Ax Vergaberecht

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OLG Hamburg: Rügt der Auftraggeber nach der vorbehaltlosen Abnahme der Leistungen einen offensichtlichen Mangel (hier: Putzbeschädigungen durch Abfräsen), kann seine Kenntnis von diesem Mangel bei der Erklärung der vorbehaltlosen Abnahme vorausgesetzt werden

OLG Hamburg: Rügt der Auftraggeber nach der vorbehaltlosen Abnahme der Leistungen einen offensichtlichen Mangel (hier: Putzbeschädigungen durch Abfräsen), kann seine Kenntnis von diesem Mangel bei der Erklärung der vorbehaltlosen Abnahme vorausgesetzt werden

vorgestellt von Thomas Ax

Die Klägerin begehrt restlichen Werklohn für Brandsanierungsarbeiten im Kellerbereich der Immobilie des Beklagten, der Beklagte macht widerklagend Schadensersatz und Kostenvorschussansprüche geltend. Im Zuge des Verfahrens hat der Beklagte mehrfach seine Anträge umgestellt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 8. Januar 2021 den Beklagten zu einer Zahlung von 2.414,39 Euro nebst Zinsen verurteilt und im Übrigen die Klage und die Widerklage abgewiesen. Das Landgericht hat den Werklohnanspruch der Klägerin in Höhe von 4.914,39 Euro für begründet erachtet. Eine Abnahme habe zwar unstreitig nicht stattgefunden, es könne dahinstehen, ob eine konkludente Abnahme durch rügelose Ingebrauchnahme des Beklagten zu bejahen sei, jedenfalls sei eine Abnahme entbehrlich, weil zwischen den Parteien ein Abrechnungsverhältnis bestehe. Die Klageforderung sei durch Aufrechnung des Beklagten mit einem Vorschussanspruch für Mangelbeseitigungsarbeiten in Höhe von 2.500,- Euro erloschen. Der Widerklageantrag des Beklagten sei dahin auszulegen, dass die Beklagte hinsichtlich der Klageforderung die Hilfsaufrechnung mit dem ihm seiner Ansicht nach zustehenden Vorschussanspruch erklärt habe und nur hinsichtlich des überschießenden Betrages eine Widerklage erhoben habe. Der Beklagte habe nur einen Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses in Höhe von 2.500 Euro für die Nachbearbeitung der Wandflächen, weil nur diese Kosten aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen festgestellt werden konnte. Die Werkleistung der Klägerin sei mängelbehaftet gewesen.

Weiteren aufrechenbaren Schadensersatz, insbesondere für die Ausbesserungen des Wandputzes und die Einschaltung eines Chemiesachverständigen stünden dem Beklagten nicht zu, weil bereits der ursprüngliche Auftrag solche Arbeit nicht umfasst habe. Es stehe nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Parteien eine Beschaffenheitsvereinbarung dergestalt getroffen hätten, dass die Klägerin eine totale, d. h. rückstandsfreie Reinigung der Flächen geschuldet habe. Dem Beklagten sei es nicht gelungen, zu beweisen, dass die Klägerin zugesagt habe, dass alle Flächen vollständig gereinigt werden könnten. Schadensersatz für die Reparatur der Hohldeckensteine sei nicht geschuldet gewesen. Es könne nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden, dass die Klägerin die Beschädigung an der Decke verursacht habe. Überdies sei das Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens zu verneinen, weil die Ausbrüche an der Hohlwanddecke ein rein optisches Problem darstellten. Da der Beklagte vorgetragen habe, den gesamten Bereich zu Wohnraum umzubauen, stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass derartige Umbaumaßnahmen auch die Verkleidung der Decke umfasse. Der rein optische Schaden sei dann nicht mehr sichtbar.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner fristgerecht eingelegten Berufung. Der Beklagte hat in seiner Berufungsbegründung beantragt, das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen und die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten 600 Euro monatlichen Mietausfallschaden für die Verzögerung des Umbaus der streitgegenständlichen Räume ab 1.7.2016 bis “vorerst” 31.12.2017 nebst Zinsen zu zahlen und einen Kostenvorschuss für die Sanierung der streitbefangenen Räumlichkeiten in Höhe von 2.000 Euro zu zahlen sowie für die Sanierung der beschädigten Hohlsteindecke weitere 3.500 Euro.

Die Berufung hat er teilweise fristgerecht begründet und sich hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung auf eine Verletzung rechtlichen Gehörs berufen. Insbesondere habe das Landgericht die Ausführungen des Sachverständigen nicht hinreichend gewürdigt. Das Landgericht maße sich auch eine Beurteilung über bauliche Fragen an, indem es davon ausgehe, dass der Schaden an der Hohlwanddecke ein rein optischer sei. Dies sei falsch, durch die beschädigte Decke sei die Trittschallübertragung durch die Benutzung der darüber liegenden Wohnung erheblich größer als vorher. Außerdem sei es für die Aufbringung eines Deckenputzes erforderlich, die Hohlsteindecke fachgerecht zu sanieren. Zu Unrecht sei das Landgericht davon ausgegangen, dass es nicht auszuschließen sei, dass die Decke schon Vorschäden gehabt habe, die von den Paneelen nur kaschiert worden sei. Auch hier fehle dem Landgericht der nötige Sachverstand. Daher sei die Forderung der Klägerin vollumfänglich zurückzuweisen und dem Kläger für die Sanierung der streitbefangenen Räumlichkeiten 2.000 Euro zu zahlen, sowie für die Sanierung der beschädigten Hohlsteindecke 3.500 Euro. Der Beklagte änderte mit Schriftsatz vom 21. Mai 2021 seinen Antrag und beantragte sodann die Feststellung, dass ihm der jeweilige Mietausfallschaden zu ersetzen sei. Der Senat wies darauf hin, dass dieser geänderte Antrag hinsichtlich des Mietausfallschadens nicht hinreichend bestimmt sei.

Vor der ersten mündlichen Verhandlung änderte der Beklagte mit Schriftsatz vom 11.11.2021 wiederum seine Anträge und beantragte nunmehr seine Verurteilung in Höhe von 4.914,39 Euro Zug um Zug gegen die fachgerechte Sanierung des Schwimmbads – und Saunabereiches des Hauses und im Übrigen die vorab angekündigten Hilfsanträge sowie die Feststellung, dass die Klägerin verpflichtet sei, vom 1.7.2016 bis 31.10.2021 und zukünftig darüber hinaus ihm den entstandenen und entstehenden Mietausfallschaden von mindestens monatlich 600 Euro zuzüglich Zinsen zu ersetzen. Im Zuge der ersten mündlichen Verhandlung stellte der Beklagte nach Hinweis seine Anträge erneut um und beantragte die Abweisung der Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils, hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Kostenvorschusses von 2.000 Euro, sowie die übrigen Anträge.

Im Zuge dieser Verhandlung einigten sich die Parteien darauf, dass die Klägerin zur Beseitigung der Schäden eine Nachreinigung durchführt. Diese Nachreinigung erfolgte am 14. November und 25.11.2021. Der Beklagte nahm das Bauvorhaben mit Abnahmeprotokoll vom 25.11.2021 als mangelfrei ab.
Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 3. Januar 2022 behauptete der Beklagte demgegenüber weitere Schäden durch die Nachreinigung und begehrt dessen Beseitigung. Der Beklagte änderte in der letzten mündlichen Verhandlung seine Anträge wiederum und beantragte in der letzten mündlichen Verhandlung, das am 8.1.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Hamburg zum Aktenzeichen 313 O 23/16 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuweisen; hilfsweise, die Klage abzuweisen und die Klägerin zu verurteilen die von ihr bei den Nachbesserungsarbeiten am 24. und 25.11.2021 verursachten Schäden am Wandputz der streitbefangenen Räumlichkeiten fachgerecht zu beseitigen,
die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten Schadensersatz hilfsweise einen Vorschuss in Höhe von 3.500 Euro zu zahlen für die notwendige Sanierung der von der Klägerin beschädigten Hohlsteindecke über dem Schwimmbad- und Saunabereich im Tiefparterre des Hauses … und festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, dem Beklagten den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der von der Klägerin unterlassene Nachbesserung der Brandschadenbeseitigung im JOS- Verfahren und damit verursachten jedweden Nichtbenutzbarkeit des Schwimmbad- und Saunabereich im Tiefparterre des Hauses … Hamburg auch für die Umbauarbeiten zu Wohnraum ab dem 1.7.2016 entstanden ist und zukünftig entstehen wird.

Die Klägerin beantragt,
die Zurückweisung der Berufung.

Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil unter Vertiefung ihres Vortrags erster Instanz. Sie beruft sich auf die Verjährung eventueller Schadensersatzansprüche. Diese Verjährung werde insbesondere für Schäden an der Hohlwanddecke geltend gemacht. Im Laufe des Prozesses habe der Beklagte immer wieder die Anträge umgestellt und zum Schluss Ansprüche aus einer Beschädigung der Decke fallen gelassen. Ob die Annahme des Landgerichts, der Beklagte habe einen Kostenvorschuss geltend machen können, weil ein Abrechnungsverhältnis vorgelegen habe, falsch sei, könne dahinstehen. Das Werk der Klägerin sei zwischenzeitlich abgenommen worden. Eine erneute Forderung eines Kostenvorschusses sei nicht begründet. In der ersten Instanz sei dem Beklagten bereits ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro zugesprochen worden. Die Mangelbeseitigung sei nunmehr erfolgt. In Bezug auf die Hohlsteindecke sei der Beklagte nicht zu einem weiteren Kostenvorschuss berechtigt. Nach der Begründung des Beklagten handele es sich um eine Beschädigung des Eigentums des Beklagten, für die kein Kostenvorschuss gefordert werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstreits beider Instanzen wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen und auf die Protokolle vom 16. 11. 2021 und 1.2.2022 verwiesen

Die Berufung ist teilweise unzulässig (siehe 1) und im Übrigen unbegründet (2),

1) Bezüglich des in der Berufungsverhandlung von dem Beklagten gestellten Hauptantrags auf Zurückweisung an die Zivilkammer ist die Berufung unzulässig. Eine zulässige Berufung setzt nach § 520 Abs. 3 ZPO voraus, dass der Berufungskläger die Berufung fristgerecht hinreichend begründet. Die Berufungsbegründung muss die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzungen und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung enthalten. Hieran fehlt es bei der Berufungsbegründung des Berufungsklägers. Bereits mit der Berufungsbegründung hätte der Beklagte den Antrag stellen und insoweit einen Verfahrensmangel aufzeigen müssen. Dies ist nicht erfolgt. Erst in der letzten mündlichen Verhandlung am 1.2.2022 hat der Beklagte unter erneuter Umstellung seiner Anträge vorgetragen, das Landgericht habe rechtswidrig ein Abrechnungsverhältnis angenommen.
Voraussetzung einer Zurückverweisung gemäß § 538 ZPO wäre neben einem Antrag, dass das Verfahren im ersten Rechtszug an einem wesentlichen Mangel gelitten hat und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig geworden ist. Diese Voraussetzungen hat der Beklagte in seiner Berufungsbegründung nicht vorgetragen, sie können vorliegend auch nicht festgestellt werden. Soweit er sich nunmehr darauf beruft, das Landgericht sei unzutreffend und rechtswidrig davon ausgegangen, dass zwischen den Parteien ein Abrechnungsverhältnis vorgelegen habe, kann dahinstehen, ob dies überhaupt einen wesentlichen Mangel des Verfahrens darstellen könnte, da hierdurch jedenfalls keine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig geworden wäre, die eine Zurückverweisung hätte begründen können. Die vor dem Senat durchgeführte Beweisaufnahme ist allein zu der Frage eines Mangels an der Hohlsteindecke durchgeführt worden, die mit der gerügten Verfahrensverletzung nicht im Zusammenhang steht.
Auch hinsichtlich des Feststellungsantrags, die Klägerin zu einer Zahlung für den Nutzungsausfallschaden des Beklagten, der ihm aus der unterlassenen bzw. schlechten Nachbesserung der Brandschadensbeseitigung entstanden sein soll, ist die Berufung unzulässig. Die Berufungsbegründung enthält auch zu dem Nutzungsausfallschaden keine Darlegung von Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzungen und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Die unter dem 12.4.2021 eingereichte Berufungsbegründung erhält zu der Frage der geltend gemachten Nutzungsentschädigung oder eines Schadensersatzes für die Nichtnutzbarkeit keinen Vortrag. Der Beklagte hat auch nicht vorgetragen, warum das Urteil hinsichtlich der versagten Nutzungsentschädigung fehlerhaft sein soll. Die insoweit unzulässige Berufung hätte aber auch keinen Erfolg, da der Beklagte bereits einen Schaden nicht dargetan hat. Jeder Schaden oder dessen Feststellung setzt einen ersatzfähigen Schaden voraus. An dessen Darlegung fehlt es, wie das Landgericht mit zutreffenden Ausführungen, auf die verwiesen wird, ausgeführt hat. Ein Mietausfallschaden setzt zudem einen potentiellen Mieter voraus, den der Beklagte nicht einmal benannt hat.

2) Die im Übrigen zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Weder kann sich der Beklagte darauf berufen, die Reinigung sei mangelhaft und nachzubessern (dazu b), noch kann er Schadensersatz oder Vorschuss für die Sanierung der Hohlsteindecke über dem Schwimmbad- und Saunabereich im Tiefparterre verlangen (dazu c).
a. Die von der Klägerseite geltend gemachte Rechnung ist durch Nachbesserung und Abnahme vom 25.11.2021 in der von dem Landgericht zuerkannten Höhe von 4.914,39 Euro fällig geworden, § 641 BGB. Der Vorschussanspruch des Beklagten ist durch die Nachbesserung erloschen. Durch die Abnahme ist dokumentiert, dass der Beklagte die Nachbesserung als ordnungsgemäß und mangelfrei hingenommen hat. Die mangelfreie Abnahme ist unstreitig. Die trotz der Abnahme beantragte Abweisung der Klage greift daher nicht.

OLG Hamburg, Urteil vom 03.05.2022 – 4 U 13/21

OLG Düsseldorf: Rechtsnatur der Teilkündigung ist ein Rechtsverhältnis iSd § 256 Abs. 1 ZPO

OLG Düsseldorf: Rechtsnatur der Teilkündigung ist ein Rechtsverhältnis iSd § 256 Abs. 1 ZPO

vorgestellt von Thomas Ax

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer am 2.12.2016 aus wichtigem Grund ausgesprochenen Teilkündigung eines Auftrags über Dachabdichtungsarbeiten. Zwischen den Parteien bestand aufgrund des Schreibens vom 17.7.2013 ein Werkvertrag über die Erstellung von Dachdeckerarbeiten auf dem Justizzentrum in Bochum. Die Geltung der VOB/B 2012 war vereinbart, s. Ziffer 1 des Verhandlungsprotokolls vom 24.6.2013.

Mit dem am 20.8.2021 verkündeten Urteil hat die 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf – Einzelrichter – festgestellt, die von dem Beklagten mit Schreiben vom 2.12.2016 ausgesprochene Teilkündigung des Bauvertrages sei ihrer Rechtsnatur nach keine berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund (Entziehung des Auftrags nach § 8 Abs. 3 VOB/B). Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Feststellungsklage sei zulässig. Ein Kündigungsgrund könne ein Rechtsverhältnis iSd § 256 ZPO sein, wenn die Kündigung selbst zu bestimmten Rechtsfolgen führe. So sei der Fall hier. Die Klägerin habe ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung, weil sich der Beklagte auf Grundlage der Kündigung erheblicher Erstattungsansprüche wegen Mehrkosten durch die Inanspruchnahme von Drittfirmen berufe. Die Feststellungsklage bleibe auch dann zulässig wenn – wie hier – eine Bezifferung im Laufe des Prozesses möglich geworden sei. Die Feststellungsklage sei begründet. Der Beklagte habe unter dem 2.12.2016 keine berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund ausgebracht, die ihn zur Entziehung des Auftrages nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B berechtigt habe. Der Ausspruch der Teilkündigung sei unzulässig gewesen. Aus § 12 Abs. 2 VOB/B werde geschlussfolgert, dass nur in sich abgeschlossene Teile der Leistung isoliert gekündigt werden könnten. Wie bei der Teilabnahme bestehe die Voraussetzung, dass die Teile funktional selbständig seien. Der BGH habe zur § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 VOB/B entschieden, dass der Begriff der Abgeschlossenheit entsprechend des gleichlautenden Begriffs in § 12 Abs. 2 VOB/B zu verstehen sei. Damit werde das Ziel verfolgt, eine klare Trennung der beiden Leistungsbereiche sicher zu stellen, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung von Mehrkosten und im Hinblick auf Gewährleistungsansprüche.

Die Feststellungsklage ist zulässig.

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Rechtsverhältnisses iSd § 256 Abs. 1 ZPO. Ein Rechtsverhältnis ist die aus einem konkreten Sachverhalt abgeleitete rechtliche Beziehung von Personen untereinander oder von Personen zu Sachen (BGH NZBau 2022, 20 mwN). Nur das Rechtsverhältnis selbst kann Gegenstand der Feststellung sein, nicht bloße Vorfragen. Gegenstand der Feststellung können aber einzelne auf einem umfassenderen Rechtsverhältnis beruhende Rechte oder Pflichten sein sowie der Inhalt und Umfang einer Leistungspflicht (vgl. BGH, NZBau, 2022, 20; BGH NZBau 2019, 572; NZBau 2015, 229). Ein Kündigungsgrund allein kann ein Rechtsverhältnis darstellen, wenn die Kündigung selbst bereits zu bestimmten Rechtsfolgen führt (vgl. BGH, NW 2013, 1744). Im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen einer freien Kündigung oder einer Kündigung aus wichtigem Grund bei einem nach der VOB/B zu beurteilenden Werkvertrag, hat der BGH in der Rechtsnatur einer ausgesprochenen Kündigung ein zwischen den Parteien streitiges Rechtsverhältnis gesehen (vgl. BGH, NJW 2013, 1744). Zwar erging die Entscheidung im Hinblick auf eine Zwischenfeststellungklage nach § 256 Abs. 2 ZPO. Allerdings sind die Anforderungen an ein Rechtverhältnis in Abs. 1 und Abs. 2 des § 256 ZPO identisch (vgl. Zöller-Greger § 256 Rn. 24; BeckOK ZPO/Bacher, 45. Ed. 1.7.2022, ZPO § 256 Rn. 41).

