Ax Vergaberecht

VergabeManagement – VergMan ® Bau: Entscheidungen im Volltext

VergabeManagement - VergMan ® Bau: Entscheidungen im Volltext

Sofern für einzelne Leistungsbestandteile ein eigener funktionierender Markt existiert und die Leistungserbringung nicht aus einer Hand erfolgen muss, erfolgt die Beschaffung losweise.
Die Beantwortung der Frage, ob technische oder wirtschaftliche Gründe es im Sinne des Gesetzes “erfordern”, von einer Losbildung abzusehen, setzt eine Bewertung voraus. Dabei steht dem Auftraggeber wegen der dabei anzustellenden prognostischen Überlegungen eine Einschätzungsprärogative zu.
Die Frage, ob gemäß § 97 Abs. 4 GWB Fachlose zu bilden sind, ist für jede in Betracht kommende Leistung getrennt zu beantworten. Das bedeutet zum einen, dass die “wirtschaftlichen oder technischen Gründe”, die die Norm verlangt, sich auf die jeweilige Leistung beziehen müssen, die für eine getrennte Losvergabe in Betracht kommt. Globale, also das gesamte Vorhaben betreffende Überlegungen können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie auch und gerade die jeweilige Leistung erfassen. Andererseits ist damit auch klar, dass die Entscheidung über die Bildung eines Fachloses für eine bestimmte Leistung keine Aussage darüber trifft, ob auch für andere Leistungen Fachlose zu bilden sind, oder ob der “Rest” des geplanten Projekts einheitlich vergeben werden kann.
Gründe, die im Verantwortungsbereich des Auftraggebers liegen, können grundsätzlich keine Gesamtvergabe rechtfertigen. Die Sicherstellung ausreichender Personalkapazitäten liegt im Verantwortungsbereich des Antragsgegners. Steigende Personalkosten auf Grund von notwendigen Neueinstellungen können daher grundsätzlich keine Gesamtlosvergabe begründen.
Das Vergaberecht sieht grundsätzlich keine “Flucht ins vergabefreie Privatrecht” vor, indem viele Leistungen “gesamt” an einen Auftragnehmer vergeben werden, damit dieser dann, ohne dem Vergaberecht unterworfen zu sein, die einzelnen Leistungsbestandteile an Nachunternehmer vergibt.
VK Westfalen, Beschluss vom 13.08.2021 – VK 3-26/21 (nicht bestandskräftig)

Gründe

I.

Der Antragsgegner schrieb im offenen Verfahren durch Bekanntmachung vom 23.04.2021 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union unter der Nummer 2021/… Betreuungsdienstleistungen in den Zentralen Unterbringungseinrichtungen (nachfolgend “ZUE”) und Erstaufnahmeeinrichtungen (nachfolgend “EAE”) des Landes Nordrhein-Westfalen aus. Insgesamt umfasst die Ausschreibung zehn Lose, wobei streitgegenständlich nur drei Lose Nr. 7 “ZUE N…”, Nr. 8 “ZUE W…” und Nr. 10 “S…” sind.

Ausweislich der Auftragsbekanntmachung sollen Dienstleistungen für die Organisation und Betreuung vergeben werden. Die Leistungen, die als Gesamtlos vergeben werden sollen, umfassen insbesondere folgende Bereiche:

– Organisation der ZUE/EAE,

– Soziale Betreuung,

– Sanitätsstation,

– Freizeitgestaltung,

– Kinderbetreuung,

– Mobiliar und Ausstattung,

– Körperpflegeartikel,

– Wascheinrichtungen,

– Kleiderkammer,

– Verpflegung,

– Reinigung,

– Hausmeister,

– Winterdienst und Grünpflege, – Auszahlung des Taschengeldes.

Die Antragstellerin ist ein Catering-Unternehmen. Sie ist derzeit – u.a. auch als Nachunternehmerin – für die Verpflegung in einigen Flüchtlingsunterkünften im Land Nordrhein-Westfalen tätig.

Aktuell wird der Betrieb der Betrieb der ZUE und EAE des Landes Nordrhein-Westfalens von jeweils einem Betreuungsdienstleister pro Einrichtung organisiert und koordiniert. Die Betreuungsdienstleister erbringen darüber hinaus teilweise auch Leistungen des vorstehend genannten Leistungskatalogs selbst. Für andere Bereiche setzen sie Nachunternehmer ein. Die Betreuungsdienstleister fungieren dabei auch als zentrale Ansprechpartner für den Antragsgegner und die Flüchtlinge. Außerdem sind in den ZUE und EAE dezentrale Beschwerdestellen für die Flüchtlinge installiert, die nicht in den Verantwortungsbereich der Betreuungsdienstleister fallen und von Dritten geführt werden. Die Beschwerdestellen sind für die Entgegennahme, Zusammenstellung und ggf. Aufbereitung von Beschwerden der Geflüchteten verantwortlich, nicht aber für die Lösung der Beschwerde selbst.

Mit Schreiben vom 26.04.2021 rügte die Antragstellerin ein aus ihrer Sicht bestehenden Verstoß gegen das vergaberechtliche Gebot der Bildung von Fachlosen gemäß § 97 Absatz 4 GWB durch den Antragsgegner.

Mit Schreiben vom 12.05.2021 wies der Antragsgegner die Rüge als unbegründet zurück und begründete dies mit umfangreichem Vortrag:

Der Auftraggeber genieße ein Leistungsbestimmungsrecht, wonach er grundsätzlich die auszuschreibende Leistung frei bestimmen könne. Zwar müsse er gemäß § 97 Absatz 4 GWB mittelständische Interessen vornehmlich durch Losvergabe berücksichtigen. Allerdings gelte dies nicht, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe eine Gesamtvergabe erforderten. Insbesondere müsse der Auftraggeber nicht solche eigenen Interessen opfern, die er nur in der Gestalt einer Gesamtvergabe zu erreichen vermöge – insoweit greife sein Leistungsbestimmungsrecht.

Vorliegend sei auf Grund von technischen und wirtschaftlichen Gründen für die gegenständliche Ausschreibung die Gesamtvergabe gewählt worden.

So führe die Gesamtlosvergabe zum Entfall eines zusätzlichen erheblichen Koordinierungsaufwandes für den Antragsgegner, der bei einer Fachlosvergabe auf Grund der Komplexität und Vielzahl der zu erbringenden Leistungen entstünde. Die Abstimmungsaufgaben könnten am ehesten erfolgreich erbracht werden, wenn hierfür nur ein Auftragnehmer verantwortlich sei. Dieser habe wegen seiner generellen und leistungsübergreifenden Verantwortung nicht nur ein erhöhtes Interesse an einem reibungslosen Ablauf, sondern könne auf den Betrieb der Einrichtung effektiv einwirken. Dass der Entfall von zusätzlichen Koordinierungsaufwänden bereits ausreiche, um von der Fachlosvergabe abzusehen, sei – unter Hinweis auf den Beschluss des OLG München vom 09.04.2015 (Verg 1/15) – auch anerkannt.

Zudem stünde dem Ziel der Integration von Flüchtlingen in die Arbeitsabläufe der Einrichtung die Beauftragung einer Vielzahl von Auftragnehmern entgegen. Nur der Betreuungsdienstleister könne auf Grund seiner leistungsübergreifenden Zuständigkeit sinnvoll bewerten, in welchen Arbeitsbereichen Flüchtlinge sinnvoll integriert werden könnten.

Weiterhin würde eine Vielzahl von Auftragnehmern – und selbst schon eine formale Trennung zwischen Betreuungsdienstleister und Verpflegungsdienstleister – zu einer erheblichen Erschwerung bei der flexiblen Leistungserbringung führen, die insbesondere vor dem Hintergrund stark schwankender Flüchtlingszahlen notwendig sei. So sei es im Bereich Kantine in der Vergangenheit zu diversen unerwartet und nicht planbaren Ausfällen gekommen, denen mit kurzfristigen alternativen Lösungswegen begegnet werden musste.

Außerdem könnten Schwierigkeiten bei der Auftragsabwicklung besser begegnet werden, wenn der Betreuungsdienstleister dies unmittelbar mit seinen Nachunternehmen regele, als wenn der Antragsgegner versuchen würde, eine für alle Konstellationen passende Vorgabe zu treffen.

Auch seien Verpflegung und Sozialbetreuung untrennbar miteinander verbunden. Insbesondere hätten die Verpflegungsleistungen eine besondere Bedeutung für die soziale Betreuung. Wichtige Kontaktmöglichkeiten zu den Flüchtlingen entstünden im Rahmen der Verpflegung. Dem Betreuungsdienstleister sei die Atmosphäre und Zufriedenheit ein großes Anliegen, so dass er grundsätzlich für Anregungen, die von den Flüchtlingen über die Sozialbetreuung an ihn herangetragen würden, offen stünde und versuchen würde, diese umzusetzen, da er den Mehrwert auch für andere Bereiche wahrnehmen und schätzen würde.

Im Übrigen müssten im Bereich der Verpflegung eine Vielzahl von Leistungen erbracht werden (Ausstattung der Küche, Verwendung und Erneuerung von Betriebsmitteln, Schädlingsbekämpfung Hygienemaßnahmen, Reinigung). Eine weitere Schnittstelle, die durch die Fachlosvergabe entstehen würde, sei die Regelung zur einheitlichen Müllentsorgung. Eine Abtrennung des Bereichs Verpflegung sei auf Grund von Platz und der Berücksichtigung verschiedener Verantwortungsbereiche bei der Mülltrennung nicht möglich. Konsequenz dessen sei, dass der Auseinanderfall dieses Bereichs zu erheblichen vertraglichen Ausgestaltungsproblemen führen würde. Alle diese Gründe stritten für eine Gesamtlosvergabe.

Darüber hinaus sprächen wirtschaftliche Gründe für eine Gesamtlosvergabe. So führe eine Fachlosvergabe auf Grund des erhöhten Abstimmungsaufwands etwa zu kostenintensiven Besprechungsterminen. Darüber hinaus müsste der Auftraggeber weiteres Personal einstellen, um die Vertragsabwicklung sicherstellen zu können. Die Vertragsgemäßheit könnte nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand sichergestellt werden. Dies belaste den Steuerzahler und sei daher auch als wirtschaftlicher Grund zu werten.

Nachdem der Rüge der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte sie mit Schreiben vom 27.05.2021 einen Nachprüfungsantrag. Daraufhin leitete die Kammer am selben Tag das Nachprüfungsverfahren ein.

Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass es sich bei den abgefragten Leistungen, jedenfalls aber bei dem Leistungsteil Verpflegung um ein Fachlos handele, dass auf Grund der Vorgabe des § 97 Absatz 4 GWB separat ausgeschrieben werden müsste.

Da der Antragsgegner wiederholt Ausschreibungen wie die gegenständliche durchführe, bestreitet die Antragstellerin, dass vor der Einleitung der Ausschreibung eine im Einzelfall und die Umstände für und gegen die eine Los- oder Gesamtvergabe würdigende Abwägung stattgefunden habe.

Darüber hinaus trägt die Antragstellerin vor, dass ein Verzicht auf die Bildung von Fachlosen unter Berufung auf das Leistungsbestimmungsrecht nur dann in Betracht käme, wenn die benötigte Leistung in Form einer Losvergabe objektiv nicht erbracht werden könne.

Auch sei der Anwendungsbereich des § 97 Absatz 4 GWB nicht eröffnet. Gemäß § 97 Absatz 4 GWB müssten technische oder wirtschaftliche Gründe es ausnahmsweise erfordern, dass die Verpflegung von Flüchtlingen mit den weiteren Betreiberleistungen zusammen vergeben werden müssten. Derlei Gründe lägen aber nicht vor.

So sei die Vermeidung von Schnittstellen, zusätzlichem Koordinierungsaufwand und das Risiko von Informationsverlusten, die bei der Vergabe mehrere Leistungen im Rahmen eines Projekts entstünden, kein ausreichender Grund für das Absehen einer Fachlosvergabe. Das KG Berlin habe mit Beschluss vom 26.03.2019 (Verg 16/16) für eine ähnliche Ausschreibung zutreffend entschieden, dass die vermeintliche Vermeidung von Schnittstellen eine Gesamtlosvergabe nicht rechtfertige. Darüber hinaus ließe sich das Schnittstellenmanagement durch eine entsprechende Vertragsgestaltung ohne Weiteres auf den Betreuungsdienstleister übertragen.

Ferne könnten auch bei einer Gesamtlosvergabe nur die einzelnen Dienstleister für ihre Leistungsbereiche beurteilen, inwieweit Flüchtlinge mitarbeiten könnten. Das von dem Antragsgegner angestrebte Einbindungskonzept könne sich auch bei einer Fachlosvergabe erreichen lassen, indem die Dienstleister vertraglich verpflichtet würden, bestehende Einsatzmöglichkeiten in ihren Leistungsbereichen dem Betreuungsdienstleister zu melden.

Auch bei einer Gesamtlosvergabe bestünde die Gefahr von Rollenunklarheiten, da auch hier eine Vielzahl von Unternehmen für den Betreuungsdienstleister tätig würden. Diesen Gefahren könne durch eine entsprechende Vertragsgestaltung und namentlich einem Schnittstellenkatalog begegnet werden, eine Gesamtlosvergabe sei nicht zwingend erforderlich.

Es sei im Übrigen nicht ersichtlich, warum nur bei einer Gesamtlosvergabe die untrennbare Verbundenheit zwischen Verpflegung und sozialer Betreuung gewahrt würde. Auch bei einer Fachlosvergabe könnten soziale Betreuer bei Themen der Verpflegung eingebunden werden. Insbesondere lasse sich der Zugriff auf Essenvorräte durch das Betreuungspersonal vertraglich regeln.

Auch lasse sich vertraglich regeln, dass jeder Dienstleister für die Beschaffung, Verwendung und Erneuerung der Betriebsmittel verantwortlich sei. Ein zusätzliches Abstimmungserfordernis erschließe sich nicht. Speisereste müssten – unabhängig von Gesamt- oder Fachlosvergabe – getrennt entsorgt werden. Das Problem der ordnungsgemäßen Mülltrennung bestünde unabhängig von der Los- oder Gesamtvergabe.

Auch sprächen keine wirtschaftlichen Gründe für eine Gesamtvergabe. Der Koordinierungsaufwand liege bei einer Fachlosvergabe in der Natur der Sache und sei vom Auftraggeber – und hier nimmt die Antragstellerin Bezug auf den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 08.09.2004 (Verg 38/04) – hinzunehmen. An der Dauer der Besprechungstermine – und den damit verbundenen Kosten – ändere sich auch bei einer Gesamtlosvergabe nichts, da auch in diesem Fall unterschiedliche Unternehmen tätig würden. Außerdem müsse der Antragsgegner den notwendigen Koordinierungsaufwand nicht zwingend selbst übernehmen und hierfür Personal stellen – auch diese Aufgabe ließe sich vertraglich auf den Betreiber übertragen.

Im Übrigen würden bei einer “Generalunternehmerausschreibung” regelmäßig entsprechende Generalunternehmeraufschläge kalkuliert, so dass die Gesamtvergabe im Regelfall für den Auftraggeber nachteilig sei.

Die Antragstellerin beantragt:

1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die in den aufgeführten Aufträgen Los Nr. 7 “ZUE N…”, Los Nr. 8 “ZUE W…” und Los 10 “ZUE S…” erhaltene Teilleistung Verpflegung als Fachlos in einem gesonderten Auftrag auszuschreiben.

2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

Der Antragsgegner beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,

2. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten des Antragsgegners notwendig gewesen ist,

3. der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners aufzuerlegen.

Der Antragsgegner hält den Nachprüfungsantrag für unbegründet. Ergänzend zu den Ausführungen in dem Antwortschreiben auf die Rüge vom 12.05.2021 trägt er Folgendes vor:

Der Antragsgegner sei seiner Pflicht zur Interessensabwägung nachgekommen und habe diese ausreichend dokumentiert. Anlässlich der Rüge habe er seine Interessenabwägung noch einmal kritisch hinterfragt, letztlich sein bisheriges Ergebnis aber bestätigt.

Für die Gesamtlosvergabe spreche ein Bündel von Gründen. Für eine optimale Qualität der Leistungserbringung müssten sämtliche Leistungen aus “einer Hand” erbracht werden. Nur der Betreuungsdienstleister könne optimal auf die an der Leistungserbringung beteiligten Unternehmen einwirken. Darüber hinaus habe es sich der Antragsgegner zum Ziel gesetzt, nur einen Ansprechpartner in den jeweiligen Einrichtungen zu haben. Dies sei sowohl für den Antragsgegner als auch für die Flüchtlinge von Vorteil. Bei dieser Vorgabe handele es sich im weitesten Sinne auch um einen “technischen Grund” im Sinne von § 97 Absatz 4 GWB.

Die Organisation von Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge sei komplexer, als die Antragstellerin darstelle. Insbesondere müsste die Einarbeitung, Überwachung und Abrechnung der Tätigkeiten organisiert werden. Hierfür müssten unzählige Schnittstellen geregelt werden. Konsequenz einer Fachlosvergabe sei zudem, dass etwa im Bereich Verpflegungsleistungen unzählige Fachlose wie etwa die Belieferung mit Backwaren gebildet werden müssten.

Außerdem gewährleiste nur die Gesamtvergabe ein ausreichendes Maß an Flexibilität. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der Bedeutung der Verpflegungsleistungen für die soziale Betreuung. Gerade im Bereich der Verpflegung komme es immer wieder zu unvorhergesehen und nicht planbaren Ereignissen, die Auswirkungen auf das Zusammenleben der Flüchtlinge hätten.

Darüber hinaus seien die Verpflegungsleistungen von erheblicher Bedeutung für die soziale Betreuung, so dass diese in der Hand des Betreuungsdienstleisters liegen müssten.

Ferner ergäben sich auch für den Fall einer nicht konfliktfreien Zusammenarbeit zwischen Betreuungsdienstleister und den weiteren Unternehmen erhebliche Vorteile. Denn dem Betreuungsdienstleister stünde – im Gegensatz zum öffentlichen Auftraggeber – ein breiteres Instrumentarium an Werkzeugen zur Konfliktlösung zur Verfügung. Insbesondere könne vertraglich nicht jeder Schwierigkeit vorgebeugt werden. Im Übrigen sei es bis zu einer außerordentlichen Kündigung durch einen öffentlichen Auftraggeber “ein weiter Weg”, der eine Neuausschreibung als Konsequenz nach sich ziehen würde. Infolge dessen könnte sich das gekündigte Unternehmen neuerlich um den Auftrag bemühen. Ein etwaiger Ausschluss – etwa gemäß § 124 Absatz 1 Nummer 7 GWB – führe dann gegebenenfalls zu einer neuen Nachprüfung. Auf Grund der aktuellen Auslastung des zuständigen Vergabesenats sei eine schnelle Klärung – jedenfalls in der zweiten Instanz – ausgeschlossen.

Im Übrigen irre die Antragstellerin mit der Behauptung, dass eine Gesamtvergabe stets zu Generalunternehmeraufschlägen führe. So habe das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 29.09.2018 (Verg 14/17) festgehalten, dass “kein genereller Erfahrungsschatz” bestehe, “dass sich Baukosten durch den Einsatz eines GU erhöhen”.

Der Antragsgegner trägt zudem vor, dass er nach Abwägung aller Interessen zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Gründe für die Gesamtvergabe vorlägen. Insbesondere müsse er kein zusätzliches Wagnis und keine unnötigen Risiken eingehen, sondern sei nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 13.03.2020 – Verg 10/20) berechtigt, einen sicheren Weg zu wählen. Es handele sich bei den Nachteilen nicht um solche, die typische Konsequenz einer Fachlosvergabe seien. Auch könne nicht jede Frage – anders als die Antragstellerin meint – im Vorfeld vertraglich geregelt werden. Auch stehe der getroffenen Entscheidung nicht entgegen, dass die Sicherheitsdienstleistungen als weiteres Fachlos ausgeschrieben würden. In diesem speziellen Bereich sei es in der Vergangenheit auf Grund von Gesamtvergaben zu Problemen gekommen, so dass hierfür nur branchenspezifische Unternehmen in Frage kämen.

Weiterhin stelle die Gesamtvergabe keinen gravierenden Nachteil für die Antragstellerin dar, da sie zwar zur Kooperation mit einem Betreuungsdienstleister gezwungen sei, aber auf Grund ihrer Marktstellung sicherlich eine gute Chance auf eine Nachunternehmerstellung habe. Im Übrigen könne das von der Antragstellerin verfolgte Geschäftsmodell nicht in allen Einrichtungen dieser Vergabestaffel vollständig umgesetzt werden.

Die Vorsitzende hat die Frist für die Entscheidung der Vergabekammer gemäß § 167 Abs. 1 GWB bis zum 30.09.2021 verlängert. Am 06.08.2021 hat eine mündliche Verhandlung im Einvernehmen mit den Verfahrensbeteiligten in der Form einer Videokonferenz stattgefunden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vergabeunterlagen und die Niederschrift aus der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

II.

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

Die Zuständigkeit der Vergabekammer Westfalen ergibt sich aus § 156 Absatz 1 GWB und § 159 Absatz 3 GWB i.V.m. § 1 Absatz 2 und § 2 Absatz 2 VK ZuStV NRW. Der Auftragswert übersteigt den Schwellenwert nach § 106 GWB und die Antragsgegnerin als öffentliche Auftraggeberin hat ihren Sitz im Zuständigkeitsbereich der Vergabekammer Westfalen.

Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Die Antragsbefugnis erfüllt lediglich die Funktion eines groben Filters, um von vorneherein eindeutige Fälle auszusondern (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.2.2016, Verg 37/14). Deshalb sind an das Vorliegen der Antragsbefugnis auch keine allzu großen Anforderungen zu stellen.

Das Interesse an der Teilnahme an der gegenständlichen Ausschreibung hat die Antragstellerin mit Rüge vom 12.05.2021 dokumentiert und mit ihrem Nachprüfungsantrag vom 27.05.2021 bestätigt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. September 2004 – Verg 38/04). Die Antragstellerin musste sich für die Antragsbefugnis nicht am Vergabeverfahren durch die Abgabe eines – für sie nutzlosen – Angebots beteiligen. Sie macht geltend, durch den gerügten Vergaberechtsverstoß in Form der unterbliebenen Losaufteilung – an der Abgabe eines Angebots gehindert gewesen zu sein. In einer solchen Situation wäre es nutz- und sinnlos, ein Angebot einzureichen und damit der Antragstellerin auch nicht zuzumuten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.11.2009 – Verg 27/09).

2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.

Der Antragsgegner hat gegen das Gebot der Fachlosvergabe gemäß § 97 Absatz 4 GWB verstoßen. Gründe, die diesen Verstoß rechtfertigen, liegen nicht vor. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen gemäß § 97 Absatz 4 Satz 3 GWB nur zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Auch die dazu ergangene Rechtsprechung fordert regelmäßig die Losbildung (vgl. statt vieler OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 13.03.2020 – Verg 9/20 und Verg 10/20 (nicht veröffentlicht).

Gemäß § 97 Absatz 4 Satz 2 GWB sind Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art und Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Dieser Grundsatz dient der Mittelstandsförderung (vgl. BT-Drs. 18/6281, S. 68; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/18). Deshalb darf vom Gebot der Losvergabe nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden (vgl. BT-Drs. 16/10117, S. 15; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018, 11 Verg 4/18; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/18).

Insoweit schränkt dieses Gebot das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers ein (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 26.03.2019; Verg 16/16; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.04.2011, 15 Verg 3/11). Zwar bestimmt der Auftraggeber weithin selbst, welche konkrete Leistung seinem Beschaffungsbedarf am ehesten entspricht (vgl. BTDrs. 18/6281, S. 68; OLG Celle, Beschluss vom 02.02.2021, 13 Verg 8/20). Die vergaberechtlichen Grundsätze sind grundsätzlich gewahrt, wenn die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist und dafür nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe vorliegen, wobei die Festlegung willkür- und diskriminierungsfrei sein muss (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018, 11 Verg 4/18 m.w.N.). Allerdings ist eine Fachlosbildung grundsätzlich geboten, wenn sich für eine Einzelleistung ein eigener abgegrenzter Markt etabliert hat (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 31.05.2012, 1 Verg 2/11; grundlegend hierzu: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.2012 – Verg 52/11; Vergabekammer Niedersachsen, Beschluss vom 25.05.2018, VgK-07/2018). Freilich kann das Erfordernis der Losvergabe nur greifen, wo eine getrennte Beschaffung der ausgeschriebenen Leistung aufgeteilt nach Art oder Fachgebiet überhaupt sinnvoll ist, woran es fehlen kann, wenn die nachgefragte Leistung nach ihrem Gegenstand voraussetzt, dass sie nur aus einer Hand erbracht werden kann (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 26.04.2010, 13 Verg 4/10).

Sofern für einzelne Leistungsbestandteile ein eigener funktionierender Markt existiert und die Leistungserbringung nicht aus einer Hand erfolgen muss, erfolgt die Beschaffung losweise. Das Losaufteilungsgebot stellt – wie sich unzweifelhaft aus der gesetzlichen Systematik und Teleologie des § 97 Absatz 4 Sätze 2, 3 GWB i.V.m. dem dieser Vorschrift zugrunde liegenden Art. 46 Absatz 1 der Richtlinie 2014/24/EU vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe ergibt – den gesetzlichen Regelfall dar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 13.03.2020 – Verg 9/20 und Verg 10/20 (nicht veröffentlicht)). Es steht somit nicht per se zur Disposition eines öffentlichen Auftraggebers (VK Bund, Beschluss vom 08.06.2020, VK 2-41/20).

Nach § 97 Absatz 4 Satz 3 GWB dürfen mehrere Teil- oder Fachlose ausnahmsweise dann zu einer Gesamtvergabe zusammengefasst werden, wenn (i.) wirtschaftliche oder technische Gründe vorliegen und (ii.) diese Gründe eine Gesamtvergabe erforderlich machen. Die Norm statuiert insoweit ein Regel-Ausnahmeverhältnis (vgl. statt vieler: OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/18). Nicht notwendig ist allerdings, dass eine Losvergabe objektiv unmöglich ist. Technische oder wirtschaftliche Gründe, die eine Gesamtlosvergabe erfordern, reichen aus.

