Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt

VertragsMan ® Bau: Entscheidungen im Volltext

VertragsMan ® Bau: Entscheidungen im Volltext

Anforderungen an die Abrechnung von Stundenlohnarbeiten

vorgestellt von Thomas Ax

1. Der Unternehmer muss zur schlüssigen Begründung eines nach Zeitaufwand zu bemessenden Vergütungsanspruchs im Ausgangspunkt nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, wie viele Stunden für die Erbringung der Vertragsleistungen mit welchen Stundensätzen angefallen sind.

2. Die schlüssige Abrechnung eines Stundenlohnvertrags setzt grundsätzlich keine Differenzierung in der Art voraus, dass die abgerechneten Arbeitsstunden einzelnen Tätigkeiten zugeordnet und/oder nach zeitlichen Abschnitten aufgeschlüsselt werden. Sie muss vom Unternehmer nur in den Fällen vorgenommen werden, in denen die Vertragsparteien eine dementsprechend detaillierte Abrechnung vertraglich vereinbart haben.

3. Es ist Sache des Bestellers, eine Begrenzung der Stundenlohnvergütung dadurch zu bewirken, dass er Tatsachen vorträgt, aus denen sich die Unwirtschaftlichkeit der Betriebsführung des Unternehmers ergibt. Auch soweit in Frage steht, ob es sich bei den abgerechneten Stunden um Nachbesserungsarbeiten handelt, obliegt es dem Besteller, diese Umstände darzulegen.

4. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist danach unter anderem verpflichtet, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und – soweit er eine zentrale Frage des Verfahrens betrifft – in den Gründen zu bescheiden.

5. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht.

6. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt daher vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben.

BGH, Beschluss vom 01.02.2023 – VII ZR 882/21

Gründe:

I.

Die Klägerin macht Vergütungsansprüche in Höhe von 28.114,77 Euro für Malerarbeiten im Rahmen eines Bauvorhabens geltend, das aus 15 Reihenhäusern bestand.

Die Klägerin hat über ihre Leistungen mehrere Rechnungen erstellt, die sie in einer Schlussrechnung vom 12. Oktober 2016 zusammengefasst hat. In der Schlussrechnung listet sie die Stunden auf, die sie für die einzelnen Arbeiten an unterschiedlichen Häusern behauptet aufgewendet zu haben. Der abgerechnete Stundensatz beträgt jeweils 38 Euro netto. Auf dieser Grundlage gelangt die Klägerin zu einer Schlussrechnungssumme von 40.899,11 Euro, von der sie 12.784,34 Euro abzieht, die die Beklagte auf die erste Rechnung vom 12. Juni 2016 bezahlte.

Die Klägerin trägt vor, die Auftragserteilungen seien teilweise durch den Geschäftsführer der Beklagten und teilweise durch deren Bauleiter, den als Zeugen benannten Herrn N., erfolgt. Die in Rechnung gestellten Arbeiten seien geleistet, die Stundensätze seien vereinbart worden, hilfsweise üblich und angemessen. Die Abnahme der Leistungen sei konkludent durch Bezug der Häuser erfolgt.

Das Landgericht hat ohne Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 18. November 2021 nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie ihren Klageantrag weiterverfolgt.

II.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Eine Auftragserteilung über die von der Beklagtenseite ursprünglich unstreitig beauftragten Leistungen hinaus, die Gegenstand der Rechnung vom 12. Juni 2016 sind, habe die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt. Die Klägerin hätte konkretisieren müssen, welche der in Rechnungen gestellten Aufträge der Geschäftsführer der Beklagten direkt beauftragt habe und welche Leistungen der Bauleiter N. beauftragt haben solle. Das sei nicht erfolgt. Eine Duldungsvollmacht des Bauleiters N. sei von der Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt worden.

Unabhängig davon, ob die Auftragserteilung durch den Bauleiter oder durch den Geschäftsführer der Klägerin wirksam erfolgt sei, habe die Klägerin trotz gerichtlicher Hinweise nicht nachvollziehbar und substantiiert die von ihr geleisteten Arbeiten dargelegt. Zwar sei es ohne Vorlage von Regiezetteln grundsätzlich möglich, im Gerichtsverfahren unter Zeugenbeweis die Ausführungen von Arbeiten darzulegen und nachzuweisen. In diesem Fall sei es aber erforderlich, genau darzulegen, wer welche Arbeiten und wann ausgeführt habe. Die Klägerin lege jedoch lediglich eine pauschale Aufstellung der behaupteten ausgeführten Leistungen vor. Sie nenne nicht den Namen der jeweiligen Person, die die Arbeiten konkret ausgeführt habe, sondern verweise in ihrem schriftsätzlichen Vortrag lediglich darauf, dass zwei Personen auch unter Mitwirkung der Klägerin als dritter Person anwesend gewesen seien. Dies reiche schon nicht als Vortrag, geschweige denn als Nachweis für die Ausführung der Arbeiten aus. Sowohl die Einholung eines Sachverständigengutachtens als auch die Erhebung eines Zeugenbeweises würde vor diesem Hintergrund einen Ausforschungsbeweis darstellen. Soweit die Klägerin in zweiter Instanz erstmals eine Aufstellung der beiden Mitarbeiter vorgelegt habe, die die Malerarbeiten ausgeführt haben sollen, sei dieses Angriffsmittel nicht zuzulassen. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, weshalb sie diese Unterlage in erster Instanz nicht habe vorlegen können.

2. Mit diesen Begründungen einerseits zum Anspruchsgrund und andererseits zur Anspruchshöhe verletzt das Berufungsgericht – wie die Klägerin zu Recht rügt – in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

a) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe eine Auftragserteilung für sämtliche von ihr durchgeführten Malerarbeiten nicht hinreichend vorgetragen und unter Beweis gestellt, verkennt den wesentlichen Kern des Vorbringens der Klägerin.

aa) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist danach unter anderem verpflichtet, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und – soweit er eine zentrale Frage des Verfahrens betrifft – in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2020 – VII ZR 111/19 Rn. 17, BauR 2020, 1679 = NZBau 2020, 573).

bb) Nach diesen Maßstäben ist der Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts gehörswidrig ergangen.

Die Klägerin hat bereits erstinstanzlich vorgetragen, den ersten, mit der Rechnung vom 12. Juni 2016 abgerechneten Auftrag, im Mai 2016 erhalten zu haben. Ab dem 13. Mai 2016 seien dann zusätzliche Malerarbeiten je nach Baufortschritt beauftragt worden. Mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2020 hat die Klägerin wörtlich vorgetragen:

“Es waren entweder der Bauleiter oder der Geschäftsführer oder beide Personen gleichzeitig auf der Baustelle anwesend und haben der Klägerin eine Vielzahl kleinerer Arbeiten mündlich aufgetragen.

Der Geschäftsführer der L. GmbH als Bauherr hat, was der Zeuge N. bestätigen kann, Kenntnis genommen von den Arbeiten, die die Klägerin durchführte. Er ist unter anderem auch allein mit der Klägerin auf der Baustelle umhergewandert und hat ihr weitere Aufträge erteilt, insbesondere zu Ausbesserungsarbeiten usw.”

Diesen Vortrag erster Instanz hat die Klägerin durch Zeugnis des Bauleiters N. unter Beweis gestellt. Sie hat zudem durch das Zeugnis des Herrn N. unter Beweis gestellt, dass die Beklagte laufend Kenntnis von den Vorgängen auf der Baustelle gehabt habe.

Dieser Vortrag der Klägerin ist in seinem Kern dahingehend zu verstehen, worauf die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht hinweist, dass der Bauleiter N. der Beklagten bevollmächtigt gewesen ist, sämtliche Arbeiten an der Baustelle nach jeweiligem Baufortschritt zu beauftragen. Des Weiteren liegt in dem Vortrag, der Geschäftsführer der Beklagten sei über alle Maßnahmen zeitnah unterrichtet worden, die Behauptung einer (konkludenten) Genehmigung eines gegebenenfalls vollmachtlosen Handelns des Bauleiters.

b) Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Höhe der Vergütung beruhen ebenfalls auf der Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Berufungsgericht überspannte Substantiierungsanforderungen gestellt hat.

aa) Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt daher vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (BGH, Beschluss vom 10. August 2022 – VII ZR 243/19 Rn. 18, BauR 2022, 1812 = NZBau 2023, 17).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag bereits dann schlüssig, wenn der Anspruchssteller Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in seiner Person entstanden erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 10. August 2022 – VII ZR 243/19 Rn. 19, BauR 2022, 1812 = NZBau 2023, 17).

bb) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Substantiierungsanforderungen an den Vortrag zur Höhe für einen auf einer Stundenlohnvereinbarung beruhenden Vergütungsanspruch offenkundig überspannt und rechtsfehlerhaft die angebotenen Beweise nicht erhoben.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Unternehmer zur schlüssigen Begründung eines nach Zeitaufwand zu bemessenden Vergütungsanspruchs im Ausgangspunkt nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, wie viele Stunden für die Erbringung der Vertragsleistungen mit welchen Stundensätzen angefallen sind. Demgegenüber setzt die schlüssige Abrechnung eines Stundenlohnvertrags grundsätzlich keine Differenzierung in der Art voraus, dass die abgerechneten Arbeitsstunden einzelnen Tätigkeiten zugeordnet und/oder nach zeitlichen Abschnitten aufgeschlüsselt werden. Solch eine Zuordnung mag sinnvoll sein. Zur nachprüfbaren Darlegung des vergütungspflichtigen Zeitaufwands erforderlich ist sie nicht, weil seine Bemessung und damit die im Vergütungsprozess erstrebte Rechtsfolge nicht davon abhängt, wann der Unternehmer welche Tätigkeit ausgeführt hat. Sie muss deshalb vom Unternehmer nur in den Fällen vorgenommen werden, in denen die Vertragsparteien eine dementsprechend detaillierte Abrechnung rechtsgeschäftlich vereinbart haben (BGH, Urteil vom 17. April 2009 – VII ZR 164/07 Rn. 33 f., BGHZ 180, 235). Auf dieser Grundlage ist es Sache des Bestellers, eine Begrenzung der Stundenlohnvergütung dadurch zu bewirken, dass er Tatsachen vorträgt, aus denen sich die Unwirtschaftlichkeit der Betriebsführung des Unternehmers ergibt (BGH, Urteil vom 17. April 2009 – VII ZR 164/07 Rn. 36, BGHZ 180, 235).

Unter Anwendung dieses Maßstabs ist der Vortrag der Klägerin zur Anspruchshöhe schlüssig. Die Klägerin hat dargelegt, dass sie für insgesamt 15 Häuser Malerarbeiten ausgeführt hat, und zwar bei den Häusern Nr. 1-6 und Nr. 15 sowohl für den Innen- als auch für den Außenbereich, bei den Häusern 7-14 lediglich für den Außenbereich. Die Klägerin hat des Weiteren dargelegt, wie viele Stunden auf welche Gewerke angefallen sind. Soweit in Frage steht, ob es sich bei den abgerechneten Stunden um Nachbesserungsarbeiten handelt, obliegt es der Beklagten, diese Umstände darzulegen.

3. Auf den Verletzungen des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör beruht der angefochtene Beschluss. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei gebotener Berücksichtigung der aufgezeigten Gesichtspunkte zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre.

4. Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.

VergMan ® Spruchpraxis der Vergabekammern und Vergabesenate – Tiefbau

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VK Lüneburg: Bestimmte kritische Aufgaben – nicht aber der komplette Auftrag – können vom Bieter selbst ausgeführt werden müssen – der Begriff der “kritischen Aufgabe” ist grundsätzlich eng auszulegen

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Eignungskriterien sind in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen. Die früher angewandte Praxis, die Eignungskriterien erst in Vergabeunterlagen mitzuteilen, ist nicht mehr zulässig.

2. Die Eignungskriterien müssen in der Bekanntmachung eindeutig und abschließend beschrieben sein müssen. Ein Verweis genügt nicht. Der (potentielle) Bieter und Bewerber soll sich bereits aufgrund der Bekanntmachung überlegen können, ob er die festgelegten Eignungskriterien erfüllen kann.

3. Eine Mindestanforderung an die Eignung ist vorschriftsgemäß bekannt gemacht, wenn in der Bekanntmachung durch einen Link auf die Internetseite der Vergabestelle verwiesen wird und die interessierten Unternehmen durch bloßes Anklicken zum entsprechenden Formblatt gelangen können (Abschluss an OLG Düsseldorf, IBR 2012, 1336 – nur online).

4. Eine mangelnde Bekanntmachung hat zur Folge, dass der Auftraggeber die nicht ordnungsgemäß bekannt gemachten Eignungskriterien nicht im Rahmen der Eignungsprüfung berücksichtigen darf. Er ist vielmehr gehalten, die Eignungsprüfung allein anhand der bekannt gemachten Eignungskriterien und -nachweise durchzuführen.

5. Die Eignungsleihe ist vom “normalen” Nachunternehmereinsatz zu unterscheiden. Im Rahmen der Eignungsleihe bedient sich ein Bieter der Kapazitäten dritter Unternehmen, um seine für die Ausschreibung geforderte Eignung nachzuweisen. Unterauftragsvergabe bedeutet, dass ein Unternehmen ein drittes Unternehmen mit der Ausführung des gesamten Auftrags oder von Teilen davon betraut.

6. Der Bieter hat im Angebot ausdrücklich oder zumindest konkludent, aber jedenfalls unmissverständlich geltend zu machen, dass er sich zum Nachweis der Eignung einer Eignungsleihe bedienen will.

7. Der öffentliche Auftraggeber kann (ausnahmsweise) vorschreiben, dass bestimmte kritische Aufgaben – nicht aber der komplette Auftrag – direkt vom Bieter selbst oder im Fall einer Bietergemeinschaft von einem Teilnehmer der Bietergemeinschaft ausgeführt werden müssen. Der Begriff der “kritischen Aufgabe” ist grundsätzlich eng auszulegen.

8. Der öffentliche Auftraggeber hast die Gründe, warum eine bestimmte Aufgabe über das übliche Maß bei entsprechenden Aufgaben hinaus besonders kritisch ist, herauszuarbeiten und entsprechend zu dokumentieren.

VK Lüneburg, Beschluss vom 14.10.2022 – VgK-17/2022

Begründung:

I.

Der Antragsgegner hat mit EU-Auftragsbekanntmachung vom ….2022 das Bauvorhaben … die Vergabeeinheit 1 (VE 1 – Behelfsbauwerk, Tunnel, Verkehrsanlagen) im offenen Verfahren ausgeschrieben. Im Rahmen dieses Auftrages soll die Hochstraße über die … durch einen … m langen Tunnel in offener Bauweise ersetzt werden. Dazu ist vorab ein Behelfsbauwerk parallel zur Bestandstraße in Stahl-/Stahlverbundbauweise zu errichten. Das Gesamtbauwerk weist eine Länge von rd. … m auf. Vor Herstellung des Tunnels ist der Rückbau des Bestandsbauwerks über die … (Stahlbeton mit Hohlkastenquerschnitt) mit einer Länge von … m und weiterer kleinerer Bauwerke notwendig. Zudem ist der ca. … m lange Bestandstrog auf einer Länge von ca. … m an den neuen Straßenquerschnitt anzupassen. Zusätzlich sind Sanierungsmaßnahmen am Trog auf einer Streckenlänge von … m vorgesehen. Die städtischen Verkehrsanlagen sind innerhalb des Baubereiches wiederherzustellen.

Nach dem Vorblatt der Leistungsbeschreibung umfasst die Vergabeeinheit 1 (VE1) folgende Leistungseinheiten (LE) 0-5:

“LE 1 – Behelfsbauwerk,

LE 2 – Rückbau Bauwerke,

LE 3 – Tunnel,

LE 4 – Trog unter … Anlage,

LE 5 – Erd- und Straßenbau.”


Nach den in der Bekanntmachung genannten CPV-Codes umfasst die Leistung Ingenieur- und Hochbauarbeiten, den Bau von Straßenbrücken, Straßentunneln, Bauarbeiten für Fernstraßen und Straßen, Hochstraßen, Abbrucharbeiten, Erdbewegungsarbeiten und den Bau von Fernstraßen.

Nach Abschnitt II.2.5) der Auftragsbekanntmachung ist der Preis das einzige Zuschlagskriterium. Eine Losteilung ist nach Ziffer II.1.6) nicht vorgesehen. Varianten/Alternativangebote sind nach Ziffer II.2.10) nicht zulässig.

Für den Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit gilt nach Ziffer III.1.2):

“- Nachweis der Eignung durch Angaben, die mit dem Angebot einzureichen sind: Angabe des Umsatzes des Unternehmens jeweils bezogen auf die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre, soweit er Bauleistungen und andere Leistungen betrifft, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind unter Einschluss des Anteils bei gemeinsam mit anderen Unternehmen ausgeführten Aufträgen

– […] Näheres ist den Vergabeunterlagen zu entnehmen.

Möglicherweise geforderte Mindeststandards:

– Mindestjahresumsatz des Unternehmens jeweils bezogen auf die letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahre gemäß der Vergabeunterlagen.”


Für den Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit gilt nach Ziffer III.1.3):

“Nachweis der Eignung durch Angaben, die mit dem Angebot einzureichen sind:

– Angabe über die Ausführung von Leistungen, die im Wesentlichen in den letzten 10 Jahren erbracht worden und mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind.

– […] Folgende Nachweise, Angaben und Unterlagen sind – zusätzlich zu den in den Teilnahmebedingungen genannten – auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle vorzulegen:

– […] Näheres ist den Vergabeunterlagen zu entnehmen.

Möglicherweise geforderte Mindeststandards:

– Schriftliche Bestätigung des jeweiligen Auftraggebers über die auftragsgemäße Erbringung der in der Eigenerklärung genannten Referenzleistungen.”


Als zusätzliche Angabe wird unter Ziffer VI.3) unter anderem ausgeführt:

“… Folgende Nachweise, Angaben und Unterlagen sind – zusätzlich zu den in den Teilnahmebedingungen genannten – auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle vorzulegen:



– Verpflichtungserklärungen für Leistungen anderer Unternehmer

Die Nachweise sind auch für nicht präqualifizierte Nachunternehmer vorzulegen. […]”


Nähere Anforderungen werden in den Vergabeunterlagen dargestellt. Nach diesen wird in der Aufforderung zur Angebotsabgabe festgelegt:

“C) Anlagen, die, soweit erforderlich, ausgefüllt mit dem Angebot einzureichen sind:



– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung

– HVA B-StB Unterauftrag-/Nachunternehmerleistungen

– HVA B-StB Erklärung Bieter-/Arbeitsgemeinschaft

– HVA B-StB Eignungsleihe technische und berufliche Leistungsfähigkeit

– HVA B-StB Eignungsleihe wirtschaftliche und finanzielle Eignungsleihe …

D) Anlagen, die ausgefüllt auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle vorzulegen sind:

– HVA B-StB Verpflichtungserklärung

– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung für alle Unterauftrag-/Nachunternehmer (falls keine PQ-Nummer vorhanden bzw. die PQ-Qualifizierung nicht einschlägig ist), alternativ Einheitliche Europäische Eigenerklärung

– Anlage 2 zur Eigenerklärung Eignung_Formblatt Referenzen”


Unter Ziffer 3 der Aufforderung zur Angebotsabgabe wird zudem zu den Unterlagen, die mit dem Angebot einzureichen sind (3.1), auf den Vordruck HVA B-StB Vorzulegende Unterlagen (Abschnitt 1: “Mit dem Angebot vorzulegen”), und den Unterlagen, die auf gesondertes Verlangen vorzulegen sind (3.4), auf den Vordruck HVA B-StB Vorzulegende Unterlagen (Abschnitt 3: “Auf gesondertes Verlangen vorzulegen”) verwiesen.

Dort heißt es unter Abschnitt 1:

“Unterlagen, die mit dem Angebot abzugeben sind

Mit der Aufforderung bzw. EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe übersandte Vordrucke / Formblätter …

– HVA B-StB Unterauftrag-/ Nachunternehmerleistungen […]

– HVA B-StB Erklärung Bieter-/ Arbeitsgemeinschaft […]

Unternehmensbezogene Unterlagen

– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung (falls keine PQ-Nummer vorhanden bzw. die PQ-Qualifizierung nicht einschlägig ist), alternativ Einheitliche Europäische Eigenerklärung

– HVA B-StB Eignungsleihe technische und berufliche Leistungsfähigkeit

– HVA B-StB Eignungsleihe wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit”


Unter Abschnitt 3 Unterlagen, die auf Verlangen der Vergabestelle vorzulegen, sind heißt es:

“Mit der Aufforderung bzw. EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe übersandte Vordrucke / Formblätter

– HVA B-StB Verpflichtungserklärung anderer Unternehmen (nur bei EU-Verfahren)

– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung für alle Unterauftrag-/Nachunternehmer (falls keine PQ-Nummer vorhanden bzw. die PQ-Qualifizierung nicht einschlägig ist), alternativ Einheitliche Europäische Eigenerklärung Unternehmensbezogene Unterlagen für Bieter und alle Unterauftrag-/Nachunternehmer (Bestätigungen der Eigenerklärungen)

– Referenznachweise mit den im Formblatt Eigenerklärung zur Eignung genannten Angaben (Angabe zu Referenzen zur technischen Eignung gemäß Anlage 2 zur Eigenerklärung_Formular Referenzen)

– Erklärung zur Zahl der in den letzten 3 Jahren jahresdurchschnittlich beschäftigten Arbeitskräfte, gegliedert nach Lohngruppen, mit extra ausgewiesenem Leitungspersonal

[…]

Die Verpflichtungserklärung ist sowohl von verpflichteten Unternehmen, die ihre Kapazitäten im Rahmen der Eignungsleihe zur Verfügung stellen, als auch von Nachunternehmern beizubringen.”


Im Formblatt Eigenerklärung zur Eignung wird unter Ziffer 3. Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der geforderte Mindestjahresumsatz mit … Euro beziffert. Der geforderte Mindestjahresumsatz in dem Tätigkeitsbereich des Auftrages beträgt demnach … Euro. Zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit wird in Ziffer 4. hinsichtlich der Leistungen, die als vergleichbar anerkannt werden, auf Anlage 1 zur Eigenerklärung verwiesen. Zu den Referenzen wird auf die Angaben in Anlage 2 zur Eigenerklärung (Formblatt Referenzen) verwiesen.

Nach Ziffer 1.1 der “Anlage 1 zur Eigenerklärung Eignung – Anforderungen zur Technischen Leistungsfähigkeit” hat der Bieter bzw. die Bietergemeinschaft die technische Leistungsfähigkeit durch die unter Ziffer 1.2 und 1.3 genannten Referenzen zu belegen. Die zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit beigebrachten Referenzprojekte müssen technisch mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sein. Die Bauleistungen, auf die sich die Referenzprojekte beziehen, müssen im Wesentlichen in den letzten 10 Jahren erbracht worden sein. […] Zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit sind die für die jeweilige Referenzkategorie unter den Ziffern 1.2 und 1.3 benannten Mindestangaben erforderlich. […] Im Rahmen der Prüfung der technischen Leistungsfähigkeit werden die vorgelegten technischen Referenzen im Hinblick auf Vollständigkeit der Mindestangaben und Erfüllung der Mindestanforderungen geprüft. Eine Wertung der vorgelegten Referenzen erfolgt nicht.

Referenzen, die die Mindestangaben nicht enthalten oder die Mindestanforderungen nicht erfüllen, sind ungültig und werden bei der Eignungsprüfung des Bieters bzw. der Bietergemeinschaft nicht berücksichtigt.

In der folgenden Tabelle ist die Mindestzahl der vom Bieter bzw. der Bietergemeinschaft vorzulegenden gültigen Referenzen benannt. Bei Vorlage von weniger gültigen Referenzen in einer Referenzkategorie kommt es zum Ausschluss des Bieters bzw. der Bietergemeinschaft. Eine Referenz kann mehrere Referenzkategorien abdecken.

Im Weiteren werden die Referenzkategorien benannt und die Mindestanzahl gültiger Referenzen zu den einzelnen Kategorien festgelegt. Zudem wird ausgeführt:

“Die Hauptleistungen aus den Losen 1 – Behelfsbauwerk (Stahlverbundbrücke inkl. Gründung) und 3 – Tunnel (Baugrubenverbau und Tunnelbau) sind zwingend durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft zu erbringen. Für alle weiteren Leistungen ist die Eignungsleihe gemäß Vorgaben aus der HVA-B zulässig (s.u.). Für Leistungen, die nicht durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft erbracht werden müssen, dürfen Referenzen von folgenden Beteiligten beigebracht werden […] Für Leistungen, die nicht durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft erbracht werden müssen, dürfen Referenzen von einem benannten Nachunternehmer oder einem verbundenen Unternehmen, die eine Verpflichtungserklärung abgegeben haben, beigebracht werden.”

