Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt

OLG Frankfurt zu der Frage, dass Mehraufwendungen, die auf falschen Angaben des Auftraggebers in der Leistungsbeschreibung beruhen, durch den vereinbarten Preis nicht abgegolten sind

OLG Frankfurt zu der Frage, dass Mehraufwendungen, die auf falschen Angaben des Auftraggebers in der Leistungsbeschreibung beruhen, durch den vereinbarten Preis nicht abgegolten sind

vorgestellt von Thomas Ax

Auch wenn es keinen Erfahrungssatz dahingehend gibt, dass ein Unternehmer nur kalkulierbare Verpflichtungen eingeht und nicht auch einmal riskante Leistungen übernimmt, sind doch Mehraufwendungen, die auf falschen Angaben des Auftraggebers in der Leistungsbeschreibung beruhen, durch den vereinbarten Preis nicht abgegolten (vgl. BGH VII ZR 59/95, Urteil vom 27.06.1996, “Kammerschleuse”, zitiert nach juris, Rdn. 13 f, 21). Die Formulierung in einem Werkvertrag, die AN habe “als Fachunternehmen durch eigene Besichtigungen und Untersuchungen ausreichend Gelegenheit … (gehabt), den erforderlichen Leistungsumfang zu ermitteln”, kann daher bei verständiger Auslegung nur so verstanden werden, dass dies Offenliegendes betraf – beispielsweise die Angaben zu Flächen oder sichtbaren Materialien. Eine mit einer entsprechenden Risikoübernahme verbundene Obliegenheit, Dinge zu “ermitteln”, die ohne Bauteilöffnungen nicht sichtbar waren, kann der Klausel bei verständiger Würdigung nicht entnommen werden.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 29.03.2018 – 22 U 104/16

Gründe

I.

Die Klägerin, ein Erdbau- und Industrieabbruchunternehmen, führte im Auftrag der Beklagten Abbrucharbeiten auf dem “Campus Stadt1”, dem Gelände der früheren D-Hochschule in Stadt1, durch.

Bereits seit 2005 wurden die abzureißenden Baulichkeiten durch die A GmbH, ein Sachverständigenbüro, begutachtet. Es wurden ein Schadstoffkataster (Anlagen K 14 b und K 14 c) sowie eine funktionale Bau- und Leistungsbeschreibung (CD Anlage K 13) erstellt. Auf die darin enthaltene Beschreibung der Position 02.02.36 bezüglich der Fensterelemente, die im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils wörtlich zitiert ist, wird verwiesen.

Nachdem ein am 26.04.2011 mit der Streithelferin der Beklagten, vertreten durch die B GmbH, abgeschlossener Werkvertrag (Anlage K 5) über die Abbrucharbeiten nicht zur Durchführung gekommen war, traten die Prozessparteien miteinander in Verhandlungen und schlossen am 05.03.2012 in Kenntnis aller vorhandenen Unterlagen einen Werkvertrag (Anlage K 11), auf den – insgesamt und insbesondere im Hinblick auf die im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils wörtlich zitierte Regelung des § 3.1 – Bezug genommen wird.

Als die Klägerin ab März 2012 die Abbrucharbeiten ausführte, stellte sich heraus, dass in den Fensterlaibungen außer den dort nach der Leistungsbeschreibung zu erwartenden KMF-Stopfmassen auch asbesthaltige Stopfmasse, sog. Blauasbest, als Füllmaterial vorhanden war. Die Klägerin änderte daraufhin ihr Arbeitskonzept teilweise, weil sie Schwarzbereiche nunmehr ohne die als Abgrenzung vorgesehenen Fenster schaffen und das asbesthaltige Material gesondert entsorgen musste. Sie kündigte mit Nachtragsangeboten vom 08.05.2012 (Anlage K 19) und 30.05.2012 (Anlagen K 19a und K 19b) Mehrkosten an. Die Beklagte lehnte die Nachtragsangebote mit Schreiben vom 06.06.2012 (Anlage K 20) ab, woraufhin die Klägerin die erforderlichen Leistungen unter dem Vorbehalt der Nachforderung (Schreiben vom 25.06.2012, Anlage K 21) ausführte. Unter dem 09.11.2012 (Anlage K 22) und 08.11.2013 (Anlagen K 30 ff) stellte die Klägerin der Beklagten Mehrkosten in Höhe der Klageforderung in Rechnung.

Die Parteien vertreten unterschiedliche Ansichten zur Auslegung der vertraglichen Regelungen, insbesondere zu der Frage, wer das Kostenrisiko bezüglich des unvorhergesehen aufgetretenen asbesthaltigen Materials zu tragen habe.

Das Landgericht hat die Geschäftsführer der Parteien persönlich angehört und den Zeugen C gemäß dem Beweisbeschluss vom 16.12.2015 vernommen. Auf die Sitzungsprotokolle vom 30.09.2015 und 16.03.2016 wird verwiesen. Nach der Beweisaufnahme hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch auf Mehrvergütung sei durch die individualvertragliche Regelung in § 3.1 des zwischen den Parteien bestehenden Werkvertrags ausgeschlossen. Die Klägerin habe das Risiko, dass Mehrkosten entstehen könnten, übernommen.

Wegen der Einzelheiten der Begründung und des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien sowie wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen das ihr am 21.06.2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21.07.2016 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21.09.2016 mit an diesem Tag eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Klägerin trägt vor, die Leistungsbeschreibung bezüglich der auszubauenden Fensterelemente sei falsch gewesen. Sie ist der Auffassung, sie habe das Risiko der zusätzlichen Kosten durch Ausbau und Entsorgung des Blauasbests nicht übernommen, sondern sich auf die Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen verlassen dürfen. Das Landgericht habe die vertraglichen Regelungen nicht zutreffend ausgelegt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 213.264,– € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 % über dem jeweiligen Basiszins der EZB seit dem 21.11.2013 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von netto 2.534,20 € zu zahlen.

Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte und ihre Streithelferin verteidigen das angefochtene Urteil. Sie meinen, aus der Formulierung der Leistungsbeschreibung zu den Fensterelementen ergebe sich nicht, dass dort nur KMF-Stopfmasse (und nicht auch asbesthaltige Stopfmasse) Verwendung gefunden hätte. Die Auslegung des gesamten Vertragswerks und die Würdigung der Aussage des Zeugen C ergäben, dass die Klägerin durch ein funktionales Pauschalpreisangebot das für sie erkennbare Risiko, dass nach der stichprobenartigen Untersuchung des Sachverständigen noch weitere Leistungen zur Erreichung des versprochenen Ziels erforderlich werden könnten, übernommen habe.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 01.02.2018 verwiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist im Hinblick auf den Grund des geltend gemachten Anspruchs auch begründet, während zur Höhe des Zahlungsanspruchs noch weitere Erörterungen erforderlich sind. Der Senat übt sein ihm durch § 304 ZPO eingeräumtes Ermessen dahingehend aus, dass er durch Grundurteil entscheidet und Feststellungen zur Höhe des Anspruchs dem später durchzuführenden Betragsverfahren überlässt.

Der Anspruch der Klägerin auf Mehrvergütung ergibt sich aus dem zwischen den Parteien bestehenden Werkvertrag vom 05.03.2012 in Verbindung mit § 2 VI, VII VOB/B.

Dieser Werkvertrag ist als Individualvertrag anzusehen. Der – vorrangig erstinstanzlich gehaltene – Vortrag der für die Anwendung der ihrem Schutz dienenden Vorschriften des AGB-Rechts darlegungsbelasteten Klägerin zum Vorliegen eines den AGB-Regeln unterliegenden Vertragsverhältnisses ist nicht geeignet, den individualvertraglichen Charakter der Parteivereinbarung in Zweifel zu ziehen: Die beklagte ARGE war speziell für das Projekt “Campus Stadt1” gebildet worden und hatte nur einen Unternehmer mit Abbrucharbeiten beauftragt. Es gab Überarbeitungen und Ergänzungen des ursprünglich mit einem anderen Vertragspartner auf Auftraggeberseite ins Auge gefassten Vertragswerks. Dies zeigt, dass es sich bei dem Werkvertrag um eine ausführlich vorbereitete Individualabrede handelte, die nicht dem § 305 BGB unterfiel.

Die Parteien haben einen Detail-Pauschalvertrag abgeschlossen. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass die Parteien den Umfang der geschuldeten Leistungen durch Angaben in einem Leistungsverzeichnis und anderen Vertragsunterlagen (z.B. den Raumbüchern) näher, also detailliert, festgelegt haben (vgl. Werner/Pastor, 16. Auflage, Rdn.1528).

Einen Global-Pauschalvertrag, wie ihn die Beklagte nach den Äußerungen ihres Geschäftsführers in der Berufungsverhandlung eigentlich abschließen wollte (“ein leeres Loch nach einem Jahr für 2 Millionen Euro”), haben die Parteien dagegen bei verständiger Auslegung des Vertragswerks nicht abgeschlossen.

Hiergegen sprechen die Umstände des Einzelfalls: Die dem Vertrag zugrundeliegenden Unterlagen waren in langer Arbeit mit Hilfe eines Sachverständigenbüros erstellt worden. Es gab Raumbücher, Schadstoffkataster und eine funktionale Bau- und Leistungsbeschreibung. Auf der Grundlage dieser Vorbereitungen und für die so beschriebene Leistung war ein Pauschalpreis vereinbart worden. Die Pauschalierung betraf also die Vergütung, nicht aber die auszuführenden Leistungen.

Diese Betrachtungsweise entspricht der Rechtsprechung des BGH, der sich der Senat anschließt:

Im Verfahren VII ZR 13/10 (Urteil vom 30.06.2011, “Klinikabbruch”, zitiert nach juris) wird zwar zunächst betont, dass ein Unternehmer grundsätzlich das Risiko einer unauskömmlichen Kalkulation trägt (Rdn. 23), dass sich jedoch aus den Umständen ergeben kann, dass bestimmte vorgegebene Punkte einer Pauschalpreisvereinbarung zugrunde gelegt wurden. Detaillierte Angaben zu Mengen oder anderen Faktoren, die erhebliche Bedeutung für die Kalkulation des Pauschalpreises haben, sind “häufig nach Treu und Glauben dahin zu verstehen” (Rdn. 24), dass die Angaben zur Geschäftsgrundlage des Vertrags erhoben werden sollen. Eine detaillierte Leistungsbeschreibung erweckt dabei Vertrauen in ihre Angaben (Rdn. 28), so dass eine Aussage dahingehend, dass Positionen vor Angebotsübernahme zu überprüfen sind, nicht die Bedeutung hat, dass das Risiko einer Abweichung vollständig vom Auftragnehmer übernommen werden soll (Rdn. 29). Wenn eine realistische Möglichkeit zur Überprüfung von Angaben (dort: der Estrichstärke, hier: des Stopfmaterials) nicht gegeben ist, sondern Probebohrungen (hier: Bauteilöffnungen) erforderlich wären, kann dies nach Treu und Glauben nicht vom Auftragnehmer erwartet werden (Rdn. 29). Auch wenn es keinen Erfahrungssatz dahingehend gibt, dass ein Unternehmer nur kalkulierbare Verpflichtungen eingeht und nicht auch einmal riskante Leistungen übernimmt, sind doch Mehraufwendungen, die auf falschen Angaben des Auftraggebers in der Leistungsbeschreibung beruhen, durch den vereinbarten Preis nicht abgegolten (vgl. BGH VII ZR 59/95, Urteil vom 27.06.1996, “Kammerschleuse”, zitiert nach juris, Rdn. 13 f, 21).

Anders als in den Verfahren VII ZR 129/91 (Urteil vom 09.04.1992, “Wasserhaltung I”, zitiert nach juris), VII ZR 47/93 (Urteil vom 11.11.1993, “Wasserhaltung II”, zitiert nach juris) und VII ZR 310/86 (Urteil vom 25.02.1988, “frivole Kalkulation”, zitiert nach juris) lagen im hier zu entscheidenden Fall detaillierte Planungsunterlagen vor und die Klägerin hatte nicht bei erkennbar lückenhaftem Leistungsverzeichnis mehr oder weniger ins Blaue hinein, wenn nicht sogar spekulativ, kalkuliert (so in VII ZR 310/86, a.a.O., Rdn. 20) und den Erfolg ohne Planungsunterlagen pauschal versprochen (so in VII ZR 129/91, a.a.O., Rdn. 14).

Die Klägerin hat ihr hinsichtlich der Vergütung pauschaliertes Angebot auf der Grundlage der langjährigen Vorbereitungen, die von den Rechtsvorgängern der ARGE durchgeführt wurden, getroffen. Es war also im vorliegenden Fall nicht etwa so, wie die Beklagte es darstellen möchte, dass der Klägerin als renommiertem Fachunternehmen die beklagte ARGE als Quereinsteiger und Laie gegenüberstand; vielmehr standen der Beklagten bei Aufstellung der Leistungsbeschreibung die von ihren Vorgängern eingeholten sachverständigen Angaben zur Verfügung. Die Klägerin hatte – auch als Fachfirma – nicht die Untersuchungsmöglichkeiten eines Sachverständigenbüros, das in monatelanger Arbeit eine Bestandsaufnahme durchgeführt hatte. In der der Angebotsabgabe vorausgehenden Phase konnte von der Klägerin nicht erwartet werden, dass sie die Arbeiten des Sachverständigenbüros – ohne eine dafür vorgesehene Vergütung – quasi wiederholte, um sie zu verifizieren. Die Formulierung in § 3.1 des Werkvertrags, die Klägerin habe “als Fachunternehmen durch eigene Besichtigungen und Untersuchungen ausreichend Gelegenheit … (gehabt), den erforderlichen Leistungsumfang zu ermitteln”, kann daher bei verständiger Auslegung nur so verstanden werden, dass dies Offenliegendes betraf – beispielsweise die Angaben zu Flächen oder sichtbaren Materialien. Eine mit einer entsprechenden Risikoübernahme verbundene Obliegenheit, Dinge zu “ermitteln”, die ohne Bauteilöffnungen nicht sichtbar waren, kann der Senat der Klausel bei verständiger Würdigung nicht entnehmen (ähnlich hat der Senat bereits in 22 U 141/13, Urteil vom 28.05.2015, zitiert nach juris, Rdn. 32, entschieden, dass Mehrkosten auch beim Detail-Pauschalvertrag verlangt werden können, wenn ein bestimmter Planungsstand der Kalkulation zugrunde gelegt worden ist).