Dabei sind technische Gründe, die den Verzicht auf eine Losaufteilung gestatten, dann gegeben, wenn bei einer losweisen Ausschreibung das – nicht durch die inhaltliche Gestaltung der Vergabeunterlagen vermeidbare – Risiko besteht, dass der Auftraggeber Teilleistungen erhält, die zwar jeweils ausschreibungskonform sind, aber letztlich nicht zusammenpassen und deshalb in ihrer Gesamtheit nicht geeignet sind, den Beschaffungsbedarf in der angestrebten Qualität zu befriedigen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2012, 1 Verg 2/11; VK Bund, Beschluss vom 06.12.2016, VK 1-118/16). Auch das besondere Interesse an der Einheitlichkeit der Leistungserbringung, die beispielsweise in einem Erfordernis nach der Kompatibilität verschiedener Systeme und baulicher Anlagen zurückzuführen ist, mag als technischer Grund im Sinne des § 97 Absatz 4 Satz 3 GWB verstanden werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.11.2009 – Verg 43/09).

Auf der anderen Seite liegen wirtschaftliche Gründe etwa dann vor, wenn die alternative Fachlosvergabe zu einer unverhältnismäßigen Verteuerung der Gesamtleistung führt (vgl. schon OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.09.2004 – Verg 38/04). So kann etwa die Verteuerung einer Ausschreibung um 50 % bereits einen wirtschaftlichen Grund im Sinne des § 97 Absatz 4 Satz 3 GWB darstellen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.09.2011, VII Verg 48/11). Zwar besitzt der Auftraggeber bei der Prüfung, ob eine bestimmte Losaufteilung unwirtschaftlich ist einen Einschätzungsspielraum mit prognostischen Elementen. Seine Entscheidung muss aber insgesamt tatsachengestützt und plausibel sein (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2012, 1 Verg 2/11). Auf Grund des restriktiven Charakters des § 97 Absatz 4 Satz 3 GWB darf der Auftraggeber nur solche Mehrkosten berücksichtigen, die unmittelbar die Auftragsdurchführung verteuern. Die Mehrkosten, die durch die Losvergabe entstehen und im Verantwortungs- und Aufgabebereich des Antragstellers liegen, sind grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig. Andernfalls hätte es der öffentliche Auftraggeber in der Hand, die Voraussetzungen für eine Gesamtvergabe zu schaffen.

Nach dem Wortlaut des § 97 Absatz 4 Satz 3 GWB müssen die technischen oder wirtschaftlichen Gründe zudem eine Gesamtvergabe “erfordern”. Die Beantwortung der Frage, ob technische oder wirtschaftliche Gründe es im Sinne des Gesetzes “erfordern”, von einer Losbildung abzusehen, setzt eine Bewertung voraus. Dabei steht dem Auftraggeber wegen der dabei anzustellenden prognostischen Überlegungen eine Einschätzungsprärogative zu. Der Maßstab der rechtlichen Kontrolle ist dabei beschränkt. Die Entscheidung des Auftraggebers, eine Gesamtlosvergabe beim Vorliegen von technischen oder wirtschaftlichen Gründen für erforderlich zu halten, ist von den Vergabenachprüfungsinstanzen darauf zu prüfen, ob sie beurteilungsfrei ergangen ist. Ist der entsprechende Sachverhalt vollständig ermittelt und beruht die Entscheidung nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, ist der dem Auftraggeber zustehende Beurteilungsspielraum gewahrt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 13.03.2020 – Verg 9/20 und Verg 10/20 (nicht veröffentlicht); OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/19 m.w.N., OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.05.2018, 11 Verg 4/18; a. A. KG Berlin, Beschluss vom 23.06.2019, Verg 16/16, das mit guten Gründen eine vollständige Überprüfbarkeit der Entscheidung nach Satz 3 des § 97 Absatz 4 GWB durch die Vergabenachprüfungsinstanzen annimmt sowie Antweiler in: Burgi/Dreher (Hrsg.), Beck´scher Vergaberechtskommentar, § 97 Abs. 4 Rn. 38).

Nicht ausreichend ist insoweit, dass der Auftraggeber nur anerkennenswerte Gründe für seine Beurteilung vorbringen kann. Aus der klaren Wertung des Gesetzgebers folgt, dass sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinandersetzt (vgl. OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/19). Kommt der Auftraggeber nach umfassender Abwägung der widerstreitenden Belange zu dem Ergebnis, dass die technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen, ist die Gesamtvergabe zulässig (vgl. OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/19; OLG Frankfurt, 14.05.2018, 11 Verg 4/18.).

Allerdings vermag ein erhöhter Koordinierungsaufwand durch die Vermeidung von “Gewährleistungsschnittstellen” für sich allein ein Absehen von einer Losaufgabe ebenso wenig zu rechtfertigen, wie Probleme bei der Mängelbeseitigung, die typischerweise mit einer Losvergabe verbundenen Mehraufgaben oder der etwa mit der Aufsicht verbundene Mehraufwand (vgl. OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/19; OLG Frankfurt, 14.05.2018, 11 Verg 4/18; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.06.2016, VII-Verg 6/16 – zur Vorschrift des § 97 Abs. 3 S.2 und 3 GWB a.F., die denen des § 97 Absatz 4 Satz 2 und 3 gleich lautend waren). Auch der Vorzug, nur einen Vertragspartner zu haben oder Gewährleistungsansprüche einfacher durchzusetzen, sind nicht geeignet, eine Rechtfertigung für die Gesamtvergabe zu begründen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2007 – Verg 10/07). Dieser Abwägungsprozess ist freilich ausführlich zu dokumentieren.

Dabei ist die Frage, ob gemäß § 97 Absatz 4 GWB Fachlose zu bilden sind, für jede in Betracht kommende Leistung getrennt zu beantworten. Das bedeutet zum einen, dass die “wirtschaftlichen oder technischen Gründe”, welche die Norm verlangt, sich auf die jeweilige Leistung beziehen müssen, welche für eine getrennte Losvergabe in Betracht kommt. Globale, also das gesamte Vorhaben betreffende Überlegungen können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie auch und gerade die jeweilige Leistung erfassen. Andererseits ist damit auch klar, dass die Entscheidung über die Bildung eines Fachloses für eine bestimmte Leistung keine Aussage darüber trifft, ob auch für andere Leistungen Fachlose zu bilden sind, oder ob der “Rest” des geplanten Projekts einheitlich vergeben werden kann. (vgl. zur Fachlosbildung bei Fachgewerken: OLG München, Beschluss vom 09.04.2015, Verg 1/15, VK Südbayern, Beschluss vom 12.08.2016, Z3-3/3194/1/27/07/16). Ausgehend von diesen Grundsätzen rückt daher die Frage in den Mittelpunkt, ob die Verpflegungsdienstleistungen als einzelnes Fachlos ausgeschrieben werden müssen.

Die Ausführungen des Antraggegners bleiben inhaltlich hinter den dargestellten Anforderungen an das Vorliegen technischer oder wirtschaftlicher Gründe zurück. Dem Antragsgegner gelingt es nicht, nachvollziehbar und plausibel einen technischen oder wirtschaftlichen Grund für sein Vorgehen – Absehen von einer Fachlosbildung – darzustellen. Denn die vom Antragsgegner angeführten Gründe sind weder technischer noch wirtschaftlicher Natur.

Zunächst ist festzuhalten, dass sich der Antragsgegner formal vorbildlich mit den Anforderungen der Fachlosvergabe auseinandergesetzt hat. Die im Vergabevermerk enthaltenen Angaben und Ausführungen sowie die in ihm mitgeteilten Gründe für die getroffene Entscheidung sind sehr detailliert und können von einem mit der Sachlage vertrauten Bieter ohne Weiteres nachvollzogen werden. Der Antragsgegner hat die Gründe, die für eine Gesamtvergabe streiten, dargelegt und gegen die aus seiner Sicht dagegensprechenden Argumente abgewogen. Der Antragsgegner hat sich somit mit der Thematik entsprechend den Anforderungen des Gesetzes ausführlich und gut nachvollziehbar auseinandergesetzt. Allerdings ist die erfolgte Abwägung teilweise unzutreffend, weil die gesetzlichen Anforderungen nicht hinreichend berücksichtigt wurden.

Denn die vom Antragsgegner angeführten Gründe sind weder technischer noch wirtschaftlicher Natur.

a) Der Antragsgegner beruft sich darauf, nur einen Vertragspartner, nämlich den Betreuungsdienstleister, haben zu wollen, um auf diese Weise eine qualitativ hochwertige Versorgung der Flüchtlinge zu gewährleisten. Auch habe es sich das Land Nordrhein-Westfalen zum Ziel gesetzt, nur einen Ansprechpartner in den Einrichtungen zu haben. Außerdem sollten sämtliche Leistungen “aus einer Hand” erbracht werden. Der Antragsgegner führt aus, dass der Betreuungsdienstleister durch die Übernahme der leistungsübergreifenden Gesamtverantwortung ein “erhöhtes Interesse am reibungslosen Betrieb” der jeweiligen Einrichtung habe. Durch die Übernahme würden Schnittstellen entfallen, die mit einer Fachlosvergabe zwangsläufig entstünden. Dadurch entfalle der Koordinierungsaufwand auf Seiten des Antragsgegners. Im Übrigen verfüge der Betreuungsdienstleister über die notwendigen Informationen wie etwa Neu- und Abgänge sowie Krankheitsfälle und geplante Abschiebungen, um die Essenspläne anzupassen. Bei einem separaten Verpflegungsdienstleister müssten diese Informationen weitergegeben werden. Dies erfolgte meist nur “mit zeitlicher Verzögerung und dem Risiko von Informationsverlusten”.

Der Vortrag der Antragsteller vermag keinen technischen Grund im Sinne des § 97 Absatz 4 Satz 3 GWB zu belegen, die eine Gesamtlosvergabe erfordern. Vielmehr handelt es sich bei der Abstimmung der verschiedenen Leistungsbereiche um Koordinierungsaufwände, die sich bei einer losweisen Vergabe typischerweise ergeben und deswegen gerade keine anerkennenswerten Gründe sind. Insbesondere reduziert sich durch die Einrichtung eines Betreuungsdienstleisters, wie sie die gegenständliche Ausschreibung vorsieht, nicht die Zahl der Schnittstellen in einem erheblichen Umfang. Zwar kann – allerdings nur in wenigen Ausnahmefällen – auch die Reduzierung des Koordinierungsaufwands ausreichen, um eine Gesamtvergabe zu rechtfertigen (vgl. OLG München, Beschluss vom 09.04.2015, Verg 1/15). Allerdings führt das OLG München insoweit aus, dass es “aber nicht [heißt], dass immer schon bei Wegfall einer Koordinierungsebene relevante wirtschaftliche Gründe gegeben sind, weil sonst das gesetzgeberische Gebot – welches den Schutz mittelständischer Unternehmen bezweckt – ausgehöhlt werden würde. Es müssen also Gründe vorliegen, welche über solche Schwierigkeiten hinausgehen, die typischerweise mit jeder losweisen Ausschreibung verbunden sind.”

Derlei Gründe sind nicht gegeben. Inwieweit es sich hierbei um technische oder wirtschaftliche Gründe handelt, muss nicht entschieden werden. Ausweislich der Ausschreibungsunterlagen soll der Betreuungsdienstleister den Betrieb in den Unterkünften organisieren und betreuen. Nach dem Verständnis der Kammer und unter Berücksichtigung der Vergabeunterlagen sowie dem Vortrag der Parteien werden wesentliche Leistungen – so auch die Verpflegung – vom Betreuungsdienstleister an Nachunternehmer “vergeben”. Der Betreuungsdienstleister muss dann die Arbeit “seiner” Nachunternehmer koordinieren und entsprechende Informationen weiterleiten. Insoweit verringert sich nicht der Koordinationsaufwand im Vergleich zur Fachlosvergabe, bei der der Auftraggeber den Koordinationsaufwand trägt. Vielmehr ändert sich die Schnittstelle, an der die Koordination stattfindet. Das Risiko einer zeitlichen Verzögerung sowie von Informationsverlusten bleibt damit unverändert bestehen. Der Antragsgegner stellt sein Licht unter den Scheffel, wenn er vorträgt, dass derlei Risiken nur dann bestünden, wenn er die Koordinierungsaufgaben wahrnehme. Die Kammer hegt keine Zweifel daran, dass der Antragsgegner in der Lage ist, die Leistungserbringung einer Vielzahl von Unternehmen zu koordinieren und zu überwachen.

Auch stellt der Vorzug, nur einen Vertragspartner zu haben, gerade keinen Grund für eine Gesamtlosvergabe dar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2007 – Verg 10/07). Andererseits besteht das Risiko eines “unzuverlässigen” und “unkooperativen” Auftragnehmers in der Form eines Nachunternehmers auch bei einer Gesamtlosvergabe, wenn der Zuschnitt einer Vergabe – wie hier – darauf ausgelegt ist, dass der Auftragnehmer für diverse Leistungen Nachunternehmer einsetzt und sie nicht “aus einer Hand” erbringt. Insoweit gereicht der Vortrag des Antragsgegners, die abgefragten Leistungen und besonders die Verpflegungsleistungen müssten aus einer Hand kommen, nicht zu seinem Vorteil. Bereits der Zuschnitt der Ausschreibung sowie die Möglichkeit, umfassend Nachunternehmer einzusetzen, widerspricht diesem angestrebtem Grundsatz. Letztlich geht es dem Auftraggeber darum, durch die Gesamtlosvergabe seine Verantwortungsbereiche erheblich zu konzentrieren und die Gesamtverantwortung auf einen Betreuungsdienstleister zu übertragen. Derlei Erwägungen, die als solche nachvollziehbar sind, reichen jedoch angesichts des klaren Gesetzeswortlauts nicht aus, eine Gesamtlosvergabe zu rechtfertigen.

Vor diesem Hintergrund vermag auch der Vortrag, die Zielsetzung des Landes Nordrhein-Westfalens, nur einen Ansprechpartner haben zu wollen, rechtfertige eine Gesamtvergabe, ebenfalls nicht zu seinem Vorteil gereichen. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss der Vergabekammer des Bundes vom 01.02.2001 (VK 1-1/01). Zwar hat die Vergabekammer des Bundes zur Begründung einer Gesamtvergabe ausgeführt, dass “ein einheitlicher Ansprechpartner (…) zweckmäßig sei”. Allerdings hat die Vergabekammer des Bundes vorab wirtschaftliche und technische Vorteile, die eine Gesamtvergabe begründen, anerkannt. Darüber hinaus betraf die Entscheidung “komplexe Einrichtungen” im “sicherheitsrelevanten Bereich eines Flughafens” und ist deswegen auch aus diesem Grund für dieses Nachprüfungsverfahren ohne weitere Bedeutung. Zudem erging die Entscheidung zu § 97 Absatz 3 GWB a. F. der lediglich eine Interessenabwägung vorsah, aber kein Regel-Ausnahmeverhältnis statuierte, wie es der § 97 Absatz 4 GWB in seiner aktuellen Fassung enthält (vgl. Knauff, in Säcker, Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrechts, § 97 Rn. 251 ff).

Sofern der Antragsgegner vorträgt, für einen reibungslosen Betrieb der Einrichtungen sei es erforderlich, dass die Flüchtlinge nur einen Ansprechpartner hätten, verfängt dieses Argument nicht. So ist bereits jetzt schon neben den derzeit eingesetzten Betreuungsdienstleistern eine weitere Beschwerdestelle in den jeweiligen Einrichtungen installiert, die (i.) nicht im Verantwortungsbereich der eingesetzten Betreuungsdienstleister liegt und (ii.) von unabhängigen Dritten geführt wird. Im Ergebnis stehen für Flüchtlinge bereits jetzt schon zwei Ansprechpartner zur Verfügung. Auch ist für die Kammer nicht nachvollziehbar, warum mehrere Ansprechpartner die Flüchtlinge “überlasten” würden.

Auch kann der Ansicht des Antragsgegners, die Schnittstelle im Bereich Entsorgung erfordere eine Gesamtlosvergabe, nicht gefolgt werden. Zunächst ist erneut festzustellen, dass die Reduzierung von Schnittstellen, wie sie bei einer Losvergabe regelmäßig gegeben sind, eine Gesamtlosvergabe nicht zu rechtfertigen vermag. Sofern der Antragsgegner vorträgt, es sei bei einer Losvergabe etwa unklar, wer für den Geschirreinsatz verantwortlich sei, begründet dies gerade keine Gesamtvergabe. Diese ist vielmehr in technischer Hinsicht nur dann zulässig, wenn sämtliche Auftragnehmer ihre Leistung ordnungsgemäß erbringen, das “Gesamtwerk” aber dennoch nicht dem Beschaffungsbedarf entspricht. Antizipierte Unklarheiten und das damit verbundene Risiko von Schlechtleistungen muss der Auftraggeber im Vorfeld durch eine entsprechende Anpassung der Vergabeunterlagen in den Griff bekommen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2012, 1 Verg 2/11). Die Gesamtvergabe als Ausnahmemöglichkeit soll es dem Auftraggeber nicht ermöglichen, sich von – vielleicht auch komplexen – Regelungen im Hinblick auf die Auftragsdurchführung freizustellen.

Ebenso wenig vermag die Beschaffung, Verwendung und Erneuerung der Küchenbetriebsmittel eine Gesamtvergabe zu rechtfertigen. Es liegt gerade in der Natur der Sache, das bei einer Fachlosvergabe – speziell bei der gleichzeitigen Beschaffung mehrerer Dienstleistungen – derlei Gesichtspunkte vertragsrechtlich zu regeln und deren Einhaltung grundsätzlich durch den Auftraggeber als Vertragspartner zu überwachen sind. Die Kammer hegt keine Zweifel daran, dass der Antragsgegner in der Lage ist, die Leistungserbringung einer Vielzahl von Unternehmen zu koordinieren und zu überwachen.

Im Übrigen gilt: Gründe, die im Verantwortungsbereich des Auftraggebers liegen, können grundsätzlich keine Gesamtvergabe rechtfertigen. Denn es wäre systemwidrig und würde den Schutzzweck des § 97 Absatz 4 GWB aushöhlen, da es der Auftraggeber selbst in der Hand hätte, sich etwa durch die Verringerung seiner Personalmittel in die Lage zu versetzen, den Ausnahmefall einer Gesamtlosvergabe regelmäßig begründen zu können.

Ebenfalls nicht zu überzeugen vermag der Vortrag des Antragsgegners, die Vermeidung von rechtlichen Schwierigkeiten bei der Auftragsabwicklung würde vorliegend eine Gesamtvergabe rechtfertigen. Zwar kann es zutreffen, dass eine außerordentliche Kündigung eines Auftragnehmers durch den Auftraggeber zeitintensiv ist und mit einer gerichtlichen Kontrolle einhergeht. Dieses Risiko besteht insoweit aber auch für den Betreuungsdienstleister. Insoweit vermag die Kammer nicht zu erkennen, inwieweit die Gesamtvergabe Vorteile bietet. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass ein gekündigtes Unternehmen sich neuerlich an der entsprechenden Ausschreibung beteiligt, die notwendig ist, weil der öffentliche Auftraggeber der Ausschreibungspflicht unterliegt. In einem solchen Fall mag dann ein getroffener Ausschluss gemäß § 124 Absatz 7 GWB – sofern möglich – durch die Vergabenachprüfungsinstanzen überprüft werden, wobei die Dauer der Prüfung nicht abschließend einschätzbar ist. Allerdings rechtfertigt weder die Vermeidung von vergaberechtlichen Vorgaben – wie etwa die Ausschreibungspflicht – noch eine mögliche und länger dauernde Nachprüfung das Absehen von der Fachlosvergabe. Andernfalls würde die gesetzlich vorgesehene regelmäßige Anwendung der Fachlosvergabe gerade dazu führen, dass dadurch (i.) die Gesamtlosvergabe gerechtfertigt wäre und (ii.) die betreffende Gesamtvergabe dem Vergaberecht jedenfalls zum Teil entzögen würde. Dies widerspricht dem Sinn und Zweck der Fachlosvergabe. So ist § 97 Absatz 4 GWB auch im Kontext der Ziele des Vergaberechts auszulegen und die Grundsätze des Vergaberechts im Blick zu behalten (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018, 11 Verg 4/18). Das Vergaberecht sieht grundsätzlich keine “Flucht ins vergabefreie Privatrecht” vor, indem viele Leistungen “gesamt” an einen Auftraggeber vergeben werden, damit dieser dann, ohne dem Vergaberecht unterworfen zu sein, die einzelnen Leistungsbestandteile an Nachunternehmer vergibt (vgl. hierzu etwa auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.07.2015 – Verg 11/15). Erst Recht vermögen derlei Überlegungen keine Gesamtvergabe zu rechtfertigen.

b) Soweit der Auftraggeber argumentiert, die Integration von Flüchtlingen in die Arbeitsabläufe der Einrichtungen könne nur bei einer Gesamtvergabe erfolgen, führen auch diese Erwägungen nicht weiter. Insbesondere begründen derlei Überlegungen keinen technischen Grund im Sinne des § 97 Absatz 4 Satz 3 GWB. Inwieweit die in § 5 Absatz 1 Satz 1 Asylbewerberleistungsgesetz festgelegte Zielsetzung nicht eine originäre – und damit nicht zu delegierende – Aufgabe des Antragstellers ist, vermag die Kammer nicht abschließend einzuschätzen und ist auch nicht entscheidungserheblich. Maßgeblich ist, ob bei einer losweisen Vergabe das angestrebte Ziel, Flüchtlinge in die Arbeitsabläufe zu integrieren, nicht erreicht werden kann. Die Kammer zweifelt nicht daran, dass bei einer losweisen Vergabe die einzelnen Leistungserbringer in der Lage sind, etwaige Arbeitsgelegenheiten zu identifizieren und dem Auftraggeber zu melden, der dann die entsprechende Zuteilung durchführt. Die angestrebte Einbindung ist somit gewährleistet. Insbesondere besteht gerade auch in diesem Fall keine “Konkurrenz” oder “Wettbewerb” zwischen den Auftragnehmern. Selbst wenn der Auftraggeber sich für die Organisation und Koordination der Unterkünfte eines Dienstleisters bedienen sollte – dies ist ihm im vergaberechtlichen Rahmen freilich unbenommen -, der dann die Einbindung der Flüchtlinge in die Arbeitsabläufe organisiert, ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründe dies nicht funktionieren sollte. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, warum nur bei einer Gesamtlosvergabe Betreuungs- und Verpflegungsdienstleister “an einem Strang” ziehen.

Ebenfalls nicht zu überzeugen vermag der Vortrag des Antragsgegners, dass nur eine Gesamtlosvergabe die notwendige Flexibilität der Leistungserbringung ermögliche. So trägt der Antragsgegner vor, dass eine Vielzahl von Auftragnehmern und selbst schon eine formale Trennung von Betreuungsdienstleister zu Verpflegungsdienstleister die erforderlichen Anpassungen im täglichen Kantinenbetrieb erschwere. Im Bereich Kantine könne es immer zu unerwarteten Ereignissen kommen, die eine schnelle Reaktion erforderten. Der Betreuungsdienstleister könne auf Grund seiner Gesamtverantwortung “nicht mit dem Finger auf den anderen Dienstleister” zeigen. Vielmehr bedürfe es weniger Beteiligter in verantwortlicher Position, die sich ihrer Verantwortung bewusst seien, in der Gesamtverantwortung stünden und dieser gerecht würden. Diese – in der Sache sicherlich vertretbaren Argumente – stellen jedoch keinen technischen Grund dar, der eine Gesamtlosvergabe rechtfertigt. Ein solcher liegt – wie vorstehend bereits dargestellt – vor, wenn die Gefahr besteht, dass der Auftragnehmer zwar eine Vielzahl von ausschreibungskonformen Einzelleistungen erhält, die aber in ihrer Gesamtheit nicht dem Beschaffungsbedarf entsprechen. Vorliegend zeichnet der Antragsgegner ein Bild, wonach bei einer Fachlosvergabe die einzelnen Auftragnehmer zwar “vertragstreu”, nicht aber ordnungsgemäß miteinander arbeiten und der Auftraggeber keine Möglichkeiten hat, einzugreifen. Einerseits vermag die Kammer dem Bild des “unzuverlässigen” und “unkooperativen” einzelnen Auftragnehmers nicht zu folgen. Insbesondere besteht kein genereller Erfahrungssatz, dass bei Fachlosvergaben der Auftraggeber regelmäßig regulierend und sanktionierend auf die einzelnen Auftragnehmer einwirken muss. Vielmehr zeichnet sich die Beauftragung einzelner Auftragnehmer dadurch aus, dass diese sich intensiver für ihre eigenen Leistungen verantwortlich fühlen, als dies im Falle eines Nachunternehmers in der Regel der Fall ist.

c) Auch die vom Antragsgegner vorgetragene untrennbare Verbundenheit zwischen Verpflegungsleistungen und Sozialbetreuung vermag eine Gesamtlosvergabe nicht zu rechtfertigen. Zwar hat die Kammer keine Zweifel daran, dass die Flüchtlinge in bestimmten Fällen ihre Verpflegungswünsche über die Sozialbetreuer adressieren. Allerdings ist für die Kammer nicht ersichtlich, warum diese Informationen nur im Rahmen einer Gesamtlosvergabe und nicht bei einer Fachlosvergabe berücksichtigt werden sollen. In beiden Fällen müssen die entsprechenden Informationen über eine weitere Stelle – sei es über den Betreuungsdienstleister oder den Antragsgegner selbst – weitergespielt werden. Die Kammer vermag auch dem Vortrag nicht zu folgen, nur der Betreuungsdienstleister hätte ein Interesse an einer guten Atmosphäre und Zufriedenheit der Flüchtlinge. Auch der Vortrag, es bestünde die Notwendigkeit, dass Ablauf und Organisation der Verpflegung in einer Hand mit der Betreuungsdienstleistung liegen müssten, überzeugt nicht. Wenn der Antragsgegner diesem Prinzip eine solche Bedeutung beimisst, erschließt sich für die Kammer nicht, warum der Zuschnitt der Ausschreibung darauf ausgelegt ist, dass – jedenfalls einige – der Betreuungsdienstleister für die Verpflegung Nachunternehmer einsetzen werden. So führt der Antragsgegner selbst in seinem Schreiben vom 18.06.2021 aus, dass die Antragstellerin “zwar (…) zur Kooperation mit einem Betreuungsdienstleister gezwungen [sei].” Jedoch habe sie bei diesen “sicherlich eine gute Chance auf eine Nachunternehmerstellung.” Wollte der Antragsgegner tatsächlich die Verpflegung und Betreuung zusammen erbracht wissen, müsste er stattdessen einen Nachunternehmereinsatz bei der Sozialbetreuung und Verpflegung ausschließen, damit beide Leistungen – wie gewünscht – “aus einer Hand” erfolgen.

d) Weiterhin stellen die von dem Antragsgegner vorgebrachten wirtschaftlichen Gesichtspunkte keine wirtschaftlichen Gründe im Sinne des § 97 Absatz 4 Satz 3 GWB dar, die eine Gesamtvergabe rechtfertigen. Selbst bei einem unterstellt erhöhten Abstimmungsaufwand auf Grund mehrerer Auftragnehmer ist es für die Kammer nicht ersichtlich, inwieweit sich die Kosten für die eingekauften Dienstleistungen jedenfalls so erheblich erhöhen, dass die von der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Schwellen erreicht werden. Maßgeblich sind insoweit nur unmittelbar mit der Beschaffung verbundene Kosten. Ebenso wenig kann der Aufwand, mit dem die Vertragsgemäßheit sichergestellt werden, vorliegend einen wirtschaftlichen Grund darstellen. Dies mag dann gegeben sein, wenn statt einer Gesamtlosvergabe die Vergabe einer Vielzahl von “Kleinstlosen” (sog. Splitterlose) im Raum steht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.2012 – Verg 51/11). Bei der Vergabe der Verpflegungsdienstleistungen handelt es sich aber schon dem Umfang nach nicht um ein Splitterlos. Im Übrigen ist der Antragsgegner auch nicht gezwungen, den Bereich Verpflegungsdienstleistungen in weitere kleinere Fachlose “aufzusplitten”. Auch ist die Sicherstellung der Vertragsgemäßheit der Fachlosvergabe immanent und stellt einen damit typischerweise verbundenen Mehraufwand dar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.2012 – Verg 51/11). Im Übrigen kann auch der Vortrag des Antragsgegners, er müsse zur Vertragsüberwachung weiteres Personal einstellen, nicht zu seinem Vorteil gereichen. Die Sicherstellung ausreichender Personalkapazitäten liegt im Verantwortungsbereich des Antragsgegners. Steigende Personalkosten auf Grund von notwendigen Neueinstellungen können daher grundsätzlich keine Gesamtlosvergabe begründen.

