Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt

BGH zu der Frage, dass der bei einer Aufhebung des Vergabeverfahrens auszugleichende Schaden regelmäßig auch bei demjenigen Bieter, der das annehmbarste Angebot gemacht hat, nicht in dem Gewinn besteht, den er bei Ausführung des Auftrags erzielt hätte und der ihm dadurch entgangen ist, dass auf sein Angebot kein Zuschlag erteilt worden ist

BGH zu der Frage, dass der bei einer Aufhebung des Vergabeverfahrens auszugleichende Schaden regelmäßig auch bei demjenigen Bieter, der das annehmbarste Angebot gemacht hat, nicht in dem Gewinn besteht, den er bei Ausführung des Auftrags erzielt hätte und der ihm dadurch entgangen ist, dass auf sein Angebot kein Zuschlag erteilt worden ist

vorgestellt von Thomas Ax

Verletzt die Vergabestelle ihre Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Aufhebung des Vergabeverfahrens, ohne dass ein Aufhebungsgrund nach § 17 Abs. 1 VOB/A vorliegt, kann dies regelmäßig einen Anspruch eines Bieters auf Erstattung des negativen Interesses begründen. Nur unter besonderen Voraussetzungen besteht hingegen ein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses (vgl. BGH, NZBau 2014, 310 Rn. 21 – Fahrbahnerneuerung I).
Der bei einer Aufhebung des Vergabeverfahrens auszugleichende Schaden besteht regelmäßig auch bei demjenigen Bieter, der das annehmbarste Angebot gemacht hat, nicht in dem Gewinn, den er bei Ausführung des Auftrags erzielt hätte und der ihm dadurch entgangen ist, dass auf sein Angebot kein Zuschlag erteilt worden ist. Auch wenn kein anerkannter Grund für die Aufhebung des Verfahrens vorliegt, ist der öffentliche Auftraggeber nicht zur Auftragsvergabe verpflichtet. Die Auftragsvergabe dient nicht dem Bieterinteresse, sondern allein der Befriedigung des öffentlichen Beschaffungsbedarfs (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2002 – X ZR 232/00, NZBau 2003, 168, 169 – Ziegelverblendung).
Will der öffentliche Auftraggeber diesen Bedarf – aus welchen Gründen auch immer – nicht weiterverfolgen und sieht er deshalb von der Erteilung eines Zuschlags ab, werden hierdurch keine Bieterrechte verletzt (BGH, NZBau 2014, 310 Rn. 20 – Fahrbahnerneuerung I). Die vergaberechtlichen Vorschriften mit bieterschützendem Charakter begründen kein Recht auf die Auftragserteilung, sondern nur das Recht eines jeden Bieters, der die Voraussetzungen hierfür erfüllt, auf Teilnahme am Wettbewerb unter fairen, transparenten und nichtdiskriminierenden Bedingungen und damit auf Wahrung der Chance auf einen Zuschlag. Die Bieter können demgemäß zwar die Beachtung aller für das Verfahren und die Zuschlagserteilung maßgeblichen Vorschriften erwarten, nicht aber die Auftragsvergabe selbst.

BGH, Urteil vom 08.12.2020 – XIII ZR 19/19

Tatbestand
Die Klägerin nahm an einer Ausschreibung der Beklagten teil und gab am 31. März 2016 mit 1.603.525,00 € das günstigste Angebot für die schlüsselfertige Errichtung eines Mehrfamilienhauses zur Unterbringung von Flüchtlingen ab. Die Parteien vereinbarten, die Angebotsbindefrist bis zum 13. Mai 2016 zu verlängern. Nachdem die Klägerin nicht bereit war, die Bindefrist nochmals zu verlängern, teilte ihr die Beklagte mit Schreiben vom 8. Juni 2016 mit, die Ausschreibung werde wegen Wegfalls des Beschaffungsbedarfs aufgehoben. Am 29. September 2016 forderte die Beklagte die Klägerin auf, ein Angebot zur schlüsselfertigen Errichtung eines Mehrfamilienhauses abzugeben. Der Aufforderung zugrunde lag ein Bauprojekt in derselben Lage und mit dem gleichen Leistungsverzeichnis wie bei der ersten Ausschreibung. Da die Klägerin dieses Mal nicht das günstigste Angebot abgegeben hatte, erhielt ein Dritter den Zuschlag.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von entgangenem Gewinn in Höhe von 53.900 €, der Kosten der Angebotserstellung von 2.630,17 € und des Entgelts für die Angebotsunterlagen von 150 € zuzüglich Zinsen und Rechtsanwaltskosten in Anspruch. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 150 € für die Angebotsunterlagen nebst Zinsen und anteiliger vorprozessualer Rechtsanwaltskosten verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 49.957,24 € verurteilt. Davon entfallen 48.600,24 € auf entgangenen Gewinn, 1.206,30 € auf Kosten für die Erstellung des Angebots und 150 € auf die bereits vom Landgericht zuerkannten Kosten für Angebotsunterlagen. Zudem hat das Berufungsgericht Zinsen und Rechtsanwaltskosten zuerkannt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision, mit der die Beklagte weiterhin die Klageabweisung erstrebt.
Gründe
Die Revision der Beklagten hat überwiegend Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 BGB zu, weil die Beklagte durch die Aufhebung der Ausschreibung ihre Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB schuldhaft verletzt habe. Durch die Teilnahme der Klägerin an der Ausschreibung der Beklagten sei zwischen den Parteien ein vorvertragliches Schuldverhältnis zustande gekommen. Zu den vorvertraglichen Pflichten der Beklagten habe die Einhaltung der Vorschriften der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil A (VOB/A) gehört. Die Beklagte habe diese vorvertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt, da sie die Ausschreibung ohne schwerwiegenden Grund gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A aufgehoben habe. Der behauptete Wegfall des Beschaffungsbedarfs wegen Änderung der politischen Verhältnisse habe tatsächlich nicht bestanden, da sich zum einen die Notwendigkeit für die Schaffung neuen Wohnraums gegenüber dem Beginn des Vergabeverfahrens nicht geändert habe und zum anderen der Gemeinderat am 9. Mai 2016 beschlossen habe, das Bauvorhaben voranzutreiben und nur die Auftragsvergabe vorläufig zurückzustellen. Am 8. Juni 2016, als die Beklagte der Klägerin die Aufhebung der Ausschreibung mitgeteilt habe, habe zwar kein annahmefähiges Angebot mehr vorgelegen, da die Klägerin nur bis 13. Mai 2016 an ihr Angebot gebunden gewesen sei. Allerdings habe der Gemeinderat bereits am 9. Mai 2016 beschlossen, das Vergabeverfahren nicht fortzuführen.
Die Klägerin habe neben der vom Landgericht zugesprochenen Erstattung der Gebühren für die Vergabeunterlagen von 150 € auch Anspruch auf Erstattung des entgangenen Gewinns in Höhe von 48.600,24 € und Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Erstellung des Angebots in Höhe von 1.206,30 € nebst Verzugszinsen und außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Die Personalkosten für die Angebotserstellung wären in die Kosten für die Errichtung des ausgeschriebenen Baus eingeflossen und hätten sich amortisiert, hätte die Beklagte der Klägerin den Auftrag erteilt und den vereinbarten Werklohn bezahlt. Durch die Möglichkeit der Klägerin, sich am zweiten Vergabeverfahren zu beteiligen, sei die Pflichtverletzung der Beklagten nicht kompensiert worden.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat allerdings zu Recht angenommen, dass der Klägerin ein Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB wegen schuldhafter Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht zusteht.
a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass durch die Teilnahme der Klägerin an der Ausschreibung der Beklagten ein vorvertragliches Schuldverhältnis begründet wurde (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 1998 – X ZR 48/97, BGHZ 139, 259, 261).
b) In diesem vorvertraglichen Schuldverhältnis hat die Beklagte eine Rücksichtnahmepflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB gegenüber der Klägerin verletzt, indem sie die Ausschreibung aufgehoben hat, ohne dass ein Grund nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A vorgelegen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2014 – X ZB 18/13, NZBau 2014, 310 Rn. 21 – Fahrbahnerneuerung I).
aa) Die Ausschreibung fand in der ersten Jahreshälfte 2016 statt und ihr Wert lag deutlich unter dem Schwellenwert des § 106 GWB, der im Jahr 2016 für Bauaufträge 5.225.000 € betrug. Die Beklagte unterlag daher bei der Vergabe des Auftrags gemäß § 31 Abs. 2 GemHVO BW in der bis 27. Februar 2019 geltenden Fassung in Verbindung mit Nr. 2.1.1 VwV des Innenministeriums über die Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich den Vorschriften der VOB/A in der hier maßgeblichen Fassung vom 28. Oktober 2011 (vgl. zur unmittelbaren Geltung der VOB/A auch BGH, Urteil vom 6. Oktober 2020 – XIII ZR 21/19, juris Rn. 6 mwN – Ortenau-Klinikum).
bb) Die Aufhebung eines solchen Ausschreibungsverfahrens ist nur dann rechtmäßig, wenn ein Aufhebungsgrund nach § 17 VOB/A vorliegt. Jeder Bieter muss zwar mit der Möglichkeit rechnen, dass sich die in den vergaberechtlichen Bestimmungen zugelassenen Möglichkeiten verwirklichen, nach denen das Verfahren ohne Vergabe eines Auftrags beendet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 1998 – X ZR 99/96, BGHZ 139, 280, 283). Ist dies aber nicht der Fall und wird das Vergabeverfahren gleichwohl aufgehoben, verletzt die Vergabestelle ihre Pflicht zur Beachtung der für das Verfahren maßgeblichen Vorschriften.
cc) Im Streitfall hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei die Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht durch die Vergabestelle bejaht.
(1) Nach § 17 Abs. 1 VOB/A kann eine Ausschreibung aufgehoben werden, wenn kein Angebot eingegangen ist, das den Ausschreibungsbedingungen entspricht, die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssen oder andere schwerwiegende Gründe bestehen. Der Aufhebungsgrund, der den Ausschreibenden nach § 17 Abs. 1 VOB/A zur Aufhebung der Ausschreibung berechtigt, muss nach Beginn der Ausschreibung eingetreten sein oder darf ihm jedenfalls vorher nicht bekannt gewesen sein (BGHZ 139, 280, 284; BGH, Urteil vom 6. Oktober 2020 – XIII ZR 21/19, juris Rn. 17 – Ortenau-Klinikum). Der Bieter darf erwarten, dass der Auftraggeber nicht leichtfertig ausschreibt, wie sich schon aus § 2 Abs. 6 VOB/A ergibt. Der Auftraggeber soll erst dann ausschreiben, wenn innerhalb der angegebenen Fristen mit der Ausführung begonnen werden kann (vgl. BGHZ 139, 259, 264).
(2) Die Beklagte hat sich in ihrem Schreiben vom 8. Juni 2016 zwar auf den Aufhebungsgrund des § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A berufen und angeführt, “mangels zwischenzeitlich aufgetretenem Beschaffungsbedarf” werde die Ausschreibung aufgehoben. Das Berufungsgericht ist aber zu Recht davon ausgegangen, dass der Aufhebungsgrund des § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nicht vorgelegen hat.
(a) An das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A sind als Ausnahmetatbestand strenge Anforderungen zu stellen. Berücksichtigungsfähig sind nur solche Gründe, die die Durchführung des Verfahrens und die Vergabe des Auftrags selbst ausschließen. Im Einzelnen bedarf es für die Feststellung des schwerwiegenden Grundes einer Interessenabwägung, für die die Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls maßgeblich sind (BGH, NZBau 2014, 310 Rn. 25 – Fahrbahnerneuerung I). Das Gewicht des schwerwiegenden Grundes muss so groß sein, dass eine Bindung des Auftraggebers an die Bedingungen der Ausschreibung mit Recht und Gesetz unvereinbar wäre und von den Bietern erwartet werden kann, dass sie auf die rechtlichen und tatsächlichen Bindungen des Ausschreibenden Rücksicht nehmen (BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 – X ZR 150/99, NZBau 2001, 637, 640).
(b) Der Wegfall des Beschaffungsbedarfs kommt als schwerwiegender Grund im Sinne des § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A in Betracht. Allerdings hat das Berufungsgericht aus dem Protokoll der nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung vom 9. Mai 2016, in dem es heißt, der Bau solle “vorangetrieben und umgesetzt werden”, rechtsfehlerfrei geschlossen, dass der von der Beklagten angegebene Grund nicht vorlag. Die Beklagte hat die Beschaffung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts entgegen den Mitteilungen an die Klägerin mit Schreiben vom 8. Juni 2016 und nochmals mit Rechtsanwaltsschreiben vom 28. September 2016 nie vollständig aufgegeben.
(3) Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass die zweckgebundene Förderung des Projekts ein wesentliches Kriterium für die Entscheidung der Beklagten gewesen sei und sich aus der Pflicht zur sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung ein Grund für die Aufhebung des Vergabeverfahrens ergebe, greift diese Rüge nicht durch. Denn die Beklagte hat sich in ihren Schreiben vom 3. Mai 2016 und vom 8. Juni 2016 gegenüber der Klägerin nicht darauf berufen, dass Fördervoraussetzungen weggefallen wären oder gefehlt hätten; sie hat auch in den Vorinstanzen keine Voraussetzungen einer Förderung oder Finanzierung vorgetragen, mit denen sich das Berufungsgericht hätte auseinandersetzen können.
c) Die Verletzung einer Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB im vorvertraglichen Schuldverhältnis durch den Ausschreibenden begründet einen Schadensersatzanspruch des Bieters (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 – X ZR 143/10, BGHZ 190, 89 Rn. 13 – Rettungsdienstleistungen II), der auf den Ersatz des Schadens gerichtet ist, der dem Bieter durch die mangelnde Beachtung der für das Verfahren und seine mögliche Aufhebung maßgeblichen Vorschriften entstanden ist. Zu Recht hat das Berufungsgericht der Klägerin auf dieser Grundlage einen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen zuerkannt, die sie zur Wahrnehmung ihrer Chance auf einen Zuschlag vorgenommen hat und für hierzu erforderlich halten durfte. Über die vom Landgericht bereits zuerkannten Kosten für die Angebotsunterlagen von 150 € hinaus stehen der Klägerin gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 249 Abs. 1 BGB die Kosten für die Angebotserstellung in der vom Berufungsgericht zugesprochenen Höhe von 1.206,30 € nebst anteiligen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 192,50 € und Zinsen zu.
aa) Verletzt die Vergabestelle ihre Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Aufhebung des Vergabeverfahrens, ohne dass ein Aufhebungsgrund nach § 17 Abs. 1 VOB/A vorliegt, kann dies regelmäßig einen Anspruch eines Bieters auf Erstattung des negativen Interesses begründen. Nur unter besonderen Voraussetzungen besteht hingegen ein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses (vgl. BGH, NZBau 2014, 310 Rn. 21 – Fahrbahnerneuerung I).
Der bei einer Aufhebung des Vergabeverfahrens auszugleichende Schaden besteht regelmäßig auch bei demjenigen Bieter, der das annehmbarste Angebot gemacht hat, nicht in dem Gewinn, den er bei Ausführung des Auftrags erzielt hätte und der ihm dadurch entgangen ist, dass auf sein Angebot kein Zuschlag erteilt worden ist. Auch wenn kein anerkannter Grund für die Aufhebung des Verfahrens vorliegt, ist der öffentliche Auftraggeber nicht zur Auftragsvergabe verpflichtet. Die Auftragsvergabe dient nicht dem Bieterinteresse, sondern allein der Befriedigung des öffentlichen Beschaffungsbedarfs (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2002 – X ZR 232/00, NZBau 2003, 168, 169 – Ziegelverblendung). Will der öffentliche Auftraggeber diesen Bedarf – aus welchen Gründen auch immer – nicht weiterverfolgen und sieht er deshalb von der Erteilung eines Zuschlags ab, werden hierdurch keine Bieterrechte verletzt (BGH, NZBau 2014, 310 Rn. 20 – Fahrbahnerneuerung I). Die vergaberechtlichen Vorschriften mit bieterschützendem Charakter begründen kein Recht auf die Auftragserteilung, sondern nur das Recht eines jeden Bieters, der die Voraussetzungen hierfür erfüllt, auf Teilnahme am Wettbewerb unter fairen, transparenten und nichtdiskriminierenden Bedingungen und damit auf Wahrung der Chance auf einen Zuschlag. Die Bieter können demgemäß zwar die Beachtung aller für das Verfahren und die Zuschlagserteilung maßgeblichen Vorschriften erwarten, nicht aber die Auftragsvergabe selbst.
bb) Dem Bieter, auf dessen Angebot bei Fortsetzung des Verfahrens und Vergabe des Auftrags allein ein Zuschlag hätte erteilt werden dürfen, steht deshalb grundsätzlich (nur) ein Anspruch auf Ersatz der mit der Teilnahme am Verfahren verbundenen Aufwendungen zu (BGH, Urteil vom 3. Juli 2020 – VII ZR 144/09, NZBau 2020, 570 Rn. 40; Urteil vom 6. Oktober 2020 – XIII ZR 21/19, juris Rn. 12 – Ortenau-Klinikum; Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., § 311 BGB Rn. 37; Rechtsgedanke des § 181 GWB). Denn er ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der öffentliche Auftraggeber alle vergaberechtlichen Vorschriften beachtet und demgemäß entweder von einer Ausschreibung abgesehen oder das Verfahren mit einem Zuschlag auf das beste Angebot abgeschlossen hätte. In jenem Fall hätte der betreffende Bieter die Aufwendungen unterlassen, in diesem hätte er sie durch die Auftragsausführung verdient.
cc) Entgegen der Ansicht des Landgerichts sind Personalkosten für die Angebotserstellung auch ohne konkreten Nachweis des Bieters, dass er seine Mitarbeiter anderweitig hätte einsetzen können und dadurch Einnahmen erwirtschaftet hätte, die ihm entgangen sind, ersatzfähig, da die eingesetzte Arbeitskraft typischerweise einen Marktwert hat und bei wertender Betrachtung vom Schadensersatz nicht auszugrenzen ist (hierzu BGH, Urteil vom 24. November 1995 – V ZR 88/95, BGHZ 131, 220, 225 f. unter teilweiser Aufgabe von BGH, Urteil vom 29. April 1977, BGHZ 69, 34, 36; Urteil vom 8. Januar 2010 – V ZR 208/08, juris Rn. 9; Urteil vom 7. März 2001 – X ZR 160/99, juris Rn. 22).
dd) Gegen die Bemessung des Anspruchs erhebt die Revision keine Rügen; Rechtsfehler sind insoweit nicht erkennbar.
2. Der revisionsrechtlichen Nachprüfung hält es hingegen nicht stand, dass das Berufungsgericht der Klägerin auch einen Anspruch auf Ersatz des Gewinns zugebilligt hat, den sie mit der Ausführung des Auftrags erzielt hätte.
a) Da das Vergaberecht, wie ausgeführt (Rn. 21), nur das Recht des Bieters auf Teilhabe am Vergabeverfahren und Wahrung seiner Chance bei der Auftragsvergabe schützt, kommt ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns regelmäßig dann in Betracht, wenn das Vergabeverfahren mit einem Zuschlag abgeschlossen wird, der Zuschlag jedoch nicht demjenigen Bieter erteilt wird, auf dessen Angebot er bei Beachtung der maßgeblichen vergaberechtlichen Vorschriften allein hätte erteilt werden dürfen. In diesem und grundsätzlich nur in diesem Fall verdichtet sich der bloße Teilhabeanspruch zu einem Anspruch auf Schadensersatz für den entgangenen, aber tatsächlich anderweitig erteilten Zuschlag. Der Bieter, der diesen Zuschlag hätte erhalten müssen, ist demgemäß wirtschaftlich so zu stellen, wie er gestanden hätte, wäre der Auftrag ihm und nicht dem Dritten zugeschlagen worden.
b) Dem Abschluss eines Vergabeverfahrens mit dem Zuschlag an den “falschen” Bieter ist es gleichzustellen, wenn der öffentliche Auftraggeber ein wirtschaftlich und wertungsmäßig entsprechendes Ergebnis dadurch herbeiführt, dass er die Ausschreibung aufhebt, ohne dass ein anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt, und den Auftrag außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens oder in einem weiteren Vergabeverfahren an einen Bieter vergibt, an den der Auftrag nach dem Ergebnis des aufgehobenen wettbewerblichen Verfahrens nicht hätte vergeben werden dürfen.
Dementsprechend besteht ein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses, wenn der später vergebene Auftrag bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise das gleiche Vorhaben und den gleichen Auftragsgegenstand betrifft und die Auftragsvergabe wertungsmäßig als Zuschlag im ersten Vergabeverfahren an einen in diesem Verfahren nicht zuschlagsberechtigten Bieter anzusehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 1998 – X ZR 99/96, juris Rn. 35). Dies ist namentlich der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber die Ausschreibung nicht aus – im Hinblick auf die in diesem Verfahren mögliche Vergabe an den Bieter mit dem annehmbarsten Angebot – sachlichen und willkürfreien Gründen aufhebt, sondern das Vergabeverfahren aufhebt, um den Auftrag außerhalb des eingeleiteten Vergabeverfahrens an einen anderen Bieter vergeben zu können (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 1998 – X ZR 99/96, juris Rn. 35; BGH, NZBau 2014, 310 Rn. 21 – Fahrbahnerneuerung I).
c) Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin auch als Bieterin mit dem annehmbarsten Angebot im ersten Vergabeverfahren keinen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses.
aa) Allerdings hätte die Klägerin in dem aufgehobenen Vergabeverfahren den Zuschlag erhalten können.
(1) Mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Voraussetzung erfüllt, dass das Angebot, das der Bieter im Vergabeverfahren abgegeben hat, in jeder Hinsicht den Anforderungen der Vergabeunterlagen entsprochen haben muss (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2010 – X ZR 86/08, NZBau 2010, 387 Rn. 16 – Abfallentsorgung; BGH, Urteil vom 5. Juni 2012 – X ZR 161/11, NZBau 2012, 652 Rn. 13 – Fachpersonalklausel).
(2) Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich ferner, dass die Klägerin im ersten Vergabeverfahren das annehmbarste Angebot abgegeben hat.
bb) Rechtsfehlerfrei als erfüllt angesehen hat das Berufungsgericht ferner die weitere Voraussetzung für einen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses, dass der öffentliche Auftraggeber den Auftrag tatsächlich erteilt hat.
Gegenstand der zweiten Ausschreibung war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts das gleiche Vorhaben, das bereits Gegenstand des ersten Ausschreibungsverfahrens war. Es ging um die Errichtung eines Bauprojekts in derselben Lage, es lag das gleiche Leistungsverzeichnis zugrunde, und die Vergabe stand in engem zeitlichem Zusammenhang mit der ersten Ausschreibung (vgl. hierzu BGH, NZBau 2020, 570 Rn. 41 mwN). Es lässt keinen Rechtsfehler erkennen, dass die Beklagte mit dem Vorbringen, es habe sich um ein anderes Bauvorhaben gehandelt, weil es – anders als das Bauprojekt, das Gegenstand der ersten Ausschreibung war – nicht mehr der Anschlussunterbringung von Flüchtlingen habe dienen sollen, sondern der langfristigen Unterbringung sozial schwacher Personen, beim Berufungsgericht nicht durchgedrungen ist.
cc) Die Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben jedoch nicht, dass auch die weitere Anspruchsvoraussetzung erfüllt ist, dass der dem anderen Unternehmen in dem zweiten Vergabeverfahren erteilte Zuschlag wertungsmäßig einem Abschluss des – rechtswidrig aufgehobenen – ersten Vergabeverfahrens mit dem Zuschlag an einen in diesem Verfahren nicht zuschlagsberechtigten Bieter gleichzustellen und damit als der Klägerin in diesem ersten Verfahren entgangener Zuschlag anzusehen ist.
(1) Das Berufungsgericht hat keine Tatsachen festgestellt, die die Annahme tragen könnten, dass die Beklagte die Ausschreibung aufgehoben hat, um den Auftrag an einen bestimmten Bieter oder in einem anderen Bieterkreis vergeben zu können.
(a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zweifelte die Beklagte nach der Eröffnung der Angebote im ersten Verfahren in der Erwartung eines Rückgangs der Anzahl unterzubringender Flüchtlinge, ob das ausgeschriebene Vorhaben realisiert werden müsse. Die Parteien vereinbarten deshalb zunächst eine Verlängerung der Angebotsbinde- und Zuschlagsfrist bis zum 13. Mai 2016. Am 9. Mai 2016 beschloss der Gemeinderat der Beklagten nach der im Berufungsurteil in Bezug genommenen Niederschrift seiner Sitzung einerseits, den Bau der Flüchtlingsunterkunft voranzutreiben, andererseits aber die Zurückstellung der Auftragserteilung und eine weitere Verlängerung der Zuschlagsfrist; die Verwaltung sollte in entsprechende Verhandlungen mit der günstigsten Bieterin (d.h. der Klägerin) eintreten. Die Beklagte trat demgemäß an die Klägerin mit der Bitte heran, die Bindefrist nochmals und nunmehr bis in den Herbst dieses Jahres zu verlängern. Als die Klägerin diese zweite Bitte um Fristverlängerung ablehnte, teilte die Beklagte mit, die Ausschreibung werde wegen Wegfalls des Beschaffungsbedarfs aufgehoben; im September 2016 forderte sie sodann die Klägerin erneut auf, ein Angebot für die Erstellung des Gebäudes abzugeben.
(b) Das Berufungsgericht hat zwar – rechtsfehlerfrei – angenommen, dass die Beklagte die Sachlage schuldhaft unzutreffend eingeschätzt habe, weil sich auch nach “Schließung der Balkanroute” im März 2016 die vom zuständigen Landratsamt für 2016 und 2017 prognostizierten Zahlen von der Gemeinde aufzunehmender Flüchtlinge nicht wesentlich geändert hätten und die Gemeinde unbeschadet des Umstands, dass das Landratsamt für 2018 keine Zahlen habe nennen wollen, erheblich mehr Personen habe unterbringen müssen, als ihr hierfür Räumlichkeiten zur Verfügung gestanden hätten. Es hat aber die Einschätzung der Beklagten nicht etwa als vorgeschoben angesehen, sondern die Erwartung eines geringeren Unterkunftsbedarfs vielmehr als “spekulativ bzw. unrealistisch” bezeichnet und ausdrücklich festgestellt, dass der Gemeinderat der beklagten Gemeinde eine erneute Lageeinschätzung des Landratsamts im September 2016 abwarten wollte. Das Berufungsgericht hat den festgestellten Sachverhalt dementsprechend dahin gewertet, dass der Gemeinderat die Entscheidung, ob gebaut wird oder nicht, lediglich habe aufschieben wollen.
(c) Diese Bewertung ist nicht zu beanstanden. Der Ablauf der Ereignisse und der Beschluss des Gemeinderats der Beklagten vom 9. Mai 2016 zeigen, dass sich die Beklagte im Mai 2016 nicht dazu entschließen konnte, wie ursprünglich vorgesehen mit dem Bau des Gebäudes zu beginnen. Sie wollte sich Zeit verschaffen. Nachdem dies durch eine weitere Verlängerung der Angebotsbinde- und Zuschlagsfrist nicht mehr möglich war, weil die Klägerin dieser nicht zustimmte, wich die Beklagte in die Aufhebung der Ausschreibung aus.
Dieser Aufhebung lagen danach zwar die von ihr hierfür angeführten Gründe, nämlich der Wegfall des Beschaffungsbedarfs durch Rückgang der Zahl der unterzubringenden Flüchtlinge, tatsächlich nicht zugrunde. Das Verhalten der Beklagten zielte aber nicht auf die Vergabe an einen in dem aufgehobenen Verfahren nicht zuschlagsberechtigten Auftragnehmer, sondern auf Zeitgewinn. In dem ausgeführten Sinne (Rn. 28) war dies im Hinblick auf die in dem aufgehobenen Verfahren mögliche Vergabe an die Klägerin als Bieterin mit dem annehmbarsten Angebot eine sachliche und willkürfreie Erwägung.
(2) Auch im Übrigen ergeben sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts keine Anhaltspunkte dafür, dass die Auftragsvergabe in dem zweiten Vergabeverfahren wertungsmäßig einem rechtswidrigen Zuschlag an einen anderen Bieter als die Klägerin im ersten, aufgehobenen Vergabeverfahren gleichzusetzen wäre.
d) Das Berufungsurteil ist hiernach aufzuheben, soweit das Berufungsgericht der Klägerin entgangenen Gewinn zuerkannt hat.
III. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden und die Berufung der Klägerin zurückweisen. Weitere Feststellungen sind weder erforderlich noch zu erwarten. Die Feststellungen des Berufungsgerichts entsprechen vielmehr dem Berufungsvorbringen der Klägerin, die Beklagte habe die Ausschreibung aufgehoben, weil sie den Bedarf falsch eingeschätzt und ihr Vorhaben habe zurückstellen wollen, um die Entwicklung abzuwarten.