In § 5.4 des Werkvertrags vom 05.03.2012 verpflichtet sich die Klägerin, ihre Leistungen “unabhängig von der Richtigkeit etwaiger Leitmengen bzw. Massenangaben in den Leistungsbeschreibungen (zu) erbringen”. Nach dieser Vorschrift sind “Massenüberschreitungen … im vereinbarten Pauschalpreis bereits berücksichtigt und führen nicht zu einer Änderung des Pauschalfestpreises”. Die Parteien haben also ganz deutlich vereinbart, dass falsche Massenangaben in den Sachverständigengutachten unerheblich für die Höhe des Vergütungsanspruchs sind. Hieraus kann als argumentum e contrario gefolgert werden, dass falsche Angaben zu nicht ohne Bauteilöffnung sichtbaren Materialien gerade nicht unerheblich für den vereinbarten Pauschalpreis sind.

An dieser Würdigung der Vertragsbestimmung des § 3.1 des Werkvertrags ändert auch die Aussage des Zeugen C, die Klägerin habe sich “pauschalpreismäßig binden” können, weil die “Unterlagen so detailliert waren, sodass wir das Risiko eingehen konnten” nichts. Der Zeuge C war an den Vertragsverhandlungen selbst nicht beteiligt, sondern hörte nur einige Gespräche zwischen den Geschäftsführern und wirtschaftlich Verantwortlichen mit, da er als Bauleiter vorgesehen war und “in das Projekt hineinkommen” sollte. Dass mit den Aussagen zur Risikoübernahme auch ausgesprochen und gemeint war, dass der Pauschalpreis unabhängig von der Richtigkeit der vorgelegten Unterlagen gelten sollte, hat der Zeuge nicht bekundet. Eine Klarstellung hierzu hätten die Parteien ohne weiteres in den Vertrag aufnehmen können. Im Sinne der Klägerin hätte eingefügt werden können, dass die Richtigkeit der von der Beklagten vorgelegten sachverständigen Äußerungen unterstellt werde; die Beklagte hätte eine Formulierung, dass ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der vorgelegten Unterlagen das Pauschalangebot der Klägerin gelten solle, in die Verhandlung einbringen können. Beides ist nicht geschehen, so dass die Vertragsauslegung durch den Senat – wie geschehen – notwendig wurde.

Die Formulierung in § 3.1 des Werkvertrags, dass die Klägerin ohne zusätzlichen Vergütungsanspruch als Auftragnehmerin “in Ergänzung des beschriebenen Leistungsumfangs verpflichtet ist, alle Lieferungen und Leistungen zu erbringen, die zu der für den vorgesehenen Zweck funktionstüchtigen Herstellung der beauftragten Leistung entsprechend der im Übrigen ausdrücklich vereinbarten Ausführungsstandards erforderlich sind”, wenn der “Leistungsumfang nicht abschließend oder nicht zweifelsfrei bestimmt sein sollte”, trifft nicht den hier vorliegenden Fall, dass der Leistungsumfang in den den Vertragsverhandlungen zugrunde liegenden Unterlagen falsch beschrieben ist. Die CD in Anlage K 13 ist ausweislich Nr. 1.6 des Verhandlungsprotokolls vom 02./03.02.2012 (Anlage K 6) Gegenstand des Vertrags.

Naturgemäß beruhen die Angaben des Sachverständigenbüros nicht auf einer 100 %igen Tatsachengrundlage. Der Sachverständige wird vielmehr, wie es die Beklagte vorträgt, nach dem Nehmen von Stichproben seine Gutachten erstellt haben. Wenn er jedoch auf der Grundlage dieser Stichproben, die er für eine tragfähige Begutachtung für ausreichend gehalten hat, unter Anwendung seines Sachverstands Aussagen zum Baukörper und seinen Bestandteilen trifft, ist das so gefundene Ergebnis maßgebend für die am Bau Beteiligten und muss sich einer Prüfung als “richtig” oder “falsch” stellen.

Die Fensterelemente sind in Position 02.02.36 der Anlage K 13 so beschrieben, dass “KMF-Stopfmassen an allen Wand- und Deckenanschlüssen, … asbesthaltiger Fensterkitt” vorhanden seien. Im Schadstoffkataster (Anlage K 14b, S. 19) findet sich zu den Stopfmassen im Fensterbereich der Hinweis, dass mit weiteren KMF-Massen zu rechnen sei. Von einer Asbestbelastung steht dort nichts. Der Hinweis auf S. 11 der Anlage K 14b auf weiteren Asbest bezieht sich ausdrücklich auf den Bodenaufbau sowie auf verkleidete oder verputzte Oberflächen. Zu diesen Bauteilen gehören die Fensterelemente nicht.

Für die Frage, wie Schwarzbereiche eingerichtet werden können, ist die Frage nach den Stopfmassen an den Fensteranschlüssen entscheidend. Ist dort asbesthaltiges Material vorhanden, muss der Schwarzbereich unter Einschluss des Fensterelements durch eine Abdichtung von außen errichtet werden. Findet sich das asbesthaltige Material nur im Innenbereich (z.B. Bodenaufbau und Oberflächen, s.o.), kann das Fensterelement zur Abgrenzung des Schwarzbereichs verwendet und anschließend insgesamt (einschließlich des asbesthaltigen Fensterkitts) abtransportiert werden. Die Aussage des Sachverständigen, die KMF-Stopfmasse sei an allen (Unterstreichung von den Unterzeichnenden) Wand- und Deckenanschlüssen verwendet worden, ist nach der Ansicht des Senats aus der Sicht eines sachkundigen und verständigen Baubeteiligten so zu verstehen, dass nur und ausschließlich KMF-Stopfmasse an den angegebenen Stellen Verwendung gefunden habe. Das Übersehen des asbesthaltigen Materials am unteren Teil der Fensterelemente war ein Fehler des Sachverständigen, der zu einer falschen Aussage bezüglich der im Fensterbereich verwendeten Stopfmassen führte.

Das § 2 V, VI VOB/B entsprechende Verfahren der Geltendmachung der Mehrkosten vor Ausführung der Arbeiten in § 7 des Werkvertrags vom 05.03.2012 hat die Klägerin mit den Schreiben und Angeboten in K 19 – K 19b eingehalten. Der Klageanspruch ist damit dem Grunde nach gerechtfertigt.

Eine Kostenentscheidung und eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit sind bei diesem Grundurteil nicht veranlasst. Die Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des § 543 II ZPO nicht gegeben sind. Der Senat hat im vorliegenden Einzelfall die Vertragsauslegung nach den in der BGH-Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen vorgenommen.

NRW plant Vergabereform: Mehr Freiraum für Kommunen

NRW plant Vergabereform: Mehr Freiraum für Kommunen

Am 11. Februar 2025 hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalens einen Gesetzesentwurf zur grundlegenden Reform des kommunalen Vergaberechts vorgestellt. Ziel ist es, Kommunen mehr Flexibilität zu geben, bürokratische Hürden abzubauen und die Eigenverantwortung bei Vergaben zu stärken. Mit einer Verabschiedung des Gesetzes ist – je nach Verlauf des parlamentarischen Verfahrens – im Herbst oder Winter 2025 zu rechnen.

Herzstück der geplanten Reform ist die Aufhebung von § 26 KomHVO NRW, der bislang die Anwendung der UVgO bzw. VOB/A bei Unterschwellenvergaben vorschrieb. Zukünftig soll ein neuer § 75a in die Gemeindeordnung NRW aufgenommen werden. Dieser verpflichtet Kommunen lediglich zur Einhaltung von allgemeinen Grundsätzen wie Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Effizienz, Gleichbehandlung und Transparenz – weitergehende Vorgaben können, müssen aber nicht, per Satzung definiert werden.

Das bedeutet: Öffentliche Auftraggeber erhalten deutlich mehr Handlungsspielraum unterhalb der EU-Schwellenwerte – aber auch mehr Verantwortung für die rechtssichere Gestaltung ihrer Verfahren.

Ein zentrales Prinzip der geplanten Reform ist die Einführung des sogenannten „Schweizer Modells“: Nicht mehr automatisch das günstigste Angebot erhält den Zuschlag, sondern das wirtschaftlichste. Das erlaubt Kommunen, Kriterien wie Qualität, Nachhaltigkeit, Lebenszykluskosten und Zweckmäßigkeit stärker in die Wertung einzubeziehen – ein wichtiger Schritt hin zu strategischer, zukunftsorientierter Beschaffung.

Was gilt weiterhin bei Fördermitteln?

Trotz der angestrebten Deregulierung bleiben bestimmte Vorgaben bestehen – vor allem bei der Vergabe im Rahmen von Zuwendungen. Die Allgemeinen Nebenbestimmungen (ANBest-I) verlangen weiterhin eine strukturierte und nachvollziehbare Vergabe:

  • Ab 100.000: Mindestens drei Angebote erforderlich.
  • Ab 500.000: Anwendung der UVgO bzw. VOB/A verpflichtend.
  • Bis 5.000: Direktvergabe ohne formelles Verfahren möglich.

Hier ist auch in Zukunft auf eine sorgfältige Dokumentation zu achten.

Die erste Lesung zur Änderung des Vergaberechts (§ 75a GO NRW) hat inzwischen stattgefunden. Der Gesetzentwurf – Drucksache 18/13836 – wurde mit den Stimmen aller Fraktionen an den Ausschuss für Heimat und Kommunales überwiesen. Die zweite Lesung ist für Juni 2025 vorgesehen.
Gemäß Artikel 13 Absatz 2 sollen die Änderungen zum Vergaberecht in § 75a der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen sowie die damit verbundenen Anpassungen in den Verordnungen (Artikel 10 und 11) am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Die aktuell geltenden „Kommunalen Vergabegrundsätze“ bleiben noch bis zum 31. Dezember 2025 in Kraft, sodass eine angemessene Übergangsfrist zur Umsetzung der neuen Rechtslage besteht.

Land Brandenburg: Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand wird vereinfacht und entbürokratisiert

Land Brandenburg: Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand wird vereinfacht und entbürokratisiert

Um die mittelständische Wirtschaft und vor allem das Handwerk zu stärken, wird das Land Brandenburg die Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand deutlich vereinfachen und entbürokratisieren. Wie Finanzminister Robert Crumbach mitteilt, werden dazu mehrere Wertgrenzen für Aufträge des Landes Brandenburg angehoben. Ab dem 17. Juni 2025 gelten entsprechend angepasste Verwaltungsvorschriften zu § 55 der Landeshaushaltsordnung. Damit wird ein Vorhaben umgesetzt, das bei der Vorstellung der 100-Tage-Bilanz am 18. März 2025 angekündigt worden war.

„Es ist ein zentrales Vorhaben der Landesregierung, in dieser Legislaturperiode beim Bürokratieabbau deutliche Fortschritte zu erzielen. Das setzen wir hier ganz konkret um, in dem wir gleich mehrere Wertgrenzen für Aufträge des Landes Brandenburg anheben. Das mindert nicht nur die Bürokratie. Sondern es hilft auch ganz konkret unserer vor allem mittelständisch geprägten Wirtschaft, da so Vergaben einfacher und schneller umgesetzt werden können. Ich denke da insbesondere an viele Handwerksbetriebe. Gerade jetzt, da der Wohnungsbau auf einem niedrigen Niveau verharrt, sind sie umso mehr auf Aufträge der öffentlichen Hand angewiesen“, erläutert Finanzminister Crumbach.

Die vom Finanzministerium mit allen Ressorts abgestimmten Verwaltungsvorschriften zu § 55 der Landeshaushaltsordnung sehen unter anderem vor:

  • Für die freihändige Vergabe von Bauleistungen wird die Wertgrenze von 100.000 Euro auf 1.000.000 Euro angehoben.
  • Die Wertgrenzen für die Beauftragung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen ohne Vergabeverfahren (Direktauftrag) werden von 1.000 Euro auf 100.000 Euro angehoben.
  • Bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen werden die Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb sowie eine beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb grundsätzlich zugelassen, solange der geschätzte Auftragswert den jeweiligen EU-Schwellenwert nach § 106 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (für klassische Auftragsvergabe aktuell 221.000 Euro für Liefer- und Dienstleistungen) nicht erreicht. Es erfolgt eine Dynamisierung des Bezuges zu den jeweils gültigen EU-Schwellenwerten.
  • Darüber hinaus wird die Wertgrenze für Veröffentlichungen auf dem Vergabemarktplatz von 10.000 Euro auf 100.000 Euro angehoben, um einen Gleichklang mit den angehobenen Wertgrenzen für Direktaufträge herzustellen.

Kommission verklagt DEUTSCHLAND vor dem Gerichtshof der Europäischen Union wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der EU-Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe

Kommission verklagt DEUTSCHLAND vor dem Gerichtshof der Europäischen Union wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der EU-Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe

Die Europäische Kommission hat beschlossen, Deutschland vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen, weil das Land die EU-Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe (Richtlinie 2014/24/EU und Richtlinie 2014/23/EU) nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat.