Inwieweit eine Gesamtvergabe auf Grund eines “Generalunternehmeraufschlags” teurer ist als eine Fachlosvergabe, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich.

Im Ergebnis kann sich der Antragsgegner folglich nicht auf die Gesamtvergabe diverser Leistungen, insbesondere nicht auf die Einbeziehung von Verpflegungsdienstleistungen in die Gesamtvergabe, berufen, weil dies vorliegend nach § 97 Absatz 4 GWB nicht gerechtfertigt ist.

3. Die Antragstellerin ist gemäß § 168 Absatz 1 GWB in ihren Rechten verletzt, weil sie ein am Markt “Verpflegungsdienstleistungen” tätiges Unternehmen ist und sie unmittelbar durch die Vorgehensweise des Antragsgegners betroffen ist. Dies lässt sich auch aus den vorhandenen Teilnehmeranträgen herleiten, weil es sich überwiegend um Bieter handelt, die schwerpunktmäßig im Bereich der sozialen Betreuung tätig sind. Bieter, die andere besondere Dienstleistungen erbringen, wie Reinigungsdienstleistungen oder Verpflegungsdienstleistungen, haben sich bislang überhaupt nicht beworben. Die Antragstellerin trägt zu Recht vor, dass ihr durch die Art der Ausschreibung der Zugang zur Vergabe verwehrt wird.

Unbeachtlich und in der Sache unzutreffend ist insoweit der Vortrag des Antragsgegners, dass die Gesamtvergabe keine gravierenden Nachteile für die Antragstellerin darstelle und sie ihr verfolgtes Geschäftsmodell nicht in allen Einrichtungen vollständig umsetzen könne. Vielmehr ist es für ein Unternehmen in der Regel immer von Nachteil, wenn es in die Position eines Nachunternehmers gedrängt wird. Im Übrigen kann der Antragsgegner aufgrund seines Leistungsbestimmungsrecht entsprechende Vorgaben in seiner Ausschreibung machen, die dann von den Bietern zu akzeptieren sind. Er muss somit nicht das Geschäftsmodell der Antragstellerin wählen, sondern kann je nach Einrichtung – beispielsweise vor Ort kochen oder liefern lassen- seine Vorstellungen umsetzen.

Da der Nachprüfungsantrag sich lediglich auf 3 Lose bezieht, bezieht sich auch die Entscheidung der Vergabekammer nur auf die im Tenor genannten Lose Nr. 7, Nr. 8 und Nr. 10.

Der Antragsgegner wird somit verpflichtet – soweit weiterhin Beschaffungsbedarf bestehen sollte – in Bezug auf die vorstehend genannten Lose die Ausschreibung mit der Bekanntmachung neu zu beginnen und dabei die Rechtsauffassung der Vergabekammer zu § 97 Absatz 4 GWB zu beachten.

III.

Gemäß § 182 Abs. 1 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammer Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Das Verwaltungskostengesetz vom 23. Juni 1970 (BGBl. I. S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung ist anzuwenden.

Die Gebühr beträgt gemäß § 182 Absatz 2 GWB mindestens 2.500 Euro; dieser Betrag kann aus Gründen der Billigkeit bis auf ein Zehntel ermäßigt werden. Die Gebühr soll den Betrag von 50.000 Euro nicht überschreiten; sie kann im Einzelfall, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch ist, bis zu einem Betrag von 100.000 Euro erhöht werden. Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er gemäß § 182 Absatz 3 GWB die Kosten zu tragen.

Die Kammer setzt vorliegend eine Gebühr in Höhe von … Euro fest. Für die Berechnung der Verfahrensgebühr zieht die Kammer die Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes und der Länder heran (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.01.2005 – Verg 30/05). Maßgeblich für die Berechnung der Gebühr ist grundsätzliche die streitbefangene Auftragssumme (vgl. BGH, Beschluss vom 25.10.2011, X ZB 5/10).

Vorliegend war die Antragstellerin gehindert, ein eigenes Angebot abzugeben. Die Kammer schätzt daher – nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten – den Wert der Verpflegungsleistungen für die drei streitgegenständlichen Lose jährlich auf … Euro brutto. Maßgeblich sind insoweit die von den Verfahrensparteien übermittelten Einschätzungen, wobei die Kammer bei ihrer Ermittlung einerseits eine Preissteigerung im Vergleich zur 4. Staffel berücksichtigt hat, andererseits aber auch die laut den Referenzangaben der Antragstellerin bisher erzielten Umsätze. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte hat die Kammer einen Mittelwert gebildet.

Diese Gebühr ist dem Antragsgegner aufzuerlegen, der aber als juristische Person des öffentlichen Rechts gemäß § 182 Absatz 1 GWB in Verbindung mit § 8 Absatz 1 Nummer 2 Verwaltungskostengesetz des Bundes von den Gebühren befreit ist.

Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er gemäß § 182 Absatz 4 GWB die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu tragen. Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung war notwendig, da die Verfahrensführung in einem Nachprüfungsverfahren für rechtliche Laien häufig unübersichtlich ist und schnell zu Fehlentscheidungen führt. Insbesondere waren vorliegend schwierige und komplexe vergaberechtliche Fragen streitentscheidend. Insbesondere die Zulässigkeit einer Gesamtlosvergabe ist auch vor dem Hintergrund einer nicht immer ganz einheitlichen Rechtsprechung nur schwer zu bewerten und erfordert vergaberechtliche Expertise. Daneben ist das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich konzipiert, so dass auch prozessuale Kenntnisse erforderlich sind, um eigene Rechte wirksam wahren zu können. Die notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung der Antragstellerin werden dem Antragsgegner auferlegt.

Rechtsmittelbelehrung

(…)

Lieferengpässe und Preissteigerungen wichtiger Baumaterialien als Folge des Ukraine-Kriegs

Lieferengpässe und Preissteigerungen wichtiger Baumaterialien als Folge des Ukraine-Kriegs

BWI7-70437/9#4
Berlin, 25. März 2022

Aufgrund der Kriegsereignisse in der Ukraine und der in der Folge verhängten weltweiten Sanktionen gegen Russland sind die Preise vieler Baustoffe zum Teil extrem gestiegen. Rund 30 Prozent des Baustahls kommen aus Russland, der Ukraine und Weißrussland. Hinzu kommt der hohe Anteil von Roheisen (40 Prozent aus diesen Ländern) und diverser weiterer Rohstoffe, die für die Stahllegierung notwendig sind (Nickel 25 Prozent und Titan 75 Prozent). Auch rund 30 Prozent der hiesigen Bitumenversorgung erfolgt in Abhängigkeit von Russland, mit entsprechenden Auswirkungen auf den deutschen Straßenbau. Auch die Kosten für Energie und Kraftstoffe sind erheblich gestiegen.

Um den Auswirkungen für kommende und laufende Bundesbaumaßnahmen entgegenzuwirken, wird für die Produktgruppen

  • Stahl und Stahllegierungen
  • Aluminium
  • Kupfer
  • Erdölprodukte (Bitumen, Kunststoffrohre, Folien und Dichtbahnen, Asphaltmischgut)
  • Epoxidharze
  • Zementprodukte
  • Holz
  • Gusseiserne Rohre

    folgende Sonderregelung getroffen:


I. Stoffpreisgleitklausel für Betriebsstoffe
Von der Regelung in Nummer 2.3 der Richtlinie zum Formblatt 225 des VHB (ausnahmsweise Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel für Betriebsstoffe) darf bei maschinenintensiven Gewerken Gebrauch gemacht werden, vorausgesetzt, beide der nachfolgend genannten Voraussetzungen treffen zu:

1. Die Vertragsunterlagen sind so aufgestellt, dass sie sich für die indexbasierte Preisgleitung eignen
(eigene Ordnungsziffer).
2. Der Wert der Betriebsstoffe übersteigt ein Prozent der geschätzten Auftragssumme.

II. Neue Vergabeverfahren
Trotz der mit den Preissteigerungen einhergehenden Unwägbarkeiten sind ausschreibungsreife Gewerke zu vergeben, Planungen fortzusetzen und zur Ausschreibung zu führen. Die Voraussetzung Nummer 2.1 a) der Richtlinie zum Formblatt 225 VHB (nicht kalkulierbares Preisrisiko) für die o.g. Produkte ist erfüllt. Nummer 1d) der „Grundsätze zur Anwendung von Preisvorbehalten bei öffentlichen Aufträgen“ vom 4. Mai 1972 wird vorübergehend dahin ausgelegt, dass die Vereinbarung einer Preisgleitklausel auch dann zulässig ist, wenn der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Lieferung bzw. Fertigstellung einen Monat beträgt. Damit gilt die Voraussetzung der Nummer 2.1 b) der Richtlinie zum Formblatt 225 VHB (Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Lieferung/Fertigstellung) als erfüllt, wenn der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Lieferung/Fertigstellung einen Monat überschreitet.
Liegen die Voraussetzungen der Nummer 2.1 c) der Richtlinie zum Formblatt 225 (Stoffkostenanteil beträgt mindestens ein Prozent der geschätzten Auftragssumme) vor, sind im Formblatt 225 alle Stoffe, die der Preisgleitung unterworfen werden sollen, mit ihren Ordnungsziffern (LV-Positionen),
der entsprechenden GP-Nummer, einem Basiswert 1 inkl. Zeitpunkt seiner Ermittlung und der jeweilige Abrechnungszeitpunkt (Einbau, Lieferung oder Verwendung) einzutragen. Sind für die Festlegung des Basiswertes 1 von einschlägigen Händlern keine Angebote zu erhalten, ist der Basiswert aus Angeboten vorausgegangener Ausschreibungen oder aus Erfahrungswerten, ggf. mit einem Zuschlag versehen, festzulegen und bei Erfordernis während des Vergabeverfahrens anzupassen.
Das Formblatt ist den Vergabeunterlagen beizufügen. Neben dem Formblatt 225 ist den Vergabeunterlagen auch das diesem Erlass (nochmals) beigefügte Hinweisblatt beizufügen und im Anlagenverzeichnis der Aufforderung zur Angebotsabgabe unter Buchstabe A aufzunehmen. Zur Sicherstellung des Wettbewerbs sind Vertragsfristen der aktuellen Situation angepasst zu vereinbaren. Vertragsstrafen sind nur in begründeten Ausnahmefällen zu vereinbaren.

III. Laufende Vergabeverfahren
Soweit Vergabeverfahren bereits eingeleitet sind, aber die Angebote noch nicht geöffnet wurden, sind die Stoffpreisgleitklauseln nachträglich einzubeziehen. Ausführungsfristen sind an die aktuelle Situation anzupassen. Die Angebotsfrist ist ggf. zu verlängern.
Bieteranfragen zur Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel zu o.g. Produktgruppen ist zu folgen, es sei denn, der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Lieferung/Fertigstellung unter-schreitet einen Monat oder der Stoffkostenanteil des betroffenen Stoffes unterschreitet wertmäßig ein Prozent der von der Vergabestelle geschätzten Auftragssumme. Ist die Angebots(er)öffnung bereits erfolgt, ist das Verfahren zur Vermeidung von Streitigkeiten bei der Bauausführung in den Stand vor Angebotsabgabe zurück zu versetzen, um Stoffpreisgleitklauseln einbeziehen und ggf. Ausführungsfristen verlängern zu können.

IV. Anpassungen in bestehenden Verträgen
Bestehende Verträge sind grundsätzlich einzuhalten und die Leistungen von den Unternehmen wie beauftragt auszuführen. Ungeachtet dessen können die Kriegsereignisse in der Ukraine und die dadurch unmittelbar oder mittelbar hervorgerufenen Materialengpässe und Materialpreissteigerungen auch insoweit rechtliche Folgen haben.

IV.1 Verlängerung von Vertragslaufzeiten, § 6 VOB/B
Sind Materialien aus den eingangs genannten Produktgruppen nachweislich nicht oder vorüber-gehend nicht, auch nicht gegen höhere Einkaufspreise als kalkuliert, durch das Unternehmen beschaffbar, ist von einem Fall der höheren Gewalt bzw. einem anderen nicht abwendbaren Ereignis im Sinne von § 6 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe c) VOB/B auszugehen. Als Rechtsfolge wird die Ausführungsfrist verlängert um die Dauer der Nichtlieferbarkeit der Stoffe zuzüglich eines angemessenen Aufschlags für die Wiederaufnahme der Arbeiten, § 6 Absatz 4 VOB/B. Schadens-ersatz- oder Entschädigungsansprüche gegen das Unternehmen entstehen dadurch nicht. Umgekehrt gerät auch der Auftraggeber ggü. Folgegewerken nicht in Annahmeverzug, wenn sich deren Leistung in der Folge verschieben muss (vgl. BGH, Urteil vom 20.4.2017 – VII ZR 194/13).

IV.2 Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB
Sind die Materialien aus den eingangs genannten Produktgruppen zwar zu beschaffen, muss das Unternehmen jedoch höhere Einkaufspreise zahlen als kalkuliert, gilt folgendes:
Auftraggeber und Auftragnehmer haben den Vertrag in der Annahme geschlossen, dass sich die erforderlichen Materialien grundsätzlich beschaffen lassen und deren Preise nur den allgemeinen Unwägbarkeiten des Wirtschaftslebens unterliegen. Sie hätten den Vertrag nicht mit diesem Inhalt geschlossen, hätten sie gewusst, dass die kommenden Kriegsereignisse in der Ukraine derart unvorhersehbaren Einfluss auf die Preisentwicklung nehmen würden.
Zwar weist der Bauvertrag das Materialbeschaffungsrisiko grundsätzlich der Sphäre des Unternehmens zu. Das gilt jedoch nicht in Fällen höherer Gewalt.
Insoweit sind die Ereignisse grundsätzlich geeignet, die Geschäftsgrundlage des Vertrages im Sinne von § 313 BGB zu stören.
Die daran anschließende weitere Frage, ob dem Unternehmen gleichwohl das Festhalten an den unveränderten Vertragspreisen zumutbar ist, kann nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall beantwortet werden. Es gibt keine feste Grenze, ab deren Überschreiten von einer Unzumutbarkeit auszugehen ist. Die Rechtsprechung hat zum ebenfalls auf eine gestörte Geschäftsgrundlage abstellenden und daher vergleichbaren § 2 Absatz 7 VOB/B (Änderungen im Pauschalvertrag) in einzelnen Entscheidungen Werte zwischen 10 und 29 Prozent Mengen- bzw. Preissteigerung an-genommen, bei denen von einer Unzumutbarkeit auszugehen war. Ähnlich uneinheitlich ist das Meinungsbild in der baurechtlichen Literatur, die Angaben bewegen sich zwischen 20 und 25 Prozent, teilweise aber auch bereits bei 15 Prozent Kostensteigerung (vgl. Beck’scher VOB-Kommentar, Teil B, Rn. 66 f.; BeckOK VOB/B, Rn. 34).
Dabei ist nicht auf die einzelne Position, sondern auf eine Gesamtbetrachtung des Vertrages ab-zustellen. Je geringer der Anteil einer betroffenen Position am Gesamtauftragsvolumen ist, desto höher wird die anzusetzende Schwelle sein. In die Betrachtung sind bereits geschlossene Nachtragsvereinbarungen und bereits vorliegende oder angekündigte Nachtragsangebote einzubeziehen. Eine ohne Vertragsanpassung drohende Insolvenz des Unternehmens ist einerseits zwar nicht Voraussetzung, andererseits genügt es nicht, wenn die höheren Materialpreise den kalkulierten Gewinn aufzehren (die insoweit stellenweise angeführte Entscheidung des BGH aus 2011 (Urteil vom 30.06.2011, AZ VII ZR 13/10) betraf einen Einzelfall, bei dem irreführende Angaben des Auftraggebers in der Leistungsbeschreibung zu einer Fehlkalkulation des Unternehmens bei-getragen haben; sie ist nicht verallgemeinerungsfähig).
Wenn nach dieser Prüfung von einer gestörten Geschäftsgrundlage auszugehen ist, hat das Unternehmen einen Anspruch auf Anpassung der Preise für die betroffenen Positionen. Das bedeutet nicht, dass der Auftraggeber sämtliche die Kalkulation übersteigenden Kosten trägt. Die Höhe der Vertragsanpassung ist im Einzelfall festzusetzen, wobei die o.g. Gesichtspunkte der Zumutbarkeit erneut zu berücksichtigen sind. Eine Übernahme von mehr als der Hälfte der Mehrkosten wird jedenfalls regelmäßig unangemessen sein. Grundlage der Anpassung sind die reinen Materialpreise. Die Zuschläge für BGK, AGK, Wagnis und Gewinn bleiben unberücksichtigt.
Ich weise vorsorglich darauf hin, dass, sollte die Zumutbarkeit durch die Preisanpassung nicht wiederhergestellt werden können, dem Unternehmen nach § 313 Absatz 3 BGB ein Rücktrittsrecht vom Vertrag bzw. ein Sonderkündigungsrecht zusteht. Das bedeutet nicht, dass den Forderungen der Unternehmen in vollem Umfang Rechnung getragen werden muss. Das Risiko einer insoweit unberechtigten Kündigung trägt das Unternehmen.

IV.3 Veränderung von Verträgen, § 58 BHO
Der Vollständigkeit halber weise ich darauf hin, dass Verträge zum Nachteil des Bundes und zu Gunsten der Unternehmen auch unterhalb der Schwelle der gestörten Geschäftsgrundlage geändert werden können, vgl. Nummer 1.1 VV zu § 58 BHO.
Der Begriff des „Nachteils“ erlaubt es, nicht allein auf die wirtschaftliche Situation des Unternehmens abstellen zu müssen, sondern in eine Gesamtabwägung der Vor- und Nachteile für die Baumaßnahme eintreten zu können. Ergibt diese Gesamtabwägung beispielsweise, dass eine Anpassung von Preisen den termingerechten Fortgang der Baumaßnahmen fördert, Auseinandersetzungen an anderer Stelle vermeidet, Verwaltungsaufwand und Folgekosten (etwa durch längere Nutzung eines Ersatzmietobjekts) erspart, mag bereits kein Nachteil im wirtschaftlichen Sinne vorliegen.
Nur wenn nach dieser Abwägung dem Bund ein wirtschaftlicher Nachteil erwachsen würde, kommt es auf die Frage an, ob ein besonders begründeter Ausnahmefall vorliegt, weil das Unter-nehmen unbillig benachteiligt ist, da sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse bei Vertragserfüllung infolge ihm nicht zuzurechnender Umstände erheblich verschlechtern würden (siehe VV Nummer 1.4 zu § 58 BHO). Insoweit übertrage ich meine Entscheidungsbefugnisse auf die Fachaufsicht führende Ebene. Sollte ein besonders begründeter Ausnahmefall festgestellt werden und Verträge angepasst werden, bedarf es ab einem Betrag von 125.000 Euro (Höhe des Nachteils des Bundes) der Zustimmung des BMF, die über mich einzuholen wäre. Ergibt die Gesamtabwägung der Umstände bereits keinen Nachteil (s.o.), bedarf es einer solchen Zustimmung nicht.

IV.4 Nachweis durch die Unternehmen
Eine Preisanpassung muss das Unternehmen beantragen. Begehrt das Unternehmen eine Preisanpassung, sei es nach § 313 BGB, sei es nach § 58 BHO, ist es für die Darlegung der Voraussetzungen vollständig in der Pflicht. Insoweit ist beispielsweise zu verlangen:

  • Urkalkulation/Preisblätter
  • Nachweis der tatsächlichen Einkaufskosten und Versicherung des Unternehmens, dass etwaige Rückvergütungen oder Nachlässe des Baustofflieferanten o.ä. abgezogen sind
  • Nachweis der Marküblichkeit der tatsächlichen Einkaufspreise durch Vorlage von Vergleichsangeboten


    IV.5 Nachträgliche Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel
    Nach Prüfung der Unterlagen und in der Gesamtabwägung des Einzelfalls nach Ziffer IV.2 bzw. IV.3 kann auch die nachträgliche Einbeziehung einer Stoffpreisgleitklausel in einen bestehenden Vertrag in Frage kommen. Dabei ist folgendes zu beachten: Eine nachträgliche Vereinbarung kommt nur in Betracht für solche Verträge, bei denen bisher höchstens die Hälfte der Leistungen aus den o.g. Produktgruppen ausgeführt wurde. Preisgleitung kommt dabei nur für noch nicht erbrachte Leistungsteile in Betracht. Für die betroffenen Positionen ist eine GP-Nummer festzulegen, der Abrechnungszeitpunkt (s. Formblatt 225) zu bestimmen und der Basiswert 2 in Höhe des Materialanteils der jeweiligen Position aus dem Angebot des Auftragnehmers festzulegen. Die Fortschreibung auf den Basiswert 3 erfolgt über die Indizes des statistischen Bundesamtes auf die gewohnte Weise. Für die Ermittlung der Mehr-/Minderaufwendungen ist die Differenz aus Basiswert 3 und Basiswert 2 mit der ausgeführten Menge zu multiplizieren. Anstelle der im Formblatt 225 festgelegten Selbstbeteiligung von 10 Prozent ist mit dem Auftragnehmer eine Selbstbeteiligung in Höhe von 20 Prozent zu vereinbaren.

Die nachträgliche Vereinbarung erstreckt sich auf alle noch nicht erbrachten Teilleistungen, deren Ausführung in die Laufzeit des Erlasses fällt.

IV.6 Auftragsänderung, § 132 GWB bzw. § 22 EU VOB/A
Eine etwaige Preisanpassung im bestehenden Vertrag berührt den Anwendungsbereich des § 132 GWB. Hier gilt folgendes.
Nach § 132 Absatz 1 Nummer 2 GWB liegt eine wesentliche Auftragsänderung u.a. insbesondere dann vor, wenn mit der Änderung das wirtschaftliche Gleichgewicht des öffentlichen Auftrags zugunsten des Auftragnehmers in einer Weise verschoben wird, die im ursprünglichen Auftrag nicht vorgesehen war. Nach dem Vorgesagten dient § 313 BGB gerade dazu, das ursprüngliche wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrages wiederherzustellen. Es wird nicht zugunsten des Auftragsnehmers verschoben. Insoweit ist im Umkehrschluss regelmäßig bereits nicht von einer wesentlichen Auftragsänderung auszugehen.
Sollte – hilfsweise – gleichwohl eine wesentliche Vertragsänderung anzunehmen sein, so ist eine solche ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, soweit die Änderung aufgrund von Umständen erforderlich geworden ist, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte, und sich aufgrund der Änderung der Gesamtcharakter des Auftrags nicht verändert (§ 132 Absatz 2 Nummer 3 GWB).
Davon ist auszugehen, da die Kriegsereignisse in der Ukraine und ihre Folgen für den Auftraggeber in gleicher Weise unvorhersehbar waren wie für den Auftragnehmer.
Der Preis darf in diesem Fall nicht um mehr als 50 Prozent des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöht werden. Eine solche Vertragsänderung wäre im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt zu machen.

Schließlich ist – ebenfalls hilfsweise – die Änderung eines öffentlichen Auftrags zulässig, wenn sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert und der Wert der Änderung (Summe aller Auftragsänderungen) den europäischen Schwellenwert nicht übersteigt und nicht mehr als 15 Prozent des ursprünglichen Auftragswertes beträgt. In diesem Fall bedarf es auch keiner Bekanntmachung der Änderung.

Ich bitte um Bericht, sollte eine etwaige Preisanpassung vergaberechtlich angegriffen werden.

V. Inkrafttreten
Die Regelungen treten mit sofortiger Wirkung in Kraft und sind befristet bis 30. Juni 2022.

Im Auftrag
gez.
i.V. Lothar Fehn Krestas

Erfolgreicher Kläger erreicht Einsicht in die Bauakten über das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen – IFG NRW

Erfolgreicher Kläger erreicht Einsicht in die Bauakten über das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen – IFG NRW

vorgestellt von Thomas Ax 

  • Aus § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen (Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen – IFG NRW) ergibt sich grundsätzlich ein Anspruch auf Einsichtnahme in die bei den Bauaufsichtsbehörden geführten Bauakten.
  • Die Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbauordnung 2018 – BauO NRW 2018) enthält keine vorrangige abschließende Regelung in Bezug auf die Akteneinsicht in Bauakten. Dies gilt auch und insbesondere mit Blick auf § 72 BauO NRW.
  • Eine Bauakte ist in ihrer Gesamtheit regelmäßig eine Sammlung personenbezogener Daten.
  • Ein rechtliches Interesse im Sinne des § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstabe e) IFG NRW kann auch und gerade mit Blick auf die Einsichtnahme in Bauakten eines Nachbargrundstücks etwa dann gegeben sein, wenn der jeweilige Antragsteller eine – weder mutwillige noch offensichtlich aussichtslose – zivilrechtliche (Nachbar-) Klage bereits erhoben hat oder diese nach einer entsprechenden anwaltlichen Prüfung noch beabsichtigt und hierbei auf die Informationen aus der Bauakte angewiesen ist.
  • Eine Einsichtnahme in eine Bauakte zur Prüfung und Durchsetzung solcher Ansprüche bleibt aber auf die Informationen beschränkt, die zur Wahrnehmung des rechtlichen Interesses erforderlich sind.
  • Eine inzidente Prüfung dahingehend, ob ein zivilrechtlicher Anspruch tatsächlich gegeben ist, ist im Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstabe e) IFG NRW durch das Verwaltungsgericht nicht vorzunehmen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass der Anspruch schlüssig behauptet ist.

