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CO2-Schattenpreis, CO2-Emissionen in Umsetzung von § 8 Absatz 2 Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsge- setz Baden-Württemberg (KlimaG BW)

CO2-Schattenpreis, CO2-Emissionen in Umsetzung von § 8 Absatz 2 Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsge- setz Baden-Württemberg (KlimaG BW)

vorgestellt von Thomas Ax

In Umsetzung von § 8 Absatz 2 Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetz Baden-Württemberg (KlimaG BW) soll bei der Beschaffung von Liefer- und Dienstleistungen durch das Land im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ein rechnerischer Preis veranschlagt werden. Dieser Preis entspricht dem vom Umweltbundesamt wissenschaftlich ermittelten und empfohlenen Wert für jede über den Lebenszyklus der Maßnahme entstehende Tonne Kohlenstoffdioxid (CO2) (CO2-Schattenpreis).

Ein CO2-Schattenpreis ist nicht zu veranschlagen, wenn der Auftragswert die Höhe von 100 000 Euro ohne Umsatzsteuer nicht übersteigt. Ein CO2-Schattenpreis ist auch dann nicht zu veranschlagen, wenn keine verlässlichen und belastbaren Hilfestellungen für die Berechnung von CO2-Emissionen der Leistung beziehungsweise Leistungs- oder zumindest Produktgruppe verfügbar sind.

Zur Berücksichtigung der Klimafolgen in der Angebotswertung hat sich in anderen Staaten bereits etabliert, die Angebotswertung auf Grundlage der Angebotssumme zuzüglich eines Schattenpreises für die Treibhausgasemissionen durchzuführen. Die auf Grundlage der Ökobilanz ermittelten CO 2e-Emissionen können bepreist werden, um die Klimafolgekosten zu ermitteln und bei der Investitionsentscheidung zu berücksichtigen. Durch die Festlegung des CO 2e-Preises entscheidet der Auftraggeber faktisch, welche Bedeutung er dem Klimaschutz im jeweiligen Projekt beimisst. Je höher der angesetzte CO 2 e-Preis ist, desto höher ist die Bereitschaft des Auftraggebers, höhere Investitionen für den Klimaschutz zu tätigen.

Die Berücksichtigung eines CO 2e-Schattenpreises für die Angebotswertung ist ein international etabliertes, marktwirtschaftliches Instrument.

Im Grundsatz wird den Leistungen der Bieter das Treibhauspotenzial zugewiesen, das der Auftraggeber hierfür auf Grundlage von Standarddaten in der Ökobilanz ermittelt hat. Die so ermittelte CO 2e Menge wird mit einem für alle Bieter einheitlichen Schattenpreis je Tonne CO 2e belegt. Dieser Schattenpreis wird nur für die Zwecke der Wertung auf den Angebotspreis aufgeschlagen.

Wettbewerb entsteht dadurch, dass Bieter die Möglichkeit erhalten, das in der Ökobilanz kalkulierte Treibhauspotenzial zu reduzieren.

Hierzu erhalten die Bieter die Möglichkeit, in ihrem Angebot das von ihnen beeinflussbare Treibhauspotenzial ihrer Leistung abweichend von den Werten in der Ökobilanz des Auftraggebers in CO 2 e auszuweisen. Hierdurch können sie die CO 2 e Menge ihrer Leistung reduzieren, den CO 2e Schattenpreis reduzieren und durch ihren Beitrag zum Klimaschutz einen Wertungsvorteil erreichen.

Das Modell ist vergaberechtlich zulässig sowie einfach und transparent umsetzbar. Es erfordert aber eine belastbare Datengrundlage für Treibhausgasemissionen.

Nach dem hier vorgeschlagenen Wertungsmodell lässt sich der Auftraggeber mit dem Angebot das durch die angebotenen Leistungen des Bieters verursachte Treibhauspotenzial (GWP) in kg CO 2e angeben. Dieses Treibhauspotenzial wird anschließend bepreist. Der so ermittelte Wert wird für die Zwecke der Angebotswertung auf den Angebotspreis aufgeschlagen. Die Summe bildet den Wertungspreis. Dieses Wertungsmodell genügt den vergaberechtlichen Anforderungen. Es sichert den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot und gewährleistet Wettbewerb. Im Einzelnen: Der Zuschlag muss auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden. Wirtschaftlichkeit ist das beste Preis-Leistungs-Verhältnis, § 127 Abs. 1 Satz 2 GWB. Diese Definition erlaubt die Berücksichtigung der Klimafolgekosten. Denn die Rechtsprechung hat schon lange geklärt, dass im Rahmen der Angebotswertung Aspekte berücksichtigt werden dürfen, die nicht unmittelbar oder allein dem Auftraggeber, sondern (auch) der Allgemeinheit zugutekommen. Dies ist nun auch in § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB geregelt. Erforderlich ist aber immer, dass die Zuschlagskriterien auftragsbezogen gewertet werden. Es dürfen also nur Merkmale gewertet werden, die der Leistungserbringung innewohnen und mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Die Bewertung von Klimafolgen und insbesondere des Treibhauspotenzials ist also vergaberechtlich rechtssicher möglich.

Zuschlagskriterien sind nach § 127 Abs. 4 GWB so zu gestalten, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen.

Der Auftraggeber erstellt im Grundmodell eine Ökobilanz. Auf Grundlage der Ökobilanz werden je Los die CO 2e-Treiber identifiziert. Soweit diese CO 2 e-Treiber von den Bietern vor dem Hintergrund der Leistungsbeschreibung (noch) beeinflussbar sind, werden die Bieter aufgefordert, das Treibhauspotenzial ihrer angebotenen Ausführung nach einem einheitlichen Berechnungsverfahren zu ermitteln und auszuweisen.

Die Bieter weisen in ihrem Angebot das Treibhauspotenzial ihrer Leistung in CO 2 e aus.

Sie können für die Zwecke der Einfachheit auf eine Angabe verzichten. In diesem Fall geht der Auftraggeber davon aus, dass diese Leistungen mit den in der Ökobilanz ermittelten CO 2 e-Emissionen erbracht werden. Die Summe der CO 2 e-Emissionen (das Treibhauspotenzial) wird mit einem vom Auftraggeber im Vorfeld einheitlich definierten und transparent gemachten CO 2e-Preis bewertet. Die so ermittelten Klimafolgekosten bilden einen Schattenpreis. Für die Zwecke der Preiswertung werden der Angebotspreis und der Schattenpreis der Klimafolgen addiert und bilden gemeinsam den Wertungspreis. Zuschlagskriterium sind über die Lebenszykluskosten mithin die Klimafolgekosten, ermittelt über das Produkt aus Treibhauspotenzial in kg CO 2e und einem angemessenen Preis je Tonne CO 2e.

Zum Nachweis des Treibhauspotenzials können für projektspezifische Ökobilanzen sogenannte Umweltproduktdeklarationen (Environmental Product Declaration, EPD) genutzt werden. Für die Berechnung von Ökobilanzen stehen verschiedene, teils frei verfügbare Ökobilanzierungs-Tools zur Verfügung.

Die Bepreisung des Treibhauspotenzials kann nur dann ein erfolgreiches Wertungssystem sein, wenn es einfach handhabbar und transparent ist und Unternehmen die Möglichkeit eröffnet, sich gegenüber ihren Wettbewerbern zu differenzieren. Um eine Überforderung des Marktes zu vermeiden, muss es derzeit noch möglich sein, dass Bieter auf einen Nachweis des konkreten Treibhauspotenzials ihrer Leistung verzichten, jedenfalls bis sich entsprechende Nachweise etabliert haben.

Soweit Bieter Angaben zu dem Treibhauspotenzial ihrer Leistung machen möchten, braucht es einfacher Regeln für deren Bilanzierung. Um Innovationen zuzulassen, muss es Bietern möglich sein, das Treibhauspotenzial durch die Nutzung von EPD produktspezifisch nachzuweisen.

Der Auftraggeber stellt den Bietern im Vergabeverfahren die Ergebnisse seiner Ökobilanz zur Verfügung. Den Bietern wird freigestellt, in ihrem Angebot nachzuweisen, dass sie die errechneten Werte durch ihre Leistungen unterschreiten. Dazu kann das in der Ökobilanz des Auftraggebers ermittelte Treibhauspotenzial der Einfachheit halber direkt im Leistungsverzeichnis in CO 2 e ausgewiesen werden.

Auf dieser Grundlage können die Bieter schnell erkennen, an welchen Stellen die Möglichkeit besteht, zum Beispiel durch ein bestimmtes angebotenes Material oder Produkt eine Verbesserung des Treibhauspotenzials zu erzielen. Das heißt, die Bieter müssen für die von ihnen angebotenen Leistungen keine vollständige Ökobilanz erstellen. Soweit der Auftraggeber den Wettbewerb um das Treibhauspotenzial eröffnet hat, können sie im Angebot darstellen, inwiefern sich durch ihre Leistungen das mit der Ökobilanz des Auftraggebers ermittelte Treibhauspotenzial verringert, zum Beispiel durch den Einsatz eines besonders klimaverträglichen Produkts.

Im Grundmodell erstellt der Auftraggeber vor der Ausschreibung eine Ökobilanz.

Diese Ökobilanz weist das Treibhauspotenzial im Lebenszyklus aus. Um eine Überforderung des Marktes zu verhindern und das Verfahren zu vereinfachen, sollte die Angabe des angebotsspezifischen Treibhauspotenzials nicht verpflichtend sein. Die Bieter erhalten also lediglich die Möglichkeit, die auf Basis von Standardwerten kalkulierte Ökobilanz zu unterbieten. Soweit ein Bieter diese Möglichkeit nicht nutzt, kann für seine Leistung der Wert aus der Ökobilanz des Auftraggebers angesetzt werden. Denkbar wäre auch für die Zwecke der Wertung dieser Bieter den in der Ökobilanz angesetzten Wert zuzüglich eines Aufschlags, zum Beispiel von 10 %, anzusetzen. Es ließe sich vertreten, dass ohne einen solchen Aufschlag Bieter bevorteilt werden könnten, die besonders treibhausgasemissionsintensive aber möglicherweise kostengünstigere Produkte einsetzen. Eine solche Regelung wäre transparent und würde niemanden benachteiligen, da durch die Einreichung eines leistungsspezifischen Nachweises eine leistungsgerechte Wertung möglich wäre.

Das auf die dargestellte Weise ermittelte (gegebenenfalls verringerte) Treibhauspotenzial wird dann auf Basis des festgelegten CO 2 e-Preises in Klimafolgekosten umgerechnet. Dieser Schattenpreis wird zur Ermittlung des Wertungspreises zu dem Angebotspreis addiert.

Der Auftraggeber muss bereits in den Vergabeunterlagen festlegen, welchen Preis er für eine Tonne CO 2e-Emissionen im Lebenszyklus zugrunde legt. Das hier vorgeschlagene Wertungsmodell sieht vor, dass das gesamte Treibhauspotenzial der angebotenen Leistungen über den Betrachtungszeitraum in der Summe betrachtet und mit dem bei Ablauf der Angebotsfrist in den Vergabeunterlagen definierten CO 2e-Preis gerechnet wird. Es bleibt also unberücksichtigt, wie sich der CO 2e-Preis im Zeitverlauf entwickelt und es erfolgt keine Diskontierung der in der Zukunft anfallenden Klimafolgekosten. Dies ist nicht erforderlich. Denn Ziel des Wertungsmodells ist die maximale Reduktion von Treibhausgasemissionen und keine wirtschaftliche Betrachtung, die eine Differenzierung hinsichtlich des Zeitpunktes erfordern würde.