Unter den Ziffern “1.2 Referenzprojekte Planung” und “1.3 Referenzprojekte Bau” werden die Mindestanforderungen an die Referenzprojekte zu den einzelnen Kategorien festgelegt.

Mit Informationsschreiben vom 08.08.2022 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass deren Angebot ausgeschlossen worden sei, da es nicht alle in den Vergabeunterlagen gestellten Bedingungen erfülle und begründete Zweifel an deren Eignung hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen sowie der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit gebe. Die Leistungsfähigkeit sei nicht im geforderten Umfang nachgewiesen worden. Ihre Eignung sei im Hinblick auf die gestellten Anforderungen nicht erfüllt. Zudem sei das Selbstausführungsgebot nicht berücksichtigt worden.

Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 09.08.2022 den Angebotsausschluss als unzulässig. Sämtliche Eignungsanforderungen, die als nicht erfüllt angesehen würden, hätten sich nicht aus der Bekanntmachung, sondern nur aus den Vergabeunterlagen ergeben und seien somit nicht wirksam gefordert worden.

Nachdem der Antragsgegner daraufhin mit Schreiben vom 16.08.2022 mitgeteilt hatte, dass er der Rüge nicht abhelfe, rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 26.08.2022 erneut ihre Nichtberücksichtigung und trägt ergänzend vor, dass die vorgelegten Referenzen der benannten Nachunternehmer bei der Überprüfung der Eignung zu berücksichtigen seien. Offensichtlich sei eine Eignungsleihe der von ihr benannten Nachunternehmer angestrebt. Aufgrund der intransparenten Gestaltung der Vergabeunterlagen wären nicht ausgefüllte Formulare nachzufordern gewesen. Zudem hätte der Antragsgegner der Antragstellerin die Gelegenheit geben müssen, fehlende Unterlagen nachzureichen.

Grundsätzlich sei auch die Vorgabe des Selbstausführungsgebotes unzulässig. Dies könne nur für “bestimmte kritische Aufgaben” und nicht für wesentliche Teile der Leistung vorgeschrieben werden. Ferner seien die besonders hohen Anforderungen an die wirtschaftliche, technische und berufliche Leistungsfähigkeit bzw. die berufliche Erfahrung unangemessen.

Auch diese Rüge wies der Antragsgegner mit Schreiben vom 30.08.2022 zurück. Eine Pflicht zur Nachforderung fehlender Unterlagen habe nicht bestanden, weil keine Unterlagen gefehlt hätten, diese unvollständig oder fehlerhaft gewesen seien. Aus den eingereichten Unterlagen habe sich eindeutig ergeben, dass weder eine Bietergemeinschaft gebildet worden sei, noch eine Eignungsleihe angestrebt wurde. Unklarheiten bzgl. des Umfangs der dem Selbstausführungsgebot unterliegenden Leistungen hätten während der Angebotsphase gerügt werden müssen. Gleiches gelte für die aus Sicht der Antragstellerin unangemessenen Eignungsanforderungen.

Daraufhin reichte die Antragstellerin am 31.08.2022 einen Nachprüfungsantrag ein. Der Antrag sei sowohl zulässig als auch begründet. Der Angebotsausschluss wegen Nichterfüllung der formellen Eignungsanforderungen sei unzulässig, weil diese Eignungsanforderungen nicht wirksam festgelegt worden seien. Die einzelnen Eignungskriterien und die Mittel zu deren Nachweis seien ausdrücklich zu bezeichnen und es genüge nicht, in der Bekanntmachung auf ein später in den Vergabeunterlagen zu findendes Formblatt hinzuweisen. Zudem fehle es an einer Verlinkung, über den das Formblatt mit den geforderten Eignungskriterien und Nachweisen direkt erreichbar sei. Es sei nicht ausreichend, wenn in der Bekanntmachung nur pauschal auf die Vergabeunterlagen verwiesen werde, denn so könnten potentielle Bieter gerade nicht auf einen Blick erkennen, ob sie als geeigneter Wettbewerbsteilnehmer in Betracht kommen würden. Damit habe der Antragsgegner im Ergebnis keine Eignungskriterien festgelegt.

Bei den in den Vergabeunterlagen befindlichen Angaben zu den Eignungskriterien handele es sich nicht um bloße Konkretisierungen, sondern vielmehr um unzulässige Abänderungen bzw. Verschärfungen der bekannt gemachten Vorgaben. Aufgrund des bloßen Verweises in der Bekanntmachung auf die “in der in der Eigenerklärung genannten Referenzleistungen” hätten die Bieter gerade nicht erkennen können, welche konkreten Eignungsanforderungen sie tatsächlich zu erfüllen hätten und welche Referenzen inhaltlich nachzuweisen wären. Die tatsächlichen Anforderungen an die Referenzen hätten sich allein aus Kapitel 1.1 und 1.2 der Anlage 1 zur Eigenerklärung zur Eignung ergeben. Ein Ausschluss der Antragstellerin aufgrund mangelnder Eignung wegen des Nichteinhaltens der in Anlage 1 angegebenen Mindestvorgaben hätte in der Bekanntmachung der Formulierung einer konkreten Schwelle bedurft, die Bieter überwinden müssen, um als geeignet zu gelten.

So sei nicht erkennbar gewesen, welche konkreten Eignungsanforderungen tatsächlich zu erfüllen und welche Referenzen inhaltlich nachzuweisen seien. Insbesondere sei nicht ersichtlich gewesen, dass der Antragsgegner in dieser Eigenerklärung noch weitere Mindestbedingungen an die Anzahl und den Inhalt der einzureichenden Referenzen stellen würde. Unklarheiten und Widersprüche würden zu Lasten des Auftraggebers gehen, so dass ein Ausschluss nicht auf die nur in den Vergabeunterlagen bezeichneten Anforderungen gestützt werden könne. Gleiches gelte für den Nachweis des Mindestjahresumsatzes.

Zudem seien zahlreiche Anforderungen unverhältnismäßig hoch und wettbewerbsbeschränkend. Die gelte für die Mindestjahresumsätze in Höhe von … Euro und … Euro, die anscheinend für jedes der letzten drei Geschäftsjahre gefordert würden. Gemäß § 6a EU Nr. 2 b VOB/A dürfe es nur einen geforderten Mindestumsatz geben, der nur einmal in den letzten drei Jahren erreicht werden müsse und nicht jedes Jahr.

Nicht zu rechtfertigen und wettbewerbsbeschränkend sei auch die Forderung von jeweils zwei anstatt nur einer Referenz für die Ausführungsplanung Brückenbau, den Neubau einer Stahlverbundbrücke, den Rückbau einer Spannbetonbrücke, den innerstädtischen Tunnelbau, den Erd- und Straßenbau sowie das Projektmanagement in innerstädtischer Lage.

Dazu gäbe es in den letzten 10 Jahren zu wenig fertiggestellte Projekte. Die abstrakten Längenvorgaben bei der Ausführungsplanung Brückenbau seien, ebenso wie Begrenzung der Brückenneubaureferenz auf den gleichen Brückentyp, unsachlich und unzulässig, da vergleichbare Spannbetonbrücken überwiegend nach dem 2. Weltkrieg gebaut worden und innerstädtische Lagen sowie deren Abriss selten seien.

Zudem sei es unsachlich, eine Fahrbahnsanierung bei Erd- und Straßenbau nicht als Umbau einer Straße zu werten. Es sei auch unverhältnismäßig, für das Projektmanagement Baudurchführung nur Projekte mit mehr als vier Jahren Ausführungszeit zu werten. Dies würden nur ÖPP-Projekte aufweisen, um die es hier nicht gehe. Unverhältnismäßig seien Anforderungen, wenn keine oder nur wenige der im Bieterfeld befindlichen Bietergemeinschaften mit ihren Referenzprojekten alle Anforderungen erfüllen. Ferner sei zu prüfen, ob anderen Bietern die Gelegenheit zur Nachreichung/Aufklärung geboten worden sei. Anhaltspunkt dafür sei, dass ohne Bieterfrage mit der Nachsendung vom 30.03.2022 in der “Anlage 1 zur Eigenerklärung Eignung Anforderungen zur Technischen Leistungsfähigkeit” die Mindestanforderung für die zwei Referenzen im Tunnelbau von “Straßentunnel” in “Tunnel im Bereich Verkehrsanlagestraße oder Schiene” abgesenkt worden seien.

Auch die Nichtberücksichtigung der benannten Nachunternehmer als Eignungsleiher und die unterlassene Aufklärung verletze die Antragstellerin in ihren Rechten. Ob der Angebotsausschluss auch auf einen Verstoß gegen das Selbstausführungsgebot gestützt werden solle, bleibe unklar. Unter Berücksichtigung des Transparenzgrundsatzes habe der Antragsgegner die Selbstausführung nicht wirksam gefordert. Die Vergabeunterlagen seien einfach zu halten und dürften nicht verwirren. Ein Selbstausführungsgebot sei nur in der “Anlage 1 zur Eigenerklärung Eignung” dargestellt, insofern die Hauptleistungen aus den Losen 1 Behelfsbauwerk (Stahlverbundbrücke inkl. Gründung) und 3 Tunnel (Baugrubenverbau und Tunnelbau) zwingend durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft zu erbringen seien. Die Antragstellerin habe sich davon nicht angesprochen gefühlt, da sie kein Angebot als Bietergemeinschaft unterbreiten wollte. Ansonsten habe der Antragsgegner immer zwischen Bieter und Bietergemeinschaft unterschieden. Auch diese Unklarheit würden zu Lasten des Antragsgegners gehen.

Zudem sei die Vorgabe eines Selbstausführungsgebots unzulässig und könne nur ausnahmsweise für “bestimmte kritische Aufgaben” bei einem durch den konkreten Einzelfall veranlassten berechtigten Interesse vorgeschrieben werden. Dies könne allerdings nicht pauschal für wesentliche Teile der Leistung, wie hier für die Hauptleistungen von Los 1 und Los 3, vorgeschrieben werden. Eine Beschränkung des Einsatzes von Nachunternehmen müsse tatsächlich erforderlich sein, um das damit verfolgte Ziel einer ordnungsgemäßen Ausführung des Auftrags zu erreichen. Dabei könne die Gesamtvergabe mehrerer Lose kein Argument sein, einzelne Lose nun als “bestimmte kritische Aufgaben” eines Gesamtauftrages anzusehen. Es sei nicht ersichtlich, warum diese Leistungen, die Standardbauverfahren verlangen, die aus vielen einzelnen Teilleistungen bestehen würden, alle als kritisch anzusehen seien. Da der Antragsgegner im Schreiben vom 16.08.2022 einen Verstoß gegen das Selbstausführungsgebot ohne Rechtsfolge anführe, sei zunächst davon auszugehen, dass darauf der Angebotsausschluss nicht gestützt werde. Vorsorglich verweist die Antragstellerin darauf, dass bei anderen Bietern anhand der Nachunternehmerverzeichnisse überprüft werden könne, ob diese als Bietergemeinschaftsmitglieder beabsichtigen, Teilleistungen unterzuvergeben. Dann würden aber auch diese Bieter auszuschließen sein, zumal sie alle Bietergemeinschaften seien.

Der Antragsgegner behaupte zu Unrecht, dass selbst wenn die Eignungskriterien und Mindestanforderungen von ihm nicht wirksam gefordert worden seien, die Antragstellerin ihre generelle Eignung nicht nachweisen könne. Die hilfsweise vorgenommene Eignungsprüfung sei ermessensfehlerhaft, denn der Antragsgegner gehe von einem falschen Sachverhalt aus und stelle unzulässig überhöhte Anforderungen. Es sei von der Antragstellerin nicht nur auf ihre PQ und die dort hinterlegten Referenzen verwiesen worden, sondern sie habe darüber hinaus auch umfänglich Referenzprojekte ihrer benannten Nachunternehmer beigefügt. Diese Referenzen seien bei der Überprüfung ihrer Eignung zur Leistungserbringung auch zu berücksichtigen, denn die Antragstellerin habe mit ihrem Angebot offensichtlich eine Eignungsleihe der von ihr benannten Nachunternehmer angestrebt. Der Antragsgegner habe in “Anlage 1 zur Eigenerklärung Eignung” die Begriffe “Eignungsleihe” und “benannte Nachuntemehmer” synonym verwendet, denn er lasse auf Seite 6 nur zu, dass Referenzen von einem “benannten Nachunternehmer, der eine Verpflichtungserklärung abgegeben hat”, beigebracht werden. Nach ihrem jetzt an den Tag gelegten Verständnis hätte auch gesondert die Vorlage einer Referenz eines “Eignungsleihers, der eine Verpflichtungserklärung abgegeben hat” erwähnt werden müssen. Auch wenn die Antragstellerin versehentlich die entsprechenden Formulare zur Eignungsleihe nicht ausgefüllt und eingereicht habe, sei ihr Angebot gleichwohl auslegungsfähig und danach eindeutig gewesen. Dies habe sich so auch aus den Verpflichtungserklärungen in Zusammenschau mit den PQ-Unterlagen für die X GmbH und die Y AG ergeben. Zudem sei der Name des Eignungsleihers einschließlich ggf. vorhandener PQ-Nummer erst auf gesondertes Verlangen vorzulegen gewesen. In Ziffer 6 der Teilnahmebedingungen würden die unterschiedlichen Formulare nicht erwähnt.

In den Vergabeunterlagen seien in “Anlage 1 zur Eigenerklärung” Mindestangaben zu finden gewesen, die eine Referenz haben und Mindestanforderungen, die eine vorgelegte Referenz erfüllen müsse. Auch Mindestzahlen an geforderten Referenzen seien dort zu finden. Sonst sei in den Vergabeunterlagen nichts zur Eignungsleihe zu finden. Das benannte Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau (HVA B-St) habe nicht beigelegen. Damit würden die Formulare zur Eignungsleihe quasi in der Luft hängen. Da die Vergabeunterlagen klar, genau und eindeutig formuliert sein müssten, trage der Antragsgegner nach der Rechtsprechung das Risiko von Unklarheiten. Verpflichtungserklärungen seien nicht mit Angebotsabgabe gefordert worden, sondern die Bieter hatten für von ihnen benannte Eignungsleiher und Unterauftragnehmer nur auf Anforderung des Auftraggebers Verpflichtungserklärungen nachzureichen. Zudem gebe es nur ein Formular “Verpflichtungserklärung”, welches auch die Haftungsübernahme mit abdecke. Dieses sei aber erst auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle vorzulegen.

Die Angaben der Antragstellerin seien zumindest derart widersprüchlich gewesen, dass dies vor einem Angebotsausschluss nach ständiger Rechtsprechung zu einer Aufklärung zur Eignung hätte führen müssen. Die Möglichkeit zur Nachforderung habe der Antragsgegner ausdrücklich und ohne Differenzierung in seinen Vergabeunterlagen vorgesehen (vgl. Ziff. 3.3 der Aufforderung zur Angebotsabgabe). Somit sei er auch daran gebunden. Dies sei auch nicht unzulässig, da sich aus der Bekanntmachung nicht ergeben würde, ob und wenn ja, welche auftragsspezifischen Einzelnachweise der Antragsgegner zusätzlich zur Eintragung ins PQ-Verzeichnis bezüglich der Referenzen fordere.

Zudem sei es für Bieter anhand der Bekanntmachung objektiv nicht erkennbar gewesen, dass “vergleichbare Leistungen” Ausführungsplanung, Neubau einer Stahlverbundbrücke inkl. Fangedämme, Abbruch einer Brücke aus Stahlbeton (Hoch straße), Tunnelbau in offener Bauweise mit Tunnelverbau (Schlitzwand, verankerte Unterwasserbetonsohle, Bohrpfahlwand, DS-Sohle), Umbau des Bestandstroges (insbesondere Herstellung Bohrpfähle, DSSohle und DS-Wand) und Umbau der Verkehrsanlage meine.

Außerdem seien im PQ-Verzeichnis höchstens die Referenzen der letzten fünf Jahre hinterlegt. Hier sollten jedoch Referenzen aus den letzten 10 Jahren angegeben werden. Damit hätten vor einem Ausschluss Referenzen aus 2012 – 2017 sowie aus den Jahren 2018 – 2022 nachgefordert werden müssen, die über drei hinausgehende Referenzen fehlen. Es würden offensichtlich auch sämtliche Rückbaureferenzen sowie für die … die Referenzen … sowie … für den Umbau von Bestandsstraßen/Verkehrsanlagen innerorts fehlen. Dabei handele sich nicht um eine unzulässige Nachbesserung unzureichender Referenzen, sondern um die zulässige und gebotene Nachforderung fehlender Referenzen. Wären die fehlenden Unterlagen/Referenzen vergaberechtskonform nachgefordert worden, hätte die Antragstellerin ihre Eignung zur Leistungserbringung nachweisen können und ihr Angebot wäre wertbar gewesen.

Zudem habe der Antragsgegner auch nicht berücksichtigt, dass er gemäß § 6b EU Abs. 3 VOB/A auf die Vorlage von Nachweisen verzichtet, wenn er im Besitz dieser Nachweise sei. Dies gelte beispielsweise für das 2013 im Auftrag des Antragsgegners durch die Antragstellerin und mit ihr verbundene Unternehmen fertiggestellte Bauvorhaben “Neubau der Brücke …”. Hier seien neben dem Bau sowohl die Ausführungsplanung als auch umfangreiche Abbruchleistungen vom Auftrag erfasst gewesen.

Ferner würden überzogene Eignungsanforderungen hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Leistungen gestellt, denn die besonders hohen Anforderungen an die wirtschaftliche, technische und berufliche Leistungsfähigkeit würden wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten, weil nur ein oder wenige Unternehmen diese Anforderungen erfüllen könnten. Insbesondere würden sie keinen tragfähigen Rückschluss auf die tatsächlich erforderliche Fachkunde und Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung zulassen.

Auch die Anforderungen zum Mindestumsatz seien intransparent. So erscheine ein Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von … Euro, das zudem Teil eines europaweit agierenden Konzerns sei, nicht von vornherein als wirtschaftlich ungeeignet. Für die Antragstellerin hätte der Umsatz für das Jahr 2021 nachgefordert werden müssen, da Angaben für die die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre verlangt waren. Der geschätzte Auftragswert in Höhe von … Euro solle planmäßig in 8 Jahren verbaut werden.

Das entspräche einem durchschnittlichen Jahresumsatz bei diesem Projekt von ca. … Euro, welchen die Antragstellerin allein im letzten Geschäftsjahr weit überschritten habe. Soweit die Anforderungen des Antragsgegners nicht überhöht seien, erfülle die Antragstellerin diese mit ihren Referenzen. Es sei daher ermessensfehlerhaft, der Antragstellerin ohne Aufklärung und Nachforderung die technische Leistungsfähigkeit abzusprechen.

Da in der Bekanntmachung keine Planungsleistungen als CPV-Codes genannt worden seien, sei auch nicht davon auszugehen gewesen, dass aus den letzten 10 Jahren auch Planungsleistungen anhand von Referenzen nachzuweisen seien. Die Forderung nach einer Referenz für die Ausführungsplanung zum Umbau eines Bestandstroges sei überzogen, da der Antragstellerin kein Umbau eines Bestandstroges bekannt sei.

Auch die Forderung nach Referenzen für Neubauten von Stahlverbundbrücken mit Fangedämmen als Komplettleistung und für den Abbruch einer Hoch straße über 16 Felder aus Spannbeton mit externer Vorspannung im innerstädtischen Raum seien überzogen. Solche Leistungen sein in den letzten 10 Jahren in Deutschland nur in sehr geringer Anzahl erbracht worden. Tunnel in der ausgeschriebenen Länge seien in dieser Bauweise in dem Zeitraum selten gewesen. Die Randbedingungen (Schlitzwand, verankerte Unterwasserbetonsohle, Bohrpfahlwand, DS-Sohle) gebe es allerdings bei vielen Bauwerken. Der Umbau eines Bestandstroges sei ebenfalls selten. Das “oder” im Schreiben vom 16.08.2022, Seite 6, würde dahin gehend verstanden, dass auch Referenzen für den Neubau einer DS-Sohle, DS-Wand und Bohrpfahlwand akzeptiert würden, was nicht beanstandet würde. Nur Ortsdurchfahrten und keine Ortsumgehungen als vergleichbare Leistungen zu akzeptieren, sei ebenfalls unsachlich. Diese seien in der Regel auch zu Beginn und am Ende einer Ortsumgehung zu errichten.

Die Antragstellerin sei unter Berücksichtigung ihrer als Eignungsleiher benannten Nachunternehmer und deren Umsätze und Referenzen bei ermessensfehlerfreier Prüfung zur Erbringung der hier ausgeschriebenen Leistungen geeignet. Die Verpflichtungserklärungen der Unternehmen Y AG und X GmbH seien mit dem Angebot vorgelegt worden und deshalb auch bei der Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen.

Mit Schriftsatz vom 26.09.2022 vertieft die Antragstellerin ihren Vortrag und führt ergänzend aus, dass die Vergabekammer ausnahmsweise auch nicht rechtzeitig gerügte Vergabeverstöße von Amts wegen aufgreifen dürfe, wenn diese schwerwiegend und offenkundig seien. Ferner liege kein Verstoß gegen den Geheimwettbewerb vor, da dieser im offenen Verfahren im Moment der Angebotsöffnung ende. Die Kenntnis des Submissionsergebnisses könne daher die Angebotsabgabe der Bieter nicht mehr beeinflussen, denn dieses werde erst nach Ablauf der Angebotsfrist bereitgestellt. Zudem hätten weder die Antragstellerin noch …, der hier weder Bieter noch Antragstellerin sei, der Presse oder sonstigen Dritten Informationen über die Angebotssummen mitgeteilt. Der Versuch der Verhinderung eines “gerichtlichen” Verfahrens im Wege der “außergerichtlichen” Streitbeilegung könne keine Einflussnahme darstellen.


Die Antragstellerin beantragt,

1.Dem Antragsgegner wird untersagt, bei dem Vergabeverfahren …, VE1 Behelfsbauwerk, Tunnel, Trog, Verkehrsanlagen den Zuschlag zu erteilen.

2.Dem Antragsgegner wird aufgegeben, den Ausschluss der Antragstellerin vom Vergabeverfahren …, VE1-Behelfsbauwerk, Tunnel, Trog, Verkehrsanlagen zurückzunehmen und im Übrigen unter Nichtanwendung ihrer formellen Eignungsanforderungen, die sich nur aus den Vergabeunterlagen ergaben, die Prüfung und Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.

3.Hilfsweise: Der Antragsgegner wird verpflichtet, bei Aufrechterhaltung seiner sich nur aus den Vergabeunterlagen ergebenden formellen Eignungsanforderungen das Verfahren in den Stand vor Versendung der Bekanntmachung zurückzuversetzen und im Übrigen die Aufstellung der Eignungs- und Ausführungskriterien unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.

4. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten aufseiten der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

5. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten und Auslagen der Antragstellerin.


Der Antragsgegner beantragt,

1.die Anträge zurückzuweisen,

2.im schriftlichen Verfahren zu entscheiden,

3.die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen.


Der Nachprüfungsantrag sei unzulässig. Die Antragstellerin sei mit dem Vortrag präkludiert, die Vergabestelle habe mit ihren Eignungskriterien und Mindestanforderungen zu hohe Anforderungen an die Bieter gestellt. Gleiches gelte für das Argument, dass der Antragsgegner die Eignungsprüfung nicht anhand der in der Eigenerklärung zur Eignung genannten Mindestanforderungen hätte durchführen dürfen. Auch die angegriffene Selbstausführung hätte bereits bis zum Ende der Angebotsfrist gerügt werden müssen.

Bei der Antragstellerin könne davon ausgegangen werden, dass es sich um einen durchschnittlichen Bieter in der Baubranche handele, da er bereits seit Jahrzehnten am Markt tätig sei, über … Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftige, über diverse Konzerngesellschaften verfüge und seit genauso langer Zeit an öffentlichen Auftragsvergaben beteiligt sei. Hier habe sich dem Bieter ein Vergabefehler aufgedrängt und sei damit erkennbar gewesen. Die Antragstellerin, welche allein die … sei, habe gewusst, dass sie die geforderten Mindestkriterien nicht erfülle. Eine Chance auf den Zuschlag hätte sie nur gehabt, wenn es keine Mindestkriterien gäbe. Da sie dies aber nicht bis zum Ende der Angebotsfrist gerügt habe, sei sie mit dem Argument präkludiert. Im Übrigen seien die Mindestanforderungen bereits Gegenstand mehrerer Bewerberanfragen während der Angebotsphase gewesen.

Gleiches gelte für das Argument, der Ausschluss könne nicht auf die fehlende Eignung gestützt werden, da die in der Anlage 1 zur Eigenerklärung zur Eignung genannten Mindestanforderungen nicht aus der Bekanntmachung ersichtlich gewesen seien.