Insofern handelt es sich bei der Rechtsnatur der Teilkündigung um ein Rechtsverhältnis iSd § 256 Abs. 1 ZPO. Bei einer wirksamen Entziehung des Auftrags könnte der Beklagte von der Klägerin nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 VOB/B Ersatz von Fertigstellungsmehrkosten verlangen. Zudem könnte die Klägerin dann keine Vergütung für die nicht ausgeführten Leistungen verlangen. Da eine Feststellungsklage sowohl auf die Feststellung des Bestehens als auch des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtet sein kann (vgl. BGH, NZBau 2019, 572 Rn. 29), ist auch die hier erhobene negative Feststellungsklage zulässig. Es besteht ein schutzwürdiges Interesse der Klägerin an alsbaldiger Feststellung bestehen. Das Feststellungsinteresse im Sinne eines rechtlichen Interesses ist gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit droht und das Feststellungsurteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. BGH NJW-RR 2017, 1317) und unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu führen (vgl. BGH, NJW 1999, 3774). Dies ist vorliegend der Fall. Die Klägerin befürchtete bei Klageerhebung, dass der Beklagte ihr die Mehrkosten der Fertigstellung durch eine Drittfirma berechnen und insoweit Zahlungen an sie zurückhalten würde (vgl. Bl. 17 GA) oder auch einen Gegenanspruch erheben würde. Die Gefahr war realistisch und gegenwärtig. Der Beklagte behielt sich in der Klageerwiderung die Geltendmachung gerade dieses Anspruches vor, s. Bl. 44 GA. Zudem hatte er bereits am 5.12.2016 die Restleistungen ausgeschrieben.

Insofern kommt es nicht darauf an, ob der Klägerin bei Klageerhebung bereits eine Bezifferung ihres Restwerklohnanspruches in Form der Schlussrechnung möglich gewesen wäre. Ob der Klägerin im Verlauf des Prozesses eine Bezifferung ihres Anspruchs möglich geworden wäre, ist ohnehin irrelevant. Die Feststellungsklage bleibt grundsätzlich auch dann zulässig, wenn eine Bezifferung im Laufe des Prozesses möglich geworden ist (vgl. BGH NJW-RR 2004, 79).
Das Feststellunginteresse ist ausnahmsweise nicht dadurch entfallen, dass inzwischen ein Rechtsstreit anhängig ist, mit dem die Klägerin einen Werklohnanspruch und der Beklagte einen Anspruch auf Erstattung von kündigungsbedingten Mehrkosten geltend macht. Zwar wird eine negative Feststellungsklage unzulässig, wenn in einem anderen Rechtsstreit eine deckungsgleiche Leistungsklage erhoben wird und diese nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann (BGH Urteil vom 21.12.2005, X ZR 17/03; BGH NJW-RR 1990, 1532). Durch den grundsätzlichen Vorrang des Leistungsverfahrens gegenüber dem Feststellungsverfahren mit gleichem Streitstoff sollen widerstreitende Entscheidungen der Gerichte und mehrere parallele Verfahren über den gleichen Streitgegenstand vermieden werden (vgl. BGH; NJW-RR 1990, 1532, BGH Urteil vom 21.12.2005, X ZR 17/03). Dementsprechend ist nicht die später erhobene Leistungsklage wegen der bereits rechtshängigen Feststellungsklage unzulässig, sondern es wird die Feststellungsklage im Hinblick auf die später erhobene Leistungsklage unzulässig (vgl. Kniffka/Koeble, Teil 16, Rn. 22, beck-online). Trotz einer späteren Leistungsklage bleibt die Feststellungsklage aus Gründen einer sinnvollen Prozessökonomie zulässig, wenn der Feststellungsrechtsstreit entscheidungsreif oder im Wesentlichen zur Entscheidungsreife fortgeschritten und die Leistungsklage noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. BGH; NJW-RR 1990, 1532, BGH Urteil vom 21.12.2005, X ZR 17/03). Dies ist vorliegend der Fall. Der hiesige Rechtsstreit ist ohne weitere Aufklärung entscheidungsreif, während der Rechtsstreit über die auf Werklohn gerichtete Leistungsklage und die auf Mehrkostenerstattung gerichtete Widerklage im Hinblick auf das hiesige Verfahren ruht.

Das hiesige Verfahren ist auch geeignet, den Streitpunkt darüber, ob eine außerordentliche Teilkündigung vorliegt, einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung zuzuführen. Das Feststellungsinteresse ist auch nicht durch die am 23.05.2017 erklärte außerordentliche Kündigung des Gesamtvertrages (Anlage B1 der BA) entfallen. Wäre diese Kündigung wirksam, so könnte sich auch hieraus ein Anspruch auf Schadensersatz/Erstattung von Mehrkosten für den Beklagten ergeben. Allerdings würde dieser Anspruch nur Maßnahmen oder Kosten erfassen, die nach dem 23.5.2017 angefallen sind. Die Klägerin musste den Rechtsstreit auch nicht auf die Kündigung vom 23.5.2017 ausweiten. Ein Rechtsschutzinteresse entfällt nicht dadurch, dass es einen weiteren Streitgegenstand gibt. Auch die Möglichkeit einer weitergehenden Feststellungsklage steht dem Interesse einer auf einzelne Streitpunkte beschränkten Feststellung nicht entgegen, da anderweitig formulierte Feststellungsklagen stets nur “teilweise” weitergehend wären. Durch eine negative Feststellungsklage dahingehend, dass dem Beklagten kein Anspruch auf Fertigstellungsmehrkosten aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B zustehe, könnte nicht auch zugleich geklärt werden, ob der Klägerin wegen der nicht ausgeführten Arbeiten ein Werklohnanspruch zustehen kann. Der Streit um die Folgen der Kündigung vom 2.12.2016 kann durch den hiesigen Prozess abschließend geklärt werden.

Die Feststellungsklage ist begründet.

Durch das Schreiben vom 2.12.2016 wurde der Klägerin der Auftrag nicht wirksam teilweise (hinsichtlich des Bauteils F und des Verbindungsgangs zwischen den Bauteilen A und B) entzogen iSd § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B. Vielmehr war die Teilkündigung unwirksam, da sie sich nicht auf in sich abgeschlossene Teile der vertraglichen Leistung iSd § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 VOB/B bezog.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 08.12.2022 – 5 U 232/21

OLG Düsseldorf: Der Begriff des in sich abgeschlossenen Teils einer Leistung ist eng auszulegen

OLG Düsseldorf: Der Begriff des in sich abgeschlossenen Teils einer Leistung ist eng auszulegen

vorgestellt von Thomas Ax

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer am 2.12.2016 aus wichtigem Grund ausgesprochenen Teilkündigung eines Auftrags über Dachabdichtungsarbeiten. Zwischen den Parteien bestand aufgrund des Schreibens vom 17.7.2013 ein Werkvertrag über die Erstellung von Dachdeckerarbeiten auf dem Justizzentrum in Bochum. Die Geltung der VOB/B 2012 war vereinbart, s. Ziffer 1 des Verhandlungsprotokolls vom 24.6.2013.

Die VOB/B geht von einer Vollkündigung aus. Eine Teilkündigung ist für die Kündigung in den Fällen des fruchtlosen Fristablaufs gemäß § 4 Abs. 7 und 8 Nr. 1 und § 5 Abs. 4 VOB/B vorgesehen. In diesen Fällen kann die Kündigung auf einen in sich abgeschlossenen Teil der Leistung beschränkt werden, vgl. § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 VOB/B. Bezieht sich eine Teilkündigung nicht auf abgeschlossene Teile der Leistung, ist sie unwirksam (vgl. BGH, NJW 2009, 3717). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der sich der Senat anschließt, ist der Begriff des in sich abgeschlossenen Teils einer Leistung eng auszulegen. Denn bei seiner Auslegung sind die Ziele des § 12 Abs. 2 VOB/B, in welchem der Begriff ebenfalls verwendet wird, zu beachten. Nach den durch den BGH aufgestellten Auslegungsgrundsätzen ist ein Begriff, der innerhalb eines AGB-Klauselwerks mehrfach verwendet wird, grundsätzlich für alle Klauseln einheitlich auszulegen (vgl. BGH, NJW 2009, 3717 zustimmend: OLG Celle Urt. v. 27.2.2019 – 7 U 227/18). Während im Rahmen des § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 VOB/B einer weiten Auslegung nichts entgegenstünde, ist eine Teilabnahme nur für den Auftragnehmer günstig. Ihrer Annahme sind durch den Begriff des in sich abgeschlossenen Teils der Leistung Grenzen gesetzt. Hierdurch wird das hohe Interesse des Auftraggebers daran geschützt, dass zusammengehörende Leistungsteile nicht dadurch zergliedert werden, dass für sie unterschiedliche Abnahmewirkungen eintreten, wie z.B. unterschiedliche Gewährleistungsfristen oder Gefahrübergänge (vgl. BGH, NJW 2009, 3717, beck-online). Dem schließt sich der Senat an.