Den „richtigen“ CO 2 e-Preis gibt es nicht, die Spanne bewegt sich zwischen EUR 30 und EUR 809. Je höher dieser Preis ist, desto wirkungsvoller ist er bei der Suche nach klimaverträglichen Lösungen. § 13 Abs. 1 KSG erfordert schon heute, dass bei der Planung, Auswahl und Durchführung von Investitionen ein CO 2e-Preis zu berücksichtigen ist, der mindestens dem nach § 10 Abs. 2 Brennstoff-Emissionshandelsgesetz (BEHG) gültigen Preis pro Tonne entspricht. Dieser liegt aktuell bei EUR 30 und damit deutlich unter den volkswirtschaftlichen Klimafolgekosten. Das Umweltbundesamt beziffert den CO 2 e-Preis pro Tonne aktuell (2023) je nach Gewichtung der Wohlfahrt heutiger gegenüber zukünftigen Generationen zwischen EUR 237 und EUR 809. Zwischen diesen Werten liegt der Preis für Emissionszertifikate im Europäischen Emissionshandel nach § 7 Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) von zuletzt bis zu EUR 100, der künftig auch für den Import energieintensiver Materialien aus Drittstaaten veranschlagt wird (u.a. Stahl und Zement) oder der CO 2e-Preis von mindestens EUR 195 nach § 10 Abs. 5 i.V.m. § 29 Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz, § 2 Klimakostenverordnung.

Der Auftragnehmer hat für die Angaben zum Treibhauspotenzial seiner Produkte im Angebot je nach Gestaltung des Vergabeverfahrens drei verschiedene Möglichkeiten, aus denen sich dann auch der Umfang des Nachweises ergibt.

− Der Auftragnehmer kann darauf verzichten, spezifische Angaben zum Treibhaupotenzial der von ihm eingesetzten Materialien zu machen. In diesem Fall wird für die Angebotswertung das Treibhauspotenzial vom Auftraggeber auf Grundlage generischer Daten zu Grunde gelegt. Der Auftragnehmer hat in der Auftragsdurchführung keine Nachweise zum Treibhauspotenzial dieser Produkte zu erbringen.

− Alternativ kann der Auftragnehmer das spezifische Treibhauspotenzial der von ihm für den Einsatz vorgesehenen Produkte angeben. Dieses wird der Angebotswertung zu Grunde gelegt und kann zu einem Wertungsvorteil führen. Der Auftragnehmer hat dann in der Auftragsdurchführung nachzuweisen, dass die angebotenen Produkte auch eingesetzt wurden und muss die produktspezifischen EPD vorlegen.

− Eine dritte Variante ist, dass der Auftragnehmer das Treibhauspotenzial der zum Einsatz vorgesehenen Produkte auf Grundlage durchschnittlicher Datensätze benennt. Dieses wird der Angebotswertung zu Grunde gelegt und kann zu einem Wertungsvorteil führen. In der Auftragsdurchführung ist auch hier der Einsatz der angebotenen Produkte nachzuweisen und jeweils eine für diese gültige EPD als „average dataset“ vorzulegen (durchschnittliche Datensätze von Industrieverbänden, mehreren Firmen, mehreren Werken oder mehreren Produkten (d.h. auf Grundlage von Daten der Industrieproduktion von Unternehmen)).

Die Überschreitung des angebotenen Treibhauspotenzials seiner Leistungen, darf sich für den Auftragnehmer nicht lohnen. Nur so kann ein fairer Wettbewerb gewährleistet werden. Hält der Auftragnehmer die übernommenen Pflichten nicht ein, kann sich der Auftraggeber auf seinen Erfüllungsanspruch berufen. Dieser umfasst auch die im Angebot enthaltenen Zusagen des Auftragnehmers zum Treibhauspotenzial seiner Leistungen. Es bedarf daher vertraglicher Regelungen zum Umgang mit Abweichungen von dem vom Auftragnehmer angebotenen Treibhauspotenzial seiner Leistungen. Diese müssen die Untererfüllung der versprochenen Angaben an finanzielle Folgen knüpfen, mindestens den Wertungsvorteil abschöpfen. Darüber hinaus sollten sie einen finanziellen Anreiz für eine Übererfüllung setzen.

Im Rahmen des preislichen Zuschlagskriteriums „Lebenszykluskosten“ werden die Lebenszykluskosten der angebotenen Leistungen bewertet, einschließlich der

  • Anschaffungskosten,
  • Kosten, die durch die externen Effekte der Umweltbelastung entstehen, hier die Kosten der Emission von Treibhausgasen (Klimafolgekosten),
  • [ggf. weiteren Kosten wie Nutzungskosten, Wartungskosten, Kosten am Ende der Nutzungsdauer].


Zur Ermittlung der Klimafolgekosten wird das durch den Bieter angebotene maximale Treibhauspotenzial (Global warming potential, GWP100), berechnet in kg CO 2-Äquivalente-Emissionen (CO 2e) mit einem CO 2 e-Preis von EUR […] pro Tonne CO 2e multipliziert.

Die Bieter sind aufgefordert, Lösungen anzubieten, die zu einer Reduktion des Treibhauspotenzials der angebotenen Leistungen führen, zum Beispiel in Form von klimaverträglichen Materialien (nachfolgend auch „treibhausgasreduzierende Lösungen“ genannt).

Bewertet wird das absolute Treibhauspotenzial der vom Bieter angebotenen Leistungen in kg CO 2e für einen Betrachtungszeitraum.

Dabei dürfen die vom Bieter angebotenen Leistungen nicht zu einer Erhöhung des Treibhauspotenzial im Vergleich zu der durch den Auftraggeber zur Verfügung gestellten Ökobilanz führen.

In die Bewertung fließt das Treibhauspotenzial ein.

Sofern sich ein Bieter entscheidet, keine treibhausgasreduzierenden Lösungen anzubieten, wird für die Angebotswertung auf die Ergebnisse der Ökobilanz des Auftraggebers abgestellt und das dort ermittelte Treibhauspotenzial zugrunde gelegt.

Die für die Wertung der Klimafolgekosten einzureichenden Angaben und Unterlagen können in den Vergabeunterlagen an geeigneter Stelle wie folgt beschrieben werden:

Die Bieter sind aufgefordert, Lösungen anzubieten, die zu einer Reduktion des Treibhauspotenzials der angebotenen Leistungen führen.

Zur Berechnung der Klimafolgekosten unter Berücksichtigung der von dem Bieter angebotenen treibhausgasreduzierenden Lösungen kann der Bieter mit dem Angebot das Treibhauspotenzial in kg CO 2e in Bezug auf die von ihm angebotenen treibhausgasreduzierenden Lösungen angeben.

VergMan ® für öffentliche Auftraggeber – Bewerten Sie das zur Ausführung des Auftrages vorgesehene Personal wie folgt

VergMan ® für öffentliche Auftraggeber - Bewerten Sie das zur Ausführung des Auftrages vorgesehene Personal wie folgt

vorgestellt von Thomas Ax

Zuschlagskriterium

Art des Kriteriums: Qualität

Bezeichnung: Qualifikation und Erfahrung des einzusetzenden Personals

Beschreibung des Kriteriums

3 Punkte = sehr gut:
Aus den Nachweisen geht sehr gut hervor, dass die zur Ausführung des Auftrages vorgesehenen Personen die erforderliche Erfahrung, Qualifikation, Kenntnisse besitzen. Mit einer bestmöglichen Ausführung der Aufgaben ist auf Basis der Erfahrung und Expertise bezüglich der hier ausgeschriebenen Leistungen zu rechnen.
Darüber hinaus besteht das Projektteam aus operativ handelnden Mitarbeitern auf Senior-Ebene mit mindestens 3 Jahren relevanter Berufserfahrung, mindestens einem projektverantwortlichen Mitarbeiter auf Manager-Ebene mit mindestens 5 Jahren relevanter Berufserfahrung und mindestens einem dirigierenden Mitarbeiter auf Direktor-Ebene mit mindestens 10 Jahren relevanter Berufserfahrung.

2 Punkte = gut:
Aus den Nachweisen geht hervor, dass die zur Ausführung des Auftrages vorgesehenen Personen die erforderliche Erfahrung, Qualifikation, Kenntnisse weitestgehend besitzen. Mit einer guten Ausführung der Aufgaben ist auf Basis der Erfahrung und bezüglich der hier ausgeschriebenen Leistungen zu rechnen.
Darüber hinaus besteht das Projektteam aus operativ handelnden Mitarbeitern auf Senior-Ebene mit mindestens 3 Jahren relevanter Berufserfahrung und mindestens einem projektverantwortlichen Mitarbeiter auf Manager-Ebene mit mindestens 5 Jahren relevanter Berufserfahrung.

1 Punkt = ausreichend:
Aus den Nachweisen geht hervor, dass die zur Ausführung des Auftrages vorgesehenen Personen die erforderliche Erfahrung, Qualifikation, Kenntnisse nur mit deutlichen Abstrichen besitzen. Mit einer ausreichenden Ausführung der Aufgaben ist auf Basis der Erfahrung und Expertise bezüglich der hier ausgeschriebenen Leistungen zu rechnen.
Darüber hinaus besteht das Projektteam ausschließlich aus operativ handelnden Mitarbeitern auf Senior-Ebene mit mindestens 3 Jahren relevanter Berufserfahrung.

0 Punkte = nicht ausreichend:
Aus den Nachweisen geht hervor, dass die zur Ausführung des Auftrages vorgesehenen Personen die erforderliche Erfahrung, Qualifikation, Kenntnisse nur mit sehr starken Einschränkungen besitzen. Auf Basis der Erfahrung bezüglich der hier ausgeschriebenen Leistungen ist mit einer mangelhaften Ausführung der Aufgaben ist zu rechnen.
Darüber hinaus besteht das Projektteam aus einem operativ handelnden Mitarbeiter auf Senior-Ebene mit mindestens 3 Jahren relevanter Berufserfahrung sowie weiteren tätigen Personen auf niedrigeren Karrierestufen.

EuGH zu der Frage dass es den ursprünglichen Mitgliedern einer Bietergemeinschaft verwehrt ist, aus dieser Bietergemeinschaft auszutreten, wenn die Gültigkeitsdauer des von dieser Bietergemeinschaft eingereichten Angebots abgelaufen ist und der öffentliche Auftraggeber um die Verlängerung der Gültigkeit der bei ihm eingereichten Angebote ersucht, sofern zum einen erwiesen ist, dass die übrigen Mitglieder dieser Bietergemeinschaft die von dem Auftraggeber festgelegten Anforderungen erfüllen, und zum anderen, dass ihre weitere Teilnahme an diesem Verfahren nicht zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führt

EuGH zu der Frage dass es den ursprünglichen Mitgliedern einer Bietergemeinschaft verwehrt ist, aus dieser Bietergemeinschaft auszutreten, wenn die Gültigkeitsdauer des von dieser Bietergemeinschaft eingereichten Angebots abgelaufen ist und der öffentliche Auftraggeber um die Verlängerung der Gültigkeit der bei ihm eingereichten Angebote ersucht, sofern zum einen erwiesen ist, dass die übrigen Mitglieder dieser Bietergemeinschaft die von dem Auftraggeber festgelegten Anforderungen erfüllen, und zum anderen, dass ihre weitere Teilnahme an diesem Verfahren nicht zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führt

von Thomas Ax
Art. 47 Abs. 3 und Art. 48 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.03.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge in Verbindung mit dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es den ursprünglichen Mitgliedern einer Bietergemeinschaft verwehrt, aus dieser Bietergemeinschaft auszutreten, wenn die Gültigkeitsdauer des von dieser Bietergemeinschaft eingereichten Angebots abgelaufen ist und der öffentliche Auftraggeber um die Verlängerung der Gültigkeit der bei ihm eingereichten Angebote ersucht, sofern zum einen erwiesen ist, dass die übrigen Mitglieder dieser Bietergemeinschaft die von dem Auftraggeber festgelegten Anforderungen erfüllen, und zum anderen, dass ihre weitere Teilnahme an diesem Verfahren nicht zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führt.
Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung sowie das Transparenzgebot, wie sie in Art. 2 und im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18 niedergelegt sind, sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die automatische Einbehaltung der von einem Bieter gestellten vorläufigen Kaution als Folge seines Ausschlusses von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsvertrags vorsieht, auch wenn er den betreffenden Zuschlag nicht erhalten hat.
EuGH, Urteil vom 26.09.2024 – Rs. C-403/23

Gründe

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114, berichtigt in ABl. 2004, L 351, S. 44), des Art. 6 EUV, der Art. 49, 50, 54 und 56 AEUV, der Art. 16, 49, 50 und 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie des Art. 4 des am 22. November 1984 in Straßburg unterzeichneten Protokolls Nr. 7 zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten.

