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VergMan ® Breaking – News: Auftragswertberechnung geändert

VergMan ® Breaking - News: Auftragswertberechnung geändert

Architektenleistungen sollten stets im Leistungswettbewerb vergeben werden, da sie im Vorhinein nicht eindeutig beschrieben werden können. Nur so lässt sich verhindern, dass sich ein Auftraggeber durch die Auswahl des billigsten Angebots schlechte Planung einkauft. Das gilt ganz besonders nach der Neufassung der HOAI zum 1.1.2021.

Eine Anpassung des Vergaberechts an die Einführung neuer elektronischer Standardformulare („eForms“) für EU-Bekanntmachungen und an weitere europarechtliche Anforderungen ist am 24. August 2023, in Kraft getreten.

Ebenfalls wurde die Auftragswertberechnung geändert: Durch Streichung von § 3 Absatz 7 Satz 2 VgV haben sich die bisherigen Regelungen zur Auftragswertberechnung bei (gleichartigen) Planungsleistungen geändert. Unter Berücksichtigung, dass das zugrundeliegende Vertragsverletzungsverfahren noch nicht beendet ist, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen klarstellende Erläuterungen veröffentlicht:

die Streichung von § 3 Absatz 7 Satz 2 VgV, § 2 Absatz 7 Satz 2 SektVO und § 3 Absatz 7 Satz 3 VSVgV in der Verordnung zur Anpassung des Vergaberechts an die Einführung neuer elektronischer Standardformulare („e-Forms“) für EU-Bekanntmachungen und an weitere europarechtliche Anforderungen (eForms-VO, BGBl. 2023 I Nr. 222) war europarechtlich geboten. Diese Sonderregelung („gleichartige Planungsleistungen“) ist in der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe und in der  Richtlinie 2014/25/EU über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeberim Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste vom 26. Februar 2014 nicht enthalten.

Die Regelungen in § 3 Absatz 7 Satz 2 VgV, § 2 Absatz 7 Satz 2 SektVO wurden daher aufgehoben. Für § 3 Absatz 7 Satz 3 VSVgV war eine entsprechende Streichung als Folgeänderung ebenfalls erforderlich. Damit ist klargestellt, dass bei der Auftragswertberechnung nach § 3 Absatz 7 VgV, § 2 Absatz 7 SektVO und § 3 Absatz 7 VSVgV bei Planungsleistungen nicht nur Lose über gleichartige Leistungen zusammenzurechnen sind und dass für Planungsleistungen grundsätzlich dieselben Regeln zur Auftragswertberechnung wie für sonstige Dienstleistungen gelten.

Ergänzend zu den bereits in der Begründung zu der Verordnung zur Anpassung des Vergaberechts an die Einführung neuer elektronischer Standardformulare („eForms“) für EU-Bekanntmachungen und an weitere europarechtliche Anforderungen gegebenen Hinweisen (vgl. S. 26 ff. der Bundestagsdrucksache 20/6118) werden in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen folgende klarstellenden Erläuterungen zur Verfügung gestellt. Sie sollen einer rechtssicheren, unionsrechtskonformen Anwendung der maßgeblichen Normen dienen, können einer Prüfung im Einzelfall durch die jeweilige Vergabestelle und einer etwaigen Auslegung durch die Spruchpraxis der Vergabekammern und der Oberlandesgerichte aber nicht vorgreifen:

1.

Die maßgeblichen Methoden zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts ergeben sich aus Art. 5 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Art. 16 der Richtlinie 2014/25/EU. Zu beachten ist insbesondere jeweils Absatz 3, wonach die Wahl der Methode zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts nicht in der Absicht erfolgen darf, die Anwendung dieser Richtlinie zu umgehen. Eine Auftragsvergabe darf nicht so unterteilt werden, dass sie nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, es sei denn, es liegen objektive Gründe dafür vor (keine willkürliche Aufteilung). Umgesetzt wurde dies in § 3 Absatz 2 VgV und § 2 Absatz 2 SektVO, eine vergleichbare Regelung enthält § 3 Absatz 2 VSVgV.

2.

Für die Auftragswertberechnung ist – unabhängig von einer etwaigen Losbildung – zunächst zu bestimmen, inwieweit ein einheitlicher Auftrag vorliegt. Hierbei ist eine „funktionale Betrachtung“ heranzuziehen. Diese hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 05.10.2000, Kommission/Frankreich, C-16/98, für Bauaufträge entwickelt. Im Urteil vom 15.03.2012, Autalhalle, C-574/10, hat der EuGH diese funktionale Betrachtung auch auf Dienstleistungsaufträge angewandt. Ein einheitlicher Gesamtauftrag liegt demnach vor, sofern dessen Teilleistungen in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht eine innere Kohärenz und eine funktionelle Kontinuität aufweisen. Beide Entscheidungen liegen vor den heute maßgeblich geltenden Vergaberichtlinien. Die Europäische Kommission geht dabei davon aus, dass eine „andere Natur von Dienstleistungsaufträgen“ nicht als Begründung herangezogen werden kann, um von einer funktionalen Betrachtungsweise abzusehen. Ob Planungsleistungen, die in ihrer Art auf unterschiedliche Weise erbracht werden, in funktionalem Zusammenhang stehen und zusammenzurechnen sind, ist daher im Einzelfall von der jeweiligen Vergabestelle zu prüfen und zu dokumentieren. In Betracht kommt diese Prüfung insbesondere z.B. bei Bodengutachten oder Machbarkeitsstudien in einer frühen Vorplanungsphase.

3.

Ausweislich Erwägungsgrund 8 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Erwägungsgrund 10 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2014/25/EU sollen die öffentlichen Auftraggeber sowohl die getrennte als auch die gemeinsame Vergabe von Aufträgen für die Planung und die Ausführung von Bauleistungen vorsehen können. Die Richtlinien bezwecken nicht, eine gemeinsame oder getrennte Vergabe für die Planung und die Ausführung von Bauleistungen vorzuschreiben. Im nationalen Recht sind öffentliche Bauaufträge definiert in § 103 Absatz 3 GWB, die Vergabe öffentlicher Bauaufträge richtet sich nach § 2 VgV. Für die Auslegung von Begriffen sind außerdem die Begriffsbestimmungen der Richtlinie 2014/24/EU in Art. 2 maßgeblich. Zu beachten ist, dass danach „öffentliche Bauaufträge“ öffentliche Aufträge mit einem der folgenden Ziele sind: a) Ausführung oder sowohl die Planung als auch die Ausführung von Bauleistungen im Zusammenhang mit einer der in Anhang II der Richtlinie genannten Tätigkeiten; b) Ausführung oder sowohl die Planung als auch die Ausführung eines Bauvorhabens; c) Erbringung einer Bauleistung durch Dritte — gleichgültig mit welchen Mitteln — gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber, der  einen entscheidenden Einfluss auf die Art und die Planung des Vorhabens hat, genannten Erfordernissen.

4.

Ungeachtet von Art. 5 Absätze 8 und 9 können nach Art. 5 Absatz 10 der Richtlinie 2014/24/EU (bzw. der entsprechenden Regelungen in den Richtlinien 2014/25/EU und 2009/81/EG) öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe einzelner Lose von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichen, wenn der geschätzte Wert des betreffenden Loses ohne MwSt. bei Lieferungen oder Dienstleistungen unter 80 000 EUR und bei Bauleistungen unter 1 000 000 EUR liegt (vgl. § 3 Absatz 9 VgV). Allerdings darf der kumulierte Wert der in Abweichung von dieser Richtlinie vergebenen Lose 20 Prozent des kumulierten Werts sämtlicher Lose, in die das Bauvorhaben, der vorgesehene Erwerb gleichartiger Lieferungen oder die vorgesehene Erbringung von Dienstleistungen unterteilt wurde, nicht überschreiten, vgl. Art. 5 Absatz 10 RL 2014/24/EU (sowie Art 16 Absatz 10 RL 2014/25/EU bzw. Art. 9 Absatz 5 RL 2009/81/EG).

5.

Mittelständische Interessen sind – unter Beachtung der unionsrechtlichen Regelungen zur öffentlichen Auftragsvergabe – in Ausschreibungen für Planungsleistungen weiterhin zu wahren (vgl. § 97 Absatz 4 GWB).

Diese sollen Orientierung und Unterstützung bieten. Sie können jedoch nicht eine Prüfung durch die jeweilige Vergabestelle, die Rechtsanwendung oder Rechtsberatung im Einzelfall oder die Rechtsauslegung durch die Vergabekammern und Oberlandesgerichte vorwegnehmen oder ersetzen.

Sprechen Sie uns gerne an.

Gewusst wie: bei substantiiert festgestelltem Fehlen von Wettbewerb ist das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit einem Bieter zulässig

Gewusst wie: bei substantiiert festgestelltem Fehlen von Wettbewerb ist das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit einem Bieter zulässig

von Thomas Ax

Gemäß § 119 Abs. 5 Alt. 2 i. V. m. § 14 Abs. 4 VgV kann der öffentliche Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 VgV vergeben. Nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV ist ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zulässig, wenn zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist. Darüber hinaus gelten nach § 14 Abs. 6 VgV die Voraussetzungen des Abs. 4 Nr. 2 lit. b) für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nur dann, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist.

Die Vorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV, die Art. 32 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU umsetzt, ist als Ausnahmetatbestand eng auszulegen und anzuwenden. Angesichts der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb sollten Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung, einer Auftragsbekanntmachung nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen zur Anwendung kommen. Die Ausnahme sollte auf Fälle beschränkt bleiben, in denen von Anfang an klar ist, dass eine Veröffentlichung nicht zu mehr Wettbewerb oder besseren Beschaffungsergebnissen führen würde, nicht zuletzt, weil objektiv nur ein einziger Wirtschaftsteilnehmer in der Lage ist, den Auftrag auszuführen (Erwägungsgrund 50 der Richtlinie 2014/24/EU). Der öffentliche Auftraggeber hat dabei das objektive Fehlen von Wettbewerb darzulegen und zu beweisen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17). Hierbei sind stichhaltige Belege beizubringen, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen ergibt, (EuGH, Urteil vom 15.10.2009, Rs. C-275/08; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.2013 – Verg 24/13). Die Gründe für die Wahl des Verfahrens sind ordnungsgemäß und sorgfältig sowie vor allem nachvollziehbar vom öffentlichen Auftraggeber zu dokumentieren.

Der vom Auftraggeber zu führende Nachweis des objektiven Fehlens von Wettbewerb muss durch eine umfassende Marktanalyse im Zweifel eine solche auf europäischer Ebene erfolgen (EuGH, Urteil vom 15.10.2009 – Rs. C-275/08).

Die Anforderungen an den Umfang der von einem öffentlichen Auftraggeber in diesem Zusammenhang anzustellenden Ermittlungen, bevor er ausnahmsweise auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren verzichten darf, sind konsequenterweise ebenfalls hoch (VK Bund, Beschluss vom 23.10.2019 – VK 1-75/19). Die Rechtsprechung verlangt diesbezüglich “ernsthafte Nachforschungen auf europäischer Ebene” (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2009 – Rs. C-275/08) bzw. die Beibringung “stichhaltiger Beweise” (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17). Der 50. Erwägungsgrund der RL 2014/24/EU nennt als ein Beispiel dafür, was vom Auftraggeber dazulegen und zu beweisen ist, um zu Recht auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren zu verzichten, dass es für andere “Wirtschaftsteilnehmer technisch nahezu unmöglich ist, die geforderte Leistung zu erbringen”.

Zwar ist eine Markterkundung mittels einer Internetrecherche nicht per se unzureichend. Die reine Auswertung der Internetpräsenz ist für eine Markterkundung jedenfalls dann nicht ausreichend, wenn bei anderen Anbietern aus anderen Quellen gewonnene Informationen herangezogen werden. Dies gilt umso mehr, wenn es sich dem öffentlichen Auftraggeber aufdrängen muss, dass in diesem Marktsegment nicht alle Informationen frei im Internet zugänglich sind.

Der Auftraggeber muss sich im ausreichenden Maße damit beschäftigen, ob vernünftige Alternativen oder Ersatzlösungen für seinen Beschaffungsbedarf überhaupt vorliegen.

Führt die Bestimmung des Auftragsgegenstands durch den öffentlichen Auftraggeber dazu, dass im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. a) oder b) VgV der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, greift das Korrektiv des § 14 Abs. 6 VgV ein, wonach die Voraussetzungen für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb, mithin eine Vergabe außerhalb des Wettbewerbs, nur dann gelten, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist.

Die Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers unterliegt damit engeren vergaberechtlichen Grenzen als dies bei Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens der Fall ist. Eine Leistungsbestimmung, die im Falle des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu einem völligen Wettbewerbsverzicht führt, bedarf größerer Rechtfertigungstiefe als eine solche, die unter Aufrechterhaltung des Vergabewettbewerbs im Ergebnis (nur) zu einer hersteller- oder produktbezogenen Leistungsspezifikation gemäß § 31 Abs. 6 VgV führt (OLG Rostock, Beschluss vom 25.11.2020 – 17 Verg 1/20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17).

Dass ein öffentlicher Auftraggeber bei einer Markterkundung im konkreten Einzelfall sodann zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt, muss der öffentliche Auftraggeber hinreichend begründen können und -dokumentieren (vgl. Dörn in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, VgV § 14 Rn. 66).

Die Rechtfertigung kann nicht im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nachträglich als Rechtfertigung für die Wahl der Verfahrensart herangezogen werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 8. Februar 2011 – X ZB 4/10) führt zwar nicht jeder Dokumentationsmangel dazu, dass eine Wiederholung der betreffenden Verfahrensabschnitte anzuordnen ist, weil anderenfalls der Ablauf des Vergabeverfahrens unangemessen beeinträchtigt werden könnte. Es ist vielmehr möglich, Dokumentationsmängel nachträglich zu heilen, etwa wenn der Auftraggeber die Dokumentation nachholt und dabei Gründe darlegt, mit denen er die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidigt und die nach Aufhebung in einem wiederholten Verfahren ohne Weiteres der Entscheidung zugrunde gelegt werden können. Dies ist allerdings dann anders zu beurteilen, wenn zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten (vgl. BGH, Urteil vom 08.02.2011 – X ZB 4/10).

Dies gilt insbesondere dann, wenn der Auftraggeber gerade in Bereichen, in denen ihm ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zusteht im Nachprüfungsverfahren erstmals in die vertiefte sachliche Prüfung der zur Rechtfertigung angeführten Problematik eingestiegen ist und damit erst die eigentlich notwendige Dokumentation vorgenommen hat, d.h. wenn die im Nachprüfungsverfahren diskutierten Probleme im Vergabevermerk noch nicht grundsätzlich angelegt gewesen sind. Eine solche verspätet durchgeführte Prüfung liegt dann nahe, wenn der Auftraggeber wesentliche, seine Beschaffungsentscheidung beeinflussende Aspekte der ursprünglichen Dokumentation nach unzutreffend beurteilt hat (OLG Celle, Beschluss vom 31.03.2020 – 13 Verg 13/19).

Will sich der Auftraggeber auf diese Rechtfertigung stützen, so erfordert dies eine neue Ermessensabwägung und Prüfung vernünftiger Alternativen und Ersatzlösungen gern. § 14 Abs. 6 VgV.

Es ist nicht ausreichend, wenn ein öffentlicher Auftraggeber das- Vorhandensein von technischen Gründen für die Rechtfertigung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) GWB lediglich behauptet. Er muss vielmehr das Vorliegen dieser Gründe substantiiert darlegen und nachweisen (vgl. EuGH, Urteil vom 15:10.2009 – Rs. C-275/08). Eine Leistungsbestimmung, die im Falle des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu einem völligen Wettbewerbsverzicht führt, bedarf einer wesentlich größeren Rechtfertigungstiefe als eine solche, die unter Aufrechterhaltung des Vergabewettbewerbs im Ergebnis zu einer hersteller- oder produktbezogenen Leistungsspezifikation gemäß § 31 Abs. 6 VgV führen würde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17).

Schätzung des Auftragswerts

Schätzung des Auftragswerts

vorgestellt von Thomas Ax

Das Gesetz enthält keine konkreten Kriterien für die Art und Weise, in der die Schätzung des Auftragswertes zu erfolgen hat. Vielmehr gilt nur die allgemeine Vorgabe, dass die Schätzung nicht in der Absicht erfolgen darf, den Auftrag dem Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts zu entziehen. Um dies sicherzustellen, bedarf es einer sorgfältigen und nachvollziehbaren Prognose anhand objektiver Kriterien. Maßstab für die sachangemessene Schätzung des Auftragswertes ist, wie sich ein umsichtiger und sachkundiger Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegments und auf dem Boden einer betriebswirtschaftlichen Finanzplanung verhalten würde.

Die diesbezüglichen Anforderungen sind umso größer, je enger die voraussichtliche Auftragssumme sich im Grenzbereich des maßgeblichen Schwellenwertes (215.000€ netto) bewegt. Ist dieser ganz eindeutig unter- oder überschritten, sind an die Schätzung vergleichsweise niedrige Anforderungen zu stellen. Ist das hingegen zweifelhaft, steigen die entsprechenden Anforderungen. Dies gilt insbesondere, aber nicht nur dann, wenn die Vergabestelle beabsichtigt, von einer EU-weiten Ausschreibung abzusehen.

Bei dem ermittelten Wert sind neben praktischen Erfahrungen z.B. einschlägige Honorarordnungen, einschlägige Indexreihen für Baukosten u. ä. heranzuziehen. Ist der Auftraggeber alleine nicht in der Lage, eine hinreichend sorgfältige Schätzung vorzunehmen, muss er sich ggf. externer Beratung bedienen.

Ebenfalls besteht die Möglichkeit, Marktteilnehmer nach ihrer Einschätzung in Bezug auf den betreffenden Auftragswert oder Teile der auszuschreibenden Leistungen zu befragen und dies in die eigene Schätzung der Vergabestelle einzubeziehen. Hingegen wäre es nicht ausreichend, sich allein auf die Aussage eines einzelnen Marktteilnehmers zu verlassen.

Ebenso werden die vorgenannten Kriterien an eine sachangemessene Schätzung nicht erfüllt, wenn die Kostenschätzung auf veralteten Daten (älter als 1 Jahr) beruht, wichtige Elemente der Kostenkalkulation schlicht außer Acht lässt oder wenn Kalkulationsgrundlagen Dritter pauschal und ungeprüft übernommen werden.

Die der Schätzung zu Grunde gelegten Kriterien und deren Ergebnisse sind in der Vergabeakte hinreichend zu dokumentieren und die Angaben zur Schätzung sind im Regelfall auch notwendiger Bestandteil des Vergabevermerks. Eine mangelhafte Dokumentation begründet einen Vergaberechtsverstoß, der dann, wenn sich die Schätzung im Ergebnis als fehlerhaft erweist, auch bei einer beabsichtigten Vergabe unterhalb der Schwellenwerte einer vergaberechtlichen Nachprüfung zugänglich ist, sofern der richtig geschätzte Auftragswert den maßgeblichen Schwellenwert erreicht oder überschreitet.

Zudem dient der geschätzte Auftragswert der haushaltsrechtlichen Mittel-/Budgetreservierung. Dies ist insbesondere relevant im Hinblick auf die Aufhebung eines Vergabeverfahrens mit Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit.

Der Schätzwert sollte einer genäherten Bestimmung des Auftragswertes entsprechen, die Schätzung muss jedoch nicht die aktuellen Marktpreise exakt widerspiegeln.

Schätzungsgrundlagen können z.B. sein

– zurückliegende Beschaffungen (max. 1 Jahr)
– Internetrecherche (Screenshots reichen)
– Angebote von Firmen (es sollte aber nicht der Eindruck erweckt werden, dass es sich um ein laufendes Vergabeverfahren handelt)
– externe Berater (wenn Fachwissen fehlt).

Beispiele für die Schätzung des Auftragswertes

1. Es liegen 2 Angebote vor

Angebot 1: 60.000€ inkl. MwSt.
Angebot 2: 55.000€ inkl. MwSt.

-> geschätzter Auftragswert= (60.000+55.000)/2 = 57.500€ inkl. MwSt.

