Ax Vergaberecht

VOB/B für Einsteiger

VOB/B für Einsteiger

von Thomas Ax

Werkvertrag und AGB

Das Vertragsrecht ist allgemein im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Das BGB unterscheidet eine Reihe von unterschiedlichen Vertragsarten, z.B. Kaufvertrag, Dienstvertrag, Werkvertrag. Jeder Bauleistungsvertrag ist ein Werkvertrag nach §§ 631 bis 651 BGB. Wenn die VOB/B als Vertragsgrundlage vereinbart wird, handelt es sich hierbei um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) nach § 305 BGB. Die VOB/B hebelt also das BGB nicht aus, sondern ergänzt das BGB um bauspezifische Regelungen. Außerdem ändert die VOB/B einige Regelungen des BGB unter Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse bei Baumaßnahmen. Es ist deshalb übrigens eigentlich falsch, zwischen „BGB-Vertrag“ und „VOB-Vertrag“ zu unterscheiden. Richtig wäre „BGB-Vertrag“ und „BGB-Vertrag mit VOB als Vertragsbestandteil“. Zugegebenermaßen ist die übliche Unterscheidung nach BGB- und VOB-Vertrag umgangssprachlich einfacher.

AGB und Inhaltskontrolle

Gemäß § 307 BGB unterliegen AGBs der Inhaltskontrolle. Das bedeutet, dass im Streitfall überprüft wird, ob einzelne Klauseln in AGBs unwirksam sind, weil sie den Vertragspartner des Verwenders der AGB, also desjenigen, der die AGB zum Vertragsbestandteil gemacht hat, entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Nach § 307 Abs. 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

Sonderstellung der VOB

Für die VOB enthält das BGB nun aber eine Sonderregelung. Nach § 310 BGB entfällt die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB, wenn die VOB/B in der jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt einbezogen ist. Diese Bestimmung des BGB bedeutet aber auch, dass die VOB/B der Inhaltskontrolle zu unterwerfen ist, sobald eine einzige Klausel der VOB/B verändert wird. Das hat bereits der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil vom 22.01.2004 (Aktenzeichen VII ZR 419/02) so entschieden:

„Jede vertragliche Abweichung von der VOB/B führt dazu, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist. Es kommt nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff hat.“

Dieses BGH-Urteil war der Grund dafür, dass inzwischen im BGB festgehalten ist, dass die Inhaltskontrolle nur entfällt, wenn die VOB/B ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt einbezogen ist.

Beim Aufstellen von Vergabeunterlagen bei Ausschreibungen, zumindest bestehend aus Besonderen Vertragsbedingungen und der Leistungsbeschreibung, muss der Auftraggeber – und damit auch der für den Auftraggeber tätige Architekt oder Ingenieur – darauf achten, dass keine unzulässigen Änderungen der VOB/B vorgenommen werden. Das würde im Rechtsstreit dazu führen, dass im Zuge der Inhaltskontrolle alle Klauseln, die den Auftraggeber bevorteilen, entfallen und durch die entsprechenden Bestimmungen des BGB ersetzt werden. Alle Klauseln aber, die dem Vertragspartner, also dem Auftragnehmer, einen Vorteil einräumen, bleiben bestehen.

Der umgekehrte Fall liegt vor, wenn ein Auftragnehmer von sich aus einem Auftraggeber ein Angebot unterbreitet und darin die VOB/B als Vertragsbestandteil festlegt. Dann ist der Auftragnehmer der Verwender der AGB VOB/B. Wenn in diesem Fall der Auftragnehmer einzelne Klauseln der VOB/B verändert, wird sich das im Fall eines Rechtsstreits im Zuge der dann durchzuführenden Inhaltskontrolle zu seinen Ungunsten auswirken.

Zulässige Abweichungen von der VOB/B

Darf denn dann überhaupt von einer Klausel der VOB/B abgewichen werden?

Die Antwort lautet ja. Alle Klauseln der VOB/B, bei denen die VOB/B ausdrücklich sagt, dass abweichende Regelungen zulässig sind, dürfen selbstverständlich geändert werden. Die VOB/B empfiehlt bei einigen Klauseln sogar ausdrücklich, dass die Vertragsparteien etwas vereinbaren sollen. Nur wenn sie das unterlassen, greift die VOB/B mit einer eigenen Regelung ein. Ein Beispiel hierfür ist die Vereinbarung einer Verjährungsfrist für Mängelansprüche. Die VOB/B sagt in § 13 Abs. 4 ausdrücklich: „Ist für Mängelansprüche keine Verjährungsfrist im Vertrag vereinbart, so beträgt sie für Bauwerke 4 Jahre …“ Also ist es selbst verständlich zulässig, eine Verjährungsfrist von z.B. fünf Jahren zu vereinbaren.

Nur dürfen die anderen Regelungen zur Regelung von Mängelansprüchen nach § 13 VOB/B, bei denen nicht der ausdrückliche Hinweis auf zulässige andere Vereinbarungen zu finden ist, nicht verändert werden.

Auswirkungen auf die Gestaltung der Vergabeunterlagen

In den Vergabeunterlagen ist vorzuschreiben, dass die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) Bestandteile des Vertrags werden. Das gilt auch für etwaige Zusätzliche Vertragsbedingungen und etwaige Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen, soweit sie Bestandteile des Vertrags werden sollen. Die Allgemeinen Vertragsbedingungen bleiben grundsätzlich unverändert. Sie können von Auftraggebern, die ständig Bauleistungen vergeben, für die bei ihnen allgemein gegebenen Verhältnisse durch Zusätzliche Vertragsbedingungen ergänzt werden. Diese dürfen den Allgemeinen Vertragsbedingungen nicht widersprechen. Für die Erfordernisse des Einzelfalles sind die Allgemeinen Vertragsbedingungen und etwaige Zusätzliche Vertragsbedingungen durch Besondere Vertragsbedingungen zu ergänzen. In diesen sollen sich Abweichungen von den Allgemeinen Vertragsbedingungen auf die Fälle beschränken, in denen dort besondere Vereinbarungen ausdrücklich vorgesehen sind und auch nur soweit es die Eigenart der Leistung und ihre Ausführung erfordern. Die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen bleiben grundsätzlich unverändert. 2Sie können von Auftraggebern, die ständig Bauleistungen vergeben, für die bei ihnen allgemein gegebenen Verhältnisse durch Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen ergänzt werden. 3Für die Erfordernisse des Einzelfalles sind Ergänzungen und Änderungen in der Leistungsbeschreibung festzulegen.

In den Zusätzlichen Vertragsbedingungen oder in den Besonderen Vertragsbedingungen sollen, soweit erforderlich, folgende Punkte geregelt werden:

a)           Unterlagen (§ 8b Absatz 3; § 3 Absatz 5 und 6 VOB/B),

b)           Benutzung von Lager- und Arbeitsplätzen, Zufahrtswegen, Anschlussgleisen, Wasser- und Energieanschlüssen (§ 4 Absatz 4 VOB/B),

c)           Weitervergabe an Nachunternehmen (§ 4 Absatz 8 VOB/B),

d)           Ausführungsfristen (§ 9; § 5 VOB/B),

e)           Haftung (§ 10 Absatz 2 VOB/B),

f)            Vertragsstrafen und Beschleunigungsvergütungen (§ 9a; § 11 VOB/B),

g)           Abnahme (§ 12 VOB/B),

h)           Vertragsart (§§ 4, 4a), Abrechnung (§ 14 VOB/B),

i)            Stundenlohnarbeiten (§ 15 VOB/B),

j)            Zahlungen, Vorauszahlungen (§ 16 VOB/B),

k)           Sicherheitsleistung (§ 9c; § 17 VOB/B),

l)            Gerichtsstand (§ 18 Absatz 1 VOB/B),

m)         Lohn- und Gehaltsnebenkosten,

n)           Änderung der Vertragspreise (§ 9d).

Im Einzelfall erforderliche besondere Vereinbarungen über die Mängelansprüche sowie deren Verjährung (§ 9b; § 13 Absatz 1, 4 und 7 VOB/B) und über die Verteilung der Gefahr bei Schäden, die durch Hochwasser, Sturmfluten, Grundwasser, Wind, Schnee, Eis und dergleichen entstehen können (§ 7 VOB/B), sind in den Besonderen Vertragsbedingungen zu treffen. Sind für bestimmte Bauleistungen gleichgelagerte Voraussetzungen im Sinne von § 9b gegeben, so dürfen die besonderen Vereinbarungen auch in Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen vorgesehen werden.

VOB und Verbraucher

Eine Besonderheit stellen Verträge zwischen einem Auftragnehmer und einem Verbraucher dar. In § 310 Abs. 3 BGB wird festgelegt, dass die Inhaltskontrolle bei Verbraucherverträgen nur dann entfällt, wenn die VOB/B durch den Verbraucher als AGB verwendet, also zum Vertragsbestandteil gemacht wird.

Das ist logischerweise immer der Fall, wenn ein Verbraucher Bauleistungen ausschreibt und in den Vergabeunterlagen vorgibt, dass die VOB/B Vertragsbestandteil sein soll.

Bei einem Verbraucher, der die VOB üblicherweise nicht kennen muss, ist es aber zwingend erforderlich, dass der für ihn ausschreibende Architekt oder Ingenieur seinen Auftraggeber über die Vor- und Nachteile, die sich aus der VOB/B (und auch VOB/C!) für ihn ergeben, aufklärt. Der Verbraucher muss dann entscheiden, ob er die VOB als Vertragsbestandteil vorgeben will oder nicht. Diese Entscheidung darf dem Verbraucher seinem Architekten oder Ingenieur nicht vorenthalten, indem er einfach von sich aus die VOB/B in den Vergabeunterlagen vorgibt. Das kann zu Haftungsansprüchen des Auftraggebers gegenüber seinem Architekten/Ingenieur führen!

Wer ist nun ein Verbraucher? Das definiert § 13 BGB. Danach ist ein Verbraucher jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zwecke abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Nach dieser Definition ist also z.B. auch ein Architekt Verbraucher, wenn er privat sein eigenes Haus neu- oder umbaut. Betrifft der Neu- oder Umbau dagegen sein Büro, steht das im Zusammenhang mit seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit und damit ist er in dem Fall kein Verbraucher.

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (5)

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (5)

Ein Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB erfordert nicht nur eine Ermessensausübung sondern auch eine Prognoseentscheidung

von Thomas Ax

Ein Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB erfordert nicht nur eine Ermessensausübung sondern auch eine Prognoseentscheidung, aus der hervorgeht, dass nachvollziehbare sachliche Gründe vorliegen, die die Integrität des Unternehmens infrage stellen. Dabei steht dem Auftraggeber ein durch die Kammer nur eingeschränkt kontrollierbarer Beurteilungsspielraum zu (vgl. nur BayObLG, Beschluss vom 09.04.2021 – Verg 3/21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.10.2018 – 15 Verg 6/18).

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (4)

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (4)

Bei dem Tatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 9a GWB handelt es sich um einen sehr weiten Auffangtatbestand, der nach seinem Wortlaut her sehr viele Konstellationen umfassen könnte

von Thomas Ax

Daher ist dieser bereits aus Gründen der Verhältnismäßigkeit restriktiv auszulegen (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 17.03.2021 – 1/SVK/031-20; Ziekow/Völlink/Stolz GWB § 124 Rn. 48). Grundsätzlich sind nur Manipulationsversuche geeignet, einen Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 9a GWB darzustellen, dabei muss das angestrebte Ziel ein rechtswidriges Ergebnis sein (vgl. jurisPK/Summa, § 124 GWB Rn. 189 ff; Immenga/Mestmäcker/Kling GWB § 124 Rn. 107-120; Müller-Wrede/Conrad, § 124 GWB, Rn. 176). Welche Schwere die Einflussnahme haben muss, ist nicht abschließend geklärt, angesichts der Schwere der Folge genügt jedenfalls nicht jedweder Versuch. Dabei muss es sich entweder um den Versuch strafrechtlich relevanten Verhaltens handeln bzw. um Versuche, die in der Schwere einer schweren Verfehlung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB gleichkommen (VK Sachsen, Beschluss vom 17.03.2021 – 1/SVK/031-20; Ziekow/Völlink/Stolz GWB § 124 Rn. 48), die wiederum in ihrer Schwere den Ausschlussgründen des § 123 GWB nahekommen müssen (Ziekow/Völlink/Stolz GWB § 124 Rn. 20, 21).