Sie ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen – in der Rechtssache C-403/23 – der Luxone Srl, die im eigenen Namen und als Bevollmächtigte der mit der Iren Smart Solutions SpA zu gründenden Bietergemeinschaft handelt, bzw. – in der Rechtssache C-404/23 – der Sofein SpA, vormals Gi One SpA, und derselben öffentlichen Auftraggeberin, der Consip SpA, wegen der Entscheidungen, mit denen Letztere zum einen die Bietergemeinschaft, der Luxone und Sofein angehörten, von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags ausschloss und zum anderen die vorläufige Kaution einbehielt, die die Mitglieder dieser Bietergemeinschaft im Hinblick auf ihre Teilnahme an diesem Verfahren gestellt hatten.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2004/18


In den Erwägungsgründen 2 und 32 der Richtlinie 2004/18 hieß es:

“(2) Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit und des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit sowie der davon abgeleiteten Grundsätze wie z. B. des Grundsatzes der Gleichbehandlung, des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes der Transparenz. Für öffentliche Aufträge, die einen bestimmten Wert überschreiten, empfiehlt sich indessen die Ausarbeitung von auf diesen Grundsätzen beruhenden Bestimmungen zur gemeinschaftlichen Koordinierung der nationalen Verfahren für die Vergabe solcher Aufträge, um die Wirksamkeit dieser Grundsätze und die Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens für den Wettbewerb zu garantieren. Folglich sollten diese Koordinierungsbestimmungen nach Maßgabe der genannten Regeln und Grundsätze sowie gemäß den anderen Bestimmungen des Vertrags ausgelegt werden.



(32) Um den Zugang von kleinen und mittleren Unternehmen [(KMU)] zu öffentlichen Aufträgen zu fördern, sollten Bestimmungen über Unteraufträge vorgesehen werden.”


Art. 2 (“Grundsätze für die Vergabe von Aufträgen”) der Richtlinie 2004/18 bestimmte:

“Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nichtdiskriminierend und gehen in transparenter Weise vor.”

In Art. 4 (“Wirtschaftsteilnehmer”) Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 hieß es:

“Angebote oder Anträge auf Teilnahme können auch von Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern eingereicht werden. Die öffentlichen Auftraggeber können nicht verlangen, dass nur Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern, die eine bestimmte Rechtsform haben, ein Angebot oder einen Antrag auf Teilnahme einreichen können; allerdings kann von der ausgewählten Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern verlangt werden, dass sie eine bestimmte Rechtsform annimmt, wenn ihr der Zuschlag erteilt worden ist, sofern dies für die ordnungsgemäße Durchführung des Auftrags erforderlich ist.”

Art. 45 (“Persönliche Lage des Bewerbers bzw. Bieters”) Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 bestimmte:

“Von der Teilnahme am Vergabeverfahren kann jeder Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden,



c) [der] aufgrund eines nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Landes rechtskräftigen Urteils wegen eines Deliktes bestraft worden [ist], das [seine] berufliche Zuverlässigkeit in Frage stellt;

d) [der] im Rahmen [seiner] beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen [hat], die vom öffentlichen Auftraggeber nachweislich festgestellt wurde;



g) [der] sich bei der Erteilung von Auskünften, die gemäß diesem Abschnitt eingeholt werden können, in erheblichem Maße falscher Erklärungen schuldig gemacht oder diese Auskünfte nicht erteilt [hat].

Die Mitgliedstaaten legen nach Maßgabe ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften und unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts die Bedingungen für die Anwendung dieses Absatzes fest.”



Art. 47 (“Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit”) Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/18 sah vor:

“(2) Ein Wirtschaftsteilnehmer kann sich gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen stützen. Er muss in diesem Falle dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er beispielsweise die diesbezüglichen Zusagen dieser Unternehmen vorlegt.

(3) Unter denselben Voraussetzungen können sich Gemeinschaften von Wirtschaftsteilnehmern nach Artikel 4 auf die Kapazitäten der Mitglieder der Gemeinschaften oder anderer Unternehmen stützen.”


In Art. 48 (“Technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit”) der Richtlinie 2004/18 hieß es:

“(1) Die technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsteilnehmers wird gemäß den Absätzen 2 und 3 bewertet und überprüft.



(3) Ein Wirtschaftsteilnehmer kann sich gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen stützen. Er muss in diesem Falle dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass ihm für die Ausführung des Auftrags die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er beispielsweise die Zusage dieser Unternehmen vorlegt, dass sie dem Wirtschaftsteilnehmer die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen.

(4) Unter denselben Voraussetzungen können sich Gemeinschaften von Wirtschaftsteilnehmern nach Artikel 4 auf die Leistungsfähigkeit der Mitglieder der Gemeinschaften oder anderer Unternehmen stützen.”


Anhang VII Teil A (“Angaben, die in den Bekanntmachungen für öffentliche Aufträge enthalten sein müssen”) der Richtlinie 2004/18 sah in den Nrn. 14 und 21 des Abschnitts “Bekanntmachung” vor, dass in der Bekanntmachung “[g]egebenenfalls geforderte Kautionen und Sicherheiten” sowie die “Bindefrist (offene Verfahren)” anzugeben waren.

Richtlinie 2004/17

Aus den Art. 3 bis 9 der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl. 2004, L 134, S. 1) ergibt sich, dass diese Richtlinie für öffentliche Aufträge galt, die eine oder mehrere Tätigkeiten in den folgenden Bereichen zum Gegenstand hatten: Gas, Wärme und Elektrizität; Wasser; Verkehrsleistungen; Postdienste; Aufsuchen und Förderung von Erdöl, Gas, Kohle und anderen festen Brennstoffen.

Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/17 hatte den gleichen Wortlaut wie Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18, abgesehen davon, dass der Ausdruck “Auftraggeber” durch eine Bezugnahme auf “öffentliche Auftraggeber” ersetzt wurde.

Italienisches Recht

Das Decreto legislativo n.°163 – Codice dei contratti pubblici relativi a lavori, servizi e forniture in attuazione delle direttive 2004/17/CE e 2004/18/CE (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 163 – Gesetzbuch über öffentliche Bau-, Dienstleistungs- und Lieferaufträge zur Umsetzung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG) vom 12. April 2006 (Supplemento Ordinario Nr. 107 zur GURI Nr. 100 vom 2. Mai 2006, im Folgenden: Altes Gesetzbuch über öffentliche Aufträge) enthielt einen Art. 11 (“Verfahren zur Auftragsvergabe”), dessen Abs. 6 bestimmte:

“Jeder Teilnehmer darf nur ein Angebot abgeben. Das Angebot ist für die in der Bekanntmachung oder in der Aufforderung angegebene Zeit oder, falls diese Angabe fehlt, für 180 Tage ab Ablauf der Frist für die Angebotseinreichung bindend. Die Vergabestelle kann die Bieter um eine Verlängerung dieser Frist ersuchen.”

Art. 37 (“Bietergemeinschaften und gewöhnliche Bieterkonsortien”) des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge sah in den Abs. 8 bis 10, 18 und 19 vor:

“8. Die Subjekte laut Art. 34 Abs. 1 Buchst. d und e dürfen auch vor ihrem Zusammenschluss Angebote abgeben. In diesem Fall muss das Angebot von allen Wirtschaftsteilnehmern, die sich zu einer Bietergemeinschaft oder zu einem gewöhnlichen Bieterkonsortium zusammenschließen wollen, unterzeichnet werden; außerdem muss das Angebot die Verpflichtung enthalten, dass dieselben Wirtschaftsteilnehmer im Fall des Zuschlags einem von ihnen, der im Angebot benannt und als Bevollmächtigter bezeichnet werden muss und als Beauftragter den Vertrag in seinem Namen und auf seine Rechnung sowie im Namen und auf Rechnung der Auftrag gebenden Unternehmen abschließen wird, einen gemeinsamen Sonderauftrag mit Vertretungsmacht erteilen.

9. … Vorbehaltlich der Vorschriften der Abs. 18 und 19 ist jede Änderung in der Zusammensetzung der Bietergemeinschaften und gewöhnlichen Bieterkonsortien gegenüber derjenigen, die sich aus der bei der Angebotsabgabe eingegangenen Verpflichtung ergibt, verboten.

10. Die Nichtbeachtung der Verbote laut Abs. 9 bewirkt die Aufhebung der Zuschlagserteilung oder die Nichtigkeit des Vertrags sowie den Ausschluss der Bieter, die sich während dieses oder nach diesem Vergabeverfahren zu einer Bietergemeinschaft oder einem gewöhnlichen Konsortium zusammengeschlossen haben.



18. Bei Konkurs des Beauftragten oder, falls es sich um einen Einzelunternehmer handelt, im Fall seines Todes, seiner Entmündigung, seiner beschränkten Entmündigung oder seines Konkurses oder in den von den Antimafiabestimmungen vorgesehenen Fällen kann die Vergabestelle das Vertragsverhältnis mit einem anderen Wirtschaftsteilnehmer fortsetzen, der gemäß den Verfahren dieses Gesetzbuchs zum Beauftragten bestellt wird, sofern er die für die noch auszuführenden Bauleistungen, Dienstleistungen oder Lieferungen erforderlichen Qualifikationsanforderungen erfüllt; sind die genannten Bedingungen nicht gegeben, kann die Vergabestelle vom Vertrag zurücktreten.

19. Bei Konkurs eines der Auftrag gebenden Unternehmen oder, falls es sich um einen Einzelunternehmer handelt, im Fall seines Todes, seiner Entmündigung, seiner beschränkten Entmündigung oder seines Konkurses oder in den von den Antimafiabestimmungen vorgesehenen Fällen ist der Beauftragte, wenn er keinen anderen Wirtschaftsteilnehmer als Nachfolger angibt, der die vorgeschriebenen Eignungsanforderungen erfüllt, verpflichtet, die Leistung unmittelbar selbst oder durch die anderen Auftrag gebenden Unternehmen auszuführen, sofern sie die für die noch auszuführenden Bauleistungen, Dienstleistungen oder Lieferungen erforderlichen Qualifikationsanforderungen erfüllen.”


Art. 38 (“Allgemeine Bedingungen”) des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge sah in Abs. 1 Buchst. f vor:

“Die nachstehenden Subjekte sind von der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe von Bau- und Dienstleistungskonzessionen sowie von Bau-, Liefer-, und Dienstleistungsaufträgen ausgeschlossen und dürfen weder Unterauftragnehmer sein noch die entsprechenden Verträge abschließen:



f) Subjekte, die nach begründeter Beurteilung der Vergabestelle bei der Ausführung der von der ausschreibenden Vergabestelle vergebenen Leistungen eine grobe Nachlässigkeit begangen oder in schlechtem Glauben gehandelt haben oder die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen haben, die von der Vergabestelle nachweislich festgestellt wurde”
.

Art. 48 (“Überprüfung der Erfüllung der Voraussetzungen”) des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge bestimmte in Abs. 1:

“Vor der Öffnung der Umschläge mit den abgegebenen Angeboten fordern die Vergabestellen eine Anzahl von durch öffentliches Los ausgewählten Bietern, die mindestens zehn Prozent der abgegebenen Angebote entspricht und die auf die nächsthöhere ganze Zahl aufzurunden ist, auf, innerhalb von zehn Tagen ab Aufforderung nachzuweisen, dass sie die gegebenenfalls in der Ausschreibungsbekanntmachung verlangten Anforderungen an die wirtschaftlich-finanzielle und technisch-organisatorische Leistungsfähigkeit erfüllen, indem sie die in der besagten Bekanntmachung oder im Aufforderungsschreiben angeführten Unterlagen vorlegen. Im Rahmen der Kontrolle überprüfen die Vergabestellen die Erfüllung der Qualifikationsanforderung zur Ausführung der Arbeiten seitens der Bieter bei Aufträgen, die an Generalunternehmer vergeben werden, anhand des elektronischen Registers im Sinne von Art. 7 Abs. 10 oder anhand der Internetseite des Ministeriums für Infrastruktur und Transport; für Lieferanten und Dienstleistungserbringer erfolgt die Überprüfung der Erfüllung der in Art. 42 Abs. 1 Buchst. a dieses Gesetzbuchs genannten Anforderung anhand der in Art. 6bis dieses Gesetzbuchs genannten nationalen Datenbank für öffentliche Aufträge. Wird dieser Nachweis nicht erbracht oder werden darin die im Teilnahmeantrag oder im Angebot enthaltenen Erklärungen nicht bestätigt, schließen die Vergabestellen den Teilnehmer von dem Vergabeverfahren aus, behalten die betreffende vorläufige Kaution ein und melden diesen Umstand der Behörde zum Zweck der Maßnahmen nach Art. 6 Abs. 11. Die Behörde setzt außerdem [das Recht auf] die Teilnahme an Vergabeverfahren für ein bis zwölf Monate aus.”