2. Es liegen 3 Angebote vor

Angebot 1: 60.000€ inkl. MwSt.
Angebot 2: 57.000€ inkl. MwSt.
Angebot 3: 50.000€ inkl. MwSt.

-> geschätzter Auftragswert= mittleres Angebot = 57.000€ inkl. MwSt.

3. Es liegen 4 Angebote vor

Angebot 1: 60.000€ inkl. MwSt.
Angebot 2: 57.000€ inkl. MwSt.
Angebot 3: 50.000€ inkl. MwSt.
Angebot 4: 45.000€ inkl. MwSt.

-> geschätzter Auftragswert = (50.000+57.000)/2 = 53.500€ inkl. MwSt.

Bei mehr als 4 und einer ungeraden Anzahl an Angeboten errechnet sich der Schätzwert aus der Summe der Angebote geteilt durch die Anzahl der Angebote, während bei einer geraden Anzahl an Angeboten eine Rangfolge gebildet wird und der Median der beiden mittleren Angebote als geschätzter Auftragswert herangezogen wird.

VergMan ®: Wir verwenden Kreative und sichere Bewertungssysteme (2): VK Rheinland zu der Frage, ob der Bieter Unschärfen eines abstrakten Wertungssystems hinnehmen muss

VergMan ®: Wir verwenden Kreative und sichere Bewertungssysteme (2): VK Rheinland zu der Frage, ob der Bieter Unschärfen eines abstrakten Wertungssystems hinnehmen muss

vorgestellt von Thomas Ax

1. Eine Antragsbefugnis wegen einer fehlerhaften Vorabinformation gem. § 134 GWB entfällt regelmäßig, wenn der Antragsteller fristgerecht einen Nachprüfungsantrag stellen konnte. In diesem Fall ist ein Schaden in der Regel nicht denkbar, da der Inhalt der Vorabinformation keine Auswirkungen auf die Zuschlagschancen eines Bieters hat und der Zweck der Vorabinformation mit der rechtzeitigen Antragstellung erfüllt ist.

2. Enthält eine Bewertungsmatrix für eine Konzeptbewertung alle Angaben dazu, was die einzelnen Konzepte beinhalten sollen und welcher Inhalt zu welcher Bewertung führt, müssen Unklarheiten im Zusammenhang mit den Angaben der Bewertungsmatrix bei Anwendung der üblichen Sorgfalt bereits bei der Angebotserstellung auffallen und daher auch bis zur Angebotsabgabe gerügt werden. Erfolgt die Rüge nach Ablauf der Angebotsfrist tritt Präklusion gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB ein.

3. Der öffentliche Auftraggeber erteilt den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot auf der Grundlage einer Bewertung anhand der vorgegebenen Zuschlagskriterien. Für den öffentlichen Auftraggeber besteht ein von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum. Keinesfalls darf die Vergabekammer die Wertung des öffentlichen Auftraggebers durch eine eigene Wertung ersetzen.

4. Nutzt der öffentliche Auftraggeber für eine Konzeptbewertung ein abstraktes Wertungssystem, steht es einer vergaberechtskonformen Auftragsvergabe nicht entgegen, wenn der Auftraggeber für die Erfüllung qualitativer Wertungskriterien Noten mit zugeordneten Punktwerten vergibt, ohne dass die Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl abhängen soll.

5. Einem abstrakten Wertungssystem ist eine gewisse Unschärfe immanent, die im Einzelfall, je nach Bewerter, unterschiedliche „Noten“ als richtig erscheinen lassen und bei deren Bewertung subjektive Komponenten im Sinne von Einschätzungen eine wesentliche Rolle spielen.

VK Rheinland, Beschluss vom 12.05.2022 – VK 51/21

VergMan ®: Wir verwenden Kreative und sichere Bewertungssysteme (1): VK Bund zur der Frage, ob und wie qualitative Zuschlagskriterien im Rahmen eines Konzeptwettbewerbs zu bewerten sind und auch nur bewertet werden können

VergMan ®: Wir verwenden Kreative und sichere Bewertungssysteme (1): VK Bund zur der Frage, ob und wie qualitative Zuschlagskriterien im Rahmen eines Konzeptwettbewerbs zu bewerten sind und auch nur bewertet werden können

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Angebotswertung muss anhand der aufgestellten Zuschlagskriterien vertretbar, in sich konsistent und nachvollziehbar sein. Dies gilt insbesondere auch bei der Bewertung qualitativer Zuschlagskriterien im Rahmen eines Konzeptwettbewerbs.

2. Bei einem Konzeptwettbewerb wird den Bietern ein kreativer Freiraum zum Wettbewerb um bestmögliche Lösungsansätze eröffnet. Zur Gewährleistung vergleichbarer Angebote bedarf es hinreichend konkreter Zielsetzungen, die vom Auftraggeber im Rahmen einer funktionalen Leistungsbeschreibung vorzusehen sind und die bei der Angebotswertung im Rahmen einer Gesamtschau der Zuschlagskriterien und der übrigen Vergabeunterlagen zu berücksichtigen sind.

3. Der Auftraggeber kann nicht sämtliche denkbaren konzeptionellen Lösungsansätze der Bieter vorhersehen und abstrakt vorab bewerten. Entsprechend sind das Wertungssystem bzw. die Vorgaben, unter welchen konkreten Bedingungen ein Konzept mit welcher Note zu bewerten ist, systemimmanent nicht abschließend bestimmbar und daher kann ein Bieter auch seine Benotung nicht konkret vorhersagen.

4. Aufgrund dieser einem Konzeptwettbewerb immanenten Offenheit für die konzeptionellen Angebote der Bieter ist es auch nicht zu beanstanden, sondern geboten, dass eine relativ vergleichende Bewertung der von den Bietern eingereichten Konzepte nach den bekannt gemachten Bewertungsmaßstäben gleichmäßig vorgenommen wird.

5. Voraussetzung für einen Konzeptwettbewerb mit einer Bewertung anhand eines abstrakt formulierten, offenen Bewertungsmaßstab ähnlich Schulnoten ist, dass die Bieter anhand der Vorgaben der Vergabeunterlagen, insbesondere der Leistungsbeschreibung, erkennen können, worauf der Auftraggeber Wert legt

VK Bund, Beschluss vom 04.04.2022 – VK 2-24/22

VK Hessen: Reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen (sog. Rüge ins Blaue hinein) erfüllen nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge

VK Hessen: Reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen (sog. Rüge ins Blaue hinein) erfüllen nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Anforderungen an die Darlegung einer Vergaberechtsverletzung bzw. an die Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber dürfen nicht zu hoch angesetzt werden. Ein Mindestmaß an Substanziierung ist jedoch einzuhalten. Reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen (sog. Rüge ins Blaue hinein) reichen nicht aus.
2. Die bloße Behauptung eines Mitbewerbers, der Bestbieter erfülle die Anforderungen der Ausschreibung nicht und sei daher auszuschließen, ohne Anhaltspunkte oder Indizien darzulegen, aus denen er diese Erkenntnis nimmt, erfüllt nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge.
VK Hessen, Beschluss vom 26.06.2023 – 96 e 01.02/23-2023
nachfolgend:
OLG Frankfurt, 20.07.2023 – 11 Verg 3/23

Gründe:

I.

Die Vergabestelle schrieb im offenen Verfahren die Durchführung der Unterhaltsreinigung sowie von Sonderreinigungsarbeiten für die ### Hochschule ###, Gebäude 1 und Gästehäuser 3 und 5 aus (###).

Die Antragstellerin bewarb sich mit einem Angebot vom 23. Februar 2023 auf die o.g. Ausschreibung. Mit Schreiben vom 12. Mai 2023 teilte die Vergabestelle der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot aus preislichen Gründen nicht berücksichtigt werden könne.

Hiergegen wendete sich die Antragstellerin mit Schreiben an die Vergabestelle vom 16.05.2023, in der sie erläutert, dass sie die Anforderungen der Ausschreibung erfüllt habe, der Bestbieter die Vorgaben jedoch “ganz offensichtlich nicht erfüllt”habe. Dies müsse dazu führen, dass das Angebot des Bestbieters ausgeschlossen wird.

Hierauf erwiderte die Vergabestelle mit Schreiben vom 16. Juni 2023, in dem sie der Antragstellerin mitteilte, dass sie der Rüge nicht abhelfen werde. Die Ausführungen der Antragstellerin seien nicht geeignet, ihre Rüge ausreichend substantiiert zu begründen, da sie einer tatsächlichen Grundlage entbehrten. Der Vortrag der Antragstellerin sei als Rüge ins Blaue hinein unbeachtlich. Die Antragstellerin müsse vielmehr tatsächliche Anhaltspunkte oder Indizien vortragen, welche einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß zu begründen.

Hierauf legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22. Juni 2023 Nachprüfungsantrag ein. In ihrem Antrag erläutert die Antragstellerin, dass der Vortrag der Vergabestelle, es handele sich bei den Ausführungen der Antragstellerin in ihrem Schreiben vom 16. Juni 2023 um eine Rüge ins Blaue, unzutreffend sein. Sie erläuterte weiter, dass die Antragstellerin keinerlei Wissens- und Informationsstand bezüglich des Angebots der Bestbieterin habe, da sie dies schlichtweg nicht kenne. Ihr stünden auch keine weiteren Erkenntnisquellen zur Verfügung.

II.

Der Antrag ist nicht gemäß § 163Abs. 2 Satz 3 GWB an die Vergabestelle zu übermitteln. Er ist offensichtlich unzulässig gem. § 163 Abs. 2 Satz 3 Var. 1 GWB.

1. Der Antrag ist offensichtlich unzulässig. Die Antragstellerin ist bereits nicht antragsbefugt gemäß § 160 Abs. 2 GWB.

Antragsbefugt ist jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag oder der Konzession hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Absatz 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

Die Antragstellerin genügt ihrer hieraus resultierenden Darlegungspflicht nicht. Sowohl in ihre Rüge vom 16. Juli 2023 als auch in ihrem Nachprüfungsantrag stellt die Antragstellerin schlichtweg die Behauptung auf, die Bestbieterin erfülle die Anforderungen der Ausschreibung nicht und sei daher auszuschließen. Anhaltspunkte oder Indizien, aus denen sie diese Erkenntnis nimmt, legt die Antragstellerin hingegen nicht dar.

Der Antragstellerin ist zwar insoweit zuzugestehen, dass sie selbstverständlich keinen Einblick in das Angebot der Bestbieterin sowie insbesondere in dessen Preiskalkulation haben kann. Insoweit können die Anforderungen an die Darlegung eine Vergaberechtsverletzung bzw. einen die Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber nicht zu hoch angesetzt werden (vgl hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.04.2020 – Verg 30/19NZBau 2020, 739 Rn. 41, beck-online m.w.N.).

Ein Mindestmaß an Substanziierung ist jedoch einzuhalten; reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen reichen nicht aus (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.04.2020 – Verg 30/19, a.a.O., beck-online m.w.N.).

Die Antragstellerin versäumt es vollständig, darzulegen, wie sie zu ihrer Schlussfolgerung, die Angebotskalkulation der Bestbieterin sei fehlerhaft, kommt. Sie stellt lediglich die Behauptung in den Raum, dass die Bestbieterin die Anforderungen hinsichtlich des Objektleiters – im Gegensatz zur Antragstellerin selbst- nicht erfüllt habe. Auch wenn die Antragstellerin die Kalkulation der Bestbieterin nicht kennen kann, schließt sie lediglich aus der Tatsache, dass das Angebot der Bestbieterin offenbar preisgünstiger ist, den Rückschluss, dass diese die Angaben hinsichtlich des Objektleiters nicht erfüllt.

Ungeachtet dieser Behauptung, die jegliche tatsächliche Anhaltspunkte vermissen lässt, erläutert die Vergabestelle in ihrer Erwiderung vom 16. Juni 2023 nicht nur, dass die Bestbieterin die Anforderungen hinsichtlich des Objektleiters eben doch erfüllte, sie unternahm daraufhin eine Aufklärung hinsichtlich der in der Rüge aufgestellten Behauptung und kam zu dem Ergebnis, dass keine Zweifel an der Erfüllung der Anforderungen der Ausschreibung durch die Bestbieterin bestünden.

Selbst daraufhin unterlässt es die Antragstellerin, ihre Behauptung, die Bestbieterin habe die Anforderungen hinsichtlich des Objektleiters nicht erfüllt, substantiiert darzulegen. Sie wiederholt in ihrem Nachprüfungsantrag die Vorwürfe aus ihrem Rügeschreiben, geht ansonsten auf die Ausführungen der Vergabestelle, die Bestbieterin habe die Anforderungen erfüllt, kurz ein und stellt wiederum eine unsubstantiierte Behauptung auf, dass die Bestbieterin den Zuschlag “ganz offensichtlich” mit 0% beziffert habe.

Dieser Vortrag der Antragstellerin erfüllt die Anforderungen an die Darlegung eines Vergaberechtsverstoßes offensichtlich nicht.

2. Gemäß § 182 Abs. 1 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammer Gebühren erhoben.

Die Gebühren auslösende Amtshandlung ist hier schon mit der Prüfung des Antrages gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1 GWB durch die Vergabekammer gegeben (Losch in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, GWB § 182 GWB Rn. 5).

Die Festsetzung der Gebühr bestimmt sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens, wobei vorrangig vom Wert des Verfahrensgegenstandes auszugehen ist (BGH Beschluss vom 25.10.2011 – X ZB 5/10BeckRS 2012, 2820; OLG Hamburg Beschluss vom 3.11.2008 – 1 Verg 3/08BeckRS 2010, 26820).

Der Aufwand der Vergabekammer ergibt sich hier aus der Prüfung des Nachprüfungsantrages gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1 GWB. Gemäß § 182 Abs. 2 GWB beträgt die Gebühr mindestens 2.500 Euro.

a. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles hält die Vergabekammer ein teilweises Absehen von der Erhebung der Gebühren gemäß § 182 Abs. 3 Satz 6 GWB für angebracht. Die Gebühr wird daher aus Gründen der Billigkeit auf 500,- Euro reduziert. Für eine Reduktion um 2.000,- Euro spricht die Tatsache, dass der zeitliche und personelle Aufwand der Vergabekammer angesichts der Nichtübermittlung des Antrages im Vergleich zu einem Weiterführen des Nachprüfungsverfahrens wesentlich geringer war.

b. Nach § 182 Abs. 3 Satz 5 GWB erfolgt die Entscheidung, wer die Kosten zu tragen hat, nach billigem Ermessen, d.h. die Regelung folgt nicht streng dem Unterliegensprinzip. Es sind vielmehr alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (OLG München, Beschluss vom 10. April 2019 – Verg 8/18 -).

Unter Berücksichtigung der im konkreten Fall zu bewertenden Umstände hält die Vergabekammer es für angemessen, der Antragstellerin die Kosten aufzuerlegen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Antragstellerin einen offensichtlich unzulässigen Antrag vorgelegt hat.

Rechtsmittelbelehrung

(…)

OVG Hamburg: Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen

OVG Hamburg: Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen.
2. Ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe kann im Einzelfall einen Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses eines Erbbaurechtsvertrags durch einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit einer Eigengesellschaft dieses Trägers geltend machen, wenn er selbst auf dem streitgegenständlichen Grundstück eine geeignete Einrichtung zu errichten und zu betreiben in der Lage ist.
3. Ist dem Abschluss eines mit der Bereitschaft zum Bau und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags ein “Auswahlverfahren” vorgeschaltet, an dem sich mehrere anerkannte Träger der freien Jugendhilfe beteiligt haben, so besteht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Anspruch auf Unterlassen des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit einem Dritten nur dann, wenn der Antragsteller zudem glaubhaft machen kann, dass seine Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint.
OVG Hamburg, Beschluss vom 09.05.2023 – 4 Bs 157/22
vorhergehend:
VG Hamburg, 11.10.2022 – 20 E 1200/22

Zum Sachverhalt

Die Ast. begehrte im Wege der Beschwerde vorläufigen Rechtsschutz gegen den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags zwischen der Ag. und der Beigel. oder Dritten.

Die Ast. ist eine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe und betreibt, ebenso wie die Beigel., in Hamburg unter anderem mehrere Kindertagesstätten. Die Beigel. verfügt nicht über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII, sie ist in der Form einer gGmbH organisiert und die Ag. ist ihre alleinige Gesellschafterin. Laut Gesellschaftsvertrag bestimmt der Senat der Ag. sechs von neun Mitgliedern des Aufsichtsrats. Die Ag. ist örtliche und überörtliche Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe nach § 69 I SGB VIII iVm § 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe vom 25.6.1997, HmbGVBl 1997, 273 (AGSGB VIII).

Die Ag. stellte in einer Bedarfsanalyse fest, dass in dem Stadtteil ### eine unzureichende Versorgung mit Kindertagesstätten-Plätzen besteht. Sie forderte daraufhin in einer als “Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO” bezeichneten Mitteilung unter dem Aktenzeichen ÖB 008/2021/FS 34 interessierte Bewerber auf, bis zum 31.8.2021 eine Interessenbekundung zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags für das Grundstück G. einschließlich der Bereitschaft zum Bau und zur Trägerschaft einer Kindertagesstätte abzugeben.

Beabsichtigt ist, dass die Ag. zu einem jährlichen Erbbauzins iHv 7.960 EUR mit dem erfolgreichen Bewerber einen Erbbaurechtsvertrag abschließt. Das Auswahlverfahren ist in den Punkten 4 bis 8 der Mitteilung näher ausgeführt und setzt unter anderem die Vorlage eines Trägerkonzepts, eines Finanzierungsnachweises sowie das Ausfüllen eines Bewerbungsformulars voraus. Zudem wird festgelegt, dass die Ausführungen in dem Bewerbungsformular mit Punkten bewertet werden und der Erbbaurechtsvertrag mit dem Bewerber mit den meisten Punkten abgeschlossen wird, bei Punktgleichstand mehrerer Bewerber entscheidet das Los. Das Ausschreibungsverfahren sieht weiter vor, dass, sofern mit dem bestbewerteten Bewerber kein Erbbaurechtsvertrag geschlossen wird, der Nächstplatzierte im Bewerbungsverfahren nachrückt. Die Ast. bewarb sich ebenso wie die Beigel. und weitere Bewerber (insgesamt zwölf Bewerbungen erfüllten die Zugangsvoraussetzungen) um den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags.

Mit Mitteilung vom 1.3.2022 teilte die Ag. der Ast. mit, dass deren Bewerbung nicht die höchste Punktzahl erreicht habe und die Auswahlentscheidung auf einen anderen Bewerber gefallen sei. Hiergegen erhob die Ast. am 3.3.2022 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist. Ausgewählt wurde das Angebot der Beigel., welches den Höchstwert von 83 von 100 möglichen Punkten erhielt. Das Angebot der Ast. erhielt ausweislich der Bewertungsergebnisse der “Bewertungskonferenz IBV G.” im Februar 2022 78 Punkte, ebenso wie das Angebot des “KJSH (Verbund für Kinder- Jugend- und Soziale Hilfen”), das Angebot der “Küstenkinder” erhielt ebenso wie das von “Pedia” 80 Punkte. Das Angebot von “Wabe” (Wohnen arbeiten betreuen entwickeln) erhielt 83 Punkte. Das Angebot der Ast. war demnach das gemeinsam mit dem Angebot des KJSH fünftplatzierte Angebot.

Am 14.3.2022 hat die Ast. beim VG um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Sie sei als Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 4 II SGB VIII vorrangig gegenüber der Beigel., die Teil der öffentlichen Jugendhilfe sei, auszuwählen. Zudem liege eine Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs aus den Art. 12I, Art. 3 I GG vor, weil ihre Bewerbung inhaltlich besser sei als diejenige der Beigel. und sie daher hätte ausgewählt werden müssen.

Das VG Hamburg (Beschl. v. 11.10.2022 – 20 E 1200/22) hat den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde der Ast. hatte Erfolg. Der Beschluss des VG Hamburg wurde geändert; der Ag. wurde im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, auf Grundlage des Interessenbekundungsverfahrens mit der Beigel. oder einem Dritten einen Erbbaurechtsvertrag betreffend das betroffene Flurstück abzuschließen und/oder dieses Flurstück der Beigel. oder einem Dritten anderweitig für die Planung, die Errichtung und/oder den Betrieb einer Kindertagesstätte zu überlassen, bis über die Bewerbung der Ast. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

Aus den Gründen

(…)

Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe erschüttern die tragenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses des VG (hierzu unter 1); nach der daraus folgenden, nicht mehr gem. § 146 IV VwGO beschränkten Prüfung durch das BeschwGer. ist die Entscheidung zu ändern (hierzu unter 2).