Auch der behauptete Vergaberechtsfehler, das Gebot der Selbstausführung verstoße gegen den Transparenzgrundsatz, da es sich nicht in der Bekanntmachung befinde, sowie gegen § 6d EU VOB/A sei ebenfalls präkludiert, denn diese behaupteten Vergaberechtsfehler waren bereits aus den Vergabeunterlagen ersichtlich und für die Antragstellerin auch erkennbar.

Der Amtsermittlungsgrundsatz greife nicht bei präkludierten Verstößen und sei im Ergebnis nicht mehr von der Vergabekammer zu prüfen.

Der Antrag sei zudem auch unbegründet. In der Bekanntmachung und der Anlage 1 zur Eigenerklärung zur Eignung seien die genannten Mindestanforderungen wirksam gefordert worden. Die Antragstellerin sei nicht in ihren Rechten verletzt, wenn sie mangels Eignung ausgeschlossen worden sei, da sie die geforderten Mindestanforderungen nicht erfülle. In der Bekanntmachung seien bereits Angaben dahin gehend gemacht worden, dass es in den Vergabeunterlagen zur finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit Mindestkriterien und Eignungskriterien gebe. Diese Anforderungen seien dort unter Anlage 1 der Eigenerklärung zur Eignung lediglich konkretisiert worden.

Für die Antragstellerin sei einzig und allein auf die Referenzen abzustellen, die unter der von ihr angegebenen PQ-Nummer hinterlegt gewesen seien. Eine Bietergemeinschaft sei ausweislich des Angebotes nicht gegründet worden. Auch ein Rückgriff auf die eingereichten zusätzlichen Referenzen der beiden benannten Unternehmen scheide grundsätzlich aus, denn eine Eignungsleihe liege ausweislich des Angebotes nicht vor. Das Angebot sei auch nicht auslegungsfähig, denn ein leeres Formblatt “Eignungsleihe” könne nur dahin gehend verstanden werden, dass eine solche gerade nicht vorgesehen sei. Daran ändere auch das Einreichen von Verpflichtungserklärungen vorgesehener Nachunternehmer nichts, wenn die Antragstellerin in dem Formblatt zur Eignungsleihe keinerlei Eintragungen vorgenommen habe. Die Antragstellerin wäre verpflichtet gewesen, ausdrücklich im Angebot geltend zu machen, dass sie sich zusätzlich zum beabsichtigten Nachunternehmereinsatz zum Nachweis der Eignung einer Eignungsleihe bedienen möchte. Ein Nachfordern des Formblattes Eignungsleihe komme nur in Betracht, wenn der öffentliche Auftraggeber den Bieter auffordere den Eignungsleiher auszutauschen, sofern der ursprünglich genannte nicht geeignet sei. Es würde eine unzulässige Änderung des Angebotes darstellen, wenn sich die Antragstellerin wegen festgestellter fehlender eigener Eignung diese nunmehr leihen möchte. Ausweislich der Angaben im PQ-Verzeichnis würden die dort genannten Zahlen zu den Jahresumsätzen nicht die Mindestanforderungen erfüllen.

Die Mindestanforderungen zur technischen Leistungsfähigkeit seien nicht unverhältnismäßig, vielmehr würden sie mit dem Ausschreibungsgegenstand in Verbindung und in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die beim PQ-Verein hinterlegten Referenzen würden den Rückbau/Abbruch von Abstellflächen aus Stahlbeton auf einem Flugplatz sowie dem Abbruch einer Geh- und Radwegbrücke aus Holz beinhalten und insofern die Mindestanforderungen nicht erfüllen. Zu den geforderten 2 Referenzen bzgl. des Tunnelbaus in offener Bauweise mit einer Mindestlänge von 600 m in innerstädtischer Lage seien keinerlei Referenzen hinterlegt. Selbst wenn die Referenzen der benannten Firmen im Rahmen der Eignungsleihe gewertet würden, würden so nur die finanziellen Mindestkriterien erfüllt, nicht aber die technischen.

Zudem seien die die eingereichten Nachweise und Referenzen bzgl. der finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit mit der ausgeschriebenen Leistung nicht vergleichbar. Allein maßgebend seien auch hierfür die im PQ-Verzeichnis hinterlegten Angaben und Referenzen. Der Jahresumsatz sei bei weitem mit dem Auftragswert von … Euro nicht vergleichbar, da er sich weit unter dem ausgeschriebenen Auftragswert bewege. Ebenso verhalte es sich mit der technischen Leistungsfähigkeit. Ausweislich der unter der einschlägigen PQ-Nummer hinterlegten Referenzen habe die Antragstellerin lediglich ähnliche Teilleistungen erbracht (Neubau von Schlitzwänden, verankerte Unterwasserbetonsäule), bei des es sich nicht um den Neubau eines Tunnels in offener Bauweise mit vergleichsweiser Länge und in innerstädtischer Lage handele. Auch hinsichtlich des ausgeschriebenen Rückbaus einer Spannbetonbrücke mit einer Länge von … m in innerstädtischer Lage befinden sich in den hinterlegten Referenzen keine vergleichbaren Leistungen. Ein Nachfordern geeigneter Referenzen sei nicht in Frage gekommen. Bediene sich ein Bieter zum Nachweis seiner Eignung einzig seiner PQ-Nummer und den dort hinterlegten Referenzen, müsse er sich hieran festhalten lassen.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin habe der Antragsgegner bestimmte Teilleistungen wirksam zur Selbstausführung bestimmt. Bei diesem Gebot handele es sich um Ausführungsbestimmungen i. S. d. § 128 Abs. 2 GWB, die nicht in der Bekanntmachung benannt werden müssten, sondern auch in den Vergabeunterlagen benannt werden dürften. Die Eigenerklärung zur Eignung und die Anlage 1 würden dabei zu den Vergabeunterlagen gehören.

Es sei abwegig sich als Bieter nicht angesprochen zu fühlen, wenn zunächst von Hauptbauleistungen, die zwingend durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft zu erbringen seien, die Rede sei. Auch bei Bietergemeinschaften handele es sich um einen Bieter, so dass selbstverständlich auch “Einzelbieter” angesprochen seien.

Der Antragsgegner habe zu Recht entschieden, welche kritischen Aufgaben vom Auftragnehmer selbst durchzuführen seien. Nicht die gesamte LE 1 und LE 3 habe dem Selbstausführungsgebot unterlegen, sondern eben nur die Hauptbauleistungen dieser Leistungseinheiten. Es handele sich somit nur um 2 von insgesamt 6 Leistungseinheiten, in welchen Teilleistungen dem Selbstausführungsgebot unterliegen würden. Was dabei mit Hauptbauleistungen gemeint sei, sei bereits durch die entsprechenden Antworten der Vergabestelle auf diverse Bieterfragen konkretisiert worden. Dabei seien mit Hauptbauleistung insbesondere Beton- und Stahlbetonarbeiten sowie Tiefgründungen und Baugrubensicherung gemeint worden.

Die Begründung für die Selbstausführung rühre aus der Komplexität des Gesamtsystems. Wenn die Antragstellerin meine, bei den genannten Leistungen handele es sich um Standardbauweisen, zeige dies, dass sie die tatsächlichen Dimensionen dieser Arbeiten und des Gesamtprojektes nicht hinreichend erkannt habe. Um Standardbauweisen würde es sich lediglich für solche Firmen handeln, die Erfahrung in der Ausführung von Projekten in vergleichbaren Dimensionen hätten. Die gegenseitige Beeinflussung der Behelfsbrücke und des Tunnelbauwerkes könne nur von erfahrenen Unternehmen erkannt werden, bei einer Teilung der Verantwortung berge dies die Gefahr, dass Zuständigkeiten und Haftungsthemen nicht eindeutig festgeschrieben werden könnten. Das Angebot der Antragstellerin sei auch daher auszuschließen, weil durch die Benennung von Nachunternehmern für die Hauptleistungen der LE 1 und LE 3 die Vergabeunterlagen unzulässig geändert worden seien.

Zudem sei zu prüfen, ob weitere Gründe einen Ausschluss rechtfertigen würden. Wesentliches und unverzichtbares Merkmal einer Vergabe im Wettbewerb sei die Gewährleistung eines Geheimwettbewerbs zwischen den an der Ausschreibung teilnehmenden Bietern. Hier sei ein Verstoß sehr wahrscheinlich, da das Submissionsergebnis vergaberechtswidrig an außerhalb des Vergabeverfahrens stehende Dritte weitergegeben worden sei. In einem Zeitungsartikel in der … vom ….2022 sei unter Bezugnahme auf Herrn … über massive Kostensteigerungen des ausgeschriebenen Projektes berichtet worden und dabei seien innerhalb des Artikels sowohl die Angebotssumme der Antragstellerin als auch Angebotssummen der weiteren Bieter genannt worden.

Mit Schreiben vom 19.07.2022 habe sich der Vorstand der “…”, Herr …, an den Minister, Herrn …, offenbar mit der Bitte um ein klärendes Gespräch mit der Vergabestelle gewandt. Das Vergabeverfahren sei aufzuheben und mit der Antragstellerin in das Verhandlungsverfahren einzutreten. Dabei seien offenbar konkrete Vorschläge zu anderen Bauweisen und sich daraus ergebenen günstigeren Preisen gemacht worden. Nach Mitteilung der Vergabestelle vom 16.08.2022, der Rüge nicht abhelfen zu wollen, wandte sich Herr … erneut mit Schreiben vom 18.08.2022 an den Minister mit der Bitte, den Ausschluss aufzuheben – wenngleich dieses Ansinnen vom … zurückgewiesen und die Antragstellerin auf den Rechtsweg zu den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen verwiesen wurde. Auch wenn Herr … im Verhältnis zur Antragstellerin als Außenstehender gelten würde, könne dies als Versuch der unredlichen Einflussnahme auf einen öffentlichen Auftraggeber in einem Vergabeverfahren gewertet werden, was zwangsweise zu einem Ausschluss führen müsse.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hat auf die aktuelle Rechtsprechung des OLG Celle (Beschluss vom 07.07.2022 – 13 Verg 4/22) und die ständige Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zu den Anforderungen an die Darlegung der Antragsbefugnis bei der Beanstandung von Verstößen gegen die Bekanntmachungspflicht hingewiesen.

Die Vergabekammer hat mit Verfügung vom 04.10.2022 gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist hinaus bis zum 18.10.2022 verlängert.

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2022 Bezug genommen.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist überwiegend zulässig. Er ist unzulässig, soweit die Antragstellerin erst mit ihrem Rügeschreiben vom 26.08.2022 beanstandet hat, die vom Auftraggeber aufgestellten Anforderungen an die wirtschaftliche, technische und berufliche Leistungsfähigkeit bzw. die berufliche Erfahrung seien besonders hoch und unangemessen. Diesbezüglich ist die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert, da der vermeintliche Vergaberechtsverstoß für die Antragstellerin aus den Vergabeunterlagen erkennbar war (im Folgenden 1).

Soweit der Nachprüfungsantrag zulässig ist, ist er unbegründet. Der Antragsgegner hat das Angebot der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht gemäß § 16 b Abs. 1 EU VOB/A i. V. m. § 6 EU Abs. 1 VOB/A mangels nachgewiesener Eignung von der weiteren Wertung ausgeschlossen. Zwar konnte der Antragsgegner den Angebotsausschluss nicht auf eine Nichterfüllung der in den Vergabeunterlagen für den Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit festgelegten und geforderten Mindestumsätze im Hinblick auf den Gesamtumsatz in den letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahren und Angaben zum vergleichbaren Umsatz in den letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahren sowie der ebenfalls erst in den Vergabeunterlagen festgelegten Mindestanforderungen hinsichtlich des Nachweises der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit stützen. Denn der Antragsgegner hat es versäumt, die Mindestanforderungen gemäß § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen (im Folgenden 2 a). Es ist jedoch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner auf die entsprechende Rüge der Antragstellerin vom 09.08.2022 erneut in die Eignungsprüfung eingetreten ist und geprüft hat, ob die Antragstellerin mit ihrem Angebot Angaben und Nachweise zu mit dem ausgeschriebenen Auftrag vergleichbaren Leistungen gemacht und vorgelegt hat (im Folgenden 2 b). Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat die Antragstellerin es vorliegend versäumt, mit dem Angebot ihre Eignung im Wege der Berufung auf Referenzen von Nachunternehmern im Rahmen einer Eignungsleihe darzulegen (im Folgenden 2 c). Es ist schließlich auch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner gemäß § 6d EU Abs. 4 VOB/A und § 47 Abs. 5 VgV für bestimmte Teilleistungen – Beton- und Stahlbetonarbeiten – die Selbstausführung gefordert hat. Der Antragsgegner hat diese Teilleistungen auch gemäß § 128 Abs. 2 GWB als besondere Ausführungsbedingungen in den Vergabeunterlagen wirksam zur Selbstausführung bestimmt. Diese Vorgabe beschränkt sich nicht auf Angebote von Bietergemeinschaften, sondern gilt ebenso für Einzelbieter und damit auch für die Antragstellerin (im Folgenden 2 d).

1. Der Nachprüfungsantrag ist überwiegend zulässig.

Bei dem Antragsgegner handelt es sich um das … und damit um einen öffentlichen Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweiligen Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, die nach den EU-Richtlinien festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Bauauftrag i. S. des § 1 EU VOB/A, für den gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 der RL 2004/24/EU in der seit 01.01.2022 und damit zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens geltenden Fassung ein Schwellenwert von 5.382.000 Euro gilt. Die geschätzten Kosten für die streitgegenständliche Baumaßnahme überschreiten ausweislich Ziffer II.2.6 der EU-Auftragsbekanntmachung diesen Schwellenwert mit … Euro deutlich.

Die Antragstellerin ist auch gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie beanstandet, dass der Antragsgegner entschieden hat, das Angebot der Antragstellerin wegen vermeintlich nicht nachgewiesener Eignung auszuschließen. Der Antragsgegner habe in vergaberechtswidriger Weise Eignungnachweise von Nachunternehmern, auf die sich die Antragstellerin für ihr Angebot im Wege der Eignungsleihe gestützt habe, nicht berücksichtigt.

Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB, § 160, Rn. 23, Boesen, Vergaberecht, § 107 GWB, Rn. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzungen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 – 2 BvR 2248/04; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB, § 160, Rn. 43; vgl. Beck VergabeR/ Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160, Rn. 34; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, GWB-Vergaberecht, 4. Aufl., § 160, Rn. 30 ff.).

Entgegen der Auffassung der Beigeladenen und des Antragsgegners ist die Antragsbefugnis vorliegend auch gegeben, soweit die Antragstellerin beanstandet hat, dass sämtliche Eignungsanforderungen, die als nicht erfüllt angesehen würden, sich nicht aus der Bekanntmachung, sondern nur aus den Vergabeunterlagen ergeben und somit nicht wirksam gefordert worden seien.

Die Beigeladene und der Antragsgegner vertreten die Auffassung, dass sich die Antragstellerin auf eine vermeintlich mangelhafte Bekanntmachung der Eignungskriterien und -nachweise inklusive der in den Vergabeunterlagen diesbezüglich festgelegten Mindeststandards nicht berufen könne, weil sie nicht dargelegt habe, dass sie bei ordnungsgemäßer Bekanntmachung ein anderes, wertungsfähiges Angebot abgegeben hätte. Schließlich habe die Antragstellerin ihr Angebot in Kenntnis der in den Vergabeunterlagen festgelegten Eignungsanforderungen abgegeben. Sie berufen sich für diese Auffassung insbesondere auf eine Entscheidung des OLG Celle vom 07.07.2022 – 13 Verg 4/22 (zitiert nach ibr-online). Der Vergabesenat hat im dortigen Fall entschieden, dass für die Antragsbefugnis ein schlüssiger Vortrag erforderlich ist, aus dem sich ergibt, dass gerade durch den gerügten Verstoß gegen Vergaberecht die Aussichten des Antragstellers auf eine Berücksichtigung seiner Bewerbung oder seines Angebotes im Hinblick auf die Zuschlagserteilung beeinträchtigt worden sein könnten (Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB, § 160, Rn. 32, 33). Der Schaden muss daher grundsätzlich auf die Zuschlagschance bezogen sein. Die Antragsbefugnis kann also grundsätzlich nicht aus jenseits der Zuschlagschance liegenden Beeinträchtigungen rechtlicher oder wirtschaftlicher Art hergeleitet werden (aaO). Dabei sind die in § 160 Abs. 2 GWB genannten Voraussetzungen in einer Weise auszulegen, die dem betroffenen Unternehmen einen effektiven Rechtsschutz gewährleisten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.07.2004- 2 BvR 2248/03 zu § 107 Abs. 2 GWB a.F.). Daher sind insoweit keine hohen Anforderungen zu stellen.

Ein Verstoß gegen die Bekanntmachungspflicht kann demnach nur dann erfolgreich geltend gemacht werden, wenn der Bieter darlegen kann, dass das Angebot im Fall eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag hätte haben können als im beanstandeten Verfahren. So ist beispielsweise im Falle einer nicht bekannt gemachten Umrechnungsformel zu fragen, ob der Bieter bei deren Kenntnis ein chancenreicheres Angebot abgegeben hätte (Wagner in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 127 GWB (Stand: 27.05.2021), Rn. 88). Weil es sich um subjektive Umstände aus der Sphäre des Antragstellers handelt, muss er zumindest plausibel und schlüssig darstellen, dass die fehlende Bekanntgabe der Umrechnungsformel zu einer Fehlvorstellung geführt hat, die sein Angebot beeinflusst hat, und er bei Kenntnis der Formel Änderungen seines Angebotes vorgenommen hätte, die seine Zuschlagschancen erhöht hätten.

Dieser Entscheidung des OLG Celle lag jedoch ein mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Die dortige Antragstellerin hatte die fehlende Bekanntgabe der vom Antragsgegner festgelegten Preisbewertungsformel beanstandet. Im Ergebnis hat der Vergabesenat im dortigen Fall ausgeschlossen, dass die Antragstellerin bei der Erstellung ihres Angebots darauf vertraut hat, dass die Preisbewertung “ähnlich” der Abstufungen der Konzeptbewertung erfolgen würde, und ihr Angebot danach ausgerichtet hat.

Diese Rechtsprechung ist aber nach Auffassung der Vergabekammer nicht auf Fälle übertragbar, in denen sich ein Bieter auf die mangelhafte Bekanntmachung von Eignungskriterien beruft (a. A. VK Bund, Beschluss vom 31.08.2022 – VK 2-72/22, zitiert nach ibr-online). Denn im Gegensatz zur Transparenz von Preisbewertungsformeln ist für Eignungskriterien ausdrücklich gesetzlich geregelt, dass sie in der Auftragsbekanntmachung zwingend aufgeführt werden müssen (§ 122 Abs. 4 Satz 2 GWB).

Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, bleibt daher eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 – X ZB 14/06). Die Antragstellerin hat eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Chancen auf den Zuschlag und damit einen möglichen Schaden schlüssig dargelegt.

Die Antragstellerin hat überwiegend ihrer Pflicht genügt, den geltend gemachten Verstoß gegen die Vergaberechtsvorschriften gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB vor Einreichen des Nachprüfungsantrags gegenüber dem Auftraggeber zu rügen.

Sie ist jedoch mit ihrem Vortrag gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert, soweit sie erst mit Anwaltsschriftsatz vom 26.08.2022 die hohen Anforderungen an die wirtschaftliche, technische und berufliche Leistungsfähigkeit bzw. die berufliche Erfahrung als unangemessen beanstandet hat. Für eine derartige Einschätzung und Beanstandung bedurfte es keiner anwaltlichen Beratung der Antragstellerin als in öffentlichen Aufträgen erfahrenes Bieterunternehmen. Die Antragstellerin war sich bei Legung ihres Angebotes über den Inhalt und die Höhe der in den Vergabeunterlagen aufgeführten Eignungsanforderungen bewusst. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Antragstellerin nach ihrem eigenen Vortrag im Nachprüfungsverfahren davon ausgegangen ist, dass sie die Anforderungen nur durch Unterstützung durch Kapazitäten anderer Unternehmen im Wege der Eignungsleihe erfüllen konnte, was sie ihrer Auffassung nach mit ihrem Angebot auch wirksam getan habe.

Einen mit dem Umfang oder der Höhe der Eignungsanforderungen verbundenen, vermeintlichen Vergaberechtsverstoß konnte die Antragstellerin daher aus den Vergabeunterlagen erkennen und musste diesen spätestens bis zum Ablauf der Frist für die Angebotsabgabe gegenüber dem Antragsgegner rügen.

Soweit sie sich mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen den Angebotsausschluss und insbesondere die Nichtberücksichtigung der Referenzen der von ihr vermeintlich im Angebot als Eignungsleiher aufgeführten Nachunternehmer wendet, hat sie diese Verstöße rechtzeitig nach positiver Kenntniserlangung gerügt. Bei der Vorschrift des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen.

Der Antragsgegner informierte die Antragstellerin mit Informationsschreiben vom 08.08.2022 darüber, dass deren Angebot ausgeschlossen worden sei, da es nicht alle in den Vergabeunterlagen gestellten Bedingungen erfülle und begründete Zweifel an deren Eignung hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen sowie der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit gebe. Die Leistungsfähigkeit sei nicht im geforderten Umfang nachgewiesen worden. Ihre Eignung sei im Hinblick auf die gestellten Anforderungen nicht erfüllt. Zudem sei das Selbstausführungsgebot nicht berücksichtigt worden.

Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Anwaltsschreiben vom 09.08.2022 den Angebotsausschluss als unzulässig. Sämtliche Eignungsanforderungen, die als nicht erfüllt angesehen würden, hätten sich nicht aus der Bekanntmachung, sondern nur aus den Vergabeunterlagen ergeben und seien somit nicht wirksam gefordert worden.

Diese Rüge in Bezug auf das Unterbleiben einer Bekanntmachung von Eignungsvorgaben im Auftragsbekanntmachungsformular erfolgte rechtzeitig. Die Antragstellerin ist diesbezüglich nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB präkludiert.

Zwar betrifft sie ein Defizit in der Auftragsbekanntmachung selbst. Die Rügeobliegenheit nach dieser Vorschrift wird jedoch nur dann ausgelöst, wenn der geltend gemachte Vergabefehler aus verständiger Bietersicht erkennbar war. Von einer derartigen Erkennbarkeit ist indes nicht auszugehen. Für die Erkennbarkeit kommt es darauf an, dass ein Vergaberechtsverstoß in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht von einem durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung üblicher Sorgfalt hätte erkannt werden können (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2018, Verg 24/18). Zwar ist bei einem sorgfältig agierenden und durchschnittlich fachkundigen Bieter, der sich mit einem Angebot an einem Vergabeverfahren beteiligen will, davon auszugehen, dass er die wesentlichen vergaberechtlichen Grundsätze kennt. Dazu gehört grundsätzlich auch das Wissen darüber, dass ein öffentlicher Auftrag nicht voraussetzungslos vergeben werden, sondern nur an ein Unternehmen erteilt werden darf, das überhaupt in der Lage scheint, den Auftrag in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht erfüllen zu können, und der Auftraggeber dementsprechend verpflichtet ist, eine Überprüfung der Eignung anhand von ihm vorab gegenüber allen Bietern bekannt zu machenden Eignungskriterien durchzuführen. Zwar kann sich die Verpflichtung eines Auftraggebers, die Eignungsanforderungen in der Auftragsbekanntmachung zu veröffentlichen, dem Bieter unmittelbar durch die Lektüre der gesetzlichen Bestimmung des § 122 Abs. 4 S. 2 GWB erschließen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 07.11.2007 – 1 Verg 6/07). Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass vorliegend in der Auftragsbekanntmachung Ausführungen zu den Eignungskriterien und nachweisen nicht etwa völlig fehlten. Für die Frage, ob die Ausführungen im Sinne der dazu ergangenen Rechtsprechung ausreichend sind, ist die Erkennbarkeit eines damit zusammenhängenden Vergaberechtsverstoßes im vorliegenden Fall zu verneinen. Dazu bedurfte die Antragstellerin anwaltlicher Beratung.

Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin behielt sich weitere Rügen nach Prüfung sämtlicher Vergabeunterlagen ausdrücklich vor, da sie in der Kürze der Zeit ihrer Mandatierung den gesamten Vergabeprozess noch nicht habe nachvollziehen können.

