Ax Vergaberecht

VergMan ® für Bieter – Erfüllung der Rügeobliegenheit (1) Widersprüchlichkeit der Vergabeunterlagen ist erkennbar

VergMan ® für Bieter – Erfüllung der Rügeobliegenheit (1) Widersprüchlichkeit der Vergabeunterlagen ist erkennbar

von Thomas Ax

Der Verstoß der Widersprüchlichkeit einer Angabe gemäß Bekanntmachung, Leistungsbeschreibung und Vertragsentwurf einerseits und Angebotsformular und Preisblatt andererseits ist erkennbarer Vergabeverstoß.

Nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Vergaberechtsverstöße, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Die Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ist objektiv zu bestimmen. Eine die Rügeobliegenheit auslösende Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ist – immer bezogen auf den konkreten Einzelfall – zu bejahen, wenn der Verstoß von einem durchschnittlichen fachkundigen Bieter des angesprochenen Bieterkreises bei üblicher Sorgfalt und üblichen Kenntnissen erkannt werden kann (Senat, Beschl. v. 03.04.2019 – Verg 49/18; Beschl. v. 26.07.2018 – Verg 23/18; Beschl. v. 28.03.2018 – Verg 54/17, und Beschl. v. 15.01.2020 – Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn 37). Dabei muss sich die Erkennbarkeit sowohl auf die den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen (Dicks, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 160 Rn 49).

In Bezug auf die zu rügenden Vergaberechtsverstöße, welche sich aus den Vergabeunterlagen ergeben (§ 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB) ist für eine Präklusion mithin erforderlich, dass der Inhalt der Unterlagen bei laienhafter rechtlicher Bewertung, also ohne Bemühung besonderen Rechtsrats, auf einen Vergaberechtsverstoß hindeutet. Das setzt regelmäßig voraus, dass die Rechtsvorschriften, gegen die verstoßen wird, zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der beteiligten Bieterkreise gehören (Senat, Beschl. v. 26.07.2018 – Verg 23/18; Beschl. v. 15.01.2020 – Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn 37; OLG München, Beschl. v. 22.10.2015 – Verg 5/15). Eine Rügepräklusion kommt damit in der Regel nur für auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhende und ins Auge fallende Rechtsverstöße in Betracht (vgl. Dicks, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 160 Rn 49). Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem durchschnittlich erfahrenen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebotes beziehungsweise seiner Bewerbung auffallen muss (Senat, Beschl. v. 03.08.2011 – Verg 16/11, ZfBR 2021, 72, 74).

Hat die Antragstellerin den in den Vergabeunterlagen enthaltenen Widerspruch darüber hinaus erkannt, muss er innerhalb der Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB von 10 Tagen gerügt werden.

Der Vergabesenat bei dem OLG Düsseldorf hat sich in neuer Besetzung zu der Frage geäußert, OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.06.2023 – 27 U 4/22, ob die Informations- und Wartepflicht nach § 134 GWB Vergaben unterhalb der Schwellenwerte erfasst.

Von der Redaktion - Der Vergabesenat bei dem OLG Düsseldorf hat sich in neuer Besetzung zu der Frage geäußert, OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.06.2023 - 27 U 4/22, ob die Informations- und Wartepflicht nach § 134 GWB Vergaben unterhalb der Schwellenwerte erfasst.

„Gemäß § 106 Abs. 1 GWB gilt der die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen betreffende Teil 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nur für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweils festgelegten Schwellenwerte erreicht oder überschreitet. Der hier nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 lit. d der Vergaberichtlinie 2014/24/EU einschlägige Schwellenwert bei öffentlichen Dienstleistungsaufträgen betreffend soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne von Anhang XIV der Richtlinie, wozu Dienstleistungen im juristischen Bereich gehören, beträgt 750.000 Euro. Dieser ist vorliegend unstreitig bei weitem nicht erreicht.“

Auch für eine entsprechende Anwendung des § 134 GWB im Unterschwellenbereich sei kein Raum.

„Dabei kann dahinstehen, ob die Vorschrift als kartellvergaberechtliche Sondervorschrift ohnehin nicht analogiefähig ist (so KG, Urteil vom 7. Januar 2020, 9 U 79/19, NZBau 2020, 680 Rn. 10 m. w. Nw., entgegen Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 134 GWB Rn. 161), da eine analoge Anwendung des § 134 GWB mit Blick auf die in der Diskussion des Entwurfs der Unterschwellenvergabeordnung erkannte und diskutierte Problematik der Informations- und Wartepflicht im Unterschwellenbereich jedenfalls nunmehr mangels planwidriger Regelungslücke ausscheidet (OLG Celle, Urteil vom 9. Januar 2020, 13 W 56/19, NZBau 2020, 679 Rn. 24). Eine planwidrige Regelungslücke erfordert ein unbeabsichtigtes Abweichen des Gesetzgebers von seinem dem konkreten Gesetzgebungsverfahren zugrunde liegenden Regelungsplan (BGH, Urteil vom 17. März 2022, III ZR 79/21, NZM 2022, 340 Rn. 38), das vorliegend nicht gegeben ist.“

Die seit dem 9. Juni 2018 auch von den Vergabestellen des Landes Nordrhein-Westfalen anzuwendende Unterschwellenvergabeverordnung vom 2. Februar 2017 kenne keine vorgelagerte Informations- und Wartepflicht.

„Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 UVgO unterrichtet der Auftraggeber jeden Bewerber und jeden Bieter unverzüglich über den Abschluss einer Rahmenvereinbarung oder die erfolgte Zuschlagserteilung. Die UVgO sieht also nur eine nachgelagerte Unterrichtung über den bereits erfolgten Abschluss beziehungsweise die Zuschlagserteilung vor (so selbst Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 134 GWB Rn. 169). Von einer § 134 GWB entsprechende Informations- und Wartepflicht ist nach Diskussion gerade abgesehen worden (vgl. Gerlach in Heiermann/Zeiss/Summa, juris-PK-Vergaberecht, 6. Aufl. 2022, Vorbemerkung UVgO Rn. 14). Auch von der Möglichkeit, landesgesetzlich eine Verpflichtung zur Mitteilung vor Zuschlagserteilung zu schaffen (vgl. Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 134 GWB Rn. 169), hat das das Land Nordrhein-Westfalen trotz dieser Diskussion und anders als eine Reihe anderer Länder gerade keinen Gebrauch gemacht, weshalb eine planwidrige Regelungslücke nicht gegeben ist.“

Die Schaffung einer Vorabinformations- und Wartepflicht als besondere Vorkehrung für die Durchsetzung von Primärrechtsschutz auch im Unterschwellenbereich sei auch nicht aufgrund des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich geboten.