1. Die Ag. hat mit ihrer Beschwerdebegründung, auf die gem. § 146 IV 3 und 6 VwGO abzustellen ist, die Richtigkeit der entscheidungstragenden Erwägungen des VG erschüttert.

Dieses hat ausgeführt, dass sich der streitgegenständliche Anspruch vorliegend nicht aus § 4 II SGB VIII ergeben könne, weil es um die Schaffung einer neuen Einrichtung gehe, um den bestehenden Bedarf an Einrichtungen der Jugendhilfe überhaupt erst decken zu können und weil das Interessenbekundungsverfahren nur der Anbahnung einer Jugendhilfeleistung diene. Daher sei das Subsidiaritätsgebot aus § 4 II SGB VIII vorliegend nicht tangiert.

Diese tragende Erwägung hat die Ast. vorliegend mit ihren Ausführungen ernsthaft in Zweifel gezogen, weil bereits der Gesetzestext des § 4 II SGB VIII ausdrücklich darauf abstellt, dass die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Leistungen absehen soll, wenn geeignete Dienste, Einrichtungen oder Veranstaltungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können und somit ausdrücklich auch, wie vorliegend, erst künftig zu schaffende Einrichtungen in den Blick nimmt. Zudem ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt, dass das als Interessenbekundungsverfahren zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags mit der gleichzeitigen Verpflichtung zur Errichtung und der Übernahme der Trägerschaft für eine Kindertagesstätte bezeichnete Verfahren kein (bloßes) Interessenbekundungsverfahren ist, sondern bereits ein Auswahlverfahren darstellt, dessen Gewinner die ausgeschriebene Leistung, hier den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags und die Errichtung einer Kindertagesstätte mit 120 Plätzen, erhält (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

2. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das BeschwGer. führt zu einer Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Nach dem wohlverstandenen Interesse der Ast. ist ihr Antrag gem. §§ 88122 I VwGO dahingehend auszulegen, dass sie auch die erneute Entscheidung über ihre Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt. Denn die bloße Untersagung der Überlassung des Grundstücks an die Beigel. oder einen Dritten ohne eine erneute Auswahlentscheidung der Ag., bei der die Auswahl der Ast. zumindest möglich ist, dürfte von ihr unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 10.11.2022 nicht begehrt werden und ein Rechtsschutzbedürfnis dürfte insoweit auch nicht bestehen (s. unten).

Der so verstandene Antrag hat Erfolg. Nach § 123 I 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Ast. vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 III VwGO iVm § 920 II, § 294 ZPO hat die Ast. glaubhaft zu machen, dass ihr der streitige Anspruch in der Hauptsache zusteht (sog. Anordnungsanspruch) und dessen vorläufige Sicherung nötig erscheint (sog. Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

a) Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es der Ast. unter Berücksichtigung ihrer Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies ist vorliegend der Fall, weil durch den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. oder einem Dritten bereits ein endgültiger Zustand eintreten und der Ast. die Übernahme der Kitaträgerschaft am beabsichtigten Standort unmöglich gemacht würde (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; 17.3.2008 – 4 Bs 214/07, BeckRS 2008, 149104; vgl. auch VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Rn. 2?ff.; allg. zu einem Anordnungsgrund im Vorfeld des Abschlusses eines öffentlich-rechtlichen Vertrags mit einem Dritten OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 2011, 293 Rn. 8). Anders als in der Konstellation, die der Entscheidung des Senats im Verfahren 4 Bs 286/21 zugrunde lag, ist ein Anordnungsgrund vorliegend auch im Hinblick auf die Untersagung einer Zurverfügungstellung des Grundstücks an Dritte gegeben, da aus den nachfolgend genannten Gründen eine Vergabe des Grundstücks an die Beigel. im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes rechtlichen Bedenken begegnet und nach der Ausschreibung dann, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit dem ausgewählten Bewerber nicht abgeschlossen werden kann, der Nächstplatzierte nachrücken soll und somit konkrete Anhaltspunkte für eine Vergabe an die im Auswahlverfahren besser platzierten Bewerber als die Ast. bestehen.

b) Die Ast. hat vorliegend glaubhaft gemacht, dass ihr aus § 4 II SGB VIII ein Abwehrrecht und somit ein Anordnungsanspruch gegen eine Überlassung des Grundstücks an die Beigel. zur Errichtung einer Kindertagesstätte zukommt (hierzu unter aa) und dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint (hierzu unter bb).

aa) Ein Anordnungsanspruch folgt vorliegend nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung aus § 4 II SGB VIII. Die Vorschrift des § 4 II SGB VIII findet vorliegend Anwendung, da sie ein tragendes Strukturprinzip der Jugendhilfe normiert, das in allen Handlungsfeldern der Jugendhilfe anzuwenden ist, unabhängig davon, ob auch die weiteren Vorschriften des SGB VIII, etwa § 74 SGB VIII, Anwendung finden oder der Vorrang des Landesrechts nach § 74a SGB VIII greift. Denn das Landesrecht vermag die Strukturprinzipien des bundesgesetzlich geregelten Jugendhilferechts nicht abzubedingen (vgl. BVerwGE 135, 150 = NVwZ-RR 2010, 148; OVG Münster 12.1.2021 – 21 A 3824/18BeckRS 2021, 190 Rn. 52; jurisPK-SGB VIII/Luthe, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 7). Der Anwendung des in § 4 II SGB VIII normierten bedingten Vorrangs der freien Träger der Jugendhilfe steht auch vorliegend, anders als durch das VG ausgeführt, nicht entgegen, dass das als “Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO” bezeichnete Verfahren nur der Erforschung der Marktsituation dienen würde und noch keine Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII darstelle. Vielmehr handelt es sich bei dem vorliegenden Verfahren gerade nicht um ein “bloßes” Interessenbekundungsverfahren, sondern um das eigentliche Auswahlverfahren zum Abschluss eines untrennbar mit der Errichtung und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

19Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften erfüllt sein (hierzu unter aaa) und in der Rechtsfolge der Ast. ein Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. zukommen (hierzu unter bbb).

aaa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften vorliegend erfüllt sein. § 4 II SGB VIII lautet:

“Soweit geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden können, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen.”

Die Ast. ist unstreitig eine anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 75 I, II SGB VIII. Bei der zu errichtenden Kindertagesstätte handelt es sich zudem um eine Einrichtung iSd § 4 II SGB VIII. Unter dem Begriff der Einrichtungen versteht man die Erfüllung von Aufgaben unter Einsatz besonderer Sachmittel, insbesondere Gebäude, sächliche Ausstattung sowie personeller Mittel, dies umfasst unter anderem die Errichtung einer Kindertagesstätte (vgl. nur LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 38).

Die durch die Ast. geplante Kindertagesstätte dürfte zudem eine geeignete Einrichtung sein, die rechtzeitig geschaffen werden kann. Dass das Projekt der Ast. eine längere Realisierungsdauer hätte als die Projekte der Mitbewerber, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, so dass die Einrichtung durch die Ast. “rechtzeitig” iSd § 4 II SGB VIII geschaffen werden kann. Geeignet nach dieser Vorschrift ist eine Einrichtung dann, wenn sie sowohl fachlichen (Mindest-)Standards als auch den Wünschen und Bedürfnissen der potenziellen Nutzer entspricht (vgl. Wiesner/Wapler/Wapler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 22; LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 4 Rn. 40; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (447 mwN). Die Ast. erfüllt als Trägerin mehrerer Kindertagesstätten in Hamburg die geltenden und über den Abschluss entsprechender Vereinbarungen nach § 15 KibeG abgesicherten fachlichen Standards. Sie hat in ihrer Bewerbung für den Standort G., in der unter anderem Ausführungen zu der Nachfrage von Plätzen durch die Bewohner der nahegelegen Wohnunterkunft und somit nach den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer sowie die Partizipation von Eltern und Kindern zu machen waren, 78 von 100 Punkten erreicht und nur fünf Punkte weniger als die ausgewählte Bewerberin. Dass die durch die Ast. geplante Einrichtung nicht geeignet wäre, die künftigen Interessen der Nutzer abzubilden, ist daher nicht ersichtlich.

bbb) Die Ast. dürfte vorliegend einen Anspruch auf Unterlassung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. gegen die Ag. herleiten können. § 4 II SGB VIII kann Trägern der freien Jugendhilfe, die über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII verfügen, bei Vorliegen seiner tatbestandlichen Voraussetzungen ein subjektives Abwehrrecht gegen ein Tätigwerden des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe vermitteln, sofern dieser gegen das dann aus der Norm folgende bedingte Subsidiaritätsgebot verstößt (vgl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 68 ff. unter Bezugnahme auf BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII sind vorliegend wie zuvor dargestellt erfüllt, zudem sind die Voraussetzungen des “bedingten” Vorrangs des Trägers der freien Jugendhilfe – also der Ast. – gegeben.

Nach § 4 II SGB VIII “soll” der Träger der öffentlichen Jugendhilfe unter anderem von eigenen Maßnahmen absehen, wenn geeignete Einrichtungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können. Anders als die Vorgängervorschrift des § 5 III 2 JWG, die vorsah, dass von eigenen Maßnahmen abzusehen “ist”, hat sich der Gesetzgeber bei Normierung des § 4 II SGB VIII ausdrücklich für den “bedingten” Vorrang der freien Träger der Jugendhilfe entschieden, dies allerdings unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Vorgaben des BVerfG im oben genannten Urteil vom 18.7.1967. Danach ist der “bedingte” Vorrang der anerkannten Träger der freien Jugendhilfe dergestalt zu verstehen, dass das Jugendamt nur dann selbst Einrichtungen schaffen und Veranstaltungen vorsehen soll, wenn seine Anregungen und Förderungsmaßnahmen bei den Trägern der freien Jugendhilfe nicht zum Ziel führen, etwa weil der freie Träger keine angemessene Eigenleistung aufbringen kann. Ein Vorrang der Träger der freien Jugendhilfe umfasst beispielsweise auch nicht das Gebot für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, bestehende Angebote zugunsten der Träger der freien Jugendhilfe zu schließen, vielmehr soll ein sinnvoller Einsatz privater und öffentlicher wirtschaftlicher Mittel gewährleistet werden (vgl. BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795).

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so besteht ein gerichtlich durchsetzbarer Unterlassungsanspruch des anerkannten Trägers der freien Jugendhilfe gegen den Träger der örtlichen Jugendhilfe dann, wenn ein konkretes “Konkurrenzverhältnis” besteht (vgl. grdl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 81 mwN; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (449)).

So liegt es hier. Die Überlassung des streitgegenständlichen Grundstücks zur Errichtung einer Kindertagesstätte durch die Ag. an die Beigel. ist eine “eigene” Maßnahme iSd § 4 II SGB VIII. Die Beigel. ist zwar privatrechtlich organisiert, sie dürfte aber der Ast. als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe zuzurechnen sein (vgl. zur Abgrenzung von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21 Rn. 84?ff.; vgl. hierzu auch OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05; 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172; BeckOGK/Janda, 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 11; jurisPK-SGB VIII/Trésoret, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 75 Rn. 37). Die Beigel. ist keine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe. Sie dürfte auch nicht zu den freien Trägern der Jugendhilfe gehören. Das SGB VIII sieht eine Definition des freien Trägers der Jugendhilfe nicht vor. Aus den Vorschriften lässt sich aber ableiten, dass grundsätzlich als Träger der freien Jugendhilfe jede Personengruppe, Initiative und Personenvereinigung sowie jede juristische Person in Betracht kommt, die auf dem Gebiet der Jugendhilfe ohne gesetzliche Verpflichtung aufgrund eigener freier Entscheidung tätig wird (vgl. LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 3 Rn. 16; BeckOK SozR/Winkler, 68. Ed. 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 1). Dies dürfte vorliegend bei der Beigel. nicht gegeben sein, da sie nicht aufgrund eigener freier Entscheidung Leistungen der Jugendhilfe erbringt, sondern sich die Ag. ihrer bedient, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen unter anderem aus § 79 SGB VIII zu erfüllen. Denn die Beigel. ist als Eigenbetrieb der Ag. in Form einer gGmbH organisiert. Alleinige Gesellschafterin der Beigel. ist die Ag., diese hat auch das gesamte Stammkapital in Form einer Stammeinlage iHv 35 Mio. EUR übernommen. Gemäß § 7 des Gesellschaftsvertrags besteht der Aufsichtsrat aus neun Personen, von denen sechs durch den Senat der Ag. bestimmt werden und die unter anderem über die Ein- und Abberufung der Geschäftsführer bestimmen und deren Tätigkeit überwachen. Zudem unterliegen gem. § 8 des Gesellschaftsvertrags eine Vielzahl von Geschäften, unter anderem auch der Abschluss von bestimmten Miet- und Pachtverträgen, der Zustimmungspflicht des Aufsichtsrates und kann nach § 16 des Gesellschaftsvertrags die zuständige Behörde der Ag. die Recht- und Zweckmäßigkeit des “Geschäftsgebarens” der Beigel. überprüfen. Allein dadurch, dass ein öffentlicher Träger der Jugendhilfe durch eine privatrechtlich organisierte Eigengesellschaft tätig wird, kann diese aber nicht zum freien Träger im Sinne des SGB VIII werden, sofern die wesentlichen Entscheidungen für die Einrichtung bei dem öffentlichen Träger verbleiben und sie diese über ihre Stellung als maßgebliche Gesellschafterin herbeiführen kann, wovon nach den vorherigen Ausführungen in Bezug auf die Beigel. auszugehen ist (vgl. OVG Weimar 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172 Ls. 1 u. Rn. 18; OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05 Rn. 54).

Es liegt auch ein konkretes Konkurrenzverhältnis vor, da nach den Bedingungen des Auswahlverfahrens der Abschluss des Erbbaurechtsvertrags untrennbar mit der Übernahme der Trägerschaft für die Kindertagesstätte verbunden ist. Es sind zudem keine Besonderheiten des Einzelfalls erkennbar, warum vorliegend die Kindertagesstätte am G. durch eine eigene Maßnahme der Ag. erschaffen werden müsste. Hiergegen spricht schon die Durchführung des “Interessenbekundungsverfahrens” unter grundsätzlich gleichrangiger Beteiligung der freien Träger der Jugendhilfe. Nach den Planungen der Ag. besteht ein grundsätzlicher Bedarf für die Errichtung einer neuen Kindertagesstätte, weil im Stadtteil ### das bestehende Angebot nicht ausreichend ist und soweit ersichtlich auch nicht durch die Ausweitung bestehender Einrichtungen mit weniger wirtschaftlichem Aufwand gedeckt werden kann. Nach den im Auswahlverfahren eingereichten Finanzierungsplänen sollen die Kosten für den Bau der Kindertagesstätte durch den jeweiligen Träger aufgewendet werden, so dass ebenfalls nicht ersichtlich ist, dass die Durchführung der Maßnahme durch einen Träger der freien Jugendhilfe für den öffentlichen Träger wirtschaftlich belastender wäre als eine eigene Maßnahme. Wie oben dargestellt, ist auch nicht ersichtlich, dass das Angebot der Ast. den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer nicht genügen würde oder ein anderer Grund vorliegen würde, ausnahmsweise von einem Vorrang der öffentlichen Jugendhilfe im streitgegenständlichen Fall auszugehen. Die Pluralität des Angebots würde schließlich weder durch die Errichtung einer weiteren Einrichtung der Beigel. noch der Ast. erhöht, da beide bereits eine Vielzahl von Einrichtungen im Stadtgebiet betreiben.

bb) Die Ast. hat auch glaubhaft gemacht, dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint. Dies ist vorliegend erforderlich, weil trotz der Verletzung des bedingten Vorrangs der Maßnahmen der freien Träger der Jugendhilfe aus § 4 II SGB VIII ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Untersagung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. oder einen Dritten und mithin auch ein sicherungsfähiger Anspruch iSd § 123 VwGO nur dann besteht, wenn die Auswahl der Ast. selbst zumindest möglich erscheint (offen gelassen in OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; vgl. zu einem entsprechenden Erfordernis für den Rechtsschutz im Vergabeverfahren nach dem GWB Burgi/Dreher/Opitz/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 33; OLG Celle 12.10.2021 Rn. 78 mwN; zum beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch vgl. nur BVerfG NJW 2016, 309 Rn. 19 mwN).

Vorliegend hat das Angebot der Ast. 78 Punkte erhalten, dasjenige der “Küstenkinder” und von “pedia” jeweils 80 Punkte. Eines dieser Angebote würde gemäß den Verfahrensbedingungen nach Durchführung eines Losverfahrens nachrücken, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit der Beigel. aus den zuvor dargestellten Gründen nicht abgeschlossen werden kann. Ein sicherungsfähiger Anspruch liegt daher vorliegend nur vor, wenn die Ast. zusätzlich glaubhaft machen kann, dass ihre Bewerbung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglicherweise besser bewertet werden müsste als das Angebot der “Küstenkinder” sowie von “pedia”, wobei der Senat mangels gegenteiliger Anhaltspunkte unterstellt, dass beide Träger anerkannte Träger der freien Jugendhilfe iSd § 75 SGB VIII sind.

Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt, denn die Ast. hat glaubhaft gemacht, dass die Vergabe von nicht mehr als 78 von 100 möglichen Punkten im streitgegenständlichen Auswahlverfahren sie dadurch in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 12 I, Art. 3 I, Art. 19 III GG verletzt und eine auf sie fallende Auswahlentscheidung bei fehlerfreier erneuter Durchführung des Verfahrens möglich erscheint, dass die Vergabe von fünf von zehn möglichen Punkten bei der Beantwortung der Frage zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Berücksichtigung der besonderen Bedarfe der Eltern und Kinder aus der nagelegengen Wohnunterkunft nicht sachlich nachvollziehbar und unter Verstoß gegen Art. 3 I GG ergangen ist.

Bemühen sich mehrere freie Träger um die Durchführung von Jugendhilfemaßnahmen, so steht ihnen auf der Grundlage der aus Art. 12 I GG abzuleitenden Wettbewerbsfreiheit ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung und chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren zu (vgl. VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Ls. 1 u. Rn. 18 mwN; OVG Hamburg, 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110). Dieser Anspruch beinhaltet zumindest einen aus Art. 3 I GG folgenden Gleichbehandlungsanspruch des Inhalts, dass die Bewertung der Bewerbungen der verschiedenen Anbieter anhand der gleichen Beurteilungsmaßstäbe in einem transparenten und fairen Verfahren vorgenommen wird (vgl. OVG Lüneburg NVwZ 2019, 656 Rn. 23 = NordÖR 2019, 86 zu einem Anspruch auf eine Auswahlentscheidung unter Wahrung der Anforderungen des Art. 3 I GG).

Dabei obliegt es dem Gericht nicht, die Vergabe der einzelnen Punkte inhaltlich zu bewerten und ein Angebot als besser oder schlechter zu beurteilen. Die am Maßstab des Art. 3 I GG ausgerichtete gerichtliche Kontrolle umfasst aber, ähnlich dem beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch, zumindest die Überprüfung, ob der Sachverhalt von der Ag. unvollständig oder unzutreffend erfasst worden ist, sie selbst aufgestellte Beurteilungsvorgaben nicht beachtet hat oder sachwidrige oder gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßende Erwägungen angestellt hat und ihre Wertung hierdurch fehlerhaft geworden ist (vgl. VG Hamburg 5.5.2021 – 2 S 417/21).