Die dem auszuschließenden Unternehmen vorgeworfenen Handlungen sind durch den öffentlichen Auftraggeber nachzuweisen (VK Sachsen, Beschluss vom 17.03.2021 – 1/SVK/03120).

Dazu muss vor einem Ausschluss noch eine Anhörung zu dem jeweiligen Ausschlussgrund durchgeführt werden (OLG München, Beschluss vom 29.11.2021 – Verg 11/20; MüllerWrede/Conrad, § 124 GWB Rn. 14).

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (3)

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (3)

Bei der Wertung der Angebote genießen öffentliche Auftraggeber einen Beurteilungsspielraum, der von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 04.04.2017; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.03.2017; OLG München, Beschluss vom 17.09.2015

von Thomas Ax

Die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreitet die Vergabestelle erst dann, wenn sie entweder ein vorgeschriebenes Verfahren nicht einhält, wenn sie von einem unzutreffenden oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, wenn sachwidrige Erwägungen für die Entscheidung verantwortlich waren oder wenn bei der Entscheidung ein sich sowohl im Rahmen des Gesetzes als auch im Rahmen der Beurteilungsermächtigung haltender Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewandt wurde (vgl. OLG Frankfurt a. M. VergabeR 2009, 629 (636); OLG Schleswig, Beschl. v. 20.3.2008 – 1 Verg 6/07; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.4.2009 – Verg 76/08; VK Münster, Beschl. v. 16.12.2010 – VK 9/10; Beschl. v. 14.1.2010 – VK 24/09).

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (2)

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (2)

Die Formulierung “abgeschlossene Geschäftsjahre” ist bei einer Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters mehrdeutig und lässt unterschiedliche Interpretationen zu

von Thomas Ax

Auftraggeber fordern u. a. in der Auftragsbekanntmachung und der Eigenerklärung zur Eignung Liefer- / Dienstleistungen – Formblatt 124 LD – VHB von den Bietern Angaben zu Umsätzen der letzten drei “abgeschlossenen Geschäftsjahre”.

Die Formulierung “abgeschlossene Geschäftsjahre” ist bei einer Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters mehrdeutig und lässt unterschiedliche Interpretationen zu.

Die Forderung kann einerseits so verstanden werden, dass es sich grundsätzlich um die letzten drei Kalenderjahre vor Beginn des Vergabeverfahrens handelt (so auch das Verständnis des Antragsgegners). Hiernach kommt es auf das Vorliegen von Jahresabschlüssen nicht an. Hierfür spricht, dass der Auftraggeber an möglichst aktuellen Zahlen interessiert ist. Aus seiner Sicht ist auf die gegenwärtige Situation des Bieters abzustellen, um dessen Eignung beurteilen zu können. Diese Auffassung hat auch die 3. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vertreten (vgl. Beschluss vom 12.06.2014 – Az. 3 VK LSA 36/14). Ferner spricht dafür, dass der Antragsgegner von der Möglichkeit Gerbrauch gemacht hat, als Beleg für die erforderliche wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit des Bieters lediglich eine Eigenerklärung über den Umsatz zu verlangen (vgl. § 45 Abs. 4 Nr. 4 VgV). Er hat davon abgesehen, i. S. d. § 45 Abs. 4 Nr. 3 VgV die Vorlage von Jahresabschlüssen zu fordern.

Dieses Verständnis ist jedoch nicht zwingend. Auch aus kaufmännischer Sicht setzt ein “abgeschlossenes Geschäftsjahr” das Vorliegen eines Jahresabschlusses voraus (vgl. Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht / Hövelberndt, 4. Aufl. 2022, VOB/A § 6a, Rn 39; so auch VK Berlin, Beschluss vom 05.05.2023 – Az. VK B 1-19/22). In entsprechender Weise hat das für Bauwesen des Bundes zuständige Ministerium mit Erlass vom 26.02.2020 (“Interpretation VOB/A 2019 – Az.: 70421/21) diesen Begriff interpretiert. Nach diesem Erlass sind für die Umsatzangaben die letzten drei Geschäftsjahre zugrunde zu legen, für die entsprechende Jahresabschlüsse beim jeweiligen Bieter vorliegen. Angaben zu Umsätzen aus noch nicht abgeschlossenen Geschäftsjahren schulde der Bieter auch dann nicht, wenn er sein Geschäftsjahr während des Vergabeverfahrens, aber nach Ablauf der Angebotsfrist abschließe. Auch wenn sich dieser Erlass auf die VOB/A bezieht, ist Gegenstand der Auslegung der Begriff “abgeschlossene Geschäftsjahre”. Einem Bieter kann nicht angelastet werden, diesen Begriff wie das Ministerium zu verstehen.

Herausgeber des VHB ist ebenfalls das für Bauwesen des Bundes zuständige Ministerium. Das Ministerium hat die Abänderungen überdies lediglich mit der Entlastung von kleinen und mittleren Unternehmen sowie Bürokratieabbau begründet (vgl. Anlage “Dokumentation der Änderungen” des Erlasses zur Einführung des VHB 2017 vom 08.12.2017 – B I 7 – 81064.02/01 – hier Verzicht auf die Bestätigung der Angaben zum Umsatz in der Eigenerklärung u. a. durch Jahresabschlüsse).
Vor diesem Hintergrund wäre der Auftraggeber gehalten, seine Vorgaben zu präzisieren, um unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten zu vermeiden. Soweit er lediglich von den Bietern Angaben zu Umsätzen der Kalenderjahre 2021, 2022 und 2023 fordern will, ohne dass hierfür ein Jahresabschluss vorliegen muss, müsste er dies unmissverständlich zum Ausdruck bringen.

VK Mecklenburg-Vorpommern zu der Frage, dass eine unzulänglich durchgeführte Totalunternehmervergabe unzulässig sein kann

VK Mecklenburg-Vorpommern zu der Frage, dass eine unzulänglich durchgeführte Totalunternehmervergabe unzulässig sein kann

vorgestellt von Thomas Ax

Die Verknüpfung sämtlicher Planungsleistungen und aller Bauleistungen zu einer Gesamtvergabe, die als Totalunternehmerleistung erbracht werden soll, betrifft nur das “Wie”, insoweit geht es nicht mehr um das von der Beschaffungshoheit gedeckte “Was”. Das “Wie” der Beschaffung ist den Detailregelungen des Vergaberechts unterworfen und damit den Anforderungen des § 97 Absätze 4 Sätze 1-3 GWB zum Regel-Ausnahmeverhältnis als Voraussetzung für eine von der losweisen Vergabe abweichende Gesamtvergabe (vgl. OLG Frankfurt v. 14.05.2018 – 11 Verg 4/18).
Nach dem Wortlaut des § 97 Absatz 4 Sätze 1 bis 3 GWB – dessen Inhalt von § 5 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 bis 3 EU VOB/A wiederholt wird – sind Leistungen in Losen zu vergeben und es kann hiervon nur dann abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern.
Darunter sind solche zu verstehen, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zum Erreichen des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen.
Durch die Regelung sollten die Nachteile der mittelständischen Wirtschaft gerade bei der Vergabe großer Aufträge mit einem Volumen, das die Kapazitäten mittelständischer Unternehmen überfordern könnte, ausgeglichen werden. Ziel ist, die Mittelstandsklausel dadurch in ihrer Wirkung zu verstärken. Deshalb sollte von dem Gebot der Losvergabe nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden können (BT-Drucksache 16/10117, S. 15). Dabei ist § 97 Absatz 4 GWB im Kontext der primären Ziele des Vergaberechts auszulegen, zu denen insbesondere auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung gehört. Auch die weiteren Grundsätze des Vergaberechts (Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit) sowie die vom Gesetzgeber in § 97 Absatz 3 GWB normierten strategischen Ziele (Qualität, Innovation, soziale und umweltbezogene Aspekte) sind im Blick zu behalten.
Anerkannt ist, dass regelmäßig bei Gesamt-/Totalunternehmervergaben mit rund 20% höheren Kosten im Vergleich zur losweisen Vergabe zu rechnen ist. Eine fundierte Wirtschaftlichkeitsberechnung einschließlich Risikobetrachtung ist aber bei einem Verzicht auf jegliche Losbildung zu fordern, bloße Zweckmäßigkeitserwägungen reichen nicht aus. Auch ist z.B. zunächst vertieft darzustellen, warum nicht zumindest eine Losbildung innerhalb der Bauleistungen oder eine getrennte Vergabe von Planungs- und Bauleistungen hätte erfolgen können (vgl. OLG Frankfurt v. 14.05.2018 – 11 Verg 4/18 Rn. 75, 79 ff). Eine Gesamtvergabe muss erhebliche wirtschaftliche Vorteile bringen, welche in der Dokumentation dezidiert benannt und beziffert werden müssen (z.B. vorläufige Wirtschaftlichkeitsberechnung der Gesamtvergabe im Vergleich zur losweisen Vergabe oder eine Parallelausschreibung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit (Handkommentar zur VOB Heiermann/Riedl/Rusam Bauer § 5 VOB/AEU auf Ausführungen § 5 VOBA Rn 33 zur Feststellung der größeren Wirtschaftlichkeit bei Zweifeln entsprechen einer üblichen Praxis).
VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20.09.2024 – 2 VK 2/24
nachfolgend:
OLG Rostock, Beschluss vom 10.01.2025 – 17 Verg 4/24
Gründe:

I.

Der Antragsgegner schreibt die Beschaffung als Rahmenvereinbarung im Wettbewerblichen Dialog europaweit aus (veröffentlicht im Supplement zum EU-Amtsblatt vom … Az. …).

Die Beschreibung lautet:

“Das Land Mecklenburg-Vorpommern möchte die Städte und Gemeinden des Landes beim Bau von Feuerwehrhäusern für Freiwillige Feuerwehren unterstützen. Es sollen hierfür Totalunternehmerleistungen für die Planung und den Bau von Feuerwehrhäusern für Freiwillige Feuerwehren im Land Mecklenburg-Vorpommern vergeben werden.”

In der Auftragsbekanntmachung ist weiter enthalten, Angabe Leistungsumfang und 5. Los gleichlautend:

“Es ist beabsichtigt, dass das Land das Vergabeverfahren durchführt und die Städte und Gemeinden nach Zuschlagserteilung selbständig entscheiden können, ob sie die Leistungen des bezuschlagten Bieters entsprechend den im Vergabeverfahren festgelegten Bedingungen in Anspruch nehmen.”,

5.1.2 Erfüllungsort Zusätzliche Information: “Alle Gemeinden im Land M-V.”

“Leistungsbeschreibung

I. Allgemeine Vorbemerkungen

1.0 Allgemeines

Der Auftragnehmer soll zwei Varianten von Feuerwehrhäusern planen – Langhaus und Kompakthaus – und diese dann auch selbst errichten (ggfs. mit Nachunternehmern).

Hinsichtlich der Bauart wird diese Leistungsbeschreibung systemoffen gehalten.

Es ist beabsichtigt, dass das Land das Vergabeverfahren durchführt und die Städte und Gemeinden nach Zuschlagserteilung selbstständig entscheiden können, ob sie die Leistungen des bezuschlagten Bieters entsprechend den im Vergabeverfahren festgelegten Bedingungen in Anspruch nehmen.

– Auftraggeber für den Rahmenvertrag: Land MV

– Auftraggeber für die Bauleistungen: Gemeinden

Die Städte und Gemeinden sind für die Baufreiheit auf dem Grundstück sowie für den Baugrund zuständig. Abbrucharbeiten, Baugrundaustausch bzw. -verbesserungen sind nicht Bestandteil dieser Leistungsbeschreibung. Sollte u.a. Pfahlgründung erforderlich sein, sind die Planungen und Mehrkosten direkt mit den Bauherren zu regeln. Die Zulässigkeit der Bauvorhaben auf den Grundstücken in Einvernehmen mit der Bauplanung einschl. vorhandener Satzungen sind ggfs. gesondert zu vergüten.