Mit Schreiben vom 16.08.2022 erwiderte der Antragsgegner, dass er der Rüge nicht abhelfe, und begründete ausführlich den Angebotsausschluss. Dabei legte er erstmals dar, dass die Antragstellerin auch unter Außerachtlassung der Mindestanforderung ihre Eignung nicht nachgewiesen habe, weil sie nicht, wie in der Bekanntmachung ausdrücklich gefordert, Angaben zu vergleichbaren Leistungen gemacht habe. Die Antragstellerin habe zudem das Selbstausführungsgebot hinsichtlich von Leistung der LE1 (Stahlverbundbrücke inklusive Gründung”) und LE3 (“Tunnelverbau und Tunnel”) in ihrem Angebot nicht beachtet. Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 26.08.2022 erneut ihre Nichtberücksichtigung und hat ergänzend beanstandet, dass die vorgelegten Referenzen der benannten Nachunternehmer bei der Überprüfung der Eignung nicht berücksichtigt würden. Offensichtlich sei eine Eignungsleihe der von ihr benannten Nachunternehmer angestrebt. Aufgrund der intransparenten Gestaltung der Vergabeunterlagen wären nicht ausgefüllte Formulare nachzufordern gewesen. Zudem hätte der Antragsgegner der Antragstellerin ihrer Auffassung nach die Gelegenheit geben müssen, fehlende Unterlagen nachzureichen. Grundsätzlich sei auch die Vorgabe des Selbstausführungsgebotes unzulässig. Dies könne nur für “bestimmte kritische Aufgaben” und nicht für wesentliche Teile der Leistung vorgeschrieben werden.

Diese Rügen erfolgten jeweils innerhalb von zehn Kalendertagen nach Erhalt der Schreiben des Antragsgegners und damit rechtzeitig.

Bezüglich dieser geltend gemacht Vergaberechtsverletzungen ist der Nachprüfungsantrag somit zulässig.

2. Soweit der Nachprüfungsantrag zulässig ist, ist er unbegründet.

Der Antragsgegner hat das Angebot der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht gemäß § 16b EU Abs. 1 VOB/A i. V. m. § 6 EU Abs. 1 VOB/A mangels nachgewiesener Eignung von der weiteren Wertung ausgeschlossen:

a. Zwar konnte der Antragsgegner den Angebotsausschluss nicht auf eine Nichterfüllung der in den Vergabeunterlagen für den Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit festgelegten und geforderten Mindestumsätze im Hinblick auf den Gesamtumsatz in den letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahren und Angaben zum vergleichbaren Umsatz in den letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahren sowie der ebenfalls erst in den Vergabeunterlagen festgelegten Mindestanforderungen hinsichtlich des Nachweises der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit stützen. Denn der Antragsgegner hat es versäumt, die Mindestanforderungen gemäß § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen. Der fehlende Nachweis der nur in den Vergabeunterlagen konkret festgelegten Mindestumsätze vermag daher einen Ausschluss mangels nachgewiesener Eignung gemäß § 16 b EU VOB/A i. V. m. § 6 EU VOB/A nicht zu begründen.

Gemäß § 6 EU Abs. 1 VOB/A werden öffentliche Aufträge an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben, die nicht nach § 6 e EU VOB/A ausgeschlossen worden sind.

Gemäß § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB sind die Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen. Diese Regelung ist Ausfluss des vergaberechtlichen Transparenzgebotes gemäß § 97 Abs. 1 GWB (Hausmann/von Hoff in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 122 GWB, Rn. 47). Die früher häufig angewandte Praxis, die Eignungskriterien erst in Vergabeunterlagen mitzuteilen, ist damit nicht mehr zulässig. Mit dieser Regelung geht einher, dass die Eignungskriterien in der Bekanntmachung eindeutig und abschließend beschrieben sein müssen. Für die Bekanntgabe der Eignungskriterien genügt daher ein bloßer Verweis auf § 122 Abs. 2 Satz 2 GWB ebenso wenig, wie für die Bekanntgabe der Eignungsnachweise ein bloßer Verweis auf die Nachweisvorschriften der Vergabeordnungen genügt (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.02.2015 – 11 Verg 11/14). Gleiches gilt für einen Verweis auf ergänzende Unterlagen oder Formblätter, die erst auf Anfrage zugesendet werden (OLG Celle, Beschluss vom 24.04.2014 – 13 Verg 2/14 = IBR 2014, 435; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.01.2014 – Verg 26/13 = NZBau 2014, Seite 371). Der (potentielle) Bieter und Bewerber soll sich bereits aufgrund der Bekanntmachung überlegen können, ob er die festgelegten Eignungskriterien erfüllen kann. Muss der potentielle Bewerber/Bieter erst die gesamten Vergabeunterlagen sichten, um sich die Eignungsanforderungen und die zu erbringenden Nachweise zu erschließen, wird dies weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der vorgenannten Vorschrift gerecht. Insbesondere ausländischen Bietern, deren Mitarbeiter unter Umständen nur eingeschränkt der deutschen Sprache mächtig sind, ist es nicht zumutbar, umfangreiche Unterlagen durcharbeiten zu müssen, um zu erfahren, ob die Ausschreibung für Sie infrage kommt.

Den Anforderungen genügt nur ein unmittelbarer Link auf das Formblatt Eigenerklärung zur Eignung, aus denen sich die Eignungsanforderungen ergeben, so dass am Auftrag interessierte Unternehmen durch bloßes Anklicken zu dem Formblatt gelangen können (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.11.2011 – Verg 60/11; Kadenbach in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Aufl., § 122 GWB, Rn. 66, m. w. N.; Opitz in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., § 122 GWB, Nr. 98, m. w. N.). Die bloße Verweisung in der Auftragsbekanntmachung auf die Vergabeunterlagen oder auf “Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen” erfüllt diesen Zweck nicht und ist unzulässig. Ebenso wenig genügt ein Link auf die Vergabeunterlagen als Ganzes.

Vorliegend hatte der Antragsgegner für den Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit in der Bekanntmachung unter Ziffer III.1.2) festgelegt:

“- Nachweis der Eignung durch Angaben, die mit dem Angebot einzureichen sind:

Angabe des Umsatzes des Unternehmens jeweils bezogen auf die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre, soweit er Bauleistungen und andere Leistungen betrifft, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind unter Einschluss des Anteils bei gemeinsam mit anderen Unternehmen ausgeführten Aufträgen o […] o Näheres ist den Vergabeunterlagen zu entnehmen.

– Möglicherweise geforderte Mindeststandards:

Mindestjahresumsatz des Unternehmens jeweils bezogen auf die letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahre gemäß der Vergabeunterlagen.”
(…)

Die konkret geforderten Mindestumsätze hat der Antragsgegner erst in den Vergabeunterlagen im Formblatt Eigenerklärung zur Eignung benannt. Dort wird unter Ziffer 3. Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der geforderte Mindestjahresumsatz des Unternehmens mit … Euro beziffert. Der geforderte Mindestjahresumsatz in dem Tätigkeitsbereich des Auftrages beträgt demnach … Euro.

Eine unmittelbare Verlinkung auf die Vergabeunterlagen geschweige denn auf das Formblatt Eigenerklärung zur Eignung enthielt die Bekanntmachung nicht.

Der Antragsgegner hat diesen Mangel im Rahmen des Nachprüfungsverfahren damit begründet, dass eine Verlinkung, wie sie etwa im von der Antragstellerin beigefügten Beispiel der … vorgenommen wurde, ihm aus technischen Gründen mit der Plattform in der Version, wie sie ihm zur Verfügung steht, nicht möglich ist. Technische Probleme mit der für das Vergabeverfahren genutzten Plattform liegen jedoch allein in der Sphäre des öffentlichen Auftraggebers als Verwender und befreien ihn daher in keiner Weise von der Pflicht zur Bekanntmachung der Eignungskriterien und -nachweise. Zu Recht hat die Antragstellerin zudem darauf hingewiesen, dass auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes der Antragsgegner die zur Verfügung stehenden Zeilen im Bekanntmachungsformular nicht ausgenutzt hat. Es hätten somit durchaus mehr Angaben aufgeführt werden können.

Die mangelnde Bekanntmachung der Mindestumsätze hat vorliegend zur Folge, dass der Antragsgegner diese nicht im Rahmen der Eignungsprüfung berücksichtigen durfte. Er war vielmehr gehalten, die Eignungsprüfung allein anhand der bekannt gemachten Eignungskriterien und -nachweise durchzuführen.

b. Es ist jedoch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner auf die entsprechende Rüge der Antragstellerin vom 09.08.2022 erneut in die Eignungsprüfung eingetreten ist und zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Antragstellerin mit ihrem Angebot keine Angaben und Nachweise zu mit dem ausgeschriebenen Auftrag vergleichbaren Leistungen gemacht und vorgelegt hat. Der Antragsgegner hatte für den Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit in der Bekanntmachung unter Ziffer III.1.2) festgelegt:

“Angabe des Umsatzes des Unternehmens jeweils bezogen auf die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre, soweit er Bauleistungen und andere Leistungen betrifft, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind unter Einschluss des Anteils bei gemeinsam mit anderen Unternehmen ausgeführten Aufträgen”

Für den Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit hat der Antragsgegner unter Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung gefordert:

“Angabe über die Ausführung von Leistungen, die im Wesentlichen in den letzten 10 Jahren erbracht worden und mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind”

Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Prüfung der Eignung eines Bieters grundsätzlich ein weiter Beurteilungsspielraum zu, der der Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen weitgehend entzogen ist. Das gilt namentlich für die Überprüfung von Referenzen und die Beurteilung von deren Vergleichbarkeit (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.06.2010 – Verg 14/10; OLG München, Beschluss vom 12.11.2012 – Verg 23/12; Müller-Wrede/Schwabe, VOL, 4. Aufl., § 15 EG, Rn. 62).

0Der Auftraggeber ist aber an die von ihm selbst aufgestellten und bekannt gegebenen Anforderungen gebunden (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.04.2014 – 11 Verg 1/14).

Die Überprüfung der Vergleichbarkeit durch die Nachprüfungsinstanzen ist darauf beschränkt, ob der der Eignungsprüfung zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und bei der Eignungsprüfung berücksichtigt worden ist, allgemeine Bewertungsmaßstäbe eingehalten worden sind und sachwidrige Erwägungen dabei keine Rolle gespielt haben. Referenzen müssen aber nicht mit dem Ausschreibungsgegenstand identisch sein. Vielmehr wäre es im Hinblick auf den Wettbewerbsgrundsatz nicht mehr hinnehmbar, wenn der Auftraggeber die Angabe identischer Leistungen verlangen würde. Vergleichbarkeit erfordert nicht die Angabe einer identischen Leistung. Es genügt vielmehr, wenn die Referenzleistungen dem zu vergebenden Auftrag nahekommen (vgl. OLG Frankfurt a. Main, Beschluss vom 24.10.2006 – 11 Verg 8/06 = NZBau 2007, S. 468 ff., 469). Dafür müssen die Referenzen aber einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Unternehmens in Bezug auf den zu vergebenden Auftrag eröffnen (vgl. Müller-Wrede, VOL/A, 4. Auflage, § 7 EG, Rn. 58, m. w. N.). Es reicht – grundsätzlich – aus, wenn sie ihm nahekommen oder ähneln und einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung ermöglichen (vgl. VK Bund, Beschluss vom 30.05.2017 – VK 2-46/17, zitiert nach ibr-online). Der Auftraggeber ist aber an die von ihm selbst aufgestellten und bekannt gegebenen Anforderungen gebunden und darf hiervon nicht nachträglich zugunsten einzelner Bieter abweichen, indem er bei der Eignungsprüfung oder der Wertung von Teilnahmeanträgen an die Eignung höhere oder geringere als die allgemein bekannt gemachten Anforderungen stellt. Fordert er ausdrücklich Referenzen über Aufträge “vergleichbarer Art und Größe”, so darf er wegen des Gebots der Gleichbehandlung und der Transparenz nur solche Referenzen berücksichtigen, die vergleichbare Leistungen nachweisen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.04.2014 – 11 Verg 1/14; OLG Koblenz, Beschluss vom 13.06.2012 – 1 Verg 2/12; KG, Beschluss vom 21.02.2009 – 2 Verg 11/09 – jeweils zitiert nach ibr-online). Die ausgeschriebene Leistung muss den Referenzaufträgen soweit ähneln, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung eröffnet (OLG München, Beschluss vom 12.11.2012 – Verg 23/12).

Werden in der Bekanntmachung Referenzen über “vergleichbare” Aufträge gefordert, darf der Auftraggeber bei der Bewertung der Referenzen aber keinen zu engen Maßstab anlegen (vgl. OLG Gelle, Beschluss vom 03.07.2018 – 13 Verg 8/17 – zitiert nach ibr-online).

Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs ist die Prüfung und Bewertung der von der Antragstellerin beigebrachten Referenzen nicht zu beanstanden. Da die Antragstellerin mit ihrem Angebotsschreiben vom 01.06.2022 darauf hingewiesen hat, dass sie präqualifiziert ist und im Präqualifikationsverzeichnis des Vereins für Präqualifikation von Bauunternehmen eingetragen ist, unter Angabe der entsprechenden PQ-Nummern, hat der Antragsgegner die Eignungsprüfung zu Recht anhand der von der Antragstellerin dort hinterlegten Angaben und Referenzen durchgeführt. Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 08.06.2022 – Verg 19/22 (zitiert nach ibr-online) zu Recht darauf hingewiesen, dass die Eintragung in das Präqualifikationsverzeichnis dem Bieter lediglich die Führung der Eignungsnachweise erleichtert. Sie enthebt ihn aber nicht davon, seine technische und berufliche Leistungsfähigkeit durch die in der Bekanntmachung nach Art und Umfang mit den ausgeschriebenen Leistungen vergleichbaren Referenzen nachzuweisen. Hat ein Bieter – wie im vorliegenden Fall – mit seinem Angebot auf seine Qualifikation hingewiesen, so hat der öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Eignungsprüfung nicht nur die Möglichkeit, die im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten Nachweise auf Vergleichbarkeit mit den von ihm geforderten Eignungsnachweisen prüfen zu können, sondern er ist hierzu auch verpflichtet. Dabei gelten zur Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes die inhaltlichen Anforderungen an die Eignungsnachweise für alle Bieter, gleichgültig, ob diese präqualifiziert sind oder nicht. Reichen wiederum die im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten Referenzen im konkreten Fall nicht aus, so darf der öffentliche Auftraggeber weitere als die über das Präqualifikationsverzeichnis vorgelegte, aber inhaltlich unzureichende Referenzen nicht nachfordern.

Zur Überprüfung der von der Antragstellerin im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten Angaben und Eignungsnachweise durch den Antragsgegner im Einzelnen:

– Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit:

Die geschätzte Auftragssumme der verfahrensgegenständlichen Ausschreibung beträgt ausweislich der Bekanntmachung … Euro. Die im PQ-Verzeichnis hinterlegten Jahresumsätze der Antragstellerin betrugen in 2018 … Euro, in 2019 … Euro und in 2020 … Euro. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die ausgeschriebene Baumaßnahme über mehrere Jahre erstreckt, sind die von der Antragstellerin im Qualifikationsverzeichnis hinterlegten Jahresumsätze nicht mit der geschätzten Auftragssumme vergleichbar. Damit konnte die Antragstellerin auch bei der gebotenen Außerachtlassung der geforderten Mindestumsätze die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit für die Ausführung der ausgeschriebenen Leistungen nicht nachweisen.

– Technische Leistungsfähigkeit:

Der Antragsgegner hat im Hinblick auf den Maßstab für die Vergleichbarkeit der hinterlegten Referenzleistungen mit der ausgeschriebenen Leistung zu Recht darauf hingewiesen, dass sich bereits aus den Ausführungen unter II.2.4 ergibt, dass der Neu- und Rückbau einer Behelfsbrücke in Stahl-/Stahlverbundbauweise in einer Länge von … m (… m inklusive Fangedämme) zu erfolgen hat. Weiterhin ist der Rückbau des Bestandsbauwerks (Stahlbetonbauweise mit quer- und längsvorgespanntem Holzkastenquerschnitt) durchzuführen sowie der Neubau des Tunnels mit einer Länge von … m. Hinzu kommen der Umbau des Bestandstrogs, die Herstellung von Verkehrsanlagen (bauzeitlich und im Endzustand), Erdbauarbeiten (Dammverbreiterung) sowie der Hinweis, dass Arbeiten innerhalb eines Landschafts- und Hochwasserschutzgebietes stattfinden. Für die beim PQ-Verein hinterlegten Referenzen konnte der Antragsgegner danach die Vergleichbarkeit mit der ausgeschriebenen Maßnahme nicht positiv feststellen. Die Antragstellerin hatte im PQ-Verzeichnis insgesamt sieben Referenzen hinterlegt.

Der Auftraggeber hat festgestellt, dass von diesen Referenzen alle für Einzelleistungen im Leistungsbereich “311_01 Betonarbeiten” gültig sind. Davon seien 4 Referenzen (laufende Nrn. 2, 3, 4 und 7) für komplett Leistungen im Leistungsbereich “613_01 umfassende Bauleistung für Brücken, Tunnel, Schächte und Unterführungen” hinterlegt. Der Antragsgegner ist aus nachfolgenden Gründen zu dem Schluss gelangt, dass diese Referenzen mit den wesentlichen Leistungen des ausgeschriebenen Auftrags nicht vergleichbar sind:

– Ausgeschriebene Leistung Ausführungsplanung:

Die hinterlegten Referenzen enthalten nach den Feststellungen des Antragsgegners die technische Bearbeitung für den Ersatzneubau einer Geh- und Radwegbrücke mit einem Überbau aus Aluminium oder mit einem Überbau aus faserverstärktem Kunststoff (GFK) sowie für den Neubau zweier einfeldriger Brücken aus Spannbeton. Der Antragsgegner hat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass diese Projekte weder vom Umfang noch von der technischen Komplexität mit dem Ausschreibungsgegenstand vergleichbar sind. Die technische Bearbeitung wurde daher nicht als vergleichbare Leistung für die Ausführungsplanung der geforderten Bereiche (Neu- und Rückbau einer mehrfeldrigen Stahlverbundbrücke, Abbruch einer Spannbetonbrücke (Hoch straße), Neubau eines Tunnels inklusive Verbau, Umbau eines Bestandstrogs) bewertet.

– Neubau einer Stahlverbundbrücke inklusive Fangedämme:

Bei den von der Antragstellerin hinterlegten Referenzen handelte sich nach Feststellung des Antragsgegners um den Neubau der Geh- und Radwegbrücke aus Aluminium bzw. faserverstärktem Kunststoff sowie um den Neubau einer Spannbeton Brücke mit maximal 3 Brückenfeldern. Beide aufgeführten Projekte enthalten keine Stahlverbundbauwerke und wurden daher vom Antragsgegner als eine nicht vergleichbare Leistung in Bezug zum Ausschreibungsgegenstand bewertet.

– Abbruch einer Brücke aus Spannbeton (Hochstraße):

Die Referenzen der Antragstellerin beinhalten zum einen den Abbruch von Abstellflächen aus Stahlbeton an einem Flugplatz und zum anderen den Abbruch einer Geh- und Radwegbrücke aus Holz. Beide genannten Abbruchmaßnahmen sind mit dem ausgeschriebenen Abbruch der bestehenden Hoch straße über 16 Felder aus Spannbeton mit externer Vorspannung als Verstärkungsmaßnahme im innerstädtischen Raum weder bezüglich der Komplexität noch technisch vergleichbar.

– Tunnelbau in offener Bauweise mit Tunnelverbau (Schlitzwand, verankerte Unterwasserbetonsohle, Bohrpfahlwand, DS-Sohle):

Die von der Antragstellerin hinterlegte Referenz zum Neubau “…” umfasst unter anderem den Neubau von Schlitzwänden sowie die Herstellung einer verankerten Unterwasserbetonsohle und erfüllt nach den Feststellungen des Antragsgegners die Anforderungen daher in Teilbereichen. Es liegen jedoch keine Referenzen über den Neubau eines Tunnels insbesondere in der ausgeschriebenen Länge oder unter vergleichbaren Randbedingungen sowie über die Herstellung von Betonfall wenden oder einer DS-Sohle vor.

– Umbau des Bestandstroges der … (insbesondere Herstellung Bohrpfähle, DS-Sohle und DS-Wand):

Diesbezüglich umfasst die von der Antragstellerin hinterlegte Referenz zum Neubau “…” zwar den Neubau von Schlitzwänden sowie die Herstellung einer verankerten Unterwasserbetonsohle. Die Antragstellerin hatte jedoch im PQ-Verzeichnis keine Referenzen über den Umbau eines Bestandstroges oder den Neubau einer DSSohle, DS-Wand und Bohrpfahlwand hinterlegt, die mit den ausgeschriebenen Leistungen vergleichbar wären.

– Umbau der Verkehrsanlage (insbesondere …):

Diesbezüglich hat die Antragstellerin keine Referenzen im PQ-Verzeichnis über den Umbau einer Bestands straße bzw. von Verkehrsanlagen (z. B. Umbau einer Ortsdurchfahrt o. ä.) vorgelegt.

Der Antragsgegner hat somit nachvollziehbar dargelegt, dass die von der Antragstellerin im PQ-Verzeichnis hinterlegten Referenzen keine Leistungen betreffen, die vom Umfang und von den Anforderungen mit den verfahrensgegenständlichen, ausgeschriebenen Leistungen vergleichbar wären.

c. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat sie es vorliegend versäumt, mit dem Angebot ihre Eignung im Wege der Berufung auf Referenzen von Nachunternehmern im Rahmen einer Eignungsleihe darzulegen.

Gemäß § 6d EU Abs. 1 VOB/A kann sich ein Bewerber oder Bieter zum Nachweis seiner Eignung auf andere Unternehmen stützen – ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesem Unternehmen bestehenden Verbindungen (Eignungsleihe). In diesem Fall weist er dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nach, dass ihm die erforderlichen Kapazitäten zur Verfügung stehen werden, indem er die diesbezüglichen verpflichtenden Zusagen dieser Unternehmen vorlegt.

Der Antragsgegner hatte in den Vergabeunterlagen festgelegt, welche Angaben die Bieter für den Fall einer Eignungsleihe sowie für den normalen Nachunternehmereinsatz mit dem Angebot und ggf. auf gesondertes Anfordern machen mussten, und die entsprechen Formblätter beigefügt.

In der Aufforderung zur Angebotsabgabe hat er festgelegt:

“C) Anlagen, die, soweit erforderlich, ausgefüllt mit dem Angebot einzureichen sind:



– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung

– HVA B-StB Unterauftrag-/Nachunternehmerleistungen

– HVA B-StB Erklärung Bieter-/Arbeitsgemeinschaft

– HVA B-StB Eignungsleihe technische und berufliche Leistungsfähigkeit

– HVA B-StB Eignungsleihe wirtschaftliche und finanzielle Eignungsleihe …

D) Anlagen, die ausgefüllt auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle vorzulegen sind:

– HVA B-StB Verpflichtungserklärung

– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung für alle Unterauftrag-/Nachunternehmer (falls keine PQ-Nummer vorhanden bzw. die PQ-Qualifizierung nicht einschlägig ist), alternativ Einheitliche Europäische Eigenerklärung

– Anlage 2 zur Eigenerklärung Eignung_Formblatt Referenzen”


Unter Ziffer 3 der Aufforderung zur Angebotsabgabe hat der Antragsgegner zudem zu den Unterlagen, die mit dem Angebot einzureichen sind (3.1) auf den Vordruck HVA B-StB Vorzulegende Unterlagen (Abschnitt 1: “Mit dem Angebot vorzulegen”), und den Unterlagen, die auf gesondertes Verlangen vorzulegen sind (3.4), auf den Vordruck HVA B-StB Vorzulegende Unterlagen (Abschnitt 3: “Auf gesondertes Verlangen vorzulegen”) verwiesen.

Dort heißt es unter Abschnitt 1:

“Unterlagen, die mit dem Angebot abzugeben sind

Mit der Aufforderung bzw. EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe übersandte Vordrucke / Formblätter …

– HVA B-StB Unterauftrag-/ Nachunternehmerleistungen […]

– HVA B-StB Erklärung Bieter-/ Arbeitsgemeinschaft […] Unternehmensbezogene Unterlagen

– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung (falls keine PQ-Nummer vorhanden bzw. die PQ-Qualifizierung nicht einschlägig ist), alternativ Einheitliche Europäische Eigenerklärung

– HVA B-StB Eignungsleihe technische und berufliche Leistungsfähigkeit

– HVA B-StB Eignungsleihe wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit”


Unter Abschnitt 3 Unterlagen, die auf Verlangen der Vergabestelle vorzulegen sind, heißt es:

“Mit der Aufforderung bzw. EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe übersandte Vordrucke / Formblätter

– HVA B-StB Verpflichtungserklärung anderer Unternehmen (nur bei EU-Verfahren)

– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung für alle Unterauftrag-/Nachunternehmer (falls keine PQ-Nummer vorhanden bzw. die PQ-Qualifizierung nicht einschlägig ist), alternativ Einheitliche Europäische Eigenerklärung Unternehmensbezogene Unterlagen für Bieter und alle Unterauftrag-/Nachunternehmer (Bestätigungen der Eigenerklärungen)

– Referenznachweise mit den im Formblatt Eigenerklärung zur Eignung genannten Angaben (Angabe zu Referenzen zur technischen Eignung gemäß Anlage 2 zur Eigenerklärung_Formular Referenzen)”


Die Antragstellerin hat vorliegend ausweislich ihres mit der Vergabeakte vorliegenden Angebotes im Formblatt Angebotsschreiben unter “Anlagen, die der Angebotswertung dienen, ohne Vertragsbestandteil zu werden” die Hinweise auf die Formblätter “HVA B-StB Eignungsleihe technische und berufliche Leistungsfähigkeit” und “HVA StB Eignungsleihe wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit” nicht angekreuzt.