BGH zu der Frage, ob Nebenangebote grundsätzlich zugelassen und gewertet werden dürfen, wenn der Preis das alleinige Zuschlagskriterium bildet

BGH zu der Frage, ob Nebenangebote grundsätzlich zugelassen und gewertet werden dürfen, wenn der Preis das alleinige Zuschlagskriterium bildet

vorgestellt von Thomas Ax

Ist in einem in den Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallenden Vergabeverfahren der Preis das alleinige Zuschlagskriterium, dürfen Nebenangebote grundsätzlich nicht zugelassen und gewertet werden.

Nebenangebote sind in den Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A 2012 und in der Verordnung über die Vergabe von Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung (Sektorenverordnung – SektVO) über die Angebotswertung (§ 16 EG Abs. 6 bis 10 VOB/A; § 29 SektVO) nicht Gegenstand besonderer Regelungen und auch nicht besonders erwähnt. Soweit § 16 EG Abs. 9 VOB/A 2012 bestimmt, Angebote nach § 13 EG Abs. 2 VOB/A 2012 seien wie Hauptangebote zu werten, wird damit lediglich klargestellt, dass Angebote mit (gleichwertigen) abweichenden technischen Spezifikationen im Sinne von § 7 EG Abs. 3 VOB/A 2012 der Sache nach Haupt- und gerade keine Nebenangebote darstellen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. März 2011 – X ZR 92/09, VergabeR 2011, 709 – Ortbetonschacht).

Darüber hinaus ist in § 8 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b VOB/A 2012 (§ 16a Abs. 3 VOB/A 2009) und in § 8 Abs. 1 Satz 2 SektVO lediglich bestimmt, dass die öffentlichen Auftraggeber, wenn sie die Einreichung von Nebenangeboten zugelassen haben, in den Vergabeunterlagen Mindestanforderungen festlegen müssen, denen diese Nebenangebote zu genügen haben, um gewertet werden zu können. Mit diesen Regelungen sind unionsrechtliche Vorgaben umgesetzt worden (vgl. Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. Nr. L 199 vom 9. August 1993; Art. 24 Abs. 3 VKR; Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste – Sektorenverordnung [SKR], ABl. Nr. L 134 vom 30. April 2004, S. 1).

Verlangt das anzuwendende Recht, für Nebenangebote (lediglich) Mindestanforderungen vorzugeben, ohne Regelungen darüber zu treffen, wie Nebenangebote im Verhältnis zu der als Hauptangebot vorgesehenen Ausführung (“Amtsvorschlag”) zu werten sind, ist eine wettbewerbskonforme Wertung der Nebenangebote nicht gewährleistet, wenn für den Zuschlag allein der Preis maßgeblich sein soll. Ist beispielsweise ein den Mindestanforderungen genügendes Nebenangebot zwar geringfügig billiger als das günstigste Hauptangebot, bleibt es aber überproportional hinter dessen Qualität zurück und erweist es sich bei wirtschaftlicher Betrachtung deshalb gerade nicht als das günstigste Angebot, müsste es mangels geeigneter Zuschlagskriterien, mit denen diese Diskrepanz in der Wertung erfasst werden kann, dennoch den Zuschlag erhalten, wenn nur der Preis berücksichtigt werden darf (vgl. auch OLG Düsseldorf, VergabeR 2012, 185, 191).

Eine solche Wertungspraxis wäre unvereinbar mit dem vergaberechtlichen Wettbewerbsprinzip (§ 97 Abs. 2 GWB) und mit dem mit diesem in engem Zusammenhang stehenden, aus § 97 Abs. 5 GWB folgenden Gebot, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen.

Dieser Mangel kann durch ungeschriebene Wertungskriterien regelmäßig nicht behoben werden.

BGH, Beschluss vom 07.01.2014 – X ZB 15/13

Gründe

I. Das vorliegende Nachprüfungsverfahren bezieht sich auf den Umbau einer in Betrieb befindlichen Straßenbahntrasse unter eingleisigem Fahrbetrieb des Straßenbahnverkehrs in einem bestimmten örtlichen Bereich der Stadt Gera (“Stadtbahnprogramm Gera”) und dort auf die von der Antragsgegnerin (Vergabestelle) unionsweit im offenen Verfahren ausgeschriebene Vergabe des Loses 2 (Straßen- und Tiefbauarbeiten).

1. Die von der Vergabestelle veröffentlichte Vergabebekanntmachung war nach dem Gliederungsschema des Anhangs II der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 842/2011 der Kommission vom 19. August 2011 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen auf dem Gebiet der öffentlichen Aufträge und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1564/2005 (ABl. Nr. L 222 vom 27. August 2011, S. 1) gefertigt. Im Abschnitt III (rechtliche, wirtschaftliche und technische Angaben) hieß es 1 unter dem Gliederungspunkt III 1.4, dass besondere Bedingungen für die Ausführung des Auftrags gelten sollten, und zwar:

“- durchschnittlicher Jahresumsatz der letzten fünf Jahre mit komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich (Jahr mindestens 2,5 Mio. EUR netto)

– Gesamtumsatz …

– Nachweis mit Angebotsabgabe.”

Nach den Angaben in dem sich unmittelbar anschließenden, den Teilnahmebedingungen gewidmeten Abschnitt III 2 war die Eignung durch das Präqualifikationsverzeichnis oder durch Eigenangaben gemäß dem zu den Vergabeunterlagen gehörenden Formblatt 124 nachzuweisen.

Zu den Vergabeunterlagen gehörte auch die nach Formblatt 211 EU des Vergabehandbuchs des Bundes (VHB 2008 – Stand August 2012) gestaltete Aufforderung zur Abgabe eines Angebots. In diesem Vordruck ist unter dem die Nebenangebote betreffenden Gliederungspunkt vorgesehen, dass der Auftraggeber durch Ankreuzen einer der vorformulierten Varianten erklärt, ob und inwieweit Nebenangebote zugelassen sind. Im Streitfall konnten danach Nebenangebote für die gesamte Leistung in Verbindung mit einem Hauptangebot abgegeben werden. In dem im Formblatt 211 EU unmittelbar folgenden Gliederungspunkt “Angebotswertung” kann der Auftraggeber die Wertungskriterien festlegen, und zwar durch Ankreuzen einer der beiden Rubriken “Mehrere Wertungskriterien gemäß Formblatt Wertungskriterien” oder “Wertungskriterium Preis (Nebenangebote nicht zugelassen)”. Im Streitfall war Letzteres angekreuzt. In Anbetracht der daraus resultierenden Widersprüchlichkeit der Vergabeunterlagen bekräftigte die Vergabestelle gegenüber den Bietern, dass Nebenangebote abgegeben werden könnten und der Preis das alleinige Wertungskriterium sein solle.

An der Ausschreibung beteiligten sich vier Unternehmen, die auch alle Nebenangebote abgaben. Die Antragstellerin reichte mit ihrem Angebot mit Blick auf die unter III 1.4 der Bekanntmachung geforderten Umsatznachweise eine Referenzliste mit Angaben zu Bauvorhaben, Vergabestellen, Jahreszahlen und Nettoauftragssummen ein. Die Vergabestelle gelangte nach Prüfung dieser Unterlagen zu der Einschätzung, dass die Antragstellerin ungeeignet sei, weil sie in den Jahren 2008 bis 2012 nicht die in der Vergabebekanntmachung unter III 1.4 vorausgesetzten Umsätze erreicht hatte. Später vermerkte die Vergabestelle in den Vergabeakten:

“Nach weiteren Recherchen auf der Internetseite der Antragstellerin und Durchsicht der insgesamt vorhandenen Unterlagen kann jedoch eingeschätzt werden, dass die Antragstellerin in der Lage sein könnte, diese geforderten Leistungen zu erbringen. Insbesondere aufgrund des geführten Gesprächs am 28. Februar 2013 wurde durch den Geschäftsführer ausführlich dargelegt, warum die Antragstellerin geeignet ist, diese Leistungen auszuführen. Unter Abwägung aller Fakten wird entschieden, die Antragstellerin trotz Unterschreitung der explizit geforderten Referenzobjekte in die Wertung einzubeziehen. Ein Ausschluss wäre für die Bieterfirma unangemessen hart.”

Von den Hauptangeboten war dasjenige der Antragstellerin das preislich günstigste vor dem der Beigeladenen. Die Vergabestelle bewertete jedoch ein Nebenangebot der Beigeladenen als das günstigste Angebot und informierte darüber, dass darauf der Zuschlag erteilt werden solle. Die Antragstellerin machte daraufhin geltend, Nebenangebote dürften nicht gewertet werden, und hat, nachdem die Vergabestelle der Rüge nicht abhalf, Vergabenachprüfung beantragt. Zeitlich danach entschied die Vergabestelle, die Antragstellerin “wegen Unterschreitung der explizit geforderten Referenzobjekte nicht in die Wertung einzubeziehen.”

2. Die Vergabekammer hat ausgesprochen, dass die Antragstellerin im Vergabeverfahren in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt und die Vergabestelle verpflichtet sei, das Vergabeverfahren unter Beachtung ihrer Rechtsauffassung mit der Wertung beginnend zu wiederholen.

Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin erscheint dem vorlegenden Vergabesenat unbegründet. Er geht davon aus, dass die Abgabe von Nebenangeboten im Streitfall zwar zugelassen war, vertritt aber – wie das OLG Düsseldorf (VergabeR 2012, 185) – die Auffassung, Art. 24 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge (Vergabekoordinierungsrichtlinie – VKR) gestatte die Zulassung von Nebenangeboten nur, wenn der Zuschlag auf das – anhand einer Mehrzahl von Wertungskriterien zu ermittelnde – wirtschaftlichste Angebot erteilt werden solle, hingegen nicht, wenn, wie hier, alleiniges Zuschlagskriterium der Preis sei. So zu entscheiden hat sich der Vergabesenat durch eine Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts gehindert gesehen (Beschluss vom 15. April 2011 – 1 Verg 10/10, VergabeR 2011, 586) und die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

II. Die Vorlage ist zulässig.

Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB liegen nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn das vorlegende Oberlandesgericht seiner Entscheidung als tragende Begründung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der sich mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts tragenden Rechtssatz nicht in Einklang bringen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 – X ZB 4/10, BGHZ 188, 200 – S-Bahn-Verkehr Rhein/Ruhr). So verhält es sich hier, weil die vom vorlegenden Vergabesenat erwogene Entscheidung mit der dem Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 7 15. April 2011 zugrunde liegenden Rechtsauffassung nicht zu vereinbaren wäre.

III. Die Divergenzfrage ist dahin zu entscheiden (§ 124 Abs. 2 Satz 3 GWB), dass Nebenangebote grundsätzlich nicht zugelassen und gewertet werden dürfen, wenn in einem in den Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallenden Vergabeverfahren der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium vorgesehen ist.

1. Zutreffend hat der Vergabesenat angenommen, dass im Streitfall die Einreichung von Nebenangeboten zugelassen war. Soweit in dem Formblatt 211 EU die angekreuzte Variante des Preises als alleiniges Wertungskriterium den Klammerzusatz “Nebenangebote nicht zugelassen” aufwies, handelt es sich bei diesem Zusatz ersichtlich nicht um eine angebotsbezogene, für die Bieter bestimmte Erklärung, sondern um einen an die Verwender dieses Vordrucks gerichteten rechtlichen Hinweis oder eine Empfehlung, dass nicht gleichzeitig die Unterbreitung von Nebenangeboten zugelassen werden sollte, wenn sie den Preis als alleiniges Wertungskriterium bestimmen. Die Vergabestelle, die sich nach den Feststellungen der Vergabekammer darüber bewusst hinweggesetzt hat, hätte diesen Zusatz jedenfalls streichen oder einen entsprechend angepassten Vordruck verwenden müssen, um Irritationen bei den Adressaten der Vergabeunterlagen zu vermeiden. Sie hat ihren abweichenden Willen, nach dem Preis zu werten und Nebenangebote gleichwohl zuzulassen, gegenüber den Bietern aber nachträglich bekräftigt.