Die Rahmenvereinbarung wird für eine Laufzeit von vier Jahren geschlossen.

2.0 Vorschriften

Die Errichtung des Gebäudes hat auf der Grundlage des Bauvertrages, der VOB, dieser Bau- und Leistungsbeschreibung, der abgestimmten Planung der LP 1-5, der Tragwerksplanung, dem Schallschutz- und Brandschutznachweises sowie dem Nachweis nach GEG sowie der Baugenehmigung unter Beachtung der Bedingungen und Auflagen zu erfolgen und ist als technisch einwandfreies und funktionsfähiges Bauwerk zu übergeben. Forderungen aus Prüfberichten sind kostenneutral ein- und abzuarbeiten.”

Der Ablauf der Teilnahmefrist im europaweiten wettbewerblichen Dialog ist vom Antragsgegner für den 27.06.2024 mitgeteilt worden.

4Die Antragstellerin sieht sich durch die Gestaltung der Ausschreibung als Totalunternehmerleistung für Planung und Bau in Form einer Rahmenvereinbarung für alle Gemeinden in M-V daran gehindert, sich an der Ausschreibung zu beteiligen.

Sie habe als mittelständisches Architekturbüro bereits in der Vergangenheit u.a. Feuerwehrhäuser und andere Gebäude in dieser Größenordnung errichtet und sei darauf spezialisiert. Als Unternehmen biete sie umfassende und integrierte Architektenleistungen vom Freiraum über das Gebäude bis zur Innenarchitektur an; insbesondere auch im Bereich des Feuerwehr- und Rettungswachenbaus. Sie wolle sich in ihrem Leistungsbereich für die Errichtung von einem oder mehreren Feuerwehrhäusern bewerben.

Nach mit Schreiben des Antragsgegners vom 27.06.2024 abgewiesener Rüge vom 24.06.2024 beanstandet die Antragstellerin mit Nachprüfungsantrag vom 05.07.2024 Verstöße gegen § 97 Absätze 4 und 6 GWB, da in der Ausschreibung keine gesonderten Teil- und Fachlose gebildet wurden und der ausgeschriebene Rahmenvertrag mit der nur abstrakten Benennung von allen Gemeinden in MV vergaberechtswidrig sei.

Sie trägt vor, der Antragsgegner versuche in unzulässiger Art eine Interessenbekundung in Form einer Rahmenvereinbarung über Totalunternehmerleistungen vorzunehmen. Alle Gemeinden aus M-V könnten bis zum 31.10.2024 zunächst Anträge auf Berücksichtigung/Förderung stellen. Erst nach einem Bewertungsverfahren könnten die dann ausgewählten Gemeinden an der Rahmenvereinbarung partizipieren. Dies sei ein Missbrauch der Regelungen der Rahmenvereinbarung. Die Vorgabe, potentiell alle Gemeinden des Landes Mecklenburg-Vorpommern zählten dazu, ohne dass diese sämtlichst ihre Einwilligung gegeben haben, verstoße gegen das Gebot der eindeutigen und bestimmten Leistungsbeschreibung. Die Benennung “Alle Gemeinden Mecklenburg-Vorpommern” – die selbst keine Bedarfsanmeldung o.ä. abgegeben haben, (ohne ausreichende Präzisierung) sei keine “bestimmte Kategorie” im Sinne des Erwägungsgrund 60 der RL 2014/24 EU. Damit belege der Antragsgegner neben der Unkenntnis konkreter Abrufberechtigter auch fehlende Vergabereife. Es heiße weiter in

“A. Leitfaden 1. Vergabeverfahren

Es ist beabsichtigt, für das Vorhaben Totalunternehmerleistungen in einem Wettbewerblichen Dialog nach dem 2. Abschnitt der VOB/A mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zu vergeben.

Grund: Komplexität der Bauaufgabe mit der eng miteinander verzahnte, interdisziplinäre Leistungsbilder nach HOAI und Bauleistungen als Totalnehmerunterleistungen abgefragt werden.”

Eine Verknüpfung erfolge nur für die dort benannten Planungsleistungen, alle “weiteren notwendigen Planungsleistungen und soweit notwendig zu erstellende Gutachten” müssten von den die Bauleistung abrufenden Gemeinden selbstständig beauftragt und zur Verfügung gestellt werden. Das Vorgehen verstoße auch gegen die in § 4a Absatz 1 VOB/A EU geforderte möglichst genaue Ermittlung des Auftragsvolumens. Die hier in Bezug genommenen weiteren notwendigen Planungsleistungen seien nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben. Die Rahmenvereinbarung unterliege zudem selbst stetigen Änderungen und könne nicht zur Kostenreduzierung herangezogen werden. Die ortsbezogene Klärung der bauplanungsrechtlichen Belange sowie die Beachtung von Satzungen wie z.B. Gestaltungssatzungen werde bei jedem Einzelvertrag separat notwendig; damit werde die Rahmenvereinbarung stets verändert und angepasst werden müssen, ebenso das Auftragsvolumen.

Die Antragstellerin macht auch geltend die Totalunternehmervergabe sei weder aus wirtschaftlichen noch aus technischen Gründen erforderlich und auch nicht dringend. Solche Gründe seien nicht vorgebracht, insbesondere liege die angeführte Komplexität der Leistung nicht vor. Die Annahme des Antragsgegners, dass bei einer getrennten Vergabe von Planung und Bau Fertigbauweisen ausgeschlossen würden, treffe ebensowenig zu wie, dass ein Festhalten an der Trennung von Planung und Bau den Antragsgegner auf eine konventionelle Bauweise festlegen würde. Architekten planten deutlich komplexere Zusammenhänge und berücksichtigten dabei Bauweisen zur Erreichung von Skaleneffekten in der Planung und im Bau. Somit lägen keine technischen, aber auch keine wirtschaftlichen Ausnahmegründe vor. Zum einen sei keinesfalls klar, dass eine “konventionelle Bauweise” zwangsläufig zu höheren Kosten führen würde. Wirtschaftliche Gründe, die eine Abweichung vom Grundsatz der losweisen Vergabe zu tragen vermögen, lägen nur vor, wenn eine Aufteilung in Lose zu einer unverhältnismäßigen Verteuerung der Gesamtleistung oder einer deutlichen Verzögerung des Gesamtvorhabens führen würde. Bei der in der Ausschreibung angelegten Systemoffenheit könne ein möglicher Skaleneffekt nur in der Wiederverwendung von einzelnen Planungsteilen liegen. Es sei allerdings stets eine Anpassungsplanung an die örtlichen Bedingungen erforderlich und es seien durch die Auftraggeber quasi immer zusätzliche Planungs- und Bauleistungen zu beauftragen und zuvor auszuschreiben (siehe oben). Feuerwehrhäuser seien keine im Bauordnungsrecht privilegierten Vorhaben; unterlägen also ganz normalen Genehmigungsverfahren. Das eröffne eine Vielzahl von Gründen für Nachverhandlungen und zusätzliche Vergütungen für den Auftragnehmer. Ein wirtschaftlicherer Beschaffungsweg sei damit nicht verbunden und nicht seitens des Antragsgegners belegbar. Skaleneffekte entstünden erst bei großen Stückzahlen (deutlich größer 50 Stück), und zwar auch nur dann, wenn die Objekte exakt gleich seien. Das sei hier wegen der notwendigen örtlichen Anpassungen nicht gegeben. Es liege nahe, dass eine Fertigbauweise tatsächlich durch den Antragsgegner ausdrücklich favorisiert werde und er der Überzeugung sei, die erhofften Effekte allein durch diese Bauweise erreichen zu können. Das Regel-Ausnahmeverhältnis der Losvergabe werde damit jedoch vergaberechtswidrig ausgehebelt. Eine besondere Dringlichkeit sei ebenfalls nicht vorhanden, die Festlegung auf modulare Standardgebäude stamme bereits aus der Legislaturperiode 2016 – 21, die Landesarbeitsgruppe bestünde spätestens seit 2021, Raumentwürfe lägen spätestens seit April 2022 vor. Mögliche Gemeinden stehen zum Abruf gar nicht fest. In dem Zeitraum könnte jegliches andere Vergabeverfahren erfolgreich abgewickelt werden. Das Beschaffungsziel der seriellen Errichtung von Musterfeuerwehrhäusern könne der Antragsgegner durch eine Musterplanung sowie die in jedem Fall erforderlichen örtlichen Anpassungen durch ein entsprechend qualifiziertes, separat beauftragtes Planungsteam HOAI-konform erreichen, vgl. § 11 Abs. 3 HOAI. Der Antragsgegner biete keinen belastbaren Beleg, dass nur die Beschaffung von Planungs- und Bauleistungen aus einer Hand durch die von dem Antragsgegner gewählte Beschaffungsart – Rahmenvereinbarung in serieller Fertigung – dazu führt, dass die Gemeinden und Städte wirtschaftlich und möglichst schnell normgerechte Feuerwehrhäuser beschaffen können. Hierfür wären eine Vielzahl außerhalb des Vergaberechts liegender Fragen, Fachfragen des Planers und des Bauens, zu klären. Sie begründet den Akteinsichtsantrag damit, dass sie für die im Totalunternehmerauftrag enthaltenen Planungsleistungen

– Objektplanung Gebäude und Innenräume, §§ 33 ff. HOAI

– Brandschutznachweis, Heft 17 der AHO-Schriftenreihe

Interesse am Auftrag habe. Hierauf beziehe sich das Rechtsschutzinteresse. Daran werde die Antragstellerin durch die hier vorgenommene Totalunternehmervergabe gehindert.

Die Antragstellerin beantragt mit Schriftsatz vom 26.07.2024 u. a.

– festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 4 und 6 GWB verletzt ist, und geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen der Antragstellerin zu verhindern, insbesondere, indem das Verfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in den Stand vor Bekanntmachung zurückversetzt, die Ausschreibung in Lose aufgeteilt wird,

– dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der für die notwendige Rechtsverfolgung entstandenen Aufwendungen aufzuerlegen,

– festzustellen, dass die Beiziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin erforderlich war.

Der Antragsgegner beantragt u. a.

– den Nachprüfungsantrag abzulehnen,

– die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch den Antragsgegner für notwendig zu erklären,

– der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufgewandten Kosten des Antragsgegners aufzuerlegen.

Mit Schriftsatz vom 12.07.2024 trägt der Antragsgegner vor, dass ein Bedarf der Gemeinden für den Neubau von 252 Feuerwehrhäusern in M-V bestehe, davon 163 mit zwei Stellplätzen. Dem Feuerwehrwesen kommt für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eine herausragende Bedeutung zu, weshalb hier dringender Handlungsbedarf bestehe. Das Land werde neben der Erweiterung/Sanierung bestehender und dem Neubau “konventioneller” Feuerwehrhäuser den Neubau von Musterfeuerwehrhäusern fördern. Der Gesamtunternehmer solle danach für den Antragsgegner als Auftraggeber die Musterfeuerwehrhäuser planen. Über Einzelverträge können die Gemeinden dann den Totalunternehmer mit der Errichtung des Musterfeuerwehrhauses beauftragen. Ausgehend von den geschätzten Baukosten pro Musterfeuerwehrhaus mit … EUR und den geschätzten Kosten für die einmalige Planungsleistung liege der geschätzte Auftragswert damit für die geschätzte Abnahmemenge von … Musterfeuerwehrhäusern bei … EUR netto. Der Auftragshöchstwert – bei einer Errichtung der maximal möglichen Menge von … Musterfeuerwehrhäusern – liege bei … EUR netto.