Nach Art. 75 (“Dem Angebot beizufügende Sicherheiten”) des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge galt:

“1. Dem Angebot ist eine Sicherheit in Höhe von zwei Prozent der in der Bekanntmachung oder in der Aufforderung angegebenen Ausschreibungssumme beizufügen, die nach Wahl des Bieters in Form einer Kaution oder einer Bürgschaft geleistet wird. …



6. Die Sicherheit deckt die nicht zustande gekommene Vertragsunterzeichnung wegen eines vom Auftragnehmer zu vertretenden Umstands; sie wird automatisch bei Unterzeichnung des Vertrags freigegeben.



9. Die Vergabestelle sorgt gleichzeitig mit der Mitteilung der Zuschlagserteilung an die nicht erfolgreichen Bieter dafür, dass die Sicherheit laut Abs. 1 zugunsten der genannten Bieter unverzüglich, in jedem Fall aber nicht später als 30 Tage nach Zuschlagserteilung, freigegeben wird, auch wenn die Sicherheit noch gültig ist.”


Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Mit Bekanntmachung vom 21. Dezember 2015 leitete Consip ein in zwölf Lose unterteiltes offenes Vergabeverfahren zur Vergabe des Dienstes Beleuchtung und damit verbundener optionaler Dienstleistungen ein.

Eine zu gründende Bietergemeinschaft, deren federführendes Mitglied Luxone war (im Folgenden: BG Luxone), gab ein Angebot für vier dieser zwölf Lose ab. Zu dieser Bietergemeinschaft gehörten auch die Consorzio Stabile Energie Locali Scarl (im Folgenden: CSEL), die Iren Servizi e Innovazione SpA (jetzt Iren Smart Solutions), die Gestione Integrata Srl und die Exitone SpA.

Mit Schreiben vom 28. September 2018 wies Gi One, jetzt Sofein, Consip darauf hin, dass sie Exitone und Gestione Integrata “in allen ihren Rechten und Pflichten” nachfolge.

Obwohl sich Consip bei der Einleitung des Verfahrens zur Kontrolle der Angebote auf Abweichungen das Recht vorbehalten hatte, zu prüfen, ob Exitone die allgemeinen Voraussetzungen des Art. 38 des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge ununterbrochen erfüllte, leitete sie kein späteres Verfahren ein.

Das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vergabeverfahren, das bis zum 18. April 2017 abgeschlossen werden sollte, wurde achtmal verlängert, um “Consip die für den Abschluss des Verfahrens erforderliche Zeit zu gewähren”. Jede dieser Verlängerungen hatte zur Folge, dass zum einen die zwischenzeitlich abgelaufenen Angebote bestätigt und zum anderen die diesen Angeboten beigefügten vorläufigen Kautionen verlängert werden mussten.

Nachdem am 2. März 2020 die siebte Bestätigungsaufforderung dieser Angebote gestellt worden war, teilten die Mitglieder der BG Luxone Consip mit Schreiben vom 30. März 2020 mit, dass Luxone und Iren Smart Solutions im Gegensatz zu Sofein und CSEL ihre früheren Angebote bestätigten. Sofein und CSEL wiesen im Wesentlichen darauf hin, dass die im Jahr 2016 abgegebenen Angebote wegen der langen Dauer der Vorbereitungen für die Vergabe des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrags “aus unternehmerischer Sicht und unter dem Gesichtspunkt einer ordnungsgemäßen und umsichtigen Unternehmensführung nicht mehr tragfähig [seien]”.

Mit Schreiben vom 9. Juni 2020 forderte Consip alle Mitglieder der BG Luxone zum achten Mal auf, ihr abgelaufenes Angebot zu bestätigen sowie die Geltungsdauer der entsprechenden vorläufigen Kaution bis zum 30. November 2020 zu verlängern.

Mit Schreiben vom 18. Juni 2020, auf das Consip nicht antwortete, wiederholten Luxone und Iren Smart Solutions ihre Angebote und wiesen darauf hin, dass Sofein und CSEL ihrerseits ihre Angebote nicht bestätigen wollten.

Mit Schreiben vom 30. September 2020 leitete Consip ein Verfahren ein, um zu prüfen, ob die in Art. 38 Abs. 1 Buchst. f des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge vorgesehene Voraussetzung erfüllt war, und um die Rechtmäßigkeit des Ausscheidens von Sofein und CSEL zu beurteilen. Nach Ansicht von Consip sind Sofein und CSEL nämlich mit der Nichtbestätigung der Angebote rechtswidrig aus der BG Luxone “ausgetreten”.

Mit Entscheidung vom 11. November 2020 (im Folgenden: Ausschlussentscheidung vom 11. November 2020) schloss Consip die BG Luxone von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergabeverfahren aus.

Consip stellte erstens fest, dass Art. 11 Abs. 6 des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge dem einzelnen Bieter, d. h. im vorliegenden Fall der BG Luxone insgesamt, das Recht verleihe, nach Ablauf einer bestimmten Frist vom Angebot zurückzutreten. Dieses Recht könne folglich nicht nur von einem Teil der Mitglieder dieser Bietergemeinschaft ausgeübt werden.

Zweitens warf Consip Sofein insbesondere vor, aus dieser Bietergemeinschaft ausgetreten zu sein, um Art. 38 Abs. 1 des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge zu umgehen. Nach dieser Bestimmung hätte Sofein nämlich von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergabeverfahren wegen des Verhaltens ihrer beiden Vorgängergesellschaften ausgeschlossen werden müssen, das ihre Zuverlässigkeit beeinträchtigt habe und für das sie zu haften habe. Consip warf Sofein auch strafbare Handlungen vor.

Drittens machte Consip geltend, dass Luxone “die berufliche Zuverlässigkeit gefehlt” habe, was durch Verweis auf ein Gerichtsverfahren zur Behinderung öffentlicher Ausschreibungsverfahren und durch das Urteil des Tribunale di Messina (Gericht Messina, Italien) vom 14. Juli 2020 gegen den Geschäftsführer der Gesellschaft, deren Rechtsnachfolgerin Luxone sei, bis zum 22. Juli 2019 belegt werde.

Viertens warf Consip CSEL vor, aus der BG Luxone ausgetreten zu sein, um im Wesentlichen zu verschleiern, dass diese Gesellschaft die vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfülle und nicht über die für die Ausführung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrags erforderlichen Mittel verfüge.

Mit Entscheidung vom 12. November 2020 ordnete Consip die Einbehaltung der vorläufigen Kautionen in Höhe von insgesamt 2 950 000 Euro an, die für die vier Lose, für die die BG Luxone ein Angebot eingereicht hatte, gestellt worden waren.

In Beantwortung der Entscheidungen von Consip vom 11. und 12. November 2020 machte CSEL mit Schreiben vom 20. November 2020 geltend, dass sie alle Voraussetzungen für eine Beteiligung an dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verfahren kontinuierlich erfüllt habe. Im Übrigen sei die fehlende Bestätigung des Angebots durch CSEL, die nicht als Austritt aus der BG Luxone eingestuft werden könne, Teil einer Gesamtumstrukturierung des Unternehmens.

Mit Schreiben vom 10. Dezember 2020 bestätigte Consip die Ausschlussentscheidung vom 11. November 2020.

Luxone, handelnd im eigenen Namen und als Bevollmächtigte der BG Luxone, und Sofein fochten die Ausschlussentscheidung vom 11. November 2020 und die Entscheidung vom 12. November 2020 mit zwei getrennten Klagen vor dem Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) erfolglos an. Daher legten sie gegen die Urteile dieses Gerichts beim Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein.

Dieses Gericht weist darauf hin, dass es die Aussetzung der Einbehaltung der vorläufigen Kautionen, insbesondere wegen der Höhe ihres Gesamtbetrags, angeordnet habe.

Das vorlegende Gericht hält es für zweckmäßig, noch vor der Prüfung der Klagen, soweit sie gegen die Ausschlussentscheidung vom 11. November 2020 gerichtet sind, die Vereinbarkeit von Art. 11 Abs. 6 des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge, der von den italienischen Verwaltungsgerichten dahin ausgelegt wird, dass die fehlende oder nur teilweise Bestätigung eines Angebots zum Zeitpunkt des Ablaufs dieses Angebots und seiner Bindungswirkung für den betroffenen Bieter mit dem Austritt aus der Bietergemeinschaft, die es eingereicht habe, gleichzustellen sei, mit dem Unionsrecht zu prüfen.

Im Fall des Austritts einiger Mitglieder einer solchen Bietergemeinschaft ist das genannte Gericht der Ansicht, dass Art. 11 Abs. 6, Art. 37 Abs. 8 bis 10, 18 und 19 sowie Art. 38 Abs. 1 Buchst. f des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge den öffentlichen Auftraggeber verpflichteten, die in dieser Bietergemeinschaft zusammengeschlossenen Wirtschaftsteilnehmer wegen des Verbots, deren Zusammensetzung zu ändern, auszuschließen. Die einzigen Ausnahmen vom Grundsatz der Unveränderlichkeit einer Bietergemeinschaft seien in Art. 37 Abs. 18 und 19 des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge vorgesehen.

Art. 11 Abs. 6 des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge habe gewährleisten sollen, dass das abgegebene Angebot während der gesamten voraussichtlichen Dauer des Vergabeverfahrens aufrechterhalten bleibe, und nicht dessen zeitliche Wirkung begrenzen. Nach Ansicht des Consiglio di Stato (Staatsrat) bedeutet diese Bestimmung nicht, dass dieses Angebot nach Ablauf der Frist von Rechts wegen hinfällig werde, sondern nur, dass der betroffene Bieter davon zurücktreten könne, sofern er sich ausdrücklich auf diese Möglichkeit berufe. Außerdem sei der Grundsatz der subjektiven Unveränderlichkeit einer Bietergemeinschaft auch für den Fall anwendbar, dass diese Bietergemeinschaft formal noch nicht gegründet worden sei.

Im Übrigen sei im vorliegenden Fall der Ausschluss der BG Luxone von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergabeverfahren auch durch das Verhalten von Sofein gerechtfertigt, die versucht habe, sich durch den Austritt aus dieser Bietergemeinschaft der angekündigten Kontrolle ihrer “beruflichen Zuverlässigkeit” zu entziehen. Aus der Rechtsprechung des Consiglio di Stato (Staatsrat) gehe jedoch hervor, dass der Austritt eines Mitglieds einer Bietergemeinschaft aufgrund organisatorischer Erfordernisse der Bietergemeinschaft oder des Konsortiums erfolgen müsse.

Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die beanstandeten Bestimmungen des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 sowie mit Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/17, der ähnlich formuliert sei, vereinbar seien.

Luxone und Sofein kritisieren jedoch die Rechtsprechung des Consiglio di Stato (Staatsrat), da sie die Mitglieder einer Bietergemeinschaft in der Praxis dazu zwinge, für unbestimmte Zeit an ihr Angebot gebunden zu bleiben, und zwar auch dann, wenn die Bindefrist dieses Angebots mehrmals abgelaufen sei. Eine solche Auslegung verstoße gegen den in Art. 16 der Charta garantierten Grundsatz der unternehmerischen Freiheit und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, des Wettbewerbs sowie der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, die in den Art. 49, 50, 54 und 56 AEUV verankert seien.