2. Der Vergabesenat hat auch zu Recht angenommen, dass die Antragstellerin mit ihrer auf die Zulassung von Nebenangeboten zielenden Rüge – anders als mit ihrer die Mindestbedingungen für Nebenangebote betreffenden Beanstandung – nicht nach § 107 Abs. 3 Nrn. 2 oder 3 GWB präkludiert ist. Er meint mit Recht auch, dass das Angebot der Antragstellerin nicht wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen auszuschließen ist. Auf die diese Punkte 11 behandelnden Ausführungen im Vorlagebeschluss (II 1 und 2 a der Gründe) wird Bezug genommen.

3. Es wäre vergaberechtswidrig, im Streitfall auf ein zugelassenes Nebenangebot den Zuschlag zu erteilen. Ist in einem in den Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallenden Vergabeverfahren, wie hier, der Preis das alleinige Zuschlagskriterium (vorstehend III 1), dürfen Nebenangebote bereits nach dem Inhalt des anzuwendenden nationalen Vergaberechts, unabhängig von sich aus den vergaberechtlichen Richtlinien des Unionsrechts ergebenden Schranken, nicht zugelassen werden. Ist dies, wie hier, doch geschehen, dürfen diese Nebenangebote jedenfalls nicht gewertet werden.

a) Nebenangebote sind in den Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A 2012 und in der Verordnung über die Vergabe von Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung (Sektorenverordnung – SektVO) über die Angebotswertung (§ 16 EG 6 bis 10 VOB/A; § 29 SektVO) nicht Gegenstand besonderer Regelungen und auch nicht besonders erwähnt. Soweit § 16 EG Abs. 9 VOB/A 2012 bestimmt, Angebote nach § 13 EG Abs. 2 VOB/A 2012 seien wie Hauptangebote zu werten, wird damit lediglich klargestellt, dass Angebote mit (gleichwertigen) abweichenden technischen Spezifikationen im Sinne von § 7 EG Abs. 3 VOB/A 2012 der Sache nach Haupt- und gerade keine Nebenangebote darstellen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. März 2011 – X ZR 92/09, VergabeR 2011, 709 – Ortbetonschacht).

Darüber hinaus ist in § 8 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b VOB/A 2012 (§ 16a Abs. 3 VOB/A 2009) und in § 8 Abs. 1 Satz 2 SektVO lediglich bestimmt, dass die öffentlichen Auftraggeber, wenn sie die Einreichung von Nebenangeboten zugelassen haben, in den Vergabeunterlagen Mindestanforderungen festlegen müssen, denen diese Nebenangebote zu genügen haben, um gewertet werden 14 zu können. Mit diesen Regelungen sind unionsrechtliche Vorgaben umgesetzt worden (vgl. Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. Nr. L 199 vom 9. August 1993; Art. 24 Abs. 3 VKR; Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste – Sektorenverordnung [SKR], ABl. Nr. L 134 vom 30. April 2004, S. 1).

b) Verlangt das anzuwendende Recht, für Nebenangebote (lediglich) Mindestanforderungen vorzugeben, ohne Regelungen darüber zu treffen, wie Nebenangebote im Verhältnis zu der als Hauptangebot vorgesehenen Ausführung (“Amtsvorschlag”) zu werten sind, ist eine wettbewerbskonforme Wertung der Nebenangebote nicht gewährleistet, wenn für den Zuschlag allein der Preis maßgeblich sein soll. Ist beispielsweise ein den Mindestanforderungen genügendes Nebenangebot zwar geringfügig billiger als das günstigste Hauptangebot, bleibt es aber überproportional hinter dessen Qualität zurück und erweist es sich bei wirtschaftlicher Betrachtung deshalb gerade nicht als das günstigste Angebot, müsste es mangels geeigneter Zuschlagskriterien, mit denen diese Diskrepanz in der Wertung erfasst werden kann, dennoch den Zuschlag erhalten, wenn nur der Preis berücksichtigt werden darf (vgl. auch OLG Düsseldorf, VergabeR 2012, 185, 191). Eine solche Wertungspraxis wäre unvereinbar mit dem vergaberechtlichen Wettbewerbsprinzip (§ 97 2 GWB) und mit dem mit diesem in engem Zusammenhang stehenden, aus § 97 Abs. 5 GWB folgenden Gebot, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen.

c) Dieser Mangel kann durch ungeschriebene Wertungskriterien regelmäßig nicht behoben werden. Soweit in der Rechtsprechung der Vergabesenate verlangt wird, dass zuschlagsfähige Nebenangebote über die Erfüllung der Mindestanforderungen hinaus mit dem Amtsvorschlag gleichwertig sein müssen 17

(vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, VergabeR 2011, 586, 591; OLG München, Beschluss vom 9. September 2010 – Verg 16/10; Brandenburgisches Oberlandesgericht, VergabeR 2009, 222; 2012, 124; OLG Frankfurt am Main, VergabeR 2012, 884, 894; vgl. auch Kues/Kirch, NZBau 2011, 335 ff.; Dittmann in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, VOB/A § 16 Rn. 293 ff.; vgl. auch Vavra in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl., § 16 VOB/A Rn. 62; zur Problematik insgesamt beispielsweise Bauer in: Heiermann/Riedl/Rusam, Handkomm. zur VOB, 13. Aufl., § 16 EG VOB/A Rn. 183f ff.), mögen solche ungeschriebenen Gleichwertigkeitsprüfungen, die ersichtlich auch die Vergabestelle im Streitfall vorgenommen hat, zwar im Einzelfall durchaus geeignet sein, den Wert von Nebenangeboten im Verhältnis zu den abgegebenen Hauptangeboten zu beurteilen. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung genügt eine Gleichwertigkeitsprüfung, für die es keine benannten Bezugspunkte gibt, weil der Preis das einzige Zuschlagskriterium sein soll, jedoch nicht den Anforderungen an transparente Wertungskriterien, da für die Bieter bei Angebotsabgabe nicht mehr mit angemessenem Sicherheitsgrad voraussehbar ist, welche Varianten die Vergabestelle bei der Wertung noch als gleichwertig anerkennen wird und welche nicht mehr. Zudem droht eine Gleichwertigkeitsprüfung mit den Mindestanforderungen in Konflikt zu geraten, deren Erfüllung in der Regel ohne Aussagekraft für die Berücksichtigungsfähigkeit des Nebenangebots wäre. Dies kann auch nicht dadurch vermieden werden, dass die Vergabestelle, wie im Streitfall geschehen, die Gleichwertigkeit als Mindestanforderung definiert. Denn bestimmte oder bestimmbare konkrete Anforderungen an die anzubietende Leistung werden damit nicht formuliert.

d) Daraus die Konsequenz zu ziehen, dass Mindestanforderungen so konkret definiert werden müssen, dass die Vergleichbarkeit mit dem Qualitätsstandard und den sonstigen Ausführungsmerkmalen des Amtsvorschlags gewährleistet ist, wäre weder mit Sinn und Zweck der Zulassung von Nebenange-19 boten vereinbar, noch ist es nach dem Schutzzweck des Gebots der Vorgabe von Mindestanforderungen erforderlich.

aa) Die Zulassung von Nebenangeboten soll das unternehmerische Potenzial der für die Deckung des Vergabebedarfs geeigneten Bieter dadurch erschließen, dass der Auftraggeber Alternativlösungen vorgeschlagen bekommt, die er selbst nicht hätte ausarbeiten können, weil seine Mitarbeiter naturgemäß nicht in allen Bereichen über so weitreichende Fachkunde wie die Bieter verfügen (BGH, Urteil vom 30. August 2011 – X ZR 55/10, VergabeR 2012, 26 – Regenentlastung). Die Bedeutung der Zulassung von Nebenangeboten für die Gewinnung innovativer Lösungen hebt auch die kurz vor der Verabschiedung stehende, an die Stelle der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG tretende Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe hervor (vgl. Dokument PE-CONS 74/13 – 2011/0438 (COD), Erwägungsgrund 17a).

bb) Das Gebot, für Nebenangebote Mindestanforderungen festzulegen, dient der Transparenz, die die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Bieter gewährleisten soll (EuGH, Urteil vom 16. Oktober 2003 – C-421/01, VergabeR 2004, 50 29 – Traunfellner). Öffentliche Auftraggeber sollen sich von vornherein auf bestimmte Vorgaben für Nebenangebote festlegen müssen, damit erschwert ist, Nebenangebote mit der vorgeschobenen Begründung zurückzuweisen, sie seien gegenüber Ausführungen nach dem Amtsvorschlag (Hauptangebot) minderwertig oder wichen davon unannehmbar ab.

cc) Je mehr diesem letzteren Regelungsziel durch die Anhebung der Mindestanforderungen Rechnung getragen wird, desto mehr bleiben die mit der Zulassung von Nebenangeboten verfolgten Zwecke unberücksichtigt. Die öffentlichen Auftraggeber müssten die zulässigen Alternativen weitgehend gedanklichplanerisch vorwegnehmen, und Nebenangebote könnten nur in dem dadurch vorgegebenen Rahmen ausgearbeitet werden. Dieser würde aber häu-20 fig hinter den Möglichkeiten der regelmäßig fachlich besser instruierten Anbieterseite zurückbleiben, so dass deren Potenzial zum Teil ungenutzt bliebe (vgl. BGH, VergabeR 2012, 26 19 – Regenentlastung). Dies wäre im Zweifel nicht nur zum wirtschaftlichen Schaden des Auftraggebers, sondern verfehlte auch gleichermaßen das Ziel, den Bietern die Möglichkeit zu geben, sich durch Nutzung ihres kreativen Potentials und eine dem Auftraggeber hierdurch eröffnete günstigere Alternative zu einem Zuschlag auf ein Hauptangebot einen Vorteil im Wettbewerb zu verschaffen. Im Interesse eines möglichst lebhaften Vergabewettbewerbs wäre es deshalb unzweckmäßig, wenn die Mindestanforderungen für Nebenangebote den Vergabegegenstand in allen seinen Aspekten und Details beschrieben (vgl. auch OLG Koblenz, NZBau 2011, 58 f.).

dd) Wie eingehend und detailliert die an Nebenangebote gestellten Anforderungen in den Vergabeunterlagen beschrieben sein müssen, lässt sich in Anbetracht der Anwendungsbreite der Bestimmung und der Vielfältigkeit der auszuschreibenden Leistungen nicht allgemein festlegen, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung und der jeweiligen Gesamtumstände, insbesondere der Komplexität des einzelnen Vergabegegenstands, bestimmen. Generell sind Mindestanforderungen zweckmäßig, die Spielraum für eine hinreichend große Variationsbreite in der Ausarbeitung von Alternativvorschlägen lassen. Erforderlich, aber im Interesse des Transparenzgebots auch ausreichend ist, dass den Bietern – neben technische Diversität zulassenden technischen Spezifikationen – als Mindestanforderungen in allgemeinerer Form der Standard und die wesentlichen Merkmale deutlich gemacht werden, die eine Alternativausführung aus Sicht der Vergabestelle aufweisen muss. Dadurch wird, soweit möglich, vermieden, dass den Bietern Aufwand aus der Erarbeitung von Alternativvorschlägen erwächst, die von vornherein keine Aussicht auf Berücksichtigung haben. Zugleich werden die Auftraggeber gebunden und daran gehindert, Nebenangebote zurückweisen zu 23 können, die den Mindestanforderungen genügen, auf die sie sich festgelegt haben.

e) Die dem Ziel der Erschließung des wettbewerblichen Potentials entsprechende und damit vergaberechtskonforme Wertung von Nebenangeboten, die den vorgegebenen Mindestanforderungen genügen, ist durch Festlegung aussagekräftiger, auf den jeweiligen Auftragsgegenstand und den mit ihm zu deckenden Bedarf zugeschnittener Zuschlagskriterien zu gewährleisten. Sie müssen ermöglichen, das Qualitätsniveau von Nebenangeboten und ihren technischenfunktionellen und sonstigen sachlichen Wert über die Mindestanforderungen hinaus nachvollziehbar und überprüfbar mit dem für die Hauptangebote nach dem Amtsvorschlag vorausgesetzten Standard zu vergleichen, so dass das wirtschaftlichste Angebot auf dieser Basis ermittelt und dabei gegebenenfalls auch eingeschätzt werden kann, ob ein preislich günstigeres Nebenangebot mit einem solchen Abstand hinter der Qualität eines dem Amtsvorschlag entsprechenden Hauptangebots zurückbleibt, dass es nicht als das wirtschaftlichste Angebot bewertet werden kann.

4. Die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist im Streitfall nicht erforderlich. Die Anwendung des nationalen Rechts steht offenkundig nicht in Widerspruch zu den vergaberechtlichen Bestimmungen und Vorgaben des Unionsrechts.

Soweit der Senat in einem früheren Fall zum Ausdruck gebracht hat, dass er ohne die dort übereinstimmend erklärte Erledigung des Nachprüfungsverfahrens in der Hauptsache die Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 24 Abs. 1 VKR eingeholt hätte (BGH, Beschluss vom 23. Januar 2013 – X ZB 8/11, VergabeR 2013, 547), beruhte dies auf den besonderen Umständen jenes Falles. Gegenstand des Vergabeverfahrens war dort mit der Abholung und Zustellung von auf eine bestimmte Art und Weise bereitgestellten (vorsortierten) Briefsendungen eine in massen-24 hafter Wiederkehr zu erbringende homogene Dienstleistung. Als alleiniges Wertungskriterium dafür den Preis heranzuziehen, war vergaberechtlich ebenso sachgerecht, wie das Interesse der Vergabestelle anerkennenswert, gleichwohl Varianten angeboten zu bekommen, die sich nach den Umständen im Übrigen vom Hauptangebot nur in der modifizierten Vorsortierung der abzuholenden Sendungen unterscheiden konnten. Die Zulassung von Varianten hätte dort zwar (auch) die Notwendigkeit mit sich gebracht, die Preiswürdigkeit von Nebenangeboten zu vergleichen und zu bewerten, die die vorgegebenen Mindestbedingungen (vgl. Art. 24 Abs. 3 VKR, § 8 EG Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b VOB/A) auf unterschiedliche Weise erfüllten. Infolge der Homogenität der nachgefragten Leistung und nach den Umständen erschien eine unverfälschte Wertung von Haupt- und Nebenangeboten nach dem Preis aber nicht von vornherein ausgeschlossen. Für die Entscheidung des dortigen Falls in der Hauptsache wäre es danach darauf angekommen, ob das Unionsrecht (Art. 24 Abs. 1 VKR) – etwa wie das nationale Recht durch das Institut der teleologischen Reduktion – eine Auslegung des nationalen Rechts erlaubt hätte, nach der Nebenangebote in einer solchen Konstellation zugelassen werden können, obwohl der Preis das einzige Zuschlagskriterium sein soll.

Der Streitfall ist damit nicht vergleichbar, und eine entsprechende Auslegung des nationalen Vergaberechts kommt mithin – wie ausgeführt – nicht in Betracht. Das ausgeschriebene Los umfasst zahlreiche Gewerke (Bauteilgruppen), namentlich den Gleisunterbau, Mastgründungen, Bahnstromanlagen, Haltestellen, Straßenbau, Gehwege, Parkmöglichkeiten, Lichtsignalanlagen, Markierungen und Beschilderungen, GVB-Koordinierungstrassen, Stützwände, Beleuchtung sowie diverse Versorgungsleitungen. Nebenangebote waren nach den Vergabeunterlagen zudem nur für die gesamte Leistung, nicht aber nur für eingegrenzte Bereiche zugelassen.

5. Im Streitfall ist es nach den vom Vergabesenat getroffenen Feststellungen zur Herstellung eines regulären Vergabewettbewerbs ausreichend, dass die vergaberechtswidrig zugelassenen Nebenangebote nicht gewertet werden. Eine Verzerrung des Wettbewerbs bei Wertung allein der Hauptangebote ist nicht zu besorgen, weil – anders als in dem vom Senat am 23. Januar 2013 entschiedenen Fall (BGH, VergabeR 2013, 547) – nicht geltend gemacht ist, dass ein Hauptangebot anders kalkuliert worden wäre, wenn Nebenangebote nicht zugelassen gewesen wären.

IV. Der Senat macht von der in § 124 Abs. 2 Satz 3 GWB eröffneten Möglichkeit Gebrauch, sich auf die Entscheidung der Divergenzfrage zu beschränken, weil es nach dem Sach- und Streitstand zweckmäßig ist, dem Vergabesenat die Entscheidung in der Hauptsache zu übertragen.

1. Die Annahme der Vergabekammer und des Vergabesenats, die Vergabestelle könne sich im Nachprüfungsverfahren nicht mehr auf fehlende Eignung der Antragstellerin berufen, nachdem sie die Eignung im Vergabeverfahren bejaht hat, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Entgegen der Ansicht der Vergabekammer ist die Anforderung umsatzbezogener Angaben nicht deshalb unbeachtlich, weil sie in der Vergabebekanntmachung nicht unter dem richtigen, sondern einem benachbarten Gliederungspunkt gestellt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Frage, welcher Erklärungswert dem Inhalt von Vergabeunterlagen zukommt, nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden und dabei auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter abzustellen (BGH, Urteil vom 20. November 2012 – X ZR 108/10, VergabeR 2013, 208 Rn. 9 – Friedhofserweiterung; Urteil vom 15. Januar 2013 – X ZR 155/10, VergabeR 2013, 434 Rn. 9 – Parkhaussanierung). Bei einer an diesen – auch für das Verständnis der Bekanntmachung nach § 12 EG Abs. 2 VOB/A geltenden – Grundsätzen orientierten Auslegung 28 besteht kein Zweifel daran, dass die potenziellen Bieter den Angaben unter III 1.4 der Bekanntmachung entnehmen konnten, mit dem Angebot jährliche Nettoumsätze von mindestens 2,5 Mio. € mit komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich in den letzten fünf Jahren nachweisen zu sollen, auch wenn diese Rubrik an sich der Information über Bedingungen oder Vorschriften gilt, die bei der Auftragsausführung zu beachten sein sollen.

2. Die Vergabestelle war entgegen der Ansicht der Vergabekammer und des Vergabesenats nicht daran gebunden, dass sie die Eignung der Antragstellerin in einem früheren Stadium des im offenen Verfahren durchgeführten Vergabewettbewerbs bejaht hat.

a) Aus der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen lässt sich nicht herleiten, dass der Auftraggeber im offenen Verfahren an seine erste Beurteilung der Eignung eines Bieters gebunden wäre. Die Regelung in § 16 EG 2 Nr. 2 VOB/A gilt nur für das nicht offene und das Verhandlungsverfahren sowie den wettbewerblichen Dialog. Dort dürfen im Rahmen der Angebotswertung nur noch solche die Eignung betreffenden Umstände berücksichtigt werden, die nach Aufforderung zur Angebotsabgabe Zweifel an der Eignung des Bieters begründen. Der Grund für diese Regelung ist darin zu sehen, dass der Auftraggeber bei diesen Vergabearten die Eignung der Bewerber prüft, bevor er sie in den Wettbewerb einbezieht (vgl. § 6 EG Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 VOB/A für das nicht offene Verfahren). Dadurch wird ein Vertrauenstatbestand für die Bieter dahin begründet, dass sie nicht damit rechnen müssen, der ihnen durch die Erstellung der Angebote und Teilnahme am Wettbewerb entstandene Aufwand könnte dadurch nachträglich nutzlos werden, dass der Auftraggeber die Eignung auf gleichbleibender tatsächlicher Grundlage abweichend beurteilt (vgl. zum Vertrauensschutz der Bieter BGH, Urteil vom 8. September 1998 – X ZR 99/96, BGHZ 139, 280, 283). Eine entsprechende Regelung für den Schutz des Vertrauens der Bieter auf den Bestand der Beurteilung ihrer Eig-32 nung durch die Vergabestelle im offenen Verfahren ist in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen nicht vorgesehen. Dafür besteht auch kein Bedürfnis, weil die Bieter den mit der Erstellung des Angebots verbundenen Aufwand zumindest im Wesentlichen bereits vor der Eignungsprüfung durch die Vergabestelle erbracht haben.

b) Eine Bindung ergibt sich auch nicht aus den Bestimmungen über die Prüfung und Wertung der Angebote in § 16 EG VOB/A (§§ 20, 27 SektVO). Diese erfolgt zwar schrittweise (Prüfung auf Ausschlussgründe und der Eignung der Bieter, Aussonderung unangemessen hoher oder niedriger Angebote, Auswahl des günstigsten Angebots aus den in die engere Wahl gelangten Offerten). Damit soll aber vor allem einer Vermischung der Prüfungsgegenstände vorgebeugt werden (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 2008 – X ZR 129/06, VergabeR 2008, 641 Rn. 13 – Sporthallenbau). Mit dieser sachlogischen Ordnungsprinzipien folgenden Aufgliederung wird der Wertungsprozess aber nicht in rechtlich unabhängige Abschnitte aufgeteilt, deren Durchlaufen dem betreffenden Bieter jeweils eine Rechtsposition verschaffte, die einer nachträglichen abweichenden Beurteilung eines vorangegangenen Abschnitts entgegenstünde. Für die Prüfung der Eignung gilt insoweit keine Ausnahme. Dass die Vergabestelle sie einmal bejaht hat, steht einer späteren abweichenden Einschätzung im offenen Verfahren nicht von vornherein entgegen. Revidiert eine Vergabestelle ihre Beurteilung der Eignung eines Bieters zu dessen Nachteil, insbesondere nachdem dieser einen Nachprüfungsantrag gestellt hat, kann das lediglich Anlass geben, besonders kritisch zu prüfen, ob diese Entscheidung die im Interesse eines verantwortungsvollen Einsatzes öffentlicher Mittel gebotene Korrektur einer Fehleinschätzung darstellt oder von sachfremden Erwägungen getragen sein könnte.