Er trägt weiter vor, dass es notwendig, aber auch ausreichend sei, wenn sich der Kreis der Bezugsberechtigten einer Rahmenvereinbarung bestimmen lasse. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Erwägungsgrundes 60 der RL 2014/24/EU sei es ausreichend, wenn der Kreis der Bezugsberechtigten etwa durch Bezugnahme auf eine bestimmte Kategorie von öffentlichen Auftraggebern in einem umgrenzten geografischen Gebiet definiert werde. Ausweislich dieses Wortlauts sei eine konkrete Benennung der Abrufberechtigten somit nicht notwendig. Bei einer Rahmenvereinbarung der hier ausgeschriebenen Gestaltungsart handele es sich um den Abschluss eines Vertrages zu Gunsten Dritter. In einem ähnlich gelagerten Fall habe auch das Bayerische Oberste Landesgericht bereits 2005 entschieden, dass es ausreichend ist, wenn die abrufberechtigten Stellen in der Rahmenvereinbarung bzw. den Vergabeunterlagen abstrakt umschrieben würden. Ein Vertrag zu Gunsten Dritter könne selbst für noch nicht gegründete oder erst geplante juristische Personen vereinbart werden. Es sei dabei ausreichend, dass die Person des Dritten nach sachlichen oder persönlichen Kriterien bestimmbar sei. Die Bezugnahme auf alle Städte und Gemeinden im Land M-V umschreibe den Kreis der potenziell Abrufberechtigten dabei abschließend und konkret genug.

Zu bedenken sei dabei auch, dass eine Rahmenvereinbarung auch keine Sperrwirkung dergestalt entfalte, dass die Abrufberechtigten die Leistung nicht auch selbst durch eine gesonderte Ausschreibung beschaffen dürften. Anders als von der Antragstellerin behauptet, liege bei einer Beschaffung eines Feuerwehrgebäudes außerhalb der hier ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung keine Doppelausschreibung vor. Ausweislich des Erwägungsgrundes 61 zur RL 2014/24 EU entstehe mit dem Abschluss einer Rahmenvereinbarung keine Abrufverpflichtung. Sie sperre auch keine weitere Ausschreibung, da der Beschaffungsbedarf mit dem Abschluss der Rahmenvereinbarung noch nicht befriedigt wurde. Gesonderte Einzelvergaben seien auch an einer bestehenden Rahmenvereinbarung vorbei möglich. Eine Ausschließlichkeit der Rahmenvereinbarung sähen weder die Vergabeunterlagen noch die Vertragsentwürfe vor.

Der Grundsatz der eindeutigen und erschöpfenden Beschreibung gelte nur für den Leistungsgegenstand einer Rahmenvereinbarung. Was nicht Teil einer Ausschreibung sei, müsse auch nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben werden. Der zu erbringende Leistungsumfang werde in der Leistungsbeschreibung, im Rahmenvertrag und im Einzelvertrag eindeutig und erschöpfend beschrieben. Was von diesem beschriebenen Leistungsumfang nicht umfasst ist, sei nicht Teil der Leistungspflicht des Auftragnehmers der Rahmenvereinbarung und daher von den abrufenden Städten und Gemeinden selbstverständlich, sofern notwendig, selbstständig zu beschaffen. Sei es durch eigenes Personal oder durch selbst beauftragte Unternehmen, deren Leistung selbstverständlich auch ausgeschrieben werden muss. Dies stehe jedoch in der Verantwortung der Abrufenden.

Vom Grundsatz der losweisen Vergabe könne abgewichen werden, wenn technische oder wirtschaftliche Gründe wie vorliegend dies erfordern. Die Ausschreibung sei explizit systemoffen gehalten. Ziel der Vergabe solle eine Lösung sein, die schnell und kostengünstig bei allen Abrufberechtigten realisiert werden kann. Eine kostengünstige Lösung werde durch mögliche Skaleneffekte erzielt. Diese sollten entstehen, indem zum einen die wesentliche Planungsleistung bereits erbracht worden seien und beim Abruf nur noch geringe Anpassungen an die örtlichen Gegebenheiten notwendig würden. Vertragsgegenstand des Einzelvertrages solle explizit nur die Errichtung eines Feuerwehrhauses gemäß den zwei Entwürfen der Rahmenvereinbarung sein. Es solle also nicht möglich sein, größere Änderungen an den Planungen vorzunehmen oder gar einen gänzlich anderen Planungsentwurf zu verlangen. Zum anderen sollte ein Skaleneffekt aber vor allem durch eine Harmonisierung der Bauweise entstehen. Es werde angestrebt, eine Lösung zu ermitteln, die eine einheitliche und damit kostengünstige Bauweise in allen abgerufenen Fällen ermögliche. Dies schließe explizit auch Fertigbauweisen mit ein, beschränkt sich aber nicht auf diese. Würden Planung und Bau getrennt vergeben, würde man jedoch gerade Fertigbauweisen ausschließen. Ein Architekt könne im Rahmen des wettbewerblichen Dialogs und der weiteren Leistungsphasen nicht sinnvoll abschätzen, welche Möglichkeiten im Rahmen des Herstellungsprozesses der Bauteile bestehen, wenn derjenige, der den Bau ausführen soll, noch gar nicht feststeht und wenn der Planer nicht in dessen Arbeitsabläufe eingebunden sei. Im Rahmen des Dialogs könne der Planer somit keine ansatzweise valide Aussage zu möglichen Kosten treffen oder zu sinnvollen Planungen, um Skaleneffekte im Rahmen der Herstellung von Serienfertigteilen zu erzielen. Zudem wäre nicht gewährleistet, dass der bezuschlagte Entwurf in einer kostengünstigen Serienbauweise überhaupt umsetzbar sei, wenn nicht bereits im Rahmen des Dialogs auch die Möglichkeiten der tatsächlichen Realisierung des Entwurfs mittels Fertigbauteilen oder anderen Bauweisen besprochen werden könne. Dies verstärke sich noch, da es zum aktuellen Zeitpunkt keinen etablierten Markt für Feuerwehrhäuser in z.B. Fertigbauweise gebe, auf den sich ein Planer im Rahmen einer getrennten Vergabe der Planungsleistungen beziehen könne. Ein Festhalten an der Trennung von Planung und Bau würde das Land und die abrufenden Städte und Gemeinden letztendlich wieder auf eine konventionelle Bauweise festlegen, welche zu höheren Kosten führe, da gerade in der Umsetzung der Planung keine Skaleneffekte erzielt werden könnten. Das Vergaberecht könne einen Auftraggeber nicht dazu zwingen, eine unwirtschaftlichere Beschaffung durchzuführen, indem er auf eine bestimmte Lösungsart festgelegt werde. Die grundsätzlichen Ziele des Vergaberechts, zu denen auch eine wirtschaftliche Beschaffung gehört, seien im Rahmen der Abwägung zwischen dem Mittelstandsschutz und der Rechtfertigung einer Gesamtvergabe genauso im Blick zu behalten Der Antragsgegner beantragt die Akteneinsicht vollständig abzulehnen, da es der Antragstellerin bereits an der Antragsbefugnis fehle, weil sie kein Interesse an dem öffentlichen Auftrag habe. Es sei zwar zutreffend, dass ein Interesse am Auftrag auch ohne Angebotsabgabe gegeben sein kann, wenn der Antragsteller wegen des geltend gemachten Vergabeverstoßes gehindert ist, die ausgeschriebene Gesamtleistung zu erbringen. Dies setze aber voraus, dass das Beschaffungsvorhaben nach Beseitigung des geltend gemachten Vergabeverstoßes noch existiere. Jedenfalls in der Form des “Musterfeuerwehrhauses” sei aber das Beschaffungsvorhaben an die Beschaffung von Planungs- und Bauleistungen aus einer Hand geknüpft. Anderenfalls läge nur die Beschaffung einer “Musterplanung”, nicht aber eines “Musterfeuerwehrhauses” vor. Das Beschaffungsziel liege aber gerade in der seriellen Errichtung von “Musterfeuerwehrhäusern”. Neben der wirtschaftlicheren Beschaffung wären für die Festlegung dieses Beschaffungsbedarfs der Zeitfaktor und die Standardisierung normgerechter Feuerwehrhäuser maßgeblich. Den Gemeinden solle die Möglichkeit geschaffen werden, wirtschaftlich und möglichst schnell normgerechte Feuerwehrhäuser zu beschaffen. Der Antragsgegner verweist auf das “Gutachten zu vergaberechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Ausschreibung eines Musterfeuerwehrhauses”. Hierdurch sei der Antragsgegner zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ausschreibung eines Musterfeuerwehrhauses im Sinne einer seriellen Herstellung voraussetzt, dass Planung des Musterfeuerwehrhauses und dessen Errichtung aus einer Hand kommen müssten. Soweit die Antragstellerin die Rahmenvereinbarung angreife, fehle ihr ebenfalls die Antragsbefugnis, weil sie kein Interesse haben könne, hierfür ein Angebot abzugeben. Auch wenn die Antragstellerin auf Seite 4 der Antragsbegründung ihr Rechtsschutzinteresse und damit den Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ausdrücklich auf die vorgenommene Totalunternehmervergabe beschränke, fehle es ihr an der Antragsbefugnis gem. § 160 Absatz 2 GWB, weil es ohne die Totalunternehmervergabe den Beschaffungsvorgang nicht gebe. Der Antragstellerin könne aufgrund des fehlenden Interesses am Auftrag auch kein Schaden drohen. Die behaupteten Vergabeverstöße lägen nicht vor.

Akteneinsichtsbeschluss und Akteneinsicht in die freigegebenen Dokumente datieren vom 30.08.2024. In Vorbereitung der Akteneinsicht fragt die Vergabekammer den Antragsgegner mit E-Mail vom 27./28.09.2024, wo er seine Abwägungen zu seinen Entscheidungen für die Gesamtvergabe (§ 97 Absatz 4 Sätze 1-3 GWB: Regel-Ausnahmeverhältnis) oder zu der Rahmenvereinbarung gemäß § 2 Satz 1 i. V. m. § 21 VgV in der vorgesehenen Form abschließend dokumentiert hat (vermuteter Hochladefehler). Der Antragsgegner teilt per E-Mail vom 30.08.2024 bezugnehmend auf die Anfrage mit, dass es sich bei der Datei “2023_11_23 Gutachten Musterfeuerwehrhaus.pdf” um die Dokumentation der Abwägung und Rechtfertigung einer “Totalunternehmervergabe” und “Rahmenvereinbarung” handelt. Am 02.09.24 wurde die Nachfrage der Vergabekammer und die Antwort des Antragsgegners der Antragstellerin zur Kenntnis gegeben.

Nach der Akteneinsicht bemängelt die Antragstellerin mit Schriftsätzen vom 06. und 10.09.2024 u.a. das nunmehr zutage getretene Fehlen und unzulässige Nachschieben der Dokumentation nach § 8 VgV.

Mit Schriftsatz vom 06.09.2024 ergänzt der Antragsgegner, dass das Gutachten Musterfeuerwehrhaus aus dem November 2023 Grundlage für die Entscheidung des Antragsgegners das Vergabeverfahren als Wettbewerblichen Dialog einzuleiten war, in dem Planungs- und Bauleistungen in einem Rahmenvertrag vergeben werden sollen. Es sei bisher nicht hinreichend dokumentiert, dass der Auftraggeber sich dieses Gutachten als Grundlage für diese Entscheidung zu eigen gemacht habe. Diese ausreichende und damit zulässige Nachholung erfolge rechtswirksam über das als Anlage beigefügte Dokument des Antragsgegners (mit Datum 05.09.2024), da insoweit der Transparenzgrundsatz hinter dem Beschleunigungsgebot zurücktrete. Durch die nachgeholte Dokumentation werde eine umfassende Abwägung der Entscheidung des Antragsgegners für eine Gesamtvergabe klargestellt. Die Entscheidung beruhe auf sachlichen Gründen und sei willkürfrei. Für den Antragsgegner bestätigt … in der Anlage ausdrücklich, sich die gutachtlich dargelegten Abwägungsgründe für die zusammenfassende Vergabe in dem Vergabeverfahren Wettbewerblicher Dialog und für die Wahl der Vertragsart Rahmenvereinbarung zu eigen zu machen.