„Es liegt im gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum, das Interesse des Auftraggebers an einer zügigen Ausführung der Maßnahmen und das des erfolgreichen Bewerbers an alsbaldiger Rechtssicherheit dem Interesse des erfolglosen Bieters an Primärrechtsschutz vorzuziehen und Letzteren regelmäßig auf Sekundärrechtsschutz zu beschränken. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht dazu verpflichtet, eine auch faktisch realisierbare Möglichkeit eines Primärrechtsschutzes im Vergaberecht in der Gestalt einer Pflicht der vergebenden Stelle zu einer rechtzeitigen Information der erfolglosen Bieter zu schaffen, wie sie für Auftragsvergaben oberhalb der Schwellenwerte besteht (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006, 1 BvR 1160/03, NJW 2006, 3701 Rnrn. 71 ff, Rn. 74).“

Es könne vorliegend dahinstehen, ob sich eine Informations- und Wartepflicht im Interesse vollständigen Rechtsschutzes aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben kann, wie dies der Senat in einem Orbiter Dictum zu seinem Urteil vom 13. Dezember 2017, 27 U 25/17, unter Verweis auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichts erster Instanz vertreten hat (NZBau 2018, 168 Rn. 17), da eine Binnenmarktrelevanz vorliegend nicht gegeben ist.

„Ein hierfür erforderliches grenzüberschreitendes Interesse bei Unterschwellenvergaben, das zu prüfen Sache des öffentlichen Auftraggebers ist, wobei Kriterien der Auftragswert und der Ausführungsort (EuGH, Urteil vom 15. Mai 2008, Rs. C-147/06 und Rs. C-148/06, ECLI:EU:C:2007:711, NZBau 2008, 453 Rnrn. 30, 31 – SECAP), aber auch Besonderheiten des betroffenen Marktes sind (Dörr in Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, Einleitung, C. Europäisches Vergaberecht Rn. 186), hat der Beklagte zu Recht verneint. Hierfür ist allein die Grenzlage Nordrhein-Westfalens nicht ausreichend. Das Auftragsvolumen liegt nur bei gut einem Viertel des Schwellenwerts. Zudem setzt die nachgefragte Dienstleistung eine Qualifikation gerade im nationalen Recht voraus.“

„Im Übrigen wären die Rahmenverträge selbst bei Annahme einer aus einem Gebot vollständigen Rechtsschutzes abzuleitenden Informations- und Wartepflicht analog § 134 GWB nicht nichtig, da aus Zuwiderhandlungen gegen diese, allein die Beklagte verpflichtenden Regelung keine Nichtigkeit eines gleichwohl abgeschlossen Vertrages folgt.“

§ 134 BGB ordne für ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nicht ausnahmslos Nichtigkeit an.

„Während festgestellte Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts ohne weiteres zu dessen Nichtigkeit führt (§ 138 BGB), macht § 134 BGB diese Rechtsfolge davon abhängig, dass sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt. § 134 BGB kann deshalb nicht ohne Rückgriff auf das verletzte Verbot angewendet werden. Ordnet diese Regelung selbst eine Rechtsfolge an, ist sie maßgeblich; fehlt – wie vorliegend – eine verbotseigene Rechtsfolgenregelung, so sind Sinn und Zweck des verletzten Verbots entscheidend. Dies erfordert eine normbezogene Abwägung, ob es mit dem Sinn und Zweck des Verbots vereinbar oder unvereinbar wäre, die durch das Rechtsgeschäft getroffene Regelung hinzunehmen beziehungsweise bestehen zu lassen (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1999, X ZR 34/98, NJW 2000, 1186, 1187).“

Für die nach § 134 BGB gebotene Abwägung sei wesentlich, ob sich das betreffende Verbot an alle Beteiligten des Geschäfts richtet, das verhindert werden soll, oder ob das Verbot nur eine Partei bindet. Sind beide Teile Adressaten des Verbots, kann regelmäßig angenommen werden, das verbotswidrige Geschäft solle keine Wirkungen entfalten.

„Richtet sich das Verbot dagegen nur gegen eine Partei, ist regelmäßig der gegenteilige Schluss berechtigt. Diese unterschiedliche Bewertung kommt bereits in den “Motiven zu dem Entwurf eines BGB” zum Ausdruck (Bd. I, S. 210), entspricht seit dem Beschluss der Vereinigten Zivilsenate des Reichsgerichts vom 17. März 1905 der Rechtsprechung und ist auch vom Bundesgerichtshof seiner ständigen Rechtsprechung zugrunde gelegt worden (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1999, X ZR 34/98, NJW 2000, 1186, 1187). Ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, dessen Vornahme nur einem Beteiligten verboten ist, ist daher in der Regel gültig (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013, KZR 66/12, NVwZ 2014, 807 Rn. 107).“

Nichtigkeit nach § 134 BGB trete dann nur ein, wenn einem solchen einseitigen Verbot ein Zweck zu Grunde liegt, der die Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts erfordert, weil er nicht anders als durch dessen Annullierung zu erreichen ist und die getroffene Regelung nicht hingenommen werden kann (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013, KZR 66/12, NVwZ 2014, 807 Rn. 107; BGH, Urteil vom 14. Dezember 1999, X ZR 34/98, NJW 2000, 1186, 1187).

„Eine Informations- und Wartepflicht analog § 134 GWB wäre daher schon aus Rechtsgründen nicht geeignet, eine Nichtigkeit eines unter Verstoß gegen sie erteilten öffentlichen Auftrags zu begründen.

Das aus der Informations- und Wartepflicht zu folgernde Kontrahierungsverbot wäre nur ein einseitiges, den öffentlichen Auftraggeber bindendes Verbotsgesetz, bei dem ein Verstoß nur dann zur Nichtigkeit führen würde, wenn es mit Sinn und Zweck des Verbotes nicht vereinbar wäre, die durch das Geschäft getroffene Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen. Dies ist nicht der Fall. Es würde einen in keiner Weise nachvollziehbaren Wertungswiderspruch darstellen, wenn im Kartellvergaberecht die Verletzung der dort nach § 134 GWB bestehenden Informations- und Wartepflicht nur nach den aus Gründen der Rechtssicherheit einschränkenden Vorgaben des § 135 GWB geltend gemacht werden könnte, während bei den unterschwelligen Aufträgen entsprechende Rechtsgeschäfte allgemein nach § 134 BGB nichtig wären. Zudem würden hier schutzwürdige Belange des Auftragnehmers, den die Informations- und Wartepflicht gerade nicht trifft, missachtet. Die Unwirksamkeitsfolge würde einen schwerwiegenden Eingriff in seine durch den Vertragsschluss mit dem öffentlichen Auftraggeber begründete Vertragsposition darstellen, der auch unter grundrechtlichen Gesichtspunkten jedenfalls ohne – hier, anders als im Kartellvergaberecht mit § 135 GWB – fehlende gesetzgeberische Rechtsgrundlage kaum zu rechtfertigen wäre (KG, Urteil vom 7. Januar 2020, 9 U 79/19, NZBau 2020, 680 Rn. 12, Rn. 14; Senatsbeschluss vom 2. Mai 2022, 27 W 1/22).“

Und dann:

„Soweit der erkennende Senat in einem Obiter Dictum zu seinem Urteil vom 13. Dezember 2017, 27 U 25/17, eine Nichtigkeit des unter Verstoß gegen eine ungeschriebene Informations- und Wartepflicht bei Unterschwellenvergaben geschlossenen Vertrages gemäß § 134 BGB für konsequent erachtet hat (NZBau 2018, 168 Rn. 18), hält er daran vor dem Hintergrund der vorgenannten Wertungswidersprüche in vollständig neuer personeller Besetzung und in Fortführung seiner bereits mit Beschluss vom 2. Mai 2022, 27 W 1/22, geänderten Rechtsprechung nicht fest. Der in Art. 19 Abs. 4 GG wurzelnde Grundsatz der Gewährleistung tatsächlich wirksamer gerichtlicher Kontrolle erfordert nicht zwingend die Gewährleistung von Primärrechtsschutz. Eine Kompensation kann auch über Schadensersatz erfolgen. Dass der mit Erteilung des Zuschlages zustande gekommene Vertrag wirksam und daher die Erlangung von Primärrechtsschutz nicht mehr möglich ist, hat auch das Bundesverfassungsgericht nicht infrage gestellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03, NVwZ 2004, 1224, 1226; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. November 2010, 1 S 107/10, NVwZ-RR 2011, 293, 294).“

Auch ein Verstoß gegen die primärrechtlichen Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gebiete – Binnenmarktrelevanz unterstellt – nicht die Nichtigkeit des Vertrags.

„Das Unionsrecht sieht auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge keine allgemeine Regel vor, nach der die Rechtswidrigkeit einer Handlung in einem bestimmten Stadium des Verfahrens zur Rechtswidrigkeit aller späteren Handlungen in diesem Verfahren führen und ihre Aufhebung rechtfertigen würde (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, Rs. C-518/17, ECLI:EU:C:2018:757, BeckRS 2018, 22236 Rn. 57 – Rudigier). Soweit der Unionsgesetzgeber keine spezifische Bestimmung in Bezug auf einen Verstoß vorgesehen hat, ist eine entsprechende Regelung Angelegenheit des nationalen Rechts. In Ermangelung einer näheren unionsrechtlichen Verfahrensregelung zur Durchsetzung eines Rechts ist es nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes einzelnen Mitgliedstaats, die Verfahrensmodalitäten zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, Rs. C-518/17, ECLI:EU:C:2018:757, BeckRS 2018, 22236 Rnrn. 60, 61 – Rudigier).“

Dementsprechend habe auch das Europäische Gericht erster Instanz seine Vergabeanforderung einer Informations- und Wartepflicht, auf die sich der Senat in seinem Orbiter Dictum vom 13. Dezember 2017 im Rahmen der Begründung einer solchen Pflicht auch im Unterschwellenbereich gestützt hat, gerade damit begründet, dass dem abgelehnten Bieter eine angemessene Frist bis zur Unterzeichnung des Vertrags verbleiben muss, um die Zuschlagsentscheidung überprüfen zu können (EuG, Urteil vom 20. September 2011, Rs. T-461/08, ECLI:EU:T:2011:494, BeckRS 2011, 81495 Rn. 121), was die Annahme einer Wirksamkeit des unterzeichneten Vertrags bedingt.  

…“

Damit ist diese Frage anscheinend endgültig geklärt.

Viel Freude beim Lesen unseres aktuellen Heftes!

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OLG Bamberg: Sehr erfolgreiche Vertretung und Beratung durch AxRechtsanwälte: Berufung gegen die Stadt Karlstadt im Brückenstreit steht vor Zurückweisung

OLG Bamberg: Sehr erfolgreiche Vertretung und Beratung durch AxRechtsanwälte: Berufung gegen die Stadt Karlstadt im Brückenstreit steht vor Zurückweisung

In der mündlichen Verhandlung vom 22.6. hat das OLG Bamberg in Anwesenheit des 1. Bürgermeisters der Stadt Karlstadt Hombach und des Projektverantwortlichen bei der Stadt Karlstadt Krajewski angekündigt, die Berufung gegen das für die Stadt Karlstadt erfolgreiche Urteil des LG Würzburg zurückzuweisen.

Die Beteiligten:

Stadt Karlstadt, vertreten durch d. 1. Bürgermeister, Zum Helfenstein 2, 97753 Karlstadt

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte AX Rechtsanwälte, Rechtsanwalt Dr. Thomas Ax, Uferstraße 16, 69151 Neckargemünd

gegen

1) ARGE Mainbrücke, vertr.d.d. Max Streicher GmbH & Co. KG a.A., vertr.d.d. Max Streicher Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. KG, d.v.d.d. Max Streicher Geschäftsführungsgesellschaft mbH, vertr.d.d. GF, Schwaigerbreite 17, 94469 Deggendorf

– Beklagte –

2) MAX STREICHER GmbH & Co.KGaA, vertr.d.d. Max Streicher Beteiligungsges. mbH & Co. KG, d.v.d.d. Max Streicher Geschäftsführungsgesellschaft mbH, vertr.d.d. GF, Schwaigerbreite 17, 94469 Deggendorf,

– Beklagte –

3) SEH Engineering GmbH, vertreten durch d. Geschäftsführer, Hackethalstraße 4, 30179 Hannover

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 – 3:

Rechtsanwälte Göhmann, Landschaftstraße 6, 30159 Hannover,

Prozessbevollmächtigte zu 1:

Rechtsanwälte Göhmann Rechtsanwälte, Abogados Advokat Steuerberater Partnerschaft mbB, Landschaftstraße 6, 30159 Hannover


Der Gegenstand des Streits:

Die Stadt Karlstadt begehrt Kostenvorschuss für eine Mangelbeseitigung im Zusammenhang mit der Neuerrichtung einer Brücke (Karolingerbrücke) über den Main auf dem Gebiet der klagenden Gemeinde Karlstadt.

Mit dem als Anlage K 1 vorgelegten Schreiben vom 20.12.2002 erteilte die Vergabestelle der Klägerin, vertreten durch den damaligen 1. Bürgermeister Karl-Heinz Keller, den Beklagten den Auftrag für das Bauvorhaben „Gemeindeverbindungsstraße zwischen der St. 2435 und der B 26 hier:

Los 4-Mainbrücke“ unter Bezugnahme auf deren Angebot vom 06.05.2002.

Aus dem als Anlage K 19 vorgelegten Schreiben der Bietergemeinschaft vom 06.05.2002 ergibt sich, dass dem Angebot ein Sondervorschlag, ein Nebenangebot sowie eine Variante zum Nebenangebot beigefügte war.

