht im Verhältnis zur Klägerin in ermessensfehlerhafter Weise erfolgt. In Übereinstimmung mit dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ist das Gericht der Auffassung, dass im Fall des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 246 Abs. 10 BauGB im Regelfall eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt und damit ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Befreiung nach dieser Vorschrift besteht (BayVGH, B.v. 8.1.2016 – 1 CS 15.2687 – juris, Rn. 3; auch VGH BW, B.v. 11.3.2015 – 8 S 492/15 – juris, Rn. 20). Dabei ist insbesondere auf das hohe öffentliche Interesse an der Schaffung zusätzlicher Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbewerber abzustellen, zumal hier mit der erteilten Baugenehmigung auch keine Beeinträchtigungen der Klägerin oder der Betreiberfirma verbunden sind. Das Gericht hat auch keine Bedenken dagegen, dass die streitgegenständliche Befreiung nach § 246 Abs. 10 BauGB hier unbefristet gewährt wurde. Mit der Befristung der Geltungsdauer der Regelung des § 246 Abs. 10 BauGB bis zum 31. Dezember 2019 war seitens des Gesetzgebers nicht beabsichtigt, nur befristete Befreiungen zu ermöglichen. Dies ergibt sich nunmehr sogar ausdrücklich aus der am 24. Oktober 2015 in Kraft getretenen Neufassung des § 246 BauGB, in dessen Absatz 17 es nunmehr lediglich klarstellend heißt, dass sich die Befristung bis zum 31. Dezember 2019 in den Absätzen 8 bis 16 nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Zulassungsverfahren von den Vorschriften Gebrauch gemacht werden kann, bezieht.

Vor dem Hintergrund, dass vorliegend die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § 246 Abs. 10 BauGB vorlagen, scheidet eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs der Klägerin aus.

Die streitgegenständliche Baugenehmigung erweist sich gegenüber der Klägerin auch nicht im Übrigen als rücksichtslos.

Nach allem ist die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 18. Dezember 2015 in der Fassung der Änderungsgenehmigung vom 18. Januar 2017 nicht geeignet, die Klägerin in drittschützenden Vorschriften zu verletzen. Die Klage ist mithin unbegründet und war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren Unterlegene hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Es entspricht der Billigkeit, die der Beigeladenen entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen für erstattungsfähig zu erklären, da die Beigeladene sich aufgrund eigener Antragstellung im Verfahren am Prozessrisiko beteiligt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (2)

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (2):

Verwaltungsgericht Karlsruhe: Nutzung eines ehemaligen Seniorenheims als Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber

Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 02. Dez. 2015 – 5 K 350/15

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen eine Baugenehmigung für die Nutzung eines ehemaligen Seniorenheims als Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber.

Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks …

Am 19.08.2014 schloss der Beklagte vertreten durch die untere Aufnahmebehörde beim Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis mit dem Beigeladenen einen Mietvertrag über das Gebäude … ab. Das ca. fünf Jahre lang leerstehende Gebäude wurde über einen Zeitraum von 30 Jahren als Seniorenheim und zuvor 70 Jahre als Krankenhaus genutzt. Das zugehörige Grundstück grenzt unmittelbar an das Grundstück der Kläger an. Ein Bebauungsplan existiert für das maßgebliche Gebiet nicht.

Am 09.09.2014 beantragte der Beigeladene beim Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis die Erteilung einer Baugenehmigung für die beabsichtigte Nutzungsänderung des Gebäudes als Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber. In dem Antrag war zunächst die Umnutzung des ehemaligen Seniorenheims zur Unterbringung von 120 Asylbewerbern vorgesehen. Mit Schreiben vom 17.09.2014 änderte der Beigeladene seinen Antrag auf Nutzungsänderung dahingehend ab, dass die Nutzung der künftigen Gemeinschaftsunterkunft auf eine maximale Unterbringung von 80 Asylbewerbern begrenzt wurde. Der Beklagte bat mit Schreiben vom 09.09.2014 die zuständige Gemeinde Waibstadt, eine Stellungnahme nach § 54 Abs. 3 Satz 1 LBO abzugeben und die erforderliche Nachbarbeteiligung durchzuführen. Den Angrenzern wurde am 19.09.2014 das Anhörungsschreiben zugestellt.

Ab dem 26.09.2014 wurden aufgrund der zunehmenden Flüchtlingszahlen zunächst ca. 50 Asylbewerber im ehemaligen Seniorenheim untergebracht.

Am 26.09.2014 stellten die Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe unter dem Az. 5 K 2792/14 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und beantragten zunächst, dem Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die im ehemaligen Altenheim in der …, 74915 Waibstadt untergebrachten Personen in einer anderen Unterkunft unterzubringen.

Am 17.10.2014 erhoben die Kläger Einwendungen gegen die beantragte Baugenehmigung. Sie wendeten ein, dass sich das Vorhaben nicht in die nähere Umgebung einfüge. Sie befürchteten Lärm, Vandalismus, Diebstähle und Konflikte. Ihre Lebensqualität werde durch die Dauerbeobachtung, Dauerbeleuchtung und das unerlaubte Betreten ihres Grundstücks enorm eingeschränkt. Die Feuertreppe grenze an ihr Grundstück; ein Stahlträger stehe sogar auf ihrem Grundstück, sodass Abstandsflächen verletzt werden würden. Die Ableitung des Abwassers und Niederschlagswassers erfolge teilweise über ihr Grundstück.

Mit Bescheid vom 29.10.2014 erteilte das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis dem Beigeladenen die beantragte streitgegenständliche Baugenehmigung. Unter Nr. 4 der besonderen Hinweise, Auflagen und Bedingungen zur Baugenehmigung wurden u.a. die beigefügten Nebenbestimmungen des Brandschutzsachverständigen zum Bestandteil der Genehmigung gemacht. Gegen die Baugenehmigung legten die Kläger am 06.11.2014 Widerspruch ein.

Mit Bescheid vom 20.01.2015 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch zurück: Eine Verletzung subjektiver Rechte der Kläger sei nicht gegeben. Bauplanungsrechtlich sei das Vorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB zu beurteilen, da die Eigenart der näheren Umgebung einem Mischgebiet gemäß § 6 BauNVO entspreche. In einem Mischgebiet sei die Asylbewerberunterkunft als Anlage für soziale Zwecke allgemein zulässig. Selbst wenn die vorhandene Bebauung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung als allgemeines Wohngebiet zu klassifizieren sein sollte, käme es zu keinem anderen Ergebnis. Auch in einem allgemeinen Wohngebiet seien Anlagen für soziale Zwecke gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässig. Ob mit der am Gebäude vorhandenen Feuertreppe ein Überbau auf dem Grundstück der Kläger einhergehe, sei unerheblich, denn die Baugenehmigung werde unbeschadet der Rechte privater Dritter gemäß § 58 Abs. 3 LBO erteilt. Nach Aktenlage könne zudem von einem Überbau nicht ausgegangen werden, denn die im Jahr 1987 genehmigte Fluchttreppe befinde sich laut Lageplan vom 11.03.1987 vollständig auf dem Baugrundstück; eine Veränderung der Feuertreppe sei auch nicht Gegenstand der Baugenehmigung gewesen. Die Erschließungsvorschriften dienten im Übrigen allein dem Allgemeininteresse und seien daher grundsätzlich nicht nachbarschützend. Ein Eingriff in schutzwürdige Rechte des Nachbarn sei allenfalls denkbar, wenn die fehlende Erschließung gerade zu besonderen, individuellen Beeinträchtigungen der Kläger führen würde. Hierfür sei jedoch nichts ersichtlich, zumal das Grundstück der Kläger durch die Feuertreppe nicht in Anspruch genommen werde. Im Übrigen wären irgendwie geartete baurechtliche Ansprüche der Kläger in Bezug auf die hier in Rede stehende Feuertreppe aufgrund Zeitablaufs bereits verwirkt, denn die Baugenehmigung für das Altenpflegeheim, dem die Feuertreppe diene, sei bereits im September 1987 erteilt worden.

Mit Beschluss vom 02.02.2015 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab.

Am 05.02.2015 haben die Kläger Klage erhoben. Sie beantragen,

die Baugenehmigung des Beklagten vom 29.10.2014 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 20.01.2015 aufzuheben.

Zur Begründung führen sie aus: Ihr Grundstück grenze unmittelbar an das streitgegenständliche Grundstück. Der tatsächliche Abstand zwischen den Gebäuden betrage ca. fünf Meter. Durch den Betrieb der Flüchtlingsunterkunft seit dem 26.09.2014 finde eine starke Beeinträchtigung ihres Eigentums statt. Auch sei durch die massive Zunahme der Bewohner auf dem Nachbargrundstück von 0 Bewohner seit über fünf Jahren auf bis zu 80 Bewohnern aus einem fremden Kulturkreis eine massive Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts zu befürchten. Sie seien rund um die Uhr den Blicken von 80 Nachbarn zuzüglich von Besuchern ausgesetzt. Dies führe zu einer erheblichen Beeinträchtigung ihres Befindens. Die Beeinträchtigung durch das ehemalige Seniorenheim sei deutlich geringer gewesen. Die damalige Baugenehmigung habe lediglich eine Nutzung durch 30 oder 39 Personen vorgesehen, wenngleich auch 57 Personen untergebracht gewesen seien. Die Nutzung eines Seniorenheims sei für die Nachbargrundstücke weit weniger belastend.

Der Betrieb des streitgegenständlichen Gebäudes verstoße auch gegen drittschützende Normen des Baurechts. Es bestünden brandschutzrechtliche Bedenken. Die Baurechtsbehörde habe in einem internen Vermerk selbst ausgeführt, dass eine Nutzungsänderung erst nach Durchführung verschiedener, umfangreicher Brandschutzmaßnahmen genehmigungsfähig sei. Das Rücksichtnahmegebot werde verletzt, da die Genehmigung gegen den Gebietserhaltungsanspruch verstoße. Die Anzahl der Wohnungen habe als Ausdruck der Art der baulichen Nutzung bodenrechtliche Relevanz. Zwar sei ihr Grundstück vorbelastet. In der Umgebung befänden sich überwiegend Wohnbebauung, ein Getränkehandel, eine Bäckerei mit Café, eine Arztpraxis und eine Rechtsanwaltskanzlei. Diesen Nutzungsarten sei aber gemeinsam, dass die Immissionsbelastung auf die Geschäftszeiten beschränkt bleibe, während die ausländischen Bewohner der Flüchtlingsunterkunft gerade auch zu den Zeiten da seien, in denen sie sich selbst (die Kläger) in ihrem Wohnhaus aufhalten würden. Die Flüchtlingsfamilien könnten zudem auch aus Kleinkindern bestehen, gegen deren Emissionen zwar nicht polizeirechtlich vorgegangen werden könne, die aber eine beeinträchtigende Wirkung auf ihr Grundstück hätten.