VG Gelsenkirchen, Urteil vom 08.03.2021 – 20 K 4117/19

Tatbestand

Der Kläger ist (Allein-) Eigentümer des Grundstücks xxx in xx (Gemarkung xx, Flur xx, Flurstücke xx und xx). Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Einsicht in die bei der Beklagten geführten Bauakten zu der benachbarten Liegenschaft xx (Gemarkung xx, Flur xx, Flurstücke xx und xx), die im (Allein-) Eigentum des Beigeladenen steht. Die auf diesem Grundstück aufstehenden Gebäude werden u.a. zu Wohnzwecken genutzt. Auf dem Grundstück xx betreibt außerdem die xx GmbH, deren Geschäftsführer der Beigeladene ist, einen Garten- und Landschaftsbau.

Der Kläger wandte sich mit seinem Akteneinsichtsersuchen erstmals mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Juni 2019 an die Beklagte. In diesem Schreiben trug er u.a. vor, dass er von Mitarbeitern der Stadtverwaltung erfahren habe, dass die Beklagte möglicherweise ein Teilstück der in ihrem Eigentum stehenden Straße xx veräußern wolle. Konkret solle sich der Beigeladene um den Erwerb jedenfalls der Wegeparzellen xx und xx bemühen. Selbst ein Teilverkauf von einer der Wegeparzellen würde die Zufahrt zu den landwirtschaftlichen Grundstücken des Klägers unmöglich machen. Vor diesem Hintergrund werde – frühzeitig und rein vorsorglich – bereits jetzt darauf hingewiesen, dass eine Veräußerung der Wegeparzellen „evident rechtswidrig“ wäre und zudem den Kläger in seinen Anliegerrechten verletzen würde. Nach dem Kenntnisstand des Klägers handele es sich bei der M. jedenfalls um eine konkludent dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße. Auf eine öffentliche Widmung deute im Übrigen auch der Umstand hin, dass im Zuge der Errichtung des im Außenbereich nicht privilegierten Gewerbebetriebes des Beigeladenen auf eine Sicherung der Erschließung durch Baulasten seitens der Beklagten verzichtet worden sei. Auf welcher Grundlage die Sicherung der Erschließung seitens der Beklagten überhaupt bejaht worden sei, sei darüber hinaus ebenso wenig ersichtlich wie die rechtliche Grundlage für die angenommene bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens, das sich zudem im Landschaftsschutzgebiet befinde. Da eine Beteiligung des Klägers in dem Genehmigungsverfahren für die zahlreichen gewerblichen Anlagen auf dem Grundstück M. xx (Flur xx, Flurstücke xx und xx) nicht stattgefunden habe, werde hiermit Einsicht in die die Liegenschaft M. xx betreffenden Bauakten durch Übersendung zu treuen Händen in die Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten beantragt. Zur Begründung heißt es in dem Antrag u.a., dass der Anspruch auf Auskunftserteilung und Akteneinsicht aus dem Umweltinformationsgesetz Nordrhein-Westfalen (UIG NRW) und dem Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen (Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen – IFG NRW) folge. Zugleich bat der Kläger die Beklagte um Stellungnahme und – gegebenenfalls – um eine Ablichtung einer amtlichen Bekanntmachung der Widmung der betreffenden Straße. Ferner wurde um Stellungnahme zu den Verkaufsabsichten und um die Gewährung von Einsicht in sämtliche das Straßengrundstück (Gemarkung xx, Flur xx, Flurstücke xx) betreffende Verwaltungsakten gebeten.

Mit Schreiben vom 18. Juni 2019 teilte die Beklagte dem Kläger zunächst mit, dass aufgrund der gemachten Hinweise hausintern die Widmungsfrage geprüft werde.

Mit weiterem Schreiben vom 3. Juli 2019 informierte die Beklagte sodann den Beigeladenen über den Antrag des Klägers nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen. In diesem Schreiben heißt es, dass der grundsätzliche rechtliche Anspruch auf Akteneinsicht nach diesem Gesetz vorhanden sei. Es werde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 12. Juli 2019 gewährt.

Mit weiterem Schreiben ebenfalls vom 3. Juli 2019 informierte die Beklagte auch die Verfahrensbevollmächtigten des Klägers darüber, dass zunächst der Eigentümer des betroffenen Grundstücks über den vorliegenden Akteneinsichtsantrag informiert und diesem Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden sei.

Der Beigeladene und seine Ehefrau nahmen mit E-Mail vom 8. Juli 2019 Stellung zu dem Antrag. Sie seien mit der Aushändigung und Einsichtnahme in „ihre“ Bauakten „absolut nicht einverstanden“. Sie gingen davon aus, dass der Kläger rechtsmissbräuchliche Absichten verfolge. Der Kläger tyrannisiere ihre Familie – auch ihre Kinder – schon seit fast 12 Jahren. Auch ihre Nachbarn, die Mieter der Hausnummer xx, Familie xx, seien mit der Freigabe ihrer Wohnungsgrundrisse nicht einverstanden; sie wollten nicht, dass der Kläger erfahre, wo u.a. die Schlafräume ihrer Kinder seien. Sie hielten dies für einen Eingriff in die Privatsphäre. Weiterhin sei auf die Wahrung von „Betriebsgeheimnissen“ – ohne weitere Angaben – hinzuweisen. Schließlich sei anzumerken, dass er – der Beigeladene – Mitglied im Rat der Stadt xx sei und der Kläger immer wieder versuche, ihn durch falsche Behauptungen und Unwahrheiten zu denunzieren.

Mit Anhörungsschreiben vom 10. Juli 2019 teilte die Beklagte daraufhin dem Kläger mit, dass der Beigeladene einer Einsichtnahme in die Bauakten widersprochen habe. Es werde davon ausgegangen, dass es sich bei den Bauakten für das genannte Grundstück vollständig um personenbezogene Daten im Sinne des § 9 Abs. 1 IFG NRW handele. Es werde Gelegenheit bis zum 31. Juli 2019 gewährt, das geltend gemachte rechtliche Interesse an der Einsichtnahme im Sinne des § 9 Abs. 1 Buchstabe e) IFG NRW zu konkretisieren. Soweit der Antrag im Zusammenhang mit einem schriftlichen Auskunftsbegehren zu möglichen Veräußerungsabsichten der Straße M. gestellt worden sei, könne insoweit auch eine Auskunft seitens der Beklagten erfolgen, ohne dass darüber hinaus eine Einsichtnahme in die Bauakten erforderlich wäre.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 15. Juli 2019 ließ der Kläger mitteilen, dass weiterhin eine Übersendung der Bauakten in die Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten beantragt werde. Es werde im Übrigen darauf hingewiesen, dass eine Akteneinsichtnahme im Bauaufsichtsamt nicht zumutbar sei. Nach einem Erlass des nordrheinwestfälischen Innenministeriums vom 21. Dezember 1988 sei bei einem bevollmächtigten Rechtsanwalt die Übersendung der Akte der Regelfall und das Absehen hiervon nur ausnahmsweise zulässig. Dass die Bauakten „personenbezogene Daten“ enthielten, erscheine wenig wahrscheinlich. Das vorliegende Akteneinsichtsgesuch stütze sich nicht nur auf § 4 Abs. 1 IFG NRW, sondern auch auf § 2 UIG NRW. Somit gelte gemäß § 2 UIG NRW i.V.m. § 9 Abs. 1 UIG, dass selbst personenbezogene Daten herauszugeben seien, wenn das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiege. Dies sei hier der Fall, weil einerseits die in Betracht kommenden Daten in keinem Falle die engere Persönlichkeitssphäre beträfen und andererseits das Interesse an einer transparent arbeitenden Verwaltung und deren effektiver Rechtskontrolle gewichtige Gemeinschaftsgüter seien. Hinzu komme im konkreten Fall, dass der Umfang und die Rechtmäßigkeit der erteilten Genehmigungen für den Nachweis relevant seien, dass die M. dem öffentlichen Verkehr diene. Von alledem abgesehen könnten einzelne personenbezogene Daten nicht als Argument herangezogen werden, die Akteneinsicht in alle Teile der Genehmigungsakte zu versagen. Vielmehr wären personenbezogene Daten – im (hier nicht absehbaren) Fall eines überwiegenden Geheimhaltungsinteresses – zu schwärzen.

Mit Bescheid vom 8. August 2019, den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 12. August 2019, lehnte die Beklagte den Antrag auf Einsichtnahme in die bei ihrem Bauaufsichtsamt vorhandenen Bauakten für das Grundstück M. xx sowohl nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (Ziffer 1 des Bescheids) als auch nach dem Umweltinformationsgesetz Nordrhein-Westfalen (Ziffer 2 des Bescheids) ab.

Zur Begründung der Ziffer 1 des Bescheids wird ausgeführt: Der Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen sei gemäß §§ 8 und 9 IFG NRW nicht gegeben. Der Beigeladene habe sich auf den Schutz von Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnissen im Sinne des § 8 IFG NRW berufen. Bei den begehrten Informationen handele es sich fraglos um solche mit Unternehmensbezug. Die Informationen seien nicht offenkundig und unterlägen dem Geheimhaltungswillen des Beigeladenen. Es bestehe auch ein hinreichendes berechtigtes Geheimhaltungsinteresse, da die Informationen aus den Bauakten geeignet seien, exklusives kaufmännisches oder technisches Wissen zu offenbaren und so die Wettbewerbsposition des Beigeladenen nachhaltig zu beeinflussen. Die Wahrscheinlichkeit eines Schadens werde dabei bereits durch die Offenbarung selbst indiziert. Des Weiteren könne auch unter Berücksichtigung des rechtlichen Interesses des Klägers an der begehrten Akteneinsicht dem Antrag gemäß § 9 IFG NRW nicht entsprochen werden. Bei den Bauakten für das genannte Grundstück handele es sich vollständig um personenbezogene Daten im Sinne des § 9 Abs. 1, 1. Hs. IFG NRW. Gemäß § 9 Abs. 1 IFG NRW sei der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, soweit durch das Bekanntwerden der Information personenbezogene Daten offenbart würden, es sei denn, dass einer der Ausnahmefälle nach § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstaben a) bis e) IFG NRW vorliege. Ein entsprechender Ausnahmefall liege hier indes nicht vor. Soweit der Kläger sich darauf berufe, durch die begehrte Akteneinsicht Informationen zum rechtlichen Charakter der Straße M. erhalten zu wollen, habe er die Möglichkeit, Akteneinsicht im Landesarchiv xx bezüglich der Straße M. zu beantragen; ebenso bestehe die Möglichkeit zur Einholung von Auszügen aus dem Liegenschaftskataster beim Vermessungs- und Katasteramt der Beklagten. Dem Kläger stünden folglich hinreichende Auskunftsmöglichkeiten zum rechtlichen Charakter der Straße M. zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund würden die schutzwürdigen Belange des Beigeladenen gegenüber dem geltend gemachten rechtlichen Interesse des Klägers überwiegen. Hinzu komme, dass das Auskunftsbegehren des Klägers durch eine gesonderte schriftliche Stellungnahme beantwortet werde. Ein entsprechendes Antwortschreiben sei derzeit in Vorbereitung. Eine Einsichtnahme in die Akten sei auch deshalb nicht erforderlich.

Zur Begründung der Ziffer 2 des Bescheids wird ausgeführt: Unter Berücksichtigung der in der abgegebenen Stellungnahme seitens des Beigeladenen aufgeführten Bedenken und nach Abwägung der Interessen des Klägers auf Akteneinsicht und den Interessen des Beigeladenen auf Geheimhaltung der Daten werde dem Antrag gemäß § 2 UIG NRW i.V.m. § 9 UIG nicht entsprochen. Der in § 2 UIG NRW gegebene Anspruch auf Akteneinsicht bestehe dann nicht, falls Ausschließungsgründe gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 UIG vorhanden seien, es sei denn, der Betroffene habe zugestimmt oder das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiege. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UIG sei der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, soweit durch das Bekanntwerden der Information personenbezogene Daten offenbart und dadurch Interessen des Betroffenen erheblich beeinträchtigt würden. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UIG sei der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, soweit durch das Bekanntgeben Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zugänglich gemacht würden. Mit Schreiben vom 8. Juli 2019 habe der Beigeladene der Bekanntgabe widersprochen und seine Interessen an der Nichtoffenbarung dargelegt. Er habe mögliche persönliche und auch geschäftliche negative Auswirkungen im Falle der Offenbarung der Daten angeführt. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UIG seien erfüllt, da der Informationszugang persönliche Daten des Beigeladenen offenbaren würde und zudem eine erhebliche Beeinträchtigung des Betroffenen zu befürchten sei. Durch die begehrte Akteneinsicht würden zudem, wie bereits dargelegt, Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnisse des Beigeladenen zugänglich gemacht. Die Tatbestandvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UIG seien vorliegend folglich ebenfalls erfüllt. Das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe der Daten überwiege vorliegend nicht, da über das geltend gemachte Transparenzgebot bzw. die Kontrolle rechtmäßigen Verwaltungshandelns hinaus keine Begründung für ein überwiegendes öffentliches Interesse dargelegt worden sei. Bei den begehrten Informationen handele es sich schließlich auch nicht um Umweltinformationen über Emissionen, bei denen der Informationszugang nicht unter Berufung auf die in den Nummern 1 und 3 genannten Gründe abgelehnt werden dürfe (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 UIG).

Mit anwaltlichem Schreiben vom 11. September 2019 legte der Kläger Widerspruch gegen die Ablehnung seines Antrags nach dem Umweltinformationsgesetz Nordrhein-Westfalen (Ziffer 2 des Bescheids) ein. Der Anspruch auf Einsicht in die Bauakte sei nach § 2 UIG NRW gegeben. Der Informationsantrag richte sich auf Umweltinformationen im Sinne des § 2 Sätze 1 und 3 UIG NRW i.V.m. § 2 Abs. 3 UIG. Der Begriff der Umweltinformation sei weit auszulegen. Es genüge ein gewisser Umweltbezug der Information. Ablehnungsgründe seien nicht ersichtlich. Weder die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UIG noch die des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UIG lägen vor. Ausgehend vom Begriffsverständnis in Art. 4 Nr. 1 der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) seien in einer Bauakte sicherlich auch personenbezogene Daten wie der Name, die Anschrift oder der Grundbesitz enthalten. Die Ansicht des Bauamtes, die Bauakte bestehe vollständig aus personenbezogenen Daten, sei indes unzutreffend. So treffe z.B. die Angabe darüber, wie viele Stellplätze für eine bauliche Anlage notwendig seien, keine Aussage über eine natürliche Person. Insbesondere bei der Frage, ob die Beklagte bei der Erteilung der Baugenehmigung an den Grundstückseigentümer davon ausgegangen sei, dass die M. eine öffentliche Straße sei, handele es sich nicht um ein personenbezogenes Datum. Selbst wenn man dies anders bewerten wolle, würde das Bekanntgeben die Interessen des Beigeladenen nicht erheblich beeinträchtigen. In diesem Zusammenhang komme es auf den Grad der Schutzwürdigkeit sowie die Erheblichkeit der Beeinträchtigung an. Umstände aus dem datenschutzrechtlich besonders schutzbedürftigen, engeren privaten Lebensbereich seien im Umweltinformationsrecht typischerweise nicht betroffen, sondern regelmäßig nur Informationen über die Position des Betroffenen in der Außenwelt. Der Inhalt einer Bauakte betreffe nicht Daten aus dem innersten (Intim-) Bereich oder der engeren Persönlichkeitssphäre. Auch würde das Bekanntgeben die Interessen des Beigeladenen nicht erheblich beeinträchtigen. Insbesondere die Herausgabe von Informationen über die Frage, von welchem rechtlichen Charakter der Straße die Beklagte bei der Genehmigungserteilung an den Grundstückseigentümer ausgegangen sei, beeinträchtige den Beigeladenen nicht. Im Übrigen habe die Beklagte eine erhebliche Beeinträchtigung auch nicht substantiiert dargelegt. Schließlich überwiege das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe der Information. Es gehe nicht nur um die allgemeine Kontrolle der Verwaltung, sondern um einen konkreten Informationsanspruch, den der Kläger geltend mache, um seine Anliegerposition verteidigen zu können. Insofern habe er durchaus auch ein überwiegendes öffentliches Interesse dargelegt. Gemäß § 11 Abs. 1 des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (StrWG NRW) sollten öffentliche Straßen im Eigentum der Stadt als Straßenbaulastträgerin stehen. An solchen klaren Eigentumsverhältnissen und an dem Beibehalten dieser Eigentumsverhältnisse habe die Allgemeinheit ein Interesse. Der Kläger erwäge, gegen eine mögliche Veräußerung der Straße vorzugehen, um seine Anliegerinteressen und die öffentlichen Interessen am Verbleib des Eigentums bei der Stadt zu verteidigen. Das damit formulierte öffentliche Interesse am Erhalt der erforderlichen Informationen überwiege das Geheimhaltungsinteresse des Grundstückseigentümers. Auch sei durch den pauschalen Verweis auf § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UIG das Vorliegen dieses Ablehnungsgrundes nicht hinreichend dargelegt. Die Beweislast dafür, dass hier Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse betroffen seien, liege bei der Beklagten. Derartiges hätte substantiiert und konkret dargelegt werden müssen, zumal es fernliegend sei, dass eine Bauakte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalte. Selbst wenn dies in einzelnen Passagen der Fall sein sollte, könnten diese geschwärzt werden. Der Kläger habe deutlich gemacht, dass ihn Informationen über die Einstufung der Straße und nicht etwa Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Gewerbebetriebs des Nachbarn interessierten. Im Übrigen müsste auch insoweit Akteneinsicht gewährt werden aufgrund des bereits aufgezeigten überwiegenden öffentlichen Interesses an der Bekanntgabe. Schließlich sei auf § 5 Abs. 3 UIG hinzuweisen. Danach seien – selbst bei Vorliegen eines Ablehnungsgrundes nach § 8 UIG oder § 9 UIG – die hiervon nicht betroffenen Informationen zugänglich zu machen, soweit dies möglich sei, und nur die betroffenen Informationen auszusondern. Demnach sei jedenfalls die vollständige Verweigerung der Akteneinsicht rechtswidrig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 2019, den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 25. September 2019, wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Im Ausgangsbescheid sei zutreffend dargelegt worden, dass dem Auskunftsbegehren die Vorschriften des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 UIG entgegenstünden. Bei den Bauakten für das genannte Grundstück handele es sich vollständig um personenbezogene Daten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UIG i.V.m. Art. 4 DS-GVO. Danach seien personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen würden. Sämtliche Bestandteile einer Bauakte hätten einen Bezug zur erweiterten wirtschaftlichen bzw. sozialen Identität des jeweils Betroffenen. Des Weiteren würden sich ohnehin keine gesicherten Informationen zur Widmung einer Straße bzw. zur Frage, ob es sich um eine öffentliche oder private Straße handelt, vorrangig in Bauakten finden. Zu dieser Frage erhalte der Kläger demnächst eine gesonderte Auskunft. Eine Einsicht in die Bauakten sei daher nicht erforderlich.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 1. Oktober 2019 nahm der Kläger zu dem Widerspruchsbescheid gegenüber der Beklagten nochmals Stellung. Es sei anzumerken, dass § 5 Abs. 3 UIG keine Regelung zur Erforderlichkeit des Informationszugangs treffe und die Erforderlichkeit der Akteneinsicht kein Kriterium für die Beurteilung des Anspruchs sei. Vielmehr dürfe die antragstellende Person nach § 3 Abs. 2 UIG ausdrücklich nur dann auf eine andere Art des Informationszugangs verwiesen werden, wenn und soweit die Information ihr bereits auf andere, leicht zugängliche Art, insbesondere durch eine Verbreitung nach § 10 UIG, zur Verfügung stehe (und nicht irgendwann einmal zur Verfügung stehen werde). Leider liege bis heute keine Stellungnahme des zuständigen Fachbereichs der Beklagten zu der Einstufung oder zur Widmung der Straße M. vor. Ungeachtet dessen könne der Kläger durch Einsichtnahme in die Bauakte eine weitere bzw. andere Information erhalten, namentlich die Information, wie die Beklagte die Straße zum damaligen Zeitpunkt, also bevor sie die Überlegungen zur Veräußerung der Straße angestellt habe, eingestuft habe. Schließlich sehe § 3 Abs. 2 UIG ausdrücklich vor, dass ein Informationszugang nur aus wichtigen Gründen auf andere Art eröffnet werden dürfe, wenn eine bestimmte Art des Informationszugangs beantragt worden sei. Als gewichtiger Grund gelte insbesondere ein deutlich höherer Verwaltungsaufwand. Einen solchen habe die Beklagte nicht dargelegt und ein solcher sei auch ersichtlich nicht gegeben. Um einen unnötigen Rechtsstreit zu vermeiden, werde daher um Übersendung der zugesagten schriftlichen Auskunft zur Einstufung der Straße M. bis zum 12. Oktober 2019 gebeten.

Mit Schreiben vom 14. Oktober 2019 nahm die Beklagte Stellung zu der rechtlichen Einordnung der Straße M. . Nach – in dem Schreiben im Einzelnen näher beschriebenen – umfangreichen Recherchen in internen Quellen werde mitgeteilt, dass die fragliche Straße keine öffentliche Straße im Sinne des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen sei. Auch bestehe für die Straße keine Widmungspflicht. Darüber hinaus werde mitgeteilt, dass derzeit keinerlei Absichten seitens der Beklagten bestünden, die Flurstücke xx und/oder xx zu verkaufen.

Der Kläger hat bereits am 11. September 2019 die vorliegende Klage erhoben, mit der er sein Akteneinsichtsbegehren auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen weiter verfolgt. Mit weiterer Klage vom 25. Oktober 2020, die hier unter dem Az. 20 K 4735/19 geführt wird, verfolgte der Kläger auch sein Akteneinsichtsbegehren auf der Grundlage des Umweltinformationsgesetzes Nordrhein-Westfalen weiter.

Zur Begründung der vorliegenden Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Teile seiner landwirtschaftlichen Flächen und Anlagen seien über die M. erschlossen. Die Zufahrt zu diesen landwirtschaftlichen Flächen komme aufgrund der Größe der erforderlichen landwirtschaftlichen Geräte auch nur über die M. in Betracht. Sein Akteneinsichtsgesuch habe er daher an die Beklagte gerichtet, um überprüfen zu können, ob eine Veräußerung der Wegeparzellen rechtswidrig wäre. Die Klage sei – ursprünglich – nur fristwahrend erhoben worden. Da allerdings die – während des vorliegenden Gerichtsverfahrens – erteilte Auskunft der Beklagten über die rechtlichen Einordnung der Straße M. mit Schreiben vom 14. Oktober 2019 sein Informationsinteresse nicht erledigt habe, halte er an seinem Akteneinsichtsgesuch weiterhin fest. In dem Schreiben vom 14. Oktober 2019 werde nur die „derzeitige“ rechtliche Einschätzung wiedergegeben, nicht aber die ihn interessierende Einschätzung zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung an den Beigeladenen. Auch habe die Beklagte eine Verkaufsabsicht nur für den Augenblick („derzeit“) ausgeschlossen. Der insoweit weiterhin geltend gemachte Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW sei gegeben. Eine Bauakte bestehe entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vollständig aus personenbezogenen Daten; dies habe etwa das Verwaltungsgericht Köln bereits so entschieden (Urteil vom 25. November 2005 – 27 K 6171/03 -). Soweit sich die Beklagte auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus aus dem Jahre 2011 berufe, wonach Bauakten in vollem Umfange personenbezogene Daten enthielten und daher ein Informationszugang für Nachbarn nur in Bezug auf die in den Akten enthaltenen eigenen Daten, namentlich die Abbildung der Grundstücksgrenze, möglich sei, so sei dieses Urteil falsch und durch aktuellere Rechtsprechung überholt. Sowohl das Verwaltungsgericht Aachen (Urteil vom 28. November 2012 – 8 K 2366/10 -) als auch das Verwaltungsgericht Schleswig (Urteil vom 1. Juni 2016 – 8 A 84/14 -) sowie jüngst der VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 17. Dezember 2020 – 10 S 3000/18 -) hätten entschieden, dass die in Bauakten enthaltenen sachbezogenen Daten zugänglich zu machen seien. Selbst wenn man das anders sehen wollte, so habe der Kläger gemäß § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstabe e) IFG NRW mit Blick auf die drohende Verletzung seiner Anliegerrechte aus § 14a StrWG NRW, die vor allem den Zugang zur Straße und die Zugänglichkeit des Grundstücks von der Straße her umfassten, ein rechtliches Interesse an der begehrten Information geltend gemacht. Auch würden keine überwiegenden schutzwürdigen Belange des Beigeladenen der Offenbarung entgegenstehen. Denn bei den in der Bauakte enthaltenen Daten handele es sich nicht um Daten, die einen hohen Grad an Schutzbedürftigkeit aufweisen würden. In jedem Fall wäre aber zu prüfen gewesen, ob dem Antrag auf Informationszugang nach Abtrennung oder Schwärzung der personenbezogenen Daten stattgegeben werden könne, vgl. § 10 Abs. 1 IFG NRW. Soweit sich die Beklagte auch auf den Ausschlussgrund des § 8 IFG NRW berufe, sei anzumerken, dass die Beklagte das Vorliegen dieses Ausschlussgrundes nicht hinreichend dargelegt habe. Die Beklagte zitiere in dem Ablehnungsbescheid allein den Gesetzeswortlaut des § 8 IFG NRW und nenne eine Definition von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ohne tragfähige Subsumtion. Es sei völlig fernliegend, dass durch die Gewährung der Akteneinsicht, insbesondere durch Gewährung von Einsicht in Informationen, die die Einstufung bzw. den rechtlichen Charakter der Straße M. beträfen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse offenbart würden. Soweit die Akte tatsächlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalten sollte, beispielsweise Daten zum Gewerbebetrieb des Betroffenen, könnten diese ohne Probleme entnommen oder geschwärzt werden. Der Kläger habe bereits im Verwaltungsverfahren deutlich gemacht, dass er Informationen über die Einstufung der Straße M. benötige. Informationen über exklusives kaufmännisches oder technisches Wissen des Beigeladenen interessierten ihn nicht. Zuguterletzt habe die Beklagte den Antrag auch nicht etwa nach § 5 Abs. 4 IFG NRW ablehnen dürfen. Die Beklagte habe den Kläger in dem Ablehnungsbescheid auf die Möglichkeit verwiesen, sich beim Landesarchiv Münster über den rechtlichen Charakter der M. zu informieren und Auszüge aus dem Liegenschaftskataster einzuholen. Diese allgemein zugänglichen Quellen würden dem klägerischen Begehren indes nicht gerecht, da er durch die Akteneinsicht erfahren möchte, ob die Beklagte ihrerseits damals – bei der Erteilung der Baugenehmigung an den Beigeladenen – davon ausgegangen sei, dass es sich bei der M. um eine öffentliche Straße handele.