Zum einen ist die Kommission der Ansicht, dass öffentliche Auftraggeber nach deutschem Recht nicht verpflichtet sind, den Bietern nach Abschluss des Vertrags detaillierte Informationen zur Verfügung zu stellen, um die verkürzte Frist für den Zugang zu einer Überprüfung beginnen zu lassen. Den Bietern wird dadurch die Entscheidung erschwert, ob und bis zu welchem Zeitpunkt sie eine Überprüfung einleiten sollen. Zweitens ist der Begriff „Auftraggeber“ im deutschen Recht unklar definiert, was die Auswahl der geeigneten Vergabeverfahren erschwert. Drittens schreibt das deutsche Recht den Auftraggebern im Postsektor nicht die Anwendung von Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe vor.

Im Januar 2019 übermittelte die Kommission ein erstes Aufforderungsschreiben, im Juli 2019 ein ergänzendes Aufforderungsschreiben und im Juli 2021 eine mit Gründen versehene Stellungnahme. Auch wenn einige der festgestellten Missstände behoben wurden, sind die bisherigen Bemühungen der Behörden nach Ansicht der Kommission unzureichend, weshalb sie Deutschland vor dem Gerichtshof der Europäischen Union verklagt.

Hintergrund

Die Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe ermöglichen es Unternehmen, sich um Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu bewerben; Behörden werden wiederum in die Lage versetzt, das beste Preis-Leistungs-Verhältnis zu ermitteln, wenn sie sich für die Beschaffung von Waren, Dienstleistungen oder Bauleistungen entscheiden. Der Wettbewerb auf dem Markt ermöglicht eine verantwortungsvolle Verwendung öffentlicher Gelder. Mit der Bestimmung zu Postdiensten wird sichergestellt, dass Auftraggeber, die Postdienste erbringen, Vergabeverfahren durchführen, wenn auf sie die einschlägigen Bedingungen zutreffen. Im Juli 2021 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie mehrere Bestimmungen des deutschen Rechts benannte, die nicht im Einklang mit den Richtlinien stehen.

Die Kommission stand regelmäßig mit den deutschen Behörden in Kontakt. Auch wenn einige der Missstände, wie die Methode zur Berechnung des Werts von Dienstleistungsaufträgen für Architekturbüroleistungen, ausgeräumt wurden, bestehen doch weiterhin drei der acht in der mit Gründen versehenen Stellungnahme dargelegten Beanstandungen. Diese ungelösten Probleme schränken nach wie vor sowohl den Anwendungsbereich als auch den Zugang zu Nachprüfungsverfahren ein.

Weitere Informationen

EU-Vertragsverletzungsverfahren 

Datenbank über Vertragsverletzungsverfahren und Karte und Diagramme zu Vertragsverletzungsverfahren

Vertragsverletzungsverfahren im Juni 2025 

Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland (INFR(2018)2272)

Bundesregierung will Reform des Vergaberechts auf den Weg bringen

Bundesregierung will Reform des Vergaberechts auf den Weg bringen

Die neue schwarz-rote Bundesregierung hat in ihrem am 28. Mai 2025 beschlossenen Sofortprogramm weitreichende Reformen des deutschen Vergaberechts angekündigt. Das Sofortprogramm umfasst über 60 prioritäre Maßnahmen, die “bis zum Sommer” eine grundsätzliche Überarbeitung verschiedener Rechtsbereiche auf den Weg bringen sollen. Das Vergaberecht soll vereinfacht, beschleunigt und digitalisiert werden. Die Tariftreue soll im Rahmen des Bundestariftreuegesetzes gestärkt werden. Das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) soll abgeschafft werden und die Bundesregierung will sich dafür einsetzen, dass die Europäische Lieferkettenrichtlinie bürokratiearm und vollzugsfreundlich umgesetzt wird.

Quellen/Weitere Informationen: Tagesschau 28. Mai 2025

Der Koalitionsvertrag zum Vergaberecht

Der Koalitionsvertrag zum Vergaberecht

Am 9. April 2025 haben SPD und CDU/CSU ihren gemeinsamen Koalitionsvertrag “Verantwortung für Deutschland” für die 21. Legislaturperiode vorgestellt. Die Koalitionsparteien wollen sich dafür einsetzen, dass das Vergaberecht auf nationaler und europäischer Ebene für Lieferungen und Leistungen aller Art für Bund, Länder und Kommunen vereinfacht, beschleunigt und digitalisiert wird. Betont wird der Grundsatz der mittelstandsfreundlichen Vergabe. Das Vergaberecht soll auf sein Ziel einer wirtschaftlichen, diskriminierungs- und korruptionsfreien Beschaffung zurückgeführt werden.

Im Einzelnen wird insbesondere angestrebt:

  • Auf Bundesebene sollen die Wertgrenzen bei Direktaufträgen für Liefer- und Dienstleistungen auf 50.000 Euro und für Start-ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung auf 100.000 Euro erhöht werden. Auch auf europäischer Ebene will sich die Koalition für eine maßvolle Erhöhung der Schwellenwerte und für eine getrennte Betrachtung der Planungsleistungen einsetzen.
  • Angestrebt wird eine Vereinheitlichung der Wertgrenzen im nationalen Recht und die Heraufsetzung der Wertgrenzen für Direktvergaben und freihändige Vergaben.
  • Bieter sollen künftig ihre Eignung möglichst bürokratiearm, digital und mittelstandsfreundlich nachweisen können, etwa durch geprüfte Systeme oder Eigenerklärungen.
  • Die Bestellplattform Kaufhaus des Bundes soll zu einem digitalen Marktplatz für Bund, Länder und Kommunen gemacht werden. Die Vergabeplattformen sollen konsolidiert werden.
  • Die aufschiebende Wirkung der Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Vergabekammern zu den Oberlandesgerichten soll entfallen.
  • Es sollen sektorale Befreiungsmöglichkeiten vom Vergaberecht geschaffen werden, insbesondere in Fragen der nationalen Sicherheit,  für Leitmärkte für emissionsarme Produkte in der Grundstoffindustrie und in der Forschung.
  • Es sollen Leitmärkte für klimafreundliche beziehungsweise klimaneutrale Produkte geschaffen werden, zum Beispiel durch Quoten für die emissionsarme Herstellung von Stahl, eine Grüngasquote oder vergaberechtliche Vorgaben.

Darüber hinaus soll das Bundestariftreuegesetz weiterverfolgt werden. Es soll für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 Euro und für Start-ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000 Euro gelten. Bürokratie, Nachweispflichten und Kontrollen sollen auf ein absolutes Minimum begrenzt werden.

Quelle/Weitere Informationen: Koalitionsvertrag “Verantwortung für Deutschland” zwischen CDU, CSU und SPD für die 21. Legislaturperiode

Kooperation ist alles!

Kooperation ist alles!

vorgestellt von Thomas Ax

Die Vertragsparteien eines VOB/B Vertrages sind während der Vertragsdurchführung zur Kooperation verpflichtet. Der Bauvertrag bedarf in besonderem Maße einer Kooperation und Abstimmung der beiden Vertragspartner. Dazu gehören je nach Gegebenheiten des Falls Informations-, Mitwirkungs- und Rügeobliegenheiten und -pflichten und die Bemühung um eine einvernehmliche Lösung.

Entstehen während der Vertragsdurchführung Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien über die Notwendigkeit oder die Art und Weise einer Anpassung des Vertrages oder seiner Durchführung an geänderte Umstände, sind die Parteien grundsätzlich verpflichtet, durch Verhandlungen eine einvernehmliche Beilegung der Meinungsverschiedenheiten zu versuchen, BGH, Urteil vom 28. 10. 1999 – VII ZR 393/98:

„Die Kooperationspflichten sollen unter anderem gewährleisten, dass in Fällen, in denen nach der Vorstellung einer oder beider Parteien die vertraglich vorgesehene Vertragsdurchführung oder der Inhalt des Vertrages an die geänderten tatsächlichen Umstände angepasst werden muss, entstandene Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte nach Möglichkeit einvernehmlich beigelegt werden (Nicklisch/Weick, VOB, 2. Aufl., § 2 Rdn. 6). Ihren Ausdruck haben sie in der VOB/B insbesondere in den Regelungen des § 2 Nr. 5 und Nr. 6 gefunden. Danach soll über eine Vergütung für geänderte oder zusätzliche Leistungen eine Einigung vor der Ausführung getroffen werden. Diese Regelungen sollen die Parteien anhalten, die kritischen Vergütungsfragen frühzeitig und einvernehmlich zu lösen und da-durch spätere Konflikte zu vermeiden. Entstehen während der Vertragsdurchführung Meinungsverschiedenheiten über die Notwendigkeit oder die Art und Weise einer Anpassung, ist jede Partei grundsätzlich gehalten, im Wege der Verhandlung eine Klärung und eine einvernehmliche Lösung zu versuchen. Die Verpflichtung obliegt einer Partei ausnahmsweise dann nicht, wenn die andere Partei in der konkreten Konfliktlage ihre Bereitschaft, eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen, nachhaltig und endgültig verweigert.“

Dem Auftragnehmer kann im Einzelfall nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen, wenn er dem Auftraggeber nicht nur ordnungsgemäß seine Bedenken mitgeteilt hat, sondern wenn die Prüfung dieser Bedenken mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ergebnis hat, dass die vom Auftraggeber vorgesehene Art der Ausführung zum Eintritt eines erheblichen Leistungsmangels oder eines sonstigen nicht nur geringfügigen Schadens führen wird, OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2018 – 22 U 71/17.

Geht der Auftraggeber auf fachlich begründete Bedenken des Auftragnehmers überhaupt nicht ein und lehnt er den vom Auftragnehmer – für den Fall einer entgegen seinen Bedenken weisungsgemäß erfolgenden Arbeitsaufnahme und Ausführung – erbetene Freistellung von der Gewährleistung ohne hinreichende Begründung ab, kann die Weisung des Auftraggebers, die Werkleistung auf eine gegen die Regeln der Technik verstoßende Weise zu erbringen, insoweit treuwidrig sein, als der Auftraggeber vom Auftragnehmer nicht verlangen darf, durch eigenes Handeln einen so gut wie sicher voraussehbaren (Sach- bzw. Personen-)Schaden herbeizuführen bzw. zumindest zu fördern bzw. seinen Versicherungsschutz wegen einer bewussten Pflichtwidrigkeit zu gefährden bzw. zu verlieren, OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2018 – 22 U 71/17.

Wenn der Auftraggeber eine von ihm zu treffende Entscheidung (ggf. Anordnung i.S.v. § 1 Abs. 3 VOB/B) als notwendige Mitwirkungshandlung verzögert bzw. nicht trifft, stehen dem Auftragnehmer die Rechte aus §§ 304, 642 BGB zu. Der Auftragnehmer ist berechtigt, mit der Ausführung der Arbeiten, auf die sich seine fundiert vorgebrachten Bedenken beziehen, eine angemessene Zeit nach Zugang der Mitteilung beim Auftraggeber zu warten, bis er seinerseits unter normalen Umständen den Zugang einer Entschließung des Auftraggebers erwarten kann, OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2018 – 22 U 71/17.

Meldet der Auftragnehmer (insoweit als Nachunternehmer) nach Besichtigung der vom Auftraggeber (bzw. in dessen Auftrag) erbrachten Vorunternehmerleistungen konkrete Bedenken gem. § 4 Abs. 3 VOB/B an und lehnt er für den Fall der Ausführung seiner Arbeiten ohne vorherige Nachbesserung der von ihm konkret beanstandeten Mängel des Vorgewerks jede Gewährleistung für darauf beruhende Mängel ab, so berechtigt dies den Auftraggeber nicht zur Kündigung des Vertrags mit dem Auftragnehmer (als Nachunternehmer) aus wichtigem Grund. Dies gilt selbst dann, wenn solche Bedenken zu Unrecht, indes nach hinreichender fachlicher Überlegung, erhoben wurden, OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2018 – 22 U 71/17.

Grundlage eines Leistungsverweigerungsrechts des Auftragnehmers aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) kann auch sein, dass sich der Auftraggeber hinsichtlich eingereichter Nachtragsangebote – unter Verstoß gegen seine Kooperationspflichten – völlig passiv verhält, denn dem Auftragnehmer kann nicht zugemutet werden, Anordnungen des Auftraggebers gem. § 1 Abs. 3 bzw. Abs. 4 Satz 1 VOB/B befolgen zu müssen, ohne auf der anderen Seite Klarheit über die ihm dafür zustehende Vergütung zu erhalten, OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2018 – 22 U 71/17.

Ein fachkundiges Spezialunternehmen muss den nicht sachkundigen Auftraggeber aktiv aufklären und instruieren, wenn dieser im Rahmen seiner Möglichkeiten die Unterlagen vorlegt, die er erklärtermaßen für ausreichend hält, um seinerseits den eigenen Mitwirkungspflichten zu genügen, die sich aber aus Sicht des Auftragnehmers als unzureichend erweisen. Verletzt der Auftragnehmer seine bauvertragliche Kooperationspflicht erheblich, kann der Auftraggeber vom Bauvertrag zurücktreten, OLG Nürnberg, Urteil vom 10.12.2020 – 13 U 2087/18.

Die Kündigungstatbestände der VOB/B sind nicht abschließend. Über die in den §§ 8 und 9 VOB/B geregelten Fälle hinaus können beide Vertragsparteien den Bauvertrag kündigen, wenn durch ein schuldhaftes Verhalten des anderen Vertragspartners der Vertragszweck so gefährdet ist, dass der vertragstreuen Partei die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann, OLG Stuttgart, Urteil vom 31.01.2017 – 10 U 70/16.