Das Verfahren zur Erteilung der Baugenehmigung leide an unheilbaren Verfahrensmängeln. Die Baugenehmigung sei für eine Nutzungsänderung beantragt worden. Erteilt worden sei sie jedoch als Genehmigung für einen Neubau. Jedenfalls enthalte sie Abschnitte, die lediglich bei einem Neubau sinnvoll seien. Exemplarisch werde auf die gesonderte Lagerung von Mutterboden hingewiesen. Bei einer Nutzungsänderung sei eine derartige Vorgehensweise nicht notwendig und die Nebenbestimmung zur Baugenehmigung daher sinnlos. Die lediglich für einen Neubau geltenden Nebenbestimmungen ergäben in ihrer Gesamtheit das Bild, dass das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis den Antrag gar nicht geprüft oder auch nur zur Kenntnis genommen, sondern einfach genehmigt habe. Der Landkreis Rhein-Neckar-Kreis habe ein selbständiges Interesse an der Genehmigung, weil er das Gebäude, bezüglich dessen die Nutzungsänderung beantragt worden sei, zur Unterbringung von Flüchtlingen angemietet habe. Der Beigeladene habe die Nutzungsänderung nicht für sich beantragt. Tatsächlicher Nutznießer der Genehmigung sei der Rhein-Neckar-Kreis, der selbst Genehmigungsbehörde sei. Diese Tatsache wiederum habe wenigstens eine Prüfung des Antrags auf Nutzungsänderung im ordentlichen („normalen”) Verwaltungsverfahren erforderlich gemacht. Stattdessen dränge sich angesichts der offensichtlich fehlerhaften Vorstellung der Genehmigungsbehörde von der beantragten Maßnahme – Nutzungsänderung statt Neubau – der Eindruck auf, der Antrag sei einfach „durchgewunken” worden, ohne dass die Genehmigungsbehörde von seinem Inhalt auch nur in Grundzügen Kenntnis genommen habe. Demzufolge sei davon auszugehen, dass die Baugenehmigung rechtswidrig sei, weil sie ohne Sachprüfung erteilt worden sei. Hierbei handele es sich um einen Verfahrensfehler, der auch im Widerspruchsverfahren nicht heilbar sei. Durch das Widerspruchsverfahren könne grundsätzlich nur die unterbliebene Anhörung der Kläger geheilt werden. Die komplette Ersetzung des Verwaltungsverfahrens durch das Widerspruchsverfahren sei nicht zulässig.

Dass das Genehmigungsverfahren nicht ergebnisoffen und daher nicht an Recht und Gesetz orientiert, sondern nur zum Schein geführt worden sei, um der Genehmigungsbehörde selbst die beabsichtigte Nutzung zu erlauben, ergebe sich auch aus dem Umstand, dass der Kläger die Nutzungsänderung mit Antrag vom 08.09.2014 beantragt habe. Der Antrag umfasse die ersten drei Blätter der Bauakte. Bereits das vierte Blatt der Bauakte sei die teilweise Rücknahme des Antrags auf Nutzungsänderung. Dort nehme der Kläger den Antrag auf Nutzungsänderung dahingehend zurück, dass die Nutzung des Gebäudes statt für 120 nur mehr für 80 Flüchtlinge/Asylbewerber beantragt werde. Es sei davon auszugehen, dass der Beigeladene von der Genehmigungsbehörde den Hinweis erhalten habe, den Antrag auf 80 Personen zu begrenzen, um eine Genehmigung zu erhalten. Die teilweise Rücknahme des Antrags auf Nutzungsänderung durch den Beigeladene im Schreiben vom 17.09.2014 sei ausschließlich durch einen – in der Bauakte nicht dokumentierten – Hinweis des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis motiviert gewesen. Ziel sei es gewesen, den öffentlichen Verlautbarungen des Rhein-Neckar-Kreises nicht zu widersprechen und eine erleichterte Genehmigung bei einer geringeren Zahl von Bewohnern zu erreichen. Der Beigeladene sei nur vorgeschoben worden, um den Anschein zu wahren, nicht der Rhein-Neckar-Kreis beantrage selbst die Genehmigung der Nutzungsänderung „bei sich selbst”. Das Genehmigungsverfahren sei auch unter diesem Gesichtspunkt nicht gesetzmäßig erfolgt.

Vorliegend sei die Erschließung nicht gesichert, weil die Feuertreppe des Gebäudes auf dem Vorhabengrundstück teilweise auf ihr Nachbargrundstück gebaut sei, ohne dass dieser Überbau auf gesicherter Rechtsgrundlage erfolgt wäre. Mit Schreiben vom 21.11.2014 habe der Beklagte selbst nach Vermessungen festgestellt, dass es sich um einen Überbau handele. Ihnen sei das Ergebnis dieser Messung aber verheimlicht worden. Die Baugenehmigung sei extra vorschnell erteilt worden, um das Ergebnis der Messung nicht mehr berücksichtigen zu müssen. Insbesondere sei auf ihrem Grundstück auch keine Dienstbarkeit eingetragen, die die dauerhafte Duldung der Feuertreppe auf ihrem Grundstück sichere. Dass die Feuertreppe selbst eine notwendige Erschließungsmaßnahme darstelle, ergebe sich bereits aus der schlichten Tatsache ihrer Existenz. Ein derartiges Bauwerk werde nicht errichtet, wenn es nicht notwendig sei. Die Abwasserbeseitigungsanlage verfüge nicht über einen eigenen Kanal, sondern werde über ihr Grundstück abgeleitet. Der Beklagte habe absichtlich nicht geprüft, ob die Erschließung gesichert sei, da er sonst das Gegenteil hätte feststellen müssen.

Der Beklagte beantragt,

Die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf den Vortrag im vorläufigen Rechtsschutzverfahren. Das Baugenehmigungsverfahren sei nicht nur zum Schein durchgeführt worden. Hinsichtlich der Feuertreppe sei zu berücksichtigen, dass die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritter erteilt wird und ein Überbau deswegen unerheblich sei. Erschließungsvorschriften stünden allein im Allgemeininteresse und seien nicht nachbarschützend, das gelte auch für den Abwasserkanal.

Der Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er führt aus: Der Überbau sei entschuldigt und würde ohnehin nur sehr geringfügig auf das klägerische Grundstück reichen. Es wäre zudem unproblematisch, die entsprechende Stahlstütze umzusetzen. Die Feuertreppe berühre außerdem nicht die Frage der Erschließung. Die Baugenehmigung sei ihm erteilt worden, nicht dem Beklagten selbst. Es sei nicht nachvollziehbar, inwiefern die Änderung des Bauantrags zu einem Verfahrensfehler führen sollte. Der Vollständigkeit halber sei den Ängsten der Kläger entgegen zu halten, dass die Flüchtlinge mittlerweile warmherzig aufgenommen und unterstützt worden seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, das Protokoll zur mündlichen Verhandlung, die Gerichtsakten in dem Verfahren 5 K 2792/14 und im Übrigen auf die vorgelegten Behördenakten (4 Hefte) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Baugenehmigung vom 29.10.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren nachbarschützenden Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO darf die von einem Nachbarn mit der Klage angefochtene Baugenehmigung nur aufgehoben werden, wenn dem genehmigten Vorhaben von der Baurechtsbehörde nach § 58 LBO zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Auf Rechtsmittel des Nachbarn kann eine rechtswidrige Baugenehmigung daher nur dann aufgehoben werden, wenn sie den Nachbarn in seinen subjektiven Rechten verletzt (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 08.07.1998 – 4 B 64.98 -, BauR 1998, 1206, Urteil vom 16.09.1993 – 4 C 28.91 -, NJW 1994, 1546, Urteil vom 19.09.1986 – 4 C 8.84 -, NVwZ 1987, 409, Beschluss vom 22.11.1984 – 4 B 244.84 -, BRS 42 Nr. 206; VGH Baden-Württemberg, Beschuss vom 11.11.1996 – 5 S 2595/96 -, juris, Urteil vom 11.02.1993 – 5 S 2313/92 -, juris, Beschluss vom 14.12.1990 – 8 S 2440/90 -, juris). Dass die Kläger durch die baurechtliche Entscheidung des Beklagten gerade in ihren eigenen subjektiven Rechtspositionen verletzt würden, weil die Baugenehmigung unter Verletzung ergebnisrelevanter drittschützender Verfahrensvorschriften zustande gekommen wäre (dazu 1.) oder weil dem genehmigten Bauvorhaben nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungs- (dazu 2.) oder Bauordnungsrechts (dazu 3.) entgegenstünden, lässt sich aber gerade nicht feststellen.

Der Beklagte ist zu Recht für den Übergang der Nutzung von einem Seniorenheim zu einer Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber von einer sowohl bauplanungs- (§ 29 Abs. 1 BauGB) als auch bauordnungsrechtlich (§ 58 LBO) genehmigungspflichtigen Nutzungsänderung ausgegangen. Die neue Nutzung als Gemeinschaftsunterkunft liegt nicht mehr in der Variationsbreite einer normalen Seniorenheimnutzung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.04.2014 – 8 S 1528/13 -, juris).

  1. Die Kläger können sich nicht mit Erfolg auf die Verletzung von baurechtlichen Verfahrensvorschriften berufen.

Verfahrensvorschriften im Baurecht sind lediglich hinsichtlich der Bürgerbeteiligung bei der Bauleitplanung sowie der Nachbarbeteiligung am Baugenehmigungsverfahren drittschützend (vgl. hierzu: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.08.2003 – 5 S 1219/03 -; Ortloff, NJW 1983, S. 961, Dürr, DÖV 1994, S. 841, weitere Nachweise bei Dürr, Baurecht in Baden-Württemberg, 14. Auflage 2013, Rdnr. 299 f.) Eine entsprechende Verletzung haben die Kläger nicht geltend gemacht, diese ist auch nicht ersichtlich.

Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass nicht zu beanstanden ist, dass der Beigeladene als Bauherr im Sinne von § 42 LBO vorliegend den Bauantrag gemäß § 53 Abs. 1 Satz 2 LBO gestellt hat. Der Bauherr ist auch jederzeit berechtigt, seinen Bauantrag zu ändern, anzupassen oder zu ergänzen. Den Akten lässt sich darüber hinaus eindeutig entnehmen, dass der Grund für die Reduzierung der aufzunehmenden Anzahl an Flüchtlingen die ab dem 01.01.2016 geltende Regelung der §§ 8 Abs. 1, 23 FlüAG (Art. 1 des Gesetzes zur Neuordnung der Flüchtlingsaufnahme, über die Erstattung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 19.12.2013, GBl. 2013, Nr. 18, S. 493) ist, wonach jedem Flüchtling eine höhere Anzahl an Quadratmetern zur Verfügung stehen muss. Entgegen der Auffassung der Kläger ergibt sich auch nicht aus den der Baugenehmigung beigefügten „Allgemeinen Hinweisen zur Baugenehmigung“, dass der Beklagte keinerlei Prüfung durchgeführt habe. Aus den „Allgemeinen Hinweisen zur Baugenehmigung“, die über den konkreten Nutzungsänderungsantrag hinausgehen, ergibt sich auch nicht, dass vorliegend etwas genehmigt wurde, was nicht beantragt worden ist. Dass der Beklagte vor Erteilung der Baugenehmigung nicht das Ergebnis der Vermessung der Feuertreppe abgewartet hat, ist unschädlich, da der Überbau die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung ohnehin unberührt lässt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.03.1996 – 5 S 1798/95 -, NJW 1996, 3429; BayVGH, Beschluss vom 16.08.2010 – 2 ZB 10.134 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.10.2012 -2 L 149/11 -, Rn. 26, juris; Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 27.08.2008 – 5 K 1183/07 -, Rn. 73, juris).

  1. Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften des Bauplanungsrechts ist nicht erkennbar.

2.1 Dies gilt zunächst für den Gebietserhaltungsanspruch. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann sich ein von einem Bauvorhaben betroffener Nachbar auf den sogenannten Gebietserhaltungs- bzw. Gebietsgewährleistungsanspruch berufen, wenn in einem beplanten Gebiet ein gebietsuntypisches Vorhaben zugelassen wird. Er hat auf die Bewahrung der Gebietsart einen Anspruch auch dann, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung des Nachbarn führt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.09.1984 – 4 B 147.84 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 61; Beschluss vom 09.10.1991 – 4 B 137.91 -, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 104; Beschluss vom 11.04.1996 – 4 B 51.96 -, NVwZ-RR 1997, 463).