Im technischen Erläuterungsbericht zum Behördenentwurf heißt es dort unter anderem:

„Das Korrosionsschutzsystem der Außen- und Innenflächen der Hohlkästen erfolgt gemäß Ausschreibung. Unser Angebot berücksichtigt, dass der letzte Deckanstrich auf der Baustelle nach Betonieren der Fahrbahnplatte aufgebracht wird. Dies entspricht dem Stand der Technik. Allerdings lassen sich bei dem Korrosionsschutzverfahren die von Ihnen in Ihrer Baubeschreibung genannten maximalen Standzeiten von einem Monat zwischen den einzelnen Deckbeschichtungen nicht einhalten.“

Unter Ziffer II. hat die Bietergemeinschaft ein Nebenangebot „Offener Querschnitt“ unterbreitet das einen Überbau als offenen Querschnitt mit zwei parallelen Trägern als torsionsweichen Doppel-T-Querschnitt vorsah. Weiter heißt es dort:

„Wie beim Behördenentwurf sehen wir auch bei unserem Nebenangebot das dargestellte Montagekonzept vor. Der von uns bewertete Korrosionsschutzaufbau entspricht dem der Ausschreibung. Hier gilt die unter Punkt 1 dargelegte Einschränkung hinsichtlich der maximalen Standzeit von einem Monat zwischen Werks-Korrosionsschutz und letztem Deckanstrich“.

Das Nebenangebot wurde sodann beauftragt. Der Bau der streitgegenständlichen Mainbrücke erfolgte in den Jahren 2002-2005. Gemäß der als Anlage K2 vorgelegten Niederschrift erfolgte eine Teilabnahme am 08.12.2005.

Der Korrosionsschutz erfolgte, wie vertraglich vorgesehen, auf Epoxidharz/Polyurethanharz Grundlage, wobei die Grundbeschichtung sowie die 1. und 2. Deckbeschichtung im Werk ausgeführt wurden während die letzte Deckbeschichtung der gesamten Stahlkonstruktion auf der Baustelle erfolgte.

In der Baubeschreibung heißt es unter Ziffer 19.2.20 Beschichtung Stahlüberbau unter anderem, dass die Korrosionsschutzarbeiten nach ZTV-Kor 92 durchzuführen sind und unter „Deckbeschichtung“:

„Die Deckbeschichtungen sind möglichst frühzeitig aufzubringen. Bei einer Standzeit über 2 Monate ist die Grundbeschichtung vor dem Aufbringen der 1. Deckbeschichtung zu reinigen, bei einer Standzeit von mehr als 6 Monaten leicht anzustrahlen und zu entstauben, um auch die Haftung zu gewährleisten. […] Standzeiten über einem Monat zwischen den einzelnen Deckbeschichtungen sind nicht zulässig.“

Aus der vertraglich vereinbarten ZTV-Kor 92 ergibt sich unter Ziffer 4. 4.2:

„Zwischenreinigung

(1) vor dem Aufbringen von Folgebeschichtungen ist sicherzustellen, dass die Oberfläche frei ist von Verunreinigungen durch Verschmutzungen und durch zwischenzeitlich angelagerte Salzbelege aus atmosphärischer Einwirkung oder Tausalz.

(2) Insbesondere nach langer Zwischenstandzeit (z.B. witterungsbedingt, längere Montagezeit) hat der Auftragnehmer zu prüfen, in welchem Umfang eine Reinigung erforderlich ist. Die Art der Reinigung in Abhängigkeit vom Ergebnis der Prüfung bedarf der Genehmigung des Auftraggebers.

(3) Bei länger bewitterten oder stark verunreinigten feuerverzinkten Oberflächen ist eine Reinigung erforderlich. Zur Verbesserung der Haftfestigkeit nachfolgender Beschichtungen kann ein leichtes Überblasen mit Strahlmitteln (Sweep-Strahlen) notwendig sein.“

Die streitgegenständliche Deckbeschichtung wurde von der Firma Massenberg GmbH als Subunternehmerin ausgeführt. Mit dem als Anlage B 12 vorgelegten Schreiben hat die Fa. Massenberg GmbH ihrem Auftraggeber Bedenken hinsichtlich der langen Standzeiten angemeldet.

Zur Ermittlung des erforderlichen Oberflächenvorbereitungsverfahrens der zwischenbewitterten Epoxidharz-Teilbeschichtung vor Ausführung der Deckbeschichtung hat die Firma Massenberg GmbH das Institut für Stahlbau Leipzig GmbH (ISL) beauftragt. Aus der als Anlage K 6 vorgelegten Stellungnahme des ISL vom 19.05.2005 ergibt sich unter anderem, dass sich zum Zeitpunkt der Prüfung im Maximalfall Zwischenstandzeiten von 19 Monaten ergeben hatten, nachdem der vorhandene Korrosionsschutz im Zeitraum 2003 bis April 2004 in der Werkstatt aufgebracht worden war. Die Zusammenfassung der Ergebnisse der durchgeführten Prüfungen zeigt sowohl bei Teilbereiche A Sweepen und Abkehren als auch bei Teilbereiche B Sweepen und Hochdruckwasserstrahlen jeweils eine gute Haftung bzw. einen guten Haftverbund während sich in Teilbereiche C Hochdruck Wasserstrahlen bei der Gitterschnittprüfung an 3 Einzelprüfstellen eine schlechte Haftung und bei der Kreuzschnittprüfung an 4 Einzelprüfstellen eine ausreichende bis schlechte Haftung ergeben hatte.

Zusammenfassend kommt das ISL zum Ergebnis, dass die Vorbereitung der Oberfläche ohne weitere zusätzliche Maßnahmen durch Hochdruckwasserstrahlen erfolgen kann.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die als Anlage K6 vorgelegte Stellungnahme des ISL vom 19.05.2005 ergänzend verwiesen.

Die Reinigung wurde sodann durch die Firma Masseberg GmbH mittels Hochdruckwasserstrahlen durchgeführt. Dem als Anlage vorgelegten Überwachungsbericht des RWTÜV vom 25.05.2005 ist hierzu unter anderem zu entnehmen:

„Die nach der 2. Zwischenbeschichtung mit Hochdruckwasserstrahlen gereinigten Flächen wurden durch den RWTÜV und in Teilbereichen durch den Anwendungstechniker der Firma Lacor überprüft und für die Applikation der Deckbeschichtung freigegeben.“

Dem genannten Überwachungsbericht ist unter Ziffer 3. zu entnehmen, dass der schriftliche Bericht des Instituts für Stahlbau Leipzig noch nicht vorlag.

Im Zuge der Brücken-Hauptprüfung vor Ablauf der Gewährleistung wurde festgestellt, dass sich die letzte Deckbeschichtung an mehreren Stellen abgelöst hatte. Es ergäben sich, so der Prüfingenieur Koller in dem genannten Bericht vom 26.11.2010 (Anlage K4) Hinweise auf eine zu geringe Haftung der Deckbeschichtung zur Zwischenbeschichtung.

Mit dem als Anlage K5 vorgelegten Schreiben vom 02.12.2010 wurde die Arge Mainbrücke unter Bezugnahme auf § 13 Nummer 5 VOB/B unter Beifügung des Prüfberichts vom 26.11.2010 zur Mangelbeseitigung aufgefordert.