Nachdem der Kläger unter dem 21. November 2019 eine weitere Klage vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gegen die Beklagte erhoben hatte (Az. 2 K 5092/19) mit dem Ziel, gerichtlich feststellen zu lassen, dass es sich bei der Straße M. um eine öffentliche Straße handelt, haben der Kläger und die Beklagte im August 2020 eine außergerichtliche Vergleichsvereinbarung geschlossen, die eine Erschließung der landwirtschaftlichen Flächen des Klägers über die Straße M. auch zukünftig ermöglichen und eine Veräußerung der betreffenden Wegeparzellen an Dritte grundsätzlich ausschließen soll. Das diesbezügliche Gerichtsverfahren ist infolge übereinstimmender Erledigungserklärungen daraufhin durch Beschluss vom 7. Dezember 2020 – 2 K 5092/19 – eingestellt worden.

Bereits zuvor, mit Schriftsatz vom 24. Februar 2020, hatte der Kläger im vorliegenden Verfahren mitgeteilt, dass sein materiell geltend gemachtes Informationsinteresse an dem Informationszugang unabhängig vom Ausgang des Verfahrens 2 K 5092/19 fortbestehen werde. Die Beklagte missverstehe nach wie vor sein Begehren. Er wolle wissen, wie die Beklagte die Straße M. bei der Erteilung der Baugenehmigung an den Beigeladenen insbesondere mit Blick auf die erforderliche Erschließung eingestuft habe. Zum anderen gehe es dem Kläger auch darum, durch die Akteneinsicht Informationen über die Rechtmäßigkeit der Entwässerungssituation auf dem Grundstück des Beigeladenen zu erhalten. Das Grundstück des Klägers liege tiefer als das Nachbargrundstück des Beigeladenen, so dass das Oberflächenwasser (und der über das klägerische Grundstück verlaufende Bach „xx“ als Vorflut) entsprechend zufließe. Er – der Kläger – sei daher unmittelbar den von der Nutzung und Zuwegung des Nachbargrundstücks ausgehenden Einwirkungen ausgesetzt, insbesondere habe er aufgrund der regelmäßigen Überflutung seiner landwirtschaftlichen Flächen infolge wild abfließenden Wassers des Nachbargrundstücks ein legitimes Interesse daran, Einblick in die Rechtmäßigkeit der Entwässerungssituation zu erhalten, um auf eine ordnungsgemäße, den Anforderungen des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) und des Landeswassergesetzes (LWG NRW) und des Gewässerschutzes genügende Ableitung von Niederschlagswasser und Abwasser im Bereich des Nachbargrundstücks hinwirken zu können. Er habe bereits in dem Parallelverfahren 20 K 4735/19 darauf hingewiesen, dass seit 1984 bis in jüngste Zeit auf dem Nachbargrundstück nach seiner Wahrnehmung umfangreiche Aufschüttungen, (Boden-) Versiegelungen sowie Nutzungsänderungen vorgenommen worden seien, die erhebliche negative Auswirkungen auf sein Grundstück hätten. Der Beigeladene habe ferner neue Baukörper errichtet, ein Wohnstallgebäude zu einer Doppelhaushälfte umgebaut und eine zunächst für die landwirtschaftliche Nutzung genehmigte Halle anschließend für den Gewerbebetrieb des Garten- und Landschaftsbaus umgenutzt. Bis heute bestehe kein öffentlicher Kanalanschluss für Schmutzwasser sowie Gebäude- und Dachentwässerung. Er – der Kläger – vermute, dass die genehmigte Kleinkläranlage nicht ausreichend dimensioniert sei, was im Übrigen durch das – vom Beigeladenen im Gerichtsverfahren vorgelegte „Abnahmeprotokoll“ belegt werde, da hierin nur von „1 Haushalt“ die Rede sei. Im Übrigen verfüge der mittelständische gewerbliche Betrieb des Beigeladenen weder über eine Hofentwässerung noch über eine Ölabscheidung. In der Folge würde bei Regenereignissen in erheblichem Maße Oberflächenwasser vom Nachbargrundstück über die nicht kanalisierte und über keinen Graben verfügende Straße M. auf die Flächen des klägerischen Grundstücks fließen. Er – der Kläger – vermute, dass das abfließende Oberflächenwasser schadstoffbelastet sein könne. Über die massiven Bautätigkeiten und Umnutzungen auf dem Nachbargrundstück sei er in keinem Fall vorher informiert worden, insbesondere sei auch keine Nachbarbeteiligung im Baugenehmigungsverfahren durchgeführt worden. Wie etwa das Verwaltungsgericht Aachen (Urteil vom 28. November 2012 – 8 K 2366/10 -) bereits zutreffend ausgeführt habe, seien beispielsweise Berichte über Kanaluntersuchungen, den Zustand von Anschlussleitungen, das Innere von Schmutzwasserleitungen und auf dem Grundstück vorhandene Oberflächenleitungen keine personenbezogenen Daten. Das Verwaltungsgericht Aachen habe ferner unter Hinweis auf das Urteil des Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Juli 1998 – 20 A 1063/87 – zutreffend ausgeführt, dass ein uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht jedenfalls dann bestehe, wenn der Antragsteller die Akteneinsicht zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen den Bauherrn benötige. Dies habe auch das Verwaltungsgericht Köln bereits so entschieden (Urteil vom 25. November 2005 – 27 K 6171/03 -). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung stehe dem Kläger – auch unabhängig von einer möglichen Veräußerung der Straße M. – der Anspruch in Bezug auf die Informationen zur (Um-) Nutzung des Nachbargrundstücks, zur Genehmigungssituation der baulichen Anlagen und zur Entwässerungssituation zu. Er – der Kläger – benötige diese Informationen, um prüfen zu können, ob und in welchem Umfang öffentlichrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte auf Einschreiten bestünden. Jedenfalls in Bezug auf die insoweit relevanten Informationen könne der Kläger auch nicht auf andere Informationsquellen verwiesen werden. Schließlich sei es für die Beurteilung des Informationsanspruchs des Klägers auch unerheblich, ob die vom Kläger begehrten Informationen tatsächlich in der Bauakte vorhanden seien. Ob die erwarteten Erkenntnisse in der Akte enthalten seien, zeige sich gerade durch die begehrte Akteneinsicht und nicht dadurch, dass die aktenführende Behörde ihre Einschätzung hierzu vorab mitteile.

Der Kläger beantragt,

  1. die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 1 des Bescheids vom 8. August 2019 zu verpflichten, dem Kläger die am 6. Juli 2019 beantragte Akteneinsicht zu gewähren,
  2. hilfsweise: die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 1 des Bescheids vom 8. August 2019 zu verpflichten, den Antrag auf Akteneinsicht des Klägers vom 6. Juli 2019 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass der grundsätzliche Anspruch auf Informationszugang, der in § 4 IFG NRW normiert sei, vorliegend nicht bestehe, da der Ablehnungsgrund des § 9 IFG NRW einschlägig sei. Die Bauakte „des Beigeladenen“ enthalte vollständig personenbezogene Daten. Insoweit werde Bezug genommen auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 26. Mai 2011 – VG 3 K 820/10 -. Die Bauakte spiegele die Beziehung von Bauherrn und Baugenehmigungsbehörde in Bezug auf das konkrete Bauvorhaben des Einzelnen wider. Insofern komme auch eine Schwärzung und bzw. oder Abtrennung nach § 10 IFG NRW vorliegend nicht in Betracht, da die vollständige Bauakte „eine“ personenbezogene Datei sei. Eine Ausnahme nach § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstabe a) IFG NRW liege nicht vor, da keine Einwilligung des Betroffenen erteilt worden sei. Auch die Ausnahmetatbestände des § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstaben b) bis d) IFG NRW lägen offensichtlich nicht vor. Der Antrag des Klägers sei auch nicht nach § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstabe e) IFG NRW zuzulassen. Zwar habe der Kläger – hinsichtlich der Erschließungsfrage – ein rechtliches Interesse an der Offenbarung der begehrten Information geltend gemacht. Auch sei sein Grundstück durch die Straße M. erschlossen. Würde diese Straße an eine dritte Person veräußert und damit eingezogen, wäre der Kläger erheblichen Nachteilen ausgesetzt. Dass er sich gegen eine solche vermeintliche Veräußerung rechtlich zur Wehr setzen wolle, sei verständlich. Allerdings stünden dem Kläger – wie bereits im Ablehnungsbescheid ausgeführt – hinsichtlich der Frage, ob die M. als öffentliche Straße gemäß § 2 StrWG NRW zu qualifizieren sei, anderweitige Möglichkeiten zur Verfügung. Er habe mit Schreiben vom 14. Oktober 2019 inzwischen auch eine entsprechende Antwort seitens des zuständigen Fachamtes der Beklagten auf eben diese Frage erhalten. Zudem sei zweifelhaft, ob die Bauakte „des Beigeladenen“ überhaupt die vom Kläger begehrte Information enthalte. Im Ergebnis mache es heute auch keinen Unterschied, ob die Beklagte damals bei der Erteilung der Baugenehmigung an den Beigeladenen ihrerseits davon ausgegangen sei, dass die M. eine öffentliche Straße sei. Die rechtlichen Interessen des Klägers würden (durch diese ehemalige Einschätzung) nicht (mehr) beeinträchtigt. Davon abgesehen habe der Fachbereich Tiefbau, der das Antwortschreiben vom 14. Oktober 2019 verfasst habe, natürlich auch Einblick in die Bauakte „des Beigeladenen“ genommen. Bei alledem überwiege folglich das Interesse des Betroffenen an der informationellen Selbstbestimmung, insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch Informationen zu seinem Geschäftsbetrieb in der Bauakte enthalten seien. Soweit der Kläger sein rechtliches Interesse (zwischenzeitlich) auch darauf stütze, dass die begehrte Akteneinsicht zur Geltendmachung nachbarrechtlicher Schutz- und Abwehransprüche wegen der „Überflutungen“ – die ihre Ursache gegebenenfalls in ungenügenden Maßnahmen zur Ableitung von Niederschlagswasser bzw. Abwasser, umfangreichen Aufschüttungen, Versiegelungen und Nutzungsänderungen auf dem Nachbargrundstück haben könnten – erforderlich sei, sei zunächst anzumerken, dass sämtliche Baugenehmigungsverfahren abgeschlossen seien und der Kläger als Nachbar damit nicht mehr Beteiligter im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen sei; etwaige Bedenken eines Grundstückeigentümers gegen Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück könnten (nur) vor Eintritt der Bestandskraft geltend gemacht werden. Ungeachtet dessen könnten die vom Kläger angeführten Aspekte zu möglichen rechtswidrigen Grundstücksverhältnissen gegebenenfalls im Rahmen eines Antrags auf ordnungsbehördliches Einschreiten durch das Bauaufsichtsamt überprüft werden. Hierbei würde das Bauaufsichtsamt die Genehmigungslage des Nachbargrundstücks mit dem aktuellen Zustand vergleichen und gegebenenfalls ordnungsbehördliche Maßnahmen einleiten. Eine Einsichtnahme des Klägers in die Bauakten wäre dann entbehrlich. Konkret zu dem geltend gemachten Klärungsbedarf des Klägers hinsichtlich der Entwässerungssituation sei im Übrigen noch Folgendes angemerkt: Der Kläger habe sich bereits im Jahre 2016 hinsichtlich der Entwässerungsproblematik bezüglich seines Grundstücks an die Beklagte (Fachbereich Tiefbau) gewandt. Die Entwässerungsverhältnisse im Bereich des klägerischen Grundstücks seien daher bereits geprüft und bewertet worden. Dies sei bei einer Abwägung im Rahmen des § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstabe e) IFG NRW zu berücksichtigen.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Mit Schriftsätzen vom 18. Juni 2020 und 17. Februar 2021 teilt er mit, dass er (weiterhin) mit einer Einsichtnahme des Klägers in „seine“ Bauakte nicht einverstanden sei. Hierzu trägt er im Einzelnen vor, dass das Nachbarschaftsverhältnis nachhaltig gestört sei. Der Kläger würde seit Jahren haltlose Anschuldigungen gegen ihn erheben. Auch würde der Kläger jetzt schon seit Jahren das „private Umfeld“ des Beigeladenen „intensiv beobachten und fotografieren“. Zum Eigenschutz habe er, der Beigeladene, sein Grundstück mit einer Videoüberwachung gesichert. Die Einsicht in die Bauakten, besonders vor dem Hintergrund, dass auch Informationen über die getroffenen Schutzmaßnahmen, namentlich über die Videoüberwachung, herausgegeben werden könnten, würde sich für den Beigeladenen, seine Familie und seine Mieter als weitere gravierende Verletzung ihrer Privatsphäre darstellen. Zum Nachweis, dass die Kläranlage genehmigt und ordnungsgemäß betrieben werde, legt der Beigeladene u.a. ein Abnahmeprotokoll der Beklagten sowie die Wartungsprotokolle einer Fachfirma aus den letzten 5 Jahren vor. Die persönlichen Vorwürfe und Anschuldigungen, die der Kläger in seinen Schriftsätzen gegenüber ihm – dem Beigeladenen – erhebe, seien völlig haltlos und könnten jederzeit widerlegt werden.

Die persönlichen Vorwürfe des Beigeladenen werden seitens des Klägers ebenso als haltlos bestritten und im Übrigen für das vorliegende Verfahren als rechtlich unerheblich bewertet.

Die Kammer hat die Gerichtsakten zu den Verfahren 2 K 5092/19 und 20 K 4735/19 beigezogen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie auf den Inhalt der beigezogenen Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

I Die Klage hat teilweise Erfolg.

1. Die Klage ist zwar als Verpflichtungsklage nach § 42Abs. 1 Alt. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) insgesamt zulässig. Insbesondere wurde die Klage am 11. September 2019 gemäß § 74Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO fristgerecht erhoben. Auch bedurfte es vor Erhebung der Klage gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. § 110 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (Justizgesetz Nordrhein-Westfalen – JustG NRW) keiner Durchführung eines Widerspruchsverfahrens.

Vgl. zur Entbehrlichkeit eines Widerspruchsverfahrens nur OVG NRW, Urteil vom 24. November 2015 – 8 A 1032/14 -, juris Rn. 32.

2. Die Klage ist aber nur teilweise begründet. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Anspruch auf Akteneinsicht in die Bauakten zu dem Grundstück M. xx in xx nur in dem tenorierten Umfang zu, § 113Abs. 5 VwGO.

a) Der diesbezügliche Anspruch ergibt sich aus § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen (Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen – IFG NRW). Die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 IFG NRW sind grundsätzlich gegeben (vgl. hierzu unten aa) bis cc)). Dem begehrten Informationszugang steht allerdings teilweise der Ausschlussgrund des § 9 Abs. 1 IFG NRW entgegen (vgl. hierzu unten dd)).

aa) Nach § 4 Abs. 1 IFG NRW hat jede natürliche Person nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den in § 2 IFG NRW genannten Stellen Anspruch auf Zugang zu den bei der Stelle vorhandenen amtlichen Informationen. Der Kläger ist danach als natürliche Person grundsätzlich anspruchsberechtigt. Die Beklagte ist als Gemeinde und damit als öffentliche Stelle nach § 2 Abs. 1 IFG NRW grundsätzlich informationspflichtig. Auch handelt es sich bei der zu dem Grundstück M. xx geführten Bauakte um amtliche Informationen i.S.d. § 3 IFG NRW, da hierzu alle Informationen zählen, die bei der Erfüllung amtlicher Tätigkeit gewonnen und verarbeitet werden. Hierzu zählen auch solche, die die Behörde zu einem amtlichen Zweck, wie etwa zur Prüfung der Erteilung einer Baugenehmigung, erhält.

Vgl. nur Neumann, Ein Jahr Informationsfreiheit in Mecklenburg-Vorpommern: Erste Erfahrungen, NordÖR 2008, 308 (312).

bb) Des Weiteren hat der Kläger auch einen hinreichend bestimmten Antrag bei der Beklagten gemäß § 5 Abs. 1 IFG NRW gestellt. Informationsgegenstand ist danach die gesamte Bauakte zu der Liegenschaft M. xx. Soweit die Beklagte den Kläger darauf hingewiesen hat, er könne sich insbesondere die Informationen über die rechtliche Einordnung der Straße M. auch aus anderen Informationsquellen verschaffen, steht dies – selbst wenn dies zutreffend sein sollte – dem Anspruch auf Einsicht in die Bauakte nicht entgegen. Zwar kann nach § 5 Abs. 4 IFG NRW der Antrag abgelehnt werden, wenn die Information dem Antragsteller bereits zur Verfügung gestellt worden ist oder wenn sich der Antragsteller die Information in zumutbarer Weise aus allgemein zugänglichen Quellen beschaffen kann. Diese Regelung kommt hier indes nicht zum Tragen, da der Kläger gerade die in der Bauakte enthaltenen Informationen in Erfahrung bringen will. Für dieses Begehren muss er auch kein wie auch immer geartetes berechtigtes Interesse nachweisen. Denn der Informationsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen zeichnet sich dadurch aus, dass er – weitestgehend – voraussetzungslos und vor allem unabhängig von dem Erfordernis eines „berechtigten Interesses“ ist.

Vgl. allgemein zum Informationsfreiheitsrecht nur VG Berlin, Urteil vom 24. August 2004 – 23 A 1.04 -, juris Rn. 15 (ebenfalls zur Akteneinsicht in Bauakten).

cc) Im vorliegenden Fall sind auch keine besonderen Rechtsvorschriften über den Informationszugang i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW, die den Vorschriften des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen vorgehen, ersichtlich.

(1) Insbesondere ist § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW), der den Beteiligten eines laufenden Verwaltungsverfahrens ein Akteneinsichtsrecht einräumt, soweit die Einsichtnahme zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist, keine besondere, ein Akteneinsichtsrecht auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen ausschließende Rechtsvorschrift im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2005 – 21 E 1487/04 -, juris Rn. 19 ff.; VG Minden, Urteil vom 18. August 2004 – 3 K 4613/03 -, juris Rn. 30; VG Köln, Urteil vom 25. November 2005 – 27 K 6171/03 -, juris Rn. 29 f.; VG Aachen, Beschluss vom 22. April 2008 – 8 K 22/08 -, juris Rn. 5 ff., und Urteil vom 28. November 2012 – 8 K 2366/10 -, juris Rn. 32 ff.; siehe zum Ganzen auch Tege, in: Fluck/Fischer/Fetzner (Hrsg.), Informationsfreiheitsrecht, Kommentar, Bd. 2 (Stand: Juni 2020), § 4 IFG NRW Rn. 29 ff.

Soweit die Beklagte daher darauf hinweist, dass Nachbarn etwaige Bedenken gegen Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück als Beteiligte im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen geltend machen und insofern auch Akteneinsicht beantragen können, ist dies mithin für den Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen unerheblich. In der Konsequenz schließt damit auch der Umstand, dass die für das Nachbargrundstück erteilten Baugenehmigungen inzwischen sämtlich bestandskräftig geworden sein sollen, einen Anspruch auf Akteneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen nicht aus. Und auch der Umstand, dass die vom Kläger angeführten Aspekte zu möglichen rechtswidrigen Grundstücksverhältnissen gegebenenfalls im Rahmen eines Antrags auf ordnungsbehördliches Einschreiten durch das Bauaufsichtsamt überprüft werden könnten und dem Kläger auch in einem solchen Verfahren ein Akteneinsichtsrecht aus § 29 VwVfG NRW wohl zustehen dürfte, lässt ebenfalls einen grundsätzlich gegebenen Anspruch auf Einsichtnahme in eine Bauakte aus § 4 Abs. 1 IFG NRW folglich nicht entfallen.

(2) Auch enthält die Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbauordnung 2018 – BauO NRW 2018) keine vorrangige abschließende Regelung in Bezug auf die Akteneinsicht in Bauakten. Dies gilt auch und insbesondere mit Blick auf § 72 BauO NRW.

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2020 – 10 S 3000/18 -, juris Rn. 25 (zu § 1 Abs. 3 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen in Baden-Württemberg [Landesinformationsfreiheitsgesetz – LIFG] und § 55 der Landesbauordnung für Baden-Württemberg [LBO]).

§72 BauO NRW betrifft lediglich die Beteiligung der Angrenzer und der Öffentlichkeit in den dort genannten Fällen. Nach Absatz 1 soll die Bauaufsichtsbehörde die Eigentümer angrenzender Grundstücke (Angrenzer) vor Erteilung von Abweichungen und Befreiungen benachrichtigen, wenn zu erwarten ist, dass öffentlichrechtlich geschützte nachbarliche Belange berührt werden (Satz 1); Einwendungen sind innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Benachrichtigung bei der Bauaufsichtsbehörde schriftlich oder zur Niederschrift vorzubringen (Satz 2). Nur insoweit schließt § 72 Abs. 1 Satz 3 BauO NRW die Anwendbarkeit der Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen und damit auch einen Rückgriff auf das allgemeine Akteneinsichtsrecht nach § 29VwVfG NRW aus. D.h., dass in allen anderen Verfahren die Betroffenen durchaus nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen zu beteiligten sind und ihnen damit auch ein Anspruch auf Akteneinsicht zusteht.

Vgl. hierzu Spannowsky/Saurenhaus, Bauordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2020, § 72 Rn. 2 und 22; Johlen, in: Gädtke/Johlen/Wenzel u.a. (Hrsg.), BauO NRW, 13. Aufl. 2019, § 72 Rn. 13 f.; Schönenbroicher/Kamp, Bauordnung Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2012, § 74 Rn. 1.

In der Konsequenz kann damit § 72 BauO NRW – jedenfalls außerhalb seines unmittelbaren Regelungsbereichs – auch gegenüber dem Anspruch auf Informationszugang aus § 4 Abs. 1 IFG NRW keine Sperrwirkung entfalten.

(3) Schließlich entfaltet für das vorliegende Einsichtsbegehren auch der Anspruch auf Akteneinsicht, der aus § 2 des Umweltinformationsgesetzes Nordrhein-Westfalen (UIG NRW) i.V.m. § 3 Abs. 1 des Umweltinformationsgesetzes (UIG) folgt, keine Sperrwirkung gegenüber dem Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW. Zwar dürften die spezielleren Regelungen des Umweltinformationsrechts denen des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen mit abschließender Wirkung vorgehen.

Vgl. hierzu etwa Tege, in: Fluck/Fischer/Fetzner (Hrsg.), Informationsfreiheitsrecht, Kommentar, Bd. 2 (Stand: Juni 2020), § 4 IFG NRW Rn. 27; Fluck/Gündling, in: Fluck/Fischer/Fetzner (Hrsg.), ebenda, Bd. 1 (Stand: Juni 2020), § 3 UIG Rn. 95; Karg, in: Gersdorf/Paal (Hrsg.), BeckOK Informations- und Medienrecht, 30. Edition (Stand: 1. November 2020) § 3 UIG Rn. 48.1; Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Werkstand: 93. EL (August 2020), § 3 UIG Rn. 30; Brink, in: Brink/Polenz/Blatt (Hrsg.), Informationsfreiheitsgesetz, 1. Aufl. 2017, § 1 Rn. 131; Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 306; in diesem Sinne wohl auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Januar 2015 – OVG 12 B 21.13 -, juris Rn. 17; VG Minden, Urteil vom 21. November 2018 – 7 K 3873/13 -, juris Rn. 46.

Dies braucht hier aber nicht abschließend entschieden zu werden. Denn bei dem hier streitgegenständlichen Informationsgegenstand – der Bauakte in ihrer Gesamtheit – handelt es sich nicht um eine Umweltinformation im Sinne des § 2 UIG NRW i.V.m. § 2 Abs. 3 UIG, so dass schon der Anwendungsbereich des Umweltinformationsgesetzes nicht eröffnet ist.

Vgl. hierzu im Einzelnen Urteil der Kammer vom 8. März 2021 – 20 K 4735/19 -, Abdruck S. 14 ff.

dd) Dem Anspruch auf Informationszugang steht indes teilweise ein Ausschlussgrund nach den §§ 6 ff. IFG NRW entgegen. Zwar haben weder die Beklagte noch der Beigeladene das Vorliegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Sinne des § 8 IFG NRW substantiiert dargelegt. Allerdings steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der begehrten Akteneinsicht teilweise der Schutz personenbezogener Daten nach § 9 Abs. 1 IFG NRW entgegensteht.

Nach § 9 Abs. 1 IFG NRW ist der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, soweit durch das Bekanntwerden der Information personenbezogene Daten offenbart werden, es sei denn, ein Ausnahmetatbestand nach § 9 Abs. 1 Buchstaben a) bis e) IFG NRW liegt vor. Dies ist der Fall, wenn a) die betroffene Person eingewilligt hat oder b) die Offenbarung durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erlaubt ist oder c) die Offenbarung zur Abwehr erheblicher Nachteile für das Allgemeinwohl oder von Gefahren für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder sonstiger schwerwiegender Beeinträchtigungen der Rechte Einzelner geboten ist oder d) die Einholung der Einwilligung der betroffenen Person nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist und es offensichtlich ist, dass die Offenbarung im Interesse der betroffenen Person liegt, oder e) die Antragstellerin oder der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Kenntnis der begehrten Informationen geltend macht und überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Person der Offenbarung nicht entgegenstehen.