Sie hat in der Folge gleichwohl diese Vordrucke – mit ihrem Firmenstempel versehen – ihrem Angebot beigefügt, aber nicht ausgefüllt.

Diese Versäumnisse der Antragstellerin sind unstreitig.

Die Antragstellerin vertritt aber gleichwohl die Auffassung, dass der Antragsgegner erkennen musste, dass das Angebot der Antragstellerin unter Einschluss einer Eignungsleihe unterbreitet wurde. Sie verweist darauf, dass sie nicht einfach nur hinsichtlich der Eignungsnachweise auf ihre Präqualifikation verwiesen habe, sondern vor allen Dingen bereits mit Angebotsabgabe die Anlage 2 zur Eigenerklärung Technische Leistungsfähigkeit – Formblatt Referenzen, eine Excel-Tabelle, vollständig ausgefüllt habe – jeweils aufgeschlüsselt für jede Referenzkategorie und den jeweils benannten Referenzinhaber. Dabei habe es sich für die einzelnen Maßnahmen nicht allein um die Antragstellerin selbst, sondern ausdrücklich auch um dritte Unternehmen gehandelt, die eben als Referenzgeber benannt worden seien. Dies sieht sie als die eigentliche “Fleißarbeit” bei der Erstellung des Angebotes an und als deutlichen Hinweis darauf, dass vorliegend eine Eignungsleihe gewollt war. Der Verweis auf die Präqualifikation, den die Antragstellerin handschriftlich auf Seite 1 unter I. vorgenommen hat, habe lediglich dazu gedient, dass dort weitere Angaben, die der Antragsgegner hinsichtlich der Eignung gefordert hatte, hinterlegt sind.

Dies hätte nach Auffassung der Antragstellerin vom Auftraggeber berücksichtigt werden müssen oder zumindest zum Gegenstand einer Aufklärung seitens des Auftraggebers gemacht werden müssen, wenn es für ihn nicht eindeutig gewesen sei.

Der Antragsgegner hat demgegenüber erklärt, dass das Angebot der Antragstellerin für ihn eindeutig, daher auch nicht auslegungsfähig gewesen sei, denn ein leeres Formblatt “Eignungsleihe” und ein damit korrespondierendes Nichtankreuzen der entsprechenden Verweise im Formblatt Angebotsschreiben könne nur dahin gehend verstanden werden, dass eine solche gerade nicht vorgesehen sei. Daran ändere auch das Einreichen von Verpflichtungserklärungen vorgesehener Nachunternehmer nichts, wenn die Antragstellerin in dem Formblatt zur Eignungsleihe keinerlei Eintragungen vorgenommen habe. Die Antragstellerin sei verpflichtet gewesen, ausdrücklich im Angebot geltend zu machen, dass sie sich zusätzlich zum beabsichtigten Nachunternehmereinsatz zum Nachweis der Eignung einer Eignungsleihe bedienen möchte.

Die Antragstellerin hält dem entgegen, dass diese Tabelle, Anlage 2, nur Sinn mache, wenn man Referenzen angibt, die entweder den Bieter selbst oder die Eignungsleiher betreffen, andernfalls hätte man dies nicht für dritte Unternehmen auflisten müssen, da es keinen Anlass gebe, für normale Nachunternehmer Referenzen beizufügen.

Im Streit steht der Erklärungsgehalt der Anlage 1 zur Eigenerklärung Eignung, Anforderungen zur technischen Leistungsfähigkeit. Dort heißt es auf Seite 6:

“Die Referenzen können von folgenden Beteiligten beigebracht werden: dem Bieter, einem Mitglied der Bietergemeinschaft. Für Leistungen, die nicht durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft erbracht werden müssen, dürfen Referenzen von folgenden Beteiligten beigebracht werden: einem benannten Nachunternehmer, der eine Verpflichtungserklärung abgegeben hat, einem verbundenen Unternehmen, das eine Verpflichtungserklärung abgegeben hat.”

Die Antragstellerin liest diese Voraussetzungen so, dass die benannten Nachunternehmer, die eine Verpflichtungserklärung abgegeben haben, und ein verbundenes Unternehmen, das eine Verpflichtungserklärung abgegeben hat, nur dann Sinn machen, wenn sie im Wege der Eignungsleihe vom Bieter hinzugezogen werden. Die Anlage differenziere nicht zwischen normalen Nachunternehmern und solchen, die im Wege der Eignungsleihe zu berücksichtigen sind. Im Zusammenhang damit, dass dann auf die Excel-Tabelle (Anlage 2) verwiesen werde, konnte das aus Sicht des Bieters nur so zu deuten sein, dass hier (nur) dann dritte Unternehmen aufzuführen seien und als entsprechende Referenzgeber zu benennen waren, wenn diese im Wege der Eignungsleihe zu berücksichtigen waren.

Der Antragsgegner vertritt demgegenüber die Auffassung, dass dann, wenn die entsprechenden Formblätter HVA B-StB Eignungsleihe Wirtschaftliche und Finanzielle Leistungsfähigkeit sowie Technische und Berufliche Leistungsfähigkeit nicht ausgefüllt waren, sich daraus eben nicht ergab, dass hier der Nachunternehmer zugleich als Eignungsleiher berücksichtigt werden sollte. Von daher geht der Antragsgegner davon aus, dass er keinen Anlass hatte zu bezweifeln, dass vorliegend das Angebot der Antragstellerin als Einzelbieter abgegeben wurde und dass Referenzen Dritter bei der Eignungsprüfung nicht zu berücksichtigen waren.

Für die Auffassung des Antragsgegners, dass er aufgrund der von der Antragstellerin bereits mit Angebotsabgabe beigefügten, ausgefüllten Referenzliste (Anlage 2 zur Eigenerklärung) und der ebenfalls beigefügten Verpflichtungserklärungen für die X GmbH und die Y AG nicht davon ausgehen musste, dass die Antragstellerin sich zum Nachweis ihrer Eignung auf eine Eignungsleihe stützt, spricht jedoch nach Auffassung der Vergabekammer, dass die Anlage 2 wie auch die Vordrucke zur Verpflichtungserklärung nach den Festlegungen in der Vergabeakte ausdrücklich nicht nur für Eignungsleiher, sondern auch für “normale” Nachunternehmer vorzulegen waren, aber eben nicht mit Angebotsabgabe, sondern erst auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle. Dieses vom Antragsgegner festgelegte Procedere trägt auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Rechnung, der in einer Entscheidung vom 10.06.2008 – X ZR 78/07 (= VergabeR 5/2008, S. 782 ff.) – ausgeführt hat, dass es zwar ausdrücklich zumutbar ist, dass die Bieter bereits in ihrem Angebot Auskunft darüber geben müssen, ob für bestimmte Leistungsteile die Einschaltung eines Nachunternehmers vorgesehen ist. Demgegenüber hat der BGH aber die Zumutbarkeit bereits einer verbindlichen Benennung der Nachunternehmer diesem Stadium des Verfahrens infrage gestellt. Um dazu wahrheitsgemäße Erklärungen abgeben zu können, so der BGH, müssten sich die Bieter die Ausführung der fraglichen Leistungen von jeweils ins Auge gefassten Nachunternehmen bindend zusagen lassen. Angesichts des Umstandes, dass der Zuschlag nur auf ein Angebot ergehen könne, stehe die mit dieser Handhabung verbundene Belastung in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen für die Auftraggeber, da diese dadurch lediglich den zusätzlichen organisatorischen und zeitlichen Aufwand ersparten, die vorgesehenen Nachunternehmer zu gegebener Zeit nach Angebotsöffnung von einem engeren Kreis an Bietern zu erfragen (Frister in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 7. Aufl. 2020, VOB/A § 16 A, Rn. 13). Der Auftraggeber ist nur dann regelmäßig nicht gehindert, die Vorlage der Verfügbarkeitsnachweise schon mit dem Angebot zu verlangen, wenn er dafür ein berechtigtes und anerkennenswertes Interesse hat, wie zum Beispiel bei der Notwendigkeit einer speziellen Qualifikation (OLG Celle, Beschluss vom 02.10.2008 – 13 Verg 4/08 = Vergaberecht 2009, S. 77 = NZBau 2009, S. 58).

Die Eignungsleihe nach § 6d EU VOB/A 2019 ist vom “normalen” Nachunternehmereinsatz nach § 36 VgV zu unterscheiden. Im Rahmen der Eignungsleihe bedient sich ein Bieter der Kapazitäten dritter Unternehmen, um seine für die Ausschreibung geforderte Eignung nachzuweisen. Unterauftragsvergabe bedeutet, dass ein Unternehmen ein drittes Unternehmen mit der Ausführung des gesamten Auftrags oder von Teilen davon betraut.

Der Bieter hat im Angebot ausdrücklich oder zumindest konkludent, aber vom Empfängerhorizont her unmissverständlich geltend zu machen, dass er sich zum Nachweis der Eignung einer Eignungsleihe bedienen will (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 24.11.2021 – 1/SVK/032-21, zitiert nach ibr-online).

Die Aufklärungsmöglichkeit des § 15 EU Abs. 1 VOB/A erfordert aber, dass (überhaupt) ein klärungsbedürftiger Sachverhalt mit dem Angebot vorgelegt wird, da die Aufklärung anderenfalls zu einer unzulässigen Angebotsänderung führen würde. § 15 EU Abs. 1 VOB/A muss daher als eng auszulegende Ausnahmevorschrift angesehen werden, deren inhaltliche Reichweite folglich nur in einer klarstellenden Auslegung bzw. ergänzenden Information zum bereits vorgelegten Angebot gesehen werden darf (VK Sachsen, a. a. O.).

Vorliegend hat die Antragstellerin ausweislich ihres mit der Vergabeakte vorliegenden Angebotes nicht nur versäumt, im Formblatt Angebotsschreiben unter “Anlagen, die der Angebotswertung dienen, ohne Vertragsbestandteil zu werden” die Hinweise auf die Formblätter “HVA B-StB Eignungsleihe technische und berufliche Leistungsfähigkeit” und “HVA StB Eignungsleihe wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit” anzukreuzen. Sie hat zudem – damit korrespondierend – diese Vordrucke zwar mit ihrem Firmenstempel versehen, aber ihrem Angebot nur unausgefüllt beigefügt. Ein Widerspruch zwischen den diesbezüglichen Erklärungen der Antragstellerin im Angebotsanschreiben und in den Vordrucken, der Anlass zu Zweifeln hätte geben können, liegt somit aus dem Empfängerhorizont des Antragsgegners nicht vor.

Der Antragsgegner hatte daher keinen Anlass, in eine Angebotsaufklärung gemäß § 15 EU Abs. 1 VOB/A einzutreten.

d. Es ist schließlich auch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner gemäß § 6d EU Abs. 4 VOB/A und § 47 Abs. 5 VgV für bestimmte Teilleistungen – Beton- und Stahlbetonarbeiten – die Selbstausführung gefordert hat. Der Antragsgegner hat diese Teilleistungen auch gemäß § 128 Abs. 2 GWB als besondere Ausführungsbedingungen in den Vergabeunterlagen wirksam zur Selbstausführung bestimmt. Diese Vorgabe beschränkt sich nicht auf Angebote von Bietergemeinschaften, sondern gilt ebenso für Einzelbieter und damit auch für die Antragstellerin.

Der Antragsgegner hat die Selbstausführung für die Hauptleistungen aus zwei von sechs Leistungseinheiten gefordert. In der Anlage 1 zur Eigenerklärung zur Eignung auf Seite 5 hat er das Selbstausführungsgebot wie folgt festgelegt:

“Die Hauptleistungen aus den Losen 1 – Behelfsbauwerk (Stahlverbundbrücke inkl. Gründung) und 3 – Tunnel (Baugrubenverbau und Tunnelbau) sind zwingend durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft zu erbringen. Für alle weiteren Leistungen ist die Eignungsleihe gemäß Vorgaben aus der HVA-B zulässig (s.u.).”

Die Antragstellerin hat die Vorgabe des Selbstausführungsgebots als unzulässig beanstandet. Ein solches könne nur ausnahmsweise für “bestimmte kritische Aufgaben” bei einem durch den konkreten Einzelfall veranlassten berechtigten Interesse vorgeschrieben werden. Dies könne allerdings nicht pauschal für wesentliche Teile der Leistung, wie hier für die Hauptleistungen von Los 1 und Los 3, vorgeschrieben werden. Eine Beschränkung des Einsatzes von Nachunternehmen müsse tatsächlich erforderlich sein, um das damit verfolgte Ziel einer ordnungsgemäßen Ausführung des Auftrags zu erreichen. Dabei könne die Gesamtvergabe mehrerer Lose kein Argument sein, einzelne Lose nun als “bestimmte kritische Aufgaben” eines Gesamtauftrages anzusehen. Es sei nicht ersichtlich, warum diese Leistungen, die Standardbauverfahren verlangen, die aus vielen einzelnen Teilleistungen bestehen würden, alle als kritisch anzusehen seien.

Die Vergabekammer teilt die Auffassung der Antragstellerin, dass es den Bietern grundsätzlich frei steht zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie Unterauftragnehmer im Auftragsfall einsetzen wollen. Das Vergaberecht kennt – im Grundsatz – kein Selbstausführungsgebot oder Fremdausführungsverbot des Bieters (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.12.2008 – Verg 51/08; Liebschwager in: Beck’scher Vergaberechts Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., § 36 VgV, Rn. 9). Solange der Bieter nachweisen kann, dass der Unterauftragnehmer die Leistungen im Zuschlagsfall übernimmt, darf er sich auf die Kapazitäten des Unterauftragnehmers stützen. Die Möglichkeit der Unterauftragnehmer soll für einen umfassenden Wettbewerb sorgen und auch kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu öffentlichen Aufträgen eröffnen (EuGH, Urteil vom 07.04.2016 – Rs. C-324/14 = NZBau 2016, Seite 373 ff., 374). Demgemäß darf der öffentliche Auftraggeber im Grundsatz auch keine Bedingungen vorgeben, die den Einsatz von Unterauftragnehmern einschränken (EuGH, ebenda).

Diese vorgenannten Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung des EuGH allerdings nicht uneingeschränkt. Liegen im Einzelfall außergewöhnliche Umstände vor, so dass die Zusammenfassung von Kapazitäten nicht den Anforderungen des Auftrags genügt und sich damit nicht für eine Übertragung auf einen Unterauftragnehmer eignet, kann eine Unterauftragsvergabe unzulässig sein (EuGH, Urteil vom 07.04.2016 – Rs. C-324/14 = NZBau 2016, Seite 373 ff., 375).

Im Zuge der Vergaberechtsreformen im April 2016 hat der Bundesgesetzgeber daher mit der Regelung des § 47 Abs. 5 VgV und in der Folge auch der Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) in § 6d EU Abs. 4 VOB/A für bestimmte Ausnahmefälle ein Selbstausführungsgebot eingeführt. Bei diesem Gebot handelt es sich um Ausführungsbestimmungen i. S. d. § 128 Abs. 2 GWB, die nicht in der Bekanntmachung benannt werden müssen, sondern auch in den Vergabeunterlagen benannt werden dürfen. Danach kann der öffentliche Auftraggeber vorschreiben, dass bestimmte kritische Aufgaben bei Dienstleistungs- oder Bauaufträgen direkt vom Bieter selbst oder im Fall einer Bietergemeinschaft von einem Teilnehmer der Bietergemeinschaft ausgeführt werden müssen. Diese für den Fall des Unterauftragnehmereinsatzes zum Zwecke der Eignungsleihe formulierte Ausnahme geht allerdings schon vom Wortlaut her davon aus, dass “nur bestimmte kritische Aufgaben”, nicht aber ein kompletter Auftrag dem Selbstausführungsgebot unterworfen werden dürfen. Unklar bleibt darüber hinaus auch unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe der RL 2014/24/EU bzw. der Gesetzesbegründung zu § 47 VgV, was eine “kritische Aufgabe” ist. Mit Blick auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis muss der Begriff der “kritischen Aufgabe” zwar grundsätzlich eng ausgelegt werden. Bei der Qualifizierung einer Aufgabe als “kritisch” steht dem Auftraggeber aber in Beachtung vor allem der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Wettbewerbs ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu, der einer Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich ist (Schranner in: Ingenstau/Korbion, VOB, 21. Aufl., § 6e EU VOB/A, Rn. 11).

Vom öffentlichen Auftraggeber ist zudem zu verlangen, dass er die Gründe, warum eine bestimmte Aufgabe über das übliche Maß bei entsprechenden Aufgaben hinaus besonders kritisch ist, herausarbeitet und entsprechend in der Vergabeakte in einer den Anforderungen des § 8 VgV genügenden Weise dokumentiert (Hausmann/Kern in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 47 VgV, Rn. 5; Mager in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 3. Aufl., § 47 VgV, Rn. 48).

Die in der Vergabeakte dokumentierten Gründe des Antragsgegners für das Selbstausführungsgebot genügen diesen hohen Anforderungen. Der Antragsgegner hat in einem Vermerk “VE1 – Anforderungen zur technischen Leistungsfähigkeit: Selbstausführungsgebot kritischer Leistungen (LE1/LE3)” vom 03.01.2022 auf 4 Seiten ausführlich dargelegt, warum er die LE1 (Stahlverbundbrücke inklusive Gründung) und LE3 (Baugrubenverbau und Tunnelbau) im Sinne des § 6d Abs. 4 EU VOB/A als kritische Aufgaben bewertet. Er hat verkehrliche und volkswirtschaftliche Gründe, technische Gründe und Gründe der Qualitätssicherung durch Vermeidung der Beteiligung eines fachfremden Generalunternehmers angeführt.

Als verkehrliche und volkswirtschaftliche Gründe hat der Antragsgegner insbesondere angeführt, dass das Bauwerk über die … eine Restnutzungsdauer bis Ende 2023 habe. Infolge von Verzögerungen im Planfeststellungsverfahren könne der ursprüngliche Fertigstellungs- und Inbetriebnahmetermin des Behelfsbauwerks (Ende 2023) nicht mehr gehalten werden. Derzeit werde von einer Überschreitung der Restnutzungsdauer bis April 2024 ausgegangen. Sollte das Hilfsbauwerk bis zu diesem Zeitpunkt nicht fertiggestellt werden, komme es zu einer immer weiteren und starken Steigerung des Risikos von erforderlich werdenden Kompensationsmaßnahmen in Form von (Teil-) Sperrungen des Bauwerks, woraus sich unmittelbar verkehrlich unhaltbare Zustände im städtischen Straßennetz ergeben bzw. verlängern würden. In einer Untersuchung seien für den Fall der Sperrung des … ein volkswirtschaftlicher Mehraufwand durch vermeidbare Reisezeiterhöhungen und zusätzlichen Betriebskosten der Fahrzeuge von … Euro/Jahr (Stand 2017) ermittelt worden. Eine Verzögerung der Inbetriebnahme des Behelfsbauwerks um einen Monat führe damit zu einem volkswirtschaftlichen Schaden von ca. … Euro/Monat.

Als technische Gründe hat der Antragsgegner in dem Vermerk unter anderem angeführt, dass aufgrund der innerstädtischen Lage und den somit sehr beengten Platzverhältnissen ein Teil des Behelfsbauwerkes direkt neben dem derzeitigen Bestandsbauwerk auf der Verbauwand der späteren Tunnelbaugrube gegründet wird. Behelfsbauwerk und Baugrubenverbau könnten aus statischer Sicht sowie im Hinblick auf die Herstellung und Gewährleistung einer dichten Baugrube nicht voneinander getrennt werden. Insgesamt würden sich starke räumliche, statische sowie zeitliche Wechselwirkungen insbesondere zwischen den beiden Leistungseinheiten LE1 (Behelfsbauwerk) und LE3 (Tunnel, Verbau) und den weiteren Leistungseinheiten innerhalb der VE1, aber auch zu den weiteren (Bau-) Vergabeeinheiten ergeben. Infolge statischer Abhängigkeiten sowie komplexen Zusammenhängen, Abhängigkeiten und Auswirkungen der LE3 auf die LE1 und weil der Tunnel Kern der Maßnahme sei, stellten auch die Leistungen der LE3 (Baugrubenverbau und Tunnelbau) kritische Leistungen dar. Infolgedessen habe der Antragsgegner die Leistungseinheiten 1 und 3 als kritische Leistungen der Vergabeeinheit 1 bewertet.

Die Vergabekammer vertritt die Auffassung, dass der vorliegende Auftragsgegenstand auch unter Berücksichtigung des strengen Ausnahmecharakters des § 6d EU Abs. 4 VOB/A ein Selbstausführungsgebot durchaus trägt. Die vertragsgegenständlichen Teilleistungen sind als besonders anspruchsvolle und durchaus kritische Aufgaben zu qualifizieren. Der Antragsgegner hat sich bei Festlegung im Rahmen des den öffentlichen Auftraggebern zukommenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums gehalten. Er hat daher zu Recht entschieden, welche kritischen Aufgaben vom Auftragnehmer selbst durchzuführen sind.

Die Antragstellerin musste entgegen ihrer Auffassung auch davon ausgehen, dass sie als Einzelbieter das Selbstausführungsgebot einhalten muss, auch wenn in der Anlage 1 zur Eigenerklärung zur Eignung auf Seite 5 von Hauptbauleistungen, die “zwingend durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft zu erbringen sind”, die Rede ist. Auch bei Bietergemeinschaften handelt es sich um einen Bieter, so dass selbstverständlich auch “Einzelbieter” angesprochen sind. Dementsprechend richtet sich das Selbstausführungsgebot nach dem Wortlaut des § 6d EU Abs. 4 VOB/A ausdrücklich an den Bieter selbst und betrifft daher Einzelbieter und Bietergemeinschaften.

Der Nachprüfungsantrag war daher zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB in der seit dem 18.04.2016 geltenden Fassung (Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) vom 17.02.2016 (BGBl. I, S. 203), in Kraft getreten gemäß dessen Art. 3 am 18.04.2016).

Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 Euro, die Höchstgebühr 50.000 Euro und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 Euro.

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung aus Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 Euro (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 Euro zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 Euro (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. Euro (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 – 1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

Der Gegenstandswert wird auf … Euro (brutto) festgelegt. Dieser Betrag entspricht der vom Antragsgegner geprüften Angebotssumme der Antragstellerin und damit ihrem Interesse am Auftrag.

Bei einer Gesamtsumme von … Euro ergibt sich eine Gebühr in Höhe von … Euro. Es greift daher zugunsten der Verfahrensbeteiligten die oben geschilderte Kappung auf … Euro als Höchstgebühr. Das OLG Celle hat in einem anderen Fall bei ähnlicher Komplexität diese Gebührenhöhe als angemessen angesehen (OLG Celle, Kostenbeschluss vom 19.11.2018, 13 Verg 6/18; vorhergehend VK Niedersachsen, Beschluss vom 07.08.2018; VgK-19/2018). Aufwand und wirtschaftliche Bedeutung des Falles sind außergewöhnlich hoch. Der Antragsgegner vergibt einen sehr komplexen und sehr umfangreichen Bauauftrag. Die gekappte Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmungen in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag in der Hauptsache keinen Erfolg hatte.

Aufwendungen des Antragsgegners:

Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat die Antragstellerin dem Antragsgegner die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten.

Angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren in der Hauptsache unterlegen ist, hat sie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung erforderlichen Kosten des Antragsgegners zu tragen. Der Antragsgegner war jedoch im Nachprüfungsverfahren nicht durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin, sondern durch eine eigene Justitiarin vertreten.

(…)

VertragsMan ® Bau: Entscheidungen im Volltext

VertragsMan ® Bau: Entscheidungen im Volltext

“Durchgereichter” Stundenaufwand kann nicht pauschal bestritten werden

vorgestellt von Thomas Ax

1. Zur schlüssigen Darlegung seines Vergütungsanspruchs muss der Unternehmer im Fall der Abrechnung nach Stundenlohn lediglich die Anzahl der geleisteten Stunden darlegen. Nachweise wie etwa Rapportzettel sind keine Voraussetzung der schlüssigen Darlegung, auch ist keine Differenzierung erforderlich, welche Arbeitsstunden für welche Tätigkeiten an welchen Tagen angefallen sind.