Die Kündigung eines Bauvertrags aus wichtigem Grund ist grundsätzlich erst zulässig, wenn der andere Vertragsteil nachdrücklich und unmissverständlich auf die Folgen einer weiteren Nichterfüllung der Vertragspflichten hingewiesen worden ist. Einer Fristsetzung mit Kündigungsandrohung bzw. einer Abmahnung bedarf es ausnahmsweise nicht, wenn entweder eine solche Nachfristsetzung bzw. Androhung von vornherein keinen Erfolg verspricht oder sich das Verhalten des Kündigungsgegners als eine besonders schwere Vertragsverletzung darstellt, die es dem Kündigenden unzumutbar macht, noch weiterhin mit diesem Partner im Vertrag zu bleiben bzw. den Ablauf einer durch die Abmahnung eröffneten, noch weiteren Zeitspanne abzuwarten, OLG Stuttgart, Urteil vom 31.01.2017 – 10 U 70/16.

Die unberechtigte Verweigerung der Bezahlung von Abschlagsrechnungen kann einen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen. Steht aber nur ein geringer Betrag zur Zahlung offen, ist der Auftragnehmer gehalten, sich vor einer fristlosen Kündigung um eine einvernehmliche Beilegung des Konflikts zu bemühen, OLG Stuttgart, Urteil vom 31.01.2017 – 10 U 70/16.

BGH zu der Frage, dass die VOB/B-Klauselkontrolle bereits bei geringfügiger Abweichung stattfindet

BGH zu der Frage, dass die VOB/B-Klauselkontrolle bereits bei geringfügiger Abweichung stattfindet

vorgestellt von Thomas Ax

Jede auch nur geringe Abweichung von der VOB/B führt, selbst wenn sie sich in einem Vertrag mit einem öffentlichen Auftraggeber befindet, dazu, dass die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart ist. Dies hat zur Folge, dass sämtliche Bestimmungen der Vereinbarung der Inhaltskontrolle unterliegen. Der Bundesgerichtshof sieht in einer vertraglichen Regelung, aufgrund derer der Auftraggeber eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Form einer Bürgschaft auf erstes Anfordern verlangen kann, eine insoweit relevante Abweichung von § 17 Nr. 4 VOB/B. Die danach aus § 309 BGB folgende Unwirksamkeit der vertraglichen Regelung hat zur Folge, dass sich der Auftraggeber nicht auf § 16 Nr. 3 VOB/B (Schlusszahlungseinrede) berufen kann.
BGH vom 10.05.2007 – Az. VII ZR 226/05

Tatbestand
Die Parteien streiten um die Abrechnung eines gekündigten Vertrages. Im Revisionsverfahren verlangt die Klägerin noch Mehrkosten für die Fertigstellung, der Beklagte in der Widerklage Restwerklohn.
Der Beklagte wurde von der Klägerin mit Wärmedämmarbeiten an der Heizzentrale der JVA H. beauftragt. Für den Vertrag gelten die Vertragsbestimmungen der Klägerin in der Reihenfolge Besondere Vertragsbedingungen – EVM (B) BVB, Zusätzliche Vertragsbedingungen – EVM (B) ZVB/E, Technische Vertragsbedingungen, VOB/B 1998 und VOB/C 1998.
Nach einem Streit über die Berechtigung von Nachträgen erklärte die Klägerin die außerordentliche Kündigung. Sie stellte selbst Schlussrechnung, nachdem der Beklagte ihrer Aufforderung zur Vorlage der Schlussrechnung nicht Folge geleistet hatte, und übersandte diese dem Beklagten am 10. Januar 2002. Die Klägerin wies in diesem Schreiben mit Belehrung auf die Ausschlusswirkung des § 16 Nr. 3 Abs. 2 bis 4 VOB/B hin. Der Beklagte erklärte am 14. Februar 2002 einen Vorbehalt, legte jedoch erst am 29. Januar 2003 selbst seine Schlussrechnung vor, die einen restlichen Vergütungsanspruch in Höhe von 81.127,32 € aufwies. Mit der Klage verlangte die Klägerin Ersatz von Fertigstellungsmehrkosten und Erstattung der Kosten für die Erstellung ihrer Schlussrechnung in Höhe von insgesamt 7.521,33 €. Der Beklagte begehrt in der Widerklage die Restvergütung aus seiner Schlussrechnung.

Das Landgericht hat Klage und Widerklage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat auf Berufung des Beklagten und Anschlussberufung der Klägerin nur der Widerklage in Höhe von 7.986,57 € stattgegeben.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Widerklagebegehren weiter, soweit nicht bereits zu seinen Gunsten erkannt worden ist, also in Höhe von 73.140,75 € (81.127,32 € abzüglich 7.986,57 €).
Die Klägerin begehrt in der Anschlussrevision auf die Klage noch 7.054,22 € für die Fertigstellungsmehrkosten sowie die vollständige Abweisung der Widerklage.

Gründe
Die Revision des Beklagten hat in vollem Umfang Erfolg, die Anschlussrevision der Klägerin nur zu einem geringen Teil. In diesem Umfang ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die weitergehende Anschlussrevision der Klägerin ist unbegründet.
Auf das Schuldverhältnis sind die bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Rechtsvorschriften anwendbar (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).

I.
1. Das Berufungsgericht spricht dem Beklagten auf die Widerklage eine Vergütungsforderung von noch 7.986,57 € aus der von der Klägerin selbst erstellten Schlussrechnung zu.
Die weiteren in der Widerklage geltend gemachten Ansprüche in Höhe von 73.140,75 € erkennt das Berufungsgericht ab. Die Klägerin habe sich zu Recht auf die Ausschlusswirkung des § 16 Nr. 3 VOB/B berufen. Der Beklagte habe zwar am 14. Februar 2002 einen Vorbehalt erklärt, jedoch nicht innerhalb der folgenden 24 Werktage eine prüffähige Abrechnung vorgelegt. Auf die Ausschlusswirkung könne sich die Klägerin berufen, weil die Parteien die Geltung der VOB/B insgesamt vereinbart hätten. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führe, dass diese nicht als Ganzes vereinbart worden sei. Die besonderen Vertragsbedingungen enthielten einheitliche Bestimmungen für Bauvorhaben öffentlicher Auftraggeber. Sie enthielten nur Konkretisierungen, ohne die VOB/B entscheidend zu ändern. Dies gelte insbesondere für die vom Beklagten kritisierten Nummern 8, 16.1, 18, 23 und 26.3 der zusätzlichen Vertragsbedingungen.

2. Die mit der Anschlussberufung in Höhe von noch 7.521,33 € verfolgte Klage hält das Berufungsgericht für unbegründet, weil die Klägerin nicht zur fristlosen Kündigung nach § 8 Nr. 3 VOB/B berechtigt gewesen sei.
Entgegen der noch vom Landgericht vertretenen Ansicht habe die Klägerin nicht erklärt, unter keinen Umständen eine zusätzliche Vergütung für die Pass- und Endscheiben entrichten zu wollen. Jedoch stelle sich die Weigerung des Beklagten, die Wärmedämmarbeiten wieder aufzunehmen, wegen der Bußgeldandrohung in § 13 der damals gültigen Heizungsanlagen-Verordnung unter Berücksichtigung des Schreibens der Klägerin vom 22. Mai 2001 nicht als so grobe Vertragsverletzung dar, dass eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt gewesen sei. Der Beklagte habe darauf hingewiesen, dass die nach der DIN 4140 erforderlichen Abstände zwischen den gedämmten Rohren untereinander und zu den Wänden nicht vorhanden seien und die Missachtung der in der Heizungsanlagen-Verordnung bestimmten Werte bußgeldbewehrt sei. Die Klägerin habe die Ansicht vertreten, die DIN 4140 sei nicht allein einschlägig. Sie sei damit einverstanden, dass eine geringere Dämmung aufgebracht werde, habe den Beklagten jedoch gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die Heizungsanlagen-Verordnung anzuwenden sei. Letztlich könne offen bleiben, ob das Gebäude der JVA von der Heizungsanlagen-Verordnung ausgenommen gewesen sei. Weil die Klägerin den Beklagten in seiner Auffassung, die Heizungsanlagen-Verordnung sei anwendbar, bestärkt habe, liege in der Weigerung des Beklagten nicht ein vertragsuntreues Verhalten von solchem Gewicht, dass die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt gewesen sei.

II.
Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision des Beklagten haben Erfolg.
Sie beanstandet zu Recht die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte sei gemäß § 16 Nr. 3 VOB/B gehindert, weitere Vergütung geltend zu machen. Auf diesen Einwand kann sich die Klägerin nicht berufen, weil die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart ist (1.) und der Schlusszahlungseinwand daher unwirksam ist (2.).
1. Die VOB/B ist nur dann einer Inhaltskontrolle nach dem hier geltenden Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen entzogen, wenn sie als Ganzes vereinbart worden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff hat. Die Inhaltskontrolle ist auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vorliegen. Eine derartige Abweichung enthält jedenfalls die Nr. 26.3 in Verbindung mit Nr. 30 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen der Klägerin.

Nach Nr. 26.3 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen der Klägerin ist bei Abschlagszahlungen eine Bürgschaft zu leisten. Nr. 30 legt fest, dass es sich um eine Bürgschaft auf erstes Anfordern handeln muss.

Nach § 16 Nr. 1 VOB/B sind auf Antrag Abschlagszahlungen in Höhe des Wertes der jeweils nachgewiesenen Leistung zu zahlen. Ist vertragsgemäß eine Bürgschaft für diese Abschlagszahlungen zu stellen, so handelt es sich um eine Vertragserfüllungsbürgschaft, die den Regelungen des § 17 VOB/B unterfällt. Für die insoweit als eine der in § 17 Nr. 2 VOB/B vorgesehenen Sicherheiten vereinbarte Bürgschaft enthält die VOB/B in § 17 Nr. 4 eine Regelung, die eine Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht zulässt. Dies galt der Sache nach auch bereits vor der ausdrücklichen Klarstellung durch die Neufassung in der VOB/B 2002. Denn nach dem Sicherungssystem der VOB/B, wie es sich bei einer Gesamtbetrachtung darstellt, soll die Sicherheitsleistung mittels Bürgschaft dem Auftragnehmer die Liquidität dauerhaft erhalten. Diesem Ziel läuft die Vereinbarung der Bürgschaft auf erstes Anfordern zuwider.
An dieser Beurteilung ändert nichts, dass die Vertragsbedingungen von einem öffentlichen Auftraggeber verwendet worden sind. Auch für ihn gelten die Erwägungen im Senatsurteil vom 22. Januar 2004 (BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 – VII ZR 419/02, BGHZ 157, 346, 349). Danach ist die Inhaltskontrolle selbst dann eröffnet, wenn nur geringe inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vorliegen und auch unabhängig davon, ob eventuell benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen ausgeglichen werden.

2. Die Klägerin kann sich nicht auf § 16 Nr. 3 VOB/B berufen, weil diese Vertragsklausel der isolierten Inhaltskontrolle nicht standhält (BGH, Urteil vom 17. September 1987 – VII ZR 155/86, BGHZ 101, 357 und vom 19. März 1998 – VII ZR 116/97, BGHZ 138, 176). Denn die Regelung des § 16 Nr. 3 Abs. 2 bis 5 VOB/B über den Ausschluss von Nachforderungen bei vorbehaltloser Annahme einer Schlusszahlung oder einer ihr gleichstehenden Schlusszahlungserklärung verstößt auch nach der Neufassung der VOB/B zum 19. Juli 1990, soweit nicht die VOB/B “als Ganzes” vereinbart worden ist, gegen § 9 AGBG und ist deswegen unwirksam.

3. Die Abweisung der Widerklage kann daher mit der im Berufungsurteil gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten werden. Der Vergütungsforderung des Beklagten steht, soweit sie auf Bezahlung nicht erbrachter Leistungen gerichtet ist, auch nicht bereits eine wirksame Kündigung der Klägerin aus § 8 Nr. 3 VOB/B entgegen (dazu unten IV. 1.). Zur Berechtigung der Widerklageforderung hat das Berufungsgericht – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – im Übrigen keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachzuholen haben, wobei die Klägerin Gelegenheit hat, ihre weiteren in der Revisionserwiderung enthaltenen Bedenken zur Geltung zu bringen.

IV.
Die Anschlussrevision ist nur zu einem geringen Teil begründet.

1. Rechtlich nicht zu beanstanden ist die Abweisung der Klage durch das Berufungsgericht. Die Voraussetzungen des von der Klägerin auf § 8 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B gestützten Schadensersatzanspruchs sind nicht erfüllt, da das Berufungsgericht die von der Klägerin ausgesprochene Kündigung rechtsfehlerfrei als freie Kündigung im Sinne des § 8 Nr. 1 VOB/B angesehen hat.
Die Klägerin hat den Vertrag unter Hinweis auf § 8 Nr. 3 VOB/B gekündigt, weil der Beklagte die Arbeiten nicht innerhalb der ihm mit Schreiben vom 22. Mai 2001 bis zum 5. Juni 2001 gesetzten Frist wieder aufgenommen hat. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin sei nicht nach § 8 Nr. 3 VOB/B zur fristlosen Kündigung berechtigt gewesen, begegnet keinen Bedenken.
Ob ein zur Kündigung berechtigender wichtiger Grund vorliegt, ist eine Frage tatrichterlicher Würdigung, die in der Revisionsinstanz nur beschränkt überprüft werden kann, insbesondere darauf, ob der Tatrichter Tatsachen außer Acht gelassen oder nicht vollständig gewürdigt hat (BGH, Urteil vom 23. Mai 1996 – VII ZR 140/95, BauR 1996, 704 = ZfBR 1996, 267).