Im Rahmen von § 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 10 Abs. 1 IFG NRW sind zunächst die eine Einwilligung des Betroffenen nicht voraussetzenden Ausnahmetatbestände des § 9 Abs. 1 Buchstaben b) bis e) IFG NRW zu prüfen. Liegt keiner dieser Ausnahmetatbestände vor, ist eine Zugangsgewährung nur mit Einwilligung der betroffenen Person möglich, wobei die zum Zugang verpflichtete Stelle zunächst gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 IFG NRW zu prüfen hat, ob dem Zugangsanspruch durch Schwärzen oder Abtrennen der betroffenen personenbezogenen Daten entsprochen werden kann.

Vgl. Tege, in: Fluck/Fischer/Fetzner (Hrsg.), Informationsfreiheitsrecht, Kommentar, Bd. 2 (Stand: Juni 2020), § 9 IFG NRW Rn. 15.

Dem Antrag auf Informationszugang soll trotz Offenbarung personenbezogener Daten gemäß § 9 Abs. 3 Buchstabe a) IFG NRW in der Regel stattgegeben werden, soweit sich die Angaben auf Namen, Titel, akademischen Grad, Berufs- und Funktionsbezeichnung, Büroanschrift und Rufnummer beschränken und die betroffene Person als Amtsträger an dem jeweiligen Vorgang mitgewirkt hat. Andernfalls ist gemäß § 9 Abs. 1 Buchstabe a) IFG NRW die Einwilligung der betroffenen Person in die Offenbarung der personenbezogenen Daten einzuholen. Ein Anspruch auf Informationszugang besteht gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 IFG NRW dann nicht, wenn die Einwilligung der betroffenen Person nicht erteilt wird oder sie gemäß § 5 Abs. 3 IFG NRW als verweigert gilt. Gemäß § 5 Abs. 3 IFG NRW gilt die Einwilligung als verweigert, wenn sie nicht binnen eines Monats nach Anfrage durch die öffentliche Stelle vorliegt.

Gemessen an diesen normativen Vorgaben steht dem Antragsteller ein Anspruch auf Zugang zu den begehrten Informationen nach dem IFG NRW nur in Bezug auf die Entwässerungssituation des Nachbargrundstücks zu. Bei den begehrten Informationen handelt es sich umfassend um personenbezogene Daten (vgl. hierzu unten (1)), deren Schutzbedürftigkeit hier nur hinsichtlich der für die Entwässerungssituation relevanten Angaben durch einen Ausnahmetatbestand aufgehoben wird (vgl. hierzu unten (2)). Dies steht zur Überzeugung der Kammer fest, obgleich sie die Bauakte nicht kennt und auch von einer Beiziehung abgesehen hat, um eine Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache zu verhindern, die durch eine Einsicht des Klägers gemäß § 100 VwGO hätte eintreten können. Um zu dieser Überzeugung zu gelangen, bedurfte es aufgrund des insoweit hinreichend ausführlichen Vortrags der Beteiligten auch keines incamera-Verfahrens gemäß § 99 Abs. 2 VwGO.

Vgl. zu dieser prozessualen Konstellation nur OVG NRW, Urteil vom 18. August 2015 – 15 A 97/13 -, juris Rn. 117 ff.

(1) Die im Streit stehende Bauakte, die der Kläger insgesamt einsehen will, ist in ihrer Gesamtheit eine Sammlung personenbezogener Daten.

Der Begriff der personenbezogenen Daten in § 9 Abs. 1 Hs. 1 IFG NRW entspricht dem im Datenschutzrecht verwendeten, der heute Art. 4 Nr. 1 der Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) zu entnehmen ist. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO übernimmt dabei seinerseits im Wesentlichen die bereits zuvor in Art. 2 Buchstabe a) der Richtlinie 95/46/EG enthaltene Begriffsdefinition. Nach Art. 4 Nr. 1 DS-GVO sind unter „personenbezogenen Daten“ alle Informationen zu verstehen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann. Erfasst sind damit alle Informationen, die über die Bezugsperson etwas aussagen, unabhängig davon, welchen Lebensbereich sie betreffen. Dies schließt neben den Angaben über den Betroffenen selbst, seine Identifizierung und Charakterisierung auch Angaben zu einen auf ihn beziehbaren Sachverhalt ein. Dazu gehören wiederum auch die rechtlichen, sozialen, wirtschaftlichen und sonstigen Beziehungen des Betroffenen zur Umwelt. Der Terminus der personenbezogenen Daten ist damit außerordentlich weit zu verstehen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2017 – 15 A 1288/16 -, juris Rn. 25, Urteile vom 2. Juni 2015 – 2 A 1997/12 -, juris Rn. 126, und vom 6. Mai 2015 – 8 A 1943/13 -, juris Rn. 95, Beschlüsse vom 28. April 2015 – 15 A 2342/12 -, juris Rn. 13, und vom 27. Januar 2010 – 8 A 203/09 -, juris Rn. 9.

Zwar sind die personenbezogenen Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DS-GVO von solchen Daten abzugrenzen, die ausschließlich anderen Betroffenen zuzuordnen oder sachbezogen sind. Sachbezogen sind Daten, die eine Sache beschreiben. Wird allerdings mit der Sachinformation zugleich eine Aussage zur Bezugsperson getroffen, so handelt es sich insoweit (auch) um ein personenbezogenes Datum. Sachbezogene Daten sind mithin dann personenbezogen, „wenn sie die Sache identifizieren und in dem nach dem jeweiligen Lebenszusammenhang zur Beschreibung der Person-Sach-Beziehung notwendigen Umfang charakterisieren“.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. März 2010 – 6 A 2.09 -, juris Rn. 35 (noch zu § 3 Abs. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes [BDSG] a.F.); vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 27. Januar 2010 – 8 A 203/09 -, juris Rn. 11 (zur Bewertung von Tierschutz- bzw. Tierhaltungsakten als personenbezogene Daten des Tierhalters); siehe auch VG Stade, Urteile vom 19. Juni 2014 – 2 A 2735/12 -, juris Rn. 27 ff., und vom 19. Juni 2014 – 2 A 2748/12 -, juris Rn. 28 ff. (Sachangaben zu einer Hähnchenmastanlage bzw. Biogasanlage als personenbezogene Daten des Anlagenbetreibers); siehe hierzu auch Wagner-Cardenal, jurisPR-UmwR 10/2014 Anm. 1.

Auch der Europäische Gerichtshof geht grundsätzlich von einem weiten Begriffsverständnis aus. Auch nach seiner Rechtsprechung sind personenbezogene Daten nicht lediglich sensible oder private Informationen, sondern alle Arten von Informationen – und damit auch solche mit Sachbezug -, die aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft sind.

Vgl. EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017, Rs. C-434/16 – Nowak, juris Rn. 34 f.; siehe zur Dreidimensionalität der Personenbezogenheit auch Klabunde, in: Ehmann/Selmayr (Hrsg.), Datenschutz-Grundverordnung, 2. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 11; siehe hierzu auch VG Gelsenkirchen, Urteil vom 27. April 2020 – 20 K 6392/18 -, juris Rn. 78 (korrigierte Klausuren als personenbezogene Daten).

Haben demzufolge Sachangaben im jeweils gegebenen Kontext Auswirkungen entweder auf die rechtliche, die wirtschaftliche oder die soziale Position des Betroffenen oder eignen sie sich zur Beschreibung seiner individuellen Verhältnisse, so sind sie ihm als eigene personenbezogene Daten zuzurechnen.

Vgl. Dammann, in: Simitis (Hrsg.), Bundesdatenschutzgesetz, 8. Aufl. 2014, § 3 Rn. 6 ff., 57 ff.; Schild, in: Wolff/Brink (Hrsg.), BeckOK Datenschutzrecht, 34. Edition (Stand: 1. November) 2020, Art. 4 DS-GVO Rn. 24.

Nur dann, wenn solche Auswirkungen ausgeschlossen sind, bleiben es reine Sachdaten.

Vgl. so etwa VG München, Urteil vom 3. Juli 2014 – M 10 K 13.2584 -, juris Rn. 72 f. (zu einem presserechtlichen Auskunftsanspruch bezüglich Unterlagen in einem Baugenehmigungs- und Zweckentfremdungsverfahren, nämlich zu bautechnischen und marktbezogenen Feststellungen zu einem Gebäude unabhängig von der Identität der Verfahrensbeteiligten).

Hiervon ausgehend weisen die in den Bauakten üblicherweise enthaltenen Angaben (vor allem Bauanträge nebst Bauvorlagen, Baugenehmigungen, Bauzustandsbesichtigungsbescheinigungen, ggf. auch bauordnungsrechtliche Ordnungsverfügungen) nicht nur einen Sachbezug zu dem Baugrundstück und den dort befindlichen baulichen Anlagen, sondern – soweit es sich jeweils um natürliche Personen handelt, deren Identität bereits bekannt oder zumindest bestimmbar ist – hinsichtlich des Bauherrn, des Eigentümers und bzw. oder des Mieters oder des sonstigen Nutzers regelmäßig auch einen Personenbezug im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DS-GVO auf.

Vgl. hierzu und zum Folgenden jüngst ausführlich auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2020 – 10 S 3000/18 -, juris Rn. 30 ff.; vgl. zur Beschränkung auf natürliche Personen im vorliegenden Kontext auch schon VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 1. Juni 2016 – 8 A 84/14 -, juris Rn. 32 (kein Schutz bei einer „Wohnungsbau GmbH“ als Bauherrin); insofern differenzierend mit Blick auf den Schutz der hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. März 2016 – 2 LB 69/15 -, juris Rn. 10.

Unzweifelhaft gilt dies für die Angaben etwa über die Identität der einzelnen im Baugenehmigungsverfahren beteiligten natürlichen Personen, darüber hinaus aber auch für Angaben über die Eigentumsverhältnisse oder Verträge mit Dritten.

Vgl. hierzu Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 5 Rn. 23; ebenso Pabst, in: Gersdorf/Paal (Hrsg.), BeckOK Informations- und Medienrecht, 30. Edition (Stand: 1. Februar 2020), § 9 IFG NRW Rn. 7a.

Auch die Flurstücksbezeichnung, ggf. auch eine Hausnummer, welche das einzelne Grundstück individualisiert, sowie die Grund- und Bodenpreise sind personenbezogene Daten, soweit nur einzelne Dritte über die erforderlichen Zusatzinformationen zur Herstellung eines Personenbezuges verfügen.

Vgl. zur Bewertung derartiger „Geodaten“ als personenbezogene Daten VG Wiesbaden, Urteil vom 4. November 2019 – 6 K 460/16.WI -, juris; Schild, in: Wolff/Brink (Hrsg.), BeckOK Datenschutzrecht, 34. Edition (Stand: 1. November) 2020, Art. 4 DS-GVO Rn. 22 f.; siehe ferner VG Münster, Urteil vom 7. März 2008 – 1 K 560/07 -, juris Rn. 11 (zur Bewertung von „Grundstücksbezeichnungen“ in Baugenehmigungsakten als personenbezogene Daten).

Auch Angaben über genaue Wohnungszuschnitte bzw. die Lage und Nutzung einzelner Räume und Zugänge haben einen Personenbezug. Denn auch solchen Informationen kommt eine relevante Aussage jedenfalls zu etwaigen Mietern oder sonstigen Nutzern zu.

In diesem Sinne ebenso VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2020 – 10 S 3000/18 -, juris Rn. 33 und 37.

Die Kammer folgt der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auch dahingehend, dass auch solche Sachangaben, die von der Rechtsordnung unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit mit bestimmten einzelnen Personen – namentlich den Grundeigentümern – verknüpft sind, wegen der rechtlichen Auswirkungen insoweit ebenfalls einen entsprechenden Personenbezug aufweisen. Die Bauaufsichtsbehörden haben bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlichrechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden, soweit nicht andere Behörden zuständig sind (§ 59 Abs. 1 BauO NRW). Die Verantwortlichkeit für die Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften liegt dabei nicht nur – jedenfalls während der Bauphase – beim Bauherrn (vgl. § 52 BauO NRW), sondern – jedenfalls nach Fertigstellung eines Bauvorhabens – auch beim Grundeigentümer als Zustandsverantwortlichen (vgl. § 18 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden – Ordnungsbehördengesetz [OBG]). Daher gehören spezifische Angaben zur Beschaffenheit eines bestimmten, im Eigentum einer natürlichen Person stehenden Grundstücks (wie Bodeneigenschaften, Bodenverunreinigungen oder der Zustand der baulichen Anlagen), für die der Grundeigentümer einzustehen hat, zu den personenbezogenen Daten des Grundeigentümers. Nichts anderes gilt beispielshalber daher auch für die sachbezogenen, die Statik betreffenden Angaben in einer Baugenehmigungsakte, die sich auf das Erfordernis der Standsicherheit beziehen.

Vgl. in dieser Deutlichkeit VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2020 – 10 S 3000/18 -, juris Rn. 35 f., mit Hinw. auf Nonnenmacher/Langer, Baurecht und Datenschutz, VBlBW 2016, 309 [310]); vgl. zum Ganzen auch Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Werkstand: 93. EL (August 2020), § 9 UIG Rn. 7, mit weiteren Nachw. aus der Rspr.

Nach Auffassung der Kammer sind nach den vorstehenden Maßgaben damit dem Grunde nach sämtliche Angaben, die in den Bauakten, vor allem in Bauanträgen und Baugenehmigungen, enthalten sind, auch personenbezogen, wenn – wie hier – die betreffende Person, hier der Beigeladene als Grundstückseigentümer, bestimmt oder bestimmbar ist.

Vgl. im Ergebnis ebenso VG Cottbus, Urteil vom 26. Mai 2011 – VG 3 K 820/10 -, Abdruck S. 11; offen gelassen: VG Köln, Urteil vom 25. November 2005 – 27 K 6171/03 -, juris Rn. 43 f. („Diese Frage kann aber dahingestellt bleiben.“); ebenfalls offen gelassen zu den Sachdaten in Grundstücksentwässerungsakten: VG Aachen, Urteil vom 28. November 2012 – 8 K 2366/10 -, juris Rn. 40 ff. („…kann aber offen bleiben…“).

Denn aus diesen Angaben ergibt sich, ob bzw. dass dem Bauvorhaben öffentlichrechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen (§§ 70 Abs. 2, 74 Abs. 1 BauO NRW), wofür – wie gesagt – der Grundeigentümer einzustehen hat. Dies gilt zum Beispiel – entgegen der Ansicht des Klägers – selbst für die Angaben über die notwendigen Stellplätze auf einem Grundstück, da der Grundstückseigentümer auch insoweit für einen bauordnungsgemäßen Zustand nach Maßgabe des § 48 BauO NRW zu sorgen hat. Auch für die hier vor allem im Fokus stehenden Aktenbestandteile, die Auskunft über die Erschließung des Grundstücks (§§ 30 ff. des Baugesetzbuches [BauGB], §§ 4 und 5 BauO NRW) und die Entwässerungssituation (§§ 54 ff. des Wasserhaushaltsgesetzes [WHG], §§ 43 ff. des Landeswassergesetzes [LWG]) geben, gilt daher nichts anderes. Auch diese Angaben geben Aufschluss darüber, ob die baulichen Anlagen auf dem Grundstück des Beigeladenen mit den entsprechenden öffentlichrechtlichen Vorschriften vereinbar sind.

(2) Der Schutz der personenbezogenen Daten des Beigeladenen ist im vorliegenden Fall nur in Bezug auf die Angaben zur Entwässerungssituation aufgehoben.

Personenbezogene Informationen sind grundsätzlich schutzwürdig (§ 9 Abs. 1, 1. Hs. IFG NRW) und dürfen nur ausnahmsweise zugänglich gemacht werden, falls einer der in § 9 Abs. 1, 2. Hs. IFG NRW gesetzlich geregelten Ausnahmetatbestände einschlägig ist.

Eine Einwilligung des Beigeladenen hinsichtlich einer vollständigen Einsichtnahme des Klägers in die bei der Beklagten geführten Bauakten über das Grundstück M. xx im Sinne des § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstabe a) IFG NRW liegt nicht vor.

Der Kläger kann sich auch nicht erfolgreich auf § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstabe b), c) oder d) IFG NRW berufen. Dass einer dieser Ausnahmetatbestände hier eingreifen könnte, hat der Kläger schon nicht geltend gemacht. Derartiges ist für die Kammer auch sonst nicht ersichtlich.

Auch § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstabe e) IFG NRW erlaubt dem Kläger hier keine Einsichtnahme in die vollständige Bauakte. Hinsichtlich der in der Bauakte enthaltenen Angaben zur Entwässerungssituation des Grundstücks ist allerdings der Tatbestand des § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstabe e) IFG NRW erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist ein Informationszugang trotz fehlender Einwilligung betroffener Dritter zu gewähren, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Kenntnis der begehrten Information geltend macht (vgl. hierzu unten (a)) und überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Person der Offenbarung nicht entgegenstehen (vgl. hierzu unten (b)).

(a) Der Kläger hat bereits das insoweit erforderliche rechtliche Interesse an den begehrten Informationen nur mit Blick auf die Entwässerungssituation hinreichend substantiiert vorgetragen.

Ein rechtliches Interesse in diesem Sinne erfordert, dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit Rechtsverhältnissen des Auskunftsbegehrenden besteht. Die Kenntnis der Daten muss für ihn zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich sein.

Vgl. hierzu und zum Folgenden OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Juni 2003 – 8 A 175/03 -, juris Rn. 11 ff., vom 23. Juni 2003 – 8 A 175/03 -, juris Rn. 12 ff., vom 6. Februar 2019 – 15 E 1026/18 -, juris Rn. 49 f., und vom 7. November 2019 – 15 E 863/19 -, juris Rn. 19 ff., sowie Urteil vom 6. Mai 2015 – 8 A 1943/13 -, juris Rn. 103.

Dafür muss der Antragsteller z.B. einem Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren oder einem sonstigen Verfahren ausgesetzt sein oder seinerseits ein Verfahren eingeleitet haben.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Juni 2003 – 8 A 175/03 -, juris Rn. 16.

Das rechtliche Interesse ist mit anderen Worten nur ein solches Interesse, das dem Antragsteller eine qualifizierte Rechtsposition verschafft. Das Geltendmachen eines nur wirtschaftlichen oder gegebenenfalls ideellen Interesses reicht damit nicht aus. Der Antragsteller muss ein ihm zustehendes subjektives Recht geltend machen können, in dessen Zusammenhang er die Informationserteilung begehrt.

Vgl. Seidel, in: Franßen/Seidel, Das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2007, § 9 Rn. 986; ebenso Pabst, in: Gersdorf/Paal (Hrsg.), BeckOK Informations- und Medienrecht, 30. Edition (Stand: 1. Februar 2020), § 9 IFG NRW Rn. 24.

Voraussetzung für ein rechtliches Interesse ist dabei das Vorhandensein einer durch die Rechtsordnung definierten Beziehung gerade zwischen der antragstellenden und der dadurch betroffenen Person.

Vgl. Tege, in: Fluck/Fischer/Fetzner (Hrsg.), Informationsfreiheitsrecht, Kommentar, Bd. 2 (Stand: Juni 2020), § 9 IFG NRW Rn. 25; vgl. hierzu auch schon Beschlüsse der Kammer vom 20. September 2019 – 20 K 183/19 -, juris Rn. 23 ff. (Jugendamtsakte), und vom 2. März 2020 – 20 K 5442/19 -, juris Rn. 25 u. 41 (persönliche Daten von Richtern); siehe auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 11 VA 12/13 -, juris Rn. 2 (keine Offenbarung von personenbezogenen Daten von Amtsträgern für die beabsichtigte Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen, da die diesbezügliche Haftung auf den Staat übergleitet ist).

Hinsichtlich der Darlegungsanforderungen ist zu beachten, dass § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstabe e) IFG NRW nicht die Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses an den begehrten personenbezogenen Daten erfordert, jedoch ist eine Geltendmachung des rechtlichen Interesses im Sinne einer nachvollziehbaren „schlüssigen“ Behauptung erforderlich.

Vgl. Tege, in: Fluck/Fischer/Fetzner (Hrsg.), Informationsfreiheitsrecht, Kommentar, Bd. 2 (Stand: Juni 2020), § 9 IFG NRW Rn. 30.

Ein solches Interesse kann auch und gerade mit Blick auf die Einsichtnahme in Bauakten eines Nachbargrundstücks etwa dann gegeben sein, wenn der jeweilige Antragsteller eine – weder mutwillige noch offensichtlich aussichtslose – zivilrechtliche (Nachbar-) Klage bereits erhoben hat oder diese nach entsprechender anwaltlicher Prüfung noch beabsichtigt und hierbei auf die Informationen aus der Bauakte angewiesen ist.

Vgl. hierzu etwa VG Köln, Urteil vom 25. November 2005 – 27 K 6171/03 -, juris Rn. 53 ff. (zivilrechtliche Nachbarklage zur Klärung des Umfangs einer Grunddienstbarkeit); vgl. zum Ganzen auch VG Aachen, Urteil vom 28. November 2012 – 8 K 2366/10 -, juris Rn. 46 ff. (zum rechtlichen Interesse des Eigentümers hinsichtlich der Einsichtnahme in die Bestandteile einer Grundstücksentwässerungsakte, die bereits in der Zeit der Voreigentümerschaft angefallen sind).

Auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat – noch vor Inkrafttreten des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen – in einem solchen Sinne entschieden, dass der im Baugenehmigungsverfahren nicht beteiligte Nachbar auch noch nach Abschluss des Verfahrens einen Anspruch (jedenfalls) auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht in die das Baugenehmigungsverfahren betreffenden Verwaltungsvorgänge habe, wenn er die Akteneinsicht zur Vorbereitung einer zivilrechtlichen Klage gegen den Bauherrn benötige. Das berechtigte Interesse, das die Behörde bei ihrer Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht zu berücksichtigen habe, sei dadurch gekennzeichnet, dass der Nachsuchende insbesondere mit dem Ziel der Durchsetzung von Rechten ein eigenes, gewichtiges und auf andere Weise als durch Akteneinsicht nicht zu befriedigendes Informationsbedürfnis habe.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Juli 1988 – 20 A 1063/87 -, juris Rn. 8 ff. mit weiteren Nachw.; ebenso bezüglich der Einsichtnahme in Bauakten: VG Sigmaringen, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 2 K 364/17 -, juris Rn. 24.

Eine Einsichtnahme in eine Bauakte zur Prüfung und Durchsetzung solcher Ansprüche bleibt aber auf die Informationen beschränkt, die zur Wahrnehmung des rechtlichen Interesses erforderlich sind. Das heißt, dass nicht Einsicht in die ganze Bauakte gewährt werden darf, wenn es etwa im Nachbarstreit nur um den Grenzabstand geht.

Ebenso bereits Anwendungshinweise der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen (LDI NRW) zu § 9 IFG NRW (Stand: November 2007), abrufbar unter https://www.ldi.nrw.de.

Ein in diesem Sinne rechtliches Interesse, das den Kläger zur Einsichtnahme in die gesamte Bauakte berechtigen würde, hat der Kläger nur hinsichtlich der Entwässerungssituation schlüssig behauptet.

Soweit der Kläger hingegen geltend gemacht hat, er benötige nach wie vor die (volle) Akteneinsicht, um in Erfahrung zu bringen, ob die Beklagte (bisher) bei der Erteilung von Baugenehmigungen an den Beigeladenen davon ausgegangen sei, die Straße M. sei öffentlichrechtlich gewidmet, vermag die Kammer – jedenfalls in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – nicht zu erkennen, inwiefern ihm diese Erkenntnis noch eine qualifizierte Rechtsposition im vorstehenden Sinne verschaffen soll. Ungeachtet des Umstands, dass die Rechte, auf die sich der Kläger in diesem Zusammenhang stützt (namentlich das straßen- und wegerechtliche Anliegerrecht sowie das Recht auf Erschließung seines eigenen Grundstücks), sich nicht auf eine rechtliche Beziehung zwischen dem Kläger (als antragstellender Person) und dem Beigeladenen (als durch die Akteneinsicht betroffene Person) bezieht, sondern ausschließlich das Rechtsverhältnis zur Beklagten betrifft, droht dem Kläger infolge der mit der Beklagten insoweit bereits erzielten Vereinbarung keine Beeinträchtigung dieser Rechte mehr. Durch die außergerichtliche Vergleichsvereinbarung wird eine Erschließung der landwirtschaftlichen Flächen des Klägers über die Straße M. auch zukünftig ermöglicht und eine Veräußerung der M. an Dritte grundsätzlich ausgeschlossen. Ob das Nachbargrundstück ordnungsgemäß erschlossen ist, berührt keine Rechte des Klägers, zumal die öffentlichrechtlichen Vorschriften über die Sicherung der Erschließung eines Grundstücks keine nachbarschützende Wirkung haben.

Auch soweit der Kläger vorträgt, dass sich die Erschließungssituation aufgrund des nur sehr schmalen Weges als grenzwertig darstelle, zumal die Wegefläche immer wieder durch parkende Fahrzeuge des Gewerbebetriebs xx eingeengt werde mit der Folge, dass ein Befahren mit landwirtschaftlichem Gerät dann nicht möglich sei, hat der Kläger kein rechtliches Interesse in Bezug auf ihm zustehende Rechte oder Ansprüche schlüssig behauptet. Zwar kann auch das ständige Zuparken einer Zu- oder Durchfahrt eine im Sinne des § 1004 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) relevante Störung darstellen.

Vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Juli 2011 – V ZR 154/10 -, juris.

Derartiges behauptet der Kläger aber nicht. Er behauptet lediglich, dass die Straße als solche zugeparkt werde und ihm daher eine Nutzung der Straße als Anlieger nicht mehr möglich sei. Etwaige Anliegerrechte in Form einer verkehrssicheren Zufahrt stehen dem Kläger nicht gegen den Beigeladenen, sondern allenfalls gegen die Straßenverkehrsbehörde und bzw. oder den Straßenbaulastträger zu.

Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 26. Mai 2015 – 11 B 336/15 -, juris; VG Köln, Urteil vom 21. Juli 2011 – 18 K 2173/10 -, juris; VG Aachen, Urteil vom 8. Februar 2011 – 2 K 1680/09 -, juris.

Für einen solchen Anspruch kommt es allerdings nur auf die (Park-) Verhältnisse auf der Straße, nicht aber auf die Verhältnisse auf dem Nachbargrundstück an. In der Konsequenz hat der Kläger keinen Anspruch auf Einsichtnahme in die Bauakte hinsichtlich solcher Angaben, die den Nachweis von Stellplätzen auf dem Nachbargrundstück betreffen (§ 48 BauO NRW).