Derselbe Nachbarschutz wie im beplanten Gebiet kann auch im unbeplanten Innenbereich gegeben sein, wenn die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 BauGB vorliegen und die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht (BVerwG, Urteil vom 16.09.1993 – 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151). Der Anspruch des Nachbarn auf die Bewahrung der Gebietsart wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsart unvereinbaren Vorhabens ausgelöst, weil hierdurch das nachbarliche Austauschverhältnis gestört und eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet wird; dieser Anspruch geht in seiner Reichweite daher über das Rücksichtnahmegebot hinaus (BVerwG, Beschluss vom 11.04.1996 – 4 B 51.96 -, NVwZ-RR 1997, 463). Der Anspruch auf Bewahrung der Gebietsart besteht im unbeplanten Innenbereich jedoch nur dann, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 16.09.1993, a.a.O.).

Nach § 34 Abs. 2 BauGB beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach Maßgabe der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der Baunutzungsverordnung bezeichnet sind, entspricht. Bei der Bestimmung der nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes gelegenen „näheren Umgebung“ ist darauf abzustellen, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die Umgebung und andererseits die Umgebung auf das Baugrundstück prägend auswirken kann (BVerwG, Urteil vom 26.05.1978 – 4 C 9.77 -, BVerwGE 55, 369). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das Baugrundstück eingebettet ist. Dabei kann die Einheitlichkeit der Bau- und Nutzungsstruktur Auswirkungen auf die Abgrenzung der im Rahmen des Einfügungsgebotes maßgeblichen näheren Umgebung haben. Je einheitlicher sich die Bau- und Nutzungsstruktur darstellt, umso eher ist ggf. bei der Bestimmung der maßgeblichen Umgebung auf einen vergleichsweise geringeren Umfang abzustellen. Die Grenze der maßgeblichen näheren Umgebung kann auch so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedener Bau- und Nutzungsstruktur aneinander stoßen (BVerwG, Beschluss vom 28.08.2003 – 4 B 74/03 -, juris).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe und auf der Grundlage der im Verfahren vorgelegten Unterlagen geht das Gericht davon aus, dass das Gebiet, in dem die Grundstücke der Kläger und des Beigeladenen liegen, wenigstens einem allgemeinen Wohngebiet i.S.v. § 4 BauNVO entspricht. Dies ergibt sich für die Kammer aus dem Umstand, dass sich nach dem von dem Beklagten mit den Behördenakten vorgelegten Lageplan in der Nähe der Grundstücke der Kläger und des Beigeladenen überwiegend Wohngebäude und dazwischen u.a. ein Getränkehandel, eine Bäckerei mit Café, eine Arztpraxis, eine Schlosserei sowie eine Rechtsanwaltskanzlei befinden. Das Gericht war auch nicht gehalten, sich im Rahmen eines Ortstermins einen eigenen Eindruck der näheren Umgebung zu verschaffen. Aufgrund der genannten Nutzungsarten scheidet die Annahme eines reinen Wohngebiets, in dem eine derartige Anzahl von Nicht-Wohnnutzungen nicht typisch – bzw. hinsichtlich der Schlosserei auch nicht zulässig – wären, aus. Soweit es sich bei dem Gebiet sogar um ein Mischgebiet handeln sollte, könnten die Kläger daraus keine für sie günstigere Rechtslage herleiten.

Unabhängig von der Einstufung von Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber als Wohnnutzung oder als Anlage für soziale Zwecke gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 3 BauNVO (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 04.06.1997 – 4 C 2.96 -, juris), ist diese Nutzung in jedem Fall nach der Art der baulichen Nutzung in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig.

Die Nutzungsänderung als Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber genügt auch dem ungeschriebenen Erfordernis der Gebietsverträglichkeit, das sich aus dem typisierenden Ansatz der Baugebietsvorschriften in der Baunutzungsverordnung rechtfertigt. Die vom Verordnungsgeber festgelegte typische Funktion der Baugebiete – ihr Gebietscharakter – schließt das Erfordernis der Gebietsverträglichkeit der in einem Baugebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässigen Nutzungsarten mit ein (BVerwG, Beschluss vom 28.02.2008 – 4 B 60.07 -, NVwZ 2008, 787). Zwischen der Zweckbestimmung des Baugebiets und den jeweils zugeordneten Nutzungsarten besteht ein funktionaler Zusammenhang, der für die Auslegung und Anwendung jeder tatbestandlich normierten Nutzungsart maßgeblich ist.

Ausgangspunkt und Gegenstand dieser typisierenden Betrachtungsweise ist das jeweils zur Genehmigung gestellte Vorhaben. Zu fragen ist, ob ein Vorhaben dieser Art generell geeignet ist, das Wohnen in einem allgemeinen Wohngebiet zu stören. Gegenstand dieser Betrachtung sind die Auswirkungen, die typischerweise von einem Vorhaben der beabsichtigten Art ausgehen. Bei dem Kriterium der Gebietsverträglichkeit geht es um die Vermeidung als atypisch angesehener Nutzungen, die den Wohngebietscharakter als solchen stören. Im vorliegenden Fall ist eine Wohnnutzung bzw. wohnähnliche Nutzung im Rahmen einer Anlage für soziale Zwecke in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet genehmigt worden. Es ist nicht erkennbar, inwieweit die allgemein zulässige genehmigte Nutzung als „Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber“ bei einer typisierenden Betrachtungsweise aufgrund ihrer typischen Nutzungsweise – bezogen auf den (typischen) Gebietscharakter eines allgemeinen Wohngebiets – störend wirken könnte. Durch die streitgegenständliche Baugenehmigung wird auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Kläger, die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft stammten „aus einem anderen Kulturkreis“, weder der typische Charakter eines allgemeinen Wohngebiets in Frage gestellt noch das Baugebiet durch das Vorhaben in Unruhe gebracht, so dass auch keine Umstrukturierung des faktischen allgemeinen Wohngebiets eingeleitet wird (vgl. BayVGH, Beschluss vom 04.11.2009 – 9 CS 09.2422 -, juris).

2.2 Das streitgegenständliche Bauvorhaben widerspricht auch nicht dem in § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerten planungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme, soweit es dem Schutz der Kläger zu dienen bestimmt ist.

Der Nachbarschutz nach § 15 Abs.1 Satz 2 BauNVO ist als Ausprägung des allgemeinen Rücksichtnahmegebots in Bezug auf Belästigungen und Störungen drittschützend und verleiht einem betroffenen Nachbarn im Fall der Verletzung ein Abwehrrecht gegen die Baugenehmigung (BVerwG, Urteil vom 25.01.2007 – 4 C 1.06 -, juris).

Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, Urteil vom 23.09.1999 – 4 C 6.98 -, BVerwGE 109, 314 und Urteil vom 18.11.2004 – 4 C 2.04 -, NVwZ 2005, 328). Entscheidend ist letztlich, ob eine für den Rücksichtnahmebegünstigten unzumutbare Beeinträchtigung entsteht.

Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots zu Lasten der Kläger nicht vor.

Die von dem Vorhaben in der nunmehr genehmigten Form – Belegung mit bis zu 80 Personen – ausgehenden Emissionen sind für die Kläger nicht unzumutbar. Von der Nutzung als Asylbewerberunterkunft gehen insbesondere keine Störungen mit bodenrechtlicher Relevanz aus. Auch der Vortrag der Kläger gibt insoweit keine näheren Anhaltspunkte.

Ob und inwieweit sich Belästigungen oder Störungen auswirken können, ist nach objektiven Maßstäben unter Berücksichtigung der bestimmungsgemäßen Nutzung der Anlage und der sich daraus ergebenden Erwartung von Auswirkungen zu beurteilen. Bei der Bewertung von Gefahren und Beeinträchtigungen nachbarlicher Interessen können nur solche Störungen berücksichtigt werden, die typischerweise bei der bestimmungsgemäßen Nutzung des Vorhabens auftreten und von bodenrechtlicher Relevanz sind (städtebauliche Gesichtspunkte). Anderen Gefahren kann im jeweiligen Einzelfall mit den Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts oder des zivilen Nachbarrechts begegnet werden (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 27.08.1992 – 10 B 3439/92 -, NVwZ 1993, 279). Bei möglichen Rechts- und Ordnungsverletzungen müssen primär bestimmte Personen als Verhaltensstörer zur Verantwortung gezogen werden (vgl. BayVGH, Urteil vom 13.09.2012 – 2 B 12.109 -, BayVBl 2013, 241).

Insbesondere bei den zu erwartenden Geräuschimmissionen handelt es sich in dem hier vorliegenden faktischen allgemeinen Wohngebiet um typische grundsätzlich hinzunehmende Wohngeräusche, selbst wenn – wie die Kläger vortragen – sich der Lebensrhythmus und die Gewohnheiten der Asylbewerber von denen der Ortsansässigen unterscheiden sollte. Es ist kein im baurechtlichen Sinne schützenswerter Belang, bei einer Nutzung, die typischerweise Wohngeräusche verursacht, nach verschiedenen Personengruppen und deren sozialtypischen Verhaltensweisen zu differenzieren. Unterschiede in den Lebensgewohnheiten und im Wohnverhalten verschiedener Bevölkerungsgruppen sind baurechtlich ohne Relevanz (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 22.07.1991 – 7 B 1226/91 -, NVwZ 1991, 1003; VGH Kassel, Beschluss vom 29.11.1989 – 4 TG 3185/89 -, NJW 1990,1131).

Baurechtliche Beachtung kann im Rahmen des Rücksichtnahmegebots allein die Belegungsdichte finden, von der die bodenrechtliche Relevanz abhängen kann. Mit einer Belegungsdichte von 80 Personen befinden sich in dem streitgegenständlichen Gebäude zwar deutlich mehr Personen als in einem normalen Wohnhaus. Auch eine intensivere Nutzung dieser Art muss in einem allgemeinen Wohngebiet jedoch grundsätzlich hingenommen werden (vgl. VG München, Beschluss vom 25.11.2014 – M 8 SN 14.4859 -, Rn. 30, juris für eine Belegungsdichte bis zu 250 Personen). Dies gilt erst recht im Hinblick darauf, dass das Gebiet und vor allem auch das Grundstück der Kläger durch die vorherige Nutzung des streitgegenständlichen Gebäudes als Seniorenheim und Krankenhaus erheblich vorbelastet war. Mit einer Belegungsdichte zwischen 30 und 57 Personen zuzüglich Pflege- und Versorgungspersonal wurde auch das Seniorenheim in einem erheblichen Umfang genutzt. Zwar haben die Kläger ihr Wohnhaus zu einem Zeitpunkt errichtet, zu dem das Nachbargebäude leer stand. Indes war die Nutzung insgesamt nur fünf Jahre unterbrochen, sodass sie nicht davon ausgehen konnten, dass zukünftig keine erneute Belegung des Gebäudes erfolgen würde. Das streitgegenständliche Gebäude prägt daher seinerseits die Umgebungsbebauung entsprechend weiter. Die Nutzung des Gebäudes war auch nicht auf die bereits genehmigte Nutzung als Seniorenheim beschränkt. Vielmehr bietet ein Gebäude dieser Größe eine Vielzahl von möglichen Nutzungsarten für soziale Zwecke, die nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO alle gleichermaßen im allgemeinen Wohngebiet zulässig sind. Eine erhebliche, zu einer Unzumutbarkeit führende Intensivierung durch die Unterbringung von nunmehr 80 Personen kann vor diesem Hintergrund nicht erkannt werden.