Der Aufforderung zur Beseitigung der Mängel kam die Beklagte zu 1 nicht nach.

Mit Schriftsatz vom 28.07.2011 hat die Stadt Karlstadt die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zur Ursache der Haftungsprobleme der Deckbeschichtung zur Zwischenbeschichtung der Karolingerbrücke in Karlstadt beantragt. Mit Beschluss vom 03.11.2011 wurde antragsgemäß ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Mit der Gutachtenserstattung wurde das Institut für Korrosionsschutz Dresden GmbH beauftragt. Der Sachverständige Dr. Schütz erstattete am 03.08.2012 ein schriftliches Gutachten (Bl. 63 ff der beigezogenen Akte 12 OH 1460/11), eine ergänzende Stellungnahme vom 04.06.2013 (Bl. 176 ff d.A.) sowie eine zweite ergänzende Stellungnahme vom 26.09.2013, schließlich wurde der Sachverständige mündlich gehört (Sitzungsniederschrift vom 22.05.2014, Bl. 248 ff d.A.). Mit Beschluss vom 09.07.2014 wurde das Selbständige Beweisverfahren für beendet erklärt (Bl. 287 ff d.A.).

Die Stadt Karlstadt trägt im Wesentlichen vor:

Auch nach Anhörung des Sachverständigen im Rahmen des durchgeführten selbstständigen Beweisverfahrens sei aus Sicht der Stadt Karlstadt noch keine abschließende Klarheit über die Mangelursache geschaffen worden. Im Zuge der Begutachtung habe der Gutachter nämlich festgestellt, dass neben dem Abblättern eine Porosität der obersten Deckschicht vorliege.

Die Stadt Karlstadt gehe davon aus, dass auch die Porosität eine grundständige Sanierung des Anstriches erforderlich mache und nicht lediglich ein Ausbessern der bisher vereinzelt festgestellten Schadensstellen für ausreichend gehalten werden könne. Das Schadensbild verschlechtere sich fortlaufend. Die Deckbeschichtung könne regelrecht abgezogen werden und sei äußerst porös.

Die Beklagten seien mehrfach zur Mängelbeseitigung aufgefordert worden. Sie seien jedoch zu uneingeschränkter Mängelbeseitigung nicht bereit.

Der Klageanspruch ergebe sich aus § 13 VOB/B 2000. Die erbrachte Leistung sei mangelhaft, sodass die Beklagten zu Mangelbeseitigung verpflichtet seien. Dabei sei zur Sanierung die schlecht haftende letzte Deckbeschichtung vollständig zu entfernen. Die Beklagten hätten nicht die erforderliche Reinigungsqualität der Oberfläche hergestellt. Hierzu seien sie jedoch verpflichtet gewesen. Fehler bei der Ermittlung des erforderlichen Reinigungsverfahrens gingen ebenso wenig zulasten der Stadt Karlstadt wie Fehler bei der Durchführung eines ordentlich ermittelten Reinigungsverfahren selbst. Die Beklagte zu 1 hätte nicht davon ausgehen dürfen, dass lediglich Hochdruckwasserstrahlen als Reinigungsverfahren ausreichen würde. Diesen Eindruck hätte die Beklagte zu 1 auch nicht der Stadt Karlstadt so vermitteln dürfen. Die fehlerhafte Annahme, dass lediglich Hochdruckwasserstrahlen als Reinigungsverfahren ausreiche, beruhe auf einer unzureichenden Auswertung eines unzureichenden Gutachtens. Aus dem Leistungsverzeichnis und der Baubeschreibung ergebe sich, dass Standzeiten über einem Monat zwischen den einzelnen Deckbeschichtung nicht zulässig gewesen seien.

Soweit die Beklagte zu 1 von den von der Stadt Karlstadt angenommenen Bauverfahren im Rahmen eines Nebenangebots abgewichen sei, gehe dies zu Lasten der Beklagten zu 1. Die Beklagte zu 1 sei jedenfalls vertraglich verpflichtet gewesen, die Maßgaben der ZTV-Kor zu berücksichtigen.

Danach sei bei langen Zwischenabständen zu prüfen, in welchem Umfang eine Reinigung erforderlich sei.

Das Ergebnis einer beklagtenseits beauftragten gutachterlichen Betrachtung, wonach Hochdruckwasserstrahlen ausreichend sei, sei der Stadt Karlstadt erst nach der Ausführung der Arbeiten vorgelegt worden.

Zwar komme der dortige Gutachter Herr Diplom-Ingenieur Gelhaar zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass zur Vorbereitung der Oberfläche Hochdruckwasserstrahlen ausreichend sei. Dies habe jedoch mit den Feststellungen im Gutachten nichts zu tun. Auch der Beklagten zu 1 hätte auffallen müssen, dass eben gerade nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden durfte, dass die Vorbereitung der Oberfläche ohne weitere zusätzliche Maßnahmen durch Hochdruckwasserstrahlen erfolgen habe können. Der Gutachter habe sich nicht ausreichend mit seinen eigenen Prüfergebnissen auseinandergesetzt.

Für die maßgeblichen Teilbereiche C Hochdruckwasserstrahlen habe der Sachverständige im Bereich der Gitterschnittprüfung an 3 Einzelprüfstellen schlechte Haftung festgestellt. Der Gutachter setzte sich nicht einmal ansatzweise mit den Werten und Befunden im Bereich der Kreuzschnittprüfung auseinander. Auch der Beklagten zu 1 hätte auffallen müssen, dass eben gerade nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden konnte, dass die Vorbereitung der Oberfläche ohne weitere zusätzliche Maßnahmen durch Hochdruckwasserstrahlen erfolgen habe können.

Hätte die Beklagte zu 1 der Stadt Karlstadt das Gutachten vor Ausführung der Deckbeschichtung zur Kenntnis gegeben, hätte die Stadt Karlstadt die Beklagte zu 1 zu einer sachgerechten Auseinandersetzung mit den Feststellungen des Gutachters aufgefordert.

So sei das Gutachten erst per E-Mail Anhang am 20.05.2011 von der Beklagten übersandt worden. Die Stadt Karlstadt hätte ohne eine fundierte Auseinandersetzung mit den kritischen Befunden die Vorbereitung der Oberfläche nur durch Hochdruckwasserstrahl nicht genehmigt. So habe sich die Beklagte zu 1 auf eigenes Risiko trotz deutlicher Anhaltspunkte für eine unzureichende Zwischenreinigungsmethode entschieden. Bezeichnend dabei sei, dass der Stadt Karlstadt das Gutachten vorenthalten worden sei und erst nach mehrfacher Aufforderung am 20.05.2011 vorgelegt worden sei. Hätte man die Stadt Karlstadt ordentlich ins Bild gesetzt, hätte die Stadt Karlstadt das Hochdruckwasserstrahlen nicht akzeptiert. Die Stadt Karlstadt hätte sich in diesem Fall nur mit dem sicheren Verfahren des Sweepens einverstanden erklärt. Dass die Stadt Karlstadt das Verfahren akzeptiert habe, bedeute nicht, dass sie insoweit das Risiko habe übernehmen wollen. Es bleibe bei der vertraglichen Risikoverteilung. Die Beklagte zu 1 hafte für die sich aus der langen Standzeit der Beschichtung ergebenden Risiken. Die mutmaßlichen Nachbesserungskosten beliefen sich auf insgesamt 947.756,00 € netto wie sich aus dem Angebot, Anlage K 23, ergebe.