Keine in sich abgeschlossenen Teile der Bauleistung sind einzelne Teile eines Rohbaus, wie zum Beispiel eine Betondecke oder ein Stockwerk (vgl. BGH, NJW 1968, 1524). Grundsätzlich können Leistungsteile innerhalb eines Gewerks nicht als abgeschlossen angesehen werden, da es ihnen regelmäßig an der Selbstständigkeit mangelt, die eine eigenständige Beurteilung der Teilleistung ermöglicht. Dies kann bei klarer räumlicher oder zeitlicher Trennung der Leistungsteile eines Gewerks anders zu beurteilen sein. Eine ausreichende räumliche Trennung kann etwa dann angenommen werden kann, wenn die Leistungsteile an verschiedenen Bauwerken, wie etwa an mehreren zu errichtenden Häusern, zu erbringen sind (vgl. BGH, NJW 2009, 3719). Entscheidend ist, ob eine funktionale und in sich selbstständig beurteilbare Teilleistung vorliegt (vgl. Ingenstau/Korbion VOB 21. Auflage, § 8 Abs. 3 VOB/B Rn. 30). Bei der Frage der Abgeschlossenheit kann es auch auf die Vertragsgestaltung ankommen (vgl. BGH NJW 2009, 3717). Unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Arbeiten zu dem BT F und dem Verbindungsgang keine in sich abgeschlossenen Leistungen darstellen. Bei den von der Kündigung betroffenen Aufgaben handelte es sich um Leistungsteile innerhalb eines Gewerks, nämlich des Gewerkes Dachabdichtungsarbeiten. Dies spricht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gegen eine Abgeschlossenheit.

Entgegen der Ansicht des Beklagten handelt es sich bei den Dächern des Bauteils F und des Verbindungsgangs nicht um räumlich von den übrigen Dächern klar getrennte Bauwerke, sondern um Teile eines einheitlichen Gebäudekomplexes. Es liegt nicht dieselbe Situation vor wie z.B. bei der Errichtung zahlreicher Einzelhäuser in einer Neubausiedlung. Der Senat konnte sich durch die in Augenscheinnahme des als Anlage zum Protokoll genommenen Lichtbildes und des Bildes auf Seite 10 der Anlage B8 ein zuverlässiges Bild von den örtlichen Gegebenheiten verschaffen. Dabei haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass der Senat die Zuordnung der Bauteile zu den Gebäudeteilen auf dem Lichtbild (Anlage zum Protokoll) zutreffend vorgenommen hat. Wie sich aus den in Augenschein genommenen Lichtbildern ersehen lässt, handelt es sich bei dem Justizzentrum um einen aus diversen Teilen bestehenden Gebäudekomplex. Die Gebäude sind teilweise aneinandergebaut. Das als BT A (Bauteil A) bezeichnete Gebäude ist mit dem als BT B (Bauteil B) bezeichneten Gebäude durch den hier betroffenen Verbindungsgang verbunden. Der Verbindungsgang ist wie ein Flur gestaltet, mit Seitenwänden aus Glas/Metall und einem begrünten Flachdach. Zwar ist das Dach niedriger, als die Dächer der angrenzenden Bauteile. Es schließt aber an die Fassaden dieser beiden Bauteile an.

Das BT F ist ebenfalls niedriger als die übrigen Gebäudeteile. Es ist fast quadratisch geformt und befindet sich zwischen den Bauteilen D, E und A, an die es jeweils anschließt. Dabei grenzt eine Seite des BT F an das BT D und einen Innenhof, die gegenüberliegende Seite grenzt an das BT E und den Zugang zur Straße. Eine weitere Seite grenzt an das BT A und die vierte Seite zeigt zu einem Innenhof/Parkplatz. Soweit aus den Plänen ersichtlich, verbindet das BT F die Bauteile A, D und E miteinander. Auch hier ist das Dach niedriger, als die Dächer der angrenzenden Bauteile. Es gibt also keinen nahtlosen Übergang zwischen den Dacharbeiten auf den Bauteilen D- F. Allerdings schließt das Dach des BT F an die Fassaden der Bauteile A, D und E an. Auch die Leistungsbeschreibung und Vertragsgestaltung sprechen gegen eine klare räumliche und oder zeitliche Trennung und Abgeschlossenheit der Arbeiten am Verbindungsgang und dem BT F. Die Leistungsbeschreibung differenziert hinsichtlich der Grundarbeiten nicht zwischen den einzelnen Bauteilen. Zeitlich war eine einheitliche Leistungsausführung geplant, zu der es dann aus zwischen den Parteien streitigen Gründen nicht kam. Entsprechend sieht das LV eine einheitliche Baustelleneinrichtung (Ziffer 01.01.0010) vor.

Gegen eine Abgeschlossenheit spricht weiter, dass nach dem LV nur eine Verlegeplanung, ein Lagesicherheitsnachweis, ein Übereinstimmungsnachweis (Ziffern. 01.01.0070 – 0090) und eine Baudokumentation (Ziffer 01.08.0010) geschuldet sind. Wie soll eine isolierte Abnahme eines Bauteils erfolgen, wenn sich die Nachweise auf alle Bauteile beziehen sollen? Auch für die sich an die Fertigstellung anschließende Wartung ist lediglich ein Pauschalpreis pro Jahr ausgewiesen (Ziffer 01.07.0010). Die Wartungsverpflichtung sollte offensichtlich hinsichtlich aller Gebäudeteile einheitlich beginnen und durchgeführt werden.
Auch bei der auszuführenden Leistung wird weitgehend nicht nach Bauteilen differenziert. So beziehen sich das Säubern des Untergrundes, der Voranstrich und die Dampfsperrschicht beispielsweise auf eine Gesamtfläche von 5.300 m². Weiter sind im Vertrag keine Teilabnahmen vorgesehen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Parteien dies bewusst nicht vereinbart haben. Von der unter Ziffer 6.1. des Verhandlungsprotokolls vorgesehenen Möglichkeit, für bestimmte Leistungsabschnitte eine Teilabnahme zu vereinbaren, wurde kein Gebrauch gemacht. Das entsprechende Kästchen ist nicht angekreuzt. Vielmehr ist in Ziffer 6.4 festgehalten, es erfolge eine Schlusszahlung für die gesamte vertragliche Leistung nach erfolgreicher Schlussabnahme. Damit besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, dass die Parteien durch die Vertragsgestaltung die einzelnen Bauteile als in sich abgeschlossene Teile der Leistung hätten bestimmen wollen.

Dem Beklagten mag zuzugeben sein, dass die genannten Punkte der Vertragsgestaltung jeweils für sich genommen nicht zwingend gegen eine in sich abgeschlossene Leistung sprechen. Allerdings ergibt sich bei der stets vorzunehmenden Gesamtschau ein deutliches Bild dahingehend, dass die Parteien keine in sich abgeschlossenen Leistungsteile begründen wollten. Demgegenüber ist es kein aussagekräftiges Indiz, dass es bislang nicht zu Teilabnahmen kam. Allerdings zeigt auch der Streit der Parteien über die angeblichen Mängel, dass die Leistungen zum Bauteil F gerade nicht eigenständig beurteilt werden können.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 08.12.2022 – 5 U 232/21

BayObLG: Die Vergabestelle ist verpflichtet, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu prüfen, ob die Angebote miteinander verbundener Unternehmen eigenständig und unabhängig voneinander erstellt worden sind

BayObLG: Die Vergabestelle ist verpflichtet, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu prüfen, ob die Angebote miteinander verbundener Unternehmen eigenständig und unabhängig voneinander erstellt worden sind

vorgestellt von Thomas Ax

Der Antragsteller zu 1) ist ein Kaufmann, der unter seiner im Handelsregister eingetragenen Firma auftritt, die Antragstellerin zu 2) eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Antragsteller zu 1) ist. Über das Vermögen des Antragstellers zu 1) ist mit Beschluss vom 1. November 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter hat mit Schreiben vom 1. Dezember 2019 den Betrieb der selbständigen Tätigkeit des Antragstellers zu 1) freigegeben. Die Angebote der beiden Antragsteller vom 27. Februar 2020 sind von derselben Person abgegeben worden, als Person des Erklärenden wurde jeweils der eingetragene Kaufmann (Antragsteller zu 1]) angegeben. Der Antragsteller zu 1) hat in seinem Angebot u. a. angegeben, über das Vermögen des Unternehmers sei ein Insolvenzverfahren weder beantragt noch eröffnet worden. Aufgrund der dringlichen Anordnung des Landrats des Antragsgegners vom 1. April 2020 ist den beiden Antragstellern mit Informationsschreiben vom 2. April 2020 jeweils mitgeteilt worden, ihre Angebote seien wegen Verstoßes gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs und wegen Wettbewerbsverfälschung ausgeschlossen worden, da sie von der gleichen Person gefertigt worden seien. Der Zuschlag solle – unter Zugrundelegung des Angebotspreises der Option 4 – auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden.

Die abgestimmten Angebote der Antragsteller sind zwingend auszuschließen, sodass der Beschluss der Vergabekammer in Ziffer 1. des Tenors aufzuheben und der Nachprüfungsantrag insoweit zurückzuweisen ist. Insoweit ist die zulässige sofortige Beschwerde des Antragsgegners, der sich die Beigeladene angeschlossen hat, begründet. § 97 Abs. 2 GWB steht einer Berücksichtigung dieser Angebote entgegen, die zwar getrennt abgegeben wurden, aber weder eigenständig noch unabhängig sind.

Dass die fakultativen Ausschlussgründe in § 124 GWB abschließend aufgezählt sind, bedeutet bei richtlinienkonformer Auslegung nicht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen stehen könnte. Bei miteinander verbundenen Bietern wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt, wenn man es zuließe, dass diese Bieter abgesprochene oder abgestimmte, d. h. weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote einreichen könnten (vgl. EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg Rn. 57 und 59).