2.3 Die in § 34 Abs. 1 BauGB genannten weiteren Einfügungsvoraussetzungen, insbesondere das Maß der baulichen Nutzung, sind für sich betrachtet nicht nachbarschützend (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2004 – 4 C 10.03 -, NVwZ 2004, 1244). Allerdings enthält auch § 34 Abs. 1 BauGB mit dem Begriff des „Einfügens“ nach ständiger Rechtsprechung das Gebot der Rücksichtnahme. Die Anzahl der Wohnungen in einem Gebäude ist dabei kein Kriterium zur Beurteilung der Frage, ob sich ein Vorhaben im Sinne des § 34 Abs.1 BauGB einfügt (BVerwG, Beschluss vom 24.04.1989 – 4 B 72.89 -, NVwZ 1989,1060; BVerwG, Urteil vom 13.06.1980 – IV C 98.77 -, NJW 1981, 473). Die Kläger können sich somit auch nicht unter diesem Gesichtspunkt mit Erfolg auf die mit der erhöhten Belegungsdichte bei einer Nutzung als Gemeinschaftsunterkunft einhergehenden Wohnnutzung in massierter Form berufen (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 06.02.2014 – AN 9 K 13.02098 -, juris).

2.4 Auch die von den Klägern behauptete fehlende Erschließung, weil eine vorhandene Feuertreppe des Gebäudes auf dem Vorhabengrundstück sich teilweise auf ihrem Grundstück befinde, führt nicht zum Erfolg ihrer Klage. Bei dem Überbau handelt es sich um eine zivilrechtliche Frage, die das Erfordernis der Erschließung unberührt lässt.

Sie können auch nicht mit dem Einwand der fehlenden Erschließung hinsichtlich der Abwasserentsorgung durchdringen. Zwar ist in ihrem Fall diesbezüglich ausnahmsweise Drittschutz anzunehmen, die Geltendmachung der mangelnden Erschließung ist jedoch aufgrund des langen Bestehens des streitgegenständlichen Gebäudes verwirkt.

Das Erfordernis der gesicherten Erschließung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist grundsätzlich nicht nachbarschützend. Etwas anderes gilt zugunsten des Nachbarn nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, etwa wenn gerade durch die streitgegenständliche Baugenehmigung die Verpflichtung des Nachbarn zur Duldung eines zivilrechtlichen Notwegerechts wegen fehlender Erschließung des Baugrundstücks begründet wird (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.12.2001 – 8 S 274/01 -, juris). Diese ausnahmsweise eröffnete Rechtsschutzmöglichkeit des Nachbarn gilt auch für den Fall eines „Notleitungsrechts“ entsprechend (Bayerischer VGH, Beschluss vom 30.4.2007 – 1 CS 06.3335 -; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 03.02.2014 – 9 CS 13.1916 -, Rn. 14, juris). Das Erfordernis der ausreichenden Erschließung ist nicht nur bei der Errichtung, sondern auch der Nutzungsänderung eines schon bestehenden Gebäudes stets neu zu prüfen (VG München, Urteil vom 17.07.2014 – M 11 K 13.4052 – und – M 11 K M 11 K 13.4124 -, Rn. 25, juris ; VG Würzburg, Urteil vom 22.07.2014 – W 4 K 14.137 -, Rn. 23, juris; VG Berlin, Urteil vom 15.07.2015 – 19 K 273.14 -, Rn. 39, juris; VG Würzburg, Urteil vom 10.03.2015 – W 4 K 14.768 -, Rn. 28, juris).

2.4.1 Das Vorhabengrundstück besitzt ausweislich des klägerischen, unbestrittenen Vortrags keinen eigenen Abwasserkanal, sondern wird ausschließlich über das Grundstück der Kläger entwässert. Die Benutzung des klägerischen Abwasserkanals ist auch nicht dinglich gesichert, sodass der Beigeladene derzeit lediglich ein Notwege- bzw. Notleitungsrecht gemäß § 917 BGB geltend machen kann. Dies ist der einzige Fall, in dem ein Nachbar die mangelnde Erschließung eines Bauvorhabens rügen kann, da er nicht auf die Geltendmachung seiner privaten, zivilrechtlichen Rechte gemäß § 58 Abs. 3 LBO verwiesen werden kann, weil die bestandskräftige Baugenehmigung zu einem Duldungsrecht und damit der Vereitlung des zivilrechtlichen Abwehranspruchs führen würde.

2.4.2 Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Gebäude und die Erschließung über das klägerische Grundstück bereits seit über 100 Jahren bestehen. Die Kläger können deswegen die mangelnde Erschließung nicht mehr geltend machen.

Die Verwirkung von Nachbarrechten setzt voraus, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Abwehrrechts eine längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die seine verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist der Fall, wenn erstens der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), zweitens der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt würde (Vertrauenstatbestand) und drittens er sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung). Bei öffentlich-rechtlichen Nachbarstreitigkeiten ist insoweit die Besonderheit zu beachten, dass sich der Abwehranspruch des von einem Bauvorhaben berührten Nachbarn zwar formell gegen die Behörde richtet, von der Rechtsausübung materiell betroffen aber der Bauherr ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.09.1991 – 3 S 2000/91 – VBlBW 1992, 103 m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.03.2014 – 8 S 1938/12 -, Rn. 45, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01.06.2011 – 8 A 10196/11 -, Rn. 63, juris).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs haben die Kläger ihre materiell-rechtlichen Abwehransprüche verwirkt.

Das Gebäude wurde unstreitig ca. 70 Jahre als Krankenhaus und danach 30 Jahre als Seniorenheim genutzt. In dieser Zeit wurde auch das Vertrauen in die Zulässigkeit der Abwasserentsorgung betätigt, indem das Gebäude unterhalten und umgebaut wurde. Die zuvor erteilten Baugenehmigungen wurden folglich im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit ausgenutzt. Der Verwirkung der materiellen Abwehrrechte steht auch nicht entgegen, dass die Erschließung von der Baurechtsbehörde bei der Nutzungsänderung erneut zu prüfen ist. Selbst wenn das Gebäude bisher ungenehmigt genutzt worden wäre, käme eine Verwirkung der materiellen – nicht der Verfahrensrechte – Abwehrrechte in Betracht (vgl. OVG Münster, Urteil vom 02.03.1999, – 10 A 2343/97 -, BRS 62 Nr. 194 (1999); VG Würzburg, Beschluss vom 06.02.2013 – W 5 S 13.62 -, Rn. 23, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.12.2007 – 3 S 2107/07 -, Rn. 15, juris). Daher kann die Verwirkung der Klage eines Nachbarn gegen eine Nutzungsänderungsgenehmigung erst recht entgegen gehalten werden.

Der Einwand der mangelnden Erschließung kann auch verwirkt werden. Insbesondere steht die Annahme der Verwirkung nicht im Widerspruch zu den zivilrechtlichen Ansprüchen des Nachbarn auf Unterlassung. Soweit ein Notwegerecht nicht berechtigt und damit vom Nachbarn nicht zu dulden wäre, könnte sich der Nachbar gemäß § 1004 BGB analog gegen die Nutzung seines Grundstücks wehren. Auch dieser Anspruch unterliegt aber der Verjährung und erst recht der Verwirkung (vgl. Kohler/ Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 902 Rn. 5). Die durch den ausnahmsweise bestehenden Drittschutz bezweckte Parallelität der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung und der zivilrechtlichen Abwehransprüche des Nachbarn vor dem Hintergrund des § 917 BGB wird damit nicht umgangen, da die Verwirkung bzw. Verjährung in beiden Fällen zu berücksichtigen ist.

Für die Verwirkung unerheblich ist auch, dass die Kläger nicht in den vollen vergangenen 100 Jahren Eigentümer des Grundstücks waren. Die jeweiligen Abwehrrechte sind dinglich, d.h. auf die beteiligten Grundstücke bezogen, so dass der neue Eigentümer in die Rechtsstellung des früheren einrückt (BVerwG, Beschluss vom 09.02.1989 – 4 NB 1/89 -, BayVBl. 1989, 665, juris). Es wäre im Übrigen einem Grundstückseigentümer nicht zumutbar, Rechtsnachteile gegenüber einem Nachbargrundstück allein auf Grund eines Eigentumswechsels auf diesem Grundstück hinnehmen zu müssen (Bayerischer VGH, Beschluss vom 28.03.1990 – 20 B 89.3055 -, Rn. 22, juris; VG Würzburg, Beschluss vom 06.02.2013 – W 5 S 13.62 -, Rn. 24, juris).

  1. Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften des Bauordnungsrechts liegt hinsichtlich der nunmehr erteilten Baugenehmigung ebenfalls nicht vor.

3.1 Soweit die Kläger darauf verweisen, die Behördenakten enthielten Angaben hinsichtlich zu erfüllender brandschutzrechtlicher Anforderungen für die beantragte Nutzungsänderung, sind die entsprechenden Anforderungen als Nebenbestimmungen auf Seite 4 der Baugenehmigung vom 29.10.2014 Bestandteil der Genehmigung geworden. Dies ist nicht zu beanstanden.

3.2 Soweit die Kläger eine Verletzung von Abstandsflächen geltend machen, ist diese Rüge – unabhängig von ihrer baurechtlichen Beurteilung – ebenfalls verwirkt (vgl. dazu bereits oben 2.4.2; zur Verwirkung von Abwehrrechten hinsichtlich Abstandsflächen bei Nutzungsänderungen vgl. zudem Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 08.10.2014 – 5 K 808/13 -, Rn. 65, juris).

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs.1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen. Er hat einen Antrag gestellt und ist daher ein Kostenrisiko eingegangen (vgl. § 154 Abs. 3 Halbs. 1 VwGO und VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.01.2011 – 8 S 2567/10 -, ESVGH 61, 159).

III.

Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die Berufung zulassen kann, liegen nicht vor (§ 124 a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO).

BESCHLUSS

Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 7.500 EUR festgesetzt.

Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (1)

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (1):

Hamburgisches OVG: Folgeunterkunft: Einstweiliger Rechtsschutz abgelehnt

Die Beschwerde von zwei Anwohnern gegen den Beschluss, mit welchem die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Errichtung und den Betrieb einer Folgeunterkunft abgelehnt wurde, wurde zurückgewiesen. Die Baugenehmigung kann vollzogen werden.

Hamburgisches OVG, Beschluss vom 30.09.2016 – 2 Bs 110/16

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die von der Antragsgegnerin zugunsten der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau einer Flüchtlingsunterkunft.

Das Vorhabengrundstück (Flurstücke … [vormals …] und … [vormals …] der Gemarkung B…) ist ca. 79.200 qm groß und wurde bislang landwirtschaftlich genutzt. Es liegt in der Mitte eines Dreiecks, das gebildet wird im Nordosten durch die Bahnlinie …, einschließlich einer dazu parallel verlaufenden S-Bahn-Linie, im Süden durch einen alten Bahndamm und im Nordwesten durch die Straße M… .

L… Sein größeres Flurstück … grenzt unmittelbar sowohl an die Bahnlinie als auch den Bahndamm und liegt von der Straße etwa 150 m nach Osten versetzt zurück und reicht dort bis zum B… Graben. Es wird durch das kleinere Flurstück … auf einer Breite von ca. 50 m mit der Straße verbunden. Südlich und nördlich des letztgenannten Flurstücks liegen ebenfalls am M… L… zwei Kleingartengelände. Zwischen dem nördlichen Kleingartengelände und dem Flurstück … liegen zwei mit Wohnhäusern bebaute Grundstücke, wovon eines im Eigentum des Antragstellers zu 2) steht und von ihm bewohnt wird (Flurstück …). Westlich des M… L… befindet sich ein weiteres Kleingartengelände. Südlich davon und parallel zum alten Bahndamm verläuft der beidseitig mit Wohnhäusern bebaute L…, der in den M… L… mündet. An seinem Beginn befindet sich ein Grundstück (Flurstück …), das mit einem Doppelhaus bebaut ist. Dessen nördliche Hälfte steht im Eigentum des Antragstellers zu 1) und wird von ihm bewohnt.