Unter Berücksichtigung der zwischen den Parteien bestehenden Kooperationspflichten (vgl. dazu BGH, Urteile vom 28. Oktober 1999 – VII ZR 393/98, BGHZ 143, 89, 93; vom 22. Mai 2003 – VII ZR 143/02, NJW 2003, 2678 = ZfBR 2003, 567 = BauR 2003, 1207 = NZBau 2003, 497) war die Klägerin gehalten, sich zunächst um eine einvernehmliche Beilegung des noch bestehenden Konflikts zu bemühen und durfte nicht fristlos kündigen. Da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Beklagte erhebliche Bedenken haben konnte, ob auf das Vorhaben die Vorschriften über die Mindestdämmung der Heizungsanlagen-Verordnung anwendbar waren, deren Nichtbeachtung für den Beklagten mit der Gefahr eines Bußgeldes verbunden war, durfte die Klägerin sich nicht einerseits mit einer geringeren Dämmung einverstanden erklären, andererseits aber den Beklagten auf die Anwendung der Heizungsanlagen-Verordnung verweisen. Jedenfalls aus revisionsrechtlicher Sicht ist es nicht rechtsfehlerhaft, dass das Berufungsgericht bei diesem Sachverhalt kein schuldhaftes Verhalten des Beklagten darin gesehen hat, dass er die Arbeiten nicht innerhalb der ihm gesetzten kurzen Frist wieder aufgenommen hat.
Da es an einem schuldhaften Verhalten des Beklagten fehlt, hat die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung der im Revisionsverfahren noch weiter geltend gemachten Fertigstellungsmehrkosten.

2. Die Klägerin konnte daher auch nicht gegen den vom Berufungsgericht auf die Widerklage hin zuerkannten Teilbetrag der Vergütungsforderung des Beklagten aufrechnen.
Lediglich in Höhe von 290,11 € hat die Anschlussrevision Erfolg, soweit sie sich gegen die Widerklageforderung richtet. Denn soweit das Berufungsgericht einen Betrag von 7.986,57 € aufgrund der eigenen Berechnung der Klägerin zuerkennt, weist die Berechnung einen Fehler auf.
Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hat die Klägerin nicht einen Vergütungsanspruch von netto 13.465,84 DM, sondern von 12.976,69 DM berechnet. Das Berufungsgericht hätte daher mit der gegebenen Begründung lediglich einen Betrag von 7.696,46 € zuerkennen dürfen (12.976,69 DM + 16 % Mehrwertsteuer/2.076,27 DM = 15.052,96 DM = 7.696,46 €).

BGH zu der Frage, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, daß diese nicht als Ganzes vereinbart ist

BGH zu der Frage, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, daß diese nicht als Ganzes vereinbart ist

vorgestellt von Thomas Ax

Jede vertragliche Abweichung von der VOB/B führt dazu, daß diese nicht als Ganzes vereinbart ist. Es kommt nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff hat.
BGH, Urteil vom 22. Januar 2004

Tatbestand:
Die Klägerin begehrt restlichen Werklohn. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte die Schlußzahlungseinrede nach § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B wirksam erhoben hat.

Die Beklagte beauftragte 1998 ragte 1998 unter Vereinbarung der VOB/B die Klägerin mit der Erstellung der Betonsohle bei einem Neubauvorhaben. Nach § 14 Abs. 2 des Vertrages haftete der Auftragnehmer “für sämtliche Personen-, Sach- und Vermögensschäden, die schuldhaft aus Anlaß seiner Arbeiten oder aus deren Folgen entstehen”. Der Vertrag enthielt ferner Bestimmungen über die Aufgaben der Streithelferin, die das Projekt als Architektin betreute. Die Schlußrechnung der Klägerin wies einen Restwerklohn von 44.330,02 DM aus. Die Streithelferin kürzte die Rechnung auf 16.660,22 DM.

Sie teilte der Klägerin schriftlich mit, die Beklagte werde diesen Betrag als Schlußzahlung im Sinne von § 16 VOB/B leisten und wies auf die Ausschlußwirkung hin. Die Beklagte überwies den Betrag an die Klägerin unter Bezugnahme auf die Schlußrechnung. Rund zweieinhalb Jahre später wandte sich die Klägerin gegen die Abrechnung der Streithelferin und bezifferte ihre noch offene Forderung mit 18.474,21 DM.

Diesen Betrag hat die Klägerin eingeklagt. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 16.769,01 DM und Zinsen verurteilt. Auf die von der Streithelferin unterstützte Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, ob der vom Bauherrn beauftragte Architekt auch die Schlußzahlungserklärung für den Bauherrn abgeben dürfe, wenn er mit der Bauabrechnung befaßt und die nach außen in Erscheinung getretene maßgebende Stelle für alle die Abrechnung des Bauvorhabens betreffenden Angelegenheiten sei. Die Klägerin erstrebt mit ihrer Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Die Beurteilung richtet sich nach den bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 EGBGB).

I.
Das Berufungsgericht führt aus, die Klägerin könne ihren Werklohnanspruch nicht durchsetzen. Die Beklagte könne sich auf die Einrede der vorbehaltlosen Annahme der Schlußzahlung durch die Klägerin nach § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B berufen. Die Voraussetzungen hierfür lägen vor. Insbesondere sei die Streithelferin bevollmächtigt gewesen, die Schlußzahlungserklärung für die Beklagte abzugeben.

II.
Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg. Das Berufungsgericht hat nicht geprüft, ob § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B anwendbar ist. Das ist, wie sich aus den ihm vorgelegten Vertragsunterlagen ergibt, nicht der Fall. Auf die Frage, ob die Streithelferin zur Abgabe der Schlußzahlungserklärung bevollmächtigt war, kommt es daher nicht an.

1. Die Beklagte hat das Vertragswerk gestellt. Sie ist deshalb die Verwenderin, zu deren Lasten die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorzunehmen ist. § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung, die der Inhaltskontrolle nicht standhält, weil sie den Auftragnehmer unangemessen benachteiligt (BGH, Urteil vom 19. März 1998 – VII ZR 116/97, BGHZ 138, 176, 178).

2. Allerdings unterliegen die einzelnen Regelungen der VOB/B nach der Rechtsprechung des Senats zum Geltungsbereich des AGB-Gesetzes nicht der Inhaltskontrolle, wenn der Verwender die VOB/B ohne ins Gewicht fallende Einschränkung übernommen hat. Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, daß die VOB/B einen billigen Interessenausgleich zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber bezweckt. Würden einzelne Regelungen der Inhaltskontrolle unterzogen, so könnte der bezweckte Interessenausgleich gestört sein. Die VOB/B ist deshalb der Inhaltskontrolle entzogen worden, wenn der von ihr verwirklichte Interessenausgleich durch die Vertragsgestaltung nicht wesentlich beeinträchtigt worden ist (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1982 – VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135, 142). Die Inhaltskontrolle war eröffnet, wenn der Vertrag Regelungen vorsah, die in den Kernbereich der VOB/B eingreifen. Einen derartigen Eingriff hat der Senat bejaht bei Änderungen von § 1 Nr. 3 (Urteil vom 28. November 2002 – VII ZR 4/00, BauR 2003, 380, 381 = ZfBR 2003, 248 = NZBau 2003, 150), von § 2 Nr. 3 und Nr. 5 (Urteile vom 20. Dezember 1990 – VII ZR 248/89 = BauR 1991, 210 = ZfBR 1991, 101 und vom 25. Januar 1996 – VII ZR 233/94, BGHZ 131, 392, 397), von § 8 Nr. 1 (Urteil vom 28. November 2002 – VII ZR 4/00 aaO), von § 9 Nr. 3 (Urteil vom 28. September 1989 – VII ZR 167/88, BauR 1990, 81, 83 = ZfBR 1990, 18), der Abnahmeregelungen (Urteile vom 6. Juni 1991 – VII ZR 101/90, BauR 1991, 740, 741 = ZfBR 1991, 253; vom 17. November 1994 – VII ZR 245/93, BauR 1995, 234, 236 = ZfBR 1995, 77 und vom 25. Januar 1996 – VII ZR 233/94 aaO), von § 13 Nr. 7 Abs. 4 (Urteil vom 21. Juni 1990 – VII ZR 109/89, BGHZ 111, 394, 397) und von § 16 Nr. 1 (Urteil vom 14. Februar 1991 – VII ZR 291/89, BauR 1991, 473 = ZfBR 1991, 199).

Diese Rechtsprechung hat teilweise insoweit Widerspruch erfahren, als keine klaren Abgrenzungskriterien entwickelt worden seien, unter welchen Voraussetzungen eine wesentliche Beeinträchtigung des in der VOB/B verwirklichten Interessenausgleichs angenommen werden könne (Siegburg, BauR 1993, 9, 10, 16; Bunte, Festschrift für Korbion S. 18; Anker/Zumschlinge, BauR 1995, 323, 325; Kraus/Vygen/Oppler, BauR 1999, 964, 967; Kraus, BauR 2001, 1, 10; vgl. auch Tomic, BauR 2001, 14, 16). Dem ist zuzustimmen. Aus der bisherigen Senatsrechtsprechung lassen sich keine greifbaren Kriterien dafür ableiten, wann eine von der VOB/B abweichende Regelung in deren Kernbereich eingreift. Die vom Senat verwendeten Formulierungen haben sich nicht als brauchbares Abgrenzungskriterium erwiesen. Sie ermöglichen nicht die für den Rechtsverkehr erforderliche sichere Beurteilung, inwieweit ein vertragliches Regelwerk der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz unterliegt. Nötig ist aber eine Rechtsanwendung, die für die Vertragsparteien eine verläßliche Prognose ermöglicht. Aus den bisherigen Entscheidungen ergibt sich, daß der Bundesgerichtshof schon bei relativ geringfügigen Abweichungen einen Eingriff in den Kernbereich der VOB/B bejaht und tendenziell zu erkennen gegeben hat, daß grundsätzlich jede inhaltliche Abweichung einen Eingriff in die Ausgewogenheit der VOB/B darstellt. Diese Entwicklung ist im Interesse der Rechtssicherheit dahin abzuschließen, daß grundsätzlich jede inhaltliche Abweichung von der VOB/B als eine Störung des von ihr beabsichtigten Interessenausgleichs zu bewerten ist. Denn anderenfalls wäre die im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen notwendige Transparenz (vgl. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F.) nicht zu gewährleisten. Die VOB/B ist demnach nur dann einer Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz entzogen, wenn sie als Ganzes vereinbart worden ist. Es kommt nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff hat. Damit ist die Inhaltskontrolle auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vorliegen und auch unabhängig davon, ob eventuell benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen “ausgeglichen” werden.

Inwieweit die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur VOB/B als Ganzes auch auf Fälle unter Geltung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts anwendbar ist, bleibt offen.

3. Ein Eingriff in die VOB/B liegt vor; er wäre allerdings auch bereits nach der bisherigen Senatsrechtsprechung relevant gewesen. § 14 Abs. 2 der Geschäftsbedingungen der Beklagten weicht von § 13 Nr. 7 Abs. 1 und Abs. 2 VOB/B ab. Der Auftragnehmer schuldet Schadensersatz unabhängig von der Erheblichkeit eines Mangels und unabhängig von den einschränkenden Tatbeständen des § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B. Damit unterliegen die Regelungen der VOB/B der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG.

III.
Das Berufungsurteil kann somit keinen Bestand haben, es ist aufzuheben. Da zur Höhe des Anspruchs noch Feststellungen zu treffen sind, war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

VOB/B gilt für öffentliche Auftraggeber bereits in der Vergabe

VOB/B gilt für öffentliche Auftraggeber bereits in der Vergabe

von Thomas Ax

Versucht ein Auftraggeber in einem EUweiten Vergabeverfahren über Bauleistungen entgegen § 8aEU VOB/A anstatt der VOB/B ein weitgehend abweichendes vertragliches Regelwerk zur Anwendung zu bringen, kann der Verstoß gegen § 8aEU VOB/A im Vergabenachprüfungsverfahren geltend gemacht werden da es sich (auch) um eine vergaberechtliche Norm handelt.

Eine zivilrechtliche Prüfung von Vertragsklauseln in Form einer AGB-Inhaltskontrolle findet im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht statt.

Gem. § 8aEU Abs. 1 VOB/A ist in den Vergabeunterlagen vorzuschreiben, dass die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) Bestandteile des Vertrags werden. Nach § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 1 VOB/A müssen die Regelungen der VOB/B grundsätzlich unverändert bleiben. Auf diese Weise soll vermieden werden, dass durch die abweichenden Vereinbarungen der Parteien ein Eingriff in die Regelungen der VOB/B vorgenommen wird und auf diese Weise die VOB/B ihre Privilegierung als Allgemeine Geschäftsbedingung verliert.

Von diesem Grundsatz sind folgende Ausnahmen möglich: Gem. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 2 VOB/A können Auftraggeber, die ständig Bauleistungen vergeben, die Regelungen der VOB/B für die bei ihnen allgemein gegebenen Verhältnisse durch Zusätzliche Vertragsbedingungen ergänzen. Diese Zusätzlichen Vertragsbedingungen dürfen den Regelungen der VOB/B gem. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A allerdings nicht widersprechen. Ferner können nach § 8aEU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A die Regelungen der VOB/B durch Besondere Vertragsbedingungen ergänzt werden, wobei sich Abweichungen auf die Fälle beschränken sollen, in denen in der VOB/B eine besondere Vereinbarung ausdrücklich vorgesehen ist und auch nur soweit es die Eigenart der Leistung und ihre Ausführung erfordern (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 13).

Zusätzliche Vertragsbedingungen werden regelmäßig als Allgemeine Geschäftsbedingungen gem. § 305 Abs. 1 BGB einzustufen sein, mit der Konsequenz, dass die einzelnen Regelungen der Zusätzlichen Vertragsbedingungen der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB unterfallen, falls keine Privilegierung durch die Vereinbarung der VOB/B als Ganzes eingreift (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 16).