Abweichendes ergibt sich nicht aus § 19 EG Abs. 1 VOB/A. Danach sollen Bieter, deren Angebote nach § 16 EG Abs. 1 VOB/A ausgeschlossen wur-34 den oder die nicht in die engere Wahl kommen, unverzüglich unterrichtet werden. Daraus folgt nicht, dass nicht informierte Wettbewerbsteilnehmer darauf vertrauen dürfen, ein formgültiges Angebot abgegeben zu haben und jedenfalls auch für die Auftragsausführung geeignet zu sein.

V. Danach bedarf die im Verlauf des Nachprüfungsverfahrens ausgesprochene Verneinung der Eignung der Antragstellerin durch die Vergabestelle einer Überprüfung in der Sache, die zweckmäßigerweise dem Vergabesenat zu übertragen ist (§ 124 Abs. 2 Satz 3 GWB). Dafür weist der Senat auf Folgendes hin.

1. Die Vergabebekanntmachung enthält Anforderungen an den Nachweis der Eignung nicht nur unter dem Gliederungspunkt III 1.4, sondern auch in den dafür an sich vorgesehenen Rubriken unter III 2 In der Gesamtschau ergibt sich folgendes Bild: Die Vergabestelle wollte einerseits eine Auftragsvergabe davon abhängig machen, dass der betreffende Bieter in den letzten 5 Jahren mit komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich Jahresumsätze von 2.500.000 € erzielt hat (III 1.4 der Bekanntmachung). Andererseits hat sie für den Nachweis der Eignung unter anderem auf das zu den Vergabeunterlagen gehörende Formblatt 124 verwiesen (unter III 2 der Bekanntmachung). Dieses ist hinsichtlich der Umsatzangaben den Vorgaben der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen angepasst und verlangt die Angabe des Umsatzes in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren, soweit dieser Bauleistungen und andere Leistungen betrifft, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind (vgl. § 6 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a VOB/A).

Aus diesen Angaben konnten die Adressaten der Vergabeunterlagen insgesamt entnehmen (§§ 133, 157 BGB analog), dass die Vergabestelle die unter III 1.4 angeführten komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich als mit der zu vergebenden Leistung vergleichbare Leistungen 36 im Sinne von § 6 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a VOB/A verstanden wissen wollte und voraussetzte, dass damit ein jährlicher Umsatz von 2.500.000 € erzielt worden ist. Hinsichtlich des Auskunftszeitraums und der Gesamtumsätze waren die Angaben in der Bekanntmachung zu III 1.4 und III 2 widersprüchlich. Dass eine Vergabestelle weitergehende Eignungsnachweise verlangen kann (vgl. z.B. Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Nr. i) VKR), verleiht den unter III 1.4 gestellten Anforderungen keinen einseitigen Vorrang, sondern der Widerspruch ist im gegenwärtigen Verfahrensstadium dahin aufzulösen, dass die unter III 1.4 gestellten Anforderungen in dem Umfang gelten, in dem sie dem Formblatt 124 nicht widersprechen. Danach hätte die Antragstellerin Umsätze mit komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich von 2.500.000 € in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren nachweisen müssen.

2. Für die Frage, ob die nachträgliche Verneinung der Eignung sachfremd motiviert sein könnte, kann die ursprüngliche Beurteilung der Eignung von Aufschluss sein. Nach den dazu bisher getroffenen Feststellungen erscheint die jetzige Position der Vergabestelle jedenfalls nicht ohne Weiteres als vorgeschoben. Die Vergabestelle war zunächst zu dem Ergebnis gelangt, dass die Antragstellerin zwischen 2008 und 2012 nicht die vorgegebenen Jahresumsätze von 2.500.000 € erzielt hat und deshalb nicht geeignet war. Offenbar hat die Vergabestelle später an die Höhe der vorausgesetzten Jahresumsätze Konzessionen gemacht. Dies kann, muss aber nicht stets vergaberechtswidrig sein. Die Regelung in § 6 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a VOB/A beruht ersichtlich auf der Prämisse, dass die in der Vergangenheit erzielten Umsätze aussagekräftig für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Bieters hinsichtlich des zur Vergabe anstehenden Auftrags sind. Die Bestimmung dient somit dem Schutz der Auftraggeberseite und soll der Vergeudung öffentlicher Mittel vorbeugen. Eine Vergabestelle kann zwar nachträglich zu der Einschätzung gelangen, dass die ihr anvertrauten öffentlichen Interessen auch bei Vergabe des Auftrags an ein Unternehmen gewahrt bleiben, das die insoweit zunächst für notwendig erach-39 teten Umsätze nicht erzielt hat. Dies muss aber plausible Gründe haben. Außerdem ist aus Wettbewerbsgründen zu bedenken, ob sich der Kreis der Teilnehmer nicht anders zusammengesetzt hätte, wenn die jetzt als ausreichend erachteten Umsätze von vornherein vorgegeben worden wären.

Die Vergabestelle hat zwar nach dem oben mitgeteilten Vermerk in den Vergabeakten angegeben, die Eignung der Antragstellerin “unter Abwägung aller Fakten” bejaht zu haben, sie hat in diesem Zusammenhang aber als einzigen substanziellen Gesichtspunkt angeführt, dass ein Ausschluss für die Antragstellerin unangemessen hart wäre. Diese Erwägung steht außerhalb des einer Vergabestelle bei der Eignungsprüfung zustehenden Beurteilungsspielraums. Die Prüfung der Eignung soll im Vorfeld der Auftragsvergabe das Risiko minimieren, dass der Einsatz öffentlicher Mittel seinen Zweck verfehlt, weil ein Unternehmen beauftragt wird, das mit der Erbringung der zugesagten Leistung überfordert ist, und in der Folge Zeit verloren geht und Mehrkosten entstehen. Dabei entscheidend auf Belange der Bieterseite abzustellen, ist vom Zweck des Entscheidungsspielraums der Vergabestelle nicht mehr gedeckt. Ob hier ein Fehlgebrauch des Beurteilungsspielraums vorlag oder der entsprechende Vermerk in den Vergabeakten die Erwägungen der Vergabestelle nur missverständlich wiedergibt, kann beim gegebenen Sach- und Streitstand nicht abschließend beurteilt werden, weil die Vergabekammer und der Vergabesenat dazu, von ihrer Rechtsauffassung her folgerichtig, keine Feststellungen getroffen haben. 40 3. Die Vergabestelle wird die Prüfung der Eignung der Antragstellerin nunmehr unter Anpassung an die Prämisse, dass lediglich die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre berücksichtigt werden dürfen (oben V 1), und unter Berücksichtigung des vorstehend Ausgeführten im laufenden Nachprüfungsverfahren zu wiederholen und das Ergebnis vorzutragen haben.

BGH zu der Frage der Ersetzung eines früheren Angebotes durch ein überholendes weiteres Angebot

BGH zu der Frage der Ersetzung eines früheren Angebotes durch ein überholendes weiteres Angebot

vorgestellt von Thomas Ax

Ob ein Bieter mehrere Hauptangebote abgeben will, lässt sich zweifelsfrei bejahen, wenn er zur Einreichung den konventionellen Weg gewählt und alle Angebotsunterlagen gegenständlich in einem verschlossenen Umschlag eingereicht hat (vgl. § 13 EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 VOB/A 2016). Erfüllen darin mehrere Offerten die an das Hauptangebot gestellten Voraussetzungen, wird der Auftraggeber als Adressat dies als Ausdruck des Bieterwillens verstehen, mehrere Hauptangebote unterbreiten zu wollen. Das gilt umso mehr, als eine versehentliche Zusammenstellung mehrerer Hauptangebote in einer Briefsendung kaum anzunehmen ist.

Als vergleichbar eindeutig wird zu beurteilen sein, wenn der Bieter von der eröffneten Möglichkeit der elektronischen Angebotseinreichung Gebrauch macht und mehrere Hauptangebote einheitlich in einer elektronischen Sendung übermittelt.
Sendet ein Bieter auf elektronischem Wege ein Hauptangebot und mit gewissem zeitlichem Abstand (hier: etwa zwei Stunden) kommentarlos eine weitere als Hauptangebot erkennbare Offerte, ist dies regelmäßig, wenn nicht besondere Umstände auf einen abweichenden Willen des Absenders hindeuten, dahin zu verstehen, dass das spätere Angebot an die Stelle des früher eingereichten treten soll, nicht aber, dass beide als Hauptangebot gelten sollen.
Hier entfällt die Einheitlichkeit des Sendevorgangs als verbindender und auf den Willen zur Unterbreitung mehrerer Hauptangebote hindeutender Umstand. Die Übermittlung eines weiteren elektronischen Angebots unter solchen Umständen innerhalb der Angebotsfrist ist aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers als Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte ohne Weiteres regelmäßig dahin zu verstehen, dass das spätere das frühere ersetzen soll. Er konnte das erste eingegangene Angebot nur als vom Bieter abschließend gewollte Offerte verstehen. Wird wenig später kommentarlos erneut ein Angebot gesendet, legt ohne auf einen abweichenden Willen des Absenders hindeutende Umstände schon die zeitliche Abfolge die Annahme nahe, dass dieses das Erstere ersetzen soll. Eine solche Ersetzung ist rechtlich möglich. Angebote können bis zum Ablauf der in den Vergabeunterlagen dafür festgelegten Frist abgegeben werden. Daraus folgt, dass sie erst mit dem Ablauf dieser Frist bindend werden (§ 145 BGB) und dementsprechend bis zu diesem Zeitpunkt auch ausgetauscht werden können. Dass beide gleichzeitig gelten sollen, wird der Auftraggeber als Empfänger im Zweifel schon deshalb nicht unterstellen, weil die Einreichung paralleler Hauptangebote nur in engen Grenzen statthaft ist und im Regelfall die Annahme angezeigt ist, dass ein Bieter nur ein Angebot abgeben will, um nicht Gefahr zu laufen, gar kein wertungsfähiges Gebot eingereicht zu haben. Solange nicht besondere Umstände Anlass zu der Annahme geben, dass etwas anderes gewollt sein könnte, ist deshalb grundsätzlich das später gesendete Angebot für sich als das maßgebliche und gewollte zu betrachten. Das gilt prinzipiell auch dann, wenn die Abweichung lediglich in der Wahl einer anderen technischen Spezifikation besteht. Möchte der Bieter in einem solchen Fall nur ein weiteres wertungsfähiges Hauptangebot nachreichen und nicht ein bereits abgegebenes ersetzen, kann und muss er dies in geeigneter Form zum Ausdruck bringen.
BGH, Urteil vom 29.11.2016 – X ZR 122/14

Tatbestand
Die Klägerin beteiligte sich an einem von einem Eigenbetrieb des beklagten Landes nach Maßgabe des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen durchgeführten Vergabeverfahren betreffend die Sanierung und den Neubau von Flächen eines Universitätsinstituts mit einem Angebot für das Gewerk Tischlerarbeiten. Die Vergabestelle hatte den Brutto-Auftragswert auf 138.248,73 € geschätzt. Die Angebotsfrist lief bis zum 25. April 2012.
Die Klägerin sendete am 24. Februar 2012 um 9:11 Uhr auf elektronischem Wege ein Angebot (im Folgenden: Angebot 1) über 268.201,96 € und um 11:02 Uhr ein weiteres Gebot (Angebot 2) über 268.580,38 €.
Die Einzelpreise beider Angebote unterschieden sich lediglich in zwei Positionen betreffend die Überarbeitung historischer, einflügliger Innentüren, und zwar waren in den Positionen 1.1.30 (“… mit drei Kassetten”) und 1.1.50 (“… mit sechs Kassetten”) die Einheitspreise umgekehrt zugeordnet, woraus vor dem Hintergrund unterschiedlicher Einheitsmengen für beide Positionen (3 Stück bzw. 6 Stück) die Preisdifferenz in Höhe von 378,42 € resultierte.
Im Öffnungstermin lagen Angebote von drei Bietern vor. Der Beklagte nahm von der Klägerin lediglich Angebot 2 in die Niederschrift über den Öffnungstermin auf. Dieses war das preisgünstigste, die anderen beiden Angebote waren um bis zu rund 3 % teurer.
Nachdem sie zunächst fehlende Erklärungen von einem Mitbewerber und der Klägerin angefordert und mit dieser auch ein Aufklärungsgespräch geführt hatte, hob die Vergabestelle das Vergabeverfahren auf und berief sich dafür auf die deutliche Überschreitung ihrer Kostenschätzung und darauf, dass die Angebote zwar preislich dicht zusammenlägen, in den Kostenansätzen für einzelne Leistungspositionen jedoch zum Teil nicht nachvollziehbar voneinander abwichen.
Die Klägerin stellte einen Nachprüfungsantrag, den die zuständige Vergabekammer als unzulässig verwarf und der bestandskräftig geworden ist, nachdem die Klägerin die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde nach Hinweisen des Beschwerdegerichts zurückgenommen hatte.
Die ausgeschriebenen Leistungen wurden im Oktober 2012 unterteilt in vier Teillose erneut ausgeschrieben und auch vergeben.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin in erster Linie Schadensersatz in Höhe ihres positiven, auf 27.111,47 € bezifferten Interesses verlangt und dafür geltend gemacht, es habe kein zur Aufhebung des Vergabeverfahrens berechtigender Grund vorgelegen; bei ordnungsgemäßer Durchführung des Verfahrens hätte der Zuschlag auf ihr Angebot 2 erteilt werden müssen.
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Klage auf die Berufung bis auf für erstattungsfähig erachtete Angebotserstellungskosten von 61,20 € abgewiesen (OLG Naumburg, VergabeR 2015, 489). Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf vollständige Zurückweisung der Berufung des Beklagten weiter.

Gründe
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der Beklagte die Ausschreibung zwar rechtswidrig aufgehoben und insoweit eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt hat (§ 280 Abs. 1 i. V. mit § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 241 Abs. 2 BGB), dass der Klägerin der Zuschlag aber auch bei ordnungsgemäßem Verlauf des Vergabeverfahrens nicht hätte erteilt werden dürfen, weil ihre Angebote als vergaberechtlich unzulässiges Doppelangebot hätten ausgeschlossen werden müssen.

II. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision mit Erfolg.

1. In der Rechtsprechung der Vergabesenate ist anerkannt, dass die Abgabe mehr als eines Hauptangebots nicht ausgeschlossen ist. Als unproblematisch wird es angesehen, wenn sich mehrere Angebote eines Bieters nicht nur im Preis, sondern darüber hinaus in der sachlich-technischen Ausführung unterscheiden, ohne dass die Abweichungen die Einordnung als Nebenangebot gestatteten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. März 2010 – Verg 61/09, VergabeR 2010, 1012, 1013 f.; Beschluss vom 9. März 2011 – Verg 52/10, VergabeR 2011, 598, 600 f.; OLG München, Beschluss vom 29. Oktober 2013 – Verg 11/13, VergabeR 2014, 436, 439 f.).
2. Dem ist jedenfalls zuzustimmen, soweit ein Bieter mehrere Hauptangebote mit Inhalten anbietet, die sich in dem von § 13 EU Abs. 2 i. V. mit § 7a EU VOB/A 2016 gesteckten Rahmen bewegen. Wäre ein solches Angebot allein abgegeben worden, wäre es nach § 16d EU Abs. 3 VOB/A 2016 wie ein Hauptangebot zu werten (vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. März 2011 – X ZR 92/09, VergabeR 2011, 709 – Ortbetonschacht). Werden mehrere solche Hauptangebote abgegeben, besteht grundsätzlich keine Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung. Da ihre Gleichwertigkeit mit dem geforderten Schutzniveau in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit nachgewiesen werden muss (§ 13 EU Abs. 2 VOB/A 2016), ist rechtlich sichergestellt, dass keine wirtschaftlich nachteilige Beschaffung getätigt wird.
3. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts unterscheiden sich Angebot 1 und Angebot 2, abgesehen vom Preis, nur in der beabsichtigten Art der Ausführung und damit zusammenhängend in den Preisermittlungsgrundlagen. Gemäß Angebot 1 wäre der Auftrag vollständig mit den eigenen betrieblichen Mitteln der Klägerin ausgeführt worden; nach Angebot 2 war ein Nachunternehmer für anspruchsvollere Teilleistungen vorgesehen.
Es ist fraglich, ob bei dieser Ausgestaltung die Annahme eines insgesamt zum Angebotsausschluss führenden Mehrfach-Hauptangebots gerechtfertigt ist. Die beiden Angebote der Klägerin unterscheiden sich im Wesentlichen zwar nur im Preis. Ob der Bieter die Leistung allein oder unter Einsatz von Nachunternehmern ausführen möchte, ändert nichts daran, dass eine mit dem Leistungsverzeichnis identische Leistung erbracht werden soll. Zum Angebotsausschluss kann das zwingend aber nur dann führen, wenn unabdingbare Voraussetzung für die Wertungsfähigkeit mehrerer Hauptangebote eines Bieters ist, dass sie sich (auch) technisch-inhaltlich unterscheiden. Das kann indes zweifelhaft sein. Die vom Berufungsgericht im Streitfall für den Ausschluss herangezogenen Argumente überzeugen jedenfalls nicht.
a) Das Berufungsgericht meint, der Bieter verschaffe sich durch diese Angebotsgestaltung potenziell einen ungerechtfertigten wettbewerblichen Vorteil für den Fall, dass der Auftraggeber die Eignung des vorgesehenen Nachunternehmers verneinen sollte, weil er sich dann auf die Ausführung in Eigenarbeit zurückziehen könne.
Ob dies bei der gebotenen wertenden Betrachtung tragfähig ist, erscheint fraglich. Reicht ein Bieter, was, wie ausgeführt, vergaberechtlich zu Recht als unproblematisch angesehen wird, neben der von ihm eigentlich bevorzugten Ausführung mit einer vom Leistungsverzeichnis abweichenden, aber statthaften Spezifikation weitere Hauptangebote ein, etwa eines, das den im Leistungsverzeichnis vorgegebenen Anforderungen explizit entspricht und andere, die nochmals abweichende Spezifikationen aufweisen, betreibt er diesen Aufwand ersichtlich ebenfalls, um dem Risiko zu begegnen, dass der Auftraggeber die Wertungsfähigkeit seiner eigentlich bevorzugten Ausführung verneinen könnte. Das Berufungsgericht zeigt somit keinen spezifisch vergaberechtlichen Unrechtsgehalt oder unredlichen Vorteil des Bieters auf, der auch eine Ausführung mit Nachunternehmereinsatz anbietet.
b) Das Berufungsgericht hat den Angebotsausschluss ferner damit begründet, die Klägerin hätte sich mit der gewählten Angebotsgestaltung ungerechtfertigte wettbewerbliche Vorteile verschaffen können, indem sie nach Ablauf der Angebotsfrist eines ihrer beiden – jeweils unvollständigen – Angebote lückenhaft hätte belassen können, damit es ausgeschlossen wird, und nur das andere vervollständigte, um sich nur damit weiter um den Zuschlag zu bewerben. Die Gefahr einer derartigen Manipulation durch einen Bieter habe sich im Anwendungsbereich der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen objektiv dadurch erhöht, dass der Auftraggeber bei unvollständigen Angeboten zur Nachforderung der fehlenden Erklärungen und Nachweise verpflichtet sei und es der Bieter durch die Erfüllung der Nachforderung bzw. durch deren Nichterfüllung in der Hand habe, ob er an jedes seiner Angebote gebunden bleibe oder nicht.
Diese Erwägung begegnet rechtlichen Bedenken. Die vom Berufungsgericht als Ausschlussgrund herangezogene abstrakte Gefahr einer Manipulation des Vergabewettbewerbs dadurch, dass der Bieter nur eines seiner Angebote durch Nachreichung fehlender Unterlagen zuschlagsreif machen könnte, ist kein spezifisches Problem der Einreichung mehrerer Hauptangebote, sondern kann sich prinzipiell genauso bei Einreichung einer einzigen Offerte ergeben. Gerade für solche Konstellationen war dieses Problem auch Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen und Erörterungen (vgl. etwa BayObLG, Beschluss vom 19. März 2002 – Verg 2/02, VergabeR 2002, 252 und dazu Gröning, NZBau 2003, 86 ff.; Heiermann/Riedl/Rusam, Handkomm. zur VOB, 11. Aufl. 2008 A § 25 aF Rn. 127).