2. Der Besteller darf im Regelfall ohne nähere Darlegung bestreiten, dass die abgerechneten Stunden tatsächlich angefallen sind und muss nicht zu den aus seiner Sicht geleisteten Stunden vortragen. Etwas anderes gilt, wenn der Besteller Kenntnis darüber hat, welche Stunden angefallen sind.

3. Für den Einwand, dass in Relation zu dem vereinbarten Werkerfolg ein überhöhter zeitlicher Aufwand betrieben worden ist, ist der Besteller darlegungs- und beweispflichtig.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.09.2022 – 22 U 304/21

Gründe:

Auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 02.08.2022 wird Bezug genommen. Die Stellungnahmen der Beklagten und der Streithelferin führen nicht zu einer günstigeren Beurteilung der Erfolgsaussicht.

Der Senat hält an der Würdigung fest, dass die Beklagte, die sich des Klägers als Nachunternehmers bedient hat und selbst Stundenaufwand gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat, den abgerechneten Zeitaufwand nicht pauschal – gleichsam mit Nichtwissen – bestreiten kann. Mit dem weiteren Hinweis des Senats, dass die Beklagte fachkundig ist und daher angeben könnte und müsste, welcher Zeitaufwand für die durchgeführten Arbeiten als angemessen erscheint, befassen sich die Beklagte und die Streithelferin nicht. Der Senat hat auf das Urteil des OLG Celle verwiesen, um zu belegen, dass abhängig von den Umständen des Einzelfalls ein einfaches Bestreiten des Zeitaufwands nicht stets ausreichend ist. Dass das Urteil nicht “einschlägig” ist, ändert an dieser Bewertung nichts. Nicht richtig ist die Ansicht der Beklagten, es sei unstreitig, dass der Kläger auch Mängelbeseitigungsaufwand abrechne. Aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils, an den der Senat gebunden ist (§ 314 ZPO), ergibt sich das Gegenteil. Dort ist als streitiger Vortrag der Beklagten wiedergegeben, dass die Stundenzettel deshalb unrichtig seien, weil sie auch Stunden enthielten, die der Kläger zur Mängelbeseitigung aufgewendet habe.

Die als N2 bis N5 vorgelegten Schreiben sind an die Beklagte gerichtet und betreffen den Ausführungszeitraum. Welche Mängel derzeit noch vorliegen und daher ein Leistungsverweigerungsrecht rechtfertigen könnten, ergibt sich aus den Schreiben nicht. Die Schreiben erlauben auch keine Lokalisation der von der Beklagten behaupteten Mängel, weil es an einer Verknüpfung der Schreiben mit dem Vortrag der Beklagten fehlt. Zu den weiteren Hinweisen des Senats betreffend die Mängel nimmt die Streithelferin nicht Stellung.

Der Verweis der Streithelferin auf die Vereinbarung vom 25.11.2019 (Anlage N1) ist nicht geeignet, um ein Mißverhältnis zwischen dem abgerechneten Stundenaufwand und dem Werkerfolg darzutun. Aus dem Schreiben ergibt sich lediglich, dass sich die Beklagte und die Streithelferin auf eine Abrechnung der Fliesenarbeiten zum Einheitspreis von 25,00 EUR/qm “im Mittel” geeinigt haben. Warum daraus folgen sollte, dass der Stundenaufwand der Klägerin überhöht ist, erschließt sich nicht. So werden sich häufig unterschiedlich hohe Werklohnansprüche ergeben, je nachdem, ob der Unternehmer eine nach Einheitspreisen oder Stundenlohn berechnete Vergütung erhalten soll. Für die Darlegung eines überhöhten Stundenaufwand genügt es gerade nicht, dass lediglich vorgetragen wird, der Werklohn sei unangemessen hoch oder entspreche nicht der Üblichkeit.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10 S. 2, 713 ZPO.

Berufungsstreitwert: 19.133,14 EUR.

Tiefbaurecht: Aktuelle Rechtsprechung – kurz belichtet

Tiefbaurecht: Aktuelle Rechtsprechung - kurz belichtet

vorgestellt von Thomas Ax

Tiefbauer darf auf angegebene Leitungstiefe vertrauen

LG Rostock, Urteil vom 20.01.2023 – 2 O 260/22

1. Ein Tiefbauunternehmer hat sich vor der Durchführung von Erdarbeiten an öffentlichen Straßenflächen nach der Existenz und dem Verlauf unterirdisch verlegter Versorgungsleitungen zu erkundigen. Er muss sich Gewissheit über die Verlegung von Versorgungsleitungen im Boden verschaffen.

2. Um den unverhältnismäßig hohen Gefahren, die durch eine Beschädigung von Strom-, Gas-, Wasser- oder Telefonleitungen hervorgerufen werden können, zu begegnen, ist mit äußerster Vorsicht vor allem bei der Verwendung von Baggern und anderem schweren Arbeitsgerät vorzugehen.

3. Dort, wo entsprechend zuverlässige Unterlagen vorhanden sind, muss sich der Tiefbauunternehmer über den Verlauf von Versorgungsleitungen erkundigen; im Rahmen der allgemeinen technischen Erfahrung hat er sich die Kenntnisse zu verschaffen, welche die sichere Bewältigung der auszuführenden Arbeiten voraussetzt.

4. Es besteht eine Erkundigungspflicht gegenüber den zuständigen Versorgungsunternehmen. Wenn dies nicht weiterhilft, hat sich der Tiefbauunternehmer die erforderliche Gewissheit durch andere geeignete Maßnahmen zu verschaffen, etwa durch Probebohrungen oder Ausschachtungen von Hand in dem Bereich, den er ausheben will.

5. Hat der Tiefbauunternehmer seine Erkundigungspflichten erfüllt, trifft ihn an der Beschädigung eines Glasfaserkabels kein Verschulden, wenn dessen Tiefenlage konkret mit ca. 0,7 m benannt wurde, es sich jedoch in einer Tiefe von ca. 3,30 m befindet.

Privatgutachterkosten sind auch im selbständigen Beweisverfahren erstattungsfähig

OLG Brandenburg, Beschluss vom 03.02.2023 – 6 W 14/23

Ist eine Partei eines selbständigen Beweisverfahrens aus eigener Sachkunde nicht in der Lage, sich sachgerecht mit einem gerichtlich eingeholten oder von der Gegenseite vorgelegten Gutachten auseinanderzusetzen, insbesondere weil ihr aufgrund einer komplizierten und fremden Materie das erforderliche Spezialwissen fehlt, sind die Kosten für ein verfahrensbegleitendes Privatgutachten in aller Regel zur Ermöglichung eines substantiierten Sachvortrags notwendig (Anschluss an BGH, IBR 2013, 252).

Baustromklausel mit Abrechnungsoption ist wirksam

OLG Hamm, Urteil vom 22.09.2022 – 24 U 65/21

1. Eine sog. Baustromklausel, wonach der Auftraggeber von der Schlussrechnung des Auftragnehmers 0,3 % der Schlussrechnungssumme in Abzug bringen darf, benachteiligt den Auftragnehmer jedenfalls dann nicht unangemessen, wenn die Klausel die Option einer Abrechnung nach tatsächlichem Verbrauch enthält (Abgrenzung zu OLG Hamburg, IBR 2017, 183).

2. Die Leistung des Auftragnehmers ist auch dann mangelhaft, wenn sie die vereinbarte Funktion nur deshalb nicht erfüllt, weil die vom Auftraggeber zur Verfügung gestellte Vorunternehmerleistung unzureichend sind.

3. Der Verantwortlichkeit für den Mangel kann der Auftragnehmer im Fall einer unzureichenden Vorunternehmerleistung nur durch eine ausreichende Prüfung des Vorgewerks und einen sich daran anschließenden Bedenkenhinweis gegenüber dem Auftraggeber entgehen.

4. Übernimmt der Auftragnehmer die Ausführung in Kenntnis, dass eine Planung nicht zur Verfügung steht, kann er sich – jedenfalls ohne entsprechenden Bedenkenhinweis – nicht auf ein Mitverschulden des Auftraggebers berufen.

5. Das Verschulden eines Vorunternehmers ist dem Auftraggeber nicht zuzurechnen, da der Vorunternehmer regelmäßig nicht – anders als der Architekt bei der Planung – Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers im Verhältnis zum (Nachfolge-)Auftragnehmer ist.

6. Es gehört auch zur Mangelbeseitigung, die Gewerke, die notwendigerweise bei der Nachbesserung zerstört werden, wieder herzustellen.

Vertragsman ® Bau: Die Hervorzuhebende Entscheidung

Vertragsman ® Bau: Die Hervorzuhebende Entscheidung

BGH: Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam

vorgestellt von Thomas Ax

Ist die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden, hält § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) ebenso wie die hierauf rückbezogene Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand. Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam.

Tatbestand

Die Beklagte war Hauptauftragnehmerin hinsichtlich eines Teils des Ausbaus der Stadtbahnlinie der S. GmbH. Mit den entlang der Stadtbahntrasse durchzuführenden Straßen- und Tiefbauarbeiten beauftragte die Beklagte im Jahr 2004 die Klägerin als Nachunternehmerin. Die Parteien unterzeichneten hierzu im Oktober 2004 ein Verhandlungsprotokoll, durch das unter anderem auch die VOB/B in der jeweils geltenden Fassung in den Vertrag einbezogen wurde. Die Auftragssumme belief sich auf 3.031.527,96 € netto.

In dem Leistungsverzeichnis, das von der S. GmbH stammte und von der Beklagten an die Klägerin weitergereicht wurde, heißt es in Bezug auf den Straßenbord unter anderem “Rückenstütze aus Beton B 25 nach Zeichnung herstellen” und “Unterbeton B 25 liefern und nach Zeichnung herstellen”. Zwischen den Parteien ist streitig, ob sich die geschuldete Betonfestigkeitsklasse B 25 (entspricht der neuen Bezeichnung C 20/25) auf den Beton im angelieferten (Auffassung der Klägerin) oder im verbauten Zustand (Auffassung der Beklagten) bezieht.

Während der Bauausführung rügte die Beklagte am 3. August 2006 die Qualität des verbauten Betons an einem bestimmten Straßenabschnitt und verlangte von der Klägerin unter Fristsetzung bis zum 11. August 2006 Mangelbeseitigung. Mit weiteren Schreiben vom 4., 8., 10. und 11. August 2006 wiederholte und konkretisierte die Beklagte die Mängelrügen, setzte der Klägerin Fristen zur Mangelbeseitigung bis zum 16. beziehungsweise 18. August 2006 (jeweils 10 Uhr) und drohte für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs die außerordentliche Kündigung des ganzen oder eines Teils des Auftrags sowie die Mangelbeseitigung auf Kosten der Klägerin an. Am 14. August 2006 übersandte die Klägerin der Beklagten ein Gutachten, aus dem hervorging, dass mit dem gelieferten Beton der Festigkeitsklasse C 20/25 eine Endfestigkeit von B 15 beziehungsweise C 12/15 erreicht werden könne. Die Beklagte übersandte ihrerseits der Klägerin am 17. August 2006 ein Gutachten, wonach der Beton in sieben Fällen nur die Festigkeitsklasse C 12/15 und in vier Fällen die Festigkeitsklasse C 8/10 erreichte, somit die Endfestigkeit der Klasse C 20/25 nicht entspreche.

Die Klägerin kam dem Verlangen nach Beseitigung der behaupteten Mängel, welche mit einem Aufwand von ca. 6.000 € bei laufendem Baubetrieb in zwei bis drei Arbeitstagen hätte erledigt werden können, nicht nach. Die Beklagte kündigte nach Fristablauf am 18. August 2006 den Bauvertrag hinsichtlich aller zu diesem Zeitpunkt noch nicht erbrachten Arbeiten.

Die Klägerin begehrt in dem Rechtsstreit Restwerklohn in Höhe von 2.465.744,23 €. Die Beklagte verlangt widerklagend die Zahlung von 4.152.902,75 € als Kosten der Ersatzvornahme, ferner die teilweise Rückzahlung von Abschlagszahlungen (387.332,31 €), Schadensersatz (90.729,80 €), Ersatz von Avalgebühren (40.500 €) und – bezogen auf weitere von ihr behauptete Mängel – Ausgleich von Mängelbeseitigungskosten (209.382,83 €) sowie die Feststellung, dass die von ihr behaupteten Mängel vorliegen. Weiter haben die Parteien wechselseitig beantragt, durch Zwischenfeststellungsurteil festzustellen, dass die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung eine freie Kündigung nach § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) (Antrag der Klägerin) beziehungsweise eine “berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund (Entziehung des Auftrags gemäß § 8 Nr. 3 VOB/B a.F.)” (Antrag der Beklagten) gewesen sei.

Das Landgericht hat durch Teilurteil festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten eine freie Kündigung nach § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) gewesen sei. Die Widerklage der Beklagten hinsichtlich der kündigungsbedingten Ersatzvornahmekosten sowie ihre Zwischenfeststellungswiderklage hat es abgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Teilurteil des Landgerichts abgeändert. Es hat die Zwischenfeststellungsklage der Klägerin abgewiesen und auf die Zwischenfeststellungswiderklage der Beklagten festgestellt, dass es sich bei der Kündigung um eine “Kündigung gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B handelt”. Des Weiteren hat es festgestellt, dass die Widerklage bezogen auf die Ersatzvornahmekosten in Höhe von 4.152.902,75 € dem Grunde nach begründet ist. Im Übrigen hat es das Teilurteil des Landgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Teilurteils.

Gründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Schuldverhältnis zwischen den Parteien ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung anzuwenden, die für ab dem 1. Januar 2002 und bis zum 31. Dezember 2017 geschlossene Verträge gilt, Art. 229 § 5 Satz 1, § 39 EGBGB.

I.

Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass die Klägerin als vertragliches Leistungssoll Beton der Festigkeitsklasse B 25 (C 20/25) im eingebauten Zustand geschuldet, aber nicht erreicht habe, weshalb die Beklagte den Bauvertrag nach Ablauf der unter Kündigungsandrohung gesetzten und angemessenen Frist zur Mangelbeseitigung mit Schreiben vom 18. August 2006 gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 1 i.V.m. § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) wirksam habe kündigen können.

Eine von der Klägerin angeführte Unwirksamkeit von § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) wegen Verstoßes gegen AGB-Recht stehe der Kündigung nicht entgegen. Im Grundsatz gelte, dass dann, wenn die VOB/B als Ganzes vereinbart worden sei, eine isolierte Inhaltskontrolle einzelner VOB/B-Bestimmungen auf der Grundlage der §§ 305 ff. BGB nicht in Betracht komme. Diesen Grundsatz habe der Bundesgerichtshof dahingehend eingeschränkt, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führe, dass diese nicht als Ganzes vereinbart sei und eine Inhaltskontrolle möglich werde. Werde die VOB/B gegenüber einem Unternehmer verwendet, stelle sich seit dem Inkrafttreten des Forderungssicherungsgesetzes zum 1. Januar 2009 im Hinblick auf § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB die Frage, wann von einer substanziellen Änderung der VOB/B auszugehen sei, nicht mehr. Der streitgegenständliche Bauvertrag datiere allerdings aus der Zeit vor dem 1. Januar 2009.

Es sei nicht zu erkennen, dass die VOB/B in Bezug auf den streitgegenständlichen Vertrag substanziell abgeändert worden sei. Die Klägerin verweise zwar auf die Regelung der Verjährungsfrist der Gewährleistungsansprüche in Nr. 19 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen. Eine solche Änderung der Frist unterstellt, stünde dies der Annahme nicht entgegen, dass die VOB/B als Ganzes vereinbart worden sei. Nehme man das an, dann gelte auch vor dem 1. Januar 2009 der allgemeine Grundsatz, dass eine Inhaltskontrolle einzelner Klauseln nicht stattfinde, ohne dass es auf die Frage ankommen würde, ob die Beklagte überhaupt Verwenderin der VOB/B (2002) gewesen sei. Soweit in der Literatur der Standpunkt vertreten werde, dass gerade die § 4 Abs. 7, § 8 Abs. 3 VOB/B einer AGB-Inhaltskontrolle nicht standhielten, sei eine schlüssige Begründung für diese Annahme nicht erkennbar. Lasse sich nicht erkennen, dass durch den streitgegenständlichen Vertrag die VOB/B auch nur in Einzelpunkten substanziell habe geändert werden sollen, bestünden gegen die Wirksamkeit von § 8 Nr. 3, § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) keine Bedenken.

II.

Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine wirksame Kündigung des Vertrags durch die Beklagte nach § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) nicht angenommen werden. Deshalb können weder die Entscheidung über die wechselseitigen Zwischenfeststellungsklagen noch das Grundurteil betreffend die Ersatzvornahmekosten Bestand haben.

1. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Beklagte Verwenderin der VOB/B ist. Die Verwendereigenschaft der Beklagten ist daher revisionsrechtlich zu unterstellen.

2. Danach hat das Berufungsgericht die Eröffnung der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB rechtsfehlerhaft abgelehnt.

a) Das Berufungsgericht hat zu Unrecht für die Eröffnung der Inhaltskontrolle eine substanzielle Änderung der VOB/B durch zwischen den Parteien vereinbarte vertragliche Regelungen verlangt.

aa) Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1982 (VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135) unterlagen die Klauseln der VOB/B, die als vorformulierte Vertragsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 1 Satz 1 BGB sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Juli 2008 – VII ZR 55/07 Rn. 10 m.w.N., BGHZ 178, 1), keiner Inhaltskontrolle, wenn der Verwender die VOB/B ohne ins Gewicht fallende Einschränkung übernommen hatte. Begründet wurde das damit, dass die VOB/B im Gegensatz zu anderen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht nur die Interessen einer Vertragspartei verfolge, sondern im Ganzen einen einigermaßen ausgewogenen Ausgleich der beteiligten Interessen enthalte (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1982 – VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135, juris Rn. 27 ff.). Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 22. Januar 2004 dahingehend modifiziert, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist, unabhängig davon, welches Gewicht der Eingriff hat. Damit ist die Inhaltskontrolle auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vorliegen. Ob eventuell benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen “ausgeglichen” werden, ist unerheblich (BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 – VII ZR 419/02, BGHZ 157, 346, juris Rn. 11).

bb) Danach ist – anders als vom Berufungsgericht angenommen – für die Eröffnung der Inhaltskontrolle eine substanzielle Abänderung der VOB/B nicht erforderlich. Dies gilt auf Grund der vorgenannten Rechtsprechung ungeachtet des Umstands, dass der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag aus der Zeit vor dem 1. Januar 2009 und damit vor Einführung von § 310 1 Satz 3 BGB datiert.

b) Die Inhaltskontrolle nach § 307 1 Satz 1 BGB ist eröffnet, weil nach dem zugunsten der Revision zu unterstellenden Sachverhalt die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart war. Das Berufungsgericht hat – wie die Revision zu Recht rügt – entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin unberücksichtigt gelassen, obwohl er für die Beurteilung, ob die VOB/B (2002) als Ganzes zwischen den Parteien vereinbart worden ist, erheblich war. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2019 vorgetragen, dass in den ursprünglich zwischen der S. GmbH und der Beklagten vereinbarten Besonderen Vertragsbedingungen, die auch in das Vertragsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten einbezogen worden seien, mehrere im einzelnen benannte Regelungen von denen der VOB/B (2002) abweichen. So weicht, was die Klägerin zutreffend aufgezeigt hat, Ziffer II. 2. Abs. 3, wonach die Einheitspreise fest und unveränderbar sind, von § 2 Nr. 3 VOB/B (2002) ab. Die Regelung in Ziffer II. 11. Abs. 1, der zufolge der Auftraggeber Abschlagszahlungen bis zu 90 % der nachgewiesenen Leistungen zu leisten hat, modifiziert § 16 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002), da hiernach Abschlagszahlungen in Höhe von 100 % des Wertes der jeweils nachgewiesenen vertragsgemäßen Leistungen einschließlich des ausgewiesenen, darauf entfallenden Umsatzsteuerbetrages zu gewähren sind.

Unter Berücksichtigung dieses Vortrags ist die VOB/B nicht mehr als Ganzes zwischen den Parteien vereinbart, ohne dass es auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage ankommt, welche Bedeutung der Regelung der Verjährungsfrist in Ziffer Nr. 19 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen zukommt.

III.

Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO) dar.

1. Ist die Beklagte Verwenderin der VOB/B und ist diese nicht als Ganzes vereinbart, kann die Beklagte die von ihr am 18. Juni 2006 ausgesprochene Kündigung nicht auf § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) stützen. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) hält ebenso wie die hierauf rückbezogene Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand. Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002), die inhaltlich den derzeit geltenden § 4 Abs. 7 Satz 3, § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2016) entspricht, benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam.

a) Nach § 8 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) kann der Auftraggeber den Vertrag kündigen, wenn im Falle des § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) die dem Auftragnehmer gesetzte Frist fruchtlos abgelaufen ist (Entziehung des Auftrags). Die Klausel in § 4 Nr. 7 VOB/B (2002), auf die sich dieses Kündigungsrecht bezieht, sieht in Satz 1 vor, dass der Auftragnehmer Leistungen, die schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig erkannt werden, auf eigene Kosten durch mangelfreie zu ersetzen hat. Kommt der Auftragnehmer der Pflicht zur Beseitigung des Mangels nicht nach, kann ihm gemäß Satz 3 der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels setzen und erklären, dass er ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehe (§ 8 Nr. 3). § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) enthält mithin nicht selbst einen Kündigungsgrund, sondern greift rückbeziehend das in § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) tatbestandlich geregelte Kündigungsrecht unter den dort niedergelegten Voraussetzungen auf. Die derart wechselbezüglich miteinander verknüpften Regelungen stellen allgemeiner Auffassung zufolge einen Anwendungsfall des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund dar (vgl. Kapellmann/Messerschmidt/Lederer, 8. Aufl. 2023, VOB/B § 8 Rn. 93).

b) In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob § 4 7 Satz 3 VOB/B (2002) wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist (für die Unwirksamkeit Ingenstau/Korbion/Sienz, VOB Teile A und B, 22. Aufl., Anh. 3 Rn. 72; Kniffka/Jurgeleit/Schmitz, ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand: 15. November 2021, § 648a Rn. 89 ff.; Bolz/Jurgeleit/Karczewski, ibr-online Kommentar VOB/B, Stand: 24. August 2022, § 4 Rn. 368, 372; Bedenken an der Wirksamkeit äußernd Gartz in Nicklisch/Weick/Jansen/Seibel, VOB/B, 5. Aufl., § 4 Rn. 209 f.; Messerschmidt/Voit/Voit, Privates Baurecht, 4. Aufl., § 4 VOB/B Rn. 38; Glöckner/v. Berg/Vogelheim, Bau- und Architektenrecht, 2. Aufl., Teil III, § 4 Rn. 28; Leinemann/Kues/Geheeb, BGB-Bauvertragsrecht, 1. Aufl., § 648a Rn. 92; Graf von Westphalen/Thüsing/Pamp/Schmidt, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 48. EL. März 2022, “Bauvertrag”, Rn. 22; Schenke, BauR 2008, 1972, 1977; für die Wirksamkeit OLG Koblenz, Urteil vom 28. Juli 2020 – 4 U 1282/17, juris Rn. 87 ff.; LG Bremen, Zwischenurteil vom 20. Juni 2019 – 2 O 2021/10, juris Rn. 122 ff.; OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Juni 2007 – 3 U 31/07, juris Rn. 15 ff.; Schrader, jurisPR-PrivBauR 5/2020 Anm. 3).

c) Der Senat entscheidet die Frage dahingehend, dass § 4 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung der Voraussetzungen einer Kündigung eines Werkvertrags aus wichtigem Grund, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Die Klauseln benachteiligen den Auftragnehmer unangemessen und sind deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

aa) Nach § 307 1 Satz 1 BGB ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2017 – VII ZR 170/16 Rn. 17, BauR 2017, 1202). Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders wird nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vermutet, wenn eine klauselmäßige Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung gegeben ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und damit für die Bestimmung der für die Beurteilung einer unangemessenen Benachteiligung heranzuziehenden wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist der Vertragsschluss (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2014 – VIII ZR 344/13 Rn. 31 m.w.N., BGHZ 201, 363). Entscheidend sind die durch die Klausel konkret verdrängten gesetzlichen Vorschriften, die im Streitfall auf das vertraglich begründete Rechtsverhältnis anwendbar wären (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1987 – VII ZR 185/86, BGHZ 102, 41, juris Rn. 20). Die “gesetzlichen Regelungen” im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfassen dabei nicht nur Gesetze im materiellen Sinn, sondern auch ungeschriebenes Recht, wozu auch das Richterrecht sowie die von der Rechtsprechung und Rechtslehre durch Auslegung, Analogie oder Rechtsfortbildung aus den allgemeinen Grundgedanken eines Rechtsgebiets oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung aus der Natur eines Schuldverhältnisses erarbeiteten und anerkannten Rechtssätze gehören (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2002 – XI ZR 245/01, BGHZ 150, 269, juris Rn. 23). Die Vermutung ist widerlegt, wenn die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild auf Grundlage einer umfassenden Interessensabwägung sachlich gerechtfertigt und der gesetzliche Schutzzweck auf andere Weise sichergestellt ist (BGH, Urteil vom 27. April 2021 – XI ZR 26/20 Rn. 24 m.w.N., BGHZ 229, 344).

bb) Die Regelung in § 4 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) unterliegt uneingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfung. Zwar sind Allgemeine Geschäftsbedingungen keine Rechtsnormen, so dass ihre Auslegung grundsätzlich Sache des Tatrichters ist. Sie sind aber wie revisible Rechtsnormen zu behandeln und infolgedessen vom Revisionsgericht frei auszulegen, da bei ihnen ungeachtet der Frage, ob sie über den räumlichen Bezirk eines Berufungsgerichts hinaus Verwendung finden, ein Bedürfnis nach einheitlicher Handhabung besteht (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – VII ZR 171/15 Rn. 41, BGHZ 210, 206; Urteil vom 9. April 2014 – VIII ZR 404/12 Rn. 25, BGHZ 200, 362; Urteil vom 13. November 2012 – XI ZR 500/11 Rn. 15, BGHZ 195, 298).

cc) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind gemäß ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Dabei ist in erster Linie der Wortlaut der auszulegenden Klausel maßgeblich. Diese Auslegungsgrundsätze gelten auch für die VOB/B (BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – VII ZR 5/15 26 m.w.N., BGHZ 206, 203).