Zusätzliche Vertragsbedingungen dürfen den Allgemeinen Vertragsbedingungen der VOB/B gem. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A jedoch nicht widersprechen, sondern die Regelungen der VOB/B allenfalls konkretisieren oder näher ausgestalten. Eine Konkretisierung der Regelungen der VOB/B kommt beispielsweise dort in Betracht, wo die VOB/B unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet. Für nähere Ausgestaltungen ist insbesondere dort Raum, wo die Regelungen der VOB/B eine gesonderte Abrede zwischen den Parteien voraussetzen. Dies ist z.B. der Fall bei Regelungen zu Ausführungsfristen, die nach § 5 Abs. 1 VOB/B einer Vereinbarung zwischen den Parteien bedürfen oder bei einer Vertragsstrafe gem. § 11 VOB/B.

Eine Konkretisierung bzw. Ausgestaltung der VOB/B kommt auch dort in Betracht, wo die Regelungen der VOB/B sogenannte Öffnungsklauseln („wenn nichts anderes vereinbart ist“) enthalten (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 17-20).

 

Vgl dazu VK Südbayern, 14.02.2022 – 3194.Z3-3_01-21-44:

 

Gründe

I.

1

Mit Auftragsbekanntmachung vom 15.06.2021 schrieb die Antragsgegnerin den Neubau eines Feuerwehrgerätehauses mit Wohnnutzung aus. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Das Leistungsverzeichnis enthielt unter Abschnitt B – Bauvertrag umfassende Regelungen und Vertragsbedingungen zur Bauausführung die in einer Vielzahl von Punkten von den Regelungen der VOB/B abweichen und sich teilweise am Bauvertragsrecht des BGB (§ 650a ff. BGB) orientieren.

2

Bei Widersprüchen im Vertrag sollten abweichend von § 1 Abs. 2 VOB/B nacheinander folgende Vertragsbestandteile gelten:

  1. die Leistungsbeschreibung (LV-Vorbemerkungen, Positionstexte, Pläne, Zeichnungen, Berechnungen, Gutachten)
  2. die Besonderen Vertragsbedingungen (BVB), siehe unten 2.1,

3.

die Zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen (ZTV), siehe unten 3

4.

die VOB/B 2016 und die VOB/C 2019, jedoch mit folgenden Abweichungen und Ergänzungen.

3

Seite 4 bis 14 der Leistungsbeschreibung weisen Änderungen bzw. Modifikationen und Konkretisierungen zu zahlreichen Vorschriften der VOB/B auf.

4

Die Abweichungen umfassen beispielsweise den Ausschluss der Null-Abschnitte und der Abrechnungsbestimmungen der VOB/C, das Recht der Antragsgegnerin zur Ersatzvornahme ohne vorherige Auftragsentziehung abweichend von § 4 Abs. 7 VOB/B, die Berechtigung der Antragsgegnerin, neue Vertragsfristen nach billigem Ermessen festzulegen, die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Behinderungsanzeige selbst bei Offenkundigkeit, die Verlängerung der Frist des § 6 Abs. 7 VOB/B auf 6 Monate, den Ausschluss von § 7 und 12 Abs. 6 VOB/B und den Ausschluss von Teilabnahme und fiktiver Abnahme.

5

Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 21.06.2021, dass die Ausschreibungsunterlagen gegen § 8a VOB/A verstoßen würden, da sie gravierende Abweichungen und Ergänzungen zu den Regeln der VOB/B aufweisen würden. Es sei der Antragstellerin deshalb unmöglich ein Angebot abzugeben. Außerdem rügte sie, dass die Frist zur Angebotsabgabe widersprüchlich sei, einmal sei diese auf den 12. und einmal auf den 15.07.2021 festgelegt worden.

6

Mit Änderungsbekanntmachung vom 29.06.2021 legte die Antragsgegnerin die Angebotsfrist auf den 15.07.2021 fest und teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 29.06.2021 mit, dass sie ihrer Rüge nicht abhelfen werde. Die Antragsgegnerin sei bewusst von den Regelungen der VOB/B abgewichen und habe die Ausschreibung explizit auf das Bauvorhaben zugeschnitten, da eine unveränderte Anwendung der VOB/B in der Realität nicht möglich sei. Außerdem habe die Antragsgegnerin bestimmte Regelungen, insbesondere für die Abtretung/Aufrechnung/Zurückbehaltung und den gesetzlichen Mindestlohn/keine Schwarzarbeit treffen müssen, da diese in der VOB/B nicht geregelt seien.

7

Die Antragstellerin stellte daraufhin mit Schreiben vom 07.07.2021 31 Bieterfragen zu den Ausschreibungsunterlagen. Diese wurden von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 09.07.2021 beantwortet.

8

Bieterfrage 27 zu Pos. 5.1.1.8 Perimeterdämmung lautet:

9

Gem. LV-Langtext ist einen Perimeterdämmung 1-lagig in Dämmstärke 180 mm, mit Zulässiger Druckspannung von 255 kN/m2 anzubieten. Produkte mit einer Dämmerstärke von 180 mm, haben aber gem. Zulassung eine geringere Druckspannung von 210 kN/m2. Was ist zu kalkulieren 1-lagig oder eine 2-lagige Verlegung um die Dämmstärke von 180 mm zu erreichen?

Die Antragsgegnerin antwortete auf die Frage:

10

Die Verlegung ist 1-lagig zu kalkulieren.

11

Bieterfrage 29 zu Pos. 5.1.1.2 bis 12 und 16 bis 21 lautet: 1) Bei den Perimeterdämmungen fehlt im Langtext eine Materialangabe, wie z.B auch bei Pos. 5.1.1.1. Soll hier auch XPS-Dämmung angeboten werden?

12

2) In den verschieden Langtexten zu den Positionen werden immer wieder nur WLG 035 (außer bei Pos. 5.1.1.20 – 21 WLG 040) angegeben. Die WLG 035 ist keine eindeutige Bezeichnung. Der Lambdawert ist abhängig von der Dämmstärke, so das zur Kalkulation die geforderten Lambdawerte nach DIN 13164 benötigt werden.

13

Die Antragsgegnerin antwortete auf die Frage:

14

Ja, XPS z. B. Styrodur 4000 CS, Austrotherm oder gleichwertig Lambdawerte nach DIN 13164 0,035 für Dämmstärken d=60, 80 100, 120, 140, 160, 200, 240 mm.

15

Bieterfrage 31 zu Pos. 5.1.38 – 42 lautet:

16

Abdichtung KMB: Leistungsbeschreibung ist nicht eindeutig. Es fehlen sämtlich kalkulationsrelevanten Angaben, wie zum Beispiel die Angabe der Wassereinwirkungsklasse, Schichtdicke etc. Wir bitten um Ergänzung dieser Angaben.

17

Die Antragsgegnerin antwortete auf die Frage:

18

Abdichtung von außen von erdberührten Bauteilen gegen Einwirkung von Bodenfeuchte und nichtdrückendem Wasser nach DIN 5533 Schichtdicke gesamt: mind. 4 mm Verbrauch je nach Fabrikat: ca. 1,4 kg/m2/mm Trockenzeit 48h bei 20°C/70% Luftfeuchtigkeit Temperatur: 5° bis 35°C Risseüberbrückend Lösungsmittelfrei Kunststoffmodifiziert Wassereinwirkungsklasse gemäß DIN 18533, W1.1- E/W1.2-ENV2.1-E/W3-E/VV4-E Da die Antragstellerin die Antworten der Antragsgegnerin jedoch nicht für geeignet hielt, den Sachverhalt endgültig aufzuklären, rügte sie weitere Vergaberechtsverstöße, insbesondere einen Verstoß gegen § 12a EU Abs. 3 Nr. 3 VOB/A, widersprüchliche Antworten zur Perimeterdämmung und zur Wassereinwirkungsklasse, eine versteckte Produktvorgabe auf das Produkt Styrodur 4000 CS, die unzulässige Ausgestaltung der Winterbaumaßnahmen als Bedarfsposition und erneut Abweichungen von der VOB/B.

19

Diese Verstöße rügte sie erneut mit anwaltlichem Schreiben vom 12.07.2021 und kündigte einen Nachprüfungsantrag an. Mit Schreiben vom 14.07.2021 teilte die Antragsgegnerin mit, dass sie der Rüge nicht abhelfen werde.

20

Nachdem den Rügen der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 12.07.2021 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.

21

Der Nachprüfungsantrag sei zulässig und begründet. Die Antragstellerin habe ihr Interesse am Auftrag durch die Rügen und die Stellung eines Nachprüfungsantrags hinreichend dargelegt und sei damit unstrittig antragsbefugt. Auf Grund der vergaberechtswidrigen Verdingungsunterlagen sei es ihr nicht möglich und zumutbar gewesen ein Angebot abzugeben.

22

Die Verdingungsunterlagen, insbesondere der Abschnitt „B-Bauvertrag“ seien vergaberechtswidrig, da sie weitestgehend von der VOB/B zu Lasten des Auftragnehmers abweichen würden. Teilweise seien die Vertragsbedingungen unangemessen für den Auftraggeber und würden einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB nicht standhalten. Auch die Bezeichnung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen als „Besondere Vertragsbedingungen“ und nicht als Zusätzliche Vertragsbedingungen sei falsch, man könne die Bestimmungen die für Zusätzliche Vertragsbedingungen gelten nicht einfach durch eine andere Bezeichnung umgehen, wenn es sich unzweifelhaft um solche handle. Insgesamt würden die Verdingungsunterlagen gegen § 8a EU VOB/A und die Verpflichtung eines öffentlichen Auftraggebers ausgewogene Vertragsbedingungen auszuschreiben verstoßen und seien damit vergaberechtswidrig. § 8a EU VOB/A entfalte dabei auch bieterschützende Wirkung. Weiter seien auch insbesondere die Regelungen zur Bauzeit widersprüchlich, unangemessen und vergaberechtswidrig. Insbesondere die fehlenden Regelungen im Zusammenhang mit den Perimeterdämmungen würden der volatilen Marktsituation keine Rechnung tragen, diese „besonderen Schwierigkeiten“ hätte die Antragsgegnerin jedoch gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B berücksichtigen müssen.

23

Auch enthalte die Ausschreibung unerfüllbare Bedingungen und die Leistungsbeschreibung sei weder eindeutig noch vollständig. Ferner sei eine ordnungsgemäße Kalkulation unmöglich, da Angaben, die für die Preisermittlung relevant seien, fehlen würden.

24

Die Antragstellerinbeantragt

25

  1. Der Antragsgegnerin wird es untersagt, auf der Grundlage der in ihrer Ausschreibung „Neubau Feuerwehrgerätehaus mit Wohnnutzung in U…, VE 103 Baumeisterarbeiten“ … festgelegten Bedingungen den Zuschlag zu erteilen.

26

  1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, wegen der Bauleistungen, die Gegenstand der vorbezeichneten Ausschreibung sind, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren nach Maßgabe der VOB/A-EU unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen. Hierbei sind die im Nachprüfungsantrag von der Antragstellerin geltend gemachten Rechtsverletzungen zu vermeiden und abzustellen. Insbesondere werden der Antragsgegnerin folgende Vorgaben auferlegt:

27

  1. Es ist in den Verdingungsunterlagen vorzusehen, dass in dem Bauvertrag die Regelungen der VOB/B insgesamt ohne Abweichung vereinbart werden.

28

  1. Die Ausschreibung darf keine Vorgabe von Vertragsbestimmungen enthalten, welche den Bieter und späteren Auftragnehmer unangemessen benachteiligen.

29

  1. Die Ausschreibung hat ein Termingerüst, sowohl hinsichtlich der Planlieferung als auch hinsichtlich der Bauleistungen selbst, zu enthalten,

– in dem die Ausführungsfristen ausreichend bemessen sind,

– in dem besondere Schwierigkeiten, insbesondere in Form der derzeitigen fehlenden Prognostizierbarkeit, welche Lieferzeiten bestimmte Baumaterialien, beispielsweise Perimeterdämmungen, haben, angemessen berücksichtigt werden,

– welches eine angemessene Vorlaufzeit nach Zuschlagserteilung von mindestens 10 Wochen beinhaltet,

– das in sich widerspruchsfrei ist, insbesondere nicht einerseits einen festen Beginntermin und andererseits die Befugnis des Auftraggebers, den Baubeginn mit einem Vorlauf von 12 Werktagen zu fordern, beinhaltet.

30

  1. In den Positionen 5.1.1.2 bis 12 und 16 bis 21 des Leistungsverzeichnisses sind die Produkte so auszuschreiben, dass sie zu marktüblichen Konditionen bezogen werden können. Insbesondere ist der Lambdawert so zu bemessen, dass auf dem Markt erhältliche Produkte diesen aufweisen.

31

  1. In Position 5.1.1.8 sind Produkte auszuschreiben und zu definieren, die auf dem Markt zu üblichen Konditionen angeboten werden. Es ist zu vermeiden, dass eine Druckspannung vorgegeben wird, welche keines der marktüblichen Produkte für die betreffende Dämmstärke vorweist.

32

  1. Hinsichtlich der Positionen 5.1.2.38 bis 42 ist eindeutig festzulegen, welche Einwirkungsklasse der Abdichtung nach DIN 18533 vorgeschrieben ist und ob zur Ausführung der Leistung eine Verstärkung notwendig wird.

33

  1. In Abschnitt 1.1.4 des Leistungsverzeichnisses ist auf Seite 51 folgende Formulierung ersatzlos zu streichen:

„Der Auftraggeber behält sich vor, einzelne Leistungsbereiche oder Positionen im Auftragsfall zu streichen, ohne dass sich hierdurch Änderungen der Einheitspreise ergeben.

Aus Änderungen können keine Ansprüche abgeleitet werden.

Gleiches gilt für Massenminderungen und -mehrungen.

Es besteht kein Anspruch des AN auf Ausführung und Abrechnung der nachfolgenden Positionen zum Winterbau.