Das LG Würzburg hat daraufhin die Beklagte wie folgt verurteilt.

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Stadt Karlstadt 760.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.11.2014 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, einen über den Betrag Ziffer 1. hinausgehenden Betrag zur Mangelbeseitigung an die Stadt Karlstadt zu zahlen, soweit dieser Betrag hierfür nicht ausreichend ist.

In der mündlichen Verhandlung vom 22.6. hat das OLG Bamberg in Anwesenheit des 1. Bürgermeisters der Stadt Karlstadt Hombach und des Projektverantwortlichen bei der Stadt Karlstadt Krajewski angekündigt, die Berufung gegen das für die Stadt Karlstadt erfolgreiche Urteil des LG Würzburg zurückzuweisen.

Eine Entscheidung wird für den 13.7. erwartet.

Kurz belichtet: BayObLG, Beschluss vom 26.05.2023 – Verg 2/23

Kurz belichtet: BayObLG, Beschluss vom 26.05.2023 - Verg 2/23

vorgestellt von Thomas Ax

Objektiv fehlerhaften Eigenerklärungen kommt kein Beweiswert zu. Sie können nicht Grundlage der vom Antragsgegner vorzunehmenden Eignungsprüfung sein. Das Angebot eines Bieters ist nach § 57 Abs. 1 Hs. 1 VgV zwingend auszuschließen, wenn er infolge einer objektiv fehlerhaften Eigenerklärung seine Eignung nicht nachweisen kann.

Kurz belichtet: BayObLG, Beschluss vom 08.02.2023 – Verg 17/22

Kurz belichtet: BayObLG, Beschluss vom 08.02.2023 - Verg 17/22

vorgestellt von Thomas Ax

Es steht dem (öffentlichen) Auftraggeber frei, einem Tragwerksplaner den Auftrag für die Leistungsphasen 2 und 3 zu beauftragen, ohne ihn auch mit der Grundlagenermittlung (Leistungsphase 1) zu betrauen, auch wenn es sich dabei um einen den weiteren Leistungsphasen notwendig vorangehenden Entwicklungsschritt handelt. Sind die von einem Tragwerksplaner im Rahmen der Leistungsphase 1 zu erbringenden Leistungen nicht Gegenstand der Ausschreibung, muss der künftige Auftragnehmer derartige Leistungen auch nicht erbringen. Sollte sich im Stadium der Leistungserbringung herausstellen, dass notwendige Vorleistungen für die Ausführung der ausgeschriebenen Leistungen der Leistungsphase 2 fehlen, ist der beauftragte Tragwerksplaner gehalten, deren Erbringung vom Auftraggeber einzufordern und – falls sich seine eigenen Leistungen dadurch verzögern sollten – Behinderung anzuzeigen.

Hohe Anforderungen an das Erfordernis der äußerst dringlichen und zwingenden Gründe

Hohe Anforderungen an das Erfordernis der äußerst dringlichen und zwingenden Gründe

von Thomas Ax

Nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV kann der öffentliche Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nicht offene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind. Dabei dürfen die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dem öffentlichen Auftraggeber nicht zuzurechnen sein. Diese Voraussetzungen für eine Dringlichkeitsvergabe waren vorliegend bei Vergabe des Auftrags an die Beigeladene erfüllt.

Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb hat Ausnahmecharakter, weshalb die entsprechenden Vorschriften als Ausnahme von den Vorschriften, die die Wirksamkeit der im Gemeinschaftsrecht anerkannten Rechte im Bereich des öffentlichen Auftragswesens gewährleisten sollen, eng auszulegen sind (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2009, C-275/08, NZBau 2010, 63 Rnrn. 54, 55). Wegen des Gefahrenpotenzials für Wettbewerb, Gleichbehandlung der Bieter und Transparenz in Vergabeverfahren kommt das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb, bei dem nach § 134 Abs. 3 Satz 1 GWB auch die Bieterinformation entfällt, nur in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen in Betracht (Senatsbeschluss vom 10. Juni 2015, Verg 39/14, NZBau 2015, 572 Rn. 18).

Für die Dringlichkeitsvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV, der Art. 32 Abs. 2 lit. c der Vergaberichtlinie 2014/24/EU umsetzt, müssen drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2009, C-275/08, NZBau 2010, 63 Rn. 68). Es müssen ein unvorhersehbares Ereignis, dringliche und zwingende Gründe, die die Einhaltung der in anderen Verfahren vorgeschriebenen Fristen nicht zulassen, und ein Kausalzusammenhang zwischen dem unvorhersehbaren Ereignis und den sich daraus ergebenden dringlichen, zwingenden Gründen gegeben sein (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2009, C-275/08, NZBau 2010, 63 Rn. 69). Der öffentliche Auftraggeber darf die bestehende Dringlichkeitssituation folglich nicht durch Nachlässigkeit selbst herbeigeführt haben. Die Auffassung, ein Auftraggeber könne sich auf die Dringlichkeit auch dann berufen, wenn er sie verursacht habe, ist abzulehnen (Senatsbeschlüsse vom 29. Februar 2012, Verg 75/11, BeckRS 2012, 8570, und vom 10. Juni 2015, Verg 39/14 (NZBau 2015, 572 Rn. 18 – Feldlager Mazar-e-Sharif); sie steht nicht im Einklang mit § 14 Abs. 4 Nr. 3 Halbsatz 2 VgV und Art. 32 Abs. 2 lit c. Satz 2 der Vergaberichtlinie, wonach die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dem öffentlichen Auftraggeber nicht zuzurechnen sein dürfen. Ob für Vergaben im Bereich der Daseinsvorsorge vor dem Hintergrund Funktionsgewährleistungspflicht nach Art. 14 AEUV anderes zu gelten hat, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