Ist der Wortlaut nicht eindeutig, kommt es entscheidend darauf an, wie die Klausel aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 2021 – VIII ZR 97/19 Rn. 22, RdE 2022, 23). Dabei sind auch der Sinn und Zweck einer Klausel sowie systematische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Eine Formularklausel ist vor dem Hintergrund des gesamten Formularvertrags zu interpretieren (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 2021 – VIII ZR 97/19 Rn. 23, RdE 2022, 23; Urteil vom 10. Juni 2020 – VIII ZR 289/19 Rn. 30, MDR 2020, 1047, jeweils m.w.N.). Sind nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsregeln mehrere Auslegungen rechtlich vertretbar, gehen Zweifel bei der Auslegung gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Außer Betracht bleiben Verständnismöglichkeiten, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend und nicht ernstlich in Erwägung zu ziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2022 – VII ZR 176/20 Rn. 30, NJW 2022, 2467; Urteil vom 20. Juli 2017 – VII ZR 259/16 Rn. 19, BauR 2017, 1995; Urteil vom 5. November 2015 – VII ZR 59/14 Rn. 21 m.w.N., NJW 2016, 242). Nach diesen Grundsätzen ist auch im Individualprozess gemäß § 305c Abs. 2 BGB die kundenfeindlichste Auslegung zugrunde zu legen, wenn diese im Rahmen einer vorzunehmenden Inhaltskontrolle zur Unwirksamkeit der Klausel führt und dadurch den Vertragspartner des Verwenders begünstigt (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – VII ZR 171/15 Rn. 42, BGHZ 210, 206, jeweils m.w.N.).

dd) Nach diesen Grundsätzen ist für § 4 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) von einem Klauselverständnis auszugehen, wonach bei ganz geringfügigen und unbedeutenden Vertragswidrigkeiten oder Mängeln die Kündigung aus wichtigem Grund eröffnet ist.

(1) Nach dem Wortlaut von § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) kann der Auftraggeber dem Auftragnehmer den Auftrag entziehen, wenn eine mangelhafte oder vertragswidrige Leistung in der Ausführungsphase aufgetreten ist, die der Auftragnehmer trotz Fristsetzung und Kündigungsandrohung nicht beseitigt hat. Weitere Voraussetzungen im Hinblick darauf, dass die Kündigung nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) eine solche aus wichtigem Grund ist, enthalten weder § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) noch § 8 Nr. 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002).

Die Sanktion der Kündigung aus wichtigem Grund kann danach einschränkungslos in jedem denkbaren Fall festgestellter Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit ausgesprochen werden. Diese Möglichkeit besteht losgelöst davon, welches Gewicht der Vertragswidrigkeit oder dem Mangel im Hinblick auf die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zukommt. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) differenziert nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels, so dass selbst unwesentliche Mängel, die den Auftraggeber nach § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zur Verweigerung der Abnahme berechtigen würden, zur Kündigung aus wichtigem Grund führen können.

Die Fristsetzung und die Auftragsentziehungsandrohung sind lediglich als einzuhaltende Förmlichkeiten formuliert, so dass der Auftraggeber den Vertrag auch dann aus wichtigem Grund kündigen kann, wenn der Fristsetzung kein anerkennenswertes eigenes Interesse an der fristgerechten Beseitigung der vertragswidrigen oder mangelhaften Leistung zugrunde liegt oder die Auftragsentziehung angedroht wird, ohne dass ein berechtigtes Interesse an der vorzeitigen Vertragsbeendigung besteht.

(2) Aus der systematischen Stellung und dem Regelungszusammenhang der Klauseln ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass ganz geringfügige und unbedeutende Vertragswidrigkeiten oder Mängel kein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund begründen könnten. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) knüpft an das dem Auftraggeber in § 4 Nr. 7 Satz 1 VOB/B (2002) ausbedungene Recht an, bereits während der Ausführung die Beseitigung als vertragswidrig oder mangelhaft erkannter Leistungen fordern zu können. § 4 Nr. 7 Satz 1 VOB/B (2002) differenziert seinerseits ebenfalls nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels.

(3) Bei anderem Klauselverständnis (vgl. zur Mehrdeutigkeit der Regelung von Kiedrowski, Festschrift für Leupertz (2021), S. 333, 350 f.), wonach ein Auftraggeber dem Auftragnehmer den Auftrag nur bei Vertragswidrigkeiten oder Mängeln entziehen darf, welche so gewichtig sind, dass dem Auftraggeber die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann, wäre aufgrund der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB der Angemessenheitsprüfung nach § 307 Abs. 1, 2 BGB gleichwohl die Auslegung zugrunde zu legen, wonach die Kündigung als Reaktion auch auf eine nur geringfügige, unbedeutende oder unwesentliche Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit in der Ausführungsphase möglich ist.

ee) Ausgehend von dem hiernach maßgeblichen Klauselverständnis widerspricht § 4 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) dem gesetzlichen Leitbild im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

(1) Die Kündigungsregelung nach § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) ist anhand der richterrechtlich entwickelten Grund-sätze zu messen, nach denen der Auftraggeber einen Werkvertrag aus wichtigem Grund kündigen kann.

Das Recht eines Auftraggebers, einen Werkvertrag aus wichtigem Grund zu kündigen, ist für ab dem 1. Januar 2002, aber vor Einführung von § 648a BGB geschlossene Verträge – wie dem streitgegenständlichen – richterrechtlich anerkannt und folgt aus dem Rechtsgedanken des § 314 BGB (BGH, Urteil vom 7. April 2016 – VII ZR 56/15 Rn. 40 m.w.N., BGHZ 210, 1).

(2) Voraussetzung einer Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage zum Auftraggeber derart erschüttert hat, dass diesem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2019 – VII ZR 1/19 Rn. 23, 31, BGHZ 223, 260; Urteil vom 8. März 2012 – VII ZR 118/10 Rn. 22, BauR 2012, 949 = NZBau 2012, 357).

Eine vertragswidrige oder mangelhafte Werkleistung in der Ausführungsphase kann im Hinblick auf die zu berücksichtigende Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers nur dann ein wichtiger Grund sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen. Solche können sich im Einzelfall aus Umständen ergeben, die einen Bezug zu der potenziell mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung aufweisen, sofern diese in der Gesamtabwägung so schwer wiegen, dass sie zu einer tiefgehenden Störung der für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertrauensbeziehung geführt haben. Ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers, die Fertigstellung durch den Auftragnehmer nicht mehr abwarten zu müssen, kann etwa aus der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels folgen.

(3) Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) weicht nach dem maßgeblichen Klauselverständnis von diesen wesentlichen Grundgedanken ab. Hiernach kann der Auftraggeber die Kündigung losgelöst von diesen Kriterien und – bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs – selbst bei Geringfügigkeit der Vertragswidrigkeiten oder Mängel während der Ausführungsphase aussprechen.

(4) Diese Abweichung von dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, denn die Vermutung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist nicht widerlegt. Weder wird die unangemessene Benachteiligung durch andere der Klägerin von der Beklagten gewährte Vorteile kompensiert noch rechtfertigen besondere Umstände bezogen auf die Durchführung und Abwicklung von Bauleistungen diese.

ff) § 8 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) behält im Übrigen – soweit die Bestimmung nicht auf § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) rückbezogen ist – seine Wirksamkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können inhaltlich voneinander trennbare, einzeln aus sich heraus verständliche Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch dann Gegenstand einer gesonderten Wirksamkeitsprüfung sein, wenn sie in einem äußeren sprachlichen Zusammenhang mit anderen – unwirksamen – Regelungen stehen. Nur wenn der als wirksam anzusehende Teil im Gesamtgefüge des Vertrags nicht mehr sinnvoll, insbesondere der als unwirksam beanstandete Klauselteil von so einschneidender Bedeutung ist, dass von einer gänzlich neuen, von der bisherigen völlig abweichenden Vertragsgestaltung gesprochen werden muss, ergreift die Unwirksamkeit der Teilklausel die Gesamtklausel. Die inhaltliche Trennbarkeit einer Klausel und damit ihre Zerlegung in einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich unzulässigen Teil ist immer dann gegeben, wenn der unwirksame Teil der Klausel gestrichen werden kann, ohne dass der Sinn des anderen Teils darunter leidet (sog. blue-pencil-test); ob beide Bestimmungen den gleichen Regelungsgegenstand betreffen, ist dabei unerheblich (vgl. nur BGH, Urteil vom 6. April 2022 – VIII ZR 295/20 Rn. 45 m.w.N., NJW 2022, 1944).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs erstreckt sich die Unwirksamkeit der ersten in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) geregelten Variante nicht auf die übrigen Kündigungstatbestände. Der Passus in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002), der die Bezugnahme auf den Kündigungsgrund des § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) enthält, kann gestrichen werden, ohne dass die Klausel des § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) insgesamt ihren Sinn einbüßt.

2. Der Senat kann nicht entscheiden, ob die Beklagte außerhalb des Anwendungsbereichs von § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) nach dem gemäß § 306 Abs. 1 BGB zu prüfenden dispositiven Recht ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund hatte. Dazu, ob die Beklagte den Vertrag nach den richterrechtlich entwickelten Grundsätzen zur Kündigung aus wichtigem Grund kündigen konnte, hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.

IV.

Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B sind nach Auffassung des BGH die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich

Für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B sind nach Auffassung des BGH die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich

von Thomas Ax

Wie die Vergütungsanpassung bei Mengenmehrungen vorzunehmen ist, wenn eine Einigung über den neuen Einheitspreis nicht zustande kommt, ist in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B nicht geregelt. Die Bestimmung gibt nur vor, dass bei der von den Parteien zu treffenden Vereinbarung über den neuen Preis Mehr- oder Minderkosten zu berücksichtigen sind. Die VOB/B legt die Verantwortung für die neue Preisbestimmung, durch die etwaigen Störungen des Äquivalenzverhältnisses entgegengewirkt werden soll, damit in die Hände der Vertragsparteien, die unter Berücksichtigung der geänderten Umstände einen neuen Preis aushandeln sollen. Abgesehen von der in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B vorgesehenen Einigung auf einen neuen Einheitspreis können die Vertragsparteien sowohl bei Vertragsschluss für den ungewissen Fall, dass Mengenmehrungen im Sinne dieser Bestimmung eintreten, als auch nachträglich, sobald aufgrund konkret eingetretener Mehrmengen ein neuer Einheitspreis verlangt wird, sich über einzelne Teilelemente der Preisbildung verständigen. Sie können etwa einen bestimmten Maßstab beziehungsweise einzelne Kriterien oder Faktoren festlegen, nach denen im konkreten Fall der neue Einheitspreis nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B bestimmt werden soll.

Haben sich die Parteien nicht insgesamt oder im Hinblick auf einzelne Elemente der Preisbildung geeinigt, enthält der Vertrag eine Lücke, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu schließen ist. Dabei entspricht es der Redlichkeit und dem bestmöglichen Ausgleich der wechselseitigen Interessen, dass durch die unvorhergesehene Veränderung der auszuführenden Leistungen im von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B bestimmten Umfang keine der Vertragsparteien eine Besser- oder Schlechterstellung erfahren soll. Die im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien nach Treu und Glauben ergibt, dass – wenn nichts anderes vereinbart ist – für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich sind.

BGH, Urteil vom 8. August 2019 – VII ZR 34/18

Abtragungen und ihre Folgen

Abtragungen und ihre Folgen

von Thomas Ax

Nach § 909 BGB darf ein Grundstück nicht in der Weise vertieft werden, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verliert, es sei denn, dass für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist.

Den Nachbarn, auf dessen Grundstück die Abtragung vorgenommen wurde, die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Ihr Grundstück seine Festigkeit erhält.

Die Vorschrift enthält keine Anspruchsgrundlage , sondern formuliert lediglich ein Verbot; Anspruchsgrundlage zur Durchsetzung des Verbots sind § 1004 I BGB ( BGHZ 85, 375, 384 ) bzw § 862 I BGB ( BGHZ 147, 45, 51 ).

§ 909 BGB beschränkt die aus § 903 BGB folgende positive Befugnis des Eigentümers, mit seinem Grundstück nach Belieben zu verfahren, indem ihm an sich zustehende Eingriffe im Interesse der Festigkeit des Bodens benachbarter Grundstücke untersagt werden ( BGHZ 103, 39, 42 ). Durch § 909 BGB wird die natürliche bodenphysikalische Stütze gesichert, die sich benachbarte Grundstücke gegenseitig gewähren; die Vorschrift dient dem Schutz von Grundstückseigentümern vor unzulässigen Vertiefungen, welche Dritte auf einem Nachbargrundstück vornehmen ( BGHZ 91, 282, 284 f ). Die Vorschrift schützt nicht nur den Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks, sondern alle dinglich Berechtigten, denen der Eigentumsanspruch aus § 1004 I BGB in entsprechender Anwendung zusteht. Dazu gehören der Nießbraucher ( § 1065 BGB ), der Dienstbarkeitsberechtigte ( §§ 1027 , 1090 II BGB ) und der Erbbauberechtigte ( § 11 I ErbbauRG ).

Hat der Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks die Vertiefung auf einem Nachbargrundstück vorgenommen, welches ihm ebenfalls gehört, ist das keine unzulässige Vertiefung. Der Schutz der Vorschrift kommt auch nicht demjenigen zugute, der nach der Vertiefung das beeinträchtigte Grundstück von dem Eigentümer erwirbt, der die Vertiefung vorgenommen hat ( BGHZ 91, 282, 285 ). Ebenfalls in den Schutzbereich des § 909 BGB ist der anwartschaftsberechtigte Käufer des beeinträchtigten Grundstücks einbezogen ( BGHZ 114, 161 ). Das folgt aus dem Umstand, dass das Anwartschaftsrecht dem Vollrecht ähnelt. Es ist ein dem Eigentum wesensähnliches Recht, eine selbstständig verkehrsfähige Vorstufe des Grundeigentums, deren Entwicklung zum Vollrecht nur noch von der Eintragung in das Grundbuch abhängt, welche der Veräußerer grds nicht mehr verhindern kann, und das durch Auflassung nach § 925 BGB übertragen wird ( BGHZ 114, 161, 164 ).

Neben dem Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks und den daran dinglich Berechtigten sowie dem Anwartschaftsberechtigten genießen auch die obligatorisch Berechtigten den Schutz des § 909 BGB, wenn ihnen ein dem Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch aus § 1004 I BGB gleichartiger Anspruch zusteht. Das ist bei Mietern und Pächtern der Fall, weil sie gegen Störungen ihres Besitzes mit dem Abwehranspruch aus § 862 I vorgehen können ( BGHZ 147, 45, 51 ).

Der auf § 909 BGB gestützte Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch nach § 1004 I richtet sich in erster Linie gegen denjenigen, der im Zeitpunkt der Störung, also dann, wenn das benachbarte Grundstück die erforderliche Stütze verliert, Eigentümer (RGZ 103, 174, 176) oder Besitzer (RGZ 167, 14, 28) des Grundstücks ist, welches vertieft wurde. Der frühere Eigentümer oder Besitzer, der die Vertiefung vorgenommen hat, kann nicht in Anspruch genommen werden, weil er zur Unterlassung oder Beseitigung der aufgrund der Vertiefung eingetretenen Störung des Nachbargrundstücks nicht mehr in der Lage ist.

Daneben richtet sich das Verbot des § 909 BGB an jeden, der das Grundstück vertieft oder an der Vertiefung mitwirkt; das sind zB der Architekt , der bauleitende Ingenieur , der Bauunternehmer und der Statiker , dessen Berechnungen die Grundlage für den Bodenaushub und die dabei zu beachtenden Sicherungsmaßnahmen bilden (BGH NJW 96, 3205, 3206).

Unter Vertiefung iSd Vorschrift ist jede Einwirkung auf ein Grundstück zu verstehen, die zur Folge hat, dass der Boden des Nachbargrundstücks in der Senkrechten den Halt verliert oder dass dort die Festigkeit der unteren Bodenschichten in ihrem waagerechten Verlauf beeinträchtigt wird ( BGHZ 101, 106, 109 ). Diese Definition ist nicht ganz vollständig; es fehlt der Hinweis darauf, dass die Einwirkung auf das Grundstück auf eine menschliche Handlung zurückzuführen sein muss. Vertiefungen infolge von Naturereignissen wie zB das Abschwemmen von Boden durch starken Regen werden von § 909 BGB nicht erfasst.

Welches Ausmaß die Vertiefung hat, spielt keine Rolle; auch ein Bohrloch ist eine Vertiefung (Palandt/Bassenge Rz 3). Die Vertiefung einer bereits bestehenden Vertiefung gehört ebenfalls hierher (BGH WM 79, 1216). Unerheblich ist, zu welchem Zweck die Vertiefung erfolgt und wie lange sie besteht ( BGHZ 57, 370, 374 ). Auch die nur vorübergehende Vertiefung wie das Ausheben eines Grabens, in welchem Rohrleitungen verlegt werden und der danach wieder zugeschüttet wird, fällt unter § 909 BGB (BGH NJW 78, 1051, 1052).

Ein Bodenaushub ist für die Annahme einer Vertiefung iSd Vorschrift nicht erforderlich. Deshalb gehören zB die Absenkung der Grundstücksoberfläche infolge Lagerung von Bauschutt und Erdaushub (BGH NJW 71, 935 [BGH 05.03.1971 – V ZR 168/68] ) oder infolge der Bodenbelastung durch ein Gebäude ( BGHZ 101, 290, 292 ), das Abgraben eines Hangfußes (BGH MDR 72, 404) und der Abbruch eines Kellers (BGH NJW 80, 224 [BGH 19.09.1979 – V ZR 22/78] ) ebenfalls hierher, nicht aber die Entfernung oberirdischer Gebäudeteile (BGH NJW-RR 12, 1160, 1161 [BGH 29.06.2012 – V ZR 97/11] ).

Sinkt durch eine Vertiefung der zuvor bezeichneten Art der Grundwasserspiegel auf dem Nachbargrundstück, ist das ebenfalls ein Fall von § 909 BGB ( BGHZ 57, 370, 374 ). Dasselbe gilt für den Fall, dass der Grundwasserspiegel durch eine Vertiefung (Kanalisationsarbeiten) zwar nicht verändert wird, aber die von den Kanalisationsrohren ausgehende Drainagewirkung das Austrocknen des Nachbargrundstücks bewirkt (BGH NJW 81, 50, 51 [BGH 04.07.1980 – V ZR 240/77] ).

Nicht zu den Vertiefungen gehören Erhöhungen der Oberfläche eines Grundstücks, zB die Höherlegung einer Straße (BGH NJW 74, 53, 54 [BGH 11.10.1973 – III ZR 159/71] ).

Der Stützverlust kann sich darin zeigen, dass der Boden nach unten oder zur Seite hin absinkt; er kann auch darin liegen, dass sich der Boden von dem Grundstück her, auf dem die Vertiefung erfolgte, in Bewegung setzt und in sich den Halt verliert ( BGHZ 44, 130, 135 ). Der Boden hat bereits dann die erforderliche Stütze verloren, wenn die Gefahr einer Bodenbewegung besteht, welche durch die Lockerung der Bodenbestandteile hervorgerufen wird.

Ursache für den Stützverlust muss immer die Vertiefung sein.

Wird dem Boden die Stütze infolge von Erschütterungen entzogen, welche bei Vertiefungsarbeiten auftreten, ist das kein Fall des § 909 BGB ( BGHZ 101, 106, 109 ).

Die Vorschrift verbietet nur den Entzug der „erforderlichen“; Stütze. Welche das ist, lässt sich nicht generell beantworten. Es kommt jeweils auf die Umstände des Einzelfalls, in erster Linie natürlich auf die örtlichen Gegebenheiten an. Entscheidend ist, welche Befestigung das Nachbargrundstück nach seiner tatsächlichen Beschaffenheit benötigt; demnach ist eine Vertiefung auch dann unzulässig, wenn die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks darauf beruht, dass ein Gebäude auf einem schlechten Baugrund steht und deshalb weniger tragfähige Fundamente hat, oder dass das Gebäude besonders schadensanfällig ist ( BGHZ 101, 290, 293 ).

Das Nachbargrundstück, welches durch die Vertiefung die erforderliche Stütze verliert, muss nicht unbedingt an das Grundstück angrenzen, auf welchem die Vertiefung vorgenommen wurde. Der Schutzbereich des § 909 BGB erstreckt sich vielmehr auf alle Grundstücke, die von den Auswirkungen der Vertiefung betroffen sein können (BGH NJW-RR 96, 852 [BGH 26.01.1996 – V ZR 264/94] ).

Nur die Festigkeit des Bodens wird durch die Vorschrift geschützt, nicht aber die Bebauung auf dem Nachbargrundstück, die durch andere Ursachen als den Stützverlust des Bodens wie zB den Abbruch eines Nachbarhauses beschädigt wird ( BGHZ 12, 75 ; BGH NJW 79, 1166; aA Staud/Roth Rz 23).

Boden ist der Erdkörper mit seinen natürlichen Bestandteilen. Wesentliche Bestandteile des Grundstücks wie Gebäude oder Bäume gehören nicht dazu.

Die Vertiefung ist dann nicht unzulässig, wenn sie zwar zu dem Verlust der erforderlichen Stütze des Nachbargrundstücks führen kann, aber für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist. Die dafür notwendigen Maßnahmen muss der Vertiefende auf seinem eigenen Grundstück vornehmen; das Nachbargrundstück darf er grds nicht in Anspruch nehmen (BGH NJW 97, 2595).

Allerdings kann der Nachbar unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses (dazu § 903 BGB ) verpflichtet sein, für die Dauer der Herstellung der anderweitigen Befestigung die Benutzung seines Grundstücks zu dulden. Das kommt zB dann in Betracht, wenn die Befestigung auf andere Weise nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten hergestellt werden kann. In diesem Fall steht dem Nachbarn ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 II 2 BGB analog zu (dazu § 906 BGB ). Soweit es lediglich um das Betreten des Nachbargrundstücks zum Zweck der Herstellung der anderweitigen Befestigung geht, ergibt sich für den Vertiefenden das entsprechende Recht auch aus landesrechtlich eingeräumten Hammerschlags- und Leiterrechten (s. die Übersicht bei Staud/Roth Rz 33).

Die anderweitige Befestigung muss den durch die Vertiefung hervorgerufenen Stützverlust vollständig ausschließen, also die erforderliche Stütze ersetzen. Welche Maßnahmen dafür notwendig sind, richtet sich nach physikalisch-technischen Anforderungen. Dabei ist sowohl die gegenwärtige als auch die zukünftige – ggf gesteigerte – Nutzung des Nachbargrundstücks zu berücksichtigen; lediglich eine ganz außergewöhnliche, den Rahmen bestimmungsmäßiger Inanspruchnahme offensichtlich überschreitende Ausnutzung des Grund und Bodens hat außer Betracht zu bleiben ( BGHZ 63, 176, 179 f ).