Soweit der Kläger hingegen geltend macht, er benötige die Akteneinsicht, um prüfen zu können, ob ihm wegen der Entwässerungssituation neben etwaigen öffentlichrechtlichen Ansprüchen gegen die Beklagte auf ein (bau-) ordnungsrechtliches Einschreiten auch zivilrechtliche Abwehransprüche gegen den Beigeladenen zustehen, ist jedenfalls hinsichtlich Letztgenannter ein rechtliches Interesse bezüglich der Einsichtnahme schlüssig behauptet worden. Anhand der Ausführungen, die der Kläger im vorliegenden gerichtlichen Verfahren sowie in dem vor der Kammer geführten (Parallel-) Verfahren Az. 20 K 4735/19 vorgetragen hat, scheinen Abwehransprüche aus § 1004 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 37 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 WHG bzw. § 27 Abs. 1 des Nachbarrechtsgesetzes (NachbG NRW) gegen die vom Nachbargrundstück in der Gestalt von „Überschwemmungen“ ausgehenden Störungen jedenfalls nicht von Vornherein ausgeschlossen zu sein. Zwar muss ein tiefer liegendes Grundstück den natürlichen Verlauf des Niederschlagswassers dulden. Der natürliche Ablauf wild abfließenden Wassers darf indes nicht zum Nachteil eines tiefer liegenden Grundstücks verstärkt oder auf andere Weise verändert werden (§ 37 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 WHG). Auch dürfen bauliche Anlagen nicht so errichtet werden, dass Niederschlagwasser auf das Nachbargrundstück tropft, auf dieses abgeleitet wird oder übertritt (§ 27 Abs. 1 NachbG NRW).

Vgl. zum Ganzen nur beispielhaft BGH, Urteile vom 21. Februar 1980 – III ZR 185/78 -, juris Rn. 11 ff., vom 12. Juni 2015 – V ZR 168/14 -, juris Rn. 6 ff., und vom 31. Oktober 2019 – III ZR 64/18 -, juris Rn. 13 ff.; siehe hierzu allgemein auch Roth, in: Staudinger (Hrsg.), BGB, Werksstand: Neubearbeitung 2020, § 906 Rn. 120 mit zahlreichen weiteren Nachw. aus der Rspr.

Auch soweit der Kläger behauptet, er sei intervallmäßig einem erheblichen Fäkaliengestank ausgesetzt, der offensichtlich von der biologischen Abwasserbehandlungsanlage des Nachbargrundstücks herrühre, die möglicherweise nicht ausreichend dimensioniert sei, um die Abwässer des Wohnhauses und des durch die Umnutzung erweiterten Garten- und Landschaftsbaubetriebs nebst erforderlicher Sozialräume und Toiletten aufzunehmen, sind entsprechende zivilrechtliche Abwehr- oder Entschädigungsansprüche jedenfalls dem Grunde nach denkbar.

Vgl. zu möglichen Abwehr- oder Entschädigungsansprüchen bei wesentlichen Beeinträchtigungen durch die von einer Kläranlage ausgehenden Immissionen etwa BGH, Urteile vom 19. Februar 1976 – III ZR 13/74 – und vom 29. März 1984 – III ZR 11/83 -, jeweils juris.

Die Kammer verkennt nicht, dass der Beigeladene im gerichtlichen Verfahren die Behauptungen des Klägers zwar bestreitet. Eine inzidente Prüfung dahingehend, ob ein zivilrechtlicher Anspruch insoweit tatsächlich gegeben ist, ist im Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1, 2. Hs. Buchstabe e) IFG NRW durch das Verwaltungsgericht indes nicht vorzunehmen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist nach den vorgenannten Maßstäben, dass der Anspruch schlüssig behauptet ist. Dies ist hier – nach Auffassung der Kammer – der Fall.

Das Grundstück des Klägers liegt nach seinem Vortrag jedenfalls in bestimmten Grenzverläufen tiefer als das Nachbargrundstück des Beigeladenen, so dass das Niederschlagswasser ohnehin entsprechend zufließt. Des Weiteren ist vorgetragen, dass vom Nachbargrundstück auch über die Straße M. auf die Flächen des klägerischen Grundstücks Niederschlagswasser fließt. Schon in Anbetracht der örtlichen Gegebenheiten ist es daher nicht unplausibel, dass es zu den behaupteten „Überflutungen“ der landwirtschaftlichen Flächen des Klägers infolge wild abfließenden Niederschlagswassers des Nachbargrundstücks kommt und die hierdurch bedingte Staunässe bereits zu Aufwuchsschäden am Grünland und Schädigungen des Eichenbestandes geführt haben mag. Nach dem weiteren Vortrag des Klägers ist auch nicht auszuschließen, dass die seit 1984 bis in jüngste Zeit auf dem Nachbargrundstück nach seiner Wahrnehmung erfolgten Aufschüttungen und (Boden-) Versiegelungen für eine Häufung von „Überschwemmungen“ (mit-) ursächlich sein können. Ebenso könnte der Umstand, dass die Kleinkläranlage nicht auseichend dimensioniert sein könnte, um das Schmutzwasser aufzunehmen, hierfür (mit-) ursächlich sein. Denn nach den Behauptungen des Klägers soll das Grundstück des Beigeladenen weder über einen öffentlichen Kanalanschluss für Schmutzwasser (einschl. Gebäude- und Dachentwässerung) noch über eine Hofentwässerung verfügen. Auch komme es zu einem nicht zu ertragenden Gestank aus der Kleinkläranlage des Beigeladenen. Sollten sich diese Behauptungen – also die Störungen, deren Erheblichkeit sowie deren Ursächlichkeit – in einem zivilgerichtlichen Verfahren als zutreffend herausstellen, dürfte der Beigeladene als Störer im Sinne des § 1004 BGB anzusehen sein.

Die Beklagte hält diesem Vortrag im Wesentlichen nur entgegen, dass sich der Kläger bereits im Jahre 2016 hinsichtlich der Entwässerungsproblematik bezüglich seines Grundstücks bereits an ihren Fachbereich Tiefbau gewandt habe und dass die Entwässerungsverhältnisse im Bereich des klägerischen Grundstücks bereits geprüft und bewertet worden seien. Die Beklagte hat jedoch die Ergebnisse dieser Prüfung weder offengelegt noch ihre diesbezügliche Bewertung im vorliegenden gerichtlichen Verfahren inhaltlich substantiiert. Ungeachtet dessen kommt der Prüfung und Bewertung aus dem Jahre 2016 ohne Weiteres keine hinreichende Aussagekraft hinsichtlich der aktuellen Verhältnisse mehr zu, zumal nach den Behauptungen des Klägers auf dem Nachbargrundstück nach seiner Wahrnehmung Aufschüttungen und (Boden-) Versiegelungen „bis in die jüngste Zeit“ vorgenommen worden sein sollen. Soweit die Beklagte auf die Bestandskraft der erteilten Baugenehmigungen verweist, bleibt anzumerken, dass eine bestandskräftige Baugenehmigung es nicht ausschließt, sich zivilrechtlich gemäß §§ 1004906 BGB erfolgreich gegen etwaige Störungen zu wehren. Denn Baugenehmigungen ergehen unbeschadet privater Rechte Dritter (vgl. § 74 Abs. 4 BauO NRW).

Mit Blick auf die zivilrechtlichen Abwehransprüche gegen die vom Nachbargrundstück angeblich ausgehenden Störungen in der Gestalt von (behaupteten) „Überschwemmungen“ und (behaupteten) „Fäkaliengerüchen“ vor einem Zivilgericht näher substantiieren zu können, ist der Kläger zur Überzeugung der Kammer (nur) auf die in dem Tenor genannten Angaben angewiesen. Nach dem eigenen – klägerischen – Vortrag sollen nur die baulichen Maßnahmen seit dem Jahr 1984 für diese Störungen kausal sein, so dass die Akteneinsicht auf die Angaben, die erst seit diesem Jahr in die Bauakte aufgenommen wurden, entsprechend zu beschränken ist. In inhaltlicher Hinsicht können (nur) die Angaben zu der Abwasserbeseitigung (Schmutzwasser und Niederschlagswasser), insbesondere zu der Gebäude- und Dachentwässerung sowie zu der biologischen Abwasserbehandlungsanlage, zu Veränderungen der Geländeoberfläche (§ 8 Abs. 3 BauO NRW), zu Versiegelungen der nicht mit Gebäuden oder vergleichbaren baulichen Anlagen überbauten Flächen (i.S.d. § 8 Abs. 1 Satz 1 BauO) und zu Aufschüttungen und Abgrabungen (i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BauO NRW) Auskunft darüber geben, inwiefern die baulichen Maßnahmen tatsächlich kausal für die behaupteten Störungen sind. Soweit daher vor allem in den Bauanträgen nebst den zugehörigen Bauvorlagen, Baugenehmigungen oder Bauzustandsbesichtigungen entsprechende Angaben enthalten sind (wie etwa die Lage der Entwässerungsgrundleitungen bis zum öffentlichen Kanal oder die Lage der Abwasserbehandlungsanlage mit der Abwassereinleitung [§ 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 15 der Verordnung über bautechnische Prüfungen – BauPrüfVO] und die Art, die Menge und der Verbleib des besonders zu behandelnden Abwassers für gewerbliche Anlagen [§ 5 Abs. 2 Nr. 2 BauPrüfVO]), sind diese dem Kläger ungeschwärzt zur Verfügung zu stellen; die übrigen Aktenbestandteile sind abzutrennen und bzw. oder zu schwärzen.

(b) Hinsichtlich der vorstehenden Angaben stehen schutzwürdige Belange der betroffenen Person der Offenbarung nicht entgegen.

Die Angaben, die für die Entwässerungssituation und etwaige Fäkalgerüche auf dem Nachbargrundstück relevant sind, berühren den Schutz personenbezogener Daten und das verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Beigeladenen nur am Rand; nichts anderes gilt für die Bewohner und sonstigen Nutzer des betreffenden Nachbargrundstücks. Die gegenüber dem Kläger offen zu legenden Angaben treffen nicht nur keine Aussage zu dem persönlichen Lebensbereich Einzelner (Privat- oder Intimsphäre), sie unterliegen auch keinen spezifischen Vertraulichkeitspflichten oder einem Geheimnisschutz.

Vgl. ausführlich hierzu jüngst auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2020 – 10 S 3000/18 -, juris Rn. 40 ff. (hinsichtlich der Angaben in einer Bauakte, die für die Statik der Gebäude relevant sind).

Diese Einschätzung teilt offensichtlich der Beigeladene selbst. Denn immerhin hat er diverse Unterlagen zu der Abwasserbeseitigungsanlage freiwillig in das Gerichtsverfahren eingebracht und diese damit auch für den Kläger offengelegt. Soweit der Beigeladene demgegenüber wiederholt die Besorgnis geäußert hat, der Kläger könnte in Erfahrung bringen, wo sich genau die Schlafräume, Badezimmer oder Kinderzimmer befinden oder welche (Video-) Schutzvorkehrungen (etwa gegen Einbrüche, Vandalismus oder „Ausspioniertwerden“) getroffen wurden, werden diese Belange hier nicht berührt.

Soweit der Beigeladene (sinngemäß) als weiteren schutzwürdigen Belang eingewendet hat, der Kläger benötige (auch) die Angaben zur Entwässerungssituation und den angebliche Fäkalgerüchen nur deshalb, um ihn erneut mit haltlosen, querulatorischen Klagen zu überziehen, steht auch dies der Offenbarung der Bauakte jedenfalls in dem hier tenorierten Umfang nicht entgegen. Nach dem oben Gesagten ist nicht ersichtlich, dass das Verhalten des Klägers zumindest in Bezug auf die behaupteten „Überschwemmungen“ und „Geruchsbelästigungen“ offensichtlich missbräuchlich ist. Es geht ihm im Wesentlichen um die Abwehr unberechtigter Einwirkungen auf sein Eigentum. Dass diese Einwirkungen offensichtlich tatsächlich nicht gegeben sind, lässt sich nach dem Akteninhalt nicht feststellen. Ob der Kläger oder der Beigeladene insoweit „Recht hat“, wird gegebenenfalls ein Zivilgericht zu klären haben.

Vgl. so im Ergebnis auch schon VG Köln, Urteil vom 25. November 2005 – 27 K 6171/03 -, juris Rn. 66 (zum schutzwürdigen Belang, „vor weiteren querulatorischen Klagen“ verschont zu bleiben).

  1. Soweit dem Hauptantrag des Klägers nach alledem nicht entsprochen werden konnte, bleibt aus denselben Erwägungen auch der Hilfsantrag ohne Erfolg.
  2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt. Daher sind seine außergerichtlichen Kosten auch nicht erstattungsfähig (vgl. §§ 162Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

  1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
  2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
  3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
  4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
  5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich oder als elektronisches Dokument, letzteres nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV), bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich oder als elektronisches Dokument, letzteres nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV, einzureichen.

Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Der Hilfsantrag hat sich nicht streitwerterhöhend ausgewirkt.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss findet Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder als elektronisches Dokument, letzteres nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV), einzulegen. Über die Beschwerde entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.

Hochbaurecht von A-Z aktuelle Rechtsprechung

Hochbaurecht von A-Z aktuelle Rechtsprechung

Ausführungsfreiheit des Auftragnehmers

Sind in einem Generalunternehmervertrag zur Errichtung eines Parkhauses bezüglich der Trapezbleche des Daches weder ein konkretes Schutzsystem der Stahlbleche noch eine konkrete Befestigungsart geregelt und enthalten nachfolgende Ausführungspläne hierzu zwar die Angabe “Oberflächenschutz durch Bandverzinkung …” bzw. die Angabe von Edelstahlschrauben, letztere jedoch mit dem Zusatz “oder gleichwertig”, ist es von der Ausführungsfreiheit des Auftragnehmers gedeckt, dass er technisch und funktional gleichwertige Stahltrapezbleche bzw. Befestigungsmaterialien verwendet.
OLG Naumburg, Urteil vom 30.07.2021 – 2 U 41/19

Bauablaufbezogene Darstellung

Kündigt der Auftraggeber den Bauvertrag wegen einer Überschreitung des vertraglich vereinbarten Fertigstellungstermins, muss er den Verzögerungstatbestand darlegen und beweisen. Macht der Auftragnehmer geltend, die Verzögerung sei auf Behinderungen zurückzuführen, so dass er an der rechtzeitigen Erbringung seiner Leistung schuldlos verhindert war, muss er dies substanziiert darlegen und beweisen. Dazu ist in der Regel eine bauablaufbezogene Darstellung unumgänglich. Kündigt der Auftraggeber den Bauvertrag wegen Verzugs, ist der Auftragnehmer verpflichtet, dem Auftraggeber die Differenz zwischen den fiktiven Kosten der Fertigstellung nach Maßgabe der Vergütungsvereinbarung des gekündigten Vertrags einerseits und denjenigen Kosten andererseits zu erstatten, die der Auftraggeber für die Fertigstellung durch Dritte aufwenden muss.
OLG München, Beschluss vom 07.04.2020 – 28 U 1694/19 Bau

Bedenken gegen die vorgesehene Ausführungsart

Meldet der Auftragnehmer rechtzeitig und ordnungsgemäß Bedenken gegen die vorgesehene Ausführungsart an, ist der Auftraggeber insoweit gehindert, wegen dieses Mangels Gewährleistungsrechte geltend zu machen. Das gilt nicht nur im VOB-, sondern auch im BGB-Bauvertrag. Die Bedenkenanmeldung gegenüber einem rechtsgeschäftlichen Vertreter oder einem Empfangsbevollmächtigten reicht grundsätzlich aus. Etwas anderes gilt, wenn sich der “befugte Vertreter” den Bedenken des Auftragnehmers verschließt. Dann ist der Bedenkenhinweis an den Auftraggeber selbst zu richten. Das Schweigen des Auftraggebers bzw. dessen Vertreters auf einen Bedenkenhinweis führt jedenfalls dann zur Haftungsbefreiung, wenn die Durchführung der Arbeiten nicht zu einem unverwertbaren Werk, sondern lediglich zur Nichteinhaltung der Maßtoleranzen führt.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.04.2020 – 5 U 131/18

Bestimmung der anerkannten Regeln der Technik

Maßgebliche Anhaltspunkte für die Bestimmung der anerkannten Regeln der Technik i.S.v. § 13 Abs. 1 Satz 2 VOB/B 2012 bieten der Inhalt der EU-weiten Technischen Zulassung der Baumaterialien und auch die Verwendungshinweise des Herstellers (hier: für Setzbolzen zur Befestigung von Stahlblechen).
OLG Naumburg, Urteil vom 30.07.2021 – 2 U 41/19

Dachkonstruktion

Die Parteien eines Architektenvertrags können die Leistungsbilder oder -phasen der HOAI durch Bezugnahme zum Gegenstand der vertraglichen Leistungspflicht machen. Diese stellen dann eine Auslegungshilfe zur Bestimmung der vom Architekten vertraglich geschuldeten Leistung dar.
Wird ein Architekt mit “sämtlichen Grundleistungen gem. HOAI” beauftragt, gehören Besondere Leistungen i. S. der HOAI nicht zum beauftragten Leistungsumfang. Das gilt auch, wenn der Architekt nach dem Vertrag “eine mangelfreie Leistung schuldet”.
Die Überwachung einer Dachkonstruktion stellt eine Besondere Leistung dar, so dass der Architekt insoweit nicht zur Bauüberwachung verpflichtet ist, wenn er nur mit den Grundleistungen beauftragt wurde.
OLG München, Beschluss vom 28.05.2019 – 28 U 3553/18 Bau
vorhergehend:
OLG München, Gerichtlicher Hinweis vom 19.02.2019 – 28 U 3553/18 Bau
LG München II, 02.10.2018 – 3 O 2151/17 Arch
nachfolgend:
BGH, Beschluss vom 19.08.2021 – VII ZR 135/19 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Ersatz von Mangelfolgeschäden

Weist die Leistung des Auftragnehmers vor der Abnahme Mängel auf, setzt ein Anspruch des Auftraggebers auf Ersatz von Mangelfolgeschäden im VOB-Vertrag nicht voraus, dass dem Auftragnehmer der Auftrag zuvor entzogen (gekündigt) wurde.
Einer Kündigung nach erfolgter Fristsetzung bedarf es auch dann nicht, wenn dem Auftraggeber die Einhaltung dieser Voraussetzungen nicht zumutbar ist, weil der Auftragnehmer die Mängelbeseitigung ernsthaft und endgültig verweigert.
OLG Celle, Urteil vom 09.12.2021 – 5 U 51/21
vorhergehend:
LG Hannover, 24.02.2021 – 14 O 202/17

Estrich

Ein Werkmangel liegt bereits dann vor, wenn die Bauleistung von der vertraglich vereinbarten und damit geschuldeten Beschaffenheit abweicht. Auf die Frage der Funktionstauglichkeit kommt es dann nicht an. Bringt der Estrichleger in den verbauten Estrich abweichend von der vertraglichen Vereinbarung keine Stahldrahtfasern zur Bewehrung ein, begründet dies einen Mangel des Werks, der letztlich nur durch vollständigen Austausch des Estrichbodens beseitigt werden kann. Hat der Auftraggeber ein objektiv berechtigtes Interesse an der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung, kann die Mängelbeseitigung grundsätzlich nicht wegen unverhältnismäßigen Kosten verweigert werden.
OLG Schleswig, Beschluss vom 02.12.2020 – 12 U 66/20

Fensterbeschädigung

Beschädigt ein Gebäudereiniger während der Ausführung seiner Leistung mehrere Fenster (hier: in Form von tiefen Kratzern), stellt sich dies nicht als nachbesserungsfähige Schlechtleistung im Sinne des Gewährleistungsrechts dar. Vielmehr liegt eine Verletzung des Eigentums des Auftraggebers aus Anlass der Ausführung des Gewerks vor. Schadensersatzansprüche des Auftraggebers wegen einer Eigentumsverletzung aus Anlass der Ausführung unterliegen der Regelverjährung und verjähren drei Jahre nach Schluss des Jahres der Anspruchsentstehung und der Kenntnis des Auftraggebers von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schädigers. Die einvernehmliche Beauftragung eines Drittunternehmers mit der Schadensbeseitigung ist kein verjährungshemmendes Stillhalteabkommen.
Übernimmt der geschädigte Auftraggeber die Schadensbeseitigung selbst und fordert er Ersatz der insoweit angefallenen Kosten, anstatt diese auf der Grundlage eines Kostenvoranschlags oder Gutachtens einzufordern, liegt das Risiko von Verzögerungen in seinem Geschäftsbereich.
OLG Schleswig, Urteil vom 27.10.2021 – 9 U 7/20
vorhergehend:
LG Kiel, 20.12.2019 – 4 O 46/18

Fiktive Abnahme

Eine fiktive Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB tritt auch dann ein, wenn der Besteller bereits vor der Fristsetzung Mängel des Werks gerügt hat. Das gilt jedenfalls dann, wenn dem Werkunternehmer keine erheblichen Mängel des Werks bekannt sind.
Nach Eintritt des Annahmeverzuges mit der Nachbesserung kann der Besteller nach wie vor ein Zurückbehaltungsrecht nach § 641 Abs. 3 BGB geltend machen, allerdings beschränkt auf die Höhe der Mangelbeseitigungskosten.
OLG Schleswig, Urteil vom 10.12.2021 – 1 U 64/20 (nicht rechtskräftig)
vorhergehend:
LG Itzehoe, 18.06.2020 – 2 O 108/19

Gesundheitsgefährdende Baustoffe

Der Auftragnehmer hat seine Leistung ausschließlich mit solchen Baustoffen und -materialien auszuführen die nicht zu – auch nicht nur zu kurzzeitigen – Schadstoffbelastungen führen.
Beabsichtigt der Auftragnehmer, gesundheitsgefährdende Baustoffe oder -materialien zu verwenden, hat er den Auftraggeber hierauf vor der Ausführung hinzuweisen.
Die Beweislast dafür, dass die Leistung vor der Abnahme frei von Mängeln ist, trägt der Auftragnehmer. Dem Auftraggeber obliegt es lediglich, die behaupteten Mängel durch eine Beschreibung der Mängelsymptome substanziiert darzulegen.
OLG Celle, Urteil vom 09.12.2021 – 5 U 51/21
vorhergehend:
LG Hannover, 24.02.2021 – 14 O 202/17

Merkantiler Minderwert

Ein merkantiler Minderwert einer baulichen Anlage i. S. einer Schadensposition liegt vor, wenn trotz vollständiger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eine geringere Verwertbarkeit verbleibt, weil die maßgeblichen Verkehrskreise ein im Vergleich zur vertragsgemäßen Ausführung geringeres Vertrauen in die Qualität des Bauwerks haben. Daran fehlt es, wenn ein als mangelhaft gerügtes Dach vollständig demontiert und neu errichtet wird.
OLG Naumburg, Urteil vom 30.07.2021 – 2 U 41/19

Raumtemperaturen

Ein Anspruch auf eine bestimmte Heizleistung unabhängig davon, ob die vereinbarten oder üblichen Raumtemperaturen erreicht werden oder nicht, besteht nur, wenn dies gesondert vereinbart ist.
Werden bestimmte Temperaturen in den technischen Anschlussbedingungen zum Wärmelieferungsvertrag genannt, begründet dies keine Beschaffenheitsvereinbarung für die zu errichtende Wohnung.
Wird keine gesonderte Vereinbarung über die Heizleistung getroffen, ist für den üblichen Gebrauch einer Wohnung von einer erreichbaren Raumtemperatur von 20°C für Wohnräume und 24°C für das Bad auszugehen.
OLG Hamburg, Urteil vom 30.12.2020 – 4 U 21/20

Stundenlohnzettel

Eine auf Stundenlohnbasis erfolgte Abrechnung ist nicht ausreichend dargelegt und bewiesen, wenn die Stundenlohnzettel nicht so detailliert und nachvollziehbar ausgefüllt sind, dass der angesetzte Zeitaufwand durch einen Sachverständigen überprüft werden kann. Hieran ändert auch eine Vereinbarung, die Unterzeichnung durch den Bauleiter ohne Nennung der Namen aller Mitarbeiter sei ausreichend, oder der Einwand, dass die Arbeiten vor Ort angeordnet worden seien, nichts.
LG Frankfurt/Main, Urteil vom 21.06.2021 – 3-15 O 3/20

Teilabnahme

Enthält ein (General-)Planervertrag eine Regelung, wonach “die Teilabnahme der LP 8 vereinbart wird”, kann eine (Teil-)Abnahme einschließlich der Leistungsphase 8 auch konkludent durch die vorbehaltlose Zahlung der (Teil-)Schlussrechnung erfolgen. Die Möglichkeit einer Teilabnahme kann auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen wirksam vereinbart werden. Noch ausstehende Restleistungen stehen der Annahme einer konkludenten (Teil-)Abnahme des Architektenwerks dann nicht entgegen, wenn der Auftraggeber bereit ist, das Werk auch ohne diese Restleistungen als im Wesentlichen vertragsgerecht zu akzeptieren.
OLG Jena, Urteil vom 02.08.2019 – 4 U 217/16

Unbeplanter Innenbereich

Ein Nachbar, der sich gegen ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich wendet, hat nur Erfolg, wenn die angefochtene Baugenehmigung gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Für einen solchen Verstoß reicht es nicht aus, dass ein Vorhaben sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des Rahmens hält, der durch die Bebauung der Umgebung gebildet wird. Hinzukommen muss objektiv-rechtlich, dass es im Verhältnis zu seiner Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen erzeugt, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich ziehen, und subjektiv-rechtlich, dass es die gebotene Rücksichtnahme speziell auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung vermissen lässt. Ein Vorhaben fügt sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es die Gefahr heraufbeschwört, dass der gegebene Zustand in negativer Richtung in Bewegung gebracht wird. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn der von der Bebauung bisher eingehaltene Rahmen überschritten wird, ohne dass dies durch irgendeine Besonderheit begründet wäre, durch die sich das Baugrundstück von den Nachbargrundstücken unterscheidet.
VGH Hessen, Beschluss vom 17.11.2021 – 3 B 233/21

Verbraucherbauvertrag

Ein Verbraucherbauvertrag über erhebliche Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude (§ 650i Abs. 1 BGB) setzt voraus, dass das Auftragsvolumen dem eines Vertrags über die Errichtung eines Neubaus gleichkommt sowie dass der Verbraucher grundsätzlich mit sämtlichen der von ihm geplanten Baumaßnahmen nur einen einzigen Unternehmer beauftragt hat. Widerruft der Verbraucher einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Werkvertrag gem. § 312g BGB, steht dem Unternehmer für bereits erbrachte Leistungen nur unter den Voraussetzungen von § 357 Abs. 8 BGB Wertersatz zu; § 357d BGB ist nicht analog anwendbar. Beruft sich ein Verbraucher auf den Ausschluss des Wertersatzes zugunsten des Unternehmers gem. § 357 Abs. 8 BGB, kann dies im Einzelfall treuwidrig sein, § 242 BGB. Die Voraussetzungen eines solchen Einzelfalls sind vom Unternehmer darzulegen.
KG, Urteil vom 16.11.2021 – 21 U 41/21

Verwirkung Vertragsstrafe

Eine ursprünglich im Generalunternehmervertrag vereinbarte Vertragsstrafe für die Überschreitung einer nach dem Kalender bestimmten Fertigstellungsfrist wird nicht verwirkt, wenn die Vertragsparteien im Verlaufe der Bauarbeiten und im Hinblick auf einen vom Bauherrn angeordneten vorübergehenden Baustopp vereinbaren, dass der Bauzeitenplan nicht mehr verbindlich ist und sich die Fertigstellungsfrist auf unbestimmte Zeit verschiebt.
OLG Naumburg, Urteil vom 30.07.2021 – 2 U 41/19

Dauerbrenner Prüfung der Preisbildung. Wann? Wie? Wann ist eine Aufklärung zufriedenstellend?