Der gesamte Bereich beiderseits des M… L…, zwischen der Bahnlinie im Norden und dem alten Bahndamm im Süden, wird im Baustufenplan Bezirk … I vom 10. März 1953, erneut festgestellt am 14. Januar 1955, als Bahnfläche dargestellt. Der Flächennutzungsplan stellt einen Streifen von etwa 60 m Tiefe östlich des M… L… als gemischte Baufläche, das weitere Gelände östlich davon bis zum B… … als gewerbliche Baufläche dar. Ebenfalls als gemischte Baufläche ist an der Einmündung des L… ein Streifen von etwa 70 m Tiefe auf der westlichen Seite des M… L… vorgesehen. Der weitere L… und ein Bereich in dessen gedachter Verlängerung nach Nordwesten, entlang des alten Bahndamms, wird als Wohnbaufläche dargestellt. Nördlich davon, auf der westlichen Seite des M… L…, wird die übrige Fläche Bahnanlagen vorbehalten.

Die Beigeladene beabsichtigt auf dem Vorhabengrundstück die Errichtung einer Folgeunterbringung für Flüchtlinge, wobei die Wohnungen zukünftig schrittweise in eine Wohnnutzung überführt werden sollen. Hierfür beantragte sie unter dem 17. Dezember 2015 die Erteilung einer Baugenehmigung im Verfahren mit Konzentrationswirkung für den Neubau einer Unterkunft für Flüchtlinge oder Asylbegehrende mit bis zu 3.400 Plätzen und Folgeeinrichtungen in 19 mehrgeschossigen Gebäuden. Unter Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erteilte die Antragsgegnerin daraufhin zunächst am 26. Februar 2016 eine Teilbaugenehmigung für die Abtragung des Oberbodens, die Aufschüttung des Geländes um 1,5 m und die Herstellung der Oberflächenentwässerung und der notwendigen Pfahlgründungen. Hiergegen legten die Antragsteller Widerspruch ein und beantragten beim Verwaltungsgericht Hamburg die Anordnung seiner aufschiebenden Wirkung (9 E 973/16). Ihre Beschwerde gegen die Ablehnung einer Zwischenverfügung wies das erken-nende Gericht mit Beschluss vom 11. März 2016 (2 Bs 33/16; NVwZ-RR 2016, 492 f.) zurück, weil nicht ersichtlich sei, dass die Antragsteller bereits durch die genehmigten Teilbauarbeiten in ihren Rechten verletzt sein könnten. Nach Erteilung der Baugenehmigung stellte das Verwaltungsgericht das Verfahren ein.

Unter dem 18. April 2016 erteilte die Antragsgegnerin eine Baugenehmigung mit Konzentrationswirkung. Dagegen legten die Antragsteller am selben Tag Widerspruch ein. Ferner beantragten sie beim Verwaltungsgericht Hamburg dessen aufschiebende Wirkung anzuordnen. Dieses lehnte den Antrag mit Beschluss vom 10. Juni 2016 (9 E 1791/16), zugestellt am 21. Juni 2016, ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Baugenehmigung werde in einem Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht aufzuheben sein, weil sie weder an einem durchgreifenden Verfahrensfehler leide noch die Antragsteller in deren subjektiven Rechten verletze.

So sei die Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung nach Maßgabe der landesrechtlichen Vorschriften nicht zu beanstanden. Die Bekanntmachung, welche Unterlagen bei dieser ausgelegt worden sind, sei zwar fehlerhaft gewesen, doch sei keine konkrete Möglichkeit zu erkennen, dass sich dieser Fehler auf die Entscheidung ausgewirkt habe. Soweit die Antragsteller die Fehlerhaftigkeit der ausgelegten umweltbezogenen Unterlagen rügten, würden sie inhaltliche Mängel, jedoch keine Verfahrensfehler geltend machen, die allein zur Aufhebung der Genehmigung führen könnten.

Darüber hinaus seien sie in ihren subjektiven öffentlichen Rechten nicht verletzt. Selbst wenn die Dimension des Vorhabens die Antragsgegnerin verpflichtet haben sollte, zuvor einen Bebauungsplan aufzustellen, sei ein Anspruch der Antragsteller hierauf gesetzlich ausdrücklich ausgeschlossen. Zudem könne ein Nachbar nicht verlangen, dass eine Baugenehmigung nur nach einer korrekten Abwägungsentscheidung erteilt werde, auch wenn seine Belange bei einer derartigen Entscheidung stärkere Berücksichtigung finden würden, als bei der Entscheidung über eine Baugenehmigung. Die Antragsteller könnten schließlich nicht mit Erfolg die Verletzung des Rücksichtnahmegebots geltend machen. Selbst wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig sein sollte und sich dadurch der Abwägungsmaßstab zu Lasten des Bauherrn verschärfen würde, läge kein Verstoß gegen jenes Gebot vor. Die in der Baugenehmigung getroffenen Vorkehrungen würden Gefahren durch eine unzureichende Entwässerung der Nachbargrundstücke, Setzungen des aufgeschütteten Erdreichs und die mit den Bauarbeiten verbundenen Erschütterungen sowie erhebliche Belästigungen durch den dabei entstehenden Lärm ausschließen. Auch der mit der Flüchtlingsunterkunft zu erwartende Verkehrslärm werde gegenüber den Antragstellern nicht rücksichtslos sein. Bei einer auf dauerhaftes Wohnen angelegten Folgeunterkunft sei anzunehmen, dass auch ein Teil der Bewohner über Fahrzeuge verfügen werde. Das von der Beigeladenen im vorangegangenen Eilverfahren vorgelegte Gutachten vom 31. März 2016 komme allerdings unter Berücksichtigung aller vorhandenen 253 Stellplätze zu einer Lärmimmissionsprognose, deren Werte keine unzumutbare Beeinträchtigung des Antragstellers zu 2) erwarten lasse. Gleiches gelte hinsichtlich des Antragstellers zu 1) aufgrund eines von der Beigeladenen vorgelegten Gutachtens vom 17. Mai 2016, welches die gleichen Annahmen treffe wie dasjenige vom 31. März 2016. Keiner Betrachtung bedürfe die vorgesehene Anschlussnutzung der Gebäude, da sie nicht Gegenstand der angefochtenen Baugenehmigung sei.

II.

Die am 22. Juni 2016 fristgerecht (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) eingelegte und am 18. Juli 2016 rechtzeitig (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) begründete Beschwerde bleibt erfolglos. Sie ist unbegründet, weil die mit ihr dargelegten Gründe, die das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO allein zu prüfen hat, nicht geeignet sind, die den Beschluss des Verwaltungsgerichts tragenden Gründe in Frage zu stellen.

1. Das Verwaltungsgericht hat die Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung nach Maßgabe des hamburgischen Landesrechts unbeanstandet gelassen, weil sich die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung aus diesem und nicht dem Bundesrecht ergebe. Es fehle schon seinem Wortlaut nach an den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Nr. 18.7.2 der Anlage 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2490), weil die Antragsgegnerin auf die Durchführung eines Bauleitplanverfahrens verzichtet und eine Baugenehmigung erteilt habe. Das Vorhaben unterfalle daher nach § 1 Abs. 1 i.V.m. Nr. 2.6.2 der Anlage 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung in Hamburg (Hmb-UVPG) vom 10. Dezember 1996 (HmbGVBl. S. 310), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 2. Dezember 2013 (HmbGVBl. S. 484), dem Anwendungsbereich jenes Gesetzes.

a) Diese Begründung wird von den Antragstellern nicht dadurch erschüttert, dass sie von der objektiv-rechtlichen Erforderlichkeit eines Bauleitplanverfahrens ausgehen und in dessen Vermeidung durch die Antragsgegnerin einen Umgehungstatbestand sehen, der nach den „allgemeinen Grundregeln des deutschen Rechts“ unzulässig sei. Entgegen der Auffassung der Antragsteller sind deswegen weder die bundesrechtlichen Verfahrensvor-schriften für die Aufstellung eines Bauleitplans noch jene für die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung anzuwenden. Dies gilt nicht nur, weil es keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz zur Geltung umgangener Verfahrensvorschriften gibt, sondern vor allem deshalb, weil es bereits an einem Umgehungstatbestand fehlt. Die Antragsgegnerin war nicht verpflichtet, vor der Genehmigung des Vorhabens der Beigeladenen einen Bebauungsplan zu erlassen.

Das Planungsermessen einer Gemeinde bei der Aufstellung eines Bebauungsplans umfasst neben dem „Wie“ auch das „Ob“ und „Wann“ planerischer Gestaltung; es umfasst sowohl ein Entschließungs- als auch ein Gestaltungsermessen. Grundsätzlich bleibt es der Einschätzung der Gemeinde überlassen, ob sie einen Bebauungsplan aufstellt, ändert oder aufhebt; sie darf sich insbesondere darauf verlassen, dass die planersetzenden Vorschriften der §§ 34, 35 BauGB zur Steuerung der städtebaulichen Entwicklung in Teilbereichen ihres Gebiets ausreichen. Dieses Ermessen wird durch § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB nur begrenzt, sobald und soweit die Aufstellung eines Bebauungsplans aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.9.2003, BVerwGE 119, 25, 28 f.). Es verdichtet sich im unbeplanten Innenbereich zur strikten Planungspflicht, wenn qualifizierte städtebauliche Gründe von besonderem Gewicht vorliegen. Diese Verpflichtung entsteht nicht schon dann, wenn ein planerisches Einschreiten vernünftigerweise geboten wäre, sondern sie setzt besonders gewichtige Gründe voraus und besitzt Ausnahmecharakter. Ein derart dringender Planungsbedarf besteht daher erst dann, wenn die Genehmigungspraxis städtebauliche Konflikte auslöst, die eine Gesamtkoordination der widerstreitenden Belange in einem förmlichen Planungsverfahren dringend erfordern. Dieser Zustand ist jedenfalls dann erreicht, wenn städtebauliche Missstände oder Fehlentwicklungen bereits eingetreten sind oder ihr Eintritt in naher Zukunft droht (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.9.2003, a.a.O., S. 32). Das Erfordernis einer derartigen Bebauungsplanung hat aber auch dann nicht zur Folge, dass ohne die Planung eine Bebauung unterbleiben müsste. Vielmehr zielt es darauf ab, die bauliche Entwicklung in eine andere Richtung zu lenken (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.10.2013, UPR 2014, 184, 191, Rn. 56; Urt. v. 24.10.1980, BVerw-GE 61, 128, 133 f.).

Die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 26 v. 28.1.2012, S. 1, im Folgenden: UVP-RL) ändert hieran nichts. Zwar stellt Art. 2 Abs. 1 UVP-RL ein Genehmigungserfordernis für Projekte mit erheblichen Umweltauswirkungen auf, doch ergibt sich aus dem weiteren Inhalt der Richtlinie nicht, dass dem nur durch eine planerische Abwägungsentscheidung Rechnung getragen werden kann. Dem steht bereits entgegen, dass die Richtlinie nur verfahrensrechtliche Anforderungen zum Gegenstand hat (BVerwG, Urt. v. 24.10.2013, a.a.O., S. 191 f. zur UVP-RL in der alten Fassung).