Ungeachtet dieses vermeintlichen Manipulationspotenzials hat die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, wie das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkennt, in ihrer Ausgabe 2009 erstmals die Verpflichtung der Auftraggeber begründet, fehlende Erklärungen nachzufordern. Dies ist aufgrund von Erfahrungswerten aus der Praxis im Interesse eines umfassenden Wettbewerbs geschehen, um den Ausschluss von Angeboten aus vielfach nur formalen Gründen zu verhindern und die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig zu reduzieren (vgl. die Eingangshinweise des Vergabe- und Vertragsausschusses für Bauleistungen, BAnz 155a vom 15. Oktober 2009 und Einführungserlass des BMVBS unter anderem zur Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen 2009 vom 10. Juni 2010 – B 15 – 8163.6/1 S. 7). Diese Regelungen sind über die Einbeziehung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen in der jeweils aktuellen Fassung in der Vergabeverordnung (vgl. § 2 VgV vom 12. April 2016) geltendes Recht. Dass sie gegen höherrangiges Recht verstießen, zeigt das Berufungsgericht nicht auf. Schon deshalb bestehen Bedenken gegen seine eher rechtspolitisch geprägte Befürwortung von Angebotsausschlüssen wegen der abstrakten Gefahr, Bieter könnten von den rechtlich zulässigen Möglichkeiten der Nachreichung von Erklärungen einen selektiven und damit unredlichen Gebrauch machen.
4. Die Tragfähigkeit der vom Berufungsgericht für den Angebotsausschluss gegebenen Begründung bedarf indes keiner abschließenden Beurteilung. Seine Entscheidung kann keinen Bestand haben, weil es rechtsfehlerhaft angenommen hat, die Klägerin habe (hintereinander) zwei Hauptangebote abgegeben.
a) Für die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen ist nach allgemeinen Grundsätzen darauf abzustellen, wie der Erklärungsempfänger sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste. Das gilt auch für die hier interessierende Frage, ob zwei im vergaberechtlichen Sinne als Hauptangebote zu verstehende Offerten abgegeben wurden.
Zwar ist die Auslegung individualvertraglicher Erklärungen im Grundsatz dem Tatrichter vorbehalten. Das Ergebnis der tatrichterlichen Würdigung ist aber – ohne dass es einer entsprechenden Verfahrensrüge bedürfte (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 1995 – XII ZR 194/93, BGHZ 131, 297, 301 f.) – für das Revisionsgericht nicht bindend, wenn dabei gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt wurden (st. Rspr. z.B. BGH, Urteil vom 2. Februar 2006 – III ZR 61/05, WM 2006, 871, 872). Zu den allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätzen, deren Einhaltung das Revisionsgericht nachzuprüfen hat, gehört insbesondere, dass der Tatrichter von ihm festgestellte wesentliche Tatsachen bei der Auslegung gebührend berücksichtigt (BGH, Urteil vom 5. Oktober 2006 – III ZR 166/05, NJW 2006, 3777).
b) Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes sind die Ausführungen des Berufungsgerichts nicht frei von Rechtsfehlern. Es hat zwar den Einwand der Klägerin, sie habe Angebot 2 statt des Angebots 1 und nicht selbständig neben diesem eingereicht, nicht übergangen, es hat dabei aber für die rechtliche Beurteilung wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen.
aa) Ob ein Bieter mehrere Hauptangebote abgeben will, lässt sich zweifelsfrei bejahen, wenn er zur Einreichung den konventionellen Weg gewählt und alle Angebotsunterlagen gegenständlich in einem verschlossenen Umschlag eingereicht hat (vgl. § 13 EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 VOB/A 2016). Erfüllen darin mehrere Offerten die an das Hauptangebot gestellten Voraussetzungen, wird der Auftraggeber als Adressat dies als Ausdruck des Bieterwillens verstehen, mehrere Hauptangebote unterbreiten zu wollen. Das gilt umso mehr, als eine versehentliche Zusammenstellung mehrerer Hauptangebote in einer Briefsendung kaum anzunehmen ist.

Als vergleichbar eindeutig wird zu beurteilen sein, wenn der Bieter von der eröffneten Möglichkeit der elektronischen Angebotseinreichung Gebrauch macht und mehrere Hauptangebote einheitlich in einer elektronischen Sendung übermittelt.

bb) Im Streitfall wurden beide Angebote jedoch getrennt in einem Abstand von etwa zwei Stunden gesendet. Hier entfällt die Einheitlichkeit des Sendevorgangs als verbindender und auf den Willen zur Unterbreitung mehrerer Hauptangebote hindeutender Umstand. Die Übermittlung eines weiteren elektronischen Angebots unter solchen Umständen innerhalb der Angebotsfrist ist aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers als Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte ohne Weiteres regelmäßig dahin zu verstehen, dass das spätere das frühere ersetzen soll. Er konnte das erste eingegangene Angebot nur als vom Bieter abschließend gewollte Offerte verstehen. Wird wenig später kommentarlos erneut ein Angebot gesendet, legt ohne auf einen abweichenden Willen des Absenders hindeutende Umstände schon die zeitliche Abfolge die Annahme nahe, dass dieses das Erstere ersetzen soll. Eine solche Ersetzung ist rechtlich möglich. Angebote können bis zum Ablauf der in den Vergabeunterlagen dafür festgelegten Frist abgegeben werden. Daraus folgt, dass sie erst mit dem Ablauf dieser Frist bindend werden (§ 145 BGB) und dementsprechend bis zu diesem Zeitpunkt auch ausgetauscht werden können. Dass beide gleichzeitig gelten sollen, wird der Auftraggeber als Empfänger im Zweifel schon deshalb nicht unterstellen, weil die Einreichung paralleler Hauptangebote nur in engen Grenzen statthaft ist und im Regelfall die Annahme angezeigt ist, dass ein Bieter nur ein Angebot abgeben will, um nicht Gefahr zu laufen, gar kein wertungsfähiges Gebot eingereicht zu haben. Solange nicht besondere Umstände Anlass zu der Annahme geben, dass etwas anderes gewollt sein könnte, ist deshalb grundsätzlich das später gesendete Angebot für sich als das maßgebliche und gewollte zu betrachten. Das gilt prinzipiell auch dann, wenn die Abweichung lediglich in der Wahl einer anderen technischen Spezifikation besteht (oben II 2). Möchte der Bieter in einem solchen Fall nur ein weiteres wertungsfähiges Hauptangebot nachreichen und nicht ein bereits abgegebenes ersetzen, kann und muss er dies in geeigneter Form zum Ausdruck bringen.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Umstand, dass das spätere Angebot kommentarlos übermittelt wurde, kein Indiz dafür, dass beide Angebote parallel gelten sollten. Ein solches Verhalten ist im Zweifel so zu interpretieren, dass ein wertungsfähiges Angebot erhalten bleibt. Die Vergabestelle selbst hat im Übrigen keine entsprechenden Zweifel am Gewollten gehegt, sondern Angebot 2 als dasjenige angesehen, das allein abgegeben werden sollte. Anders ist es nicht zu verstehen, dass sie allein dieses Angebot in das Protokoll über die Angebotsöffnung aufgenommen hat. Die Klägerin hat dem nicht widersprochen und nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen war auch nur Angebot 2 Gegenstand des nach § 15 VOB/A 2009 geführten Aufklärungsgesprächs. Die Parteien haben insoweit also übereinstimmend nur Angebot 2 als Gegenstand des Vergabeverfahrens angesehen.
III. Das angefochtene Urteil kann deshalb mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Es stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar und ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung die weiteren geltend gemachten Ausschlussgründe zu Recht verneint.
1. Mit ihrem als Gegenrüge zu behandelnden Einwand, die Klägerin verhalte sich treuwidrig (§ 242 BGB), wenn sie die Erstattung des positiven Interesses verlange, obwohl sie sich nicht in der zweiten Ausschreibung um den Auftrag beworben habe, kann die Revision nicht gehört werden. Sie zeigt schon keinen hierzu in den Vorinstanzen gehaltenen und vom Landgericht übergangenen oder vom Berufungsgericht unerwähnt gelassenen Tatsachenvortrag auf. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht allein getroffenen Feststellungen, dass der Beklagte den Gegenstand des aufgehobenen Vergabeverfahrens in modifizierter Form, aufgeteilt in vier Teillose, erneut ausgeschrieben und die Klägerin sich darum nicht beworben hat, lässt sich ein rechtshemmender Einwand gegen die geltend gemachte Schadensersatzforderung nicht begründen.
2. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Vergabeverfahrens wegen eines anderen schwerwiegenden Grundes (§ 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009, § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2016) rechtsfehlerfrei verneint.
Die Beklagte hat dazu vorgetragen, eine fachkundige Kostenschätzung habe den fraglichen Betrag (138.248,73 €) ergeben und dies in das Wissen eines Architekten des einbezogenen Planungsbüros gestellt. Das Berufungsgericht ist diesem von ihm zutreffend als gegenbeweislich eingeordneten Beweisantritt mit der Begründung nicht nachgegangen, der Beklagte habe seiner sekundären Darlegungslast nicht genügt. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Macht der Kläger für seinen auf Ersatz des Erfüllungsinteresses gerichtete Schadensersatzanspruch geltend, der Auftraggeber hätte das Vergabeverfahren nicht aufheben dürfen, weil der dafür angeführte Grund (§ 17 EU Abs. 1 VOB/A 2016) nicht vorgelegen habe, muss er darlegen und erforderlichenfalls beweisen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für den vom Auftraggeber herangezogenen Aufhebungsgrund nicht gegeben waren. Prozessual obliegt dem Kläger insoweit der Beweis negativer Tatsachen. Nach ständiger Rechtsprechung trifft den Prozessgegner der für eine negative Tatsache beweisbelasteten Partei eine sekundäre Darlegungslast, deren Umfang sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet, der der Gegner aber jedenfalls so konkret nachkommen muss, dass der beweisbelasteten Partei eine Widerlegung möglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2010 – XII ZR 175/08, BGHZ 185, 1 Rn. 20 mwN; Zöller/Greger, ZPO, Vor § 284 Rn. 24 mwN).
Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, kann es zwar einen schwerwiegenden und deshalb zur Aufhebung des Vergabeverfahrens berechtigenden Grund darstellen, wenn die vor der Ausschreibung vorgenommene Kostenschätzung der Vergabestelle aufgrund der bei ihrer Aufstellung vorliegenden und erkennbaren Daten vertretbar erscheint und die im Vergabeverfahren abgegebenen Gebote deutlich darüber liegen (BGH, Urteil vom 20. November 2012 – X ZR 108/10, VergabeR 2013, 208 Rn. 18 – Friedhofserweiterung: Urteil vom 8. September 1998 – X ZR 99/96, BGHZ 139, 280). Für die Schätzung muss die Vergabestelle oder der von ihr gegebenenfalls beauftragte Fachmann aber Methoden wählen, die ein wirklichkeitsnahes Schätzungsergebnis ernsthaft erwarten lassen (BGH, VergabeR 2013, 208 Rn. 18 – Friedhofserweiterung).
Das Berufungsgericht hat den Einwand des Beklagten, die Klägerin behaupte ohne jegliche tatsächliche Anhaltspunkte eine unzulängliche Kostenschätzung, zu Recht schon mit Blick darauf nicht gelten lassen, dass diese Schätzung auf einer nicht mehr aktuellen Haushaltsunterlage beruhte. Es hat zutreffend angenommen, dass dem Beklagten – worauf schon das Landgericht hingewiesen hatte – oblegen hätte, die Vertretbarkeit der Kostenschätzung mit substanziiertem Sachvortrag zu unterlegen. Die Frage der Vernehmung des benannten Zeugen hierzu stellte sich danach nicht.
3. Das Berufungsgericht hat zu Recht eine Bindungswirkung nach § 179 Abs. 1 GWB an die Entscheidung der Vergabekammer verneint. Diese hatte im Rahmen ihrer Ausführungen zu der angenommenen Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags die Ansicht geäußert, das Angebot der Klägerin wäre nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. g VOB/A 2009 wegen vorsätzlich unzutreffender Erklärungen in Bezug auf ihre Eignung auszuschließen gewesen.
Nach § 179 Abs. 1 GWB ist das ordentliche Gericht, wenn ein Verfahren vor der Vergabekammer stattgefunden hat, an deren bestandskräftige Entscheidung bzw. an die Beschwerdeentscheidung gebunden, wenn wegen eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften Schadensersatz begehrt wird. Mit dieser Bindungswirkung soll im Interesse der Verfahrensökonomie eine nochmalige Prüfung derselben Sach- und Rechtsfragen im Rahmen des Schadensersatzprozesses vermieden werden (vgl. BT-Drucks. 13/9340 S. 22 zu RegE § 133 GWB). Von der Bindungswirkung ist aber nur das erfasst, was den im Nachprüfungsverfahren in der Sache nach § 168 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 oder § 178 GWB ergangenen Ausspruch in tatsächlicher Hinsicht und in der rechtlichen Beurteilung trägt. Das betrifft in erster Linie einen von den Nachprüfungsinstanzen bejahten Verstoß der Vergabestelle gegen Bestimmungen über das Vergabeverfahren, deren Einhaltung nach § 97 Abs. 6 verlangt werden kann. Bindungswirkung kann auch – umgekehrt – der Verneinung eines geltend gemachten Vergaberechtsverstoßes zukommen (vgl. Byok/Jaeger, Komm. zum Vergaberecht, 3. Aufl., § 124 Rn. 2). Desgleichen kann von der Bindungswirkung erfasst sein, wenn sich der Auftraggeber im Nachprüfungsverfahren im Rahmen der sachlichen Prüfung des Nachprüfungsantrags nach den Grundsätzen der Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten auf Voraussetzungen für den Ausschluss des Angebots des Antragstellers beruft und deren Erfüllung bestands- oder rechtskräftig bejaht wird. Schon mit Blick auf die einschneidende Rechtsfolge der Bindungswirkung nach § 179 Abs. 1 GWB, derzufolge die Verletzung einer Bestimmung über das Vergabeverfahren oder auch die Ausschlussreife eines Angebots im Schadensersatzprozess nicht mehr infrage gestellt werden kann, kann dies aber nur im Rahmen einer in der Sache zur Begründetheit des Nachprüfungsantrags ergehenden Entscheidung geschehen.

Im Streitfall betrifft die bestandskräftige Entscheidung der Vergabekammer demgegenüber lediglich die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses für den angebrachten Nachprüfungsantrag und damit nur den Zugang zum Nachprüfungsverfahren.
4. Zu Recht hat das Berufungsgericht auch in der Sache einen Verstoß gegen § 16 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. g VOB/A 2009 verneint. Die Einreichung lückenhafter Angebotsunterlagen mag in Anbetracht der von vornherein geplanten Einschaltung eines Nachunternehmers nachlässig gewesen sein, stellt sich aber schon angesichts des eingereichten Formblatts 221, das nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kalkulatorische, auf Nachunternehmereinsatz hindeutende Angaben enthielt, nicht als vorsätzlich falsche Angabe über die eigene Eignung dar.
5. Auch die Voraussetzungen des in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeführten § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A 2009 sind nicht erfüllt. Danach sind Änderungen an den Vergabeunterlagen unzulässig; Änderungen des Bieters an seinen Eintragungen müssen zweifelsfrei sein. Der erstere Tatbestand schließt zwar gegenständliche Manipulationen der Vergabeunterlagen ebenso ein wie die Abgabe eines davon abweichenden Angebots. Beides liegt hier aber nicht vor. Die Klägerin hat auch keine Eintragungen im Angebot geändert, sondern die Unterlagen nachträglich vervollständigt.
IV. Da weitere Feststellungen nicht erforderlich sind und die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO), hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden. Das landgerichtliche Urteil ist insgesamt wiederherzustellen.
V.

Kurz belichtet: Bei dem Begriff “vergleichbare Leistung” ist allein auf die kategoriale Vergleichbarkeit abzustellen

Kurz belichtet: Bei dem Begriff "vergleichbare Leistung" ist allein auf die kategoriale Vergleichbarkeit abzustellen

von Thomas Ax

Zweck von Referenzen i.S.v. § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV ist es, die tatsächliche Fähigkeit des Bieters zur Erbringung der ausgeschriebenen Leistung nachzuweisen. Das OLG Celle (Urteil vom 23.05.2019 – 13 U 72/17) hat diesbezüglich zutreffend ausgeführt:

“Bei dem Begriff “vergleichbare Leistung” handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der anhand des Wortlauts der Vergabeunterlagen und von Sinn und Zweck der geforderten Angaben unter Berücksichtigung des Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatzes auszulegen ist. Dabei bedeutet die Formulierung “vergleichbar” nicht “gleich” oder gar “identisch”, sondern, dass die Leistungen im technischen oder organisatorischen Bereich einen gleich hohen oder höheren Schwierigkeitsgrad hatten (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O., Rn. 58; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. Oktober 2006 – 11 Verg 8/06; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 28. Juni 2016 – 54 Verg 2/16; OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 39; VK Bund, Beschluss vom 14. Dezember 2011 – VK 1- 153/11). Die Referenzen für die Ausführung vergleichbarer Leistungen sind Teil einer Prognosegrundlage für die (spätere) Phase der Leistungserbringung.

Deshalb geht es nicht um einen “1:1” Vergleich bereits abgearbeiteter Aufträge mit dem zu vergebenden Auftrag, sondern allein darum, ob im Hinblick auf bereits durchgeführte Aufträge die Prognose gerechtfertigt ist, dass die fachliche und technische Leistungsfähigkeit auch im Hinblick auf den zu vergebenden Auftrag gegeben ist. Diese Auslegung des Begriffs der “Vergleichbarkeit” wird auch regelmäßig dem Sinn des Vergabeverfahrens und dem Wettbewerb gerecht, da anderenfalls alle Bewerber, die die ausgeschriebene Leistung bisher nicht oder nicht so in ihrem Programm hatten, von vornherein ausgeschlossen wären (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. Oktober 2006 – 11 Verg 8/06; OLG München, a.a.O., Rn. 49). Erforderlich, aber auch ausreichend ist deshalb die Vorlage solcher Referenzleistungen, die der ausgeschriebenen Leistung soweit ähneln, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Fachkunde und Leistungsfähigkeit des Bieters auch für die ausgeschriebene Leistung ermöglichen (vgl. OLG München, a.a.O., Rn. 47; OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. April 2014 – 11 Verg 1/14, sowie Beschluss vom 24. Oktober 2006 – 11 Verg 8/06; OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 39; Schleswig-Holsteinisches OLG, a.a.O., Rn. 111, VK Bund, a.a.O.).”