Ein Ausschluss der Angebote der Antragsteller nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB kommt mangels einer Vereinbarung zwischen zwei Wirtschaftsteilnehmern, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielt, allerdings nicht in Betracht. Die Anwendung des Ausschlusstatbestandes nach Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d) der Richtlinie 2014/24/EU setzt zwingend eine Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei verschiedenen Wirtschaftsteilnehmern voraus (EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 49), was bei der Auslegung und Anwendung des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu berücksichtigen ist (vgl. Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 6. Aufl., Stand: 19. Dezember 2022, § 124 GWB Rn. 81.1).

Angesichts der zwischen den Antragstellern bestehenden Verbindungen besteht nach Auffassung des Senats keine Möglichkeit, dass sie derartige „Vereinbarungen“, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen, schließen. Entscheidend ist nicht, dass es sich bei den Antragstellern juristisch um zwei unterschiedliche Rechtssubjekte (§ 1 BGB, § 13 GmbHG) handelt, sondern dass auch für die Antragstellerin zu 2) die Willensbildung ausschließlich über den Antragsteller zu 1) möglich ist, der als Geschäftsführer deren Vertretungsorgan ist (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) und als Alleingesellschafter die Gesellschafterversammlung bestimmt (§§ 45 ff. GmbHG). Es ist nicht ersichtlich, dass hinsichtlich beider Angebote der Antragsteller ein anderer fakultativer Ausschlussgrund verwirklicht ist. Ob das Angebot des Antragstellers zu 1) nach § 124 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 8 GWB ausgeschlossen werden könnte, hat weder die Vergabekammer entschieden noch ist dies nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

Die in Umsetzung des Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in § 124 GWB normierten fakultativen Ausschlussgründe sind allerdings abschließend. In Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU sind die fakultativen Ausschlussgründe abschließend aufgezählt, mit denen der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren aus Gründen gerechtfertigt werden kann, die sich, gestützt auf objektive Anhaltspunkte, auf seine berufliche Eignung sowie auf einen Interessenkonflikt oder eine aus seiner Einbeziehung in die Vorbereitung dieses Verfahrens resultierende Wettbewerbsverzerrung beziehen (EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 54).

Damit in Einklang steht die nationale Rechtsprechung, die in den §§ 123124 GWB nach der Gesetzessystematik eine abschließende Regelung sieht (vgl. BGH, Urt. v. 3. Juni 2020, XIII ZR 22/19 – Vergabesperre, NZBau 2020, 609 Rn. 36; BayObLG, NZBau 2021, 755 m. w. N.). Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Angebote der Antragsteller, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung nicht berücksichtigt werden können, wenn sie nicht eigenständig und unabhängig abgegeben worden sind. Dass die fakultativen Ausschlussgründe in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU abschließend aufgezählt sind, bedeutet nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht, dass der in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25/EU bzw. in Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU vorgesehene Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen stehen könnte (EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 57).

Durch die Abgabe abgestimmter Angebote haben die miteinander verbundenen Bieter gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile (vgl. BayObLG, NZBau 2021, 755). Der Feststellung eines darüberhinausgehenden „spezifischen Unrechtselements“ bedarf es entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat seine frühere Rechtsprechung (Urt. v. 17. Mai 2018, Rs. C-531/16 – Specializuotas transportas, EuZW 2018, 702 Rn. 29 und 38) bestätigt und ausgeführt, bei miteinander verbundenen Bietern wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25/EU verletzt, wenn man es zuließe, dass diese Bieter abgesprochene oder abgestimmte, d. h. weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote einreichen könnten. Die – nach der zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von der Vergabestelle vorzunehmenden Prüfung (s. u. e]) getroffene – Feststellung, dass die Verbindungen zwischen den Bietern den Inhalt ihrer im Rahmen desselben Verfahrens eingereichten Angebote beeinflusst haben, genügt dafür, dass diese Angebote von der Vergabestelle nicht berücksichtigt werden dürfen, denn die Angebote müssen eigenständig und unabhängig abgegeben werden, wenn sie von miteinander verbundenen Bietern stammen (EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 59 und 62).

Ohne Erfolg wenden die Antragsteller ein, dem Gerichtshof der Europäischen Union sei die Zulässigkeit der Einreichung mehrerer Angebote durch einen Bieter nicht bewusst gewesen, ihm seien damit wesentliche, entscheidungserhebliche Aspekte des Falles verborgen geblieben und es sei davon auszugehen, dass der Gerichtshof die Vorlagefragen abweichend beantwortet haben könnte, wenn ihm die besondere Konstellation des Streitfalles bewusst gewesen wäre. Die Begründung der Antragsteller, ihre Angebote seien im streitgegenständlichen Verfahren wie mehrere – zulässige – (Haupt-)Angebote durch ein und denselben Bieter zu betrachten, sodass die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung nicht bestehe, ist im Vorlagebeschluss des Senats vom 24. Juni 2021 wiedergegeben (NZBau 2021, 755).

Ob die dieser Argumentation der Antragsteller zugrunde liegende Annahme zutrifft, ein Bieter hätte die beiden streitgegenständlichen Angebote zulässigerweise als zwei Hauptangebote abgeben können, ist zweifelhaft, bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung. Nach der nationalen Rechtsprechung kann ein Bieter zwar – unter bestimmten Voraussetzungen – mehr als ein Hauptangebot abgeben (vgl. BGH, Urt. v. 29. November 2016, X ZR 122/14 – Universitätsinstitut, NZBau 2017, 176 Rn. 12 [zur Auslegung, ob zwei Hauptangebote vorliegen]). Als zulässig angesehen wurde dies in Fällen, in denen der Auftraggeber durch die Gestaltung der Vergabeunterlagen inhaltlich verschiedene Hauptangebote veranlasst hat oder sonst dazu aufgefordert hat (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21. Oktober 2015, Verg 28/14NZBau 2016, 235 m. w. N.), insbesondere wenn ein Bieter aus vertretbaren Gründen im Unklaren war, ob die angebotene Leistung als mit den vorgegebenen Spezifikationen „gleichwertig“ angesehen werden wird, und zwei sich in technischer Sicht unterscheidende Angebote abgegeben hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9. März 2011, Verg 52/10 [zu § 9 Nr. 7, 8 und 10 und § 21 Nr. 2 VOB/A 2006]; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21. Oktober 2015, Verg 28/14NZBau 2016, 235; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1. Oktober 2012, Verg 34/12; OLG München, Beschl. v. 15. November 2013, Verg 13/13; Beschl. v. 29. Oktober 2013, Verg 11/13 [zustimmend, aber die Zulässigkeit von Doppelangeboten im konkreten Fall verneinend]). Dass mehrere Hauptangebote generell zulässig wären, ergibt sich aus dieser Rechtsprechung aber nicht (OLG Düsseldorf, NZBau 2016, 235 Rn. 114). § 13 EU Abs. 3 Satz 3 VOB/A und § 16 EU Nr. 6 und Nr. 8 VOB/A entsprechende Regelungen enthalten weder die VgV noch die SektVO.

Dass Bieter ihre Angebote eigenständig und unabhängig voneinander abgeben müssen und dies auch ungeachtet dessen gilt, ob ein Bieter zulässigerweise zwei sich nicht nur im Preis unterscheidende Hauptangebote abgeben kann, ist durch die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. September 2022, in der er seine frühere Rechtsprechung fortführt, in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt. Es handelt sich um unterschiedliche Konstellation und Fragestellungen. Von der Abgabe mehrerer in technischer Sicht voneinander abweichender Hauptangebote eines Bieters unterscheidet sich die abgestimmte Abgabe von jeweils einem Angebot mehrerer Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, dadurch, dass sie wie Konkurrenten auftreten, obwohl sie tatsächlich nicht miteinander konkurrieren. Für die letztgenannte Fallkonstellation hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des Auftrags an die Bieter entgegensteht, die ihre Angebote nicht eigenständig und unabhängig abgegeben haben. Dies gilt auch, wenn diese miteinander verbundenen Bieter zudem mehrere – nach der nationalen Rechtsprechung – zulässige Hauptangebote abgegeben haben. Auch wenn man die Zulässigkeit mehrerer Hauptangebote im Streitfall annähme, bezöge sich dies nur auf den jeweiligen einzelnen Bieter. Der Grundsatz der Gleichbehandlung steht zwar nach der – bisherigen – nationalen Rechtsprechung der Zulässigkeit mehrerer Hauptangebote eines Bieters nicht entgegen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9. März 2011, Verg 52/10; Beschl. v. 23. März 2010, Verg 61/09). Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass auch die Abgabe abgestimmter Angebote zulässig wäre. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union die Abgabe von zwei Hauptangeboten eines Bieters beurteilen würde, ist deshalb nicht entscheidungserheblich, auch wenn die Antragsteller in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23. Dezember 2022 zu suggerieren versuchen, sie hätten nicht parallel „als wirtschaftliche Einheit“ zwei Hauptangebote eingereicht, wenn die Einreichung mehrerer Hauptangebote desselben Bieters ausgeschlossen gewesen wäre (s. u. h]).

Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass miteinander verbundenen Unternehmen der Nachweis möglich sein muss, dass ihre Angebote eigenständig und unabhängig voneinander erstellt worden sind (vgl. EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 58; Specializuotas transportas, EuZW 2018, 702 Rn. 40; Urt. v. 19. Mai 2009, Rs. C-538/07 – Assitur, EuZW 2009, 550 Rn. 30; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. März 2022, Verg 28/21). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten, dass die Vergabestelle verpflichtet ist, eine Prüfung und Würdigung der Tatsachen vorzunehmen, um zu bestimmen, ob das Verhältnis zwischen zwei Einheiten den Inhalt der einzelnen im Rahmen eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens abgegebenen Angebote konkret beeinflusst hat, wobei die Feststellung eines solchen wie auch immer gearteten Einflusses ausreicht, um die betreffenden Einheiten von dem Verfahren ausschließen zu können (EuGH – Landkreis AichachFriedberg, Rn. 60 m. w. N.). Die Feststellung, dass die Verbindungen zwischen den Bietern den Inhalt ihrer im Rahmen desselben Verfahrens eingereichten Angebote beeinflusst haben, genügt dafür, dass diese Angebote von der Vergabestelle nicht berücksichtigt werden dürfen, denn die Angebote müssen eigenständig und unabhängig abgegeben werden, wenn sie von miteinander verbundenen Bietern stammen (EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 61 m. w. N.). Diese Erwägungen gelten erst recht für die Situation von Bietern, die nicht lediglich miteinander verbunden sind, sondern eine wirtschaftliche Einheit bilden (EuGH – Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 62 m. w. N.).

Dies ist ebenfalls in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt. Nicht geboten ist daher eine ergänzende Vorlage zu der Frage: „Sind Art. 36 Abs. 1 Richtlinie 2014/25/EU und Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU dahin auszulegen, dass sie einer Erteilung des Zuschlags an Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch dann entgegenstehen, wenn die Gefahr einer Beeinflussung des Wettbewerbs unter den Bietern dadurch nicht bestand[?]“

Der in § 97 Abs. 2 GWB normierte Grundsatz der Gleichbehandlung steht unter den vom Gerichtshof der Europäischen Union genannten Voraussetzungen (Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 60 und 63) der Berücksichtigung abgesprochener oder abgestimmter Angebote entgegen. Ohne Erfolg wenden die Antragsteller ein, die nationale Regelung enthalte keine Rechtsgrundlage für einen Angebotsausschluss und sei auch nicht richtlinienkonform erweiterbar. Die Antragsteller haben ihre Angebote nicht eigenständig und unabhängig abgeben. Sie behaupten dies auch nicht. Beide Angebote wurden von derselben natürlichen Person abgegeben, dem Antragsteller zu 1), der als Geschäftsführer und Alleingesellschafter auch in der Antragstellerin zu 2) die Leitungsmacht hat. Diese personelle Verflechtung hat sich auf die Erstellung der Angebote konkret ausgewirkt. Der Antragsgegner hat somit zu Recht die Angebote der Antragsteller ausgeschlossen.

BayObLG, Beschluss vom 11.01.2023 – Verg 2/21

VK Westfalen: Für die Antragsbefugnis genügt, wenn ein Schadenseintritt durch die geltend gemachte Rechtsverletzung ursächlich und nicht offensichtlich ausgeschlossen ist

VK Westfalen: Für die Antragsbefugnis genügt, wenn ein Schadenseintritt durch die geltend gemachte Rechtsverletzung ursächlich und nicht offensichtlich ausgeschlossen ist

vorgestellt von Thomas Ax

Nach § 160 Absatz 2 GWB hat der Antragsteller im Rahmen seines Nachprüfungsantrages darzulegen, dass er in seinen Rechten nach § 97 Absatz 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften verletzt ist und ihm dadurch ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Ausgehend von der Funktion der Antragsbefugnis im Sinne eines “groben Filters” sollen nur solche Anträge aus der Zulässigkeitsebene “ausgesiebt” werden, die offensichtlich unzulässig sind (vgl. schon und statt vieler: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 – Verg 10/12). Sinn und Zweck der Regelung des § 160 GWB ist zu verhindern, dass ein Bieter, der auch bei einem ordnungsgemäß durchgeführten Vergabeverfahren keine Zuschlagschancen hat oder dem kein Schaden droht, kein zuschlaghemmendes Nachprüfungsverfahren einleiten kann (vgl. BT-Drs. 13/9340). Deswegen ist erforderlich, dass der Antragsteller das Interesse am Auftrag und seine Rechtsverletzung nach § 97 Absatz 6 GWB sowie den eingetretenen Schaden schlüssig aufzeigt (vgl. hierzu grundlegend BGH, Beschluss vom 10.11.2009, X ZB 8/09 und Beschluss vom 31.01.2017, X ZB 10/16 m.w.N). Mit der Schlüssigkeit im vergaberechtlichen Sinne ist damit allerdings nicht die in einem Zivilprozess gemeinte Schlüssigkeit zu verstehen. Vielmehr ist dieser Begriff untechnisch gemeint, der einen weiteren Anwendungsbereich umfasst und dem heute herrschenden Möglichkeitsbegriff im Rahmen des § 42 Absatz 2 VwGO entspricht (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 01.09.2021, 17 Verg 2/21). Es genügt, wenn ein Schadenseintritt durch die geltend gemachte Rechtsverletzung ursächlich und nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. statt vieler BGH, Beschluss vom 10.11.2009, X ZB 8/09). Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 160 Absatz 2 GWB ist, dass der Antragsteller einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. statt vieler: VK Lüneburg, Beschluss vom 18.06.2021, VgK-17/2021). Hierbei sind an diese Voraussetzungen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004, 2 BvR 2248/04 sowie Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 107, Rn. 35 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. schon und statt vieler: BGH, Beschluss vom 29.06.2006, X ZB 14/06).

VK Westfalen, Beschluss vom 01.02.2023 – VK 1-49/22

VK Westfalen: Die Konzeptbewertung ist nachvollziehbar zu begründen und zu dokumentieren

VK Westfalen: Die Konzeptbewertung ist nachvollziehbar zu begründen und zu dokumentieren

vorgestellt von Thomas Ax

Bei der Wertung der Angebote und namentlich auch bei der Bewertung von Qualitätskriterien wie Konzepten genießt der öffentliche Auftraggeber einen Beurteilungsspielraum, der von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 04.04.2017 – X ZB 3/17, IBR 2017, 387 = VPR 2017, 121; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.03.2017 – Verg 39/16, IBR 2017, 328 = VPR 2017, 82, oder OLG München, Beschluss vom 17.09.2015 – Verg 3/15, IBRRS 2015, 2656 = VPRRS 2015, 0307). Dies setzt voraus, dass die Wertungen anhand der aufgestellten Zuschlagskriterien vertretbar, in sich konsistent und – ganz wesentlich – nachvollziehbar sind (vgl. etwa VK Bund, Beschluss vom 04.04.2022 – VK 2-24/22, IBRRS 2022, 1657 = VPRRS 2022, 0125). Die Nachvollziehbarkeit ist insbesondere im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens bedeutend und eng mit der gesetzlich statuierten Dokumentationspflicht verbunden. Nachvollziehbarkeit bedeutet, dass für die Nachprüfungsinstanzen nachverfolgbar ist, warum das ausgewählte Angebot unter den weiteren Angeboten, die ebenfalls als wertbar angesehen werden, als das wirtschaftlichste bewertet wurde. Diese Gründe müssen derart detailliert sein, dass ein mit dem jeweiligen Vergabeverfahren vertrauter Leser sie als fassbar erachtet. Der öffentliche Auftraggeber muss deswegen nach Eröffnung der Angebote seine maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten Details des jeweiligen Konzepts ausschlaggebend für die Punktevergabe gewesen sind. Die Begründung muss dazu alle Informationen enthalten, die notwendig sind, um die Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers nachvollziehen zu können (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 25.03.2021 – 13 Verg 1/21, IBR 2021, 317 = VPR 2021, 99, unter Verweis auf BGH, Beschluss vom 04.04.2017 – X ZB 3/17, IBR 2017, 387 = VPR 2017, 121).

VK Westfalen, Beschluss vom 01.02.2023 – VK 1-49/22

VK Westfalen: Es unterfällt dem Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers, wie er die Bewertung organisiert und strukturiert

VK Westfalen: Es unterfällt dem Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers, wie er die Bewertung organisiert und strukturiert

vorgestellt von Thomas Ax

Es unterfällt dem Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers, wie er die Bewertung organisiert und strukturiert (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.03.2021, Verg 34/20). Es ist Ausdruck des Bestimmungsrechts des Auftraggebers, die Kriterien für die Zuschlagserteilung zu bestimmen. Er kann festlegen, worauf es ihm bei dem zu vergebenden Auftrag ankommt und was er als wirtschaftlich ansieht. Dem Bestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers unterliegen sowohl die Kriterien, anhand derer die Angebote bewertet werden, als auch die Methode, wie ein Wertungsergebnis ermittelt wird. Das gewählte System muss aber in sich frei von logischen Widersprüchen und rechnerisch richtig umgesetzt sein (vgl. VK Mecklenburg-Vorpommer, Beschluss vom 20.12.2017, 1 VK 5/17). Auch darf die Methode unter Beachtung des Transparenz- und Wettbewerbsgrundsatzes nicht zu einer Abweichung von den zuvor festgelegten Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung führen. Der Auftraggeber darf daher insbesondere keine untaugliche Methode anwenden, seine Bewertungsmethode nicht auf sachwidrige Erwägungen stützen oder unzulässige Kriterien verwenden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.03.2021, Verg 34/20 m.w. N.). Dabei sind die öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich nach § 58 Absatz 3 VgV verpflichtet, entweder in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen die einzelnen Zuschlagskriterien und deren Gewichtung anzugeben. Der EuGH setzt als Maßstab für die Bewertung und Einstufung der Angebote an, dass bei der Bewertung keine Veränderung der bekannt gemachten Zuschlagskriterien oder ihrer Gewichtung erfolgen darf. Hingegen ist der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet, den potentiellen Bietern bereits in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen die Bewertungsmethode zur Kenntnis zu bringen (vgl. EuGH, Urteil vom 14.07.2016, Rs. C-6/15).