Nach diesem Maßstab ergeben sich aus dem Beschwerdevorbringen der Antragsteller (oder aus dem sonstigen Akteninhalt) schon keine hinreichenden Gründe für eine derartige Planungspflicht. So liegt das bislang unbebaute Vorhabengrundstück bereits nicht in einem unbeplanten Innenbereich des § 34 Abs. 1 oder 2 BauGB, sondern im Außenbereich nach § 35 BauGB. Die Distanz zwischen den beiden Wohnhäusern östlich des M… L… und den weiteren nächstgelegenen Gebäuden am B… … ist zu groß, als dass es sich dabei unter Einschluss des unbebauten Vorhabengrundstücks um einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil handeln könnte. Zudem spricht zwar die Dimensionierung des Vorhabens dafür, dass die Erstellung eines Bebauungsplans sinnvoll sein könnte, doch löst diese Dimension alleine noch keinen, nur im Wege einer Bebauungsplanung lösbaren städtebaulichen Konflikt aus. Die Auswirkungen des Vorhabens auf seine Umgebung werden durch seine Lage zwischen den Bahndämmen im Norden und Süden erheblich eingegrenzt. Und dafür, dass seine Auswirkungen auf die wenigen Häuser am B… und die spärliche Bebauung am M… L… grundsätzlich nicht durch Auflagen zur Baugenehmigung beherrschbar sein sollten, spricht nichts.

b) Die Begründung des Verwaltungsgerichts zur Anwendbarkeit des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung in Hamburg wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass als Bebauungsplan i.S.v. Nr. 18.7.2 der Anlage 1 des UVPG auch eine formlose Bauleitplanung anzusehen wäre. Es kann dahinstehen, ob die Auffassung der Antragsteller zutreffend ist, dass eine derartige formlose Planung dem Gesamtvorhaben zugrunde liegt. Dieses umfasst tatsächlich, neben den von der angefochtenen Baugenehmigung erfassten Gebäuden und der Erschließungsstraße, noch ein Versorgungshaus und eine weitere Lärmschutzwand, die nicht Gegenstand dieser Baugenehmigung geworden sind. Unzutreffend ist aber ihr Ansatz, dass der Begriff des Bebauungsplans im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung derart weit auszulegen sei.

Der von den Antragstellern für ihre Auffassung herangezogene Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 16. November 2006 (7 E 2847/06) wurde durch das Beschwerdegericht mit dem Beschluss vom 16. Januar 2007 (2 Bs 344/06) aufgehoben. Hierin hat es ausgeführt, dass im Interesse der Rechtsicherheit im Hinblick auf die in den §§ 3 ff. BauGB geregelten Beteiligungsrechte für die Einleitung eines Bauleitplanverfahrens ein klar definierter und nach Außen erkennbarer Akt erforderlich ist. Dies ist der Aufstellungsbeschluss, welcher nach § 2 Abs. 1 BauGB ortsüblich bekannt gemacht wird. Diese Erwägungen sind auf den Begriff des Bebauungsplans in Nr. 18.7.2 der Anlage 1 des UVPG zu übertragen, denn auch hier bedarf es für das in Kraft treten der mit der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung verbundenen Verfahrensrechte eines eindeutigen Anknüpfungspunktes. An einem derartigen Aufstellungsbeschluss fehlt es im vorliegenden Fall.

c) Schließlich war die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht nach Maßgabe des Bundesrechts durchzuführen, weil diesem nach § 4 UVPG der Vorrang vor dem hamburgischen Landesrecht einzuräumen gewesen wäre. Mit dem hierauf abzielenden Vorbringen haben die Antragsteller nicht die gegenteilige Ansicht des Verwaltungsgerichts erschüttert, dass die Verfahrensregelungen des § 1 Abs. 4 Satz 1 HmbUVPG i.V.m. § 9 3 UVPG durch die weitergehenden Bestimmungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 UVPG i.V.m. § 73 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 bis 7 VwVfG (längere Auslegungs- und Stellungnahmefristen, zusätzlicher Erörterungstermin) nicht verdrängt werden. Zutreffend beruft es sich darauf, dass die Vorrangregelung des § 4 UVPG in diesem Fall nicht eingreift, weil ihre Anwendung aufgrund von § 3 Abs. 1 Satz 1 UVPG gegenständlich auf die in der Anlage 1 aufgeführten Vorhaben und damit den Anwendungsbereich des Gesetzes begrenzt wird (vgl. BT-Drs. 11/3919, S. 23; Appold in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl. 2012, § 4 Rn. 1; Gallas in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Feb. 2016, § 4 UVPG Rn. 1; Gassner, UVPG, § 4 Rn. 4).

Die Wirkung des § 4 UVPG geht auch nicht etwa deswegen über den gegenständlichen Anwendungsbereich des Gesetzes hinaus, weil ihm aufgrund seines Satzes 1 generell gegenüber allen „Rechtsvorschriften der Länder“ ein Vorrang eingeräumt werden soll, soweit diese „in ihren Anforderungen diesem Gesetz nicht entsprechen“. Vielmehr werden davon nur diejenigen Rechtsvorschriften betroffen, die die Länder – ausnahmsweise – in den dem Bund zugewiesenen Kompetenzbereichen erlassen. Bis zur Neuregelung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern (Föderalismusreform I) durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) betraf dies jedenfalls die Rahmengesetzgebung durch den Bund, insbesondere auf den Feldern des Naturschutzes, der Landschaftspflege, der Raumordnung und des Wasserhaushalts (vgl. Gallas/Sangenstedt in: Landmann/Rohmer, a.a.O., § 3 UVPG, Rn. 16) nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 GG in der Fassung des Gesetzes vom 26. Juli 2002 (BGBl I S. 2863). So oblag es z.B. dem Landesrecht, bei zahlreichen wasserwirtschaftlichen Vorhaben deren UVP-Pflicht festzustellen (vgl. Nr. 13 der Anlage 1 zum UVPG in der Fassung der Änderung vom 22. Dezember 2008 [BGBl I S. 2986]), wobei die Anforderungen des § 3d UVPG a.F. zu berücksichtigen waren. Nunmehr kann sich ein derartiges Nebeneinander von Bundes- und Landesrecht dort ergeben, wo die Länder im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung aufgrund von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG abweichende Regelungen treffen; auch dies betrifft die für eine Umweltverträglichkeitsprüfung relevanten Felder der ehemaligen Rahmengesetzgebung (vgl. Kment in: Hoppe/Beckmann, a.a.O., Einl Rn. 38 ff.). Entgegen der Auffassung der Antragsteller ergibt sich eine weite Auslegung des § 4 UVPG und damit der Vorrang jenes Gesetzes auch im originären Kompetenzbereich der Länder nicht aus Art. 31 GG, denn diese Vorschrift setzt gerade eine kompetenzgemäß erlassene Bestimmung des Bundesrechts voraus (BVerwG, Beschl. v. 13.12.2010, Buchholz 11 Art. 31 GG Nr. 2, Rn. 7; Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 14. Aufl. 2016, Art. 31 Rn. 3). Zudem wird der Bund weder durch das Europarecht (vgl. Kment, a.a.O., Einl Rn. 40) noch durch das Grundgesetz (vgl. Gallas/Sangenstedt, a.a.O., Rn. 17), insbesondere nicht durch die Art. 83 ff. GG (vgl. Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 83, Rn. 2) ermächtigt, Verfahrensbestimmungen außerhalb seiner materiellen Gesetzgebungskompetenzen zu treffen.

2. Die Antragsteller erschüttern gleichfalls nicht die Begründung des Verwaltungsgerichts, dass der vom Gericht zutreffend festgestellte Fehler bei der öffentlichen Bekanntmachung des Bauvorhabens und der Auslegung der Unterlagen über dessen Umweltauswirkungen nach § 6 UVPG nicht zur Aufhebung der Baugenehmigung führt. Es sieht hierin einen Verfahrensfehler nach § 4 Abs. 1a Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) vom 8. April 2013 (BGBl. I S. 753), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2069), für den nach dem Maßstab des § 46 VwVfG nicht die konkrete Möglichkeit einer Auswirkung auf die Entscheidung bestanden habe.

Die Auffassung der Antragsteller, dieser Fehler müsse ebenso wie in Verfahren zur Aufstellung von Bebauungsplänen grundsätzlich ergebnisrelevant sein, also regelmäßig zur Aufhebung der Baugenehmigung führen, lässt die jüngst dazu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung außer Acht, der sich das Beschwerdegericht angeschlossen hat. Ein derartiger Bekanntmachungsfehler fällt danach nicht unter die in § 4 Abs. 1 Nr. 3 Umw-RG normierten absoluten Verfahrensfehler, weil er nach Art und Schwere nicht mit den in Nr. 1 oder Nr. 2 genannten Fällen vergleichbar ist (so BVerwG, Urt. v. 21.1.2016, NVwZ 2016, 844, 848, Rn. 47; Beschl. v. 21.6.2016, NVwZ 2016, 1257, 1258, Rn. 7). Er führt ebenfalls nicht nach § 44 HmbVwVfG zur Nichtigkeit der Baugenehmigung, da eine fehlerhafte Bekanntmachung weder zum Fehlerkatalog des Absatzes 2 gehört noch der Fehler offensichtlich i.S.d. Absatzes 1 ist (OVG Hamburg, Beschl. v. 24.8.2016, 2 Bs 113/16, S. 10 BA). Dementsprechend führt er, anders als vergleichbare Fehler bei der Anwendung von § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB (vgl. BVerwG Urt. v. 18.7.2013, BVerwGE 147, 206, 213 f., Rn. 23; OVG Hamburg, Urt. v. 15.4.2015, 2 E 2/13.E, juris, Rn. 58), nicht regelhaft, sondern nur unter den Bedingungen des § 46 VwVfG zur Aufhebung der Entscheidung. Die Antragsteller haben weder behauptet noch ansatzweise dargelegt, dass diese Voraussetzungen entgegen der Überzeugung des Verwaltungsgerichts vorliegen.

3. Die Antragsteller dringen gleichfalls nicht mit dem Vorbringen durch, dass ein weiterer Verfahrensfehler i.S.d. § 4 UmwRG vorliege. Dies hat das Verwaltungsgericht sowohl für § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 als auch § 4 Abs. 1a UmwRG ausgeschlossen, insbesondere weil sich die Rügen der Antragsteller über unzureichende Untersuchungen im Rahmen der Umweltverträglichkeitsstudie, die Oberflächlichkeit der Studie selbst und die Verwendung veralteten Datenmaterials auf inhaltliche Mängel, nicht jedoch Verfahrensmängel beziehen würden. Dem halten die Antragsteller entgegen, dass es nach dem Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung möglich sein müsse, anhand der ausgelegten Unterlagen die tatsächlichen Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt nachvollziehen und selber bewerten zu können; anderenfalls komme dies der Nichtdurchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung gleich. Ihrer Auffassung nach sei bei den ausgelegten Unterlagen eine Grenze überschritten worden, ab der deren mangelnde Qualität in einen Verfahrensfehler umschlage. Die Erwägungen der Antragsteller hierzu sind jedoch nicht geeignet, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen.

a) Das Verwaltungsgericht geht im Ansatz zutreffend davon aus, dass die Antragsteller – als Beteiligte nach § 61 1 VwGO – aufgrund von § 4 Abs. 3 Satz 1 UmwRG nur die zuvor in deren Absätzen 1 bis 2 genannten Verfahrensfehler geltend machen können. Entsprechend dem Begriff des Verwaltungsverfahrens nach § 9 VwVfG sind dies Mängel, die bei der Prüfung der Voraussetzungen, der Vorbereitung und dem Erlass einer Entscheidung auftreten. Zu jenen Verfahrensfehlern zählen daher auch diejenigen Mängel, die bei der Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung entstehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2011, BVerwGE 141,171, 174 f., Rn. 17), nicht aber solche, die die inhaltliche Richtigkeit der anschließend getroffenen verfahrensbeendenden Entscheidung berühren. Derartige materielle Mängel können nur, soweit sie sich aus Rechtsvorschriften ergeben, die dem Umweltschutz dienen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG), von anerkannten Vereinigungen gerügt werden. Zu der Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung gehört nach § 9 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1b UVPG u.a., die Unterlagen nach § 6 UVPG zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen. Dabei auftretende Mängel stellen daher einen Verfahrensfehler dar (BVerwG, Urt. v. 21.1.2016, NVwZ 2016, 844, 845, Rn. 24); hierzu gehört auch, wenn die ausgelegten Unterlagen nicht den Anforderungen des § 6 UVPG entsprechen.