Ergänzend führt er aus:

– das Beschaffungsvorhaben fällt in die Gestaltungsfreiheit des Auftraggebers und liegt innerhalb seines Dispositionsrahmens,

– durch die Skalierungseffekte werden Kostenersparnisse eintreten,

– ursprünglich war eine getrennte Vergabe von Planungs- und Bauleistungen beabsichtigt,

– das Beschaffungsziel der seriellen Herstellung eines “Musterfeuerwehrhauses” sei innovativ und solle deshalb in einem Vergabeverfahren “Wettbewerblicher Dialog” entwickelt werden,

– eine Verengung auf nur eine von einem Planer entwickelte Lösungsmöglichkeit entspricht nicht dem Beschaffungsziel, bereits mit der Zuschlagserteilung ein in einem Rahmenvertrag abrufbares seriell, zu geringen und feststehenden Kosten herzustellendes “Musterfeuerwehrhaus” zu beauftragen,

– der Dialog muss sowohl mit Planungsunternehmen als auch mit Bauunternehmen geführt werden, weil gerade die Kenntnis der Produktionsprozesse, der Kalkulation und der Bauausführung neben den Kenntnissen der planerischen Anforderungen für die Entwicklung eines abrufbereiten seriell hergestellten Gebäudes erforderlich sind,

– es handelt sich hier um technische Gründe für die zusammenfassende Vergabe der Planungs- und Bauleistungen,

– dem Auftraggeber war bewusst, dass zur Wahrung mittelständischer Interessen öffentliche Aufträge grundsätzlich gemäß § 97 Absatz 4 GWB nach Fach- und Mengenlosen aufzuteilen sind. Es hat deshalb eine umfassende Interessenabwägung stattgefunden zu den Interessen der Planer und der Bauunternehmen,

– das Interesse des Landes als Auftraggeber an einer Entwicklung eines “Musterfeuerwehrhauses” steht diesen entgegen.

In der mündlichen Verhandlung am 09.09.2024 stellt die Ast ihre Anträge vom 26.07.2024 und der Antragsgegner die Anträge vom 12.07.2024.

21Auf die weiteren Ausführungen in den Schriftsätzen wird verwiesen.

II.

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

a. Die Antragstellerin ist antragsbefugt gemäß § 160 Absatz 2 GWB. Bei der Auslegung des § 160 Absatz 2 GWB ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu beachten, dass die Norm den Zugang zum vergaberechtlichen Rechtsschutzsystem regelt, das den Anforderungen der Rechtsschutzgarantien des Unionsrechts, des Art. 19 Abs. 4 GG und des sich aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden allg. Justizgewährungsanspruchs genügen muss und dass der Rechtsschutz im Grundsatz über eine Sachentscheidung zu gewähren ist. Daher ist das Interesse am Auftrag weit auszulegen und eine Rechtsverletzung nur zu verneinen, wenn sie ausgeschlossen erscheint (vgl. Dicks/Schnabel in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Auflage 2024, GWB § 160, Rn. 8, 9 m. w. N.). Ihr Interesse an dem öffentlichen Auftrag (§ 160 Absatz 2 Satz 1 GWB), der als Totalunternehmerleistung für Planung und Bau ausgeschrieben wurde, hat die Antragstellerin durch ihre fristgemäße Rüge dokumentiert. Weiter hat sie als mittelständisches Unternehmen mit dem Leistungsspektrum Feuerwehrhäuser und andere Gebäude dieser Größenordnung dargelegt, gerade durch den behaupteten Verstoß gegen Vorschriften des Vergaberechts, insbesondere den sie bieterschützenden § 97 Absatz 4 Sätze 1 – 3 GWB bezogen auf die Gesamtvergabe, an der Abgabe eines Teilnahmeantrags gehindert gewesen zu sein. Die geltend gemachten Rechtsverletzungen der Vergabevorschriften gemäß § 97 Absatz 6 GWB durch den Antragsgegner sind auf Grundlage der Sachdarstellung nicht völlig ausgeschlossen. Die erforderliche Schadensdarlegung (§ 160 Absatz 2 Satz 2 GWB) ist durch Hinweis auf die Unmöglichkeit der Teilnahme an dem als wettbewerblicher Dialog ausgeschriebenen Vergabeverfahren und den daraus folgenden Verlust der Chance auf den Auftrag erfolgt. Auch an die Darlegung des Schadens werden nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes – wie insgesamt bei der Antragsbefugnis – keine hohen Anforderungen gestellt. Es genügt, wenn ein Schadenseintritt durch die geltend gemachte Rechtsverletzung ursächlich und nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. Dicks/Schnabel in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Auflage 2024, GWB § 160, Rn. 12 ff, m. w. N.).

b. Die Rügen der Antragstellerin genügen den zu stellenden inhaltlichen Anforderungen. Nachprüfungsantrag und Rügen sind fristgemäß gemäß § 160 Absatz 3 Nr. 2 GWB gestellt worden. Es genügt, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür dargelegt werden, die den Verdacht hervorrufen, dass es zu einem Vergaberechtsfehler gekommen sein könnte (vgl. Schäfer/Wiese in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Auflage 2020, § 160 GWB, Rn. 141, m. w. N.). Dies ist hier durch die Ausführungen in der Rüge geschehen. Das von der Antragstellerin nach der Akteneinsicht mit Schriftsätzen vom 06. und 10.09.2024 bemängelte, erst jetzt zutage getretene Fehlen und unzulässige Nachschieben der Dokumentation nach § 8 VgV, erfüllt die Rügefunktion. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine formale Rüge zu erst in der Akteneinsicht zutage getretenen Fehlern bzw. unzulässigem Nachschieben der Dokumentation nach § 8 VgV im Nachprüfungsverfahren entbehrlich, da die Funktion der Rüge zur Korrektur durch den Auftraggeber und dadurch Vermeidung von Nachprüfungsverfahren entfallen ist.

2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet; die Antragstellerin ist in ihren Rechten aus § 97 Absätze 4 Sätze 1-3 und 6 GWB verletzt.

A. Dokumentation und Gesamtvergabe

Der Antragsgegner hat 1) seine Pflichten nach § 8 VgV zur Dokumentation der erforderlichen Sachverhaltsfeststellung und darauf basierenden Abwägungen verletzt und darüber hinaus 2) die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums bei der Entscheidung für die Gesamtvergabe überschritten.

1) Dokumentation

Eine Dokumentation entsprechend den Anforderungen des über § 2 Satz 1 VgV anzuwendenden § 8 VgV ist nicht erfolgt und war auch kausal für die Rechtsverletzung der Antragstellerin. Die beanstandete Dokumentation ist gerade in Bezug auf die gerügten Vergaberechtsverstöße unzureichend. Die nach § 8 Absatz 1 VgV in Textform zu erstellende Urkunde ist regelmäßig aufgrund der Beweissicherungsfunktion mit dem Datum zu versehen und zu unterschreiben. Dies dient nicht nur der Herstellung der Rechtsverbindlichkeit, sondern ermöglicht auch die spätere Feststellung, wer der maßgebliche Entscheidungsträger des niedergelegten Verfahrensschrittes war und wann die Entscheidung getroffen wurde. Schon vor Beginn des Vergabeverfahrens trifft der Auftraggeber Entscheidungen, welche dokumentationsbedürftig sind. Dazu gehören etwa die willkürfreie Festlegung des Beschaffungsbedarfs, die Auswahl der Verfahrensart, die Frage der vorgenommenen oder auch unterlassenen Losaufteilung (vgl. Röwekamp / Kus / Marx / Portz / Prieß, Kommentar zur VgV, 2. Auflage 2022, § 8 VgV, Rn. 3 ff).

Das als erstes Dokument in die Vergabeakte eingefügte “Gutachten zur vergaberechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Ausschreibung eines Musterfeuerwehrhauses” (Mustergutachten) unter dem Briefkopf der im Nachprüfungsverfahren bevollmächtigten Rechtsanwaltskanzlei und unterschrieben von RA … enthält rechtsgutachtliche Ausführungen zur Anwendbarkeit von Rahmenverträgen, Totalunternehmervergabe und wettbewerblichem Dialog in Bezug auf eine Ausschreibung von zwei Musterfeuerwehrhäusern durch das Land M-V. Als “Ergebnis” wird unter III. festgestellt, dass eine Rahmenvereinbarung für abrufberechtigte Gemeinden durch das “Land ausgeschrieben werden kann”, die Durchführung eines wettbewerblichen Dialogs “sinnvoll erscheint” und eine “Gesamtvergabe wäre voraussichtlich begründbar”. Diesem “Ergebnis” vorausgehend wird die Begründbarkeit einer Gesamtvergabe beleuchtet, u.a. mit der Argumentation, dass Systemoffenheit und Wirtschaftlichkeit eine Gesamtvergabe bedingen, um auch Fertighauslösungen, die das Land in Betracht zieht oder aus zeitlichen Gründen evtl. favorisiert, zuzulassen. Dabei wird unter Zugrundelegung von nicht begründeten Annahmen zu fehlenden Kenntnissen von Architekten in dem besonders interessierenden Bereich von Fertighauslösungen, zu Herstellungsprozessen und -kosten und insbesondere Skalierungseffekten ausgegangen, weshalb die Ausschreibung alleine einer Planung eines Musterfeuerwehrhauses nicht ausreichen kann.

Die Frage der Vergabekammer an den Antragsgegner nach den abschließend dokumentierten Abwägungen zu seinen Entscheidungen für die Gesamtvergabe (§ 97 Absatz 4 Sätze 1-3 GWB: Regel-Ausnahmeverhältnis) oder zu der Rahmenvereinbarung gemäß § 2 Absatz 1 Satz 1 i. V. m. § 21 VgV in der Vergabeakte wurde damit beantwortet, dass das Gutachten Musterfeuerwehrhaus die Dokumentation der Abwägung und Rechtfertigung einer “Totalunternehmervergabe” und “Rahmenvereinbarung” enthalte. Bis zum Schriftsatz vom 06.09.2024 hat sich der Antragsgegner diese Ausführungen im Mustergutachten nicht “zu eigen” gemacht. Die o.g. Entscheidungen müssen jedoch durch den öffentlichen Auftraggeber selbst getroffen werden. Die Vergabeakte muss erkennen lassen, dass die in den einzelnen Stufen des Vergabeverfahrens zu treffenden Entscheidungen von dem Auftraggeber selbst getroffen wurden und nicht etwa von einem mit Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens beauftragten Ingenieurbüro oder einem sonstigen beauftragten Sachverständigen (vgl. Röwekamp / Kus / Marx / Portz / Prieß, Kommentar zur VgV, 2. Auflage 2022, § 8 VgV, Rn. 10 ff). Die Dokumentation dient zunächst aus Sicht eines Bewerbers bzw. Bieters dem Ziel, einen effektiven Primärrechtsschutz zu gewährleisten und es sowohl dem Bewerber bzw. Bieter als auch den Nachprüfungsinstanzen im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens zu ermöglichen, den Gang des Vergabeverfahrens nachvollziehen und kontrollieren zu können. Die Dokumentation ist somit der zentrale Schlüssel für ein wettbewerblich strukturiertes Vergabeverfahren (vgl. Röwekamp / Kus / Marx / Portz / Prieß, Kommentar zur VgV, 2. Auflage 2022, § 8 VgV a.a.O.). Die Möglichkeit der Heilung von Dokumentationsmängeln ist in der Rechtsprechung anerkannt (BGH, Beschluss vom 08.02.2011 – X ZB 4/10). Eine wegen Dokumentationsmängeln erforderliche Wiederholung der betroffenen Verfahrensabschnitte soll nach Auffassung des BGH den Fällen vorbehalten bleiben, in denen zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten (vgl. Röwekamp / Kus / Marx / Portz / Prieß a.a.O.) Die Nachprüfungsinstanzen müssen mithin unterscheiden zwischen dem zu dokumentierenden Mindestinhalt und solchen Gesichtspunkten, die zur nachträglichen Rechtfertigung der sachlichen Richtigkeit der angegriffenen Vergabeentscheidung vom öffentlichen Auftraggeber angeführt werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2021, Verg 21/20, 22/20, 23/20; Beschluss vom 13.04.2016, Verg 46/15). Ein Auftraggeber darf seine Erwägungen im Laufe des Nachprüfungsverfahrens folglich ergänzen und präzisieren, um die sachliche Richtigkeit seiner Vergabeentscheidung zu verteidigen (Goede/Hänsel in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 8 VgV Rn. 13). Er kann jedoch nicht in Bereichen, in welchen ihm ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zusteht, während der Nachholung den mangelhaft dokumentierten Vorgang erstmals vertieft prüfen oder eine Dokumentation durchführen. Die Entscheidung eines Auftraggebers muss daher bereits in der während des Vergabeverfahrens angefertigten Dokumentation angelegt sein (Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, BeckOK Vergaberecht, 29. Ed., § 8 VgV Rn. 58; OLG Celle v. 31.03.2020, 13 Verg 13/19). Kann die Vergabeentscheidung im Nachhinein nicht mehr aufgeklärt werden oder ist die Begründung nicht nachvollziehbar, zwingt der Mangel in der Dokumentation grundsätzlich zur Wiederholung des Vergabeverfahrens (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2021 – Verg 23/20 Rn. 73).