VK Westfalen, Beschluss vom 01.02.2023 – VK 1-49/22

OLG Nürnberg: Wird der Auftragnehmer vom Auftraggeber nicht als Generalunternehmerin beauftragt, haftet er nicht für solche Mängel, die von Unternehmen verursacht wurden, die der Auftraggeber mit einzelnen Gewerken direkt beauftragt hat

OLG Nürnberg: Wird der Auftragnehmer vom Auftraggeber nicht als Generalunternehmerin beauftragt, haftet er nicht für solche Mängel, die von Unternehmen verursacht wurden, die der Auftraggeber mit einzelnen Gewerken direkt beauftragt hat

vorgestellt von Thomas Ax

Die Klägerin wurde von den Beklagten nicht als Generalunternehmerin beauftragt und haftet daher nicht für etwaige Mängel, die von Unternehmen, die die Beklagten mit einzelnen Gewerken selbst direkt beauftragt haben. Als Generalunternehmer wird angesehen, wer die Durchführung sämtlicher zu einem Bauvorhaben erforderlichen Leistungen übernommen hat, die er dann selbst oder durch Subunternehmer ausführen kann. Im Verhältnis zum Besteller ist der Generalunternehmer ein Alleinunternehmer. Ist der beauftragte Unternehmer kein Generalunternehmer, hat er jedoch die Leistungen der anderen Unternehmen mit diesen abgesprochen oder diesen Unternehmen auf der Baustelle “Anweisungen” gegeben, belegt dies allenfalls, dass er sich um die Koordination der verschiedenen Gewerke auf der Baustelle tatsächlich gekümmert hat. Bearbeiten verschiedene Firmen auf einer Baustelle verschiedene Gewerke zeitgleich oder zeitlich ineinandergreifend, ist eine Abstimmung der am Bau Beteiligten erforderlich. Der Vollzug dieser notwendigen Abstimmung führt nicht dazu, dass daran mitwirkende Unternehmen dadurch zu Generalunternehmern werden, die den von anderen Unternehmern gegenüber dem Bauherrn geschuldeten Werkerfolg wie einen eigenen zu verantworten hätten (OLG Nürnberg, Urteil vom 24.09.2020 – 13 U 2287/18 -).

OLG Nürnberg, Beschluss vom 08.02.2022 – 13 U 1669/21

OLG Karlsruhe: Ob bei einem Vertrag über die Instandhaltung von Bauwerken das Werk für die Konstruktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch nach § 650a Abs. 2 BGB von wesentlicher Bedeutung ist, ist im Rahmen einer wertenden Betrachtung unter Rückgriff auf die Rechtsprechung zu § 638 BGB a.F. zu beurteilen

OLG Karlsruhe: Ob bei einem Vertrag über die Instandhaltung von Bauwerken das Werk für die Konstruktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch nach § 650a Abs. 2 BGB von wesentlicher Bedeutung ist, ist im Rahmen einer wertenden Betrachtung unter Rückgriff auf die Rechtsprechung zu § 638 BGB a.F. zu beurteilen

vorgestellt von Thomas Ax

Die durchgeführten Arbeiten umfassten den Anstrich der Außenfassade sowie die Oberflächenbehandlung von Hölzern im Außenbereich.

Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag ist als Bauvertrag nach § 650 a Abs. 2 BGB zu qualifizieren mit der Folge, dass § 650 f BGB Anwendung findet.

Ein Anspruch aus § 650 f BGB besteht bei allen Bauverträgen nach § 650 a BGB. Den Verträgen betreffend die Herstellung, Wiederherstellung, Beseitigung oder den Umbau eines Bauwerks, einer Außenanlage oder eines Teils davon (§ 650 a Abs. 1 BGB) sind nach § 650 a Abs. 2 BGB Verträge über bestimmte Instandhaltungsarbeiten gleichgestellt. Ein Vertrag über die Instandhaltung eines Bauwerks ist danach als Bauvertrag einzuordnen, wenn das Werk für die Konstruktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher Bedeutung ist.

Der Begriff der Instandhaltung orientiert sich dabei ausweislich der Gesetzesbegründung an § 2 Abs. 9 HOAI und erfasst mithin Maßnahmen zur Erhaltung des Soll-Zustands eines Objekts (vgl. BT-Drucksache 18/8486, S. 53; von Rintelen in: Messerschmidt / Voit, Privates Baurecht, 3. Auflage 2018, § 650 a BGB Rn. 102). Darunter fallen in erster Linie vorbeugende und konservierende Maßnahmen (vgl. Wirth/Galda in: Korbion / Mantscheff / Vygen, HOAI, 9. Auflage 2016 § 2 HOAI Rn. 26). Sie dienen in Abgrenzung zu Instandsetzungsmaßnahmen dem Erhalt und setzen nicht das Vorhandensein von Schäden voraus (vgl. Schwenker/Wessel in: Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 3. Auflage 2018, § 2 HOAI Rn. 11).

Da nach der Intention des Gesetzgebers nur Arbeiten, welche eine gewisse Erheblichkeit aufweisen, den Regelungen des Bauvertragsrechts unterfallen sollen, werden nicht alle Verträge über Instandhaltung von § 650 a Abs. 2 BGB erfasst. Zur Präzisierung des Anwendungsbereichs hat der Gesetzgeber in § 650 a Abs. 2 BGB die Begrifflichkeiten der Rechtsprechung zu § 638 Abs. 1 BGB a.F. zur Frage der Abgrenzung bloßer Pflege- und Renovierungsarbeiten zu Arbeiten an Bauwerken übernommen (vgl. von Rintelen in: Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 3. Auflage 2018, § 650 a BGB Rn. 155). Nach dieser Rechtsprechung ist von Arbeiten an Bauwerken dann auszugehen, wenn die Arbeiten für die Erneuerung oder den Bestand von wesentlicher Bedeutung sind (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 1973 – VII ZR 217/71 -, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 15. Februar 1990 – VII ZR 175/19 -, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom 16. Mai 1991 – VII ZR 296/90 -, juris Rn. 16). Daher bedarf es zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 650 a Abs. 2 BGB einer wertenden Betrachtung unter Rückgriff auf die bisherige Rechtsprechung zu § 638 Abs. 1 BGB a.F. (vgl. Lührmann in: Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Auflage 2021, § 650 a BGB Rn. 36; Reiter, Das neue Bauvertragsrecht, JA 2018, 161 ff.). Dienen die Instandhaltungsarbeiten nach diesem Maßstab der Erhaltung und / oder der Funktionsfähigkeit des Bauwerks, sind sie von wesentlicher Bedeutung (vgl. Merkle in: Gsell / Krüger / Lorenz / Reymann, Beck`scher Online-Großkommentar BGB, § 650 a BGB Rn. 88; Kniffka in: Kniffka / Koeble / Jurgeleit / Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020, Teil 2 Rn. 31). Es ist dann nach der Gesetzesbegründung regelmäßig von einem auf längerfristige Zusammenarbeit angelegten Vertrag auszugehen, der die Anwendung der Regeln über den Bauvertrag rechtfertigt (vgl. BT-Drucksache 18/8486, S. 53; Busche in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 650 a BGB Rn. 10).

Die von der Klägerin durchgeführten Arbeiten umfassten unstreitig den Anstrich der Außenfassade sowie die Oberflächenbehandlung von Hölzern im Außenbereich. Hierbei handelt es sich um Erhaltungsmaßnahmen, welche gemäß § 2 Abs. 9 HOAI als Instandhaltungsmaßnahmen einzustufen sind (vgl. Berger/Seifert in: Fuchs / Berger / Seifert, Beck`scher HOAI- und Architektenrechtskommentar, 2. Auflage 2020, § 2 HOAI Rn. 38).

Diese Arbeiten waren auch von wesentlicher Bedeutung für den Bestand und für den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Bauwerks.

Eine Außenwand bzw. Fassade prägt nicht nur das optische Erscheinungsbild des Gebäudes. Ihr kommen auch technische Funktionen, etwa der Schutz der Wandkonstruktion vor Durchfeuchtung zu (vgl. Bogusch in: Ganten / Kindereit, Typische Baumängel, 3. Auflage 2019, Teil D. Rn. 1 ff.). Es handelt sich mithin um ein für den Bestand des Bauwerks wichtiges Bauteil.