23Nach § 6 Abs. 3 und 4 UVPG haben die vom Vorhabenträger für die Umweltverträglichkeitsprüfung einzureichenden und im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung auszulegenden Unterlagen bestimmte inhaltliche (Mindest-)Angaben zu enthalten. Dabei steht es ihm frei, in welcher Form er die Angaben vorlegt (BVerwG, Beschl. v. 10.10.2006, DÖV 2007, 211, Rn. 15; Urt. v. 24.11.2004, 9 A 42/03, juris, Rn. 24; Urt. v. 19.5.1998, NVwZ 1999, 528, 531). Fehlen bestimmte Unterlagen oder einzelne Angaben, folgt allein daraus kein Rechtsmangel, der zur Aufhebung der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens führt. Entscheidend ist vielmehr, ob die mit der öffentlich bekanntgemachten Auslegung der Antragsunterlagen vom Gesetz gewollte Information der betroffenen Öffentlichkeit im Sinne einer ausreichenden Anstoßwirkung erfüllt worden ist (BVerwG, Urt. v. 19.5.1998, a.a.O.). Dazu kann sich die Auslegung auf diejenigen Unterlagen beschränken, derer der Einzelne bedarf, um den Grad seiner Betroffenheit abschätzen und sich das Interesse, Einwendungen zu erheben, bewusst machen zu können (BVerwG, Urt. v. 24.11.2004, 9 A 42/03, juris, Rn. 27; Urt. v. 27.10.2000, BVerwGE 112, 140, 144). Daher ist § 6 UVPG nicht schon dann verletzt, wenn sich im weiteren Verlauf des Verfahrens herausstellt, dass ergänzende Untersuchungen und Ausgleichsmaßnahmen erforderlich sind. Das Anhörungsverfahren dient gerade dazu, Aufschluss über bislang nicht erkannte Umweltauswirkungen zu erhalten (BVerwG, Urt. v. 24.11.2004, 9 A 42/03, juris, Rn. 26). Inhaltliche Mängel der Antragsunterlagen können im Laufe der weiteren Umweltverträglichkeitsprüfung ausgeglichen werden (BVerwG, Urt. v. 19.5.1998, a.a.O.).

Durch die Rügen der Antragsteller wird nicht in Frage gestellt, dass die im Auftrag der Beigeladenen angefertigten und von der Antragsgegnerin ausgelegten Unterlagen den Mindestanforderungen nach § 6 UVPG genügen. Vielmehr beziehen sich ihre Einwände ausschließlich auf die Aussagekraft und den Inhalt jener Unterlagen jenseits der Mindestanforderungen. Der Sache nach behaupten die Antragsteller damit, dass die gesamte Umweltverträglichkeitsprüfung mit materiellen Mängeln behaftet sei, deren Geltendmachung eigentlich den anerkannten Umweltvereinigungen vorbehalten ist.

b) Soweit die Antragsteller rügen, dass die ausgelegten Unterlagen für keine einzige potentiell betroffene Tier- oder Pflanzenart eine aktuelle Biotopkartierung enthalten hätten, legen sie bereits nicht dar, dass bei diesem Vorhaben eine entsprechende Kartierung zu den notwendigen Mindestangaben nach § 6 3 Satz 1 Nr. 4 UVPG gehört hätte. In welcher Form die Beigeladene die zu erbringende Umweltbeschreibung vorgenommen hat, stand in ihrem Ermessen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.10.2006, a.a.O.). Die vom Gesetz gewollte Information der betroffenen Öffentlichkeit im Sinne einer ausreichenden Anstoßwirkung ist durch die ausgelegten Unterlagen zur Umweltbeschreibung erbracht worden, wie sich insbesondere an der ausführlichen Stellungnahme der Antragsteller vom 20. Januar 2016 im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung zeigt. Eine Begründung dafür, warum die der „Faunistischen Potentialanalyse und artenschutzrechtlichen Betrachtung“ vom 5. März 2013 beigefügten sechs lebensraumbezogenen Biotopkarten dennoch zu diesem Zweck völlig ungeeignet sein sollten, haben die Antragsteller nicht vorgebracht. Ebenso wenig haben sie in der Beschwerdebegründung dargelegt, warum die von Anfang des Jahres 2013 stammenden Angaben zum Zeitpunkt der Auslegung der Unterlagen am Ende des Jahres 2015 nicht mehr aktuell gewesen sein sollen; ein derart rascher Wandel der beschriebenen Lebensräume, der innerhalb von fast drei Jahren zu einer maßgeblichen Veränderung hätte führen können, ist jedenfalls nicht offenkundig. Soweit sich die Antragsteller in ihrer Beschwerdebegründung für die Details zu den gerügten inhaltlichen Mängeln der ausgelegten Unterlagen auf 29 Seiten ihrer Antragsbegründung beziehen, ist dieser Verweis im Beschwerdeverfahren – ungeachtet der Frage nach seiner grundsätzlichen Zulässigkeit – vor dem Hintergrund von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu pauschal, um die Defizite in der Darlegung konkreter Mängel zu beheben.

c) Die Rüge der Antragsteller, die Beigeladene habe keine lärmtechnische Betrachtung der umliegenden Wohngebäude angestellt, ist ebenso unzutreffend wie diejenige, es habe so gut wie keine Betrachtung des angrenzenden Kleingartengeländes gegeben. Die Kleingartenanlagen beiderseits des M… L… wurden in der ausgelegten Umweltverträglichkeitsstudie vom 14. Dezember 2015 auf S. 9 im Abschnitt „2. Ermittlung, Beschreibung und Beurteilung der Schutzgüter“ unter dem Titel „2.1 Mensch, einschließlich der menschlichen Gesundheit“ und der dortigen Rubrik „Wohnen“ erwähnt und der Wohnnutzung zugeordnet (zur Schutzwürdigkeit von Kleingartenanlagen: BVerwG, Beschl. v. 19.8. 2015, ZfBR 2015, 784, 785; OVG Hamburg, Urt. v. 27.4.2016, 2 E 20/13.N, juris, Rn. 77). Sie wurden daher, als ein Aspekt des Schutzgutes Mensch, im weiteren Verlauf der Umweltverträglichkeitsuntersuchung ebenso behandelt wie die umliegenden Wohngebäude.

Zu den Wohngebäuden hat es in der Studie eine lärmtechnische Betrachtung gegeben. Im Abschnitt „3. Auswirkungen des Vorhabens auf die Schutzgüter“ unter dem Titel „3.2 Schutzbezogene Ermittlung der Auswirkungen“, dort Untertitel „3.2.1 Mensch, einschließlich der menschlichen Gesundheit“, werden die auf den Menschen – und damit die umliegenden Kleingartenanlagen und Wohngebäude – einwirkenden betriebsbedingten akustischen Störreize (S. 26) untersucht. Die Lebensäußerungen der Bewohner des geplanten Wohngebiets werden als grundsätzlich verträglich mit anderen Nutzungen, insbesondere in Wohngebieten, bewertet (S. 26). Eine Betroffenheit der beiden Wohnhäuser unmittelbar nördlich der Erschließungsstraße am M… L… – und damit auch des Antragstellers zu 2) – (Immissionsort 2, vgl. Karte auf S. 25) durch Verkehrslärm wird erkannt. Es wird lediglich auf die konkrete Berechnung der vorhabenbezogenen Schallimmissionen verzichtet, weil davon ausgegangen wird, dass der Verkehr aus dem geplanten Wohngebiet nicht zu einer maßgeblichen Erhöhung des vorhandenen Verkehrs auf dem M… L… führen werde (S. 27). Ungeachtet der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob diese Aussage inhaltlich zutreffend ist, hat damit die Beigeladene sowohl die Kleingärten als auch die Auswirkungen des Lärms auf die umliegenden Wohngebäude in die Betrachtungen bei der Umweltverträglichkeitsprüfung mit einbezogen. Dies genügte den Mindestanforderungen nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 UVPG, weil damit der betroffenen Öffentlichkeit ein hinreichender Anstoß gegeben worden ist, sich mit den Lärmauswirkungen des Vorhabens sowohl auf die Wohngebäude als auch auf die Kleingärten auseinanderzusetzen. Etwaige notwendige spätere Ergänzungen stehen dem nicht entgegen, dient das Anhörungsverfahren doch gerade dazu, Aufschluss über bislang nicht erkannte – und damit auch über unterschätzte – Umweltauswirkungen zu erhalten (BVerwG, Urt. v. 24.11. 2004, a.a.O., Rn. 26).

4. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Antragsteller könnten sich insbesondere aufgrund von § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB nicht darauf berufen, dass an Stelle des Baugenehmigungsverfahrens ein Bauleitplanverfahren hätte durchgeführt werden müssen, wird von diesen nicht mit Erfolg in Frage gestellt.

Im Ergebnis kann sogar dahinstehen, ob die Ansicht der Antragsteller zutreffend ist, die Anwendung des einen Anspruch auf den Erlass eines Bauleitplans ausschließenden § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB sei zu ihren Gunsten einzuschränken, weil sie gerade nicht die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehren, einen Bebauungsplan aufzustellen. Vielmehr würden sie eine Baugenehmigung anfechten, die unter Umgehung eines notwendigen Bebauungsplans und der damit einhergehenden Abwägung auch ihrer Belange nach § 1 Abs. 7 BauGB erteilt worden ist. Dieser Argumentation kann bereits deswegen nicht gefolgt werden, weil die Antragsgegnerin nicht zum vorherigen Erlass eines Bebauungsplans verpflichtet war [s. oben unter 1.a)].

Ungeachtet dessen können die Antragsteller jedenfalls nicht mit der Auffassung Gehör finden, über den Maßstab des Rücksichtnahmegebots hinaus wären ihre Belange im Rahmen einer der Erteilung der Baugenehmigung vorgeschalteten Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen gewesen. Sonst würden die Rechtsschutzmaßstäbe des Bebauungsplanverfahrens dort außer Kraft gesetzt werden, wo allein Investoren und Genehmigungsbehörden eine informelle Planung betreiben würden. Ob dies im Rahmen eines Bauleitplanverfahrens nach § 1 Abs. 7 BauGB oder der in diesem Falle getroffenen Entscheidung nach § 246 Abs. 14 BauGB hätte geschehen müssen, sei dabei zweitrangig.

Dem steht entgegen, dass im Baugenehmigungsverfahren für eine isolierte Prüfung des Abwägungsgebots, unabhängig von einem (formell) in Kraft gesetzten Bebauungsplan, kein Raum ist. Das Abwägungsgebot ist gemäß § 1 Abs. 7 BauGB bei der Aufstellung von Bauleitplänen zu beachten und dessen Verletzung führt grundsätzlich zur Unwirksamkeit des Plans. Damit hat es jedoch sein Bewenden; auf die Aufstellung eines neuen, das Abwägungsgebot beachtenden Bebauungsplans besteht kein Anspruch. Erst recht kann niemand verlangen, dass einem Dritten eine Baugenehmigung nur nach einer korrekten Abwägungsentscheidung erteilt wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.7.1994, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 124). Selbst wenn die Verwaltung ein für ihre Genehmigungsabsichten gebotenes vorgängiges Planungsverfahren rechtswidrig unterlassen hat, bestehen Abwehrrechte Dritter nur insoweit, wie das Verwaltungshandeln deren materiell-rechtlichen subjektiven Rechte verletzt (BVerwG, Beschl. v. 28.7.1994, a.a.O.; Urt. v. 10.12.1982, Buchholz 406.11 § 31 BBauG Nr. 21; OVG Hamburg, Beschl. v. 16.1.2007, 2 Bs 344/06).