Ausführung aller unter Titel 1.5 aufgeführten Positionen nur nach Anmeldung der Leistungen durch den AN an AG/Objektüberwachung, Abstimmung und auf gesonderte Anweisung durch die Objektüberwachung und Freigabe durch den Bauherrn.“

34

  1. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der Antragstellerin.

35

  1. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

36

  1. Der Antragstellerin wird Akteneinsicht gemäß § 165 abs. 1 GWB gewährt.

37

Die Antragsgegnerinbeantragt

38

  1. Den Nachprüfungsantrag als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen,

2.

Der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin aufzuerlegen,

3.

Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.

39

Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin schon nicht zulässig gewesen sei, da sie ihr Interesse an dem Auftrag nicht schlüssig und substantiiert dargelegt habe. Eine Angebotsabgabe sei ihr zumutbar gewesen.

40

Weiter trägt die Antragsgegnerin vor, dass es unmöglich sei die VOB/B als Ganzes zu vereinbaren, da schon die kleinste Änderung zum Verlust der Privilegierung führe und Änderungen in der Praxis regelmäßig wegen der Besonderheiten des Vorhabens vorgenommen werden müssten. Auch sei § 8a EU VOB/A nicht bieterschützend, die Antragstellerin könne ihren Nachprüfungsantrag nicht darauf stützen. Wäre § 8a EU VOB/A bieterschützend hätte dies zur Folge, dass zivilrechtliche Auseinandersetzungen in das Vergabenachprüfungsverfahren verlagert werden. Ferner begünstigt der Entfall der Privilegierung der VOB/B auch den Bieter und ist somit kein Nachteil für diesen. Die Antragsgegnerin habe die Besonderen Vertragsbedingungen richtigerweise als solche benannt. Insgesamt enthielten die Verdingungsunterlagen Klarstellungen der Gesetzeslage auf Basis der Rechtsprechung, außerdem lägen sie im Interesse beider Parteien und würden gerade nicht die Bieter benachteiligen. Durch die Vertragsbedingungen würde den Bietern auch kein Schaden entstehen. Ferner trägt die Antragsgegnerin vor, dass im Vergabenachprüfungsverfahren keine zivilrechtliche Wirksamkeitskontrolle durchgeführt werde, insbesondere eine AGB-Kontrolle könnte hier nicht stattfinden. Die Vertragsbedingungen würden jedoch entgegen der Behauptungen der Antragstellerin selbstverständlich einer solchen Überprüfung standhalten und seien rechtmäßig. Die Leistungsbeschreibung sei eindeutig und vollständig und enthalte hinreichende Angaben und erfüllbare Bedingungen.

41

Ferner seien auch die Fristen eindeutig und angemessen, die Antragsgegnerin habe insbesondere die Beschaffung der Perimeterdämmung bei der Fristfestlegung nicht berücksichtigen müssen, dies sei Beschaffungsrisiko des Bieters.

42

Da die Verdingungsunterlagen rechtmäßig seien, sei keine Rechtsverletzung der Antragstellerin ersichtlich, selbst bei einem unterstellten Vergaberechtsverstoß drohe der Antragstellerin kein Schaden durch Beeinträchtigung ihrer Aussichten auf den Erhalt des Zuschlags. Der Nachprüfungsantrag sei damit zumindest auch nicht begründet.

43

Mit Schreiben vom 09.12.2021 hat die Vergabekammer Südbayern einen rechtlichen Hinweis an die Antragsgegnerin erteilt und mitgeteilt, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin nach derzeitiger Rechtsauffassung der Vergabekammer zulässig und begründet sei. Die Antragstellerin habe ihr Interesse am Auftrag durch die Rügen und die Stellung des Nachprüfungsantrags hinreichend dargelegt. Ferner sei insbesondere auch § 8a EU VOB/A nach derzeitiger Rechtsauffassung der Vergabekammer bieterschützend.

44

Die Vergabekammer kam weiter zu der vorläufigen Einschätzung, dass die Ausschreibung und insbesondere die Vertragsbedingungen Vergaberechtsverstöße enthalten würden, da sie ein tiefgreifend geändertes Regelwerk enthielten, welches nicht nur punktuell von der VOB/B abweiche. Weiter führt die Vergabekammer aus, dass eine AGB-Kontrolle nicht von der Vergabekammer ausgeführt werde, auf die zivilrechtliche Beurteilung komme es hier nach derzeitiger Auffassung der Vergabekammer jedoch nicht an.

45

Die Vergabekammer hat mit deren Zustimmung und nach Verzicht auf eine mündliche Verhandlung am 08.02.2022 die Sach- und Rechtslage per Videokonferenz mit den Beteiligten erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme.

46

Der ehrenamtliche Beisitzerhat die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang der Akteneinsicht sowie im Falle einer Verfahrenseinstellung auf den Vorsitzenden und die hauptamtliche Beisitzerin übertragen.

47

Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der Erörterung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.

II.

48

Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.

49

Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.

50

Gegenstand der Vergabe ist ein Bauauftrag i. S. d. § 103 Abs. 3GWB. Die Antragsgegnerinist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert in Höhe von 5.350.000 Euro.

51

Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.

52

  1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

53

1.1. Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.

54

Die Antragstellerinhat ihr Interesse am Auftrag zwar nicht durch die Abgabe eines Angebots nachgewiesen. Sie hat aber rechtzeitig Rügen gegen die Gestaltung der Vergabeunterlagen, insbesondere der Vertragsbedingungen erhoben und die Unklarheit einzelner Positionen des LV bemängelt. Damit und mit der Stellung des streitgegenständlichen Nachprüfungsantrags hat sie ihr Interesse am Auftrag hinreichend nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten.

55

1.2. Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2 oder 3GWB entgegen. Die Antragstellerin hat mit ihren Rügen eines Verstoßes der Vertragsbedingungen in den Vergabeunterlagen gegen § 8aEU VOB/A und zur Widersprüchlichkeit der Fristen und Termine vom 21.06.2021 ihrer Rügeobligenheit sowohl nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 als auch Nr. 3 GWB genüge getan. Gleiches gilt auch für die weiteren Rügen vom 09.07.2021 bzgl. der Vorgaben des Leistungsverzeichnisses zur Perimeterdämmung sowie zur ausgeschriebenen Wassereinwirkungsklasse. Hier erfolgte die Rüge noch am selben Tag, an dem die Antragstellerin die – aus ihrer Sicht unzureichenden – Antworten auf ihre Bieterfragen vom 07.07.2021 erhalten hatte.

56

1.3. Es bestehen auch keine Bedenken gegen die Antragsbefugnis der Antragstellerin.

57

Die Antragstellerin hat rechtzeitig vor dem Termin zur Angebotsabgabe verschiedene von ihr angenommene Verstöße gegen vergaberechtliche Vorschriften gerügt. Sie hat ihr Interesse am Auftrag somit durch diese Rügen und die Stellung des streitgegenständlichen Nachprüfungsantrags in ausreichendem Maße dargelegt.

58

Ein Unternehmen, das rechtzeitig Vergabeverstöße gerügt hat, die im Falle ihres Vorliegens eine Korrektur der Vergabeunterlagen erfordern, muss zum Erhalt seiner Antragsbefugnis kein Angebot in dem seiner Ansicht nach fehlerhaften Vergabeverfahren abgeben. Die Antragstellerin hat in ausreichendem Maße vorgetragen, warum sie eine Angebotsabgabe für unzumutbar hielt. Einer weiteren Darlegung bedarf es nicht. Insbesondere muss ein Bieter in einer solchen Situation nicht darlegen, dass ihm eine Angebotsabgabe unmöglich wäre oder er an jeglicher zumutbaren Kalkulation gehindert wäre.

59

1.4. Die von der Antragstellerin gerügten Verstöße gegen vergaberechtliche Normen sind auch bieterschützend und können in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden.

60

In Bezug auf die gerügten Verstöße gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gem. § 121 GWB aufgrund der LV-Positionen und Antworten auf die Bieterfragen zur Perimeterdämmung und zur Wassereinwirkungsklasse bedarf dies keiner näheren Darlegung.

61

Nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern gilt dies aber auch für Verstöße gegen § 8aEU VOB/A. Diese Vorschrift schreibt vor, dass bei Aufträgen, die im Rahmen von Vergabeverfahren VOB/A vergeben werden, die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) Bestandteile des Vertrags werden müssen. Sie trifft damit primär Regelungen für die spätere Phase der Auftragsdurchführung, allerdings mit Relevanz für die Kalkulation der Bieter im Vergabeverfahren.

62

Vergaberechtliche Intention der Vorschrift ist es, dafür zu sorgen, dass die VOB/B als Ganzes Anwendung findet und damit nach der Rechtsprechung des BGH (BGH Urteil vom 10.5.2007 – VII ZR 226/05, Urteil vom 22.1.2004 – VII ZR 419/02) eine gesonderte Inhaltskontrolle der einzelnen Regelungen der VOB/B nach §§ 307 ff. BGB nicht stattfindet. Im Vergabeverfahren wird durch diese Regelung dem Interesse des Bieters Rechnung getragen, unabhängig von Unsicherheiten über die Geltung der Regelungen der VOB/B und der Frage der Inhaltskontrolle von AGBs sein Angebot kalkulieren zu können. Hinzu kommt noch, dass alle Beteiligten am Bau aufgrund langjähriger Übung auch ohne juristische Beratung die Regelungen der VOB/B in den Grundzügen kennen und ihr Handeln daran ausrichten. Von jedem Auftraggeber selbst zusammengestellte Bauverträge müssten – auch wenn sie sich am Leitbild des Bauvertragsrechts des BGB orientieren mögen und keine die Auftragnehmer unangemessen beeinträchtigenden Regelungen enthalten – immer von den Bietern im Einzelfall aufwändig kalkulatorisch bewertet werden. Auch dies soll § 8aEU VOB/A vermeiden Die Norm könnte insoweit auch als gesondert normierte Ausprägung des anerkannt bieterschützenden Verbots in § 7EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, dem Bieter ungewöhnliche Wagnisse aufzuerlegen, anzusehen sein.

63

Vor dem Hintergrund der Kalkulationsrelevanz können Verstöße eines Auftraggebers gegen § 8aEU VOB/A nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern ohne Weiteres im Vergabenachprüfungsverfahren geltend gemacht werden, da es sich (auch) um vergaberechtliche Normen handelt. Jedenfalls wenn die Abweichungen von der VOB/B zu einer Verschärfung der Regelungen zu Lasten des Bieters führen oder führen können, ist die Norm bieterschützend (VK Sachsen, Beschluss vom 13.12.2013 – 1/SVK/038-13).

64

Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin in ihren sog. Besonderen Vertragsbedingungen ein in weiten Bereichen von der VOB/B abweichendes Regelwerk aufgestellt, das sich teilweise am Bauvertragsrecht des BGB orientiert. Die VOB/B gilt demgegenüber nur nachrangig und mit den zahlreichen Ergänzungen durch die sog. Besonderen Vertragsbedingungen.

65

Da aufgrund der Vielzahl der Abweichungen nicht mehr davon auszugehen ist, dass die VOB/B als Ganzes vereinbart ist und eine AGBrechtliche Privilegierung der Regelungen vorliegt, unterliegt die Antragstellerin hier genau den Kalkulationsrisiken, vor denen § 8aEU VOB/A die Bieter schützen soll.

66

Zudem benachteiligen nach dem Vortrag der Antragstellerin zahlreiche der Änderungen den künftigen Auftragnehmer im Vergleich zu den Regelungen der VOB/B, was zu weiteren Kalkulationsrisiken führt. Dies führt zu einer potentiellen Verschlechterung der Zuschlagschancen der Antragstellerin und kann von ihr im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden.

67

Die Vergabekammer teilt insbesondere nicht die Auffassung der Antragsgegnerin, dass § 8aEU VOB/A schon deshalb nicht als bieterschützend angesehen werden kann, weil keine entsprechende Regelung in der RL 2014/24/EU besteht. Den Mitgliedsstaaten ist es unbenommen über die Regelungen der Richtlinie hinausgehende bieterschützende Normen zu schaffen, wie z.B. die deutschen Regelungen zur Losvergabe in § 97 Abs. 4 GWB zeigen.

68

Auch die von der Antragsgegnerin geäußerten Zweifel, ob § 8aEU VOB/A über die Verweisung des § 2 VgV von der Verordnungsermächtigung des § 113 GWB gedeckt ist, führen nicht dazu, die Norm als nicht bieterschützend anzusehen. Zu einen ist keineswegs eindeutig, dass § 8aEU VOB/A nicht von der Verordnungsermächtigung des § 113 GWB gedeckt ist, da diese auch die Befugnis zur Regelung von Anforderungen an den Auftragsgegenstand, wozu auch vertragliche Regelungen gehören können, und zum Abschluss des Vertrags umfasst. Andererseits hält sich die Vergabekammer in Fällen in denen es nicht um den Anwendungsvorrang des Europarechts geht, nicht zu einer Inzidentverwerfung einer untergesetzlichen Rechtsnorm befugt.

69

  1. Der zulässige Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die streitgegenständlichen Vergabeunterlagen verstoßen eklatant gegen § 8aEU VOB/A, zudem liegt zumindest bei der Pos. 5.1.1.8 auch ein Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gem. § 121 GWB vor.

70

2.1. Gem. § 8aEU Abs. 1 VOB/A ist in den Vergabeunterlagen vorzuschreiben, dass die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) Bestandteile des Vertrags werden. Nach § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 1 VOB/A müssen die Regelungen der VOB/B grundsätzlich unverändert bleiben. Auf diese Weise soll vermieden werden, dass durch die abweichenden Vereinbarungen der Parteien ein Eingriff in die Regelungen der VOB/B vorgenommen wird und auf diese Weise die VOB/B ihre Privilegierung als Allgemeine Geschäftsbedingung verliert.