So liegt es hier. Der Antragsgegner begründet seine Entscheidung, den streitgegenständlichen Auftrag im Wege der Gesamtvergabe und als Rahmenvereinbarung im wettbewerblichen Dialog zu vergeben erstmalig als nachgeholte Dokumentation in dem Vermerk vom 05.09.2024 und durch das erst dann “zu eigen machen” des Gutachtens. Der schriftsätzliche Vortrag des Antragsgegners im Verlauf des Nachprüfungsverfahrens entspricht im Wesentlichen dem in diesen Dokumenten. Damit ist die Entscheidung des Antragsgegners nicht in der erforderlichen Weise in einer während des Vergabeverfahrens angefertigten Dokumentation angelegt gewesen, so dass keine Heilung durch Nachholung im Nachprüfungsverfahren erfolgen konnte und eine Wiederholung des Vergabeverfahrens erforderlich ist.

2) Gesamtvergabe

Die Antragstellerin ist in dem bieterschützenden Recht nach § 97 Absatz 4 Satz 2 GWB auf losweise Vergabe zum Schutz mittelständischer Interessen verletzt. Nach Auffassung der Vergabekammer hat der Antragsgegner die Grenzen des ihm zustehenden und nur begrenzt überprüfbaren Beurteilungsspielraums überschritten. Er hat seine Entscheidung für die Gesamtvergabe im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative nicht fehlerfrei und auf der Grundlage einer vollständigen und zutreffenden Sachverhaltsermittlung im konkreten Fall getroffen. Es kam weiter darauf an abzuwägen, in welchem Umfang vorhabenspezifische Vor- und Nachteile hinzutreten, deren Gewichtung im Einzelfall vorzunehmen ist. Von der Rechtsprechung wird gefordert, dass sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegensprechenden Gründen auseinandersetzt und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange trifft, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen (vgl. OLG Rostock 17 Verg 1/24 m.w.N.). Die Sachverhaltsermittlung und die darauf basierenden Abwägungen genügen vorliegend nicht für eine beanstandungsfreie Entscheidung für die Gesamtvergabe.

Der Antragsgegner hat die vom Gesetzgeber zur Begründung einer Gesamtvergabe (als Ausnahme von der Vergabe in Fach-, Teillosen) vorgeschriebenen Sachverhaltsermittlungen und vorzunehmenden Abwägungen nicht ausreichend in der Vergabeakte dokumentiert und damit nicht rechtswirksam zugrunde gelegt. Die Entscheidung für eine Gesamtvergabe wird jedoch auch nicht bei Berücksichtigung der im Nachprüfungsverfahren schriftsätzlich eingeführten und den zusätzlich durch den Antragsgegner kurz vor der mündlichen Verhandlung erstmals durch Vermerk als Abwägung dargelegten bzw. dann aus dem Gutachten zu eigen gemachten Gründe getragen.

Nach herrschender Rechtsprechung steht dem öffentlichen Auftraggeber im Rahmen seiner Beschaffungsautonomie ein weitreichendes Bestimmungsrecht zu, “Was” er beschaffen möchte. Die vergaberechtlichen Grenzen, ggfls. auch für eine Gesamtvergabe, sind grundsätzlich gewahrt, wenn die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist und dafür nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe vorliegen, wobei die Festlegung willkür- und diskriminierungsfrei sein muss. Das “Wie” unterfällt dem vergaberechtlichen Regelungswerk. (vgl. OLG Frankfurt v. 14.05.2018 – 11 Verg 4/18 m.w.N.).

Aus dem Wortlaut der ausgeschriebenen Totalunternehmerleistung für die Planung und den Bau von Feuerwehrhäusern ist nicht ersichtlich, dass der vom Antragsgegner in der Bekanntmachung definierte Beschaffungsgegenstand: Planung und Bau von Feuerwehrhäusern, in zwei Varianten, Bauart systemoffen, Zuschlag auf den wirtschaftlichsten Vorschlag, von vorneherein eine losweise Vergabe ausschließt. Auch ein, trotz der systemoffen gehaltenen Bauart, in den Vergabeunterlagen erkennbares Beschaffungsziel des Antragsgegners in Form von zwei Varianten serieller Musterfeuerwehrhäuser incl. Bodenplatte zu einem Festpreis, schließt eine losweise Vergabe von der Sache her nicht aus. Denn die vom Antragsgegner vorgenommene Verknüpfung sämtlicher Planungsleistungen und aller Bauleistungen zu einer Gesamtvergabe, die als Totalunternehmerleistung erbracht werden soll, betrifft nur das “Wie”, insoweit geht es nicht mehr um das von der Beschaffungshoheit gedeckte “Was”. Das “Wie” der Beschaffung ist den Detailregelungen des Vergaberechts unterworfen und damit den Anforderungen des § 97 Absätze 4 Sätze 1-3 GWB zum Regel-Ausnahmeverhältnis als Voraussetzung für eine von der losweisen Vergabe abweichende Gesamtvergabe (vgl. OLG Frankfurt v. 14.05.2018 – 11 Verg 4/18).

Auch wenn dem Vortrag des Antragsgegners betreffend seine Beschaffungsautonomie für das verschiedentlich angeführte serielle Musterfeuerwehrhaus einschließlich Bodenplatte zum Festpreis als Gesamtvergabe – entgegen vorstehender Feststellung – gefolgt würde, wäre seine Entscheidung für die Gesamtvergabe nicht fehlerfrei und auf der Grundlage einer vollständigen und zutreffenden Sachverhaltsermittlung im konkreten Fall getroffen worden. Die von der herrschenden Rechtsprechung angewandte Stufentheorie verlangt grundsätzlich zur Wahrung der vergaberechtlichen Grenzen, dass die Bestimmung des Auftragsgegenstands sachlich gerechtfertigt ist und dafür nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe vorliegen, wobei die Festlegung willkür- und diskriminierungsfrei sein muss (1. Stufe). Seit der Neufassung des § 31 Absatz 1 VgV werden zusätzlich zumindest eine Markterforschung und Wirtschaftlichkeitsabwägungen gefordert (vgl. (vgl. Zimmermann in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 6. Aufl., § 31 VgV (Stand: 15.09.2022), Rn. 19; Ziekow/Völlink, Vergaberecht 5. Auflage 2024 § 127 GWB zu 97 Absatz 4 GWB Rn. 82 ff m.w.N), so dass das Prüfungsprogramm dem nach § 97 Absatz 4 Sätze 1-3 GWB weitgehend angeglichen ist (dessen unterschiedslose direkte Anwendung wird bereits gefordert bzw. erwogen vgl. Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 97 Rn. 194 ff). Die damit für die 1. Stufe nach obenstehendem Maßstab (einschließlich Anforderungen Neufassung § 31 Absatz 1 VgV) vorgenommenen Sachverhaltsermittlungen als Grundlage für die darauf basierenden Abwägungen genügen jedoch bereits in ihrer Sachverhaltsermittlung und Argumentation und ohne erkennbare Markterforschung und Wirtschaftlichkeitsabwägungen nicht für eine beanstandungsfreie Entscheidung zur Gesamtvergabe. Im Ergebnis wären daher auch hier auf der 2. Stufe die nachfolgenden Anforderungen des § 97 Absatz 4 Sätze 1-3 GWB zum Regel-Ausnahmeverhältnis zu prüfen.

Die ausgeschriebene Totalunternehmerleistung “Musterfeuerwehrhaus” enthält unstreitig eine Vielzahl an planerischen und baufachlichen Fach- und Teilleistungen, für die es jeweils einen eigenständigen Markt bzw. Marktsegmente gibt. Die Antragstellerin macht als mittelständisches Architekturbüro, das auch im Bereich des Feuerwehr- und Rettungswachenbaus tätig ist, ihr Interesse an den Planungsleistungen Objektplanung Gebäude und Innenräume, §§ 33 ff. HOAI und Brandschutznachweis, Heft 17 der AHO-Schriftenreihe für die Errichtung von einem oder mehreren Feuerwehrhäusern geltend, woran sie durch die Gesamtvergabe gehindert ist.

Nach dem Wortlaut des § 97 Absatz 4 Sätze 1 bis 3 GWB – dessen Inhalt von § 5 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 bis 3 EU VOB/A wiederholt wird – sind Leistungen in Losen zu vergeben und es kann hiervon nur dann abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Durch die Regelung sollten die Nachteile der mittelständischen Wirtschaft gerade bei der Vergabe großer Aufträge mit einem Volumen, das die Kapazitäten mittelständischer Unternehmen überfordern könnte, ausgeglichen werden. Ziel ist, die Mittelstandsklausel dadurch in ihrer Wirkung zu verstärken. Deshalb sollte von dem Gebot der Losvergabe nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden können (BT-Drucksache 16/10117, S. 15). Dabei ist § 97 Absatz 4 GWB im Kontext der primären Ziele des Vergaberechts auszulegen, zu denen insbesondere auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung gehört. Auch die weiteren Grundsätze des Vergaberechts (Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit) sowie die vom Gesetzgeber in § 97 Absatz 3 GWB normierten strategischen Ziele (Qualität, Innovation, soziale und umweltbezogene Aspekte) sind im Blick zu behalten.

Überzeugend führt der Antragsgegner in Vermerk und Mustergutachten aus, dass die Unterstützung der freiwilligen Feuerwehren durch das Land im Interesse der Allgemeinheit liegt und von großer Bedeutung ist, womit z.B. auch strategische Ziele belegt sind. Auch der Bedarf an dem Neubau von Feuerwehrhäusern mit Unterstellmöglichkeit für neu angeschaffte, größere Einsatzwagen und Gerät wurde abgefragt und ist schlüssig dargelegt.