Das durch die Ag. zur Erfüllung ihrer Gesamtverantwortung aus § 79 I SGB VIII für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII gewählte “Interessenbekundungsverfahren” mit den einzelnen in den Bewerbungsunterlagen abgefragten Kriterien dürfte dabei nach summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gegen die Prinzipien des chancengleichen und transparenten Verfahrens verstoßen. Die Auswahlkriterien sind zudem an den gesetzlichen Anforderungen der §§ 22?ff. SGB VIII zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen ausgerichtet und begegnen keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. bereits OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

Es erscheint aber zumindest möglich, dass die Bewerbung der Ast. bei der Beantwortung der Frage

“Bitte machen sie konkrete Ausführungen zur Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Hinblick auf zB Randzeitenbetreuung, einem Wechsel der Leistungsart, Bring- und Holzeiten etc. Bitte machen Sie konkrete konzeptionelle Ausführungen in welchem Umfang Fünf-Stunden-Plätze angeboten werden sollen, auch in Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften (zehn Punkte)”

unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz fehlerhaft nur mit fünf Punkten bewertet wurde, weil diese Bewertung sachlich nicht nachvollziehbar ist und die Vergleichbarkeit der angewendeten Beurteilungsmaßstäbe an unterschiedliche Bewerbungen nicht erkennen lässt. Die Ast. hat im Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften ausgeführt:

“Alle Kinder aus den nahe gelegenen Wohnunterkünften sind uns willkommen – Sternipark unterscheidet Kinder nicht nach Herkunft, Religion oder sonstigen Weltanschauungen. Ein Fokus muss darauf liegen, auch und gerade für diese Kinder einen guten Start ins deutsche Bildungssystem sicherzustellen. Da Sternipark mit 13 Kitas und 18 Sprachfachkräften am Bundesprogramm “Sprachkita” partizipiert und hier über ein breites Erfahrungswissen verfügt, kann dieses zugunsten geflüchteter Kinder oder von Kindern mit Migrationshintergrund eingesetzt werden.”

Hierfür hat sie fünf von zehn Punkten erhalten. In der Mitteilung darüber, dass die Ast. nicht ausgewählt worden sei, hat die Ag. dargestellt, dass die Ausführungen eine “ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vermissen” ließen. Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem VG hat die Ag. ihre Ausführungen dahingehend ergänzt, das die Ast. nicht ausführlich beschreibe, wie sie dem voraussichtlich erhöhten Bedarf an Fünf-Stunden-Plätzen aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft zu entsprechen beabsichtige.

Die Beigel. hat ausweislich der Sachakte in ihrer Bewerbung zur Beantwortung dieser Frage ausgeführt:

“Zugleich müssen wir zugunsten einer tragfähigen Personalausstattung und somit einer guten pädagogischen Arbeit den Anteil der Fünf-Stunden-Plätze in unseren Kitas auch begrenzen. Unser Betreuungsangebot ist entsprechend heterogen. Unsere Flexibilität bietet den Familien eine große Sicherheit, denn bei den Elbkindern einmal aufgenommen und eingewöhnt, verbleibt jedes Kind dauerhaft und sicher in seiner Kita, auch wenn sich eine veränderte Lebenssituation der Eltern auf ihren Kita-Gutschein auswirkt. Wir möchten, dass Eltern bei uns ein Angebot vorfinden, das ihrer Lebenssituation entspricht. Darüber hinaus möchten wir bei entsprechender Nachfrage gern ein passendes und bedarfsgerechtes Angebot für Kinder bereitstellen, die in Wohnunterkünften leben.”

Diese Ausführungen wurden mit zehn von zehn Punkten bewertet. Diese Bewertung lässt die Anwendung gleicher Bewertungsmaßstäbe nicht erkennen, da die Beigel. zu der Nachfrage aus den Wohnunterkünften lediglich auf ein “passendes und bedarfsgerechtes Angebot” und das auch nur “bei entsprechender Nachfrage” verweist, ohne dies im Ansatz zu konkretisieren und ohne zu berücksichtigen, dass die Nachfrage wegen der vorhandenen Wohnunterkünfte bereits feststeht. Dies ist sachlich nicht nachvollziehbar mit den Anforderungen in Einklang zu bringen, die die Ag. an das Angebot der Ast. gestellt hat, nämlich eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vorzunehmen. Es bleibt danach zwar möglich, dass das Angebot der Beigel. in diesem Punkt fehlerhaft zu viele Punkte erhalten hat, ebenso möglich und somit für die Annahme einer möglichen Besserbeurteilung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Verfahrens ausreichend ist es aber, dass an das Angebot der Ast. in diesem Punkt strengere Anforderungen auch als an dasjenige der besser platzierten Bewerber gestellt wurden.

Unbeachtlich sind hingegen die Einwendungen der Ast., soweit sie das Finanzierungskonzept der Beigel. betreffen, da eine Auswahlentscheidung, die auf die Beigel. fällt, nach den vorstehenden Ausführungen bei einer Wiederholung des Auswahlverfahrens nicht mehr möglich ist. Gleiches gilt soweit die Ast. die Beurteilung der Bewerbung hinsichtlich der Beschreibung des Sozialraumes rügt, da ihre eigene Bewerbung in diesem Punkt die maximale Punktzahl von zehn Punkten erreicht hat.

Zum Auswahlverfahren bei Grundstücksüberlassung mit Bauverpflichtung

OVG Hamburg
Beschluss vom 09.05.2023
4 Bs 157/22

GG Art. 3 Abs. 1; LHO-HH § 7 Abs. 3; SGB VIII § 4 Abs. 2, § 75; VwGO § 123
1. Die Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen.
2. Ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe kann im Einzelfall einen Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses eines Erbbaurechtsvertrags durch einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit einer Eigengesellschaft dieses Trägers geltend machen, wenn er selbst auf dem streitgegenständlichen Grundstück eine geeignete Einrichtung zu errichten und zu betreiben in der Lage ist.
3. Ist dem Abschluss eines mit der Bereitschaft zum Bau und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags ein “Auswahlverfahren” vorgeschaltet, an dem sich mehrere anerkannte Träger der freien Jugendhilfe beteiligt haben, so besteht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Anspruch auf Unterlassen des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit einem Dritten nur dann, wenn der Antragsteller zudem glaubhaft machen kann, dass seine Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint.
OVG Hamburg, Beschluss vom 09.05.2023 – 4 Bs 157/22
vorhergehend:
VG Hamburg, 11.10.2022 – 20 E 1200/22

Zum Sachverhalt

Die Ast. begehrte im Wege der Beschwerde vorläufigen Rechtsschutz gegen den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags zwischen der Ag. und der Beigel. oder Dritten.

Die Ast. ist eine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe und betreibt, ebenso wie die Beigel., in Hamburg unter anderem mehrere Kindertagesstätten. Die Beigel. verfügt nicht über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII, sie ist in der Form einer gGmbH organisiert und die Ag. ist ihre alleinige Gesellschafterin. Laut Gesellschaftsvertrag bestimmt der Senat der Ag. sechs von neun Mitgliedern des Aufsichtsrats. Die Ag. ist örtliche und überörtliche Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe nach § 69 I SGB VIII iVm § 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe vom 25.6.1997, HmbGVBl 1997, 273 (AGSGB VIII).

Die Ag. stellte in einer Bedarfsanalyse fest, dass in dem Stadtteil ### eine unzureichende Versorgung mit Kindertagesstätten-Plätzen besteht. Sie forderte daraufhin in einer als “Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO” bezeichneten Mitteilung unter dem Aktenzeichen ÖB 008/2021/FS 34 interessierte Bewerber auf, bis zum 31.8.2021 eine Interessenbekundung zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags für das Grundstück G. einschließlich der Bereitschaft zum Bau und zur Trägerschaft einer Kindertagesstätte abzugeben.

Beabsichtigt ist, dass die Ag. zu einem jährlichen Erbbauzins iHv 7.960 EUR mit dem erfolgreichen Bewerber einen Erbbaurechtsvertrag abschließt. Das Auswahlverfahren ist in den Punkten 4 bis 8 der Mitteilung näher ausgeführt und setzt unter anderem die Vorlage eines Trägerkonzepts, eines Finanzierungsnachweises sowie das Ausfüllen eines Bewerbungsformulars voraus. Zudem wird festgelegt, dass die Ausführungen in dem Bewerbungsformular mit Punkten bewertet werden und der Erbbaurechtsvertrag mit dem Bewerber mit den meisten Punkten abgeschlossen wird, bei Punktgleichstand mehrerer Bewerber entscheidet das Los. Das Ausschreibungsverfahren sieht weiter vor, dass, sofern mit dem bestbewerteten Bewerber kein Erbbaurechtsvertrag geschlossen wird, der Nächstplatzierte im Bewerbungsverfahren nachrückt. Die Ast. bewarb sich ebenso wie die Beigel. und weitere Bewerber (insgesamt zwölf Bewerbungen erfüllten die Zugangsvoraussetzungen) um den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags.

Mit Mitteilung vom 1.3.2022 teilte die Ag. der Ast. mit, dass deren Bewerbung nicht die höchste Punktzahl erreicht habe und die Auswahlentscheidung auf einen anderen Bewerber gefallen sei. Hiergegen erhob die Ast. am 3.3.2022 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist. Ausgewählt wurde das Angebot der Beigel., welches den Höchstwert von 83 von 100 möglichen Punkten erhielt. Das Angebot der Ast. erhielt ausweislich der Bewertungsergebnisse der “Bewertungskonferenz IBV G.” im Februar 2022 78 Punkte, ebenso wie das Angebot des “KJSH (Verbund für Kinder- Jugend- und Soziale Hilfen”), das Angebot der “Küstenkinder” erhielt ebenso wie das von “Pedia” 80 Punkte. Das Angebot von “Wabe” (Wohnen arbeiten betreuen entwickeln) erhielt 83 Punkte. Das Angebot der Ast. war demnach das gemeinsam mit dem Angebot des KJSH fünftplatzierte Angebot.

Am 14.3.2022 hat die Ast. beim VG um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Sie sei als Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 4 II SGB VIII vorrangig gegenüber der Beigel., die Teil der öffentlichen Jugendhilfe sei, auszuwählen. Zudem liege eine Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs aus den Art. 12 I, Art. 3 I GG vor, weil ihre Bewerbung inhaltlich besser sei als diejenige der Beigel. und sie daher hätte ausgewählt werden müssen.

Das VG Hamburg (Beschl. v. 11.10.2022 – 20 E 1200/22) hat den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde der Ast. hatte Erfolg. Der Beschluss des VG Hamburg wurde geändert; der Ag. wurde im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, auf Grundlage des Interessenbekundungsverfahrens mit der Beigel. oder einem Dritten einen Erbbaurechtsvertrag betreffend das betroffene Flurstück abzuschließen und/oder dieses Flurstück der Beigel. oder einem Dritten anderweitig für die Planung, die Errichtung und/oder den Betrieb einer Kindertagesstätte zu überlassen, bis über die Bewerbung der Ast. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

Aus den Gründen

(…)

Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe erschüttern die tragenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses des VG (hierzu unter 1); nach der daraus folgenden, nicht mehr gem. § 146 IV VwGO beschränkten Prüfung durch das BeschwGer. ist die Entscheidung zu ändern (hierzu unter 2).

1. Die Ag. hat mit ihrer Beschwerdebegründung, auf die gem. § 146 IV 3 und 6 VwGO abzustellen ist, die Richtigkeit der entscheidungstragenden Erwägungen des VG erschüttert.

Dieses hat ausgeführt, dass sich der streitgegenständliche Anspruch vorliegend nicht aus § 4 II SGB VIII ergeben könne, weil es um die Schaffung einer neuen Einrichtung gehe, um den bestehenden Bedarf an Einrichtungen der Jugendhilfe überhaupt erst decken zu können und weil das Interessenbekundungsverfahren nur der Anbahnung einer Jugendhilfeleistung diene. Daher sei das Subsidiaritätsgebot aus § 4 II SGB VIII vorliegend nicht tangiert.

Diese tragende Erwägung hat die Ast. vorliegend mit ihren Ausführungen ernsthaft in Zweifel gezogen, weil bereits der Gesetzestext des § 4 II SGB VIII ausdrücklich darauf abstellt, dass die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Leistungen absehen soll, wenn geeignete Dienste, Einrichtungen oder Veranstaltungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können und somit ausdrücklich auch, wie vorliegend, erst künftig zu schaffende Einrichtungen in den Blick nimmt. Zudem ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt, dass das als Interessenbekundungsverfahren zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags mit der gleichzeitigen Verpflichtung zur Errichtung und der Übernahme der Trägerschaft für eine Kindertagesstätte bezeichnete Verfahren kein (bloßes) Interessenbekundungsverfahren ist, sondern bereits ein Auswahlverfahren darstellt, dessen Gewinner die ausgeschriebene Leistung, hier den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags und die Errichtung einer Kindertagesstätte mit 120 Plätzen, erhält (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

2. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das BeschwGer. führt zu einer Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Nach dem wohlverstandenen Interesse der Ast. ist ihr Antrag gem. §§ 88122 I VwGO dahingehend auszulegen, dass sie auch die erneute Entscheidung über ihre Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt. Denn die bloße Untersagung der Überlassung des Grundstücks an die Beigel. oder einen Dritten ohne eine erneute Auswahlentscheidung der Ag., bei der die Auswahl der Ast. zumindest möglich ist, dürfte von ihr unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 10.11.2022 nicht begehrt werden und ein Rechtsschutzbedürfnis dürfte insoweit auch nicht bestehen (s. unten).

Der so verstandene Antrag hat Erfolg. Nach § 123 I 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Ast. vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 III VwGO iVm § 920 II, § 294 ZPO hat die Ast. glaubhaft zu machen, dass ihr der streitige Anspruch in der Hauptsache zusteht (sog. Anordnungsanspruch) und dessen vorläufige Sicherung nötig erscheint (sog. Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

a) Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es der Ast. unter Berücksichtigung ihrer Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies ist vorliegend der Fall, weil durch den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. oder einem Dritten bereits ein endgültiger Zustand eintreten und der Ast. die Übernahme der Kitaträgerschaft am beabsichtigten Standort unmöglich gemacht würde (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; 17.3.2008 – 4 Bs 214/07, BeckRS 2008, 149104; vgl. auch VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Rn. 2?ff.; allg. zu einem Anordnungsgrund im Vorfeld des Abschlusses eines öffentlich-rechtlichen Vertrags mit einem Dritten OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 2011, 293 Rn. 8). Anders als in der Konstellation, die der Entscheidung des Senats im Verfahren 4 Bs 286/21 zugrunde lag, ist ein Anordnungsgrund vorliegend auch im Hinblick auf die Untersagung einer Zurverfügungstellung des Grundstücks an Dritte gegeben, da aus den nachfolgend genannten Gründen eine Vergabe des Grundstücks an die Beigel. im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes rechtlichen Bedenken begegnet und nach der Ausschreibung dann, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit dem ausgewählten Bewerber nicht abgeschlossen werden kann, der Nächstplatzierte nachrücken soll und somit konkrete Anhaltspunkte für eine Vergabe an die im Auswahlverfahren besser platzierten Bewerber als die Ast. bestehen.

b) Die Ast. hat vorliegend glaubhaft gemacht, dass ihr aus § 4 II SGB VIII ein Abwehrrecht und somit ein Anordnungsanspruch gegen eine Überlassung des Grundstücks an die Beigel. zur Errichtung einer Kindertagesstätte zukommt (hierzu unter aa) und dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint (hierzu unter bb).

aa) Ein Anordnungsanspruch folgt vorliegend nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung aus § 4 II SGB VIII. Die Vorschrift des § 4 II SGB VIII findet vorliegend Anwendung, da sie ein tragendes Strukturprinzip der Jugendhilfe normiert, das in allen Handlungsfeldern der Jugendhilfe anzuwenden ist, unabhängig davon, ob auch die weiteren Vorschriften des SGB VIII, etwa § 74 SGB VIII, Anwendung finden oder der Vorrang des Landesrechts nach § 74a SGB VIII greift. Denn das Landesrecht vermag die Strukturprinzipien des bundesgesetzlich geregelten Jugendhilferechts nicht abzubedingen (vgl. BVerwGE 135, 150 = NVwZ-RR 2010, 148; OVG Münster 12.1.2021 – 21 A 3824/18BeckRS 2021, 190 Rn. 52; jurisPK-SGB VIII/Luthe, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 7). Der Anwendung des in § 4 II SGB VIII normierten bedingten Vorrangs der freien Träger der Jugendhilfe steht auch vorliegend, anders als durch das VG ausgeführt, nicht entgegen, dass das als “Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO” bezeichnete Verfahren nur der Erforschung der Marktsituation dienen würde und noch keine Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII darstelle. Vielmehr handelt es sich bei dem vorliegenden Verfahren gerade nicht um ein “bloßes” Interessenbekundungsverfahren, sondern um das eigentliche Auswahlverfahren zum Abschluss eines untrennbar mit der Errichtung und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften erfüllt sein (hierzu unter aaa) und in der Rechtsfolge der Ast. ein Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. zukommen (hierzu unter bbb).

aaa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften vorliegend erfüllt sein. § 4 II SGB VIII lautet:

“Soweit geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden können, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen.”

Die Ast. ist unstreitig eine anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 75 I, II SGB VIII. Bei der zu errichtenden Kindertagesstätte handelt es sich zudem um eine Einrichtung iSd § 4 II SGB VIII. Unter dem Begriff der Einrichtungen versteht man die Erfüllung von Aufgaben unter Einsatz besonderer Sachmittel, insbesondere Gebäude, sächliche Ausstattung sowie personeller Mittel, dies umfasst unter anderem die Errichtung einer Kindertagesstätte (vgl. nur LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 38).

Die durch die Ast. geplante Kindertagesstätte dürfte zudem eine geeignete Einrichtung sein, die rechtzeitig geschaffen werden kann. Dass das Projekt der Ast. eine längere Realisierungsdauer hätte als die Projekte der Mitbewerber, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, so dass die Einrichtung durch die Ast. “rechtzeitig” iSd § 4 II SGB VIII geschaffen werden kann. Geeignet nach dieser Vorschrift ist eine Einrichtung dann, wenn sie sowohl fachlichen (Mindest-)Standards als auch den Wünschen und Bedürfnissen der potenziellen Nutzer entspricht (vgl. Wiesner/Wapler/Wapler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 22; LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 4 Rn. 40; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (447 mwN). Die Ast. erfüllt als Trägerin mehrerer Kindertagesstätten in Hamburg die geltenden und über den Abschluss entsprechender Vereinbarungen nach § 15 KibeG abgesicherten fachlichen Standards. Sie hat in ihrer Bewerbung für den Standort G., in der unter anderem Ausführungen zu der Nachfrage von Plätzen durch die Bewohner der nahegelegen Wohnunterkunft und somit nach den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer sowie die Partizipation von Eltern und Kindern zu machen waren, 78 von 100 Punkten erreicht und nur fünf Punkte weniger als die ausgewählte Bewerberin. Dass die durch die Ast. geplante Einrichtung nicht geeignet wäre, die künftigen Interessen der Nutzer abzubilden, ist daher nicht ersichtlich.

bbb) Die Ast. dürfte vorliegend einen Anspruch auf Unterlassung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. gegen die Ag. herleiten können. § 4 II SGB VIII kann Trägern der freien Jugendhilfe, die über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII verfügen, bei Vorliegen seiner tatbestandlichen Voraussetzungen ein subjektives Abwehrrecht gegen ein Tätigwerden des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe vermitteln, sofern dieser gegen das dann aus der Norm folgende bedingte Subsidiaritätsgebot verstößt (vgl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 68 ff. unter Bezugnahme auf BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII sind vorliegend wie zuvor dargestellt erfüllt, zudem sind die Voraussetzungen des “bedingten” Vorrangs des Trägers der freien Jugendhilfe – also der Ast. – gegeben.

Nach § 4 II SGB VIII “soll” der Träger der öffentlichen Jugendhilfe unter anderem von eigenen Maßnahmen absehen, wenn geeignete Einrichtungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können. Anders als die Vorgängervorschrift des § 5 III 2 JWG, die vorsah, dass von eigenen Maßnahmen abzusehen “ist”, hat sich der Gesetzgeber bei Normierung des § 4 II SGB VIII ausdrücklich für den “bedingten” Vorrang der freien Träger der Jugendhilfe entschieden, dies allerdings unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Vorgaben des BVerfG im oben genannten Urteil vom 18.7.1967. Danach ist der “bedingte” Vorrang der anerkannten Träger der freien Jugendhilfe dergestalt zu verstehen, dass das Jugendamt nur dann selbst Einrichtungen schaffen und Veranstaltungen vorsehen soll, wenn seine Anregungen und Förderungsmaßnahmen bei den Trägern der freien Jugendhilfe nicht zum Ziel führen, etwa weil der freie Träger keine angemessene Eigenleistung aufbringen kann. Ein Vorrang der Träger der freien Jugendhilfe umfasst beispielsweise auch nicht das Gebot für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, bestehende Angebote zugunsten der Träger der freien Jugendhilfe zu schließen, vielmehr soll ein sinnvoller Einsatz privater und öffentlicher wirtschaftlicher Mittel gewährleistet werden (vgl. BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795).