Soweit die Berufung ausführt, es habe sich um rein kosmetische Arbeiten gehandelt, welche nicht als wesentlich einzustufen seien, kann dem nicht gefolgt werden. Denn es lässt sich schon dem Angebot vom 26.02.2019 (Anlage K 3) entnehmen, dass sich die vor Vertragsschluss vorgesehenen Arbeiten nicht auf einen einfachen Anstrich beschränkten, sondern auch die Reparatur von Schäden des Untergrundes beinhalteten. Die Klägerin führte im Rahmen der Ausführung vor dem Anstrich auch unstreitig Reparaturarbeiten aus. Denn die Beklagten tragen im Rahmen ihrer Mängelrügen selbst vor, dass vor dem Anstrich von der Klägerin Setz- und Spannungsrisse in der Fassade verschlossen worden seien.

Die Arbeiten der Klägerin dienten mithin der Wiederherstellung der Funktion der Fassade, die Substanz des Hauses zu schützen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 1993 – VII ZR 180/92 –, juris Rn. 15). Entsprechende Arbeiten wurden schon unter der Geltung des § 638 Abs. 1 BGB a.F. als Leistungen an Bauwerken eingestuft (vgl. BGH, Urteil vom 08. Januar 1970 – VII ZR 35/68 –, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 16. September 1993 – VII ZR 180/92 –, juris Rn. 15). Anhaltspunkte dafür, dass derartige Instandhaltungsarbeiten nach Inkrafttreten des § 650 a Abs. 2 BGB nicht mehr von “wesentlicher Bedeutung” sein sollen, gibt es nicht. Vielmehr führt die Gesetzesbegründung explizit aus, dass Verträge zur Wartung von tragenden oder sonst für den Bestand eines Bauwerks wichtigen Teilen von § 650 a Abs. 2 BGB erfasst werden (vgl. BT-Drucksache 18/8486, S. 53).

Nicht entscheidend ist dagegen die konkrete Dauer der Leistungserbringung. Der Wortlaut des § 650 a Abs. 2 BGB knüpft – wie dargelegt – nur an die Bedeutung des Werks an, nicht an die Dauer der Leistungserbringung. Ein einschränkendes Verständnis lässt sich auch nicht der Gesetzesbegründung entnehmen. Zwar führt diese aus, dass mit den speziellen Regelungen dem “auf eine längere Erfüllungszeit angelegten” Bauvertrag Rechnung getragen werden solle (vgl. BT-Drucksache 18/8486, S. 2). Die Gesetzesbegründung definiert jedoch weder, ab welchem Zeitraum von einer “längeren Erfüllungszeit” ausgegangen werden soll, noch macht sie den Ablauf einer “längeren Erfüllungszeit” zur Voraussetzung für die Anwendung des § 650 a Abs. 2 BGB. Vielmehr ist die Anwendung der speziellen bauvertragsrechtlichen Regelungen nach der Gesetzesbegründung immer dann gerechtfertigt, wenn das Werk für die Konstruktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher Bedeutung ist, da dann davon auszugehen ist, dass es sich nach Vertragsdauer und -umfang um einen auf längerfristige Zusammenarbeit angelegten Vertrag handelt (vgl. BT-Drucksache 18/8486, S. 53). Eine Anknüpfung des Anwendungsbereichs des § 650 a Abs. 2 BGB an die konkrete Dauer der Leistungserbringung würde zudem in der Praxis zu kaum lösbaren Abgrenzungsproblemen führen, wie nicht zuletzt die Argumentation der Beklagten zeigt: Ist bei Vertragsabschluss eine Fertigstellung des Werks innerhalb eines kürzeren Zeitraumes vorgesehen, kommt es jedoch – sei es aufgrund von Nachtragsaufträgen, witterungsbedingter Ursachen oder vom Unternehmer zu vertretender Umstände – zu einer zeitlichen Verzögerung bei der Fertigstellung, hinge die rechtliche Qualifikation des Vertrages als Bau- oder Werkvertrag letztendlich von Zufälligkeiten und nicht von der Bedeutung der Arbeiten für das Bauwerk ab.

Die bei Vertragsschluss vorgesehenen und durchgeführten Arbeiten der Klägerin waren mithin von wesentlicher Bedeutung und fallen unter § 650 a Abs. 2 BGB. Ob darüber hinaus – wie von Beklagtenseite behauptet – von der Klägerin bei Ausführung der Arbeiten weitere Putzschäden verursacht worden sein sollen, ist für die rechtliche Qualifikation folglich unerheblich.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.12.2021 – 25 U 342/21

Dem Leerstand begegnen

Dem Leerstand begegnen

von Thomas Ax

Manche (leerstehende) kommunale Immobilie bietet sich als Kultur- und Kreativzentrum an. Diese Nutzungsvariante definiert sich aus sozio-kulturellen und kreativen Funktionen.

Mit einem analytischen und architektonischen Verständnis sowie einem Verständnis von Immobilienentwicklung vor dem Hintergrund vielfältiger Interessenten und Nutzer sind zunächst verbindliche Aussagen für weitere Entscheidungen im Sinne eines Gesamtprozesses zu erarbeiten. Neben der nachhaltigen Ausgestaltung eines Gesamtkonzepts und organisatorischen Fragen muss es gehen um die programmatische, bauliche und betriebswirtschaftliche Entwicklung als Kultur- und Kreativzentrum.

Eignung und Nutzungserschließung sind zu prüfen, Nutzungsvarianten sind zu ermitteln und zu klären, Gestaltungsparameter, Betrieb und Wirtschaftlichkeit, Vorschläge der Finanzierung sowie Fördermöglichkeiten sind zu betrachten. Dabei können sowohl neue Formate geschaffen als auch Umzugsvarianten bestehender Einrichtungen in Betracht gezogen werden. Bereits bestehende Angebotsformate in der Stadt müssen auf eine vollständige oder teilweise Neunutzung untersucht und bewertet werden.

Weitere Funktionsvarianten sind zu untersuchen und zu ermitteln.

Dazu können beispielsweise weitere Freizeit- und Vermittlungsangebote gehören z.B. unter Berücksichtigung digitaler Medien, wie einer Digitalwerkstatt, die für die Bürger und Bürgerinnen der Stadt zugänglich ist und als aktive Begegnungsfläche ein Experimentierraum für neue Entwicklungen und Methoden sein kann. Verschiedene Mottos und wechselnde Themenwelten können Teil der Nutzung sein. Darüber hinaus ist es denkbar, Funktionen wie eines kreativen Schülerlabors in Kooperation mit benachbarten Schulen zu installieren oder die Räumlichkeiten als eine Art Familienzentrum zu nutzen. Auch multifunktionale Varianten, also die Zusammenstellung verschiedener Funktionen oder temporär wechselnder Funktionen sind als mögliche Alternativen in den Blick zu nehmen. Die Ermittlung soll insgesamt unter Berücksichtigung des sozial-räumlichen Kontextes der Innenstadt sowie einer integrativen Betrachtung der bereits existierenden Funktionen erfolgen.

Nicht zu vergessen:

Zu erfolgen hat eine Investitions- und Folgekostenabschätzung.

Aufzuzeigen sind Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten für die bauliche Umsetzung der finalen Nutzungsvariante.

Zu skizzieren ist das Betreibermodell.

Das Betreibermodell kann dabei auch auf eine multifunktionale Nutzung durch verschiedene Akteure ausgerichtet sein.

Beispielsweise kann ein Teil der Nutzungen durch die Stadt gesteuert und verantwortet werden über eine Personalstelle einer zusätzlichen Projektförderung.

Entscheidend sind langfristige Betriebswirtschaftlichkeit und Verantwortlichkeit.

Der Weg:

Ausschreibung einer Machbarkeitsstudie

Zielstellung der Ausschreibung ist die Erstellung einer Machbarkeitsstudie/ Variantenuntersuchung zur Umnutzung des Gebäudes als kommunales Kultur- und Kreativzentrum.

Die zu ermittelnde zukünftige Nutzungsvariante soll sich in erster Linie aus sozio-kulturellen und kreativen Funktionen definieren. Mit einem analytischen und architektonischen Verständnis sowie einem Verständnis von Immobilienentwicklung vor dem Hintergrund vielfältiger Interessenten und Nutzer sowie unterschiedlicher potenzieller Investoren sollen hier Aussagen für weitere Entscheidungen im Sinne des skizzierten Gesamtprozesses und folgender Arbeitsphasen aussagekräftig erarbeitet werden. Neben der weiteren, nachhaltigen Ausgestaltung des Gesamtkonzepts und der organisatorischen Fragen geht es um die programmatische, bauliche und betriebswirtschaftliche Entwicklung des Kultur- und Kreativzentrums. Ziel der Beauftragung ist die Untersuchung auf Eignung und Nutzungserschließung, die Ermittlung und Prüfung der Nutzungsvarianten und der Gestaltungsparameter, die Erarbeitung des Bauherrenmodells und der Trägerschaft (Betrieb und Wirtschaftlichkeit), Vorschläge der Finanzierung sowie Angaben zu Fördermöglichkeiten.

Ausgeschrieben werden:

  • Ermittlung der Funktionen/Inhalte für das Kultur- und Kreativzentrum
  • Entwicklung von Nutzungsvarianten einschließlich zeichnerischer Skizzen/ Gremienpräsentation
  • Erarbeitung einer Raumplanung Vorzugsvariante sowie zeitliche Umsetzungsplanung
  • Erarbeitung einer Investitions- und Folgekostenabschätzung sowie Ermittlung von Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten/ Betreibermodellen für Vorzugsvariante


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