Das vorlegende Gericht räumt ein, dass insbesondere in Verfahren, die sich im Lauf der Zeit erheblich verlängerten, das Verbot für ein Mitglied einer solchen Bietergemeinschaft, von dem erneut abgelaufenen Angebot zurückzutreten, da anderenfalls diese Bietergemeinschaft insgesamt ausgeschlossen werde, unverhältnismäßig erscheine, um die Verlässlichkeit dieses Angebots zu gewährleisten, zumindest wenn die Wirtschaftsteilnehmer, die dieses Angebot bestätigt hätten, weiterhin in der Lage seien, selbst alle Teilnahmebedingungen für das Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags zu erfüllen. Nach Art. 2 in Verbindung mit dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18 dürften die von den Mitgliedstaaten erlassenen Maßnahmen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich sei.

Außerdem machen Luxone und Sofein geltend, dass sich die Rechtswidrigkeit der Entscheidung vom 12. November 2020 über die Einbehaltung der vorläufigen Kautionen aus der Rechtswidrigkeit der Ausschlussentscheidung vom 11. November 2020 sowie aus ihr innewohnenden Mängeln ergebe. Diese Kautionen könnten nämlich nur in den beiden in Art. 48 Abs. 1 bzw. Art. 75 Abs. 6 des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge vorgesehenen Fällen einbehalten werden, nämlich dann, wenn der überprüfte Bieter nicht nachweise, dass er “die Anforderungen an die wirtschaftlich-finanzielle und technisch-organisatorische Leistungsfähigkeit” erfülle, oder wenn es “wegen eines vom Auftragnehmer zu vertretenden Umstands” nicht zur Vertragsunterzeichnung komme. Die Ausgangsrechtsstreitigkeiten fielen jedoch unter keinen dieser beiden Fälle.

Obwohl die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof, Italien) in ihrem Urteil Nr. 198 vom 26. Juli 2022 festgestellt habe, dass die Einbehaltung einer Kaution keinen strafrechtlichen Charakter habe, ist das vorlegende Gericht ebenso wie Luxone und Sofein der Ansicht, dass wegen des Ausmaßes des diesen Gesellschaften auferlegten “Vermögensopfers” die automatische Einbehaltung der vorläufigen Kautionen gegenüber diesen Gesellschaften die Merkmale einer solchen Sanktion aufweise.

Insoweit bestimme Art. 49 Abs. 3 der Charta, dass “[d]as Strafmaß … zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein [darf]”. Ebenso seien Art. 1 des am 20. März 1952 in Paris unterzeichneten Zusatzprotokolls Nr. 1 zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und Art. 17 der Charta dahin ausgelegt worden, dass sie die Gewährleistung der Verhältnismäßigkeit zwischen dem an den Tag gelegten Verhalten und der verhängten Sanktion bezweckten, indem sie es untersagten, das Eigentumsrecht ohne Grund einzuschränken, und damit ein “übermäßiges und unverhältnismäßiges Opfer” im Hinblick auf das verfolgte Ziel verhinderten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit komme auch allgemein im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18 zum Ausdruck.

Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Stehen die Richtlinie 2004/18, die Art. 16 und 52 der Charta, die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, des Wettbewerbs, der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs nach den Art. 49, 50, 54 und 56 AEUV innerstaatlichen Rechtsvorschriften (Art. 11 Abs. 6, Art. 37 Abs. 8, 9, 10, 18 und 19 sowie Art. 38 Abs. 1 Buchst. f des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge) entgegen, die im Fall des Ablaufs der Gültigkeitsdauer des ursprünglich von einer zu gründenden Bietergemeinschaft abgegebenen Angebots die Möglichkeit ausschließen, im Zuge der Verlängerung der Gültigkeitsdauer dieses Angebots die ursprüngliche Zahl der Mitglieder der Bietergemeinschaft zu reduzieren, und sind diese nationalen Bestimmungen insbesondere mit den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätzen der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit und der praktischen Wirksamkeit sowie mit Art. 16 der Charta vereinbar?

2. Stehen die Richtlinie 2004/18, die Art. 16, 49, 50 und 52 der Charta, Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Art. 6 EUV sowie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, des Wettbewerbs, der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs nach den Art. 49, 50, 54 und 56 AEUV innerstaatlichen Rechtsvorschriften (Art. 38 Abs. 1 Buchst. f, Art. 48 und Art. 75 des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge) entgegen, die die Verhängung der Sanktion der Einbehaltung der vorläufigen Kaution als automatische Folge des Ausschlusses eines Wirtschaftsteilnehmers von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsvertrags vorsehen, und zwar unabhängig davon, ob der Wirtschaftsteilnehmer den betreffenden Zuschlag erhalten hat?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage


Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. So gesehen kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat. Der Umstand, dass ein nationales Gericht eine Vorlagefrage ihrer Form nach unter Bezugnahme auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert hat, hindert den Gerichtshof nämlich nicht daran, diesem Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die ihm bei der Entscheidung über die bei ihm anhängige Rechtssache von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei der Formulierung seiner Fragen darauf Bezug genommen hat oder nicht. Der Gerichtshof hat insoweit aus allem, was das einzelstaatliche Gericht vorgelegt hat, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Dezember 1990, SARPP, C-241/89, EU:C:1990:459, Rn. 8, und vom 5. Dezember 2023, Nordic Info, C-128/22, EU:C:2023:951, Rn. 99 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall bezieht sich der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Auftrag nicht auf eine oder mehrere der in den Art. 3 bis 9 der Richtlinie 2004/17 genannten Tätigkeiten, auf die diese Richtlinie Anwendung findet. Daher ist davon auszugehen, dass dieser Auftrag in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18 fällt.

 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 47 Abs. 3 und Art. 48 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18 in Verbindung mit dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es den ursprünglichen Mitgliedern einer Bietergemeinschaft verwehrt, aus dieser Bietergemeinschaft auszutreten, wenn die Gültigkeitsdauer des von dieser Bietergemeinschaft eingereichten Angebots abgelaufen ist und der öffentliche Auftraggeber um die Verlängerung der Gültigkeit der bei ihm eingereichten Angebote ersucht.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 einem Wirtschaftsteilnehmer das Recht verleihen, sich zum einen auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit und zum anderen auf die technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit der Mitglieder der Bietergemeinschaft oder anderer Unternehmen zu stützen, sofern er gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber den Nachweis erbringt, dass der Bietergemeinschaft die für die Ausführung dieses Auftrags erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen. Diese Richtlinie erlaubt es somit, die Kapazitäten mehrerer Wirtschaftsteilnehmer zu kumulieren, um die vom öffentlichen Auftraggeber festgelegten Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit zu erfüllen, soweit diesem gegenüber der Nachweis erbracht wird, dass der Bewerber oder der Bieter, der sich auf die Kapazitäten eines oder mehrerer anderer Unternehmen stützt, tatsächlich über deren Mittel, die für die Ausführung des Auftrags erforderlich sind, verfügt. Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Ziel, den Bereich des öffentlichen Auftragswesens einem möglichst umfassenden Wettbewerb zu öffnen, das mit den einschlägigen Richtlinien im Interesse nicht nur der Wirtschaftsteilnehmer, sondern auch der öffentlichen Auftraggeber angestrebt wird. Sie ist auch geeignet, KMU den Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu erleichtern, was mit der Richtlinie 2004/18, wie sich aus ihrem 32. Erwägungsgrund ergibt, ebenfalls beabsichtigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Oktober 2013, Swm Costruzioni 2 und Mannocchi Luigino, C-94/12, EU:C:2013:646, Rn. 29, 33 und 34, sowie vom 2. Juni 2016, Pizzo, C-27/15, EU:C:2016:404, Rn. 25 bis 27).

Aus Art. 47 Abs. 3 und Art. 48 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18 geht auch hervor, dass sich Gemeinschaften von Wirtschaftsteilnehmern im Sinne von Art. 4 dieser Richtlinie unter denselben Voraussetzungen auf die Kapazitäten der Mitglieder der Gemeinschaft oder anderer Unternehmen stützen können.

Allerdings enthält weder Art. 47 Abs. 3 noch Art. 48 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18 spezifische Vorschriften über die Änderung der Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft, so dass die Regelung eines solchen Sachverhalts in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt (vgl. entsprechend Urteil vom 24. Mai 2016, MT Højgaard und Züblin, C-396/14, EU:C:2016:347, Rn. 35).

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus Art. 37 Abs. 9, 10, 18 und 19 des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge, dass außer im Fall des Konkurses des federführenden Mitglieds oder eines Mitglieds einer Bietergemeinschaft jede Änderung, die die ursprüngliche Zusammensetzung einer solchen Bietergemeinschaft betraf, verboten war, da anderenfalls alle Mitglieder dieser Bietergemeinschaft vom Verfahren zur Vergabe des öffentlichen Auftrags ausgeschlossen worden wären.

Dieses Verbot, die Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft zu ändern, ist jedoch nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, u. a. des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der sich daraus ergebenden Transparenzpflicht und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Mai 2016, MT Højgaard und Züblin, C-396/14, EU:C:2016:347, Rn. 36).

Der letztgenannte Grundsatz, auf den im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18 hingewiesen wird, verlangt, dass die von den Mitgliedstaaten oder den öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Umsetzung dieser Richtlinie aufgestellten Regeln nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Dezember 2008, Michaniki, C-213/07, EU:C:2008:731, Rn. 48, und vom 7. September 2021, Klaipdos regiono atliek tvarkymo centras, C-927/19, EU:C:2021:700, Rn. 155).

Der Grundsatz der Gleichbehandlung räumt den Bietern bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen ein, was voraussetzt, dass die Angebote aller Bieter den gleichen Bedingungen unterworfen sein müssen. Das damit einhergehende Transparenzgebot soll die Gefahr von Günstlingswirtschaft oder von willkürlichen Entscheidungen des Auftraggebers ausschließen. Dieses Gebot verlangt, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens in der Bekanntmachung oder im Lastenheft klar, genau und eindeutig formuliert sind, damit, erstens, alle durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt deren genaue Bedeutung verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und, zweitens, der Auftraggeber imstande ist, tatsächlich zu überprüfen, ob die Angebote der Bieter die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2014, Cartiera dell’Adda, C-42/13, EU:C:2014:2345, Rn. 44, und vom 2. Juni 2016, Pizzo, C-27/15, EU:C:2016:404, Rn. 36).

Die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung, die für alle Verfahren der Vergabe öffentlicher Aufträge gelten, gebieten, dass die materiell- und die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen einer Teilnahme an einem Vergabeverfahren, insbesondere die Pflichten der Bieter, im Voraus eindeutig festgelegt und öffentlich bekannt gegeben werden, damit diese genau erkennen können, welche Bedingungen sie in dem Verfahren zu beachten haben, und damit sie die Gewissheit haben können, dass für alle Wettbewerber die gleichen Bedingungen gelten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Februar 2006, La Cascina u. a., C-226/04 und C-228/04, EU:C:2006:94, Rn. 32, sowie vom 2. Juni 2016, Pizzo, C-27/15, EU:C:2016:404, Rn. 37).

In dieser Hinsicht sieht Nr. 21 des Anhangs VII Teil A der Richtlinie 2004/18 vor, dass die “Bindefrist (offene Verfahren)” ein wesentlicher Bestandteil der Informationen ist, die in der Bekanntmachung einer Ausschreibung enthalten sein müssen.

Erstens ergibt sich aus dem Urteil vom 24. Mai 2016, MT Højgaard und Züblin (C-396/14, EU:C:2016:347, Rn. 44 und 48), dass Art. 47 Abs. 3 und Art. 48 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen sind, dass die Mitglieder einer Bietergemeinschaft ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung aus dieser Bietergemeinschaft austreten können, sofern zum einen erwiesen ist, dass die übrigen Mitglieder dieser Bietergemeinschaft die von dem Auftraggeber festgelegten Anforderungen für die Teilnahme am Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags erfüllen, und zum anderen, dass ihre weitere Teilnahme an diesem Verfahren nicht zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führt.