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so besteht ein gerichtlich durchsetzbarer Unterlassungsanspruch des anerkannten Trägers der freien Jugendhilfe gegen den Träger der örtlichen Jugendhilfe dann, wenn ein konkretes “Konkurrenzverhältnis” besteht (vgl. grdl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 81 mwN; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (449)).

So liegt es hier. Die Überlassung des streitgegenständlichen Grundstücks zur Errichtung einer Kindertagesstätte durch die Ag. an die Beigel. ist eine “eigene” Maßnahme iSd § 4 II SGB VIII. Die Beigel. ist zwar privatrechtlich organisiert, sie dürfte aber der Ast. als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe zuzurechnen sein (vgl. zur Abgrenzung von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21 Rn. 84?ff.; vgl. hierzu auch OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05; 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172; BeckOGK/Janda, 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 11; jurisPK-SGB VIII/Trésoret, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 75 Rn. 37). Die Beigel. ist keine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe. Sie dürfte auch nicht zu den freien Trägern der Jugendhilfe gehören. Das SGB VIII sieht eine Definition des freien Trägers der Jugendhilfe nicht vor. Aus den Vorschriften lässt sich aber ableiten, dass grundsätzlich als Träger der freien Jugendhilfe jede Personengruppe, Initiative und Personenvereinigung sowie jede juristische Person in Betracht kommt, die auf dem Gebiet der Jugendhilfe ohne gesetzliche Verpflichtung aufgrund eigener freier Entscheidung tätig wird (vgl. LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 3 Rn. 16; BeckOK SozR/Winkler, 68. Ed. 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 1). Dies dürfte vorliegend bei der Beigel. nicht gegeben sein, da sie nicht aufgrund eigener freier Entscheidung Leistungen der Jugendhilfe erbringt, sondern sich die Ag. ihrer bedient, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen unter anderem aus § 79 SGB VIII zu erfüllen. Denn die Beigel. ist als Eigenbetrieb der Ag. in Form einer gGmbH organisiert. Alleinige Gesellschafterin der Beigel. ist die Ag., diese hat auch das gesamte Stammkapital in Form einer Stammeinlage iHv 35 Mio. EUR übernommen. Gemäß § 7 des Gesellschaftsvertrags besteht der Aufsichtsrat aus neun Personen, von denen sechs durch den Senat der Ag. bestimmt werden und die unter anderem über die Ein- und Abberufung der Geschäftsführer bestimmen und deren Tätigkeit überwachen. Zudem unterliegen gem. § 8 des Gesellschaftsvertrags eine Vielzahl von Geschäften, unter anderem auch der Abschluss von bestimmten Miet- und Pachtverträgen, der Zustimmungspflicht des Aufsichtsrates und kann nach § 16 des Gesellschaftsvertrags die zuständige Behörde der Ag. die Recht- und Zweckmäßigkeit des “Geschäftsgebarens” der Beigel. überprüfen. Allein dadurch, dass ein öffentlicher Träger der Jugendhilfe durch eine privatrechtlich organisierte Eigengesellschaft tätig wird, kann diese aber nicht zum freien Träger im Sinne des SGB VIII werden, sofern die wesentlichen Entscheidungen für die Einrichtung bei dem öffentlichen Träger verbleiben und sie diese über ihre Stellung als maßgebliche Gesellschafterin herbeiführen kann, wovon nach den vorherigen Ausführungen in Bezug auf die Beigel. auszugehen ist (vgl. OVG Weimar 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172 Ls. 1 u. Rn. 18; OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05 Rn. 54).

Es liegt auch ein konkretes Konkurrenzverhältnis vor, da nach den Bedingungen des Auswahlverfahrens der Abschluss des Erbbaurechtsvertrags untrennbar mit der Übernahme der Trägerschaft für die Kindertagesstätte verbunden ist. Es sind zudem keine Besonderheiten des Einzelfalls erkennbar, warum vorliegend die Kindertagesstätte am G. durch eine eigene Maßnahme der Ag. erschaffen werden müsste. Hiergegen spricht schon die Durchführung des “Interessenbekundungsverfahrens” unter grundsätzlich gleichrangiger Beteiligung der freien Träger der Jugendhilfe. Nach den Planungen der Ag. besteht ein grundsätzlicher Bedarf für die Errichtung einer neuen Kindertagesstätte, weil im Stadtteil ### das bestehende Angebot nicht ausreichend ist und soweit ersichtlich auch nicht durch die Ausweitung bestehender Einrichtungen mit weniger wirtschaftlichem Aufwand gedeckt werden kann. Nach den im Auswahlverfahren eingereichten Finanzierungsplänen sollen die Kosten für den Bau der Kindertagesstätte durch den jeweiligen Träger aufgewendet werden, so dass ebenfalls nicht ersichtlich ist, dass die Durchführung der Maßnahme durch einen Träger der freien Jugendhilfe für den öffentlichen Träger wirtschaftlich belastender wäre als eine eigene Maßnahme. Wie oben dargestellt, ist auch nicht ersichtlich, dass das Angebot der Ast. den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer nicht genügen würde oder ein anderer Grund vorliegen würde, ausnahmsweise von einem Vorrang der öffentlichen Jugendhilfe im streitgegenständlichen Fall auszugehen. Die Pluralität des Angebots würde schließlich weder durch die Errichtung einer weiteren Einrichtung der Beigel. noch der Ast. erhöht, da beide bereits eine Vielzahl von Einrichtungen im Stadtgebiet betreiben.

bb) Die Ast. hat auch glaubhaft gemacht, dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint. Dies ist vorliegend erforderlich, weil trotz der Verletzung des bedingten Vorrangs der Maßnahmen der freien Träger der Jugendhilfe aus § 4 II SGB VIII ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Untersagung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. oder einen Dritten und mithin auch ein sicherungsfähiger Anspruch iSd § 123 VwGO nur dann besteht, wenn die Auswahl der Ast. selbst zumindest möglich erscheint (offen gelassen in OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; vgl. zu einem entsprechenden Erfordernis für den Rechtsschutz im Vergabeverfahren nach dem GWB Burgi/Dreher/Opitz/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 33; OLG Celle 12.10.2021 Rn. 78 mwN; zum beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch vgl. nur BVerfG NJW 2016, 309 Rn. 19 mwN).

Vorliegend hat das Angebot der Ast. 78 Punkte erhalten, dasjenige der “Küstenkinder” und von “pedia” jeweils 80 Punkte. Eines dieser Angebote würde gemäß den Verfahrensbedingungen nach Durchführung eines Losverfahrens nachrücken, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit der Beigel. aus den zuvor dargestellten Gründen nicht abgeschlossen werden kann. Ein sicherungsfähiger Anspruch liegt daher vorliegend nur vor, wenn die Ast. zusätzlich glaubhaft machen kann, dass ihre Bewerbung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglicherweise besser bewertet werden müsste als das Angebot der “Küstenkinder” sowie von “pedia”, wobei der Senat mangels gegenteiliger Anhaltspunkte unterstellt, dass beide Träger anerkannte Träger der freien Jugendhilfe iSd § 75 SGB VIII sind.

Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt, denn die Ast. hat glaubhaft gemacht, dass die Vergabe von nicht mehr als 78 von 100 möglichen Punkten im streitgegenständlichen Auswahlverfahren sie dadurch in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 12 I, Art. 3 I, Art. 19 III GG verletzt und eine auf sie fallende Auswahlentscheidung bei fehlerfreier erneuter Durchführung des Verfahrens möglich erscheint, dass die Vergabe von fünf von zehn möglichen Punkten bei der Beantwortung der Frage zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Berücksichtigung der besonderen Bedarfe der Eltern und Kinder aus der nagelegengen Wohnunterkunft nicht sachlich nachvollziehbar und unter Verstoß gegen Art. 3 I GG ergangen ist.

Bemühen sich mehrere freie Träger um die Durchführung von Jugendhilfemaßnahmen, so steht ihnen auf der Grundlage der aus Art. 12 I GG abzuleitenden Wettbewerbsfreiheit ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung und chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren zu (vgl. VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Ls. 1 u. Rn. 18 mwN; OVG Hamburg, 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110). Dieser Anspruch beinhaltet zumindest einen aus Art. 3 I GG folgenden Gleichbehandlungsanspruch des Inhalts, dass die Bewertung der Bewerbungen der verschiedenen Anbieter anhand der gleichen Beurteilungsmaßstäbe in einem transparenten und fairen Verfahren vorgenommen wird (vgl. OVG Lüneburg NVwZ 2019, 656 Rn. 23 = NordÖR 2019, 86 zu einem Anspruch auf eine Auswahlentscheidung unter Wahrung der Anforderungen des Art. 3 I GG).

Dabei obliegt es dem Gericht nicht, die Vergabe der einzelnen Punkte inhaltlich zu bewerten und ein Angebot als besser oder schlechter zu beurteilen. Die am Maßstab des Art. 3 I GG ausgerichtete gerichtliche Kontrolle umfasst aber, ähnlich dem beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch, zumindest die Überprüfung, ob der Sachverhalt von der Ag. unvollständig oder unzutreffend erfasst worden ist, sie selbst aufgestellte Beurteilungsvorgaben nicht beachtet hat oder sachwidrige oder gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßende Erwägungen angestellt hat und ihre Wertung hierdurch fehlerhaft geworden ist (vgl. VG Hamburg 5.5.2021 – 2 S 417/21).

Das durch die Ag. zur Erfüllung ihrer Gesamtverantwortung aus § 79 I SGB VIII für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII gewählte “Interessenbekundungsverfahren” mit den einzelnen in den Bewerbungsunterlagen abgefragten Kriterien dürfte dabei nach summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gegen die Prinzipien des chancengleichen und transparenten Verfahrens verstoßen. Die Auswahlkriterien sind zudem an den gesetzlichen Anforderungen der §§ 22?ff. SGB VIII zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen ausgerichtet und begegnen keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. bereits OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

Es erscheint aber zumindest möglich, dass die Bewerbung der Ast. bei der Beantwortung der Frage

“Bitte machen sie konkrete Ausführungen zur Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Hinblick auf zB Randzeitenbetreuung, einem Wechsel der Leistungsart, Bring- und Holzeiten etc. Bitte machen Sie konkrete konzeptionelle Ausführungen in welchem Umfang Fünf-Stunden-Plätze angeboten werden sollen, auch in Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften (zehn Punkte)”

unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz fehlerhaft nur mit fünf Punkten bewertet wurde, weil diese Bewertung sachlich nicht nachvollziehbar ist und die Vergleichbarkeit der angewendeten Beurteilungsmaßstäbe an unterschiedliche Bewerbungen nicht erkennen lässt. Die Ast. hat im Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften ausgeführt:

“Alle Kinder aus den nahe gelegenen Wohnunterkünften sind uns willkommen – Sternipark unterscheidet Kinder nicht nach Herkunft, Religion oder sonstigen Weltanschauungen. Ein Fokus muss darauf liegen, auch und gerade für diese Kinder einen guten Start ins deutsche Bildungssystem sicherzustellen. Da Sternipark mit 13 Kitas und 18 Sprachfachkräften am Bundesprogramm “Sprachkita” partizipiert und hier über ein breites Erfahrungswissen verfügt, kann dieses zugunsten geflüchteter Kinder oder von Kindern mit Migrationshintergrund eingesetzt werden.”

Hierfür hat sie fünf von zehn Punkten erhalten. In der Mitteilung darüber, dass die Ast. nicht ausgewählt worden sei, hat die Ag. dargestellt, dass die Ausführungen eine “ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vermissen” ließen. Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem VG hat die Ag. ihre Ausführungen dahingehend ergänzt, das die Ast. nicht ausführlich beschreibe, wie sie dem voraussichtlich erhöhten Bedarf an Fünf-Stunden-Plätzen aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft zu entsprechen beabsichtige.

Die Beigel. hat ausweislich der Sachakte in ihrer Bewerbung zur Beantwortung dieser Frage ausgeführt:

“Zugleich müssen wir zugunsten einer tragfähigen Personalausstattung und somit einer guten pädagogischen Arbeit den Anteil der Fünf-Stunden-Plätze in unseren Kitas auch begrenzen. Unser Betreuungsangebot ist entsprechend heterogen. Unsere Flexibilität bietet den Familien eine große Sicherheit, denn bei den Elbkindern einmal aufgenommen und eingewöhnt, verbleibt jedes Kind dauerhaft und sicher in seiner Kita, auch wenn sich eine veränderte Lebenssituation der Eltern auf ihren Kita-Gutschein auswirkt. Wir möchten, dass Eltern bei uns ein Angebot vorfinden, das ihrer Lebenssituation entspricht. Darüber hinaus möchten wir bei entsprechender Nachfrage gern ein passendes und bedarfsgerechtes Angebot für Kinder bereitstellen, die in Wohnunterkünften leben.”

Diese Ausführungen wurden mit zehn von zehn Punkten bewertet. Diese Bewertung lässt die Anwendung gleicher Bewertungsmaßstäbe nicht erkennen, da die Beigel. zu der Nachfrage aus den Wohnunterkünften lediglich auf ein “passendes und bedarfsgerechtes Angebot” und das auch nur “bei entsprechender Nachfrage” verweist, ohne dies im Ansatz zu konkretisieren und ohne zu berücksichtigen, dass die Nachfrage wegen der vorhandenen Wohnunterkünfte bereits feststeht. Dies ist sachlich nicht nachvollziehbar mit den Anforderungen in Einklang zu bringen, die die Ag. an das Angebot der Ast. gestellt hat, nämlich eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vorzunehmen. Es bleibt danach zwar möglich, dass das Angebot der Beigel. in diesem Punkt fehlerhaft zu viele Punkte erhalten hat, ebenso möglich und somit für die Annahme einer möglichen Besserbeurteilung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Verfahrens ausreichend ist es aber, dass an das Angebot der Ast. in diesem Punkt strengere Anforderungen auch als an dasjenige der besser platzierten Bewerber gestellt wurden.

Unbeachtlich sind hingegen die Einwendungen der Ast., soweit sie das Finanzierungskonzept der Beigel. betreffen, da eine Auswahlentscheidung, die auf die Beigel. fällt, nach den vorstehenden Ausführungen bei einer Wiederholung des Auswahlverfahrens nicht mehr möglich ist. Gleiches gilt soweit die Ast. die Beurteilung der Bewerbung hinsichtlich der Beschreibung des Sozialraumes rügt, da ihre eigene Bewerbung in diesem Punkt die maximale Punktzahl von zehn Punkten erreicht hat.

BGH: Erweist sich eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist, liegen nicht zugleich die Voraussetzungen vor, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013) zu berufen

BGH: Erweist sich eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist, liegen nicht zugleich die Voraussetzungen vor, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013) zu berufen

vorgestellt von Thomas Ax

Erweist sich eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14.06.2020 – VII ZR 174/19, Rz. 15 m.w.N., IBRRS 2020, 1607), liegen nicht zugleich die Voraussetzungen vor, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013) zu berufen. Hierzu bedarf es Feststellungen dazu, dass dies zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde und es daher gem. § 242 BGB rechtsmissbräuchlich ist, sich auf die Formunwirksamkeit zu berufen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26.02.2020 – XII ZR 51/19, Rz. 27, IBRRS 2020, 0844).

BGH, Urteil vom 03.08.2023 – VII ZR 102/22

vorhergehend:

OLG Celle, Urteil vom 27.04.2022 – 14 U 156/21

LG Hannover, 15.09.2021 – 14 O 211/20

Tatbestand:

Die Klägerin fordert von der Beklagten die Zahlung restlichen Architektenhonorars.

Die Beklagte wurde von der Landesstraßenbaubehörde S. am 28. Mai 2013 mit Planungsleistungen für eine Flutbrücke und deren Errichtung beauftragt. Sie beauftragte ihrerseits die Klägerin mit den Planungsleistungen. Vor Beginn ihrer Arbeiten unterbreitete die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 4. Juni 2013 ein Angebot über die Planungsleistungen für ein Honorar in Höhe von 310.623 Euro netto, welches die Beklagte nicht annahm. Die Klägerin begann dennoch mit den Planungen. In der Folge unterbreitete sie der Beklagten ein weiteres Angebot über ein Pauschalhonorar in Höhe von 400.000 Euro, in dem die letztlich beauftragten Leistungen mit einem Betrag in Höhe von 170.000 Euro bewertet wurden. Die Beklagte unterzeichnete diesen Vertrag nicht, sondern übersandte ihrerseits unter dem 18. Juli 2014 der Klägerin einen Vertragsentwurf, in dem das Honorar mit 161.713,27 Euro angegeben wurde. Dieser Entwurf wurde von der Klägerin nicht unterzeichnet.

Die Klägerin stellte während der Leistungserbringung mehrere Abschlagsrechnungen, die von der Beklagten bezahlt wurden. Darin wurde jeweils auf “bestehende Vereinbarungen” Bezug genommen. Mit Schreiben vom 18. Juni 2015 übersandte die Klägerin der Beklagten eine 6. Abschlagsrechnung, mit der sie ihre Leistungen bis auf eine Bestandsunterlage als vollständig erbracht mit 170.000 Euro netto abzüglich eines Betrags in Höhe von 1.000 Euro für die fehlende Unterlage in Rechnung stellte. Die Beklagte kürzte den Betrag auf 161.713,27 Euro. Dieser Kürzung widersprach die Klägerin unter Hinweis auf die getroffenen Vereinbarungen.

Nachdem die Beklagte eine Zahlung in Höhe von 161.713,27 Euro geleistet und die Bezahlung eines weiteren Honorars auf der Grundlage eines Netto- honorars in Höhe von 170.000 Euro verweigert hatte, rechnete die Klägerin ihre Leistungen auf der Basis der Mindestsätze der HOAI (2013) ab. Mit der Klage hat sie ein über die erfolgte Zahlung der Beklagten hinausgehendes weiteres Honorar in Höhe von 114.285,75 Euro geltend gemacht.

Die Klage ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision will die Klägerin weiterhin die Verurteilung der Beklagten auf ihren Klageantrag hin erreichen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in IBR 2022, 352 = BauR 2022, 1792 veröffentlicht ist, hat zur Begründung – soweit für die Revision von Interesse – ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Werklohns in Höhe von 114.285,75 Euro. Zwischen den Parteien sei konkludent ein Pauschalpreis in Höhe von 161.713,27 Euro vereinbart worden, auf dessen Gültigkeit sich die Beklagte gemäß § 242 BGB berufen könne. Diesen Betrag habe die Beklagte bereits gezahlt.

Die weitere Werklohnforderung stehe der Klägerin gemäß § 242 BGB nicht zu; ihre Geltendmachung erweise sich als rechtsmissbräuchlich. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verhalte sich der Auftragnehmer widersprüchlich, wenn er eine Pauschalvereinbarung unterhalb der Mindestsätze der HOAI abschließe und später nach den Mindestsätzen abrechnen wolle. Eine Geltendmachung der Mindestsätze könne nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn der Auftraggeber auf die Wirksamkeit der Vereinbarung vertraut habe und auch habe vertrauen dürfen und er sich darauf in einer Weise eingerichtet habe, dass ihm die Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem Honorar und den Mindestsätzen nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden könne. Erforderlich sei eine Gesamtabwägung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls.