Mit Blick auf diese Grundsätze und strategischen Ziele, wären neben der Innovation (serielles Musterfeuerwehrhaus) auch z.B. die Ziele der Verhältnismäßigkeit (z.B. Auftragsvolumen), der Umweltaspekte (z.B. durch Anbauten statt Neubauten zur Flächenschonung) sowie des Erhalts des Wettbewerbs und der mittelstandsverstärkenden Wirkung des § 97 Absatz 4 Satz 1 GWB zu ermitteln und in die Abwägung einzustellen gewesen. Durch die Ausschreibung des Rahmenvertrags durch das Land (im Ergebnis vergleichbar einer zentralen Beschaffungsstelle für die Gemeinden) ist aufseiten des öffentlichen Auftraggebers, eine “Bündelung der Nachfragemacht” eingetreten, die mit ihren Auswirkungen in die Erwägungen einzubeziehen wäre (vgl. Röwekamp / Kus / Portz / Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, entsteht 5. Auflage 2020, § 97 GWB Rn. 180; Gesetzesbegründung der Bundesregierung v. 13.08.2008 zu Nr. 2, § 97a, BT-Drucks. 16/10117). Als Folge dieser Bündelung werden bis zu rund … Millionen EUR in vier Jahren durch die Totalunternehmervergabe dem Markt in der Fläche und damit einer Vielzahl an Planungsbüros und Bauunternehmen entzogen. Einzubeziehen ist auch, dass die Losaufteilung mittelständische Unternehmen gerade in die Lage versetzen soll, sich eigenständig und nicht nur in Bietergemeinschaften zu bewerben (OLG Düsseldorf 4.3.2004 – Verg 8/04). Weiter dient die losweise Vergabe von Aufträgen in erster Linie der Wettbewerbsförderung, der Gleichbehandlung sowie auch der Erhaltung eines breit gestreuten Marktes, der die wirtschaftlichen Beschaffungsmöglichkeiten langfristig sichert, was ebenfalls abzuwägen ist (OLG Düsseldorf v. 11.07.2007, Verg 10/07). Hierbei verbleiben nur die geringen durch die Gemeinden selbst zu vergebenden Leistungen vor Ort.

Es fehlt auch an der (widerspruchsfreien) Darlegung technischer und wirtschaftlicher Gründe im Sinne des § 97 Absatz 4 Satz 3 GWB. Darunter sind solche zu verstehen, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zum Erreichen des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen.

Soweit u.a. schriftsätzlich Ausführungen zur Komplexität der Gesamtmaßnahme, im Gutachten wirtschaftliche und im Vermerk hingegen technische Gründe angeführt werden, die ein “Erfordern” der gemeinsamen Vergabe von Fach- und Teillosen begründen sollen (hier als Gesamtvergabe) fehlt offensichtlich, mindestens bei den wirtschaftlichen Gründen, eine Sachverhaltsermittlung als Grundlage.

Im Hinblick auf das Vorliegen von technischen Gründen beruft sich der Antragsgegner lediglich auf die erforderliche “Verzahnung der Planungsleistungen mit der Bauausführung, um im Dialog ein seriell hergestelltes “Musterfeuerwehrhaus” entwickeln und abrufbereit anzubieten zu können. Eine Marktanalyse zu bereits bestehenden technischen Lösungen in artverwandten Anwendungsgebieten z.B. das aktuelle 2023 beschaffte THW-Bauprogramm mit serieller Bauweise als Baukastensystem, hätte für individuelle Anpassungen Vorort in die Abwägungen einbezogen werden können.

Die im Mustergutachten auf Seite 12 angeführten wirtschaftlichen Gründe beziehen sich darauf, dass die Aufteilung in Lose zu einer unverhältnismäßigen Verteuerung und Verzögerung des Bauvorhabens führen können, dies sei bereits bei Mehrkosten von 14% der Fall. Auch hier fehlt jegliche Sachverhaltsermittlung. Anerkannt ist jedoch vielmehr, dass regelmäßig bei Gesamt-/Totalunternehmervergaben mit rund 20% höheren Kosten im Vergleich zur losweisen Vergabe zu rechnen ist. Eine fundierte Wirtschaftlichkeitsberechnung einschließlich Risikobetrachtung ist aber bei einem Verzicht auf jegliche Losbildung zu fordern, bloße Zweckmäßigkeitserwägungen reichen nicht aus. Auch ist z.B. zunächst vertieft darzustellen, warum nicht zumindest eine Losbildung innerhalb der Bauleistungen oder eine getrennte Vergabe von Planungs- und Bauleistungen hätte erfolgen können (vgl. OLG Frankfurt v. 14.05.2018 – 11 Verg 4/18 Rn. 75, 79 ff). Eine Gesamtvergabe muss erhebliche wirtschaftlichen Vorteile bringen, welche in der Dokumentation dezidiert benannt und beziffert werden müssen (z.B. vorläufige Wirtschaftlichkeitsberechnung der Gesamtvergabe im Vergleich zur losweisen Vergabe oder eine Parallelausschreibung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit (Handkommentar zur VOB Heiermann/Riedl/Rusam Bauer § 5 VOB/AEU auf Ausführungen § 5 VOBA Rn 33 zur Feststellung der größeren Wirtschaftlichkeit bei Zweifeln entsprechen einer üblichen Praxis).

Es fehlt damit in der Vergabeakte (auch unter Heranziehung der nicht rechtswirksam nachgeholten Abwägungen im Nachprüfungsverfahren) die Dokumentation der Abwägung sachlich rechtfertigender, für die Wirtschaftlichkeit sprechender und plausibler Gründe auf der Grundlage einer zutreffenden Sachverhaltsermittlung für die Entscheidung zur Beschaffung nach diesem Maßstab durch den Antragsgegner. Eine an Sachargumenten (einschließlich wirtschaftlicher Aspekte) orientierte, wenn auch nicht notwendig von der Vergabekammer geteilte, Dokumentation einer plausiblen Entscheidung auf der Grundlage einer zutreffenden Sachverhaltsermittlung, die jegliches willkürliche und diskriminierende Verhalten des Antragsgegners ausschließt, ist nicht dargelegt und eine Gesamtvergabe aufgrund des Leistungsbestimmungsrechts damit nicht begründet.

B. Rahmenvertrag und wettbewerblicher Dialog

Die Antragstellerin ist nicht durch die Gestaltung der Abrufberechtigung des ausgeschriebenen Rahmenvertrags nach § 103 Absatz 5 GWB, § 21 VgV in ihren Rechten verletzt.

Die gerügte Einbeziehung aller Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern als Abrufberechtigte des Rahmenvertrags in der Auftragsbekanntmachung: “Es ist beabsichtigt, dass das Land das Vergabeverfahren durchführt und die Städte und Gemeinden nach Zuschlagserteilung selbständig entscheiden können, ob sie die Leistungen des bezuschlagten Bieters entsprechend den im Vergabeverfahren festgelegten Bedingungen in Anspruch nehmen.”, 5.1.2 Erfüllungsort Zusätzliche Information: Alle Gemeinden im Land M-V.” stellt keine Rechtsverletzung dar.

Die Rüge hat als Hintergrund einerseits den explizit von der EU-Kommission so bezeichneten Charakter der Rahmenvereinbarungen als »geschlossene Systeme«, die nur den von Anfang an feststehenden Vertragspartnern zur Verfügung stehen (ebenso in GWB, VgV und VOB/A EU Literatur und Rechtsprechung) und die oben genannte offene Gestaltung der Beteiligung der abrufberechtigten Gemeinden in der Ausschreibung, ohne auch nur eine vorhergehende (zustimmende) Interessenbekundung zur Ausschreibung. In der Literatur wird z.T. zum Kreis der Abrufberechtigten (vgl. Röwekamp / Kus / Marx / Portz / Prieß, Kommentar zur VgV, 2. Auflage 2022, § 21 VgV Rn. 50) noch differenziert zwischen z.B. der Möglichkeit der Nachbenennung von abrufberechtigten Institutionen: ausschließlich entsprechend transparent einbezogene Behörden bzw. Dienststellen des Auftraggebers (z. B. des Bundes) und eigenständigen Rechtspersonen (z. B. Anstalten des öffentlichen Rechts), die nicht nachbenannt werden können (mit Bezug auf eine Entscheidung VK Bund, v. 24. April 2012 – VK 2 – 169/11, die noch vor der aktuellen Richtlinie ergangen ist).

Die Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen in § 103 Absatz 5 GWB und des über § 2 Satz 1 VgV anzuwendende § 21 VgV gründen auf Art. 33 Abs. 2 UA 2 RL 2014/24/EU. Danach handelt es sich bei einer Rahmenvereinbarung um eine Vereinbarung zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern und einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern, die dazu dient, die Bedingungen für die Aufträge, die im Laufe eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge. Diese Verfahren dürfen nur zwischen jenen öffentlichen Auftraggebern angewandt werden, die zu diesem Zweck im Aufruf zum Wettbewerb oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung eindeutig bezeichnet worden sind, und jenen Wirtschaftsteilnehmern, die zum Zeitpunkt des Abschlusses Vertragspartei der Rahmenvereinbarung waren.

Erläuternd sagt der Erwägungsgrund 60 der RL 2014/24/EU aus: “Das Instrument der Rahmenvereinbarungen findet breite Anwendung und wird europaweit als eine effiziente Beschaffungsmethode angesehen. Daher sollte daran weitgehend festgehalten werden. Bestimmte Aspekte bedürfen jedoch der Präzisierung, insbesondere, dass Rahmenvereinbarungen nicht durch öffentliche Auftraggeber in Anspruch genommen werden sollten, die in diesen nicht genannt sind. Zu diesem Zweck sollten die öffentlichen Auftraggeber, die von Anfang an Partei einer bestimmten Rahmenvereinbarung sind, eindeutig angegeben werden, entweder namentlich oder durch andere Mittel, wie beispielsweise eine Bezugnahme auf eine bestimmte Kategorie von öffentlichen Auftraggebern innerhalb eines klar abgegrenzten geografischen Gebiets, so dass die betreffenden öffentlichen Auftraggeber ohne Weiteres und eindeutig identifiziert werden können. Außerdem sollten nach dem Abschluss einer Rahmenvereinbarung keine neuen Wirtschaftsteilnehmer aufgenommen werden können.

Dies bedeutet beispielsweise, dass eine zentrale Beschaffungsstelle, die ein Gesamtverzeichnis öffentlicher Auftraggeber oder ihrer Kategorien – wie lokaler Gebietskörperschaften in einem bestimmten geografischen Gebiet – verwendet, die auf Rahmenvereinbarungen zurückgreifen können, die die zentrale Beschaffungsstelle geschlossen hat, dabei dafür sorgen sollte, dass nicht nur die Identität des betreffenden öffentlichen Auftraggebers nachprüfbar ist, sondern auch der Zeitpunkt, ab dem dieser öffentliche Auftraggeber die von der zentralen Beschaffungsstelle geschlossene Rahmenvereinbarung nutzen kann, da durch diesen Zeitpunkt bestimmt wird, welche konkreten Rahmenvereinbarungen dieser öffentliche Auftraggeber nutzen darf.”

Die ausdrückliche Nennung “lokaler Gebietskörperschaften in einem bestimmten geografischen Gebiet” sieht die Vergabekammer als klaren Hinweis darauf, dass auch die Gemeinden und Städte in M-V alleine durch die in der Ausschreibung vorgenommene Bezugnahme auf eine “bestimmte Kategorie von öffentlichen Auftraggebern innerhalb eines klar abgegrenzten geografischen Gebiets”, ohne ein weiteres “Bekenntnis der Kommunen zu dieser Einbeziehung” abrufberechtigt sind. Dies wird auch durch die Entscheidung des EuGHs, der mit Urteil vom 19.12.2018 (C-216/17) festgestellt hat, dass eine später abrufberechtigte Stelle nicht zwangsläufig an der Unterzeichnung der Rahmenvereinbarung beteiligt gewesen sein muss. Durch die klare Bezeichnung und daraus folgend eindeutige Identifizierbarkeit der Abrufberechtigten handelt es sich bei der Regelung in der Ausschreibung um eine EUrechtskonforme Einbeziehung aller Städte und Gemeinden in M-V und nicht um eine bei Abruf unzulässige Nachbenennung.

Eine Entscheidung zu weiteren Rügen der Antragstellerin, die Bestimmtheit der Rahmenvereinbarung betreffend und die Beurteilung der Rüge zur Wahl des wettbewerblichen Dialogs nach § 119 Absatz 6 GWB, §§ 3, 3a VOB/EU entfällt, da bei fortbestehendem Beschaffungsbedarf die dann maßgebliche Gestaltung ausschlaggebend sein wird.

III.

53Grundlage der Kostenentscheidung ist § 182 GWB in Verbindung mit dem Verwaltungskostengesetz vom 23.06.1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14.08.2013 geltenden Fassung (VwKostG 1970), § 80 VwVfG M-V.