71

Von diesem Grundsatz sind folgende Ausnahmen möglich: Gem. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 2 VOB/A können Auftraggeber, die ständig Bauleistungen vergeben, die Regelungen der VOB/B für die bei ihnen allgemein gegebenen Verhältnisse durch Zusätzliche Vertragsbedingungen ergänzen. Diese Zusätzlichen Vertragsbedingungen dürfen den Regelungen der VOB/B gem. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A allerdings nicht widersprechen. Ferner können nach § 8aEU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A die Regelungen der VOB/B durch Besondere Vertragsbedingungen ergänzt werden, wobei sich Abweichungen auf die Fälle beschränken sollen, in denen in der VOB/B eine besondere Vereinbarung ausdrücklich vorgesehen ist und auch nur soweit es die Eigenart der Leistung und ihre Ausführung erfordern (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 13).

72

Es spricht im vorliegenden Fall viel dafür, dass die vertraglichen Regelungen unter B -Bauvertrag Ziffer 2.1 der Vergabeunterlagen als Zusätzliche Vertragsbedingungen i.S.d. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 2 VOB/A anzusehen sind, da sie ersichtlich für eine Vielzahl von Bauvergaben der Antragsgegnerin konzipiert wurden. Derartige Zusätzliche Vertragsbedingungen werden regelmäßig als Allgemeine Geschäftsbedingungen gem. § 305 Abs. 1 BGB einzustufen sein, mit der Konsequenz, dass die einzelnen Regelungen der Zusätzlichen Vertragsbedingungen der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB unterfallen, falls keine Privilegierung durch die Vereinbarung der VOB/B als Ganzes eingreift (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 16).

73

Zusätzliche Vertragsbedingungen dürfen den Allgemeinen Vertragsbedingungen der VOB/B gem. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A jedoch nicht widersprechen, sondern die Regelungen der VOB/B allenfalls konkretisieren oder näher ausgestalten. Eine Konkretisierung der Regelungen der VOB/B kommt beispielsweise dort in Betracht, wo die VOB/B unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet. Für nähere Ausgestaltungen ist insbesondere dort Raum, wo die Regelungen der VOB/B eine gesonderte Abrede zwischen den Parteien voraussetzen. Dies ist z.B. der Fall bei Regelungen zu Ausführungsfristen, die nach § 5 Abs. 1 VOB/B einer Vereinbarung zwischen den Parteien bedürfen oder bei einer Vertragsstrafe gem. § 11 VOB/B.

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Eine Konkretisierung bzw. Ausgestaltung der VOB/B kommt auch dort in Betracht, wo die Regelungen der VOB/B sogenannte Öffnungsklauseln („wenn nichts anderes vereinbart ist“) enthalten (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 17-20).

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Die von der Antragsgegnerin getroffenen Regelungen gehen weit über diese zulässigen Konkretisierungen oder in der VOB/B vorgesehenen Ausgestaltungen hinaus.

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Dies beginnt schon damit, dass nach den Regelungen in den Vergabeunterlagen die VOB/B gerade nicht als Allgemeine Vertragsbedingungen vereinbart sein soll. An ihre Stelle treten die sog. „Besonderen Vertragsbedingungen“ unter Ziffer 2.1, die VOB/B soll nur subsidiär und im Rahmen der zahlreichen Modifikationen gelten.

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Keine zulässige Konkretisierung oder in der VOB/B vorgesehenen Ausgestaltung stellen beispielsweise folgende Punkte dar:

– der Ausschluss der Null-Abschnitte und der Abrechnungsbestimmungen der VOB/C

– das Recht zur Ersatzvornahme ohne vorherige Auftragsentziehung abweichend von § 4 Abs. 7 VOB/B

– die in der VOB/B nicht vorgesehene Berechtigung der Antragsgegnerin, neue Vertragsfristen nach billigem Ermessen festzulegen

– die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Behinderungsanzeige selbst bei Offenkundigkeit entgegen § 6 Abs. 1 Satz 2 VOB/B

– die Verlängerung der Frist des § 6 Abs. 7 VOB/B auf 6 Monate

– der Ausschluss von § 7 und 12 Abs. 6 VOB/B

– der Ausschluss von Ausschluss von Teilabnahme und fiktiver Abnahme in Abweichung von § 12 Abs. 2 und Abs. 5 VOB/B Auf Vertragsklauseln der Antragsgegnerin, bei denen die Frage einer zulässigen Abweichung von der VOB/B von der Auslegung zivilrechtlicher Rechtsprechung abhängt wie bei den Abänderungen der Regelungen des § 1 Abs. 3 und Abs. 4 VOB/B bei Änderungen des Bauentwurfs bzw. Werkerfolgs oder des § 2 Abs. 5 ff VOB/B bei zusätzlichen Vergütungsansprüchen im Falle von Änderungsanordnungen, kommt es damit für die Annahme eines Verstoßes gegen § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A überhaupt nicht an.

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Von der Antragsgegnerin gewollt sind hier keine punktuellen Abweichungen von den Regelungen der VOB/B oder dort vorgesehene Ausgestaltungen oder Konkretisierungen, sondern ein tiefgreifend geändertes Regelwerk, das sich teilweise maßgeblich am Bauvertragsrecht des BGB orientiert. Ein solches gegenüber der VOB/B tiefgreifend geändertes Regelwerk lässt § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A bei öffentlichen Bauausschreibungen aber gerade nicht zu.

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Für die vergaberechtliche Beurteilung ist es ohne jeden Belang, ob die etwaigen Regelungen etwa dem gesetzlichen Leitbild des BGB-Bauvertragsrechts entsprechen oder einer AGB-Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB standhalten würden. Dies ist von der Vergabekammer nicht zu entscheiden, sondern Sache der ordentlichen Gerichte. Intention des § 8aEU VOB/A ist, dass sich derartige Fragen in einem Vergabeverfahren überhaupt nicht stellen.

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An diesem Ergebnis würde sich auch nichts ändern, wenn man die Regelungen als Besonderen Vertragsbedingungen i.S.d. § 8 EU Abs. 2 Nr. 2 S. 2 VOB/A ansehen würde, auch wenn dafür nach Auffassung der Vergabekammer keine Anhaltspunkte ersichtlich sind. Denn auch die Besonderen Vertragsbedingungen sollen sich auf Fälle beschränken, in denen nach der VOB/B besondere Vereinbarungen ausdrücklich vorgesehen sind und auch nur soweit es die Eigenart der Leistung und ihre Ausführung erfordern. Besondere Vereinbarungen sind in der VOB/B ausdrücklich dann vorgesehen, wenn die Regelungen der VOB/B eine gesonderte Abrede zwischen den Parteien voraussetzen (z.B. bei § 5 VOB/B, § 11 VOB/B, § 17 VOB/B) oder aber eine entsprechende Öffnungsklausel beinhalten (z.B. § 2 Abs. 4 VOB/B, § 2 Abs. 7 Nr. 3 VOB/B, § 4 Abs. 4 VOB/B). Darüber hinaus müssen die Eigenart der Bauleistung und ihrer Ausführung die Aufnahme von Besonderen Vertragsbedingungen erfordern. Diese Voraussetzung wird regelmäßig bei komplexen Bauvorhaben mit hohen bautechnischen, baubetrieblichen und/oder terminlichen Anforderungen erfüllt sein (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 24, 25).

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Auch Besondere Vertragsbedingungen i.S.d. § 8a EU Abs. 2 Nr. 2 S. 2 VOB/A erlauben jedoch kein so grundlegend von der VOB/B abweichendes Regelwerk wie das der Antragsgegnerin. Zudem fehlt jede dokumentierte Begründung, dass die Eigenart der Bauleistung und ihre Ausführung die Aufnahme einer Besonderen Vertragsbedingung erfordern würde.

82

Da zumindest einige der Abweichungen von der VOB/B – wie der Ausschluss der Null-Abschnitte und der Abrechnungsbestimmungen der VOB/C, das Recht zur Ersatzvornahme ohne vorherige Auftragsentziehung abweichend von § 4 Abs. 7 VOB/B oder die Verlängerung der Frist des § 6 Abs. 7 VOB/B auf 6 Monate – auch geeignet sind, die Rechtsstellung des Auftragnehmers im Vertragsvollzug gegenüber einer unveränderten Vereinbarung der VOB/B zu verschlechtern, läge auch dann eine Rechtsverletzung der Antragstellerin vor, wenn man dies zur Voraussetzung für den Bieterschutz der Regelung machen würde (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 13.12.2013 – 1/SVK/038-13). Die Vergabekammer Südbayern tendiert allerdings dazu, dass zumindest bei einem derart eindeutigen Verstoß gegen § 8aEU eine Verschlechterung der Rechtsstellung des künftigen Auftragnehmers im Vertragsvollzug gegenüber einer unveränderten Vereinbarung der VOB/B keine zwingende Voraussetzung für die Annahme von Bieterschutz nach § 97 Abs. 6 GWB ist.

83

2.2. Zumindest bei der Pos. 5.1.1.8 liegt gerade auch unter Berücksichtigung der Beantwortung der Bieterfragen der Antragstellerin ein Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gem. § 121 GWB vor.

84

Ungeachtet der zahlreichen weiteren Streitfragen zu dieser Position stellt jedenfalls die Forderung einer zulässigen Druckspannung von 255 kN/m2 für Produkte mit der Dämmstärke 180mm einen Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gem. § 121 GWB dar.

85

Die Antragsgegnerin ist inhaltlich der Rüge der Antragstellerin, dass sämtliche am Markt erhältlichen, ansonsten LVkonformen Produkte mit der Dämmstärke 180mm nur eine zulässige Druckspannung von 210 kN/m2 haben, nicht entgegengetreten, so dass die Vergabekammer davon ausgehen muss, dass die Rüge inhaltlich zutreffend ist.

86

Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, dass ihre Antwort auf die diesbezügliche Bieterfrage der Antragstellerin mit dem Satz „Die Verlegung ist einlagig zu kalkulieren.“ nach dem objektiven Empfängerhorizont als Zustimmung zur Verwendung von Produkten mit einer geringeren Druckspannung von 210 kN/m2 verstanden werden müsste, kann ihr keinesfalls gefolgt werden. Nimmt der öffentliche Auftraggeber von einer ausdrücklichen, aber mit den am Markt erhältlichen Produkten unerfüllbaren Vorgabe der Leistungsbeschreibung im Rahmen einer Bieterfrage Abstand, muss er dies konkret und unmissverständlich tun. Die Antwort, dass die Verlegung einlagig zu kalkulieren sei, ist auch für einen fachkundigen Bieter vielmehr so zu verstehen, dass der Auftraggeber bei seiner unerfüllbaren Vorgabe bleibt, als dass er seine Zustimmung zu einer Verwendung von Dämmprodukten gibt, die lediglich eine zulässige Druckspannung von 210 kN/m2 haben. Die erforderliche Eindeutigkeit ist damit keinesfalls gegeben.

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2.3. Vor dem Hintergrund des Verstoßes gegen § 8aEU VOB/A und dem Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gem. § 121 GWB bedürfen die zahlreichen weiteren aufgeworfenen Fragen keiner abschließenden Entscheidung.

88

Das Vergabeverfahren muss ohnehin mindestens in den Stand vor Veröffentlichung der Vergabeunterlagen zurückversetzt und die Vergabeunterlagen korrigiert werden.

89

Die Vergabekammer Südbayern weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass hinsichtlich der Positionen Pos. 5.1.1.2 bis 12 und 16 bis 21 eine Klarstellung geboten ist, ob es auf den Bemessungswert der Wärmeleitfähigkeit (λB) oder auf den Nennwert der Wärmeleitfähigkeit nach DIN EN 13164 (λD) ankommt.

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Die Streitfrage, ob im Verfahren die Übergabe der Planunterlagen am 17.08.2021 und der Beginn der Hauptleistungen der Baumeisterarbeiten am 13.09.2021 maßgeblich waren und die Regelung, dass mit der Ausführung der Leistung 12 Werktage nach Abruf des AG in Textform zu beginnen war, hierzu im Widerspruch stand, hat sich durch Zeitablauf aufgrund der Nachprüfungsverfahrens erledigt. Der Auftraggeber wird im Falle fortstehender Beschaffungsabsicht entweder neue Fristen festsetzen oder klarstellen müssen, dass nunmehr die Abruffrist von 12 Werktagen maßgeblich ist.

91

Die Vergabekammer Südbayern weist weiterhin darauf, dass die Unwägbarkeiten in welchem Umfang Winterbaumaßnahmen anfallen, möglicherweise ein sachlicher Grund für die Ausschreibung als Bedarfsposition sein könnten. Die Anforderungen hierfür sind nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 VOB/A allerdings hoch. Nur solche Positionen, bei denen trotz Ausschöpfung aller örtlichen und technischen Erkenntnismöglichkeiten zum Zeitpunkt der Ausschreibung objektiv nicht feststellbar ist, ob und in welchem Umfang Leistungen zur Ausführung gelangen werden, dürfen als Bedarfs- bzw. Eventualposition ausgeschrieben werden (OLG Düsseldorf Beschluss vom 10.2.2010 – Verg 36/09). Allerdings kann die Regelung auf S. 51 des LV von einem verständigen Bieter durchaus so gelesen werden, dass die Auftraggeberin nicht verpflichtet ist, notwendige Winterbaumaßnahmen freizugeben und zu vergüten, obwohl ein Auftragnehmer Winterbaubedingungen leisten müsste. Da dies – nach Angaben der Antragsgegnerin – nicht ihrer Intention entspricht und sie lediglich eine Abstimmung des ausführenden Bauunternehmens mit der Bauleitung vor Ausführung der Winterbaumaßnahmen für erforderlich hält, wäre eine Klarstellung sachdienlich, wenn sich die Streitfrage nicht bereits durch Zeitablauf erledigt hat.

Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt
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