Diese Voraussetzungen, die es der Klägerin verwehrten, ihr Honorar nachträglich und entgegen der Pauschalpreisabrede nach Mindestsätzen abzurechnen, seien hier erfüllt, so dass auch dahinstehen könne, ob der vereinbarte Pauschalpreis tatsächlich mindestsatzunterschreitend gewesen sei. Die Klägerin verhalte sich widersprüchlich, wenn sie nunmehr nach Mindestsätzen abrechne. Die Beklagte habe auf die Wirksamkeit der geschlossenen Pauschalpreisvereinbarung vertrauen dürfen. Die Klägerin habe einen Vertrauenstatbestand begründet, indem sie sich bewusst dazu entschieden habe, der Beklagten eine mindestsatzunterschreitende Pauschalhonorarvereinbarung anzubieten, obwohl sie Kenntnis von der Gültigkeit der Mindestsätze gehabt habe. Das zwischen den Parteien vereinbarte Leistungsverzeichnis und der Umstand, dass die Klägerin bis zur 6. Abschlagsrechnung im Jahr 2015 immer auf “bestehende Vereinbarungen” Bezug genommen und nach diesen abgerechnet habe, habe den Vertrauenstatbestand noch vertieft. Noch in der Mahnung vom 27. November 2015 habe die Klägerin die Zahlung des Restbetrags zu der von ihr behaupteten Pauschale in Höhe von 170.000 Euro verlangt. Die Klägerin habe seit Beginn der Vertragsbeziehung in keinem Schreiben darauf hingewiesen, dass das verlangte Honorar mindestsatzunterschreitend gewesen sei, sondern habe die HOAI erst im Rahmen von Meinungsverschiedenheiten als “Drohinstrument” benutzt, um die Zahlung des von ihr geforderten Betrags durchzusetzen. Die HOAI stelle aber kein Preisrecht dar, um Druck auf den Auftraggeber auszuüben, sollte es zwischen den Parteien im Verlauf der Vertragsbeziehung zu Unstimmigkeiten kommen. Zu Lasten der Klägerin wiege schwer, dass sie – nach eigenen Angaben – der Beklagten einen Pauschalpreis angeboten habe in der Absicht, sich nicht an die geschlossene Vereinbarung halten zu wollen.

Die Beklagte habe nachvollziehbar dargelegt, dass sie nicht von einer Mindestsatzunterschreitung habe ausgehen müssen. Sie habe sich auch auf die Zahlung des Pauschalhonorars eingerichtet und mit diesem kalkuliert. Nach dem gesetzlichen Leitbild der Vertragstreue sei dieses Vertrauen besonders schützenswert. Die Zahlung des Differenzbetrags sei der Beklagten auch nicht zumutbar. Die Erhöhung der klägerischen Forderung liege bei 50 %.

Selbst wenn die Pauschalhonorarvereinbarung gegen das Schriftformerfordernis gemäß § 7 Abs. 3 HOAI (2013) verstieße, bliebe die Klägerin an die getroffene Vereinbarung gebunden. Die Berufung der Klägerin auf die Formunwirksamkeit verstoße gegen Treu und Glauben, da dies unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falls zu einem unerträglichen Ergebnis führen würde (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. November 2010 – 23 U 215/09, BauR 2012, 284).

II.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Die Beklagte kann sich nach den im Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Feststellungen nicht mit Erfolg darauf berufen, der Klägerin sei es nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, ihren Honoraranspruch auf der Basis der Mindestsätze der HOAI zu berechnen. Insoweit kann für die Beurteilung, ob der Einwand der Treuwidrigkeit durchgreift, dahinstehen, ob sich die Honorarberechnung nach der HOAI (2009) richtet, wie die Beklagte geltend macht, oder ob die HOAI (2013) Anwendung findet, wovon das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Klägerin ausgeht, da die maßgeblichen Vorschriften in § 7 Abs. 1, 3 HOAI in beiden Fassungen wortgleich sind.

1. Das Berufungsgericht ist unter Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesgerichtshofs zu den Voraussetzungen, unter denen sich der Architekt ausnahmsweise nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die Berechnung seiner Vergütung nach den Mindestsätzen der HOAI berufen kann (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – VII ZR 174/19 Rn. 15, BGHZ 225, 297; Urteil vom 27. Oktober 2011 – VII ZR 163/10 Rn. 24, BauR 2012, 271 = NZBau 2012, 174; Urteil vom 23. Oktober 2008 – VII ZR 105/07 Rn. 17 m.w.N., BauR 2009, 262 = NZBau 2009, 33), rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ohne weiteres auch eine Berufung auf die Formunwirksamkeit der Honorarvereinbarung ausscheidet.

a) Entgegen der Auffassung der Revision leidet das angefochtene Urteil allerdings nicht an dem absoluten Revisionsgrund der mangelnden Begründung, § 547 Nr. 6 ZPO, soweit das Berufungsgericht die Auffassung vertreten hat, eine Berufung auf die Formunwirksamkeit des Vertrags komme nach § 242 BGB ebenfalls nicht in Betracht. § 547 Nr. 6 ZPO erfasst in erster Linie den Fall, dass die angefochtene Entscheidung keinerlei Gründe enthält oder einer von mehreren von der Entscheidung erfassten selbständigen Ansprüche in den Entscheidungsgründen nicht behandelt wird (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2021 – I ZR 137/20 Rn. 66, MDR 2022, 114; Versäumnisurteil vom 10. Januar 2008 – I ZR 38/05 Rn. 37, RIW 2008, 392; Urteil vom 15. Oktober 1998 – I ZR 111/96, BGHZ 140, 84 m.w.N.). § 547 Nr. 6 ZPO ist dagegen nicht schon dann anwendbar, wenn Urteilsgründe unrichtig, unzureichend oder unvollständig sind (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2019 – I ZR 200/17 Rn. 47, MDR 2019, 882; Urteil vom 26. April 1991 – V ZR 61/90, NJW 1991, 2761; Urteil vom 3. Oktober 1980 – V ZR 125/79, NJW 1981, 1045).

Nach diesen Maßstäben ist § 547 Nr. 6 ZPO nicht verletzt. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, die Klägerin sei nach Treu und Glauben gehindert, sich auf die fehlende Formwirksamkeit der Honorarvereinbarung zu berufen, damit begründet, dass zugunsten der Beklagten nach den Umständen ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei und diese sich darauf eingerichtet habe, nur den konkludent vereinbarten Pauschalpreis zahlen zu müssen. Unabhängig davon, ob sich diese Begründung rechtlich als tragfähig erweist oder nicht, fehlt es jedenfalls nicht überhaupt an Gründen im Sinne des § 547 Nr. 6 ZPO.

b) Das Berufungsgericht geht jedoch rechtsfehlerhaft davon aus, dass für den Fall, dass sich unter Berücksichtigung der vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – VII ZR 174/19 Rn. 15, BGHZ 225, 297; Urteil vom 27. Oktober 2011 – VII ZR 163/10 Rn. 24, BauR 2012, 271 = NZBau 2012, 174; Urteil vom 23. Oktober 2008 – VII ZR 105/07 Rn. 17 m.w.N., BauR 2009, 262 = NZBau 2009, 33) eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig darstellt, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist, zugleich die Voraussetzungen vorliegen, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013) zu berufen.

aa) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Parteien hinsichtlich der streitgegenständlichen Leistungen, für die die Klägerin noch ein restliches Honorar in Höhe von 114.285,75 Euro begehrt, konkludent eine Pauschalhonorarvereinbarung in Höhe von 161.713,27 Euro netto geschlossen haben. Ob hierdurch die maßgeblichen Mindestsätze unterschritten wurden, hat das Berufungsgericht dahinstehen lassen. Dies ist entsprechend dem Vortrag der Klägerin revisionsrechtlich zu unterstellen.

Ohne Erfolg rügt die Revision, dass das Berufungsgericht aufgrund einer rechtsfehlerhaften Würdigung der festgestellten tatsächlichen Umstände unter Verstoß gegen § 286 Abs. 1 ZPO zu dem Ergebnis gelangt ist, die Parteien hätten sich konkludent auf einen Pauschalpreis in Höhe von 161.713,27 Euro netto für die Leistungen geeinigt, die Gegenstand der streitgegenständlichen Honorarrechnung der Klägerin sind. Die Auslegung von Willenserklärungen ist Angelegenheit des Tatrichters. Eine Überprüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (BGH, Urteil vom 27. April 2023 – VII ZR 144/22 Rn. 35, NJW-RR 2023, 901; Urteil vom 17. Mai 2018 – VII ZR 157/17 Rn. 19, BauR 2018, 1403 = NZBau 2018, 524; Urteil vom 31. August 2017 – VII ZR 5/17 Rn. 24 m.w.N., BauR 2018, 99 = NZBau 2017, 718).

20          Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hält die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Ein Verstoß gegen gesetzliche Auslegungsregeln oder anerkannte Auslegungsgrundsätze liegt nicht darin, dass das Berufungsgericht dem Umstand, dass die Klägerin unmittelbar nach Erhalt des Vertragsentwurfs vom 18. Juli 2014, in dem ein Pauschalpreis von 161.713,27 Euro genannt gewesen als auch auf Verhandlungen am 15. Juli 2014 Bezug genommen worden ist, mit ihrer 4. Abschlagsrechnung vom 13. August 2014 auf “bestehende Vereinbarungen” verwiesen hat, eine erhebliche Bedeutung für die Annahme beigemessen hat, die Klägerin habe sich konkludent mit dem von der Beklagten vorgeschlagenen Pauschalpreis einverstanden erklärt. Diese Auslegung ist auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Klägerin zuvor bereits Leistungen erbracht und hierfür Abschlagsrechnungen erteilt hatte, eine im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO revisionsrechtlich nicht zu beanstandende Würdigung.

bb) Es kann offenbleiben, ob nach den getroffenen Feststellungen die Annahme des Berufungsgerichts gerechtfertigt ist, die Abrechnung der Klägerin nach den Mindestsätzen der HOAI (2013) stelle sich unter den strengen Voraussetzungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausnahmsweise als treuwidrig dar, weil das Vertrauen der Beklagten auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig sei. Denn es fehlt jedenfalls an Feststellungen dazu, dass die Klägerin nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) im vorliegenden Fall auch gehindert war, sich auf die Formunwirksamkeit der konkludent geschlossenen Pauschalhonorarvereinbarung zu berufen.

(1) Ob der Vertragspartner darauf vertrauen darf, der andere Vertragsteil werde sich nicht auf die Formunwirksamkeit berufen, richtet sich nach anderen Kriterien als denen, unter denen ausnahmsweise eine Unterschreitung der Mindestsätze nach Treu und Glauben gerechtfertigt sein kann. Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung darf sich grundsätzlich jede Partei darauf berufen, die für einen Vertrag vorgeschriebene Schriftform sei nicht eingehalten. Nur ausnahmsweise, wenn dies zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde, kann es gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich sein, sich auf die Formunwirksamkeit zu berufen. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der eine Vertragspartner den anderen schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten oder sich sonst einer besonders schweren Treuepflichtverletzung schuldig gemacht hat oder wenn als Folge der Formwidrigkeit die Existenz der anderen Vertragspartei bedroht wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 2020 – XII ZR 51/19 Rn. 27, BGHZ 224, 370; Urteil vom 27. September 2017 – XII ZR 114/16 Rn. 24, BGHZ 216, 68; Urteil vom 3. November 2016 – III ZR 286/15 Rn. 12, MDR 2017, 18; jeweils m.w.N.). Diese Rechtsprechung findet auch Anwendung, soweit es um die gemäß § 7 Abs. 1 HOAI (2009/2013) für eine wirksame Honorarvereinbarung erforderliche Schriftform bei Auftragserteilung geht (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 5. Dezember 2022 – 11 U 231/21, MDR 2023, 560; OLG Oldenburg, Urteil vom 28. Mai 2013 – 2 U 111/12; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. November 2010 – 23 U 215/09, BauR 2012, 284).

(2) Dass diese Voraussetzungen vorliegen, hat das Berufungsgericht nicht hinreichend festgestellt. Die in Bezug genommene Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Urteil vom 23. November 2010 – 23 U 215/09, BauR 2012, 284) betrifft einen anderen Sachverhalt. Gegenstand des dortigen Verfahrens war eine schriftlich niedergelegte Honorarvereinbarung über einen Pauschalpreis, der die Mindestsätze der HOAI unterschritt. Der Architekt hatte dem Auftraggeber ein von ihm nicht unterzeichnetes Vertragsangebot mit vorbereitetem Unterschriftsfeld für den Auftraggeber übersandt und damit den Eindruck erweckt, es bedürfe nur noch der Unterschrift des Auftraggebers. Vergleichbare Umstände hat das Berufungsgericht im Streitfall nicht festgestellt.

Für die Annahme der Treuwidrigkeit der Berufung auf die Formunwirksamkeit genügt es nicht, dass die Klägerin der Beklagten überhaupt im Rahmen der Vertragsverhandlungen einen Pauschalpreis angeboten hat, den die Beklagte letztlich jedoch nicht akzeptiert hat. Ein widersprüchliches Verhalten der Klägerin in Bezug auf den Abschluss einer formwirksamen Honorarvereinbarung liegt nicht vor. Die Klägerin hat der Beklagten vielmehr mehrfach ein schriftliches Angebot über die von ihr für angemessen gehaltene Summe von 170.000 Euro unterbreitet, welches die Beklagte nicht angenommen hat. Dass der Klägerin, wie vom Berufungsgericht festgestellt, bewusst gewesen ist, dass die von ihr angebotene Pauschalvergütung die Mindestsätze der HOAI unterschreiten würde, hat nicht zur Folge, dass die Berufung auf die Formunwirksamkeit treuwidrig wäre. Die auch für die Beklagte als Fachunternehmerin offenkundige Formunwirksamkeit der Vereinbarung hat die Klägerin hierdurch nicht treuwidrig herbeigeführt oder auch nur zu vertreten. Eine Berufung auf die Formunwirksamkeit der Honorarvereinbarung ist daher nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Klägerin ein unterhalb der Mindestsätze liegendes Angebot überhaupt abgegeben hatte. Gleiches gilt für die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe der Beklagten von vornherein einen Pauschalpreis in der Absicht angeboten, sich später nicht an eine entsprechende Vereinbarung halten zu wollen.

Diese Annahme hat in der im angefochtenen Urteil hierfür als Beleg angeführten Passage des schriftsätzlichen Vortrags der Klägerin bereits keine tragfähige Stütze. Dass die Klägerin sich nach ihrem Vortrag durch die Mindestsatz-Regelungen der HOAI gegen “Bemühungen” ihrer Vertragspartnerin geschützt sah, “ein der Aufgabenstellung nicht angemessenes Honorar durchzusetzen”, lässt schon nicht erkennen, inwiefern sie hierdurch die “Absicht” erklärt haben soll, sich an eine etwa tatsächlich zustande gekommene Honorarvereinbarung später nicht halten zu wollen. Das Berufungsgericht übersieht außerdem, dass der referierte Vortrag der Klägerin im Zusammenhang mit ihren Ausführungen steht, wonach die Auftragsbearbeitung bei Übersendung des Vertragsentwurfs der Beklagten vom 18. Juli 2014 bereits weit fortgeschritten gewesen sei. Der Hinweis der Klägerin auf die Schutzfunktion der HOAI-Mindestsätze kann daher auch deshalb nicht in dem vom Berufungsgericht angenommenen Sinn verstanden werden.

Auch der Umstand, dass die Klägerin erst zu einem Zeitpunkt, als sich unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten mit der Beklagten über die Honorarhöhe ergeben hatten, eine Honorarabrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI vorgelegt hat, ist nicht geeignet, den Vorwurf zu rechtfertigen, sie habe die formunwirksame Vereinbarung mit der Beklagten unter Verletzung der Gebote von Treu und Glauben bewusst herbeigeführt. Dass es nicht zu einer schriftlichen Honorarabrede zwischen den Parteien gekommen ist, ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass das jeweilige schriftliche Angebot der einen Vertragspartei von der Gegenseite nicht schriftlich angenommen wurde. Für die Beklagte war als Fachunternehmerin auch erkennbar, dass eine schriftliche Honorarvereinbarung wegen der unterschiedlichen Honorarvorstellungen der Parteien im Zuge der Vertragsverhandlungen nicht geschlossen worden ist.

2. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit gemäß § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch macht. Der Senat kann in der Sache nicht selbst gemäß § 563 Abs. 3 ZPO entscheiden, weil die Sache nach den getroffenen Feststellungen nicht zur Endentscheidung reif ist.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:

Die Klägerin kann ihr Honorar nicht auf der Grundlage der erst zum 17. Juli 2013 in Kraft getretenen HOAI (2013) berechnen, soweit Grundleistungen vor ihrem Inkrafttreten vertraglich vereinbart wurden; insoweit bleiben die bisherigen Vorschriften anwendbar, § 57 HOAI (2013). Das Berufungsgericht hat zu dem Zeitpunkt, zu dem die Grundleistungen vertraglich vereinbart worden sind, keine Feststellungen getroffen. Lag dieser vor dem 17. Juli 2013, richtet sich die Honorarberechnung der Klägerin nach den Bestimmungen der HOAI (2009). Insoweit ist den Parteien noch Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen und der Klägerin gegebenenfalls zur Neuberechnung des Honorars nach den Bestimmungen der HOAI (2009) zu geben.

OLG München: Der Auftraggeber entscheidet darüber, welche Materialien er in welcher Ausführung in sein Bauwerk einbringen lassen möchte

OLG München: Der Auftraggeber entscheidet darüber, welche Materialien er in welcher Ausführung in sein Bauwerk einbringen lassen möchte

vorgestellt von Thomas Ax

1. Der Auftraggeber entscheidet darüber, welche Materialien er in welcher Ausführung in sein Bauwerk einbringen lassen möchte. Für ihn kann die Vorstellung eines besseren Wohngefühls, eines besseren Schutzes der Gesundheit und einer besseren Erhaltung der Bausubstanz maßgeblich für die Entscheidung für oder gegen bestimmte Materialien oder Zusammensetzungen sein.
2. Ein Putz aus reinem Kalk oder mit einem hohen Kalkanteil wird zumindest bei Personen, denen eine besonders ökologische Bauweise wichtig ist, als höherwertig angesehen.
3. Das Interesse des Auftraggebers, einen Putz zu erhalten, der jedenfalls nach seinen Vorstellungen für den Zustand des neugebauten Wohnhauses und für die Gesundheit der darin lebenden Bewohner dauerhaft von positiver Wirkung ist, ist – unabhängig von der Frage, ob der Auftragnehmer diese Einschätzung teilt – ein berechtigtes Interesse, das auch hohe Kosten der Nachbesserung rechtfertigt.
OLG München, Beschluss vom 14.04.2021 – 20 U 6129/20 Bau
vorhergehend:
OLG München, Beschluss vom 12.02.2021 – 20 U 6129/20 Bau
LG Landshut, 22.09.2020 – 73 O 4326/19
nachfolgend:
BGH, Beschluss vom 21.06.2023 – VII ZR 439/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Gründe:

I.

Der Kläger macht Gewährleistungsansprüche und Schadenersatzansprüche aus Werkvertrag gegen die Beklagte geltend, die im Herbst/Winter 2016 mit Verputzarbeiten am Haus des Klägers beauftragt war.

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe einen Innenputz aufgebracht, der nicht die vertraglich vereinbarten Eigenschaften habe, und Schäden an Fensterrahmen und Fensterbänken verursache. Zur Beseitigung der Mängel verlangt er einen Kostenvorschuss.

Er hat erstinstanzlich beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 39.744,96 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zum Ersatz auch der weiteren Nachbesserungskosten verpflichtet ist.

3. Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von der Verpflichtung zur Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte hat

Klageabweisung beantragt.