Anzulegen ist mithin (nur) ein Ähnlichkeitsmaßstab (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7.2.2024 – Verg 23/23; MüKoEuWettbR/Hölzl, 4. Aufl. 2022, VgV § 46 Rn. 16 Beck VergabeR/Mager, 3. Aufl. 2019, VgV § 46 Rn. 15). Es kommt – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatzes, § 97 Abs. 1 GWB – gerade nicht auf eine völlige oder auch nur weitgehende Übereinstimmung früherer Leistungen mit der ausgeschriebenen Leistung an, sondern allein auf die kategoriale Vergleichbarkeit. Erforderlich ist allein, dass die “Referenzleistung der ausgeschriebenen Leistung so weit ähnelt, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung eröffnet” (OLG München, Beschluss vom 27.07.2018 – Verg 02/18). Zu diesem Zweck muss “jedenfalls ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit zwischen der referenzierten Leistung und der ausgeschriebenen Leistung besteh[en]” (OLG Frankfurt, Beschl. vom 23. Dez. 2021 – 11 Verg 6/21, ZfBR 2022, 295, 299).

Bei der Anwendung dieses Maßstabs “kommt der Vergabestelle, die regelmäßig über spezifisches Fachwissen und fachliche Erfahrung verfügt, ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu” (OLG München, Beschluss vom 27.07.2018 – Verg 02/18). Diesen hat das OLG Celle zutreffend wie folgt gekennzeichnet:

“Zwar steht der Vergabestelle bei der Prüfung der Eignung eines Bieters grundsätzlich ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Das gilt namentlich für die Überprüfung von Referenzen und die Beurteilung von deren Vergleichbarkeit (vgl. OLG München, Beschluss vom 12. November 2012, Verg 23/12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. April 2014 – 11 Verg 1/14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. November 2008 – VIIVerg 54/08). Die Überprüfung der Vergleichbarkeit ist deshalb darauf beschränkt, ob der der Eignungsprüfung zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und bei der Eignungsprüfung berücksichtigt worden ist sowie allgemeine Bewertungsmaßstäbe eingehalten worden sind und sachwidrige Erwägungen dabei keine Rolle gespielt haben (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 51; Summa in: jurisPK -Vergaberecht, 4. Aufl., § 16 VOB/A 2012 Rn. 311).”

Beim Fehlen von – ggf. weiteren – Vorgaben, welche Art von Referenzaufträgen der Auftraggeber “als geeignet ansieht, liegt eine “geeignete” Referenz bereits dann vor, wenn der Leistungsgegenstand der Art nach in der Vergangenheit bereits erbracht wurde” (Ziekow/Völlink/Goldbrunner, 5. Aufl. 2024, VgV § 46 Rn. 14). Für sachwidrige Erwägungen und damit für eine willkürliche Handhabung bestehen keine Anhaltspunkte. Vielmehr ist sowohl die Festlegung der Anforderungen an Referenzen als auch deren Bewertung in einer besonders wettbewerbsorientierten Weise erfolgt (zur Gebotenheit siehe auch MüKoEuWettbR/Hölzl, 4. Aufl. 2022, VgV § 46 Rn. 16 m.w.N.).

Das Ziel des Nachweises der tatsächlichen Befähigung zur Erfüllung des ausgeschriebenen Auftrags setzt auch nicht voraus, dass die betreffenden Referenzen sich auf abgeschlossene Aufträge beziehen (Voppel/Osenbrück/Bubert VgV/Voppel, 4. Aufl. 2018, VgV § 46 Rn. 31; a.A. Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal/Ackermann/Jauch, 3. Aufl. 2022, VgV § 46 Rn. 22; zur entgegengesetzten Problematik eines von der Vergabestelle geforderten “erfolgreichen Abschlusses” OLG Schleswig, Beschluss vom 28.6.2016 – 54 Verg 2/16, NZBau 2016, 593). Bei mehrjährigen Dienstleistungsaufträgen, deren “passgenauer” Ablauf letztlich zufällig ist, kann der gewünschte Nachweis auch dadurch erbracht werden, dass die Leistungserbringung bereits seit längerer Zeit erfolgt (vgl. MüKoEuWettbR/Hölzl, 4. Aufl. 2022, VgV § 46 Rn. 17). Damit scheiden soeben begonnene Aufträge als Referenz aus.

Generalplanung gewinnt an Bedeutung ​

Generalplanung gewinnt an Bedeutung

von Thomas Ax

Planung und Koordination aus einer Hand – der Wunsch nach nur einer Ansprechperson verbreitet sich bei der Bauherrschaft rasant. Dies hat zur Folge, dass die Generalplanung immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Ein/e als Generalplaner/in beauftragte/r Planer/in bekommt sämtliche oder zumindest die wesentlichen Architekten- und Fachplanerleistungen bauherrenseits übertragen und beauftragt dann ihrer bzw. seinerseits Subplaner/innen für die Erbringung einzelner Planungsbereiche. Damit entsteht vertraglich ein Kettenverhältnis, bestehend aus dem Generalplanervertrag, geschlossen zwischen der Bauherrschaft und dem/der Generalplaner/in, sowie den nachgeschalteten Fachplanerverträgen, geschlossen zwischen dem/der Generalplaner/in und den einzelnen Subplanenden.

Die Konzentration aller Planungsverträge, manchmal sogar gepaart mit Leistungen der Projektsteuerung, in einer Hand hat für den Bauherrn Vorteile. Er hat einen Ansprechpartner, der – anders als der klassische Architekt – die Fachplaner nicht nur koordiniert. Er übernimmt im Verhältnis zum Bauherrn deren Verpflichtungen. Schwierige Abgrenzungsfragen, ob eine bestimmte Leistung noch vom Architekten oder schon vom Fachplaner zu erbringen ist, entfallen. In der Planung gibt es für den Bauherrn keine Schnittstellen mehr. Es ist für den Bauherrn auch durchaus sinnvoll, statt eines Generalübernehmervertrages einen Generalplanervertrag und einen Generalunternehmervertrag abzuschließen. Dadurch hat er nämlich den Vorteil, den Ausführenden durch unabhängige Architekten und Ingenieure zu überwachen.

Ein Generalplanervertrag enthält keine besonderen Schwierigkeiten. Vertragsinhalt ist die Gesamtheit der Planungsleistungen, die in den verschiedenen Leistungsbildern zu beschreiben ist. Häufig wird ein Pauschalhonorar vereinbart, möglich ist auch die Abrechnung nach HOAI, häufig unter Ansetzung eines Generalplanerzuschlags.

Orientierungshilfen für die Gestaltung dieser Verträge und Gestaltungsvorschläge können bei AxVergaberecht angefordert werden.

Praxisbeispiel Bäder-Kooperation

Praxisbeispiel Bäder-Kooperation

Ausgangslage
Das Bühlot-Bad in Bühlertal wird seit vielen Jahren vom bei der Gemeinde Bühlertal angestellten Schwimmmeister, Herrn Horn, betreut. Das Bühlot-Bad ist ein Freibad und von Oktober bis April geschlossen. Herr Horn erarbeitet während der Betriebsphase (Mai – September) Überstunden, die im Winter teilweise abgebaut werden. Wenn die Überstunden nicht ausreichen, wird er anderweitig von der Gemeinde eingesetzt. Je nach Witterung sind die Einsatzzeiten von Herrn Horn im Sommer an der Grenze des arbeitsrechtlich Zulässigen. Deshalb setzt die Gemeinde Bühlertal Minijobber oder befristet Beschäftigte ein, um Herrn Horn in der Wasseraufsicht zu entlasten und die erforderlichen Pausenzeiten zu ermöglichen. Für die Betriebsaufsicht, die die Betreuung der sicherheitsrelevanten Einrichtungen, insbesondere der Wasseraufbereitungsanlagen, umfasst, ist das nicht möglich. Hier ist Fachpersonal einzusetzen, das am Arbeitsmarkt für befristete oder kurzzeitige Beschäftigung nur schwer zu gewinnen ist. Das Schwarzwaldbad ist ein Hallen- und Freibad mit Ganzjahres- und Schichtbetrieb. Es ist größer und bei Vollbetrieb mit deutlich mehr Personal zu betreiben als das Bühlot-Bad. Im Sommer stehen beide Bäder vor der Herausforderung, sich auf einen Vollastbetrieb vorbereiten zu müssen, der wetterbedingt oft nicht stattfindet. Bei Vollastbetrieb wird das Bühlot-Bad mit zwei, höchstens drei Personen betrieben. Beim Schwarzwaldbad geht die Spanne von sechs bis zehn Personen mit Schichtwechsel über den Mittag. Im Schwarzwaldbad werden im Sommer Hilfskräfte unter Vertrag genommen, die nach abgeleisteten Stunden bezahlt werden, über 18 Jahre alt sind und die Anforderungen an Rettungskräfte erfüllen. Je nach Wetterlage kann sehr schnell eine Unterauslastung der unter Vertrag genommenen Personalkapazitäten entstehen.

Ziel
Die Gemeinde Bühlertal und die Bühler Sportstätten GmbH (BSS) wollen das Bühlot-Bad durch eine gemeinsame Personalplanung unterstützend mit Personal der BSS betreuen. Herr Bürgermeister Braun trat an Herrn Oberbürgermeister Schnurr und an die Geschäftsleitung der BSS heran und bat um Prüfung einer Zusammenarbeit, um die angespannte Personallage im Bühlot-Bad zu lösen.
Lösung
Unter diesen Bedingungen ist eine Zusammenarbeit beim Personal des Bühlot-Bades und des Schwarzwaldbades für beide von Vorteil. Auch in Schwachlastphasen ist Herr Horn bisher gezwungen das Bühlot-Bad zu betreuen, weil niemand sonst die Betriebsaufsicht ausüben kann. Im Schwarzwaldbad müsste es bei kluger Personaleinteilung möglich sein, freie Kapazitäten zur Entlastung von Herrn Horn einzusetzen. Selbst bei Hochbetrieb in beiden Bädern ist eine Unterstützung des Bühlot-Bades im Notfall denkbar. Für eine Zusammenarbeit ist eine gemeinsame Personaleinsatzplanung unabdingbar. Sie würde von der BSS übernommen. Organisatorisch wäre es die Situation einer Gemeinde, die über mehrere Bäder verfügt und dort den Betrieb sicherstellen muss. Sowohl in Bühlertal als auch in Bühl gibt es hierzu keine Erfahrungen. Hinzu kommt, dass es sich um Bäder zweier unterschiedlicher juristischer Personen. Rechtlich sind deshalb vertragliche Regelungen zur Pflichtenübernahme, zu Haftungsfragen und zu dem Aufwandsausgleich zu treffen, wofür der beigefügte Vertrag unter Hinzuziehung des Badischen Gemeindeversicherungsverbandes gemeinsam erarbeitet wurde.

Nachfolgend zu den Vertragsregelungen im Einzelnen:
1. Vertragsgegenstand
Die BSS unterstützt die Gemeinde Bühlertal in der Ausübung der Verkehrssicherungspflichten. Diese sind in dem Merkblatt 94.05 der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen konkretisiert, das der Rechtsprechung als Maßstab für die Feststellung von Pflichtverletzungen dient.
Das Merkblatt unterscheidet zwischen Betriebsaufsicht und Beaufsichtigung des Badebetriebes. Die Betriebsaufsicht obliegt grundsätzlich dem Eigentümer oder Pächter der Anlagen und kann nur ausnahmsweise übertragen werden. Die Beaufsichtigung des Badebetriebes, insbesondere die Wasseraufsicht, kann zu großen Teilen unproblematisch auf einen Dritten übertragen werden.
Da die gemeinsame Betreuung des Bühlot-Bades in der Praxis noch eingeübt werden muss, ist eine konkrete Einsatzzeitenregelung noch nicht Gegenstand des Vertrages. Sie ist als Ergänzung nach Erfahrungswerten gesondert zu vereinbaren.
2. Beaufsichtigung des Badebetriebes
Kernbereich der Beaufsichtigung des Badebetriebes ist die Wasseraufsicht. Sie beinhaltet die Vermeidung von Gefahrensituationen, die Rettung vor dem Ertrinken und weitere Hilfeleistungen.
Alle Bereiche, die Badegästen zugänglich sind, nicht nur die Schwimmbecken, sind im Auge zu behalten. Gegebenenfalls sind auch Ordnungsmaßnahmen oder Hausverbote auszusprechen.
3. Organisation der Beaufsichtigung des Badebetriebes und der Wasseraufsicht.
Die Organisationshoheit verbleibt bei der Gemeinde Bühlertal als Betreiberin des Bades.
4. Einweisung der BSS
Die Organisationshoheit beinhaltet auch die Pflicht zur Einweisung der BSS.
5. Durchführung der Beaufsichtigung des Badebetriebes und der Wasseraufsicht.
Die Verantwortung für die Durchführung der übertragenen Aufgaben wiederum liegt bei der BSS. Hierzu ist die Übertragung des Hausrechtes auf die BSS notwendig.
6. Personal
Die Qualifikation des einzusetzenden Personals hat den Vorgaben des Merkblattes 94.05 zu entsprechen, die hier genannt werden. Die Gemeinde Bühlertal hat ein Prüfungsrecht.
7. Ausstattung zur Beaufsichtigung des Badebetriebes
Jedes Bad hat spezifische technische und betriebliche Gegebenheiten. Die Gemeinde Bühlertal hat das Bad so auszustatten, dass die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die BSS hat die Pflicht, auf erkannte Mängel hinzuweisen.
8. Betriebsaufsicht.
Die Betriebsaufsicht unterscheidet sich von der Beaufsichtigung des Badebetriebes vor allem in der Handhabung der Wasseraufbereitungsanlage. Ein Eingriff in diesen Bereich hat wesentlichen Einfluss auf den Betrieb als Ganzes und auf die Kosten. Deshalb ist die Betriebsaufsicht eigentlich Betreiberaufgabe.
Allerdings darf hier nur Fachpersonal eingesetzt werden und ein wichtiger Zweck der Zusammenarbeit ist es, Herrn Horn zu entlasten, der derzeit als einziger die Betriebsaufsicht ausüben darf. Die für die Aufrechterhaltung des täglichen Badebetriebes erforderliche Betriebsaufsicht wird deshalb ausnahmsweise auch übertragen. Genaueres ist in einer gemeinsam aufzustellenden Verfahrensanweisung festzulegen, die von den Fachkräften der Bäder aufgestellt und gegengezeichnet wird.
9. Kostenerstattung und Abrechnung
Zum Einsatz kommen je nach Bedarf und Möglichkeit MitarbeiterInnen, die in den Entgeltgruppen 3 (nur Beaufsichtigung Badebetrieb) bis 10 (Betriebsaufsicht) vergütet werden. Der Schwerpunkt der Einsätze dürfte aber mit MitarbeiterInnen der Entgeltgruppe 5 erfolgen, weil sie Fachkräfte sind und die übertragenen Aufgaben abdecken können. Deshalb wird die Vergütung hierfür als mittlerer Wert als Abrechnungsgrundlage herangezogen.
Abgerechnet werden die tatsächlich geleisteten Stunden. Sie sind auf geeignete Weise zu dokumentieren.
Für die MitarbeiterInnen der BSS entstehen Fahrtkosten, die erstattet werden müssen. Die Gesellschaft selbst benötigt eine geringe Ergänzung der Haftpflichtversicherung (ca. 500 €/Jahr), die ebenfalls von der Gemeinde Bühlertal erstattet wird.
10. Haftung und Versicherungsschutz
Die Regelung wurde in einer gemeinsamen Besprechung mit dem BGV so festgelegt.

Die übrigen Regelungen sind allgemeiner Art. Die Laufzeit ist flexibel und wird den Interessen beider Vertragspartner gerecht.
Mit dem Beschluss der Gremien und der Unterzeichnung des beigefügten Vertrages wären die rechtlichen Voraussetzungen für eine weitere Interkommunale Zusammenarbeit geschaffen. Tatsächlich muss der laufende Betrieb zeigen, in welcher Form und in welchem Umfang die Zusammenarbeit zum Vorteil beider Parteien gereicht. Das Jahr 2016 ist als Testphase zu betrachten, in der die notwendigen Erkenntnisse gewonnen werden sollen, auf die dann für die Zukunft reagiert werden kann.

Auf Kernaufgaben konzentrieren, Kosten senken, Synergien heben, kooperativ öffentliche Schwimmbäder retten

Auf Kernaufgaben konzentrieren, Kosten senken, Synergien heben, kooperativ öffentliche Schwimmbäder retten

von Thomas Ax

Aktuell gibt es in Städten und Gemeinden Diskussionen über Bäderschließungen oder den Erhalt von Bädern. Immer mehr Städte und Gemeinden versuchen, ihre Finanzlage durch Schließung von Schwimmbädern oder deren Umwandlung in kommerzielle Freizeit- oder Spaßbäder zu sanieren oder dies bereits getan haben. Dass der Betrieb der öffentlicher Schwimmbäder häufig defizitär ist und die allgemeine Finanznot die Kommunen zu einer eingehenden Aufgabenkritik zwingt, darf nicht dazu verleiten anzunehmen, dass das Vorhalten von Schwimmbädern nicht als öffentliche Aufgabe zu qualifizieren ist. Es handelt sich um die Infrastruktur, die es den Schulen ermöglicht, den in den Lehrplänen vorgesehenen Schwimmunterricht durchzuführen. Darüber hinaus dienen die kommunalen Schwimmbäder der allgemeinen körperlichen Ertüchtigung und damit letztlich der Gesundheitsförderung der Bevölkerung sowie der Jugendarbeit. Weiterhin werden in Abhängigkeit von der jeweiligen Region mit dem Angebot eines Schwimmbades auch fremdenverkehrswirtschaftliche Ziele verfolgt. Die Diskussion über den bedarfsgerechten Erhalt oder die Weiterentwicklung der Schwimmbäder ist kreativ und innovativ zu führen.

Ein gutes Schwimmangebot ist ein wichtiger Standortvorteil für eine Stadt oder Gemeinde. Kommerzielle Bäder – zumeist Spaß- und Erlebnis-Bäder- verzeichnen durchaus eine hohe Besucherzahl und dies bei wenig sozialverträglichen Eintrittspreisen. Hier steht aber in der Regel nicht wie bei kommunalen Schwimmbädern die Daseinsvorsorge für eine breite Nutzergruppe im Vordergrund, sondern der Freizeitspaß. Es kann nicht sein, dass die kommerziellen Anbieter Gewinne einstreichen, die Kommunen aber die defizitären Einrichtungen betreiben.

Lösung 1

Kommunen sollten Kombi-Bäder betreiben, die eine echte Alternative zu den Freizeitbädern bieten aber zugleich auch dem Vereins- und Schulsport zur Verfügung stehen können.

Lösung 2.1

Gemeinden sollten im Wege der interkommunalen Kooperation nicht zwei, sondern ein Schwimmbad gemeinsam betreiben und finanzieren und dabei insgesamt das Bad für die Nutzer attraktiver betreiben. Dabei können die Kommunen überlegen, ob ein Neubau unter Berücksichtigung von Energieeffizienzen und einem neuen Nutzungskonzept nicht günstiger als eine Sanierung ist. Der Ersatz durch einen Neubau bietet sich insbesondere dann an, wenn mehrere Altanlagen durch ein Bad ersetzt werden können, das Schul- und Vereinsschwimmen mit freizeit- und „wellness“-Orientierung sinnvoll verbindet.