An das Erfordernis der äußerst dringlichen und zwingenden Gründe werden hohe Anforderungen gestellt (BayObLG, Beschluss vom 20. Januar 2022, Verg 7/21 NZBau 2022, 172 Rn. 62; OLG Celle, Beschluss vom 24. September 2014, 13 Verg 9/14, NZBau 2014, 784 Rn. 34; Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, VgV § 14 Rn. 58). Vorausgesetzt ist eine drohende gravierende Beeinträchtigung für die Allgemeinheit und die staatliche Aufgabenerfüllung für den Fall, dass ein reguläres Vergabeverfahren durchgeführt würde (BayObLG, Beschluss vom 20. Januar 2022, Verg 7/21 NZBau 2022, 172 Rn. 62). Hierzu gehören akute Gefahrensituationen und Fälle höherer Gewalt, die zur Vermeidung von Schäden für Leib und Leben der Allgemeinheit ein sofortiges, die Einhaltung von Fristen ausschließendes Handeln erfordern (OLG Celle, Beschluss vom 24. September 2014, 13 Verg 9/14, NZBau 2014, 784 Rn. 55; Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, VgV § 14 Rn. 62). Dabei trägt der öffentliche Auftraggeber nach dem Grundsatz, dass derjenige, der sich auf eine Ausnahme berufen will, die Feststellungslast dafür, dass die die Ausnahme rechtfertigenden außergewöhnlichen Umstände tatsächlich vorliegen (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2009, C-275/08, NZBau 2010, 63 Rn. 56). Bei der Feststellung der Eilbedürftigkeit der Beschaffung ist ihm allerdings ein Beurteilungsspielraum zuzuerkennen, dessen Ausübung nach allgemeinen Grundsätzen von den Vergabenachprüfungsinstanzen lediglich darauf zu überprüfen ist, ob er die Entscheidung auf der Grundlage eines zutreffend ermittelten Sachverhalts getroffen und diese nicht mit sachfremden Erwägungen, sondern willkürfrei sowie in Übereinstimmung mit hergebrachten Beurteilungsgrundsätzen begründet hat. Doch müssen die für eine Dringlichkeit herangezogenen Gründe objektiv nachvollziehbar gegeben sein (Senatsbeschluss vom 10. Juni 2015, Verg 39/14, NZBau 2015, 572 Rn. 18).

Dsbzgl Erwägungen der Vergabestelle sind nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 VgV im Vergabevermerk zu dokumentieren. Insoweit reicht es jedoch aus, die wesentlichen Aspekte niederzulegen. Die Vergabestelle muss nicht jedes Detail ihrer Überlegungen festhalten, eine solche Anforderung würde den zumutbaren Rahmen eines Vergabeverfahrens sprengen (OLG München Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13, BeckRS 2013, 7174). Verbleibende Dokumentationsmängel sind heilbar und können durch nachgeschobenen Vortrag der Antragsgegnerin im Verfahren geheilt werden (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015, Verg 28/14, BeckRS 2015, 18210 Rn. 175). Es kann der Vergabestelle nicht unter dem Gesichtspunkt fehlender Dokumentation verwehrt werden, weitere Umstände oder Gesichtspunkte vorzutragen, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung außerdem nachträglich verteidigt werden soll (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011, X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 Rn. 73 – Abellio Rail).

Antragsbefugnis bei unzulässiger nationaler Vergabe?

Antragsbefugnis bei unzulässiger nationaler Vergabe?

von Thomas Ax

Nach § 160 Abs. 2 GWB sind nur solche Unternehmen antragsbefugt, denen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Da das Nachprüfungsverfahren kein abstraktes Instrument zur Fehlerkontrolle ist, sondern dem Individualrechtsschutz dient, kann ein Nachprüfungsantrag eines am Auftrag interessierten Marktteilnehmers nur dann erfolgreich sein, wenn Vergabefehler eine Beeinträchtigung seiner Bieterrechte nach sich ziehen (OLG Thüringen, Beschluss vom 12. April 2012, 2 Verg 2/12, Rn. 116; OLG München, Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13, BeckRS 2013, 7174).

Ein Schaden droht, wenn der Antragsteller im Fall eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte (BGH, Beschluss vom 10. November 2009, X ZB 8/09, NZBau 2010, 124 Rn. 32), wenn also die Aussichten dieses Bieters auf die Erteilung des Auftrags zumindest verschlechtert worden sein können (BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564, 565; Senatsbeschluss vom 10. Februar 2021, Verg 23/20, BeckRS 2021, 21311 Rn. 26).

Das ist regelmäßig der Fall, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren nicht ohne Weiteres durch Zuschlag beendet werden darf, und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 10. November 2009, X ZB 8/09, NZBau 2010, 124 Rn. 32). An die Darlegung des entstandenen oder drohenden Schadens sind deshalb keine sehr hohen Anforderungen zu stellen (Senatsbeschlüsse vom 10. Februar 2021, Verg 23/20, BeckRS 2021, 21311 Rn. 26, und vom 30. September 2020, Verg 15/20).

Erst wenn eine Verschlechterung der Zuschlagschancen durch den geltend gemachten Vergaberechtsverstoß offensichtlich ausgeschlossen ist, ist der Nachprüfungsantrag mangels Antragsbefugnis unzulässig (Senatsbeschlüsse vom 10. Februar 2021, Verg 23/20, BeckRS 2021, 21311 Rn. 26, und vom 30. September 2020, Verg 15/20).

So kann der Umstand, dass die Absicht der Vergabe des Auftrags nicht europaweit, sondern nur national ausgeschrieben wurde, dann unbeachtlich sein, wenn der Antragsteller sich am Verfahren beteiligen konnte (OLG München, Beschluss vom 11. April 2013, Verg 3/13, BeckRS 2013, 7174) und sein Angebot gegenüber dem der Beigeladenen schon aus anderen Gründen chancenlos war, weil seine Auftragschancen durch den gerügten Vergabeverstoß dann nicht geschmälert wurden (Senatsbeschluss vom 1. August 2012, Verg 10/12, BeckRS 2012, 18205).

Nichtigkeit des Vertrages nach § 138 BGB wegen Verstoßes gegen Vergabevorschriften im Nachprüfungsverfahren?

Nichtigkeit des Vertrages nach § 138 BGB wegen Verstoßes gegen Vergabevorschriften im Nachprüfungsverfahren?

von Thomas Ax

Zwar lässt § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB die Nichtigkeitsfolgen unberührt, die sich aus der Anwendung von Vorschriften des Allgemeinen Teils des BGB ergeben (Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage 2021, GWB § 168 Rn. 39). Da das Vergabeverfahren nur bei wirksamer Zuschlagserteilung einer Nachprüfung entzogen ist, hindert die Zuschlagserteilung die Prüfung und Entscheidung der Vergabekammer beziehungsweise des Vergabesenats dann nicht, wenn der Vertrag nach § 134 oder § 138 BGB nichtig ist (Antweiler in Burgi/Dreher, Beck`scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, GWB § 168 Rn. 50). So ist das Nachprüfungsverfahren dann nicht durch einen der Beigeladenen erteilten Zuschlag erledigt, wenn dieser etwa wegen Verstoßes gegen das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 GWB gemäß § 134 BGB nichtig ist (BGH, Beschluss vom 10. November 2009, X ZB 8/09, NZBau 2010, 124 Rn. 21). Entsprechendes gilt bei einem wegen Verstoßes gegen das für notifizierungspflichtige Beihilfen geltende Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 AEUV gemäß § 134 BGB nichtigen Vertrag (BGH, Beschluss vom 12. November 2019, XIII ZB 120/19, NZBau 2020, 179 Rn. 36).

Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Dabei sind nicht nur der objektive Inhalt des Geschäfts, sondern auch die Umstände, die zu seiner Vornahme geführt haben, und die von den Parteien verfolgten Absichten und Beweggründe im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, wobei es genügt, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt oder sich dieser Kenntnis grob fahrlässig verschließt, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt (BGH, Urteil vom 10. Oktober 1997, V ZR 74/96, NJW-RR 1998, 590, 591).

Hierfür reicht ein schlichter Verstoß gegen vergaberechtliche Bestimmungen nicht aus.

Aus dem Verstoß gegen Vorschriften, die allein für das Vergabeverfahren relevant sind, ergibt sich grundsätzlich keine Vertragsnichtigkeit (OLG Celle, Beschluss vom 24. Oktober 2019, 13 Verg 9/19, NZBau 2020, 535 Rn. 60; Steck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, GWB § 168 Rn. 28). Ansonsten liefe die in § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB zum Ausdruck gekommene Wertentscheidung des Gesetzgebers, im Interesse der Rechtssicherheit den geschlossenen Vertrag auch dann wirksam zu lassen, wenn das Vergabeverfahren rechtswidrig war, das zum Zuschlag geführt hat, ebenso leer, wie die Regelung der Feststellung der Unwirksamkeit nach § 135 GWB.

Vielmehr bedarf es bei Rechtsgeschäften, bei denen nicht der Vertragspartner benachteiligt, sondern die eine Vertragspartei mit der anderen zum Nachteil eines Dritten abschließt, für die Annahme einer Nichtigkeit einem entsprechenden Bewusstsein bei beiden Vertragspartnern (vgl. zur Gläubigerbenachteiligung: BGH, Urteil vom 23. April 2002, XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359, 1361/62). Dementsprechend kann etwa ein Vertrag sittenwidrig und damit nichtig sein, wenn er ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens vergeben wird und der öffentliche Auftraggeber in bewusster Missachtung des Vergaberechts handelt, also entweder weiß, dass der betreffende Auftrag dem Vergaberecht unterfällt oder sich einer solchen Kenntnis mutwillig verschließt, auch kollusiv mit dem Auftragnehmer zusammenarbeitet (OLG Celle, Beschluss vom 24. Oktober 2019, 13 Verg 9/19, NZBau 2020, 535 Rn. 60; OLG Saarbrücken, Urteil vom 17. August 2016, 1 U 159/14, BeckRS 2016, 16273 Rn. 57).

Es kann sein, dass auch jenseits eines kollusiven Zusammenwirkens eine Vertragsnichtigkeit anzunehmen ist, wenn die Vergabe mehrere Verstöße gegen Grundwerte und -prinzipien des Vergaberechts von erheblichem Gewicht mit Auswirkungen auf Dritte sowie die Allgemeinheit aufweist (so OLG Brandenburg, Urteil vom 16. Dezember 2015, NZBau 2016, 184 Rn. 34).

Ba-wü Landesregierung: Vergabe von öffentlichen Aufträgen an junge und innovative Unternehmen erleichtern

Ba-wü Landesregierung: Vergabe von öffentlichen Aufträgen an junge und innovative Unternehmen erleichtern

Die ba-wü Landesregierung will die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an junge und innovative Unternehmen erleichtern. Liefer- und Dienstleistungen sollen bis zu einem Auftragswert von 100.000 Euro plus Umsatzsteuer ohne ein Vergabeverfahren an Start-ups vergeben werden können. Die Haushaltsgrundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit müssten aber weiterhin beachtet werden. Bislang dürfen staatliche Aufträge nur bis zu einem Wert von 5000 Euro direkt vergeben werden. Ministerpräsident Winfried Kretschmann: «Wir wollen und müssen alle Wege öffnen, um Innovationen in unsere Verwaltung zu bringen. Deshalb brauchen wir im öffentlichen Sektor effektive Hebel, um neue Ideen, die Lösungen für die Zukunft parat haben, schnell und effektiv zu fördern». Staatliche Investitionen, die gezielt junge Unternehmen mit disruptiven Ansätzen in den Blick nähmen, könnten Türöffner sein und Impulse setzen, die dann auch in der Privatwirtschaft Resonanz fänden. Die neue Regelung soll demnach in einem dreijährigen Pilotprojekt erprobt und anschließend evaluiert werden. Bis wann die Vorschrift geändert werden soll, war nicht bekannt. Das Staatsministerium war für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen.

Nachgefragt … (3) Änderung der Vergabeunterlagen vor und nach Ablauf der Angebotsfrist

Nachgefragt … (3) Änderung der Vergabeunterlagen vor und nach Ablauf der Angebotsfrist

Thomas Ax: Während vor Ablauf der Angebotsfrist der Auftraggeber die Vergabeunterlagen unproblematisch ändern kann und den Bietern neue Angebotsfristen gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 VgV einräumt, ist eine später erfolgende Änderung im Wege einer Teilaufhebung der Ausschreibung, die der Korrektur eines zuvor begangenen Fehlers dient, durchzuführen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Januar 2015, VII-Verg 29/14). Der öffentliche Auftraggeber muss vor dem Schritt zur (Voll-)Aufhebung stets die Möglichkeit der Aufrechterhaltung oder Heilung des Vergabeverfahrens prüfen. Auch eine bereits erfolgte Submission im Offenen Verfahren schließt eine Fehlerkorrektur nicht aus (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Mai 2017, VII-Verg 43/16; Beschluss vom 12. Januar 2015, VII-Verg 29/14). Dass eine solche Rückversetzung grundsätzlich auch nach Submission zulässig sein muss, ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass im Wege des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB eine Fehlerkorrektur durch Rückversetzung durch die Vergabekammer vorgegeben werden kann. Sehr häufig ist es in diesen Fallkonstellationen bereits zu einer Angebotsabgabe gekommen, eine Zuschlagsentscheidung zumeist gefallen und gemäß § 134 GWB mitgeteilt worden. Eine durch den öffentlichen Auftraggeber selbst eingeleitete Fehlerkorrektur, ohne dass es beispielsweise nach einer Rüge zu einem Nachprüfungsverfahren kommt, muss daher gleichermaßen möglich sein und stellt auch verfahrensökonomisch das mildere Mittel dar. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Vergabeverfahren sogar dann noch aufrechterhalten, wenn ein Aufhebungsgrund nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 VgV besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. September 2022, VII-Verg 55/21). Die Entscheidung über die weitere Vorgehensweise zur Fehlerkorrektur steht im Ermessen des Auftraggebers und hat insoweit für den Einzelfall zu erfolgen. Eine Pflicht zur Aufhebung aufgrund einer abstrakten Manipulationsgefahr nach Submissionstermin – wie die Antragstellerin meint – scheidet mithin aus, vielmehr sind die konkreten Umstände des Vergabeverfahrens zu berücksichtigen. Die Entscheidung des Auftraggebers unterliegt im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) der uneingeschränkten Kontrolle der Nachprüfungsinstanzen.

Ax Vergaberecht
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