Dem Streitverfahren ist ein selbständiges Beweisverfahren vorausgegangen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Beklagte im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt, lediglich geltend gemachte Kosten für ein privates Sachverständigengutachten und für Schleifarbeiten/Nachfilzen hat es als nicht erstattungsfähig angesehen. Das Werk der Beklagten sei mangelhaft iSv. § 633 Abs. 2 S. 1 BGB, da sie die falsche Putzart eingebracht habe und der Putz nicht die vereinbarte Körnung habe. Nach ursprünglicher Vereinbarung eines reinen Kalkputzes hätten sich die Parteien später aufgrund der Beratung der Beklagten auf die Ausführung eines Kalk-Gips-Putzes geeinigt, der weiterhin die Körnung 0,6 mm aufweisen sollte. Aufgrund des Sachverständigengutachtens stehe fest, dass die Körnung etwa 1,0 mm betrage, dass in den Feuchträumen in Kellergeschoss, Erdgeschoss und Obergeschoss ein Zementputz aufgebracht worden sei und dass auch die restlichen Räume nicht mit einem Kalk-Gips-Putz versehen worden seien. Die weiteren Voraussetzungen eines Kostenvorschusses nach § 637 Abs. 3 BGB lägen vor. Der geltend gemachte Vorschuss sei der Höhe nach angemessen, da er auf den vom Sachverständigen geschätzten Kosten beruhe, der Kläger könne die Umsatzsteuer hinzuaddieren, da er nicht vorsteuerabzugsberechtigt sei. Da der Sachverständige die Kosten für die Neuverputzung der Feucht- räume nicht ermittelt habe, könne der Kläger diese schätzen. Der geltend gemachte Betrag von 38.080 Euro sei daher angemessen. Ein Ausschlussgrund nach § 635 BGB sei nicht gegeben. Insbesondere sei das Bestellerinteresse nach der Rechtsprechung des BGH auch nicht deshalb als gering anzusehen, weil das hinter dem vereinbarten höheren Standard zurückbleibende Werk wenigstens den anerkannten Regeln der Technik entspreche. Ein berechtigtes Interesse des Klägers ergebe sich daraus, dass es nicht nur z.B. um Schönheitsreparaturen gehe, sondern aufgrund des Sachverständigengutachtens davon auszugehen sei, dass tatsächlich fühlbare Einschränkungen in der Bauklimatik die Folge der falschen Putzart seien. Auch das subjektive Empfinden des Klägers sei zu berücksichtigen. Hinsichtlich der geltend gemachten Beschädigungen an den Fenstern habe die Beklagte Entstehung und Höhe des Schadens zu unsubstantiiert bzw. unzulässig mit Nichtwissen bestritten. Im Übrigen ergebe sich aus Anl. K25/26, dass die Beklagte die Positionen außergerichtlich bereits anerkannt habe. Soweit die Beklagte mit einem Rechnungsbetrag (Anl. B14) die Aufrechnung erklärt habe, gehe diese ins Leere, da es sich bei dieser Rechnung um Kosten der Mangelbeseitigung handele. Die Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung müsse die Beklagte übernehmen, auch wenn der Klägervertreter der Bruder des Klägers sei. Der Feststellungsantrag sei zulässig und begründet, da der Kläger die endgültigen Kosten der Mangelbeseitigung noch nicht beziffern könne.

Gegen das ihr am 22.9.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21.10.2020 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 23.12.2020 am 22.12.2020 begründet. Sie rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs und die Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung durch das Landgericht. Das Landgericht habe sich von der Aussage der Zeugin H. leiten lassen und nicht beachtet, dass diese Zeugin an den Gesprächen zwischen den Parteien nicht teilgenommen habe. Die Beklagte habe vor Aufnahme der Putzarbeiten mitgeteilt, dass wenn überhaupt verputzt werden könne, dann nur mit einem Gips-Kalk-Putz. Zur Vermeidung von putzgebundenen Rissen sei dies sinnvoll gewesen, wozu die Beklagte Beweis angeboten habe. Nachdem sie dem Kläger dies mitgeteilt habe, habe sich dieser am 18.11.2016 ausweislich der Anlage B4 einverstanden erklärt. Die Beklagte habe vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass die Parteien sich auf einen bestimmten Putz, nämlich den vom Hersteller Knauf vorgeschlagenen Putz MP 75 Edelfilz, geeinigt hätten. Hinsichtlich des Kalkzements in den Feuchträumen habe der Kläger sich nach einer ersten Beanstandung einverstanden erklärt, dass die nicht gefliesten Wandflächen mit einem feinen Oberputz überzogen würden. Der Kläger habe das Ergebnis dann auch gelobt (Anl. B10). Die Annahme des Landgerichts, der in den übrigen Räumen verwendete Putz sei kein Kalk-Gips-Putz und entspreche deshalb nicht der vereinbarten Beschaffenheit, sei falsch, weil es keinen Unterschied zwischen einem Kalk-Gips-Putz und einem Gips-Kalk-Putz gebe. Zu Unrecht sei das Landgericht dem Gutachter darin gefolgt, dass trotz der Aufgabe eines solchen Unterschieds in den DIN-Normen für Werktrockenmörtel Bauschaffende unter einem Kalk-Gips-Putz weiterhin einen Putz verstünden, der mehr Kalkbindemittel als Gips enthielte. Die Meinung von Bauschaffenden habe mit den anerkannten Regeln der Technik nichts zu tun. Das Landgericht habe nicht hinreichend gewürdigt, dass die Beklagte vorgetragen habe, dass es keinen Kalk-Gips-Putz als Werktrockenmörtel auf dem Markt gebe, der der Definition des Sachverständigen entspreche, und dass im abgebundenen Zustand ohnehin kein Unterschied zwischen einem gipsgebundenen Putz mit hohem Kalksteinanteil und einem kalkgipsgebundenen Putz festgestellt werden könne. Das Landgericht sei auf Rügen am Gutachten des Sachverständigen nicht eingegangen und habe insbesondere den benannten sachverständigen Zeugen Dr. E. nicht vernommen. Der Beklagten könne nicht vorgeworfen werden, dass andere Hersteller ihre Produkte als Kalk-Gips-Mörtel bezeichnen, auch wenn diese auch nicht die Definition des Sachverständigen erfüllen. Das Landgericht sei zu Unrecht dem Beweisangebot der Beklagten nicht nachgegangen, wonach der im Anwesen des Klägers verwendete Gips-Kalk-Putz einen weit höheren Bindemittelanteil von Kalk als 50 % enthielte und daher die Definition des Sachverständigen erfülle. Zu Unrecht habe das Landgericht festgestellt, dass die Körnung nicht der vereinbarten Größe von 0,6 mm entspreche. Der verwandte Putz MP 75 Edelfilz weise diese Körnung auf. Der Sachverständige habe keine Messung vorgenommen, sondern nur dargestellt, dass die Körnung ca. 1 mm ausmache. Der Putz MP 75 Edelfilz weise eigentlich eine Körnung von 1,2 mm auf, es sei aber eine Sondermischung für den Kläger hergestellt worden, dies sei unter Beweis gestellt worden. Zu Unrecht habe das Landgericht darauf abgestellt, dass Gips-Kalk-Putze bei der Abbindephase eher zu Schimmelbildung neigen würden. Zu Unrecht habe das Landgericht nicht über die Höhe des Schadens an den Fenstern Beweis erhoben, da ein Bestreiten mit Nichtwissen hier zulässig gewesen sei. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten habe das Landgericht übersehen, dass nicht der Kläger, sondern dessen Prozessbevollmächtigter den Verzug erst herbeigeführt habe. Auf den Einwand der Unverhältnismäßigkeit der Mangelbeseitigung sei das Landgericht nicht hinreichend eingegangen. Ein wahrnehmbarer Unterschied zwischen einem Kalk-Gips-Putz und einem Gips-Kalk-Putz, welche sich nur in dem Anteil an Gips als Bindemittel unterscheiden, bestehe nicht, zumal nicht nach dem Abbinden. Durch die Sanierungsmaßnahme erhalte der Kläger nichts anderes, als er ohnehin schon habe.

Sie hat beantragt:

Das Urteil des Landgerichts Landshut vom 22.9.2020, Az. 73 O 4326/19 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat

Zurückweisung der Berufung beantragt.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 20.1.2021 auf die Berufung erwidert.

Der Senat hat mit Beschluss vom 12.2.2021 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe.

Hierzu hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.3.2021 Stellung genommen und ihre bisherigen Ausführungen im Wesentlichen wiederholt und vertieft. Der Sachverständige habe die Korngröße nicht gemessen, sondern lediglich geschätzt, die Behauptung der Beklagten, es handele sich um eine Spezialmischung mit der Korngröße 0,6 mm, habe das Landgericht weder im Beweisverfahren noch im streitigen Verfahren erster Instanz beachtet. Eine Aufklärungspflicht dahingehend, dass bei dem von der Beklagten ausgewählten Putz das Hauptbindemittel Gips sei, habe nicht bestanden, da es wie vorgetragen keinen Hersteller auf dem Markt gebe, der bei einem Mischputz einen Kalkanteil von über 50 % verwende. Der Kläger habe sich auch nur einen Putz mit einem möglichst hohen Kalkanteil gewünscht. Es sei der Kläger selbst gewesen, der gebeten habe, den Putz endlich einzubringen, da er nicht länger warten könne, deswegen sei die vom Senat in Erwägung gezogene Handlungsalternative des Klägers, auf eine Trocknung der Wände zu warten, nicht gegeben gewesen. Das Landgericht habe zu Unrecht den Einwand der Beklagten nicht beachtet, dass die Bestimmung des Bindemittelanteils nach einem anderen als dem vom Sachverständigen verwendeten Verfahren hätte erfolgen müssen. Auf das subjektive Empfinden des Klägers, einen Putz mit einem bestimmten (Mindest-)Kalkanteil zu haben, könne nicht abgestellt werden. Die verlangte Vorschussleistung ziele auf einen Austausch des vereinbarten Putzes mit einem nicht vereinbarten reinen Kalkputz. Auch der Senat stelle zu Unrecht auf die Aussage der Zeugin Heck ab, obwohl diese an Gesprächen zwischen den Parteien nicht teilgenommen habe. Das Bestreiten der Schadenersatzforderungen mit Nichtwissen sei zulässig.

Der Kläger hat mit Schriftsätzen vom 12.3.2021 und 29.3.2021 Stellung genommen.

Zur Ergänzung wird auf das erstinstanzliche Urteil, den genannten Hinweisbeschluss des Senats und die genannten Schriftsätze zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

1. Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen im Beschluss vom 12.2.2021 Bezug genommen. Die hiergegen gerichteten Einwände der Beklagten mit Schriftsatz vom 26.3.2021 veranlassen keine geänderte Beurteilung.

a) Die Korngröße von ca. 1 mm hat der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren festgestellt und als Ergebnis so berichtet. Ob der Sachverständige zu diesem Ergebnis durch “Messung” oder durch “Schätzung” gekommen ist, spielt keine Rolle, zumal die Beklagte einfach unterstellt, dass keine Messung stattgefunden habe. Die Bezeichnung der Größe mit “ca.” 1 mm muss kein Hinweis auf eine Schätzung sein, sondern kann auch daher rühren, dass größere und kleinere Körner feststellbar waren. Der Senat hat jedenfalls keine Zweifel, dass ein Sachverständiger in der Lage ist, die mit bloßem Auge erkennbare Körnung zutreffend einzuordnen. Die Behauptung der Beklagten, sie habe einen Putz verwendet, der eine Körnung von 0,6 mm aufweise, ist damit widerlegt, ohne dass es darauf ankäme, ob die verwendete Mischung eine Fertigmischung oder eine Sondermischung für den Kläger war. Schon aus diesem Grund ist das Landgericht zu Recht von einer mangelhaften Leistung ausgegangen.

b) Der E-Mail des Klägers vom 18.11.2016 (Anl. B4) ist zu entnehmen, dass die Beklagte ihm den Übergang zu einem Kalk-Gips-Putz vorgeschlagen hatte und er hiermit einverstanden war. Damit war eine Einigung darüber erzielt, dass nicht nur ein reiner Kalkputzes, sondern auch ein “Kalk-Gips-Putz” aufgebracht werden könne. Der Senat hält an seiner Auffassung fest, wonach die Beklagte die Einwilligung des Klägers in einen “Kalk-Gips-Putz” so verstehen musste, dass dieser einen Putz mit einem Kalkanteil von über 50 % meinte, zumal der Kläger noch ausdrücklich betonte, es möge ein Kalk-Gips-Putz mit einem möglichst hohen Kalkanteil sein. Die Verwendung eines Gips-Kalk-Putzes mit einem Kalkanteil von unter 50 % stellt damit ebenfalls einen Mangel dar.

c) Ob es auf dem Markt Werktrockenmörtel gibt, die einen höheren Kalkanteil als 50 % oder einen höheren Kalkanteil als den der von der Beklagten verwendeten Putzmischung haben, ist wie hingewiesen ohne Belang. Denn zum einen ersetzt dieser behauptete Umstand – seine Richtigkeit unterstellt – nicht die notwendige Zustimmung des Klägers in eine entsprechende Abänderung der ursprünglichen Beschaffenheitsvereinbarung. Dass der Kläger keine Handlungsalternative, insbesondere nicht die Rückkehr zum an sich favorisierten reinen Kalkputz, gehabt hätte, ist unabhängig von der Frage, für wen der Baufortschritt wichtiger gewesen ist, nicht ersichtlich. Zum anderen enthielt das Angebot der Beklagten schon keine Beschränkung auf Werktrockenmörtel.

d) Hinsichtlich des Einwands der Beklagten, der Sachverständige habe ein falsches Verfahren zur Bestimmung der Bindemittelanteile gewählt, kann auf die Ausführungen im Beschluss vom 12.2.2021, dort S. 5 unter e), Bezug genommen werden. Dass angeblich ein Mitarbeiter der Fa. K. ein anderes Verfahren für besser gehalten hätte, begründet keine Zweifel an der Kompetenz des Sachverständigen, der auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts seine Wahl des Verfahrens begründet hat. Da es als wahr unterstellt werden kann, dass der Zeuge diese Aussage getätigt hat, war seine Vernehmung nicht erforderlich.

e) Der Einwand, die Zeugin H. habe an Gesprächen zwischen den Parteien nicht teilgenommen, geht ins Leere, da weder das Landgericht noch der Senat die Zeugin als Beweismittel für getroffene Vereinbarungen zwischen den Beteiligten angesehen haben. Als Ehefrau des Klägers konnte die Zeugin aber durchaus etwas zu den Motiven des Klägers oder zu den Beschädigungen an den Fenstern aussagen.

f) Hinsichtlich des Anspruchs auf Schadenersatz wegen Beschädigung der Fenster kann auf die Ausführungen im Beschluss vom 12.2.2021, dort S. 3 unter 2., Bezug genommen werden. Wie dort hingewiesen, kommt es auf die Zulässigkeit eines Bestreitens mit Nichtwissen gerade nicht mehr an.

g) Der Senat bleibt bei seiner Auffassung, wonach ein Kalk-Gips-Putz mit einem Kalkanteil von mehr als 50 % etwas anderes ist als ein Gips-Kalk-Putz mit einem Kalkanteil von unter 50 %, so dass der Kläger grundsätzlich ein Recht auf Austausch des Putzes hat. Es ist dem Kläger als Bauherrn überlassen zu entscheiden, welche Materialien er in welcher Ausführung in sein Bauwerk einbringen lassen möchte. Für ihn kann die Vorstellung eines besseren Wohngefühls, eines besseren Schutzes der Gesundheit und einer besseren Erhaltung der Bausubstanz maßgeblich für die Entscheidung für oder gegen bestimmte Materialien oder Zusammensetzungen sein. Nachdem für die Beklagte erkennbar war, dass dem Kläger ein möglichst hoher Kalkanteil wichtig war, kann sie im Nachhinein nicht damit argumentieren, dass ein Putz mit einem deutlich niedrigeren Kalkanteil “genauso gut” sei. Ob die Beklagte die Überzeugungen des Klägers hinsichtlich der Vorteile eines Kalkanteils von über 50 % für falsch hält, ist ohne Relevanz, da sie als Auftragnehmerin nicht ihre eigene Wertung an die Stelle des Auftraggebers setzen kann.

h) Da die Beklagte in den Feuchträumen unstreitig Armierungsputz als Nachbesserung aufgebracht hat, ohne das Einverständnis des Klägers mit dieser nicht vereinbarten Putzart einzuholen, ist ihr Werk auch in diesen Bereichen mangelhaft. Dass der Kläger per E-Mail die Optik gelobt hat, bedeutet nicht, dass er Armierungsputz als ordnungsgemäße Nacherfüllung angesehen hätte.

i) Soweit schließlich die Beklagte nunmehr beanstandet, dass der Kläger mit dem vom Sachverständigen errechneten Vorschuss einen reinen Kalkputz aufbringen lassen wolle, kann auch dies der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen. Es liegt im Wesen eines Vorschusses, dass später hierüber abzurechnen ist (Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 637 Rn. 10). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger tatsächlich nunmehr einen reinen Kalkputz “auf Kosten der Beklagten” aufbringen möchte, bestehen nicht. Es ist auch weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass der geltend gemachte Vorschuss erheblich zu hoch wäre, weil der Sachverständige ausgehend von einem nicht geschuldeten reinen Kalkputz die Kosten der Selbstvornahme falsch ermittelt hätte; im Übrigen hätte dieser Einwand auch bereits in erster Instanz erhoben werden müssen. Schließlich geht der Einwand der Beklagten, der Kläger “dürfe” im Rahmen der Selbstvornahme keinen Kalkputz aufbringen, fehl. Vor dem Hintergrund, dass die Parteien ursprünglich die Aufbringung eines reinen Kalkputzes vereinbart hatten und das Einverständnis des Klägers mit einem Kalk-Gips-Putz lediglich aufgrund des Feuchtigkeitsproblems erteilt wurde, ist nicht davon auszugehen, dass die ursprünglich vereinbarte Beschaffenheit “reiner Kalkputz” durch die Beschaffenheit “Kalk-Gips-Putz” vollständig verdrängt worden wäre. Vielmehr ist die Aufnahme eines Kalk-Gips-Putzes als Erweiterung der vereinbarten Beschaffenheit (“reiner Kalkputz oder Kalk-Gips-Putz“) zu verstehen, um der Beklagten die Durchführung von Verputzarbeiten auch auf feuchterem Mauerwerk nach den anerkannten Regeln der Technik zu ermöglichen und putzgebundene Risse (die wiederum Mängel dargestellt hätten) zu vermeiden. Der Senat hat keinen Zweifel, dass der Kläger nicht ausdrücklich ausschließen wollte, dass die Beklagte auch den vorrangig gewünschten reinen Kalkputz aufbringen könnte, sollte sie im letzten Moment die Wände als doch nicht zu feucht ansehen. In diesem Fall wäre zwischen den Parteien das ursprüngliche Angebot (Anl. K1) ausgeführt worden, während die Beklagte den (angeblichen) Kalk-Gips-Putz mit einem niedrigeren Pauschalbetrag abgerechnet hat (Anl. A8 im Beweissicherungsverfahren). Es steht dem Kläger daher frei, nach seiner Wahl entweder Kalk-Gips-Putz aufzubringen. Die Beklagte kann im Fall der Aufbringung von reinem Kalkputz der Abrechnung des Klägers ihre eigene Nachforderung in Höhe der Differenz zwischen den beiden angebotenen Pauschalpreisen entgegenhalten.

j) Die vom Kläger erklärte Anfechtung der Änderung der Beschaffenheitsvereinbarung wegen arglistiger Täuschung würde zu keinem anderen Ergebnis führen, da auch in diesem Fall der Kläger berechtigt wäre, reinen Kalkputz im Rahmen der Nachbesserung aufbringen zu lassen, dann aber ebenfalls verpflichtet wäre, den ursprünglich hierfür vereinbarten höheren Pauschalpreis an die Beklagte zu entrichten. Es kann daher dahinstehen, ob die ohne tatsächliche Sachaufklärung abgegebene (und vom Senat für plausibel gehaltene) Vermutung des Landgerichts, die Beklagte habe den Kläger falsch informiert, um ihn zu einer ansonsten nicht zu erwartenden Einwilligung in eine andere Putzart zu veranlassen, wirklich zutrifft.

2. Die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor, insbesondere handelt es sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.

OLG München: HOAI-Mindestsätze = übliche Vergütung

OLG München: HOAI-Mindestsätze = übliche Vergütung

vorgestellt von Thomas Ax

1. Macht der Architekt sein Honorar geltend, muss er nicht nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ein Architektenvertrag geschlossen wurde, sondern auch, welche Leistungen sein Auftrag umfasst und welche Vergütung hierfür vereinbart wurde.
2. Haben die Parteien eines Architektenvertrags keine Honorarvereinbarung getroffen, ist die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Auch nach der Entscheidung des EuGH vom 04.07.2019 (IBR 2019, 476) stellt die Abrechnung nach HOAI-Mindestsätzen die übliche Vergütung dar.
3. Die Abrechnung des Architektenhonorars hat prüfbar nach den Vorgaben der DIN 276 zu erfolgen.
OLG München, Urteil vom 15.06.2021 – 9 U 631/20 Bau
vorhergehend:
LG München I, 17.01.2020 – 24 O 10960/17
nachfolgend:
BGH, Beschluss vom 01.03.2023 – VII ZR 661/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)


Gründe:

I.