5. Letztlich erschüttern die Antragsteller auch nicht die Ansicht des Verwaltungsgerichts, sie würden durch die Erteilung der Baugenehmigung an die Beigeladene nicht in ihrem subjektiven Recht auf Beachtung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots verletzt werden.

a) Sie führen im Ergebnis unzutreffend an, dass das Verwaltungsgericht bei der erforderlichen Abwägung im Rahmen des Rücksichtnahmegebots keine Interessenabwägung im eigentlichen Sinn vorgenommen habe, weil es weder ihr eigenes Interesse von einer planbedingten Lärmzunahme verschont zu bleiben noch das Interesse der Beigeladenen an der Ausnutzung der Genehmigung gewichtet habe. Dabei übersehen die Antragsteller, dass das Verwaltungsgericht zu ihren Gunsten von einem für die Beigeladene ungünstigen Maßstab ausgegangen ist. Es hat deren Interesse an einer Realisierung des Bauvorhabens durchaus gewichtet, in dem es dieses Interesse ausdrücklich geringer bewertet hat, als es im Falle einer objektiv rechtmäßigen Baugenehmigung zu bewerten gewesen wäre. Auch das Interesse der Antragsteller wurde bewertet, allerdings im Ergebnis wiederum geringer als dasjenige der Beigeladenen, weil keiner der Antragsteller einer durch das Vorhaben bedingten unzumutbaren Lärmbelastung ausgesetzt sei. Diesen Aussagen liegt inzident die von den Antragstellern vermisste Interessenabwägung zugrunde, welche hier zu Gunsten der Beigeladenen ausgefallen ist.

b) Die für seine Interessenabwägung tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts, es fehle an einer vorhabenbedingten unzumutbaren Lärmbelastung sowohl des Antragstellers zu 2) [siehe aa)] als auch des Antragstellers zu 1) [siehe bb)], wird durch die Angriffe der Antragsteller im Beschwerdeverfahren gleichfalls nicht erschüttert.

aa) Ihre Ansicht, die vom Verwaltungsgericht für seine Aussage hinsichtlich des Antragstellers zu 2) herangezogene Lärmtechnische Stellungnahme vom 31. März 2016 sei fehlerhaft, wird nicht hinreichend substantiiert begründet.

So ist ihre Behauptung nicht tragfähig, dass die Immissionswerte jener Stellungnahme unrichtig seien, weil sie von der Errichtung zweier Lärmschutzwände ausgingen, wovon eine – diejenige auf dem Bahngelände – bislang noch nicht einmal genehmigt sei. Tatsächlich hat die jene Stellungnahme verfassende Gutachterin, nach ihren eigenen Angaben in einer Schalltechnischen Stellungnahme vom 15. August 2016 (S. 2), die Beurteilungspegel in der Stellungnahme vom 31. März 2016 durchgehend ohne Berücksichtigung einer Lärmschutzwand an den Bahngleisen errechnet. Für die Annahme, dass diese Aussage inhaltlich unzutreffend ist, bestehen keine Anhaltspunkte.

Weiterhin ist die Behauptung der Antragsteller zu unsubstantiiert geblieben, dass die Eingangswerte der PKW-Zahlen, die der Stellungnahme vom 31. März 2016 zugrunde liegen, unzutreffend und zu niedrig seien. Sie selbst haben keine andere Zahl an Fahrzeugbewegungen auf der Erschließungsstraße des Vorhabens vorgebracht. Für die Richtigkeit ihres Einwands, der LKW-Anteil sei unrealistisch, gibt es keinen Anhaltspunkt. Insbesondere spricht nichts für derartige Fahrzeugbewegungen zwischen 22:00 und 6:00 Uhr in einem Gebiet, in dem ausschließlich gewohnt wird und das keine Durchfahrtstraße enthält. Dem-gegenüber sind die den Berechnungen der Stellungnahme vom 31. März 2016 zugrunde gelegten Zahlen nicht offensichtlich unschlüssig: Die Lärmtechnische Stellungnahme vom 31. März 2016 geht von 253 Stellplätzen im Bereich des Vorhabens aus; die von der angefochtenen Baugenehmigung vom 18. April 2016 erfassten Bauvorlagen 1/124 und 1/125 zeigen, dass in diesem Bereich für eine erheblich höhere Zahl an Parkplätzen auf und neben der Straße kein Raum ist. Dieser Ansatz ist für die Ermittlung der Lärmimmissionsentwicklung aufgrund der Erschließungsstraße, die ausschließlich dem Verkehr des Vorhabens dient, richtig. Entscheidend hierfür sind die Art und die Anzahl der zur Verfügung stehenden Parkplätze und die damit typischerweise verbundenen Verkehrsbewegungen. Die Berechnungsgrundlagen beruhen auf der Parkplatzlärmstudie des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (6. Aufl. 2007), welche für die Prognose des dem ruhenden Verkehrs zuzurechnenden Lärms allgemein anerkannt ist (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 2.2.2011, NordÖR 2011, 399, 401; Beschl. v. 24.8.2016, 2 Bs 113/16, juris, Rn. 37). Die für die Prognose verwendete Frequenz von 0,4 Wechseln je Stellplatz (oberirdisch) und Stunde tagsüber entspricht den Werten der o.g. Studie (ebenda S. 85, Tab. 33), woraus sich im Zeitraum von 6:00 bis 22:00 Uhr tatsächlich 1.619 Bewegungen von Fahrzeugen ergeben, die sich über die Erschließungsstraße in den Verkehr auf dem M… L… … begeben werden oder von dort kommen. Hingegen dürften – insoweit im Ergebnis zu Gunsten der Antragsteller – die Werte für die Nachtzeit überhöht sein. So wird schon der Ermittlung der Fahrzeugbewegungen für alle Nachtstunden nicht der (niedrigere) Wert von 0,05 Wechseln je Stellplatz und Stunde sondern derjenige von 0,15 für die ungünstigste Nachtstunde zugrunde gelegt. Zudem ergeben sich daraus (aufgerundet) 304 und nicht wie angegeben 344 Fahrten im Zeitraum von 22:00 bis 6:00 Uhr.

Nicht gefolgt werden kann der Auffassung der Antragsteller, dass aufgrund der Prognoseunsicherheit über die zu erwartende Verkehrsbelastung den jeweiligen Werten ein Sicherheitspuffer von bis zu 2 dB(A) hinzuzurechnen sei. Auf welcher Grundlage überhaupt ein Sicherheitspuffer und warum er gerade in dieser Höhe zu berücksichtigen sei, wird von ihnen nicht angegeben. Ein derartiger Sicherheitszuschlag findet auch keine Stütze in den hier für die Berechnung von Verkehrslärm maßgeblichen Bestimmungen der Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV – vom 12. Juni 1990 (BGBl I S. 1036), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 2014 (BGBl I S. 2269). Deren systemfremde Ergänzung ist unzulässig, da ihre Lärmgrenzwerte – auf die sich die Antragsteller für ihre Position zur Unzumutbarkeit des zusätzlichen Verkehrslärms durch das Vorhaben beziehen – nur im Zusammenspiel mit dem Berechnungsverfahren zur Ermittlung der Lärmbelastung aussagekräftig sind (BVerwG, Urt. v. 21.3.1996, BVerwGE 101, 1, 4).

Die Antragsteller können zudem nicht die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Werte der Schalltechnischen Stellungnahme vom 31. März 2016 damit erschüttern, dass sie nunmehr selbst eine Schalltechnische Untersuchung vom 13. Juli 2016 vorlegen, wonach zur Nachtzeit am Gebäude des Antragstellers zu 2) die Summe der Lärmbelastung durch alle Verkehrswege die Schwelle zur Gesundheitsgefährdung überschreite. Die in dieser Untersuchung gewonnenen Ergebnisse sind dafür nicht hinreichend verlässlich, denn es ist bereits fraglich, ob sie methodisch korrekt ermittelt worden sind.

Die Untersuchung vom 13. Juli 2016 hat für die Ermittlung der Lärmbelastung durch den Schienenverkehr Angaben über dessen prognostizierten Umfang im Jahre 2025 zugrunde gelegt. Nach den Angaben der Gutachterin der Beigeladenen in deren Schalltechnischer Stellungnahme vom 15. August 2016, dürften daher die auf diese Weise ermittelten Beurteilungspegel für den Schienenverkehr um knapp 2 d(B)A über denjenigen liegen, die in der vom Verwaltungsgericht verwendeten Stellungnahme vom 31. März 2016 ermittelt worden sind. Auch hier bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass diese Aussage inhaltlich unzutreffend ist. In der Stellungnahme vom 31. März 2016 wurde der derzeitige Umfang des Schienenverkehrs den Berechnungen zugrunde gelegt. Dies erscheint vorzugswürdig, da über eine Baugenehmigung nach der Sach- und Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt zu entscheiden ist.

Weiterhin wendet die Untersuchung vom 13. Juli 2016 für die Bestimmung der Lärmentwicklung des Straßen- und des Schienenverkehrs jeweils die Berechnungsmethoden der 16. BImSchV an, doch werden von ihr sodann Gesamtlärmpegel beider Verkehre gebildet, ohne dass dafür in der Verordnung ein entsprechendes Verfahren vorgesehen ist. Für die Ermittlung eines wie auch immer gearteten Summenpegels stellt die 16. BImSchV je-denfalls für den Regelfall kein Verfahren bereit (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.3.1996, a.a.O.; Urt. v. 23.2.2005, BVerwGE 123, 23, 33; OVG Hamburg, Urt. v. 29.1.2010, 2 E 7/06; Beschl. v. 23.10.2014, UPR 2015, 154, 158). Daher können die in der Untersuchung vom 13. Juli 2016 angegebenen „Beurteilungspegel aus Gesamtverkehrslärm“ (ebenda S. 5, Tabelle 1) nicht in aussagekräftiger Weise mit den Immissionsgrenzwerten aus § 2 Abs. 1 16. BImSchV verglichen werden. Gleiches gilt für die in der Untersuchung so genannten Anhaltswerte für eine Gesundheitsgefährdung von 70 d(B)A tags und 60 d(B)A nachts, welche in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Beziehung gesetzt werden zu Beurteilungspegeln, die nach den Berechnungsverfahren der 16. BImSchV ermittelt werden (BVerwG, Urt. v. 23.2.2005, a.a.O., S. 35 f.; Urt. v. 10.11.2004, Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 41).

bb) Die Antragsteller haben gleichfalls nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts erschüttert, der vorhabenbedingte Verkehrslärm werde gegenüber dem Antragsteller zu 1) nicht rücksichtslos sein. Das Gericht stützt sich hierbei auf die Ergebnisse der von der Beigeladenen vorgelegten Schalltechnischen Stellungnahme vom 17. Mai 2016, welche die Antragsteller lediglich mit der Behauptung angreifen, dass auch am Gebäude des Antragstellers zu 1) die Schwelle der Gesundheitsgefährdung erreicht werde, rechne man einen Sicherheitspuffer von 2 dB(A) hinzu. Da ein derartiger Sicherheitszuschlag weder in der 16. BImSchV noch anderweitig eine Rechtfertigung findet, greift dieser Einwand nicht durch.

6. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG.

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