54Nach § 182 Absatz 3 Satz 1 GWB trägt der unterliegende Beteiligte die Kosten des Verfahrens. Für die Amtshandlungen der Vergabekammern werden nach § 182 Abs. 1 S. 1 GWB Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Die Gebühr beträgt mindestens 2.500 EUR (§ 182 Absatz 2 Satz 1 Halbsatz 1 GWB) und soll den Betrag von 50.000 EUR nicht überschreiten (§ 182 Absatz 2 Satz 2 Halbsatz 1 GWB). Die Bedeutung bzw. der wirtschaftliche Wert würden sich hier nach dem wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin richten, das im Auftragswert (Gesamt-Bruttoauftragssumme) zum Ausdruck käme. Gemäß § 8 Absatz 1 Nr. 2 VwKostG des Bundes, Stand 1970, fallen die Länder jedoch unter die persönliche Gebührenfreiheit. Auslagen werden wegen Geringfügigkeit nicht erhoben.

55Der von der Antragstellerin geleistete Vorschuss in Höhe von 2.500 EUR wird an diese ausgekehrt.

562. Die Aufwendungen der Antragstellerin sind nach § 182 Abs. 4 S. 1 GWB durch den Antragsgegner zu tragen. Der im Ergebnis durchgreifende Erfolg des Nachprüfungsantrags der Antragstellerin bedingt die vollständige Niederlage des Antragsgegners.

57Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin war notwendig. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten ist nach der Rechtsprechung auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu beurteilen. Durch den Charakter des Vergabenachprüfungsverfahrens als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren ist für die Bieter, d.h. Antragsteller und Beigeladenen im Regelfall die Hinzuziehung eines Rechtsbeistands als notwendig anzuerkennen. Sind die Rechtsfragen nicht schwerpunktmäßig auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen, sondern treten solche des Nachprüfungsverfahrens und des materiellen Vergaberechts hinzu, wird die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten regelmäßig auch für den öffentlichen Auftraggeber angenommen. Im vorliegenden Verfahren war die anwaltliche Vertretung insbesondere erforderlich, da die Komplexität der Rechtsmaterie, die gebotene Eile der Schriftsatzerstellung sowie die Herstellung der “Waffengleichheit” vor der Vergabekammer für eine sachgerechte Vertretung dies notwendig machten (vgl. Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Pries, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Auflage, § 182 GWB Rn. 31, 32 m.w.N.).

IV.

(…)

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (1)

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (1)

Ausschluss eines Angebots wegen Änderungen der Vergabeunterlagen nur wenn der Auftraggeber die Vorgaben, die der Bieter modifiziert haben soll, eindeutig und unmissverständlich formuliert hat

von Thomas Ax

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs korrespondiert mit der Ausschlusssanktion für Angebote, welche geforderte Erklärungen nicht enthalten (§ 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV), die Verpflichtung der Auftraggeber, die Vergabeunterlagen so eindeutig zu gestalten, dass die Bieter ihnen deutlich und sicher entnehmen können, welche Erklärungen von ihnen in welchem Stadium des Vergabeverfahrens abzugeben sind. Genügen die Vergabeunterlagen dem nicht, darf der Auftraggeber ein Angebot nicht ohne weiteres wegen Fehlens einer entsprechenden Erklärung aus der Wertung nehmen, sondern muss dieses Defizit der Vergabeunterlagen ausgleichen und den Bietern Gelegenheit geben, die fraglichen Erklärungen nachzureichen (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2013 – X ZR 155/10 und Urteil vom 3. April 2012 – X ZR 130/10). Auch ein Ausschluss eines Angebots wegen Änderungen der Vergabeunterlagen gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV kommt nur in Betracht, wenn der Auftraggeber die Vorgaben, die der Bieter modifiziert haben soll, eindeutig und unmissverständlich formuliert hat.

VergabePrax 07-25 – Von der Redaktion

VergabePrax 07-25

Von der Redaktion

Kaum ein Rechtsgebiet befindet sich so im Wandel wie das Vergaberecht und hat so viele Fallstricke. Gleichzeitig bestehen im formalen Korsett des Vergaberechts für die Vergabestellen nicht unerhebliche Gestaltungsspielräume. So regelt das Vergaberecht beispielsweise nicht, wann Bieter als geeignet anzusehen sind und anhand welcher Kriterien mit welchem Gewicht das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln ist. Mit unserer VergabePrax geben wir Auftraggebern einen umfassenden Überblick über die rechtssichere Durchführung von Vergabeverfahren im Liefer-, Dienstleistungs- und Baubereich. Wir verschaffen dem Einsteiger in das Vergaberecht einen profunden Überblick über die Rechtsmaterie. Zugleich dient die VergabePrax dem Beschaffungsprofi, der bereits in den verschiedenen Vergabeordnungen “zu Hause” ist, als strukturiertes Update. Nur wer den aktuellen formalen Rahmen, aber auch die bestehenden Gestaltungsspielräume, typische Fehlerquellen und die Möglichkeiten zur Fehlerheilung im laufenden Verfahren kennt, kann Beschaffungsverfahren zielgerichtet und zeitnah zum Abschluss bringen. Die VergabePrax  vermittelt das nötige Rüstzeug und zeigt die bestehenden Möglichkeiten und Grenzen praxisgerecht auf. Ziel unserer VergabePrax ist es aber auch und insbesondere, Bewerbern und Bietern das für sie relevante Vergabewissen zu vermitteln, um sich erfolgreich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen. Vergaberecht wird praxisbezogen dargestellt und zwar auf dem neusten Stand der Rechtsprechung. Es ergeben sich Bewerber- und Bieterstrategien. Es werden beleuchtet und eigeordnet typische Problemkonstellationen im Vergabeverfahren. Auch in Heft 7 haben wir wieder praktische Problemstellungen, Tipps und Tricks aus der Praxis sowie konkrete Fragestellungen aus der Rechtsprechung erörtert und beantwortet. Und zwar für beide Seiten am Tisch! VergabePrax: eine Fachzeitschrift von Expertinnen und Experten für Praktikerinnen und Praktiker!

Aus der VergabePraxis: Nachforderungen nach § 56 VgV oder Aufklärung des Angebotsinhalts?

Aus der VergabePraxis: Nachforderungen nach § 56 VgV oder Aufklärung des Angebotsinhalts?

von Thomas Ax

Zwischen Nachforderungen nach § 56 VgV und der Aufklärung des Angebotsinhalts ist streng zu unterscheiden. Eine Nachforderung von Unterlagen ist nur im Rahmen der Grenzen des § 56 Abs. 2 und 3 VgV zulässig. Danach ist die Nachreichung von Unterlagen nur für leistungsbezogene Unterlagen, die nicht die Wirtschaftlichkeitsbewertung betreffen und unternehmensbezogene Unterlagen zulässig. Die Korrektur fehlerhafter Unterlagen ist nach § 56 Abs. 2 VgV nur für unternehmensbezogene Unterlagen zulässig. Die Aufklärung nach § 15 Abs. 5 VgV wiederum erlaubt keine Änderung des Angebots, also keine Nachreichung von Unterlagen und auch weder die Anforderung fehlender Bestandteile des Angebots noch die Korrektur von Angebotsunterlagen (vgl. Ziekow/Völlink/Steck VgV § 15 Rn. 22; Beck VergabeR/Dörn VgV § 15 Rn. 28). Die Aufklärung ist nur zulässig, soweit die Angaben für die ordnungsgemäße Prüfung des Angebots benötigt werden (Ziekow/Völlink/Steck VgV § 15 Rn. 21). Nach § 56 Abs. 3 VgV ist eine Nachforderung von Unterlagen, die der Wirtschaftlichkeitsbewertung dienen, nicht zulässig. Eine Nachforderung von fehlenden Unterlagen ist im Übrigen auch nur dann möglich, wenn die fraglichen Unterlagen nicht mit dem Angebot eingereicht wurden, nicht aber, wenn sie fehlerhaft waren. Eine Korrektur von Unterlagen ist nach § 56 Abs. 2 VgV nur für unternehmensbezogene Unterlagen vorgesehen. Darum handelt es sich bei den Tourenplänen allerdings nicht. Die Korrektur von wertungsrelevanten Unterlagen ist hingegen ausgeschlossen, soweit es nicht um offensichtliche Fehler geht (vgl. EuGH, Urteil vom 29. 03. 2012 − C-599/10; Beck VergabeR/Haak/Hogeweg VgV § 56 Rn. 42; Ziekow/Völlink/Steck VgV § 56 Rn. 12a). Ist bereits die Nachforderung als solche rechtswidrig und hätte gar nicht erfolgen dürfen, können aus nachgeforderten Unterlagen keine negativen Rechtsfolgen für den Bieter gezogen werden.

Pressemitteilung – AxVergaberecht: GeoLaB mit auf den Weg gebracht

Pressemitteilung - AxVergaberecht: GeoLaB mit auf den Weg gebracht

AxVergaberecht hat das Vergabeverfahren zur Beauftragung der Erkundungsbohrungen erfolgreich vergabe- und vertragsrechtlich begleitet

GeoLaB ist ein Forschungsprojekt zur zukünftigen Nutzung von Erdwärme (Geothermie) für eine sichere Energieversorgung. Besonders viel von dieser Wärme schlummert tief unter der Erde in heißem, kristallinem Gestein. Mit GeoLaB soll in einem Forschungslabor unter der Erde erforscht werden, wie man diese Wärmequelle nachhaltig erschließen und nutzen kann, um Häuser und Wohnungen in Zukunft zu heizen. Das Forschungslabor GeoLaB umfasst einen etwa 1 bis 2 km langen, horizontalen Stollen. Mit einem Durchmesser von etwa sechs Metern führt er in den Berg hinein. Von diesem Stollen gehen kleine Seitenbohrungen in das Tromm-Gesteinsmassiv für unterschiedliche Versuche. Hier können Experimente gut kontrolliert direkt im Gestein durchgeführt und mit einem dichten Netzwerk an Sensoren und Analysewerkzeugen beobachtet werden.

Erkundungsbohrungen

Auf der Tromm wird in die Tiefe gebohrt, um die geologischen Schichten noch genauer zu erkunden (Erkundungsbohrungen). Der Bohrplatz liegt südwestlich des Naturspielortes auf der Tromm. Die Bohrbaustelle wurde mit einer 10 Meter hohen Schallschutzwand umbaut, um die Schallemissionen stark zu reduzieren.

Die erste Bohrung wurde in den Monaten Februar und März 2025 ca. 500 Meter tief in den Untergrund gebohrt. Sie wurde über die gesamte Bohrstrecke hinweg gekernt. Diese Kerne werden im Nachgang der Bohrung von Forschenden des GeoLaB Teams intensiv untersucht. Beispielsweise gehen wir der Frage nach, welche Permeabilität, also Durchlässigkeit, oder Porosität das Gestein aufweist. Nach der Bohrung fanden im April Tests und Messungen im Bohrloch statt, um die geologischen Eigenschaften noch genauer zu bestimmen. Es wurde insbesondere untersucht, wie geklüftet der Untergrund ist und ob und wie deutlich der Untergrund wasserdurchlässig ist.

Die Ergebnisse der ersten Bohrung sind für GeoLaB sehr interessant: In der Bohrung wurden über 500 Meter Granitoide vorgefunden. Aktuell laufen noch die Ergebnisauswertungen der Untersuchungen. Man kann jedoch schon sagen, dass in vielen Tiefenbereichen geklüftete Zonen identifiziert werden konnten, die Hinweis auf gewisse Wasserdurchlässigkeiten des Untergrundes geben.

Wegen der interessanten ersten Ergebnisse wird eine zweite Erkundungsbohrung vom selben Bohrplatz aus durchgeführt. Diese wird abgelenkt durchgeführt, damit ein weiterer Bereich des Tromm-Massivs unter die Lupe genommen werden kann. Die Bohrung ist am 26. Mai gestartet und wird Ende Juli beendet sein. 

Geplant ist, nach Abschluss aller Untersuchungen nach der zweiten Bohrung die gesamte Baustelle zurückbauen.

Ax Vergaberecht
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