Der Kläger begehrt auf Grund mündlich erteilter Aufträge Honorar für seine Ingenieurleistungen bei 2 verschiedenen Abschnitten eines Bauvorhabens der Beklagten in B. A. (“Wohnen am S. 4” [‘SP4’], Am L. 5, 5a, 5b, ursprünglich E. Straße in B. A.). Hierbei handelt es sich um ein Mehrfamilienhaus mit 4 Wohngeschoßen und 25 Wohneinheiten sowie eine geschlossene Tiefgarage mit 42 Stellplätzen.

Die Beklagte bestreitet im Wesentlichen die Auftragserteilungen an den Kläger. Der Kläger behauptet, die abgerechneten Leistungen erbracht zu haben. Diese seien von der Beklagten auch angenommen worden. Die Parteien haben erstmals 2011 zusammengearbeitet. Den hier gegenständlichen ersten Bauabschnitt, ein Mehrfamilienhaus, führte die Klägerin in den Jahren 2015 und 2016 durch. Der Kläger behauptet, bei Baustellenbesprechungen im Februar 2015 mit Leistungen im Zusammenhang mit dem erforderlichen Verbau beauftragt worden zu sein und begehrt hierfür auf der Grundlage seiner überarbeiteten Rechnung vom 05.04.2016 den Betrag von 10.146,78 Euro brutto. Die Beklagte räumt ein, vom Kläger beraten worden zu sein und habe das daraus folgende Honorar von 4.315,40 Euro bezahlt brutto.

Für den zweiten hier gegenständlichen Bauabschnitt, “Wohnen am S.“, hatte die Beklagte den Architekten S.-N. mit den Leistungsphasen 1 – 8 beauftragt. Der Kläger war damals als Nachunternehmer für den Architekten im Rahmen der Leistungsphase 8 tätig. Der Kläger behauptet, von der Beklagten für die Bauabschnitte SP1 und SP2 im Laufe des Jahres 2012 direkt mit der Fachbauleitung für die technische Ausrüstung, mit der Bauüberwachung für Kundenwünsche, mit zusätzlichen Leistungen außerhalb des Auftragsumfangs des Architekten und für die Außenanlagen beauftragt worden zu sein. Eben dieser Leistungsumfang sei vom Geschäftsführer bzw. einer Mitarbeiterin der Beklagten dann auch für den hier streitgegenständlichen Bauabschnitt SP4 angefordert worden (LGU S. 5). Hierfür begehrt der Kläger auf der Grundlage seiner überarbeiteten Rechnung vom 25.01.2018 den Betrag von 102.360,20 Euro brutto. Die Beklagte behauptet, für dieses Bauvorhaben sei der Kläger lediglich als Mitarbeiter des Architekten S.-N. tätig geworden.

Das Landgericht hat zur Auftragserteilung Zeugen vernommen und zur Honorarhöhe Sachverständigenbeweis erhoben. Die Zeugin A. W. habe die Auftragserteilung für den ersten Bauabschnitt bestätigt. Für den zweiten Bauabschnitt habe der Zeuge S.-N. lediglich eine Auftragserteilung für Leistungsphase 8 im Bereich der technischen Ausrüstung sowie für die Außenanlagen bestätigt. Der Sachverständige K. habe auf dieser Grundlage für die beiden Bauabschnitte restliche Honoraransprüche des Klägers ermittelt, die das Landgericht dann zugesprochen hat.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er verfolgt weiterhin die bereits erstinstanzlich beantragten Honorarbeträge von 10.146,78 Euro brutto bzw. 102.360,20 Euro brutto. Die Beklagte tritt dem entgegen.

Der Kläger beantragte zuletzt,

I. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 17.01.2020 zu dem Az.: 24 O 10960/17 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 10.146,78 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Teilbetrag von 9.775,26 Euro seit 11.05.2016 und aus einem weiteren Teilbetrag von 371,52 Euro seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

II. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 17.01.2020 zu dem Az.: 24 O 10969/20 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 102.360,20 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2020 hat der Senat rechtliche Hinweise erteilt. Insoweit wird Bezug genommen auf den Hinweisbeschluss vom 22.12.2020 (Bl. 250/254 d.A.). Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Landgerichts München I weist keine Rechtsfehler auf. Sowohl der Auftragsumfang als auch die Höhe des Honorars hat das Landgericht – sachverständig beraten – zutreffend festgestellt.

Ein weiteres Honorar steht dem Kläger nicht zu, da es an einem ausreichenden Sachvortrag zu den von ihm erbrachten Leistungen und einer prüffähigen Schlussrechnung fehlt. Dies hat das Erstgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen zutreffend festgestellt.

Auch im Berufungsverfahren hat der Kläger seine erbrachten Leistungen nicht näher bzw. nachvollziehbarer dargestellt, sondern vielmehr angegeben, hierzu auch nicht mehr vortragen zu können (Schriftsatz vom 29.04.2021 (Bl. 283/285 d.A.). Soweit der Kläger auf Bl. 47 d.A. Bezug nimmt, ist der dortige Sachvortrag zu unkonkret, um daraus einen Honoraranspruch ableiten zu können. Der Kläger begnügt sich bei dieser Darstellung weitgehend damit, die Leistungsbilder der HOAI in unspezifischer Weise allgemein wiederzugeben, ohne seine Tätigkeit im Einzelnen nachvollziehbar und konkret nach Datum, Zeit, Personen etc. aufzuschlüsseln.

Zudem hat der Kläger seine erbrachten Leistungen nicht in einer HOAI-konformen Weise prüfbar abgerechnet. Eine generelle Abrechnung auf Stundenbasis kommt – auch nach der Entscheidung des EuGH vom 04.09.2019, Baurecht 2019, 1624 – nicht in Betracht. Zudem fehlt es an einer wirksamen Vereinbarung der Parteien zur Abrechnung auf Stundenbasis. Nur bei dem Auftrag, der darin bestand, zur Beweissicherung bei einem Nachbargrundstück den Status quo vor den Verbauarbeiten sicherzustellen, ist eine Stundenabrechnung zulässig.

1. Auftragsumfang:

a) Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Erstgericht davon aus, dass die Auftragserteilung des Klägers durch die Beklagte beim Bauvorhaben Wohnen am S. 4, Am L. 5, 5a, 5b, in … B. A. in dem vom Erstgericht angenommenen Umfang durch die Beweisaufnahme in erster Instanz (Aussagen der Zeugin A. W. und des Zeugen V. S.-N.) sowie durch eine Zusammenschau und Auswertung der vorgelegten Anlagen K8, K11, K12, K14, K21, B1 und B2 nachgewiesen ist und damit dem Grunde nach eine vergütungspflichtige Tätigkeit des Klägers vorliegt. Die Aussagen der Zeugen wurden vom Erstgericht zutreffend gewürdigt.

b) Danach ist hinreichend belegt, dass der Kläger mit der Neukonzeption bzw. der Optimierung der Verbauarbeiten hinsichtlich der Leistungsphasen 1, 2, 6, 7 und 8 gemäß § 43 I HOAI 2013 und der damit zusammenhängenden Beweissicherung (auf Stundenbasis) beauftragt wurde (künftig: “Auftrag 1“), die der Kläger mit Rechnung vom 05.04.2016 (Anlage K23) abgerechnet hat, sowie mit Bauüberwachungsleistungen gemäß Leistungsphase 8 aus den Leistungsbildern “Gebäude und Innenräume“, “Technische Ausrüstung” sowie “Freianlagen“, welche der Kläger mit Rechnung vom 25.01.2018 (Anlage K24) geltend macht (künftig: “Auftrag 2“), wobei bei den Freianlagen neben der Leistungsphase 8 auch die Leistungsphasen 6 und 7 abgerechnet wurden, für deren Beauftragung der Kläger bislang beweisfällig geblieben ist, welche aber betragsmäßig nur 3.695,80 Euro netto (Differenz aus 14.783,20 Euro und 11.087,40 Euro) ausmachen.

c) Bei der Neukonzeption des Verbaus etc. (Auftrag 1) ist der Kläger von der Beklagten entgegen deren Vortrags nicht nur mit (unentgeltlichen) Beratungsleistungen beauftragt worden, sondern mit typischen Architektenleistungen, die er als solche auch erbracht hat. Dasselbe gilt für den “Auftrag 2” jedenfalls für die Leistungsphase 8.

d) Hier ist die Beklagte mit ihrer Verteidigungsstrategie gescheitert. Danach soll der Kläger Leistungen nur als Mitarbeiter oder Subunternehmer des Architekturbüros V. S.-N. erbracht haben, welche bereits bezahlt sind. Dies mag zu Beginn der Tätigkeiten des Klägers für die Beklagte in früheren Jahren der Fall gewesen sein, ist aber für den Bauabschnitt SP4 durch die durchgeführte Beweisaufnahme in erster Instanz und durch die vorgelegten Anlagen K8, K11, K14, K21, B1 und B2 klar widerlegt. Denn der Zeuge S.-N. hat unmissverständlich ausgesagt, dass der Kläger beim zugrundeliegenden Bauvorhaben Wohnen am S. 4 in B. A. nicht für ihn als Bauleiter tätig war, soweit er als Bauleiter tätig war, und dass die Sonderwünsche im Übrigen vom Kläger betreut wurden und gesondert abzurechnen waren, d.h. im Vertrag des Zeugen S.-N. lediglich ein Sonderwunsch enthalten war. Dass der Kläger insoweit nicht für das Architekturbüro S.-N. tätig geworden sein kann, ergibt sich schon aus der getroffenen vertraglichen Vereinbarung der Beklagten mit dem Architekturbüro S.-N. (Anlagen B1, B2 und K21), wonach die notwendigen Sonderfachleute (darunter die technische Ausrüstung für Heizung, Lüftung, Sanitär und Elektrik) vom Bauherren beauftragt werden und auch die Koordination der Sonderwünsche der Käufer ausschließlich über den Bauherren abgewickelt wird.

e) Da der Senat in Übereinstimmung mit dem Erstgericht von einem Auftrag des Klägers in beiden Fällen (“Auftrag 1” und “Auftrag 2“) – lediglich mit der genannten Einschränkung beim Auftrag 2 bezüglich Leistungsphasen 6 und 7 bei den Freianlagen – ausgeht, war eine vom Kläger beantragte weitere Beweiserhebung durch erneute Einvernahme der Zeugen A. W. und S. N. sowie eine persönliche Anhörung beider Parteien hierzu nicht erforderlich. Ein spezielles Beweisangebot zur Frage der Beauftragung mit den Leistungsphasen 6 und 7 bei den Freianlagen beim “Auftrag 2” lag nicht vor.

2. Leistungsumfang:

a) Der Kläger ist im Hinblick auf den Umfang seiner erbrachten Leistungen, soweit diese nicht in den beiden Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. -Ing. J. K. vom 22.08.2019 (Bl. 104/131 d.A.) und vom 18.11.2019 (Bl. 151/164 d.A.) Berücksichtigung fanden, beweisfällig geblieben. Eine Beweiserhebung zum Sachvortrag des Klägers durch Sachverständigenbeweis fand bereits erstinstanzlich statt. Dabei wurde der gesamte Sachvortrag des Klägers berücksichtigt und nachvollziehbar durch den Sachverständigen bewertet.

b) Eine weitere Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten kam entgegen anfänglicher Überlegungen des Senats nicht mehr in Betracht, da der Kläger auch in der Berufungsinstanz keinen relevanten neuen bzw. ergänzenden Sachvortrag vorgebracht hat, der zu einer grundlegenden anderen Beurteilung zwingen würde. Das Beweisangebot im Schriftsatz vom 08.04.2021, S. 3, Bl. 275 d.A. ist zu unsubstantiiert und kann fehlenden Sachvortrag nicht ersetzen. Unklar ist auch, welche Hilfsindizien hierdurch unter Beweis gestellt werden sollen.

c) Richtig ist, dass der Umstand, dass das Erstgericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben hat, nahelegt, dass das Erstgericht von einem schlüssigen Sachvortrag des Klägers hierzu ausgegangen ist. Dies führt aber nicht dazu, dass ein für alle Mal von einem schlüssigen Sachvortrag des Klägers auszugehen ist, selbst wenn die Begutachtung ergibt, dass der Sachvortrag des Klägers unzureichend ist, um seine angeblich erbrachten Leistungen honorarmäßig überprüfen zu können. Auch für den Senat erschließt sich nicht, welche Tätigkeiten der Kläger konkret bei den vom Sachverständigen als nicht prüffähig angesehenen Positionen entfaltet hat. Sowohl der Sachvortrag im Zivilprozess als auch die Begründung in den Honorarschlussrechnungen ist zu unbestimmt und unkonkret.

d) Der Umfang der in den beiden Schlussrechnungen (K 23 und K 24) als erbracht abgerechneten Leistungen war keinesfalls zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte hat bereits die Auftragserteilung an den Kläger bestritten und gemeint, dass etwaige Leistungen des Klägers vom Leistungsumfang des Architekturbüros S. N. oder anderer Beteiligter erfasst waren und von diesen erbracht wurden. Dies impliziert die Behauptung, dass die Leistungen jedenfalls nicht vom Kläger erbracht wurden, womit dessen Leistungserbringung vollumfänglich bestritten wurde. Untunlich ist daher der Hinweis des Klägers darauf, dass die Beklagte überhaupt nicht bestritten hat, dass diese Arbeiten ausgeführt worden sind und deshalb bezahlt werden müssen. In rechtlicher Hinsicht dringt die Beklagte zwar mit ihrer Argumentation zur Auftragserteilung nicht durch (vgl. die obigen Ausführungen zur Auftragserteilung unter Ziffer 1.d)), dies bedeutet aber nicht, dass damit schon der Umfang der erbrachten Leistungen zugestanden oder unstreitig gestellt wurde. Über den Umfang der erbrachten Leistung war daher vom Erstgericht zutreffend Beweis zu erheben.

3. Abrechnung bei fehlender Honorarvereinbarung nach der Entscheidung des EuGH vom 04.09.2019:

a) Eine Honorarvereinbarung hat zwischen den Parteien unstreitig nicht stattgefunden. Der Senat ist der Auffassung, dass auch nach der Entscheidung des EuGH vom 04.07.2019, Baurecht 2019, 1624 die Abrechnung nach HOAI-Mindestsätzen die übliche Vergütung darstellt, einschließlich der durch die DIN 276 vorgegebenen Abrechnungsgrundsätze. Hierauf hat der Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.10.2020 (Bl. 238 d.A.) hingewiesen.

b) Sehr streitig in Rechtsprechung und Literatur ist nach wie vor, inwieweit Entscheidungen des EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland überhaupt Rechtswirkungen für am Gerichtsverfahren Nichtbeteiligte, insbesondere zwischen Privaten, entfalten können (vgl. Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl. 2020, Kapitel 4, Rz. 594).

c) Jedenfalls besteht kein Grund, die HOAI auch in den Fällen für unanwendbar und insgesamt unwirksam zu erklären, in denen diese lediglich das angemessene Honorar festlegt, wenn die Parteien auf eine entsprechende Vereinbarung verzichtet haben. Denn in diesem Fall stellt die HOAI kein rechtlich zu beanstandendes zwingendes Preisrecht dar, das weder eine Mindestsatzunterschreitung noch eine Höchstsatzüberschreitung zulässt. Vielmehr stellt der Mindestsatz das angemessene Honorar i.S.d. § 632 Abs. 2 BGB dar. Andernfalls würde man ohne Not die Entscheidung des EuGH auf Sachverhalte ausdehnen, die der Entscheidung nicht zugrunde lagen und von dieser nicht erfasst sind. Dem hat auch der Gesetzgeber in der neuen HOAI 2021 Rechnung getragen, indem dort bei unterbliebener Honorarvereinbarung statt eines verbindlichen Preisrahmens die neue Honorarreglung in Form des “Basishonorarsatzes” in §§ 1 Abs. 2, 2a Abs. 1 HOAI 2021 den Vertragsparteien eine Orientierung und Hilfestellung “bei der Ermittlung des angemessenen Honorars bieten” soll (BR-Drucks. 539/20, S. 17; Aufsatz von Rechtsanwalt Dr. Matthias Orlowski, ZfBR, 2021, 315, 320).

4. Prüfbarkeit der Abrechnung:

a) Richtig ist, dass die Frage der Prüfbarkeit des Honorars eine vom Gericht und nicht vom Sachverständigen zu beurteilende Rechtsfrage ist. Sowohl das Erstgericht als auch der Senat beurteilen die Frage der Prüfbarkeit der Schlussrechnungen in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen.

b) Die Abrechnung hat prüfbar nach den Vorgaben der DIN 276 zu erfolgen. Dem ist der Kläger nicht in ausreichender Weise nachgekommen. Denn bei der Bauüberwachung für die Kundensonderwünsche hat der Kläger ganz darauf verzichtet, das Honorar nach den anrechenbaren Kosten zu ermitteln, sondern hat lediglich die Handwerkerkosten pauschal ohne Angabe eines Einheitspreises zugrunde gelegt. Dies ist nicht zulässig und ausreichend, um das angemessene Honorar zu ermitteln.

c) Mit dieser Art der Abrechnung ist der Kläger von den vorhergehenden Abrechnungen zu den Bauabschnitten “S. 1 bis 3” (vgl. Anlagen BK 3 bis 5) abgewichen, ohne dass dies nachvollziehbar oder notwendig war. Der Senat konnte jedenfalls ausschließen, dass zwischen den Parteien eine andere Art der Abrechnung vereinbart oder als üblich angesehen wurde, die eine Berufung der Beklagten auf eine fehlende Prüfbarkeit oder Unzulässigkeit der Abrechnung als Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB erscheinen ließe.

d) Für den Fall, dass der Kläger sich in einer Notlage befunden hätte, weil ihm von der Beklagten die zugrunde zu legenden anrechenbaren Kosten nicht mitgeteilt worden wären, hätte er ohne weiteres diese Kosten schätzen können, worauf der Klägervertreter selbst zutreffend hingewiesen hat (Berufungsbegründung vom 23.03.2020, S. 9/19, Bl. 214/215 d.A.). Umso unverständlicher ist, dass der Kläger dies nicht getan hat.

5. Abrechnung im Einzelnen:

a) Beim “Auftrag 1” (Schlussrechnung vom 05.04.2016, Anlage K 23) hat der Sachverständige in seinen beiden Gutachten nachvollziehbar einen Honoraranspruch des Klägers von 3.957,71 Euro netto errechnet, den das Erstgericht auch zugesprochen hat. Zu Recht hat der Sachverständige die örtliche Bauüberwachung mit Null bewertet, da die Tätigkeiten weder in der Schlussrechnung noch in der nachgereichten Anlage B 01 inhaltlich nachvollziehbar waren und zudem unklar geblieben ist, ob der Kläger neben der ohnehin mit 15 % abgerechneten Leistungsphase 8 (Bauoberleitung gemäß § 43 (1) HOAI 2013) ergänzende Tätigkeiten im Rahmen der Bauüberwachung wahrnahm und falls ja, welche. Für die Beweissicherung im Zusammenhang mit dem Verbau hat der Sachverständige nachvollziehbar ein Stundenhonorar von 8 Stunden á 70,00 Euro, also 560,00 Euro netto, zugrunde gelegt. Auch der Senat hält einen Stundensatz von 70,00 Euro für angemessen und nicht den nachträglich vom Kläger geltend gemachten Stundensatz von 115,00 Euro.

b) Beim “Auftrag 2” (Schlussrechnung vom 25.01.2018, Anlage K 24) hat der Kläger die Bauüberwachung für Gebäude und Innenräume (Kundensonderwünsche) sowie für die technische Ausrüstung aus den vom Sachverständigen genannten Gründen nicht prüfbar abgerechnet. Lediglich für die Außenanlagen bzw. Freianlagen konnte ein Honorar für die Leistungsphase 8 zugesprochen werden.


II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.

Die Zulassung der Revision kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Anwendung der HOAI hinsichtlich der Mindestsätze bei fehlender Honorarvereinbarung wird durch die Entscheidung des EuGH vom 04.09.2019, Baurecht 2019, 1624 nicht in Frage gestellt.