In 2021 wurde das neue interkommunale Hallenbad in Geretsried für alle Schulen, Vereine und Bürger in Betrieb genommen. Das Hallenbad verfügt insgesamt über 1400m³ Wasser, davon 715m³ im Schwimmerbecken, 520m³ im Springerbecken, 130m³ im Nichtschwimmerbecken und 6m³ Wasser im Planschbecken. Mit einer Fläche von 313 m² (Länge: 25 m, Breite von 12,5 m) lädt das Wettkampf- & Schwimmerbecken in der großen Halle zu ausgiebigen Schwimmeinheiten ein. Abgetrennte Bahnen für Sportschwimmer und  Wassertemperaturen von idealen 26 – 28°C sorgen für ein störungsfreies Trainieren.  Die Wassertiefe liegt bei 2 m (Hubbboden). Mit einer Fläche von 138 m² (Länge: 12,5 m, Breite: 11 m), einer Tiefe von 3,80 m und Sprunghöhen von 1 und 3 m ist das Springerbecken für alle gedacht, die ein wenig Action wollen. Die Temperaturen in diesem Becken liegen ebenfalls bei idealen 26 – 28°C. Das Nichtschwimmerbecken in der kleinen Badehalle bietet mit 130m3 und einer Temperatur von 30 – 32°C, einer Wassertiefe von 0,80 – 1,25m ideale Voraussetzungen zum Schwimmenlernen sowie Toben und Spielen. 5 Luftsprudelliegen am Beckenrand sowie mehreren Massagedüsen sorgen für Entspannung. Das Kinderplanschbecken ist auf etwa 25m² mit einer Rutsche und Spritzdüsen ausgestattet. Die Wassertemperaturen liegen immer im Bereich von angenehmen 32 – 33°C. Für den Schwimmbad-Besuch stehen Sammel- und Einzelumkleide-kabinen sowie eine behindertengerechte Umkleidekabine zur Verfügung. Die großzügigen Sammelumkleiden verfügen über abschließbare Schränke, eine Einzelumkleidekabine sowie mehrere Wickelkommoden für die jüngsten Gäste. Moderne Haartrockner und große Spiegel stehen im Trockenbereich selbstverständlich zur Verfügung. Bereits beim Bau des Hallenbades wurden zahlreiche Vorkehrungen getroffen, um das Geretsrieder Hallenbad auch für Gäste mit Handicap attraktiv zu gestalten. Angefangen beim Parken im Parkdeck mit ausreichend breiten Behindertenparkplätzen und barrierefreien Zugängen, führt auch im Hallenbad ein rollstuhlgerechter Zugang in den Nassbereich. Dort erlaubt ein hydraulischer Hebesitz einen bequemen und sicheren Einstieg in das Becken.

Lösung 2.2

Raunheim will die IKZ auf die Bäder ausweiten: Der Betrieb solcher Einrichtungen verläuft im Wesentlichen gleich, weshalb die Aufgabe statt von zwei, auch von einer Kommune übernommen werden kann. In Zukunft soll deshalb das Raunheimer Schwimmbad von Rüsselsheim mit verwaltet werden. Bevor es in Rastatt und Kuppenheim gar kein Schwimmangebot mehr gibt, haben sich die Städte auf eine interkommunale Kooperation geeinigt. IKZ im Schwimmbadbereich praktizieren auch die Gemeinden Jesberg und Bad Zwesten. Per Personalgestellung hat die Gemeinde Bad Zwesten der Gemeinde Jesberg zwei Badeaufsichten für die Saison zur Verfügung gestellt.

Lösung 3

Gemeinden sollten die Kosten eines Schwimmbadbetriebes optimieren. Dies geschieht beispielsweise durch Nutzungsoptimierungen, indem die Auslastung der Bäder kritisch überprüft und die Nutzungszeiten tatsächlich am Bedarf ausgelegt werden.

Lösung 3.1

Gemeinden sollten die Kosten eines Schwimmbadbetriebes optimieren. Optimierung der Personalkosten.

Lösung 3.2

Gemeinden sollten die Kosten eines Schwimmbadbetriebes optimieren. Senkung der Betriebskosten.

Lösung 3.3

Gemeinden sollten die Kosten eines Schwimmbadbetriebes optimieren. Verbesserung der Wirtschaftlichkeit durch bauliche Maßnahmen.

Lösung 3.4

Eine weitere Alternative ist, den Betrieb von Hallen- und Freibädern auf Sportvereine, Bürgerinitiativen oder andere Betreibermodelle zu übertragen.

Lösung 4

Modelle der Öffentlich-Privater-Partnerschaften (ÖPP) kommen nach wie vor in Frage.

Bäderbetrieb erleichtert, aber rechtssicher vergeben (2)

Bäderbetrieb erleichtert, aber rechtssicher vergeben (2)

von Thomas Ax

Es ist wieder Ausschreibungszeit für die Betriebsführung von Schwimmbädern.

I
Hier ist zu klären, ob es sich infolge Überschreitens des EU-Auftragswertes richtigerweise um ein EG-Vergabeverfahren handelt, das also solches durchgeführt werden müsste.

Entscheidend ist Vertragslaufzeit.
Gibt es hier eine Verlängerungsoption? Ist die Laufzeit begrenzt oder unbestimmt? Hier ist zu beachten, dass bei Aufträgen über Dienstleistungen, für die kein Gesamtpreis angegeben wird, Berechnungsgrundlage für den geschätzten Auftragswert bei zeitlich begrenzten Aufträgen mit einer Laufzeit von bis zu 48 Monaten der Gesamtwert für die Laufzeit dieser Aufträge ist, und bei Aufträgen mit unbestimmter Laufzeit oder mit einer Laufzeit von mehr als 48 Monaten der 48-fache Monatswert.

Oder wird bewusst nur ein Jahr ausgeschrieben, um nicht EG-weit vergeben zu müssen? Hier ist zu beachten, dass die Wahl der Methode zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts nicht in der Absicht erfolgen darf, die Anwendung der Bestimmungen des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder dieser Verordnung zu umgehen. Eine Auftragsvergabe darf nicht so unterteilt werden, dass sie nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder dieser Verordnung fällt, es sei denn, es liegen objektive Gründe dafür vor, etwa wenn eine eigenständige Organisationseinheit selbstständig für ihre Auftragsvergabe oder bestimmte Kategorien der Auftragsvergabe zuständig ist.

II
Hier ist zu klären, ob der AG die Vergabe als soziale oder andere besondere Dienstleistung verortet.
Hier gilt ein deutlich erhöhter Schwellenwert und erleichtertes Vergaberecht.

§ 130 GWB bestimmt, dass bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU öffentlichen Auftraggebern das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, der wettbewerbliche Dialog und die Innovationspartnerschaft nach ihrer Wahl zur Verfügung stehen. Ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb steht nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund dieses Gesetzes gestattet ist.

§ 130 GWB dient der Umsetzung der neuen Vorschriften der Richtlinie 2014/24/EU zur Vergabe von sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen durch öffentliche Auftraggeber. Die bisherige Unterscheidung gemäß Artikel 20 f. der Richtlinie 2004/18/EG zwischen sogenannten vorrangigen A- und nachrangigen B-Dienstleistungen ist entfallen. Artikel 74 ff. der Richtlinie 2014/24/EU unterstellen bestimmte soziale und andere besondere Dienstleistungen besonderen erleichterten Beschaffungsregelungen (Sonderregime). Diese sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen sind im Einzelnen im Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU aufgeführt.

In allgemeiner Hinsicht hat der Unionsgesetzgeber in Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2014/24/EU darauf hingewiesen, dass die zunehmende Vielfalt öffentlicher Tätigkeiten es erforderlich mache, den Begriff der Auftragsvergabe selbst klarer zu definieren. Diese Präzisierung als solche sollte jedoch den Anwendungsbereich der neuen EU-Vergaberichtlinie im Verhältnis zu dem der Richtlinie 2004/18/EG nicht erweitern. Nicht alle Formen öffentlicher Ausgaben sollten abgedeckt werden, sondern nur diejenigen, die für den Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen im Wege eines öffentlichen Auftrags getätigt werden. Fälle, in denen alle Wirtschaftsteilnehmer, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe – ohne Selektivität – berechtigt sind, sollten nicht als Auftragsvergabe verstanden werden, sondern als einfache Zulassungssysteme (z. B. Zulassungen für Arzneimittel oder ärztliche Dienstleistungen). Daraus lässt sich schließen, dass die Zulassung von Dienstleistungserbringern im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis nicht der Richtlinie 2014/24/EU unterfällt. Gleiches gilt für die Zulassung von Pflegeeinrichtungen sowie die Feststellung der fachlichen Eignung im Rahmen der Zulassung besonderer Dienste oder besonderer Einrichtungen. Weiterhin hat der Unionsgesetzgeber in Erwägungsgrund 6 hervorgehoben, dass es den Mitgliedstaaten freistehe, die Erbringung von sozialen oder anderen Dienstleistungen entweder als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse oder als nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse oder als eine Mischung davon zu organisieren. Der Unionsgesetzgeber stellt in diesem Zusammenhang klar, dass nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU fallen.

Schließlich hebt der Unionsgesetzgeber in Erwägungsgrund 114 hervor, dass es den Mitgliedstaaten und Behörden auch künftig frei stehe, diese Dienstleistungen selbst zu erbringen oder soziale Dienstleistungen in einer Weise zu organisieren, die nicht mit der Vergabe öffentlicher Aufträge verbunden ist, beispielsweise durch die bloße Finanzierung solcher Dienstleistungen oder durch Erteilung von Lizenzen oder Genehmigungen – ohne Beschränkung oder Festsetzung von Quoten – für alle Wirtschaftsteilnehmer, die die vom öffentlichen Auftraggeber vorab festgelegten Bedingungen erfüllen; dabei weist der Unionsgesetzgeber auf die Voraussetzung hin, dass ein solches System eine ausreichende Bekanntmachung gewährleistet und den Grundsätzen der Transparenz und Nichtdiskriminierung genügt.

Soweit ein öffentlicher Auftrag über soziale und anderen besonderen Dienstleistungen vorliegt, sieht die Richtlinie 2014/24/EU für diese Kategorie öffentlicher Aufträge ein vereinfachtes Vergabeverfahren als besondere Beschaffungsregelung vor. Dieses vereinfachte Vergabeverfahren zeichnet sich dadurch aus, dass öffentliche Auftraggeber gemäß Artikel 76 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU lediglich verpflichtet sind, im Vergabeverfahren die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Unternehmen einzuhalten. Darüber hinaus sind gemäß Artikel 75 der Richtlinie 2014/24/EU die beabsichtigte Vergabe sowie die Ergebnisse des Vergabeverfahrens EU-weit bekannt zu machen. Gemäß Artikel 74 i. V. m. Artikel 4 Buchstabe d greift für soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU ein besonderer Schwellenwert von 750.000 €.
Grund für dieses vereinfachte Vergabeverfahren und den erhöhten Schwellenwert ist, dass diesen oftmals personen- oder ortsgebundenen Dienstleistungen nur eingeschränkt eine grenzüberschreitende Dimension zukommt (vergleiche Erwägungsgrund 114 ff. der Richtlinie 2014/24/EU). Gerade Dienstleistungen im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich werden in einem besonderen Kontext erbracht, der sich aufgrund unterschiedlicher kultureller Tradition in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterscheidet (siehe Erwägungsgrund 114 der Richtlinie 2014/24/EU). Erfasst sind durch Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU als soziale Dienstleistungen zum Beispiel die Arbeitsmarktdienstleistungen des Sozialgesetzbuchs II, III und IX. Betroffen ist auch der Einsatz von Krankenwagen zur reinen Patientenbeförderung. Dagegen unterfallen Notfallrettungsdienste und der Einsatz von Krankenwagen, sofern er in allgemeinen und fachspezifischen ärztlichen Dienstleistungen in einem Rettungswagen besteht, nicht dem Vergaberecht, siehe Artikel 10 Buchstabe h der Richtlinie 2014/24/EU und § 107 Nummer 4. Im Hinblick auf Gaststätten- und Beherbergungsdienstleistungen werden diese üblicherweise nur von den Unternehmen angeboten, die an dem konkreten Ort der Erbringung dieser Dienstleistungen angesiedelt sind (siehe Erwägungsgrund 115 der Richtlinie 2014/24/EU).
Rechtsberatungsdienstleistungen werden in der Regel von Unternehmen in dem jeweiligen Mitgliedstaat angeboten (siehe Erwägungsgrund 116 der Richtlinie 2014/24/EU).

Soweit Rettungs- und Feuerwehrdienste nicht ohnehin vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen sind, bieten diese Dienstleistungen in der Regel nur dann ein grenzüberschreitendes Interesse, wenn sie aufgrund eines relativ hohen Auftragswertes eine ausreichend kritische Masse erreichen (Erwägungsgrund 117 der Richtlinie 2014/24/EU). Im Übrigen sind die im Anhang XIV aufgeführten Dienstleistungen des Gesundheits- und Sozialwesens und dazugehörige Dienstleistungen erfasst, sofern sie in den Anwendungsbereich des GWB fallen. Die Richtlinie 2014/24/EU stellt in Artikel 1 Absatz 5 und der Fußnote zu Anhang XIV klar, dass Dienstleistungen im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung nicht von der Richtlinie erfasst sind, wenn sie als nicht-wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse organisiert werden.

Die von der Richtlinie 2014/24/EU in den Artikeln 74 ff. eröffnete Flexibilität für öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe sozialer Dienstleistungen wird nunmehr im deutschen Vergaberecht im GWB aufgegriffen. Weitere Verfahrenserleichterungen können auf Verordnungsebene im Rahmen der Ermächtigung des § 113 aufgegriffen werden. Gemäß Artikel 76 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU führen die Mitgliedstaaten einzelstaatliche Regeln für die Vergabe sozialer und anderer besonderer Dienstleistungen ein, um sicherzustellen, dass die öffentlichen Auftraggeber die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Unternehmen einhalten. Gemäß Artikel 76 Absatz 1 Satz 2 der Richtlinie 2014/24/EU ist es den Mitgliedstaaten überlassen, die anwendbaren Verfahrensregeln für soziale und andere besondere Dienstleistungen festzulegen, sofern derartige Regeln es den öffentlichen Auftraggebern ermöglichen, den Besonderheiten der jeweiligen Dienstleistungen Rechnung zu tragen.

Ungewöhnlich aber nicht unbedingt unzulässig ist, dass bei einer unterstellt nationalen Vergabe als bspw bA mit TW die Teilnahmewettbewerbs-/Vergabeunterlagen in Papierform zur Verfügung gestellt werden.
Nach dem hess Vergabeerlass gilt die UVgO unterhalb der Schwelle wie folgt:
Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte (Unterschwellenvergabeordnung – UVgO) vom 2. Februar 2017 (BAnz. AT 7. Februar 2017 B1, ber. 8. Februar 2017 B1) mit folgenden Maßgaben:
a.
Die Anwendung von § 7 Abs. 1, 3 und 4 UVgO i. V. m. § 38 Abs. 3 UVgO sowie § 29 UVgO und § 39 UVgO ist freigestellt.
b.
§ 8 Abs. 4 Nr. 4 UVgO ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Auftraggeber Aufträge auch im Wege der Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb vergeben kann, wenn im Rahmen einer Öffentlichen oder Beschränkten Ausschreibung keine ordnungsgemäßen oder nur unannehmbaren Angebote eingereicht wurden.
c.
§ 8 Abs. 4 Nr. 17 UVgO ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Wertgrenzen nach § 12 Abs. 3 Nr. 2 lit. b und c HVTG zur Anwendung kommen.
d.
§ 14 UVgO ist nicht anzuwenden.
e.
Statt § 22 Abs. 1 Satz 1 und 2 UVgO gilt § 14 HVTG.
f.
Die in § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 UVgO vorgesehene Veröffentlichung von Auftragsbekanntmachungen hat entsprechend § 13 Satz 1 HVTG verpflichtend und zuerst in der Hessischen Ausschreibungsdatenbank (HAD) zu erfolgen. Die weitere Veröffentlichung von Auftragsbekanntmachungen in anderen Medien ist fakultativ. § 28 Abs. 1 Satz 3 UVgO ist nicht anwendbar.
g.
Die Vergabebekanntmachung nach § 30 Abs. 1 UVgO ist gemäß § 13 Satz 1 HVTG in der HAD zu veröffentlichen.
h.
Die Anwendung des § 40 UVgO
Nach § 29 UVgO gilt Folgendes:
§ 29 UVgO
Bereitstellung der Vergabeunterlagen
(1)
Der Auftraggeber gibt in der Auftragsbekanntmachung eine elektronische Adresse an, unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können.
(2)
Der Auftraggeber kann die Vergabeunterlagen auf einem anderen geeigneten Weg übermitteln, wenn die erforderlichen elektronischen Mittel zum Abruf der Vergabeunterlagen
1. aufgrund der besonderen Art der Auftragsvergabe nicht mit allgemein verfügbaren oder verbreiteten Geräten und Programmen der Informations- und Kommunikationstechnologie kompatibel sind,
2. Dateiformate zur Beschreibung der Angebote verwenden, die nicht mit allgemein verfügbaren oder verbreiteten Programmen verarbeitet werden können oder die durch andere als kostenlose und allgemein verfügbare Lizenzen geschützt sind, oder
3. die Verwendung von Bürogeräten voraussetzen, die dem Auftraggeber nicht allgemein zur Verfügung stehen.
(3)
Der Auftraggeber gibt in der Auftragsbekanntmachung an, welche Maßnahmen er zum Schutz der Vertraulichkeit von Informationen anwendet und wie auf die Vergabeunterlagen zugegriffen werden kann.

Bäderbetrieb erleichtert, aber rechtssicher vergeben (1)

Bäderbetrieb erleichtert, aber rechtssicher vergeben (1)

von Thomas Ax

Es ist wieder Ausschreibungszeit für die Betriebsführung von Schwimmbädern.

I
Benötigt werden qualifizierte Dienstleistungen wie:

1
Leistungsumfang für den Betrieb:
Zum Leistungsumfang gehört die Besorgung aller mit dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb zusammenhängenden Geschäfte, insbesondere die technische und kaufmännische Betriebsführung des Bades. Der Auftragnehmer übernimmt sämtliche Leistungen, die für einen ordnungsgemäßen und sicheren Schwimmbadbetrieb erforderlich sind, insbesondere
2
Technische Betriebsführung:
* Betrieb des Schwimmbades/der Schwimmbadtechnik entsprechend den Herstellervorgaben und dem Stand der Technik einschließlich Bereitstellung der erforderlichen Betriebsmittel, Roh- und Hilfsstoffe (Wasser, Energie, Chemikalien, Hygieneartikel, Schmier- und Treibstoffe etc.),
* Organisation und Überwachung des Badebetriebes während der Badesaison unter Einhaltung der geltenden Bestimmungen für Sicherheit, Hygiene und Ordnung,
* Überwachung, Wartung und Reparatur der Schwimmbadtechnik einschließlich der entsprechenden Dokumentation, insbesondere Durchführung aller Instandhaltungs- und Reparaturmaßnahmen, die zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Bades und der Nebeneinrichtungen erforderlich sind,
* Reinigung und Pflege der sanitären Anlagen und der sonstigen Ausstattung (einschließlich Bereitstellung der entsprechenden Reinigungs- und Betriebsmittel),
* Saisonvor- und Nachbereitung, Sicherung des Geländes vor unbefugtem Zutritt einschließlich Wintersicherung des Geländes und der technischen Ausstattung,
* ganzjährige Einhaltung der Verkehrssicherungspflichten sowie der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und behördlichen Vorschriften, insbesondere der Unfallverhütungsvorschriften, Sicherstellung der Betriebssicherheit (TÜV etc.)
* Gewährleistung der Erfüllung aller gesetzlichen Anforderungen für die Erteilung und Aufrechterhaltung der Betriebsgenehmigung, Einholen der sonstigen erforderlichen Genehmigungen, Gestattungen und Erlaubnisse sowie Prüfungen/Proben für den Schwimmbadbetrieb (z.B. TÜV; Hygiene etc.)
3
Kaufmännische Betriebsführung:
* Technische und kaufmännische Buchführung mit gesonderter Erfassung und Nachweisführung der Einnahme und Ausgaben der Betriebsführung.
* Zutrittskontrolle mit personeller Besetzung Kasse (ggf. Implementierung neuer Bezahlsysteme).
* Monatliche statistische Meldung über die Einnahmen.
* 24-Stunden Notfallbereitschaft
4
Konzeptionelle Verantwortung:
* Inhaltliche Ausrichtung und Gestaltung des Bäderbetriebes
* Erarbeitung bzw. Fortschreibung einer Badeordnung in Abstimmung mit der Gemeinde Mustergemeinde
* das Führen einer Besucherstatistik
* Einwerben von Spenden, Sponsoren etc.
* Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (Werbung, Betrieb Webseite etc.)
5
Sondernutzungen des Bades/Veranstaltungen
* Bereitstellung für Übungen der Feuerwehr, Angebote der Vereine
* Angebot von Schwimmkursen außerhalb der Öffnungszeiten
* Durchführung sonstiger Kurse (z.B. Aquafitness etc.)
* Organisation von Sonderveranstaltungen und Aktionen
Fehler vermeiden:

II
Gefordert wird häufig:
Unterlagen zum Nachweis der Eignung: Objektleitung:
* Nachweise über Eignung = geprüfter Meister für Bäderbetriebe mit einschlägiger Berufserfahrungen (mindestens 5 Jahre)
* Nachweise über Erfahrungen mit dem Betrieb eines Schwimmbades über Geschäftsbesorgung (vollständiges Betriebsmanagement) (mindestens 3 Jahre)
* Nachweis über Erfahrungen im Umgang mit:
– Betriebs- und Personalführung (mindestens 3 Jahre)
– Chlorgasanlagen (zzgl. ADR 1.3)
– Unterweisung nach § 14 Gefahrstoffverordnung
– Aufbereitungstechnik nach DIN 19624 (offener Anschwimmfilter)
– Schwimmbecken mit Edelstahlauskleidung
– 24 h Notfallbereitschaft
* Nachweis über die Erreichbarkeit des Schwimmbades innerhalb von 30 Minuten (Wohnortnähe)
Personal für die Beaufsichtigung des Badebetriebes:
* Nachweise über die abgeschlossene Berufsausbildung als Fachangestellter für Bäderbetriebe (zur Beaufsichtigung des Badebetriebes)
* Nachweise über gültiges Rettungsschwimmabzeichen in Silber (nicht älter als 2 Jahre)
* Nachweise über die Ausbildung in Erster Hilfe (nicht älter als 2 Jahre)

Diese Forderungen sind vergaberechtswidrig. Es wird bei der Prüfung und Feststellung der Eignung des Bieterunternehmens bereits auf die Eignung der Objektleitung und nicht auf die Eignung des Bieterunternehmens abgestellt. Dabei ist klar, dass lediglich Belege der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit des Bieters gefordert werden dürfen und zwar: ausschließlich die Vorlage von einer oder mehreren der folgenden Unterlagen: geeignete Referenzen über früher ausgeführte Liefer- und Dienstleistungsaufträge in Form einer Liste der in den letzten höchstens drei Jahren erbrachten wesentlichen Liefer- oder Dienstleistungen mit Angabe des Werts, des Liefer- beziehungsweise Erbringungszeitpunkts sowie des öffentlichen oder privaten Empfängers; soweit erforderlich, um einen ausreichenden Wettbewerb sicherzustellen, kann der öffentliche Auftraggeber darauf hinweisen, dass er auch einschlägige Liefer- oder Dienstleistungen berücksichtigen wird, die mehr als drei Jahre zurückliegen, Angabe der technischen Fachkräfte oder der technischen Stellen, die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung eingesetzt werden sollen, unabhängig davon, ob diese dem Unternehmen angehören oder nicht, und zwar insbesondere derjenigen, die mit der Qualitätskontrolle beauftragt sind, Beschreibung der technischen Ausrüstung, der Maßnahmen zur Qualitätssicherung und der Untersuchungs- und Forschungsmöglichkeiten des Unternehmens, Studien- und Ausbildungsnachweise sowie Bescheinigungen über die Erlaubnis zur Berufsausübung für die Inhaberin, den Inhaber oder die Führungskräfte des Unternehmens, sofern diese Nachweise nicht als Zuschlagskriterium bewertet werden, Erklärung, aus der die durchschnittliche jährliche Beschäftigtenzahl des Unternehmens und die Zahl seiner Führungskräfte in den letzten drei Jahren ersichtlich ist, Erklärung, aus der ersichtlich ist, über welche Ausstattung, welche Geräte und welche technische Ausrüstung das Unternehmen für die Ausführung des Auftrags verfügt.
Die geforderten Angaben gehen vergaberechtswidrig darüber hinaus. Es handelt sich um Leistungsanforderungen oder Zuschlagskriterien. Als solche müssten die Forderungen auch gehandhabt werden: Die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots erfolgt auf der Grundlage des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses. Neben dem Preis oder den Kosten können auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Zuschlagskriterien berücksichtigt werden, insbesondere: die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann, …

III
Gefordert wird häufig:
* Nachweis über die Erreichbarkeit des Schwimmbades innerhalb von 30 Minuten (Wohnortnähe)
Ist vergaberechtswidrig!
Die Rechtsprechung untersagt die Bevorzugung ortsansässiger und ortsnaher Unternehmen in den Vergabeverfahren. Dies gilt sowohl in Vergabeverfahren über Aufträge unterhalb der Schwellenwerte als auch in europaweiten Vergabeverfahren. Auch die Berücksichtigung einer bestimmten örtlichen Präsenz als Auswahlkriterium für die Bestimmung des zu beauftragenden Bieters ist grundsätzlich nicht zulässig. Nur ausnahmsweise und bei Vorliegen angemessener, sachlich inhaltlicher und auftragsbezogener Rechtfertigungsgründe kann in den Vergabeunterlagen die Anforderung an eine bestimmte örtliche Präsenz im Zusammenhang mit der Leistungserbringung verlangt oder bei der Auswahlentscheidung berücksichtigt werden. Die Beschränkung des Wettbewerbs auf Unternehmen aus bestimmten Regionen oder Orten (Ortsansässigkeit) ist grundsätzlich unzulässig. Das Kriterium der Ortsnähe darf grundsätzlich bei Vergabeentscheidungen öffentlicher Auftraggeber weder auf der Stufe der Eignungs- noch bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung oder der Zuschlagsentscheidung Berücksichtigung finden – BayObLG, Beschluss vom 20.12.1999 – Verg 8/99 – NZBau 2000, 259, 261.
Im Einzelnen kann danach differenziert werden, ob von den Bietern eine räumliche Nähe seiner Niederlassung (Ortsansässigkeit/Ortsnähe), oder (nur) eine bestimmte örtliche Verfügbarkeit und ein damit verbundener befristeter Aufenthalt (Ortspräsenz) verlangt wird – Müller-Wrede, Örtliche Präsenz, Ortsnähe und Ortsansässigkeit als Wertungskriterien – eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes?, VergabeR 2005, 32; Müller-Wrede/Horn, in: Müller/Wrede, Kommentar zur VOL/A, 4. Auflage 2014, § 19 VOL/A-EG, RdNr. 289.
Kriterien, die in erster Linie (nur) auf eine (auf welche Weise auch immer umschriebene) örtliche Präsenz im Zusammenhang mit der Leistungserbringung abheben, werden dabei in der Regel als zulässig angesehen, wenn hierfür eine im Auftragsgegenstand begründete sachlich-inhaltliche Rechtfertigung besteht – VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.11.2013 – 1 VK 37/13; VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30.08.2013 – VK 1-12/13.
Diese Anforderung wird zum Teil auch damit umschrieben, dass eine Rechtfertigung besteht, wenn die vor Ort bestehende Verfügbarkeit im konkreten Fall „wirtschaftlich relevant ist“ – Müller-Wrede/Horn, in: Müller/Wrede, Kommentar zur VOL/A, 4. Auflage 2014, § 19 VOL/A-EG, RdNr. 291 unter Verweis auf: OLG Naumburg, Beschluss vom 12.04.2012 – 2 Verg 1/12 – IBR 2012, 413 .
In dem vom OLG Naumburg entschiedenen Sachverhalt wurde etwa anhand eines Unterkriteriums „Angaben zur Sicherstellung der personellen Verfügbarkeit“ angenommen, es sei im Rahmen eines komplexen IT-Projektes „ohne Weiteres nachvollziehbar“, dass ein Angebot als qualitativ hochwertiger bewertet werden soll (und kann), wenn eine ständige oder zumindest zeitlich umfangreiche Ansprechbarkeit, gegebenenfalls häufige Präsenz vor Ort oder einfach zu handhabende Kommunikationsmöglichkeit darin zum Ausdruck kommt. Ebenso kann das Verlangen nach einer Einsatzbereitschaft in 30 Minuten nach Eingang einer Störmeldung (bei einer Ausschreibung betreffend die Wasserversorgung) sachlich gerechtfertigt sein – OLG München, Beschluss vom 11.04.2013 – Verg 3/13 – VPR 2013, 88.
Wohnortnähe als Kriterium ist gar nicht darstellbar.

IV
Das gilt entsprechend für
*Nachweise über Erfahrungen mit dem Betrieb eines Schwimmbades über Geschäftsbesorgung (vollständiges Betriebsmanagement) (mindestens 3 Jahre)
Vergabestellen müssen sich unabhängig von der Verfahrensart im Rahmen der öffentlichen Vergabeverfahren davon überzeugen, dass die einzureichenden bzw. eingereichten Angebote von geeigneten Bewerbern oder Bietern abgegeben werden. Denn § 122 Abs. 1 GWB fordert, dass öffentliche Aufträge nur an fachkundige und leistungsfähige Unternehmen vergeben werden, die nicht ausgeschlossen worden sind. Dieser Beitrag zeigt typische Problemfelder in Bezug auf Referenzen in zwei Teilen auf.
Ein Unternehmen ist gemäß § 122 Abs. 2 GWB geeignet, wenn es die durch den öffentlichen Auftraggeber im Einzelnen zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrags festgelegten Kriterien (Eignungskriterien) erfüllt. Diese Eignungskriterien dürfen dabei ausschließlich die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie die technische und berufliche Leistungsfähigkeit betreffen.
Ein Mittel, zu dem Vergabestellen regelmäßig greifen, um sich die Eignung der Bieter nachweisen zu lassen, sind Referenzen. Die Angabe von Referenzen ermöglicht dem Auftraggeber, im Einzelfall Auskünfte einzuholen, so dass er sich auch über die Abwicklung des vom Bewerber benannten Auftrags, deren Qualität und die Zuverlässigkeit des Bewerbers informieren kann. Die Forderung von Referenzen ist regelmäßig zur Bewertung der Eignung der Bewerber erforderlich und damit generell als zulässig anzusehen – Voppel, in: Voppel, Osenbrück, Bubert, § 46 VgV, Rn. 24.
Dass der öffentliche Auftraggeber als Beleg der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit des Bewerbers oder Bieters je nach Art, Verwendungszweck und Menge oder Umfang der zu erbringenden Leistung ausschließlich die Vorlage von geeigneten Referenzen über früher ausgeführte Liefer- und Dienstleistungsaufträge sowie Bauaufträge fordern kann, sehen ausdrücklich § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV, § 6a Nr. 3 EU VOB/A vor.
Der öffentliche Auftraggeber darf grundsätzlich zum Nachweis der erforderlichen Erfahrung des Bewerbers oder Bieters bei Liefer- und Dienstleistungen nach der VgV geeignete Referenzen höchstens von den letzten drei Jahren fordern. Eine Erweiterung des Zeitraums von drei Jahren ist jedoch zulässig und kann bei eher seltenen oder langfristigen Projekten der ausgeschriebenen Art im Sinne des Wettbewerbs sogar geboten sein. Nicht zulässig wäre es jedoch, als Mindestbedingung vorzugeben, dass über die drei Jahre hinaus vergleichbare Referenzprojekte vorgewiesen werden müssen. Insbesondere im Bereich der Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren ist der Bezug auf drei Jahre häufig zu kurz für aussagekräftige Referenzen. Bei einer Erweiterung muss der Auftraggeber den zugelassenen Zeitraum klar bestimmen. Fehlt eine ausdrückliche und eindeutige Regelung, bleibt es dabei, dass nur Referenzaufträge aus den letzten drei Jahren berücksichtigt werden können. Für Bauleistungen erweitert § 6a Nr. 3 EU VOB/A diesen Zeitraum ausdrücklich auf bis zum fünf Jahre – Goldbrunner, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 46 VgV, Rn. 17 f..
Die Forderung eines Nachweises über Erfahrungen mit dem Betrieb eines Schwimmbades über Geschäftsbesorgung (vollständiges Betriebsmanagement) von mindestens 3 Jahren ist sachlich nicht gerechtfertigt und vergaberechtswidrig.

V
Die vergaberechtswidrigen Forderungen sind zu rügen und der AG aufzufordern, die vergaberechtswidrige Forderung vergaberechtskonform zu gestalten.
Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, müssen spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden.
Im Gegensatz zum Oberschwellenbereich gilt im Unterschwellenbereich nicht der ausformulierte Primärrechtsschutz der §§ 94 ff. GWB. Mangels gesetzlicher Regelungen ist der Rechtsschutz im Unterschwellenbereich deshalb stark von der Rechtsprechung geprägt. Das OLG Zweibrücken (1 U 93/20) stellte dazu klar, dass auch unterhalb der EU-Schwellenwerte dem Bieter die Obliegenheit trifft, erkannte oder erkennbare Vergaberechtsverstöße umgehend zu rügen. Anderenfalls ist sein auf Primärrechtsschutz gerichteter Antrag unzulässig. Im Gegensatz zum Oberschwellenbereich folge die Rügeobliegenheit zwar nicht aus dem GWB, allerdings aus dem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis, das bei Teilnahme an der Ausschreibung eines öffentlichen Auftrags entstehe. Hieraus entstünden Sorgfalts- und Schutzpflichten, die Bieter während des Vergabeverfahrens zur besonderen Rücksichtnahme und Loyalität gegenüber dem Auftraggeber verpflichten. Generell gelten deshalb – so das OLG Zweibrücken – auch bei der Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte, die maßgeblichen Erwägungen, die die Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 GWB rechtfertigen. Im zu entscheidenden Fall hatte der Kläger den Vergaberechtsverstoß erst neun Tage nach Kenntnis gerügt, was nach Auffassung des OLG bereits nicht mehr rechtzeitig war. Der auf primären Rechtsschutz gerichtete Antrag der Klägerin war damit unzulässig.
Die Entscheidung des OLG Zweibrücken wirft ein Schlaglicht auf zwei zentrale Hürden, die ein Bieter bei einem Antrag auf Primärrechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten nehmen muss.
Zunächst zeigt der Beschluss auf, dass der Bieter prüfen muss, ob ihm das jeweils anwendbare Landesrecht besondere Möglichkeiten zur Geltendmachung von vergaberechtlichem Primärrechtsschutz gewährt. Jedenfalls nach Auffassung des OLG Zweibrücken schließen landesrechtliche Nachprüfungsmöglichkeiten die Möglichkeit eines Verfügungsantrags generell aus. Soweit es eine landesrechtliche Nachprüfungsmöglichkeit gibt, ist zu beachten, dass die landesrechtlichen Rechtschutzsysteme beispielsweise in Bezug auf ihren Anwendungsbereich oder hinsichtlich der Dauer des Suspensiveffekts des Antrags unterschiedlich ausgestaltet sind. Auch die Zuständigkeiten unterscheiden sich. In Sachsen-Anhalt und Thüringen sind die Vergabekammern zuständig. In Sachsen ist die Aufsichtsbehörde des Auftraggebers zuständig bzw. bei kreisangehörigen Gemeinden und Zweckverbänden die Landesdirektion Sachsen. Rheinland-Pfalz hat eine spezielle Vergabeprüfstelle beim Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz eingerichtet. In Hessen sind die Vergabekompetenzstellen zuständig, die bei Hessen Mobil, der OFD Frankfurt am Main und den Regierungspräsidien eingreichtet sind. In dem vom OLG Zweibrücken entschiedenen Fall hatte der Bieter zudem das besondere Pech, dass die landesrechtliche Nachprüfungsmöglichkeit während des laufenden einstweiligen Verfügungsverfahrens vor dem Zivilgericht in Kraft trat.
Ferner unterstreicht der Beschluss, dass der Bieter auch außerhalb des GWB-Vergaberegimes erkannte und erkennbare Vergaberechtsverstöße zeitnah rügen muss. Das OLG Zweibrücken legt hier einen überaus strengen Maßstab an. Es lässt eine 9 Kalendertage nach dem Bietergespräch erhobene Rüge nicht ausreichen, obwohl dem Bieter der Ausschluss seines Angebots wohl erst zwei Kalendertage nach dem Bietergespräch überhaupt erst definitiv mitgeteilt wurde. Knüpft man den Fristbeginn an die Ausschlussmitteilung, wäre die 7-Tages-Frist der Landesverordnung gewahrt gewesen. Hätte sich das OLG an der 10-Tages-Frist nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr.1 GWB orientiert, wäre die Rüge erst Recht noch rechtzeitig erhoben gewesen.
Die größte Hürde für die Durchsetzung des Primärrechtsschutzes im Unterschwellenbereich bleibt die zumeist fehlende Pflicht des Auftraggebers, den Bieter vor der Zuschlagserteilung über die Auswahl des erfolgreichen Bieters zu informieren und eine angemessene Zeit bis zur Zuschlagserteilung abzuwarten. Eine generelle Informations- und Wartepflicht entsprechend § 134 GWB besteht im Unterschwellenbereich nicht (KG Berlin, Urteil v. 7.1.2020 9 U 79/19; OLG Celle, Urteil v. 9.1.2020 13 W 56/19; aA OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.12.2017 27 U 25/17). Landesrechtliche Regelungen zu Informations- und Wartepflichten vor Zuschlagserteilung gibt es nur in einigen Bundesländern. Gelingt es dem Bieter nicht, das Vergabeverfahren vor Erteilung des Zuschlags durch eine einstweilige Verfügung vorerst zu stoppen, bleibt ihm nur die Geltendmachung von etwaigen Schadensersatzansprüchen.

INNOVATION 2025: Interessenbekundungsverfahren zum Neubau und Betrieb einer Kindertageseinrichtung

INNOVATION 2025: Interessenbekundungsverfahren zum Neubau und Betrieb einer Kindertageseinrichtung

vorgestellt von Thomas Ax

In einem gekoppelten Interessenbekundungsverfahren wird ein Investor und damit Bauherr und Betreiber für die KiTa Musterstadt als sog. Paket ausgeschrieben. Das gesamte Investitionsvorhaben (Planung, Erschließung, Bau, Ausstattung und Außengestaltung) erfolgt in eigener Verantwortung und auf Kosten des späteren Betreibers. Die Stadt Musterstadt übernimmt keine Kosten. Die Bauunterhaltung und die Unterhaltung der baulichen und technischen Anlagen sowie der Außenanlagen erfolgen durch den Träger unter Berücksichtigung der einschlägigen gesetzlichen und Unfallverhütungsvorschriften. Das Grundstück für die Kindertageseinrichtung wird dem Investor im Erbbaurecht über die Laufzeit über die Betriebsdauer überlassen.

Kommunalpolitisches Ziel ist beim weiteren Platzausbau den Grundsatz der Subsidiarität zu berücksichtigen und das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern bei der Profilwahl zu stärken; die Trägerlandschaft soll eine weitere Ausdifferenzierung erfahren. Dabei strebt Musterstadt eine neue Vorgehensweise an: in einem gekoppelten Interessenbekundungsverfahren wird ein Investor und damit Bauherr und Betreiber für die KiTa Musterstadt als sog. Paket ausgeschrieben. Das gesamte Investitionsvorhaben (Planung, Erschließung, Bau, Ausstattung und Außengestaltung) erfolgt in eigener Verantwortung und auf Kosten des späteren Betreibers. Die Stadt Musterstadt übernimmt keine Kosten. Die Bauunterhaltung und die Unterhaltung der baulichen und technischen Anlagen sowie der Außenanlagen erfolgen durch den Träger unter Berücksichtigung der einschlägigen gesetzlichen und Unfallverhütungsvorschriften. Das Grundstück für die Kindertageseinrichtung wird dem Investor im Erbbaurecht über die Laufzeit über die Betriebsdauer überlassen.

Vorgesehen ist ein Betreiben der Kindertageseinrichtung nach der gesetzlichen Anforderung, über eine Laufzeit von 20 Jahren. An diesem Verfahren können sich alle Träger der freien Jugendhilfe beteiligen, welche die unten genannten Kindertageseinrichtung bauen und betreiben wollen. Denkbar ist auch, dass eine Investorin oder ein Investor die Kindertageseinrichtung errichtet und dann an einen Träger vermietet, d.h. alternativ können sich Investorinnen bzw. Bauträger und Bauherren zusammen mit Trägern der freien Jugendhilfe als Tandem beteiligen. Bei diesem Interessensbekundungsverfahren handelt es sich nicht um ein Vergabeverfahren nach VgV oder VOB. Das Verfahren ist für mögliche Interessenten/innen sowie für die Stadt Musterstadt unverbindlich.

Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt
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