Daher verletzt Art. 37 Abs. 9, 10, 18 und 19 des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge dadurch, dass er die Aufrechterhaltung der rechtlichen und tatsächlichen Identität einer Bietergemeinschaft strikt vorschreibt, offensichtlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Dies gilt umso mehr, als keine Ausnahme für den Fall vorgesehen ist, dass der öffentliche Auftraggeber wiederholt um die Verlängerung der Gültigkeit der Angebote ersucht. Eine solche Verlängerung erfordert aber von allen Mitgliedern einer Bietergemeinschaft, zum einen bestimmte Ressourcen sowohl in Form von Personal als auch von Sachmitteln im Hinblick auf einen etwaigen Zuschlag des fraglichen Auftrags zu binden und zum anderen die gestellten vorläufigen Kautionen zu verlängern, was insbesondere für ein KMU eine erhebliche Belastung darstellen kann.

Zweitens geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass das vorlegende Gericht Art. 11 Abs. 6 des Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge dahin ausgelegt hat, dass er nicht dazu führe, dass das Angebot nach Ablauf der darin angegebenen Frist von Rechts wegen hinfällig werde. Daher müsse sich der Bieter ausdrücklich auf die Möglichkeit berufen, von seinem Angebot zurückzutreten. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht ferner hervor, dass sich die Klarstellung, dass der Austritt eines Mitglieds aus einer Bietergemeinschaft durch organisatorische Erfordernisse dieser Bietergemeinschaft bedingt sein müsse, allein aus der Rechtsprechung des vorlegenden Gerichts ergebe.

Der Gerichtshof hat jedoch wiederholt entschieden, dass eine Situation, in der sich die Voraussetzungen für die Teilnahme an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags aus der gerichtlichen Auslegung des nationalen Rechts ergeben, für in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Bieter besonders nachteilig ist, da ihre Kenntnis vom nationalen Recht und seiner Auslegung nicht mit der der Bieter des betreffenden Mitgliedstaats verglichen werden kann (Urteil vom 2. Juni 2016, Pizzo, C-27/15, EU:C:2016:404, Rn. 46, und Beschluss vom 13. Juli 2017, Saferoad Grawil und Saferoad Kabex, C-35/17, EU:C:2017:557, Rn. 22).

Soweit schließlich den beiden Gesellschaften, die sich geweigert haben, ihr Angebot zu erneuern, ebenfalls vorgeworfen wurde, versucht zu haben, die Kontrolle der Einhaltung der Auswahlkriterien zu umgehen und damit einem Ausschluss vom Verfahren zur Vergabe des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrags zu entgehen, ist hinzuzufügen, dass der öffentliche Auftraggeber zwar jederzeit die Zuverlässigkeit der Mitglieder einer Bietergemeinschaft prüfen kann und sich dazu vergewissern kann, dass diese nicht unter einen der in Art. 45 der Richtlinie 2004/18 aufgeführten Gründe für den Ausschluss von einem Vergabeverfahren fallen, er jedoch im Rahmen dieser Prüfung darauf zu achten hat, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie er in Rn. 55 des vorliegenden Urteils beschrieben ist, beachtet wird.

Daher muss ein öffentlicher Auftraggeber, wenn er fakultative Gründe für den Ausschluss von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags anwendet, diesem Grundsatz umso mehr Rechnung tragen, wenn der in der nationalen Regelung vorgesehene Ausschluss eine Bietergemeinschaft insgesamt nicht wegen eines Verstoßes trifft, der allen ihren Mitgliedern zuzurechnen ist, sondern wegen eines Verstoßes, der nur von einem oder mehreren von ihnen begangen wurde, ohne dass das federführende Mitglied dieser Gruppe über irgendeine Kontrollbefugnis gegenüber dem oder den Wirtschaftsteilnehmer(n) verfügte, mit dem bzw. denen er eine solche Bietergemeinschaft bilden wollte (vgl. entsprechend Urteile vom 30. Januar 2020, Tim, C-395/18, EU:C:2020:58, Rn. 48, und vom 7. September 2021, Klaip?dos regiono atliek? tvarkymo centras, C-927/19, EU:C:2021:700, Rn. 156).

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber nämlich dazu, eine konkrete und auf den Einzelfall bezogene Beurteilung der Verhaltensweise des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers vorzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2012, Forposta und ABC Direct Contact, C-465/11, EU:C:2012:801, Rn. 31). Hierzu muss der öffentliche Auftraggeber die Mittel berücksichtigen, die dem Bieter zur Verfügung standen, um das Vorliegen eines Verstoßes in Bezug auf das Unternehmen zu prüfen, dessen Kapazitäten der Bieter in Anspruch zu nehmen beabsichtigte (Urteile vom 3. Juni 2021, Rad Service u. a., C-210/20, EU:C:2021:445, Rn. 40, und vom 7. September 2021, Klaip?dos regiono atliek? tvarkymo centras, C-927/19, EU:C:2021:700, Rn. 157).

Unter diesen Umständen sind Art. 47 Abs. 3 und Art. 48 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18 in Verbindung mit dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es den ursprünglichen Mitgliedern einer Bietergemeinschaft verwehrt, aus dieser Bietergemeinschaft auszutreten, wenn die Gültigkeitsdauer des von dieser Bietergemeinschaft eingereichten Angebots abgelaufen ist und der öffentliche Auftraggeber um die Verlängerung der Gültigkeit der bei ihm eingereichten Angebote ersucht, sofern zum einen erwiesen ist, dass die übrigen Mitglieder dieser Bietergemeinschaft die von dem Auftraggeber festgelegten Anforderungen erfüllen, und zum anderen, dass ihre weitere Teilnahme an diesem Verfahren nicht zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führt.

Zur zweiten Frage

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung sowie das Transparenzgebot, wie sie in Art. 2 und im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18 niedergelegt sind, dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die automatische Einbehaltung der von einem Bieter gestellten vorläufigen Kaution als Folge seines Ausschlusses von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsvertrags vorsieht, auch wenn er den betreffenden Zuschlag nicht erhalten hat.

Wie aus den Rn. 61 und 62 des Urteils vom 28. Februar 2018, MA.T.I. SUD und Duemme SGR (C-523/16 und C-536/16, EU:C:2018:122), hervorgeht, entspricht die Vorausfestsetzung der zu leistenden vorläufigen Kaution durch den öffentlichen Auftraggeber in der Ausschreibungsbekanntmachung zwar den Anforderungen der Grundsätze der Gleichbehandlung der Bieter, der Transparenz und der Rechtssicherheit, da mit ihr objektiv jede diskriminierende oder willkürliche Behandlung der Bieter durch den öffentlichen Auftraggeber verhindert werden kann. Dennoch ist die automatische Einbehaltung der auf diese Weise im Voraus festgelegten Kaution unabhängig davon, welche Berichtigungen der nachlässige Bieter gegebenenfalls vornimmt, und daher gänzlich ohne Begründung im Einzelfall offensichtlich nicht mit den sich aus der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ergebenden Erfordernissen vereinbar.

Zwar stellt die Einbehaltung der genannten Kaution ein geeignetes Mittel zur Verwirklichung der rechtmäßigen Ziele des betreffenden Mitgliedstaats dar, zum einen den Bietern ihre Verantwortung bei der Vorlage ihrer Angebote bewusst zu machen und zum anderen den öffentlichen Auftraggeber für den finanziellen Aufwand zu entschädigen, den die Kontrolle der Ordnungsmäßigkeit der Angebote für ihn bedeutet, jedoch ist auch die Höhe, die sie in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erreicht, im Hinblick auf den Ablauf des fraglichen Vergabeverfahrens offensichtlich überhöht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2018, MA.T.I. SUD und Duemme SGR, C-523/16 und C-536/16, EU:C:2018:122, Rn. 63 und 64).

Daher sind die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung sowie das Transparenzgebot, wie sie in Art. 2 und im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18 niedergelegt sind, dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die automatische Einbehaltung der von einem Bieter gestellten vorläufigen Kaution als Folge seines Ausschlusses von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsvertrags vorsieht, auch wenn er den betreffenden Zuschlag nicht erhalten hat

Generalanwalt beim EuGH zu der Frage, dass der öffentliche Auftraggeber nicht durch sein eigenes Handeln eine Ausschließlichkeitssituation herbeiführen darf, um mit dieser die Anwendung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zu rechtfertigen

Generalanwalt beim EuGH zu der Frage, dass der öffentliche Auftraggeber nicht durch sein eigenes Handeln eine Ausschließlichkeitssituation herbeiführen darf, um mit dieser die Anwendung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zu rechtfertigen

von Thomas Ax

Der öffentliche Auftraggeber darf nicht durch sein eigenes Handeln eine Ausschließlichkeitssituation herbeiführen, um mit dieser die Anwendung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zu rechtfertigen.
Schließt der öffentliche Auftraggeber einen neuen Vertrag ab, auf den die Richtlinie 2004/18 Anwendung findet, ist unerheblich, dass die Ausschließlichkeitssituation von einem ursprünglichen Vertrag herrührt, den die Behörden eines Mitgliedstaats vor seinem Beitritt zur Europäischen Union abgeschlossen haben. Um das Verhalten des öffentlichen Auftraggebers im Zusammenhang mit dem neuen Vertrag zu bewerten, ist auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses neuen Vertrags abzustellen.
Generalwalt beim EuGH, Schlussanträge vom 26.09.2024 – Rs. C-578/23
 
Gründe:

Im Jahr 1992 schloss das Finanzministerium der Tschechischen Republik direkt mit einem bestimmten Unternehmen einen Vertrag zur Einführung eines computergestützten Steuerverwaltungssystems mit der Bezeichnung ADIS. IBM war Inhaberin von Urheberrechten am Quellcode des Programms, so dass die Nutzung und Aktualisierung des Informationssystems von ihrer Beteiligung abhing.

Im Jahr 2016 beschloss die in der Tschechischen Republik mit der Steuerverwaltung betraute Einrichtung, einen Auftrag betreffend den Basiskundendienst für die Anwendung ADIS nach Ablauf der Garantiezeit zu vergeben, und zwar erneut im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung an IBM.

Die Vergabe dieses neuen Auftrags wurde zum Streitpunkt zwischen zwei Behörden der Tschechischen Republik, nämlich der Steuerverwaltung auf der einen und der für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit öffentlicher Aufträge zuständigen Behörde auf der anderen Seite. Nach Auffassung der Letzteren war die Direktvergabe des Auftrags rechtswidrig.

Das Gericht, das in letzter Instanz mit diesem Rechtsstreit befasst ist, bezweifelt die Vereinbarkeit des neuen Auftrags mit Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18/EG und ersucht den Gerichtshof um Auslegung dieser Bestimmung. Es möchte wissen, ob es bei der Beurteilung einer der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Verhandlungsverfahrens ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung die rechtlichen und tatsächlichen Umstände bewerten muss, unter denen der ursprüngliche Vertrag (1992) zustande kam, oder die rechtlichen und tatsächlichen Umstände beim Abschluss des neuen Auftrags (2016).

Hintergrund des Rechtsstreits ist das allgemeine Problem der Anbieterbindung öffentlicher Verwaltungen, die bei der Nutzung von Informationstechnologien von einem Anbieter abhängig sind. Die Kommission veröffentlichte 2013 eine Mitteilung, in der sie auf die Probleme dieser Verwaltungen im Zusammenhang mit einem Anbieterwechsel hinwies.

I. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht. Richtlinie 2004/18y


Art. 28 (“Anwendung des offenen und des nichtoffenen Verfahrens, des Verhandlungsverfahrens und des wettbewerblichen Dialogs”) bestimmt:

“Für die Vergabe ihrer öffentlichen Aufträge wenden die öffentlichen Auftraggeber die einzelstaatlichen Verfahren in einer für die Zwecke dieser Richtlinie angepassten Form an.

Sie vergeben diese Aufträge im Wege des offenen oder des nichtoffenen Verfahrens. Unter den besonderen in Artikel 29 ausdrücklich genannten Umständen können die öffentlichen Auftraggeber ihre öffentlichen Aufträge im Wege des wettbewerblichen Dialogs vergeben. In den Fällen und unter den Umständen, die in den Artikeln 30 und 31 ausdrücklich genannt sind, können sie auf ein Verhandlungsverfahren mit oder ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung zurückgreifen.”