Dauerbrenner Prüfung der Preisbildung. Wann? Wie? Wann ist eine Aufklärung zufriedenstellend?

von Thomas Ax

Auf ein Angebot mit unangemessen niedrigem Preis darf gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A der Zuschlag nicht erteilt werden. Die Norm dient der Umsetzung des Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU. Hierzu hat der öffentliche Auftraggeber eine Aufklärung zu veranlassen und auf der Basis der vom Bieter erteilten Auskünfte zu entscheiden, ob dieser in der Lage ist, seine Leistungen auftragsgerecht zu erbringen (vgl. Steck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, VOB/A-EU § 16d, Rn. 6).

VK Bund, Beschluss vom 15.11.2021, VK 1-112/21

Nach dem Wortlaut des Art. 69 Abs. 3 1. Absatz Satz 2 RL 2014/24/EU kann der Auftraggeber ein Angebot nur dann ablehnen, wenn die beigebrachten Nachweise das niedrige Niveau des vorgeschlagenen Preises beziehungsweise der Kosten unter Berücksichtigung der in Art. 69 Abs. 2 RL 2014/24/EU genannten Faktoren nicht zufriedenstellend erklären. Dem Auftraggeber wird bei dieser Entscheidung ein rechtlich gebundenes Ermessen, auf das sich grundsätzlich auch die anderen Teilnehmer am Vergabeverfahren berufen können, eingeräumt. Die Ablehnung des Zuschlags ist grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber verbleibende Ungewissheiten an der Auskömmlichkeit des Angebots des betreffenden Bieters nicht zufriedenstellend aufklären kann (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16).
VK Bund, Beschluss vom 15.11.2021, VK 1-112/21

Die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, in eine Preisprüfung einzutreten, kann sich aus dem Preis- und Kostenabstand zu den Konkurrenzangeboten aber auch aus Erfahrungswerten, insbesondere aus Erkenntnissen aus vorangegangenen vergleichbaren Ausschreibungen oder aus einem Vergleich mit der eigenen Auftragswertschätzung des Auftraggebers ergeben (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2020 – Verg 26/19). Der öffentliche Auftraggeber ist jedenfalls dann verpflichtet, in die Prüfung der Preisbildung einzutreten, wenn der Abstand zwischen dem Angebot des bestplatzierten und dem Angebot des zweitplatzierten Bieters mehr als 20 % beträgt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. September 2019 – Verg 10/19).

VK Bund, Beschluss vom 15.11.2021, VK 1-112/21

Der öffentliche Auftraggeber hat mittels der in § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 VOB/A vorgeschriebenen Aufklärung dem betreffenden Bieter die Möglichkeit zu geben, den Eindruck eines ungewöhnlich niedrigen Angebots zu entkräften oder hinreichende Gründe aufzuzeigen, dass sein Angebot annahmefähig ist. Dafür hat er an den Bieter eine eindeutig formulierte Anforderung zu richten, mit der er Erläuterungen zu den angebotenen Preisen verlangt und Gelegenheit gibt, die Seriosität des Angebots nachzuweisen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2020 – Verg 26/19 unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 29. März 2012, Rs. C-599/10). Die Prüfung muss einerseits darauf gerichtet sein, eine gesicherte Erkenntnisgrundlage für die zu treffende Entscheidung zu schaffen. Wegen des Interesses nicht nur des öffentlichen Auftraggebers, sondern auch der Allgemeinheit an einer zügigen Umsetzung von Beschaffungsabsichten und einem raschen Abschluss von Vergabeverfahren sowie wegen der begrenzten Ressourcen und Möglichkeiten des öffentlichen Auftraggebers sind jedoch seiner Überprüfungspflicht durch den Grundsatz der Zumutbarkeit Grenzen gesetzt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. September 2019 – Verg 10/19).
VK Bund, Beschluss vom 15.11.2021, VK 1-112/21

Eine Aufklärung ist nicht zufriedenstellend, wenn sie trotz pflichtgemäßer Anstrengung des öffentlichen Auftraggebers keine gesicherte Tatsachengrundlage für die Feststellung bietet, das Angebot sei entweder angemessen oder der Bieter sei im Falle eines Unterkostenangebots wettbewerbskonform in der Lage, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen (vgl. grundsätzlich VK Bund, Beschluss vom 12. Juli 2019, VK 1-35/19). Die Aufklärung betrifft neben rechnerischen Unklarheiten auch alle preisrelevanten inhaltlichen Aspekte des Angebots (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 18. September 2019 – Verg 10/19 und 29. Mai 2020 – Verg 26/19). Eine ordnungsgemäße Aufklärung nach erfolgter Vorlage der Unterlagen über die Preisermittlung erfordert zudem eine konkrete Auseinandersetzung mit den Angaben des Bieters im Sinne einer Überprüfung. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der zugrunde liegenden Normen (§ 16d EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 VOB/A: „prüft der öffentliche Auftraggeber die betreffende Zusammensetzung und berücksichtigt dabei die gelieferten Nachweise“; Art. 69 Abs. 3, 1. Absatz Satz 1 RL 2014/24/EU: „Der öffentliche Auftraggeber bewertet die beigebrachten Informationen mittels einer Rücksprache mit dem Bieter“). Unter Umständen kann in Folge der zunächst gewonnenen Prüfungsergebnisse eine ergänzende Aufklärung in Betracht kommen.
VK Bund, Beschluss vom 15.11.2021, VK 1-112/21

Zwar kann der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag erteilen, wenn der Bieter mit einem Unterkostenangebot wettbewerbskonforme Ziele verfolgt und er nachweisen kann, trotz Unauskömmlichkeit den Auftrag zu erfüllen. Die Entscheidung darüber prognostiziert der öffentliche Auftraggeber aufgrund gesicherter tatsächlicher Erkenntnisse.

VK Bund, Beschluss vom 15.11.2021, VK 1-112/21

Vorsicht: Kreatives Pauschalpreisnebenangebot nicht unbedingt richtige Handlungsalternative

Vorsicht: Kreatives Pauschalpreisnebenangebot nicht unbedingt richtige Handlungsalternative

von Thomas Ax

Da gemäß § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 VOB/A 2019 Nebenangebote bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte nur dann gewertet werden können, wenn sie vom Auftraggeber ausdrücklich zugelassen worden sind, muss sich aus den Ausschreibungsbedingungen unter dem maßgeblichen Blickwinkel eines verständigen und sachkundigen Bieters hinreichend klar ergeben, ob und wenn ja, in welchem Umfang der Auftraggeber Nebenangebote zugelassen hat.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2021 – 11 Verg 4/21

Die Abgabe eines Pauschalpreisnebenangebots ist nicht zulässig, wenn der beabsichtigte Bauvertrag ersichtlich als Einheitspreisvertrag konzipiert war und wenn der Auftraggeber in der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten (unter Verwendung des Formblatts 211 – EU) lediglich für einzelne Titel technische Nebenangebote, z. B. in Form eines alternativen Bauverfahrens, zugelassen und insoweit formale und qualitative Mindestanforderungen an die technische Ausführung gestellt hat.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2021 – 11 Verg 4/21

Nach der hier maßgeblichen Regelung in § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A-EU können Nebenangebote bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte nur dann gewertet werden, wenn sie vom Auftraggeber ausdrücklich zugelassen worden sind. Die Vorschrift folgt einem völlig anderen Regelungsmechanismus, wie er für den Unterschwellenbereich im ersten Abschnitt der VOB/A gem. § 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A vorgeschrieben ist. Während der Auftraggeber dort angeben muss, ob er Nebenangebote nicht oder nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zulässt (andernfalls sie vom Bieter abgegeben werden durften und gewertet werden müssen), kann der Bieter hier nur dann auf eine Wertung seiner Nebenangebote hoffen, wenn der Auftraggeber Nebenangebote entweder uneingeschränkt oder eingeschränkt für den vom Bieter angebotenen Bereich ausdrücklich zugelassen hat (vgl. Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, VOB-Kommentar, 7. Aufl., Rn 12 zu § 8 VOB/A-EU).
OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2021 – 11 Verg 4/21

Ein Nebenangebot liegt vor, wenn ein Bieter eine von den Vertragsunterlagen abweichende Art der Leistung anbietet, unabhängig von dem Umfang und dem Gegenstand der Änderung. Eine Abweichung kann daher in technischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht erfolgen (Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, aaO., Rn 54 zu § 8 VOB/A; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2.11.2011 – Verg 22/11, OLG Jena, Beschluss vom 21.9.2009 – 9 Verg 7/09). Ein technisches Nebenangebot enthält eine abweichende Lösung von den Vorgaben in den Vergabeunterlagen. Rechtliche Abweichungen betreffen in der Regel den Inhalt des Bauvertrags. Ein wirtschaftliches oder kaufmännisches Nebenangebot liegt beispielsweise im Angebot einer abweichenden Vergütungsform oder im Angebot bestimmter Preisnachlässe unter bestimmten Bedingungen, wie der Beauftragung mehrerer Lose (vgl. dazu Liebschwager in: Burgi/Dreher Beck`scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., Rn 8 zu § 35 VgV).
OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2021 – 11 Verg 4/21

Der Auftraggeber kann bei der Zulassung von Nebenangeboten differenzieren, z.B. nur technische oder nur kaufmännische Nebenangebote zulassen bzw. diese auf bestimmte Teile der Leistung beschränken. Dies wird auch durch § 8 Abs. 2 Nr. 3 lit a) und b) VOB/A-EU verdeutlicht, wenn dort vorgeschrieben ist, dass der Auftraggeber anzugeben hat, in welcher Art und Weise Nebenangebote einzureichen sind und wenn ihm vorgeschrieben wird, Mindestbedingungen an Nebenangebote zu stellen.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2021 – 11 Verg 4/21

Der Erklärungswert von Vergabeunterlagen richtet sich nicht nach dem subjektiven Verständnis des Antragstellers eines Nachprüfungsverfahrens, sondern nach dem objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, so dass der Senat die Unterlagen aus der Sicht eines verständigen, mit der Materie vertrauten Bieters auslegen muss (vgl. BGH, Urteil vom 10.6.2008 – X ZR 78/07 – Nachunternehmererklärung).

OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2021 – 11 Verg 4/21

Es kommt darauf an, ob nach einer Gesamtschau der Vergabeunterlagen festgestellt werden kann, dass Nebenangebote ausdrücklich zugelassen waren. Maßgeblich ist in erster Linie die mit Hilfe der einschlägigen Vorlagen (Formblatt 211 EU-Hessen) bekannt gemachte „Aufforderung zur Abgabe eines Angebots“. Dieses Formblatt bietet der Vergabestelle unter Ziffer 6. die Möglichkeit, Nebenangebote entweder für die gesamte Leistung, eingeschränkt für konkret zu benennende Bereiche, grundsätzlich in weitem Umfang aber mit Ausnahme konkret benannter Bereiche und zuletzt unter konkreten weiteren Bedingungen, wie z.B. nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zuzulassen.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2021 – 11 Verg 4/21

Mangels einer eindeutigen gesetzlichen Regelung wird der Pauschal(preis)vertrag in Abgrenzung zum Einheitspreisvertrag definiert. Während beim Einheitspreisvertrag die Vergütung immer erst nach Ausführung der Leistung feststeht, weil sie gem. § 2 Abs. 2 VOB/B aus der Multiplikation der ausgeführten Mengen mit dem jeweiligen Einheitspreis ermittelt wird, ist es beim Pauschalvertrag genau umgekehrt: Die Vergütung steht grundsätzlich schon vor der Ausführung fest, nämlich in Form einer „festen“ Summe, eben des Pauschalpreises (vgl. Kapellmann/Messerschmidt-Kapellmann, VOB-Kommentar, 7. Aufl., Rn 447 zu § 2 VOB/B).

OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2021 – 11 Verg 4/21

Der vertraglichen Abrechnung nach Einheitspreisen wohnt die Tendenz inne, dass qualitativ so gebaut wird, wie es sich der Auftraggeber vorstellt. Dieser Anreiz fehlt bei einer Pauschalierung. Die damit einhergehende Gefahr, für die beiden Leistungen mehr bezahlen zu müssen, als dies nach Einheitspreisen notwendig ist, erlaubt den Ausschluss der Nebenangebote. Preislich vorteilhafter ist für den Auftraggeber eine Pauschalierung vielmehr in der Regel nur, wenn die Ersparnis in jeder denkbaren Variante einer noch vertragsgerechten Leistungserbringung größer ist, als wenn nach Einheitspreisen abgerechnet würde.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2021 – 11 Verg 4/21

Das Angebot eines Bieters muss gem. § 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU die im Leistungsverzeichnis bzw. den sonstigen Vergabeunterlagen zweifelsfrei geforderten Preisangaben enthalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss jeder in der Leistungsbeschreibung vorgesehene Preis, so wie gefordert, vollständig und mit dem Betrag angegeben werden, der für die betreffende Leistung beansprucht wird. Dies wird damit begründet, dass ein transparentes, auf Gleichbehandlung aller Bieter beruhendes Auswahlverfahren nur dann gewährleistet werden kann, wenn in jeder sich aus den Verdingungsunterlagen ergebender Hinsicht vergleichbare Angebote abgegeben werden (BGH, Beschluss vom 7.1.2003, X ZR 50/01; BGH, Beschluss vom 18.5.2004, X ZB 7/04 – Mischkalkulationen). Demzufolge liegt eine unvollständige Preisangabe schon dann vor, wenn zumindest bezüglich einer einzigen Ordnungsziffer des Leistungsverzeichnisses kein Preis angegeben wird (Kapellmann/Messerschmidt-Fister aaO., Rn 28 zu § 16a EU VOB/A).

OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2021 – 11 Verg 4/21

Aktuelle Entscheidungen zum Hochbaurecht – kompakt Privates Hochbaurecht – Architektenhaftungsrecht

Aktuelle Entscheidungen zum Hochbaurecht – kompakt Privates Hochbaurecht – Architektenhaftungsrecht

von Thomas Ax

Architekt haftet nicht für Schäden durch nachträglich angelegte Wartungswege

Der Architekt haftet nicht für die Kosten der Sanierung eines Flachdachs, wenn das von ihm ausgeschriebene und verwendete Dämmmaterial die übliche Beschaffenheit aufweist und den anerkannten Regeln der Technik entspricht, und die Schäden am Dach auf nachträglich und ohne Kenntnis des Architekten vom Auftraggeber als – nicht notwendige – Wartungswege verlegte Betonplatten zurückzuführen sind.

OLG Celle, Urteil vom 01.09.2021 – 14 U 114/20

Nicht mit Grundlagenermittlung beauftragt: Keine Haftung für zu laute Heizungsanlage

Wird ein Fachplaner der technischen Gebäudeausrüstung ausdrücklich nicht mit den Leistungen entsprechend Leistungsphase 1 der HOAI (Grundlagenermittlung) beauftragt, ist er nicht zur emissionsschutzrechtlichen Planung im Hinblick auf die umgebende Bebauung verpflichtet.

Die Grundlagenermittlung der Leistungsphase 1 wird im Bereich der Ingenieurleistungen nicht allein deshalb Gegenstand eines Ingenieurvertrags, weil sie einen den weiteren Leistungsphasen notwendig vorangehenden Entwicklungsschritt darstellt oder weil sie tatsächlich erbracht wurde.

Auch aus einer im Ingenieurvertrag enthaltenen Generalklausel, die öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu beachten, ergibt sich keine Planungsverpflichtung hinsichtlich der Lärmauswirkungen.

OLG Frankfurt, Urteil vom 12.07.2021 – 29 U 234/19

Architekt muss Bau einer Treppe planen und überwachen

Der mit der Vollarchitektur beauftragte Architekt hat den Einbau einer Treppe zu planen und zu überwachen. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Beton- oder um eine Holztreppe handelt.

Der Auftraggeber ist nicht dazu verpflichtet, mit der Mängelbeseitigung das Bauunternehmen zu beauftragen, das sich im Rahmen der Erstausführung nicht an die allgemein anerkannten Regeln der Technik gehalten hat.

Einem gesamtschuldnerisch mit einem Bauunternehmer wegen Bauaufsichtsfehlern haftenden Architekten ist in der Regel der Einwand versagt ist, der Auftraggeber hätte sich durch rechtzeitigen Zugriff bei dem Bauunternehmer befriedigen können und müssen. Dem Auftraggeber steht es grundsätzlich frei, ob er wegen eines Mangels am Bauwerk den Bauunternehmer oder den Architekten, der seine Aufsichtspflicht verletzt hat, in Anspruch nimmt.

Nur ausnahmsweise kann der Auftraggeber gehindert sein, einen Architekten wegen eines Bauaufsichtsfehlers in Anspruch zu nehmen, wenn und soweit er auf einfachere, insbesondere billigere Weise von dem Bauunternehmer die Beseitigung des Mangels verlangen kann.

Zwar kann den Auftraggeber ein Mitverschulden treffen, wenn er Baumängel erst nach längerer Zeit zu dann gestiegenen Kosten beseitigen lässt. Allein der Umstand, dass die Baukosten gestiegen sind, begründet ein Mitverschulden jedoch nicht.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2021 – 23 U 106/20

Aktuelle Entscheidungen zum Hochbaurecht – kompakt Privates Hochbaurecht – Vertragsrecht

Aktuelle Entscheidungen zum Hochbaurecht – kompakt Privates Hochbaurecht – Vertragsrecht

von Thomas Ax

Lieferung und Montage von Standardtüren und -zargen unterliegt Kaufrecht

Ein Vertrag über die Lieferung und Montage von Standardtüren und -zargen ist ein Werklieferungsvertrag mit der Folge, dass Kaufrecht anzuwenden ist. Etwas anderes gilt nicht aufgrund des Einbezugs der VOB/B. Die Parteien haben kein Wahlrecht zwischen Werkvertragsrecht und Kaufrecht. Die Folge ist, dass § 377 HGB gilt.

LG Frankenthal, Beschluss vom 02.09.2021 – 8 O 162/20

Überlassung von Kran und Bedienpersonal: Miet-/Dienst- oder Werkvertrag?

Ob die entgeltliche Gestellung eines Krans bei gleichzeitiger Überlassung von Bedienpersonal als kombinierter Mietvertrag mit einem Dienst-, Dienstverschaffungs- oder Werkvertrag zu qualifizieren ist, hängt vor allem davon ab, welche Leistungen dem Vertrag das Gepräge geben.
OLG Frankfurt, Urteil vom 17.03.2020 – 5 U 48/19 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen)

Lieferung und Montage von Treppenlift mit individueller Laufschiene ist Werkvertrag

Ein Vertrag über die Lieferung und Montage eines Kurventreppenlifts mit einer individuell erstellten, an die Wohnverhältnisse des Kunden angepassten Laufschiene ist ein Werkvertrag. Wird ein solcher Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen mit einem Verbraucher geschlossen, steht diesem ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB zu, weil der in § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB vorgesehene Ausschluss dieses Rechts Werkverträge nicht erfasst.

BGH, Urteil vom 20.10.2021 – I ZR 96/20

Vertragsschluss geht Ortstermin voraus: Kein Fernabsatzvertrag, kein Widerruf

Haben die Parteien einen Vertrag über Gartenbauarbeiten durch schriftliches Angebot des Unternehmers und telefonische Annahme des Kunden geschlossen, ist dem Vertrag zur Vorbereitung des Angebots aber ein gemeinsamer Ortstermin vorangegangen, ist er nicht ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen.

Gibt der Unternehmer Angebote regelmäßig erst nach vorhergehendem Ortstermin ab, so ist sein Geschäftsbetrieb auch nicht auf den Fernabsatz ausgerichtet. In diesen Fällen liegt kein Fernabsatzvertrag nach § 312c BGB vor.

OLG Schleswig, Urteil vom 15.10.2021 – 1 U 122/20

Tätigkeit „auf Zuruf“ ist Dienst-, kein Werkvertrag

Maßgebend für die Abgrenzung von Dienstvertrag zu Werkvertrag ist, ob ein abgrenzbares, als eigene Leistung zurechenbares und abnahmefähiges Werk oder eine Tätigkeit vereinbart ist.

Wird ein im Messebau tätiger Unternehmer im Stundenlohn mit Arbeiten im Bereich des Innenausbaus beauftragt, handelt es sich bei dem geschlossenen Vertrag um einen Dienstvertrag, wenn keine konkrete Leistung vereinbart wird, die der Unternehmer eigenverantwortlich ausführen soll, sondern ihm erst vor Ort konkrete Tätigkeiten zugewiesen werden.

AG Augsburg, Urteil vom 28.10.2021 – 18 C 1047/21

Aktuelle Entscheidungen zum Hochbaurecht – kompakt Privates Hochbaurecht – Vertragsgestaltungsrecht

Aktuelle Entscheidungen zum Hochbaurecht – kompakt Privates Hochbaurecht – Vertragsgestaltungsrecht

von Thomas Ax

Keine Baugenehmigung, kein Verzug

Die von einem Auftragnehmer in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags verwandte Klausel „Eine Aufrechnung gegen den Werklohnanspruch ist nur mit einer unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderung zulässig“, benachteiligt den Auftraggeber unangemessen und ist unwirksam (Anschluss an BGH, IBR 2011, 340).

Der Auftragnehmer kommt nicht in Verzug, wenn die Leistung ohne sein Verschulden aus auf den Auftraggeber zurückzuführenden Gründen nicht zur vorgesehenen Leistungszeit erbracht werden kann. Dabei kann es sich um tatsächliche und rechtliche Hindernisse handeln.

Liegt es im Verantwortungsbereich des Auftraggebers, die erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen zu beschaffen und bereit zu stellen, gerät der Auftragnehmer nicht in Verzug, wenn der Auftraggeber die Genehmigungen nicht rechtzeitig einholt.

OLG Brandenburg, Urteil vom 11.11.2021 – 12 U 79/21

Aktuelle Entscheidungen zum Hochbaurecht – kompakt Privates Hochbaurecht – Nachtragsrecht

Aktuelle Entscheidungen zum Hochbaurecht – kompakt Privates Hochbaurecht – Nachtragsrecht

von Thomas Ax

Abgrenzung zwischen geänderter und zusätzlicher Leistung

Die Regelung des § 2 Abs. 6 VOB/B findet Anwendung, wenn eine Anordnung gem. § 1 Abs. 4 VOB/B getroffen worden ist, also nachträglich Leistungen angeordnet werden, die zur Erreichung des ursprünglich vereinbarten Leistungsziels erforderlich sind.

Gibt der Auftraggeber zusätzliche „Leistungsziele“ vor, liegt eine angeordnete Änderung des Bauentwurfs gem. § 1 Abs. 3 VOB/B vor. Zu einer solchen Anordnung sieht § 2 Abs. 5 VOB/B vor, dass ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren ist.

Maßgeblich sind die gem. § 2 Abs. 5 VOB/B tatsächlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge (Anschluss an BGH, IBR 2019, 536).

Die Vereinbarung des neuen Preises soll vor der Ausführung getroffen werden. Um eine Anspruchsvoraussetzung handelt es sich dabei – anders als bei § 2 Abs. 6 VOB/B – nicht.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.02.2021 – 22 U 245/20

Entsorgung des im Erdreich enthaltenen Mülls: Geänderte Leistung

Hat der Auftragnehmer nach dem Leistungsverzeichnis als Material Boden und Fels abzutragen und zu verwerten, stellt das Separieren und Entsorgen des im Erdreich enthaltenen Mülls keine zusätzliche Leistung i.S.v. § 2 Abs. 6 VOB/B, sondern eine geänderte Leistung i.S.v. § 2 Abs. 5 VOB/B dar. Der Auftragnehmer muss seinen Mehrvergütungsanspruch deshalb nicht vor der Ausführung ankündigen.

Die Ankündigung eines Anspruchs auf zusätzliche Vergütung (§ 2 Abs. 6 VOB/B) bedarf es nicht, wenn sie für den Schutz des Auftraggebers entbehrlich ist.

Ein Verlust des Vergütungsanspruchs des Auftragnehmers nach unterbliebener Mehrkostenankündigung ist nicht angezeigt, wenn der Auftraggeber bei der Forderung der Leistung von ihrer Entgeltlichkeit ausging oder ausgehen musste oder wenn ihm nach Lage der Dinge keine Alternative zur sofortigen Ausführung der Leistung durch den Auftragnehmer blieb.

Eine nicht verwertete Sicherheit für Mängelansprüche hat der Auftraggeber nach Ablauf von zwei Jahren – gerechnet von dem Zeitpunkt der Abnahme – zurückzugeben, sofern kein anderer Rückgabezeitpunkt vereinbart worden ist. Das gilt auch dann, wenn die Gewährleistungsfrist vertraglich auf fünf Jahre verlängert worden ist.

Auch ein Nachunternehmer hat gegen seinen Auftraggeber – den Hauptauftragnehmer bzw. Generalunternehmer – einen Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherheit gem. § 648a BGB a.F. (§ 650f BGB n.F.).

Die Abtretung eines Bankguthabens ist keine den Anforderungen des § 232 Abs. 1, § 648a Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. entsprechende Sicherheit und schließt einen Anspruch des Auftragnehmers aus § 648a Abs. 1 BGB a.F. nicht aus (Bestätigung von OLG Hamm, IBR 2016, 517).

OLG Hamm, Urteil vom 27.03.2019 – 12 U 66/17

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