Die anderweitige Befestigung muss im Zeitpunkt der Vertiefung vorhanden sein, damit jeder Stützverlust – sei er auch nur vorübergehend – ausgeschlossen ist. Dafür hat der Vertiefende alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, auch wenn sie die Vertiefungsarbeiten mehr als üblich erschweren (vgl BGH NJW 69, 2140, 2142 [BGH 27.06.1969 – V ZR 41/66] ). Welcher Art diese Maßnahmen sind, bleibt der Auswahl des Vertiefenden überlassen. Er muss dafür sorgen, dass die anderweitige Befestigung den Stützverlust so lange ausschließt, wie die Vertiefung zu einem Verlust der Stütze führen kann; zB muss er eine Stützmauer ständig in einem ordnungsgemäßen Zustand halten, weil es anderenfalls an einer ausreichenden anderweitigen Befestigung fehlte und die Vertiefung unzulässig würde (BGH NJW 80, 224 [BGH 19.09.1979 – V ZR 22/78] ).

§ 909 BGB gibt dem Grundstücksnachbarn keinen Anspruch gegen den Vertiefenden auf Herstellung einer anderweitigen Befestigung; letzterer hat vielmehr nur das Recht dazu (RGZ 132, 58).

Rechtsfolgen der unzulässigen Vertiefung.

Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch.

Bei einer bevorstehenden ersten oder wiederholten unzulässigen Vertiefung hat der Berechtigte gegen alle Verpflichteten einen Anspruch auf Unterlassung der Vertiefung nach § 1004 I BGB . Die Unzulässigkeit der Vertiefungshandlung muss zumindest wahrscheinlich sein; aufgrund der örtlichen Bodengegebenheiten müssen Umstände vorliegen, welche die konkrete Annahme rechtfertigen, dass dem Boden des Nachbargrundstücks durch die Vertiefung die erforderliche Stütze entzogen wird.

Nach erfolgter Vertiefung hat der Berechtigte gegen den derzeitigen Eigentümer oder Besitzer des Grundstücks, auf dem die Vertiefung erfolgte, einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 I BGB. Dieser Anspruch ist auf die Beseitigung der Beeinträchtigung gerichtet. Damit ist die Wiederherstellung der Festigkeit des Bodens des Nachbargrundstücks gemeint. Die Auswahl unter mehreren dafür geeigneten Maßnahmen obliegt dem in Anspruch genommenen Eigentümer oder Besitzer.

Schadensersatzanspruch.

§ 909 BGB ist Schutzgesetz iSv § 823 II BGB (BGH NJW 96, 3205, 3206). Deshalb hat der Berechtigte gegen alle Verpflichteten einen verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch. Verschulden ist dann anzunehmen, wenn der Vertiefende vorhergesehen hat oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ( § 276 ) vorhersehen konnte, dass gerade dem Boden des geschädigten Nachbarn und nicht nur dem Nachbargelände überhaupt durch die Vertiefung die erforderliche Stütze entzogen würde und er gleichwohl nicht die gebotenen Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat, um diese Folge der Vertiefung zu vermeiden (BGH NJW 77, 763, 764 [BGH 05.11.1976 – V ZR 93/73] ). Ggf müssen auch ungewöhnliche Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden.

Dem Eigentümer bzw Besitzer , der die Vertiefungsarbeiten auf seinem Grundstück ausführen lässt, trifft eine eigenverantwortliche Pflicht zur Überprüfung, ob die beabsichtigten Maßnahmen zu einer Beeinträchtigung der Standfestigkeit des Nachbargrundstücks führen können. Dieser Pflicht kommt er allerdings regelmäßig schon dadurch nach, dass er mit der Lösung der anfallenden bautechnischen Aufgaben und mit deren sachgemäßen Durchführung sorgfältig ausgewählte, fachkundige Architekten, Ingenieure und Bauunternehmer betraut ( BGHZ 147, 45, 48 ). Ist jedoch erkennbar eine erhöhte Gefahrenlage gegeben oder besteht Anlass zu Zweifeln, ob die beauftragten Personen die Gefahren und Sicherungserfordernisse ausreichend berücksichtigen werden, reicht die sorgfältige Auswahl der Fachleute zur Entlastung des Eigentümers bzw Besitzers des Grundstücks, auf dem die Arbeiten ausgeführt werden, nicht aus (BGH NJW-RR 97, 1374 [BGH 04.07.1997 – V ZR 48/96] ). Sind dem Eigentümer bzw Besitzer durch Hinweise des Nachbarn besondere Gefahren bekannt geworden, muss er die von ihm beauftragten Fachleute unverzüglich darüber informieren (RGZ 132, 51, 60).

An die Sorgfaltspflicht des Architekten , dem die Bauplanung und Bauleitung übertragen ist, sind hohe Anforderungen zu stellen. Er muss bei der Planung und Überwachung von Vertiefungsarbeiten diejenigen einen Stützverlust des Bodens benachbarter Grundstücke ausschließenden Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Architekten bei dem beabsichtigten Vorhaben vorausgesetzt und erwartet werden können (BGH NJW-RR 96, 852 [BGH 26.01.1996 – V ZR 264/94] ). Fehlen dem Architekten besondere Kenntnisse, die für eine Risikoabschätzung erforderlich sind, muss er einen Bodengutachter hinzuziehen, wenn er anders nicht zu der Überzeugung gelangen kann, dass die Vertiefung keine Gefahr für die Nachbargrundstücke bedeutet. Ihn trifft dann kein Schuldvorwurf, wenn er die in einem Gutachten zur Bodenbeschaffenheit und zur Durchführung der Vertiefung enthaltenen Anweisungen befolgt und diese sich später als unzutreffend erweisen (BGH NJW-RR 96, 852, 853 [BGH 26.01.1996 – V ZR 264/94] ).

Der mit der Durchführung der Vertiefung beauftragte Bauunternehmer handelt schuldhaft, wenn er voraussehen musste, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verlieren kann (BGH NJW 81, 50, 51 [BGH 04.07.1980 – V ZR 240/77] ). Auf die Statik (Köln BauR 87, 472 ) und auf Weisungen des Architekten (BGH NJW 61, 1523 [BGH 10.05.1961 – V ZR 236/60] ) darf er sich nicht verlassen. Ggf muss er auf der Einholung eines Bodengutachtens bestehen (BGH NJW 73, 2207, 2208 [BGH 05.10.1973 – V ZR 163/71] ).

Der Statiker schuldet nicht nur die rechnerische Richtigkeit seiner Berechnungen. Er muss sich hinsichtlich notwendiger Vertiefungen auch um den Baugrund kümmern und sich Klarheit über die Bodenverhältnisse verschaffen, damit er beurteilen kann, welche Gründungsmaßnahmen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten erforderlich sind (BGH WM 71, 682, 684).

Alle Verpflichteten haften bei Verschulden als Gesamtschuldner ( § 840 I BGB ). Die gesamtschuldnerische Haftung von Eigentümer bzw Besitzer und Architekt tritt auch ein, wenn die ersteren einen verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch schulden und den letzteren eine deliktsrechtliche Haftung trifft ( BGHZ 147, 45, 56 ). § 830 I 2 , wonach jeder für den Schaden verantwortlich ist, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten ihn durch seine Handlung verursacht hat, gilt ebenfalls bei der Haftung eines der Verpflichteten aus unerlaubter Handlung und eines anderen aus § 906 II 2 BGB analog ( BGHZ 101, 106, 111 ).

Zu ersetzen sind die Wiederaufbau- und Aufräumungskosten sowie der durch den Stützverlust hervorgerufene Minderwert des Nachbargrundstücks (vgl BGH NJW 97, 2595, 2596), ebenso die Kosten der Wiederherstellung der Standfestigkeit (BGH NJW-RR 08, 969 [BGH 15.02.2008 – V ZR 17/07] f). Ist das beschädigte Gebäude baufällig gewesen, ist nur der durch die Vertiefung zusätzlich entstandene Schaden zu ersetzen (BGH NJW 66, 42, 43 [BGH 19.10.1965 – V ZR 171/63] ). Ein Mitverschulden ( § 254 BGB) des geschädigten Grundstücksnachbarn kann den Schadensersatzanspruch mindern, wenn er seine Unterhaltungspflicht hinsichtlich beschädigter Gebäude verletzt hat ( BGHZ 73, 176, 182 ).

Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch.

Im Anwendungsbereich des § 909 BGB kommt ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 II 2 BGB analog in Betracht, wenn die unzulässige Vertiefung aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen nicht rechtzeitig abgewehrt werden konnte; dieser Anspruch steht sowohl dem Eigentümer als auch dem Besitzer des geschädigten Grundstücks zu ( BGHZ 147, 45, 49 ). Der Anspruch richtet sich nur gegen den Eigentümer bzw Besitzer des vertieften Grundstücks, nicht auch gegen den Bauunternehmer, Architekten, Statiker oder Bauleitenden Ingenieur ( BGHZ 101, 290, 294 ).

Der Anspruch setzt voraus, dass der Geschädigte durch die fehlende Möglichkeit der Abwehr der unzulässigen Vertiefung solche Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Einwirkung übersteigen ( BGHZ 147, 45, 50 ).

Die Höhe des Ausgleichsanspruchs berechnet sich nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung. Das kann im Einzelfall die Höhe des vollen Schadensersatzes erreichen, wenn die unzulässige Vertiefung zu einer Substanzschädigung geführt hat (vgl BGHZ 142, 166 ). Ausgeglichen wird nur der unzumutbare Teil der Beeinträchtigung, weil der Beeinträchtigte Einwirkungen bis zur Grenze der Unzumutbarkeit entschädigungslos hinnehmen muss ( BGHZ 62, 361, 371 ). Eine Minderung des Ausgleichsanspruchs kommt in Betracht, wenn das beeinträchtigte Grundstück vor der unzulässigen Vertiefung bereits schadensanfällig war und wenn der Grundstücksnachbar – schuldhaft oder schuldlos – die Vertiefungsschäden mit verursacht hat (BGH NJW-RR 88, 136 [BGH 18.09.1987 – V ZR 219/85] ).

Prozessuales.

Bei der Unterlassungsklage darf der Klageantrag nicht auf die Verurteilung zum Unterlassen der Vertiefung schlechthin gerichtet sein, denn der Verpflichtete ist zur Vertiefung berechtigt, wenn er für eine ausreichende anderweitige Befestigung sorgt. Deshalb muss die zu unterlassende Vertiefung zB in Anlehnung an den Gesetzestext umschrieben werden, damit klar wird, dass nur eine unzulässige Vertiefung verhindert werden soll (BGH NJW 09, 2528 [BGH 29.05.2009 – V ZR 15/08] ). Der Kläger muss darlegen und beweisen, dass die Gefahr einer unzulässigen Vertiefung droht.

Die Beseitigungsklage darf nur darauf gerichtet sein, dass die frühere, genau zu bezeichnende Festigkeit des Bodens wieder herzustellen ist; konkrete Maßnahmen dafür dürfen nicht verlangt werden (BGH NJW 09, 2528, 2529 [BGH 29.05.2009 – V ZR 15/08] ), weil ihre Auswahl dem Verpflichteten obliegt. Erst im Zwangsvollstreckungsverfahren kann der Berechtigte als Gläubiger bestimmen, welche konkreten Maßnahmen auf Kosten des Verpflichteten als Schuldner durchgeführt werden sollen ( § 887 ZPO ). Der Kläger muss die Vertiefung als solche, seine Berechtigung hinsichtlich des Nachbargrundstücks, den Stützverlust infolge der Vertiefung sowie darlegen und beweisen, dass der derzeitige Grundstücksnachbar oder dessen Rechtsvorgänger die Vertiefung veranlasst haben (Saarbr MDR 11, 1345). Dem Beklagten obliegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist.

Verlangt der Geschädigte Schadensersatz, muss er die Unzulässigkeit der Vertiefung und den eingetretenen Schaden sowie die Kausalität der Vertiefung für den Schaden darlegen und beweisen. Für den Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität kann das Gericht von der Möglichkeit der Schadensschätzung nach § 287 ZPO Gebrauch machen ( BGHZ 85, 375, 383 ). Bei typischen Geschehensabläufen kann auf die Grundsätze über den Anscheinsbeweis zurückgegriffen werden (BGH WM 83, 943, 944). Der Vertiefende muss darlegen und beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft.

Den Nachbarn, auf dessen Grundstück die Abtragung vorgenommen wurde, die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Ihr Grundstück seine Festigkeit erhält.
Die Ansprüche, die sich aus den §§ 907 bis 909, 915, dem § 917 Abs. 1, dem § 918 Abs. 2, den §§ 919, 920 und dem § 923 Abs. 2 ergeben, unterliegen nicht der Verjährung.

Der Ausschluss der Verjährbarkeit nachbarrechtlicher Ansprüche soll die gesetzliche Wertung zum Ausdruck bringen, dass solche Ansprüche fortwährend neu entstehen.

Risse im Einfamilienhaus durch Neubau nebenan

Risse im Einfamilienhaus durch Neubau nebenan

Der Wohnungsmarkt boomt, überall wird gebaut. Man spricht von „städtischer Verdichtung“, wenn auf freiwerdenden oder -gebliebenen Grundstücken Mehrfamilienhäuser neben bestehende Häuser gebaut werden. Viele Alteigentümer sehen das nicht gern. Manchmal zu Recht, wie jetzt der 12. Zivilsenat des Oberlandesgericht Oldenburg in einem aktuellen Fall feststellen musste.

Ein Paar aus Nordhorn, Eigentümer eines Hauses aus der Jahrhundertwende, hatte ein Tiefbauunternehmen aus Westfalen verklagt. Auf dem Nebengrundstück sollte ein Mehrfamilienhaus mit Tiefgarage errichtet werden. Zur Sicherung der hierzu ausgehobenen Baugrube brachte der beklagte Unternehmer in einem Abstand von zum Teil nur 60 cm zum Grundstück der Kläger mehrere acht Meter lange Eisenträger in den Boden ein. Dazwischen wurden Stahlbleche eingesetzt. Der Unternehmer hatte zunächst acht Meter tiefe Löcher in den Boden gebohrt und dann mit einem großen Rammgerät die Eisenträger eingebracht. Nach der Fertigstellung der Tiefbauarbeiten wurden die Stahlträger wieder gezogen.

Die Kläger stellten Risse an ihrem Anbau fest und verklagten den Unternehmer. Es sei ein Schaden von rund 20.000,- Euro entstanden. Der Unternehmer wies alle Schuld von sich. Der Altbau hätte schon vor seinen Arbeiten Risse gehabt. Das läge an dem maroden Zustand des Gebäudes, das ohnehin abrissreif wäre. Außerdem könne eine etwaige Vergrößerung der alten Risse auch andere Ursachen haben, etwa die Grundwasserabsenkung aufgrund des Neubaus, für die nicht er, sondern ein anderer Unternehmer verantwortlich sei.

Das Landgericht Osnabrück war der Argumentation des Beklagten gefolgt. Auf die Berufung der Kläger hin hat das Oberlandesgericht dieses Urteil geändert und den Klägern den begehrten Schadensersatz zugesprochen. Der Unternehmer hätte gegen seine Schutzpflichten aus dem Werkvertrag verstoßen. Zwar sei der Eigentümer des Nachbargrundstücks und nicht das Ehepaar Vertragspartner des Unternehmers. Dieser Werkvertrag entfalte aber eine Schutzwirkung zugunsten Dritter, hier des Ehepaars. Die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten gälten auch ihnen gegenüber.

Durch die Vibrationsarbeiten in unmittelbarer Nähe des Hauses der Kläger hätte der Unternehmer gegen die anerkannten Regeln der Technik verstoßen. Die Gefahr von Versackungen sei vorhersehbar gewesen und für die Art von Vibrationsarbeiten, wie sie der Beklagte durchgeführt habe, nahezu typisch. Der Gerichtssachverständige habe auch festgestellt, dass sich alte Risse in dem Gebäude nach den Arbeiten auf teilweise mehrere Zentimeter deutlich verbreitert und die gesamte Hauswand durchdrängt hätten. Ein Fenster sei praktisch aus der Laibung gerissen worden, das Gebäude biete keinen Witterungsschutz mehr nach außen. Eine mögliche Absenkung des Grundwasserspiegels sei allenfalls in geringem Umfang mitursächlich. Daher müsse der Unternehmer den Schaden der Kläger begleichen.

Das Paar erhält jetzt den geltend gemachten Schaden ersetzt.

Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 15.08.2017, Az. 12 U 61/16

Oberlandesgericht Oldenburg
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Die niedersächsischen Bauaufsichtsbehörden können die Beseitigung von Schottergärten anordnen

Die niedersächsischen Bauaufsichtsbehörden können die Beseitigung von Schottergärten anordnen

Der 1. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 17. Januar 2023 den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 12. Januar 2022 (Az.: 4 A 1791/21) abgelehnt, mit dem dieses die Klage gegen eine auf die Beseitigung von Kies aus zwei Beeten gerichtete bauaufsichtliche Verfügung der Stadt Diepholz abgewiesen hat (Az.: 1 LA 20/22). Damit hat sich das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht erstmals mit der bauordnungsrechtlichen Unzulässigkeit von Schottergärten befasst.

Die Kläger sind Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks im Stadtgebiet Diepholz. Im Vorgarten haben sie zwei insgesamt etwa 50 m² große Beete angelegt. Diese sind mit Kies, in den einzelne Pflanzen eingesetzt sind, bedeckt.

Die Beteiligten streiten insbesondere darüber, ob es sich bei den Beeten um Grünflächen im Sinne des § 9 Abs. 2 der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO) handelt. Nach dieser Vorschrift müssen die nicht überbauten Flächen der Baugrundstücke Grünflächen sein, soweit sie nicht für eine andere zulässige Nutzung erforderlich sind. Die Grundstückseigentümer machen geltend, bei den Beeten handele es sich aufgrund der Anzahl und der Höhe der eingesetzten Pflanzen um Grünflächen. Jedenfalls sei ihr Garten unter Berücksichtigung der hinter dem Wohnhaus befindlichen Rasenflächen und Anpflanzungen insgesamt ein ökologisch wertvoller Lebensraum.

Dieser Argumentation ist der 1. Senat ebenso wie zuvor das Verwaltungsgericht Hannover nicht gefolgt. Die Bauaufsichtsbehörde könne einschreiten, wenn nicht überbaute Flächen von Baugrundstücken nicht den Anforderungen des § 9 Abs. 2 NBauO genügten. Dies sei hier der Fall. Bei den Beeten der klagenden Grundstückeigentümer handele es sich nicht um Grünflächen, die durch nicht übermäßig ins Gewicht fallenden Kies ergänzt würden, sondern um Kiesbeete, in die punktuell Koniferen und Sträucher sowie Bodendecker eingepflanzt seien. Grünflächen würden durch naturbelassene oder angelegte, mit Pflanzen bewachsene Flächen geprägt. Wesentliches Merkmal einer Grünfläche sei der „grüne Charakter“. Dies schließe Steinelemente nicht aus, wenn sie nach dem Gesamtbild nur untergeordnete Bedeutung hätten, was eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich mache. Dass die insgesamt nicht überbauten Flächen eines Baugrundstückes nur „überwiegend“ Grünflächen sein müssten, so dass die Grünflächen hinter dem Haus der Kläger die Kiesbeete im Vorgarten erlauben würden, sei § 9 Abs. 2 NBauO nicht zu entnehmen. Ein solches Verständnis widerspreche auch der Intention des Gesetzgebers, die „Versteinerung der Stadt“ auf das notwendige Ausmaß zu beschränken.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Aufwendungen für die Beauftragung eines Privatgutachters zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich – dann erstattungsfähig

Vergaberecht: Vertragsklauseln müssen kaufmännisch vernünftige Kalkulation ermöglichen

von Thomas Ax

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine Erstattung von Kosten für einen privat beauftragten Sachverständigen in Betracht, wenn diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung notwendig waren (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 – VI ZB 56/02; BGH, Beschluss vom 23. Mai 2006 – VI ZB 7/05). Die Beurteilung dieser Frage hat sich dabei daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich hätte ansehen dürfen (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 – VI ZB 56/02; Beschluss vom 26. Februar 2013 – VI ZB 59/12). Danach kommt eine Erstattung der Kosten eines Privatgutachtens ausnahmsweise in Betracht, wenn ein Beteiligter infolge fehlender Sachkenntnisse nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage ist (vgl. BGH aaO.; OLG Köln, Beschluss vom 16. Februar 2012 – II-4 WF 11/12BeckRS 2012, 12070). Diese Ausnahme ist insbesondere auf Zivilverfahren zugeschnitten, in denen es den Parteien nach dem sogenannten Beibringungsgrundsatz obliegt, substantiiert die gebotenen Tatsachen und Informationen vorzutragen, die als Grundlage für die Entscheidung des Gerichts erforderlich sind (vgl. hierzu Herget in: Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 91 ZPO, Rn. 13.73).

In Bezug auf prozessbegleitend eingeholte Privatgutachten ist die Erstattungsfähigkeit entsprechender Aufwendungen zwar insoweit eingeschränkt, dass es Sache des Gerichts ist, Beweiserhebungen durch Einholung von Sachverständigengutachten durchzuführen.

Die Rechtsprechung hat die Erstattungsfähigkeit prozessbegleitender Privatgutachten aber dann bejaht, wenn es darum geht, ein gerichtliches Gutachten zu überprüfen, zu widerlegen oder zumindest zu erschüttern (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.11.2001, AZ: 8 W 481/01, Tn. 6, sowie Beschluss vom 11.07.2007, AZ: 8 W 265/07 Rn. 11; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2001, AZ: 4 W 2053/01, Rn. 14; OLG Koblenz, Beschluss vom 21.08.2007, AZ: 14 W 608/07, Rn. 5; OLG Celle, Beschluss vom 25.07.2008, AZ: 2 W 148/08, Rn. 3) oder wenn eine Partei auf die Hinzuziehung eines Sachverständigen angewiesen ist, um ihrer Darlegungs- und Beweislast zu genügen, Beweisangriffe abzuwehren oder Beweisen des Gegners entgegentreten zu können (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.02.1997, AZ: 10 W 21/97 Rn. 4; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2001, AZ: 4 W 2053/01, Rn. 14; OLG Naumburg, Beschluss vom 30.08.2006, AZ: 10 W 52/06, Rn. 11; OLG Koblenz, Beschluss vom 21.08.2007, AZ: 14 W 608/07, Rn. 5; OLG Celle, Beschluss vom 25.07.2008, AZ: 2 W 148/08, Rn. 3) oder wenn die Einholung des Gutachtens der Wiederherstellung der Waffengleichheit dient (OLG Hamm, Beschluss vom 14. Mai 2013 – 25 W 94/13 mwN).

Das OLG Nürnberg (Beschluss vom 18. Juni 2001, aaO) hat die Erstattung prozessbegleitender Privatgutachterkosten in einem Bauprozess abgelehnt, ebenso das OLG Koblenz (Beschluss vom 21. August 2007, aaO), wenn keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass die Partei nicht selbst qualifizierten Vortrag halten kann, so dass ein Gerichtsgutachten zu den streitigen Fragen einzuholen ist. Ähnlich hat das Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 30. August 2006, aaO.) darauf abgestellt, dass eine Partei grundsätzlich die für den Vermögensverfall maßgeblichen Tatsachen selbst vortragen könne und die Beweiserhebung im Übrigen Sache des Gerichts sei. Das OLG Celle, 2. Zivilsenat (Beschluss vom 25. Juli 2008, aaO) hat betont, dass zu dem Erfordernis eines Privatgutachtens substantiiert vorzutragen und dabei jede Partei gehalten sei, die Kosten ihrer Prozessführung so niedrig zu halten, wie sich dies mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lasse. Es gelte das Gebot sparsamer Prozessführung.

Nach alledem müssen Gründe ersichtlich sein oder vorgetragen werden, wonach die zusätzlich zum Gerichtsgutachten begehrte Einholung eines Privatgutachtens erforderlich wäre.

Es müssen, OLG Nürnberg (Beschluss vom 18. Juni 2001, aaO), für die Erstattung prozessbegleitender Privatgutachterkosten in einem Bauprozess, ebenso OLG Koblenz (Beschluss vom 21. August 2007, aaO), Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass die Partei nicht selbst qualifizierten Vortrag halten kann, so dass ein Gerichtsgutachten zu den streitigen Fragen einzuholen ist. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 30. August 2006, aaO.) darf es nicht so sein, dass die Partei grundsätzlich die für den Vermögensverfall maßgeblichen Tatsachen selbst vortragen kann. Das OLG Celle, 2. Zivilsenat (Beschluss vom 25. Juli 2008, aaO) hat betont, dass zu dem Erfordernis eines Privatgutachtens substantiiert vorzutragen und dabei jede Partei gehalten sei, die Kosten ihrer Prozessführung so niedrig zu halten, wie sich dies mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lasse. Es gelte das Gebot sparsamer Prozessführung.

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