In Art. 31 (“Fälle, die das Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung rechtfertigen”) heißt es:

“Öffentliche Auftraggeber können in folgenden Fällen Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben:

1. Bei öffentlichen Bau‑, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen:



b) wenn der Auftrag aus technischen oder künstlerischen Gründen oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ausgeführt werden kann;

c) soweit dies unbedingt erforderlich ist, wenn dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die die betreffenden öffentlichen Auftraggeber nicht voraussehen konnten, es nicht zulassen, die Fristen einzuhalten, die für die offenen, die nichtoffenen oder die in Artikel 30 genannten Verhandlungsverfahren mit Veröffentlichung einer Bekanntmachung vorgeschrieben sind. Die angeführten Umstände zur Begründung der zwingenden Dringlichkeit dürfen auf keinen Fall den öffentlichen Auftraggebern zuzuschreiben sein. …”


B. Tschechisches Recht. Zákon. 137/2006 Sb., o ve?ejných zakázkách

Gemäß § 21 Abs. 2 kann der öffentliche Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag in einem offenen oder nicht offenen Verfahren und unter bestimmten Voraussetzungen in einem Verhandlungsverfahren mit Veröffentlichung einer Bekanntmachung oder in einem Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben.

Nach § 23 Abs. 4 Buchst. a kann der öffentliche Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag auch dann in einem Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben, wenn der öffentliche Auftrag aus technischen oder künstlerischen Gründen, zum Schutz von Ausschließlichkeitsrechten oder aus Gründen, die sich aus einer besonderen Rechtsvorschrift ergeben, nur von einem bestimmten Anbieter ausgeführt werden kann.

II. Sachverhalt, Rechtsstreit und Vorlagefrage

Am 29. Juni 1992 schloss das Finanzministerium der Tschechischen Republik mit IBM einen Vertrag über die Systemintegration für das Informationssystem zur Steuerverwaltung, ADIS.

Ab 2013 übernahm die dem Finanzministerium unterstellte eská republika – Generální finanní editelství (Generalfinanzdirektion, Tschechische Republik, im Folgenden: GFD) die Aufgaben des Ministeriums im Bereich der Steuerverwaltung.

Am 1. März 2016 leitete die GFD ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung ein, um einen neuen Auftrag mit dem Titel “Základní pozáruní servis aplikace ADIS v r. 2016” zu vergeben, der den Basiskundendienst für die Anwendung ADIS nach Ablauf der Garantiezeit zum Gegenstand hatte.

Die GFD berief sich für dieses Vergabeverfahren auf technische Gründe sowie auf den Schutz der Urheberrechte des Anbieters am Quellcode von ADIS.

Am 20. Mai 2016 vergab die GFD den neuen Auftrag an IBM.

Am 9. Oktober 2017 stellte der Úad pro ochranu hospodáské soutže (Amt für Wettbewerbsschutz der Tschechischen Republik, im Folgenden: Wettbewerbsamt) fest, die GFD habe durch die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung gegen § 23 Abs. 4 Buchst. a des Gesetzes 137/2006 verstoßen.

Nach Ansicht des Wettbewerbsamts hatte die GFD nicht nachgewiesen, dass der neue öffentliche Auftrag aus technischen Gründen nur von IBM ausgeführt werden könne. Außerdem sei die Notwendigkeit, die Ausschließlichkeitsrechte dieses Anbieters zu schützen, die Folge des früheren Verhaltens des Finanzministeriums.

Gegen die Entscheidung vom 9. Oktober 2017 legte die GFD Widerspruch beim Vorsitzenden des Wettbewerbsamts ein, den dieser zurückwies.

Die GFD erhob beim Krajský soud v Brn (Regionalgericht Brno [Brünn], Tschechische Republik) Klage gegen die Entscheidung des Vorsitzenden des Wettbewerbsamts; diese wurde abgewiesen mit der Begründung, die Voraussetzungen von § 23 Abs. 4 Buchst. a des Gesetzes 137/2006 seien nicht erfüllt:

– Zum Zeitpunkt der Vergabe des ursprünglichen Vertrags sei absehbar gewesen, dass für ADIS ein kontinuierlicher Wartungsdienst erforderlich sein würde, da es sich um ein System handle, das zur langfristigen Nutzung für einen Bereich (Besteuerung) konzipiert worden sei, der ständigen Veränderungen unterliege.

– Es sei unerheblich, dass bei der Unterzeichnung des ursprünglichen Vertrags die rechtlichen Vorschriften keinerlei Verpflichtung, den Anbieter im Rahmen eines Vergabeverfahrens auszuwählen, und keine Regelungen darüber enthalten hätten, inwieweit das Urheberrecht an ADIS geregelt werden müsse. Die Voraussetzungen zur Vergabe des Folgeauftrags müssten im Licht der geltenden Rechtsvorschriften zum Zeitpunkt dieser Vergabe beurteilt werden.

– Nicht erforderlich sei, dass der ursprüngliche Auftraggeber in der Absicht gehandelt habe, später das Gesetz 137/2006 zu umgehen.

– Selbst wenn es der GFD gelingen sollte, zu beweisen, dass kein anderer Anbieter als IBM in der Lage sei, den Auftrag auszuführen, ändere dies nichts an der Tatsache, dass die Ausschließlichkeitssituation Folge der Handlungen des Finanzministeriums sei. Der Nachweis, dass die formellen Voraussetzungen (d. h. die technischen Gründe und der Grund des Schutzes des Urheberrechts des Anbieters) vorlägen, wäre folglich zwecklos, da die materielle Voraussetzung (dass der öffentliche Auftraggeber die Ausschließlichkeitssituation nicht selbst herbeigeführt habe) nicht erfüllt sei.

Die GFD legte beim Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) gegen das Urteil des Instanzgerichts Kassationsbeschwerde ein, die sie zusammengefasst folgendermaßen begründete:

– Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des ursprünglichen Vertrags sei der Anbieter als einziger in der Lage gewesen, die erforderlichen Leistungen zu erbringen (Bereitstellung von Servern mit seinem eigenen Betriebssystem und Gewährleistung der Wartung und Fernüberwachung). Aus technischen Gründen sei es unmöglich gewesen, einen anderen Anbieter zu finden.

– Das Finanzministerium habe vernünftigerweise nicht vorhersehen können, dass später weitere Maßnahmen erforderlich sein würden, um mit ADIS weiterarbeiten zu können.

– Im ursprünglichen Vertrag sei das Urheberrecht angemessen definiert worden. Seinerzeit sei es nicht möglich gewesen, diese Rechte an ADIS vollständig übertragen zu erhalten, da seine Elemente zum Teil vom Anbieter und dessen Partnern weltweit kommerziell genutzt worden seien. Die seinerzeit geltenden Rechtsvorschriften seien somit eingehalten worden. Wenn das Finanzministerium nicht habe wissen können, gegen welche künftigen gesetzlichen Bestimmungen es mit seinen Handlungen verstoße, schließe der Grundsatz der Rechtssicherheit die Annahme eines der GFD zurechenbaren Fehlers aus.

– Das Finanzministerium habe beim Abschluss des ursprünglichen Vertrags auch nicht wissen können, wie sich das Steuersystem entwickeln werde. Es habe also nicht gewusst, ob in ADIS eingegriffen werden müsse und ob es ADIS weiterhin nutzen werde. Es habe kein Grund bestanden, die Urheberrechte zu regeln, um vom Anbieter vollständig unabhängig zu werden.

– Würde jetzt ein Vergabeverfahren zur Bereitstellung eines neuen Informationssystems eingeleitet, würde dies für die GFD eine Verschwendung der in ADIS investierten Mittel und ein unwirtschaftliches, nicht nachvollziehbares Management bedeuten.

– Im Jahr 2015 habe die GFD versucht, sich durch den Erwerb der Urheberrechte an ADIS aus ihrer Abhängigkeit vom Anbieter zu befreien. Der Anbieter habe sich sowohl 2015 als auch in den drei Folgejahren geweigert, diese Rechte zu übertragen, so dass die GFD keine andere Wahl gehabt habe, als ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung durchzuführen. Anderenfalls wäre ADIS unbrauchbar geworden und die Steuerverwaltung nicht in der Lage gewesen, ihre Aufgabe zu erfüllen.

– Zusammenfassend habe die GFD vor der Einleitung des Verfahrens zur Vergabe des neuen Auftrags sämtliche erforderlichen Maßnahmen unternommen, um das in § 23 Abs. 4 Buchst. a des Gesetzes 137/2006 vorgesehene Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen, was mehrere technische und rechtliche Sachverständigengutachten bestätigten.

In seiner Erwiderung auf die Kassationsbeschwerde führte das Wettbewerbsamt aus:

– Die GFD habe ADIS auf der Grundlage der Ausschließlichkeit des ursprünglichen Vertrags von 1992 bis mindestens Ende 2019 aufgrund von Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung ausgebaut.

– Das Sachverständigengutachten weise nicht nach, dass der ausgewählte Anbieter für dieses System aus technischen Gründen der einzig mögliche gewesen sei. Auch eine durch den Urheberrechtsschutz begründete Ausschließlichkeitssituation sei nicht erwiesen.

– Zweck der Leistung sei es gewesen, in drei Stufen ein Steuerverwaltungssystem zu schaffen, wovon der ursprüngliche Vertrag lediglich die erste Stufe betroffen habe. Die GFD habe gewusst, dass auf den ersten Vertrag weitere folgen würden.

– Aus der Beschreibung und dem Zweck von ADIS gehe hervor, dass es sich um ein robustes System handle, das langfristig habe genutzt werden sollen. Somit sei klar gewesen, dass zumindest ein technischer Support erforderlich sein würde.

– Weder das Finanzministerium noch später die GFD hätten auf die Entwicklung der Rechtsvorschriften reagiert; sie hätten stattdessen eine Auslegung des Vertrags und des Gesetzes 137/2006 vertreten, die es erlaubt habe, das System ohne Ausschreibung beizubehalten.

Das vorlegende Gericht bezweifelt hinsichtlich einer der – nach seinem Verständnis materiellen – Voraussetzungen für das Vorgehen im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung (dass nämlich die Ausschließlichkeitssituation nicht vom öffentlichen Auftraggeber selbst verursacht wurde), dass diese Voraussetzung vorliegt. Es möchte wissen, ob es hierfür die tatsächlichen und rechtlichen Umstände bewerten muss, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Vertrags bestanden.

 In diesem Zusammenhang hat der Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht) dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist bei der Beurteilung, ob die materielle Voraussetzung für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung erfüllt ist, d. h., ob der öffentliche Auftraggeber nicht durch sein eigenes Verhalten eine Ausschließlichkeitssituation nach Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 herbeigeführt hat, zu berücksichtigen, unter welchen rechtlichen und tatsächlichen Umständen der Vertrag über die ursprüngliche Leistung geschlossen wurde, auf dem die öffentlichen Folgeaufträge beruhen?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 19. September 2023 beim Gerichtshof eingegangen.

Die tschechische und die slowakische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

Der Gerichtshof hat es nicht für erforderlich gehalten, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

IV. Würdigung

Der Rechtsstreit, mit dem das vorlegende Gericht befasst ist, geht zurück auf einen Vertrag über die Erbringung von IT‑Leistungen, der 1992, also vor dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union, ohne Ausschreibungsverfahren geschlossen wurde; damals war ein solches Vorgehen nach dem nationalen Recht zulässig.

In diesem ursprünglichen Vertrag wurden dem Anbieter Rechte eingeräumt, die ihm für die Weiterentwicklung und Wartung des eingeführten IT‑Systems eine Ausschließlichkeitsposition verschafften.

Nach Auffassung der GFD war es nach dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union aufgrund der ausschließlichen Urheberrechte des Anbieters gerechtfertigt, im Jahr 2016 für die Vergabe eines neuen Auftrags betreffend den Basiskundendienst nach Ablauf der Garantiezeit das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung nach Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 anzuwenden.

A. Anwendbare Richtlinie

Das vorlegende Gericht ersucht den Gerichtshof um Auslegung der Richtlinie 2004/18 und nicht der Richtlinie 2014/24/EU, mit der die Erstere aufgehoben wurde.

Grundsätzlich ist die Anwendung der Richtlinie angezeigt, die zum Zeitpunkt der Wahl des anzuwendenden Verfahrens durch den öffentlichen Auftraggeber in Kraft ist.

In der Vorlageentscheidung heißt es, die GFD habe das Verfahren zur Vergabe des neuen Auftrags am 1. März 2016 eingeleitet. Das Datum liegt damit vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie 2014/24, nach deren Art. 90 Abs. 1 der 18. April 2016.

Falls dies zutrifft, ist ratione temporis die Richtlinie 2004/18 anwendbar. Dieser Umstand hindert allerdings nicht daran, die Regelung in der Richtlinie 2014/24 bei der Auslegung der Vorschriften der Richtlinie 2004/18 zur Widerlegung oder Bestätigung zu berücksichtigen.

B. Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 und die vom öffentlichen Auftraggeber herbeigeführte Ausschließlichkeitssituation

Gemäß Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 müssen zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen, damit das dort geregelte direkte Vergabeverfahren angewandt werden kann: a) technische oder künstlerische Gründe oder sonstige, mit dem Schutz von Ausschließlichkeitsrechten zusammenhängende Gründe, und b) dass diese Gründe die Vergabe des Auftrags an ein bestimmtes Unternehmen absolut notwendig machen.

Eine ähnliche Formulierung wie in dieser Vorschrift wurde bereits in anderen, vor der Richtlinie 2004/18 angenommenen Vergaberichtlinien verwendet. Der Gerichtshof hatte sie bei Entscheidungen über Vertragsverletzungsklagen der Kommission gegen einzelne Handlungen der Mitgliedstaaten ausgelegt, die unter die Richtlinie 71/305 oder die Richtlinie 93/37 fallende Aufträge betrafen, die im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben worden waren.

In der Rechtsprechung zur Auslegung der zwei genannten und der nachfolgenden Richtlinien wurde immer wieder betont, dass die Bestimmungen zu Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung eng auszulegen seien und dass die Beweislast für die außergewöhnlichen Umstände, die die Ausnahme rechtfertigten, beim öffentlichen Auftraggeber liege.

Das vorlegende Gericht unterscheidet zwischen den “formellen” und den “materiellen” Voraussetzungen, die für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung vorliegen müssten. Hierzu führt es aus:

– Die formellen Voraussetzungen verlangten, dass ein Grund vorliege, der sich auf den Schutz ausschließlicher Rechte beziehe, und dass der Auftrag aus diesem Grund nur an einen bestimmten Anbieter vergeben werden könne.

– Die materiellen Voraussetzungen verlangten, dass diese formalen Gründe für den öffentlichen Auftraggeber nicht vorhersehbar gewesen und dass sie nicht ihm zuzuschreiben seien.

In Wirklichkeit sind die Voraussetzungen, die das vorlegende Gericht als formelle bezeichnet, diejenigen, die sich aus dem Wortlaut von Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 ergeben. Die, die es als materielle Voraussetzungen bezeichnet, gehen darüber hinaus, da sie Bedingungen betreffen, die in dieser Bestimmung nicht ausdrücklich genannt sind.

Die Diskussion hat sich auf die materielle Voraussetzung konzentriert, dass die Ausschließlichkeitssituation nicht durch den öffentlichen Auftraggeber verursacht worden sein darf. Die von den Beteiligten im Vorabentscheidungsverfahren vertretenen Positionen sind gespalten:

– Für die tschechische Regierung ist die Ausnahme nach Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 bereits gegeben, wenn die dort genannten objektiven Voraussetzungen erfüllt sind.

– Für die Kommission und die slowakische Regierung setzt diese Ausnahme zusätzlich voraus, dass der öffentliche Auftraggeber nicht der Verursacher der Ausschließlichkeitssituation ist.

Wäre der Rechtsstreit nach der Regelung der Richtlinie 2014/24 zu entscheiden, wäre ohne Zweifel die These der Kommission und der slowakischen Regierung vorzugswürdig. Sowohl im 50. Erwägungsgrund dieser Richtlinie als auch in ihrem Art. 32 Abs. 2 Buchst. b ist vorgesehen, dass die Ausschließlichkeit nicht vom öffentlichen Auftraggeber herbeigeführt worden sein darf:

– Im 50. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 heißt es, dass

“… nur Situationen einer objektiven Ausschließlichkeit … den Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung rechtfertigen [können], sofern die Ausschließlichkeitssituation nicht durch den öffentlichen Auftraggeber selbst mit Blick auf das anstehende Vergabeverfahren herbeigeführt wurde. …”

– In Art. 32 Abs. 2 Buchst. b Ziff. iii der Richtlinie 2014/24 ist festgelegt, dass das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung angewandt werden kann, wenn Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen aufgrund des Schutzes von “ausschließlichen Rechten, einschließlich der Rechte des geistigen Eigentums”, nur von einem bestimmten Anbieter erbracht beziehungsweise bereitgestellt werden können. Diese Ausnahme gilt jedoch nur,

“wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist”.

Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 enthielt dagegen keine ausdrückliche Aussage über mögliche Auswirkungen einer dem öffentlichen Auftraggeber zuzuschreibenden Ausschließlichkeit. Das Schweigen dieser Richtlinie bedeutet allerdings nicht, dass es dem öffentlichen Auftraggeber ohne Weiteres gestattet gewesen wäre, die Ausschließlichkeitssituation selbst herbeizuführen.

Wie das vorlegende Gericht zutreffend hervorhebt, hat die Richtlinie 2014/24 in diesem Punkt lediglich eine Regelung ausdrücklich formuliert, die in den früheren Vergaberichtlinien implizit bestand. So verlangt nach seiner Auffassung

“das Unionsrecht, … dass der Grund, aus dem der Auftrag gemäß Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 nur an einen bestimmten Anbieter vergeben werden kann, nicht dem öffentlichen Auftraggeber zuzurechnen ist. …”

Ich gehe, was die Einwirkung des öffentlichen Auftraggebers auf die Umstände betrifft, auf die die Ausschließlichkeitssituation zurückgeht, von derselben Forderung aus wie das vorlegende Gericht. Es gibt eine Reihe von Gründen, die meines Erachtens hierfür sprechen.

Erstens besteht – dies ist der Hintergrund – das allgemeine Ziel der Vorschriften der Union über das öffentliche Auftragswesen darin, “den freien Dienstleistungsverkehr und die Öffnung für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten”. Ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung anzuwenden, ist genau das Verhalten, mit dem ein öffentlicher Auftraggeber die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens gegenüber dem Wettbewerb am stärksten behindert.

Zweitens steht es diesem Ziel entgegen, wenn öffentliche Auftraggeber selbst die Umstände herbeiführen, auf die sie sich später berufen, um Verfahren zur Auswahl von Auftragnehmern anzuwenden, bei denen eine Teilnahme von Wettbewerbern nicht zugelassen ist.

Drittens sind, wie schon vorausgeschickt, die außergewöhnlichen Umstände, die ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zulassen, an restriktiven Kriterien orientiert eng auszulegen.

Viertens würde die Logik von Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 in ihr Gegenteil verkehrt, ließe man zu, dass der öffentliche Auftraggeber sich auf eine Ausschließlichkeitssituation beruft, die er selbst herbeigeführt hat. Nach dieser Logik sind Umstände, die es rechtfertigen, dass das ordentliche Verfahren (mit Bekanntmachung) nicht angewandt werden kann, solche, die außerhalb der Sphäre des öffentlichen Auftraggebers liegen, nicht diejenigen, die er selbst hervorgerufen hat.

Und schließlich verbietet der Grundsatz nemo auditur propriam turpitudinem allegans, dass eine Partei aus ihrem eigenen rechtswidrigen Verhalten Vorteile ziehen darf.

C. Bewertung der Ausschließlichkeit im vorliegenden Rechtsstreit

1. Ursprünglicher Vertrag (1992)


Nach der in der Vorlageentscheidung dargelegten Argumentation der GFD bestanden zum Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Vertrags (1992) keinerlei nationale Rechtsvorschriften zum Urheberrecht oder zum öffentlichen Auftragswesen. Folglich seien die in der Zukunft in dieser Materie geltende rechtliche Regelung und die Entwicklung der nationalen Rechtsprechung nicht vorherzusehen gewesen. Auch sei nicht vorhersehbar gewesen, “dass die Festlegung der Lizenzbedingungen für ADIS später zu einer bedenklichen Situation führen würde …”.

Das vorlegende Gericht teilt diese Auffassung im Wesentlichen, mit Ausnahme einiger Nuancen. Es stimmt zu, dass im Jahr 1992 für die Vergabe öffentlicher Aufträge keine nationalen Rechtsvorschriften bestanden hätten, was es dem Finanzministerium erlaubt habe, den ADIS-Vertrag mit dem damals vereinbarten Inhalt abzuschließen. Der öffentliche Auftraggeber habe zudem “berechtigterweise davon ausgehen können, dass der ursprüngliche Vertrag mit demselben Anbieter fortgesetzt werden könne, ohne dass auch anderen die Möglichkeit geboten werden müsse, sich um die Erbringung der geforderten Leistung zu bewerben”.

Ich für meinen Teil habe keine Einwände gegen diese Aussagen, die sich auf einen Zeitpunkt in der Vergangenheit beziehen, zu dem das Recht der Union, der die Tschechische Republik damals noch nicht angehörte, schlicht nicht zum Tragen kam. Es ist Aufgabe des vorlegenden Gerichts, den Sachverhalt und den rechtlichen Rahmen beim Abschluss des ursprünglichen Vertrags festzustellen.

Unter diesen Umständen ist unerheblich, ob die Ausschließlichkeit, auf deren Grundlage der ursprüngliche Vertrag 1992 unterzeichnet wurde, durch den öffentlichen Auftraggeber verursacht war oder nicht.

2. Neuer Auftrag (2016)

Die Perspektive ändert sich, wenn man berücksichtigt, dass das Vertragsverhältnis zwischen den tschechischen Steuerbehörden und dem Anbieter viele Jahre lang andauerte (soweit hier von Belang, von 1992 bis 2016).

In diesem Zeitraum änderte sich der rechtliche Rahmen, insbesondere mit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union im Jahr 2004. Ab dem Beitritt war die Einhaltung der Vergaberichtlinien “gemäß dem Grundsatz der sofortigen vollständigen Anwendung der Vorschriften des Unionsrechts auf die neuen Mitgliedstaaten” verpflichtend.

Das vorlegende Gericht unterstreicht die Bedeutung des neuen Rechtsrahmens und die Veränderung der Pflichten des öffentlichen Auftraggebers: Als die GFD den Auftrag von 2016 vergeben habe, seien das Gesetz 137/2006 und die Richtlinie 2004/18 in Kraft gewesen. Die GFD sei somit verpflichtet gewesen, dafür zu sorgen, dass durch ihre Handlungen keine Ausschließlichkeitssituationen herbeigeführt würden, die die Anwendung von Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung rechtfertigten.

Ausgehend von dieser Feststellung und nach Prüfung der beiden zur Diskussion stehenden Thesen stellt das vorlegende Gericht in Rn. 32 der Vorlageentscheidung fest:

– “… Zwischen 1992 und 2016 hätte [die GFD] (bzw. ihre Rechtsvorgängerin) entweder neue vertragliche Regelungen für urheberrechtliche Schutzrechte aushandeln und so die öffentlichen Aufträge betreffend ADIS in einem der offeneren Ausschreibungsverfahren vergeben können, oder sie hätte mit der Beschaffung eines neuen Informationssystems beginnen können, selbst wenn dies vorübergehend zu erhöhten Kosten, langfristig aber zu Einsparungen hätte führen können.

– Daher kann die Situation zum Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Vertrags nicht geltend gemacht werden, wenn die Ausschließlichkeitssituation nach der Verabschiedung der einschlägigen Rechtsvorschriften der Tschechischen Republik über das öffentliche Auftragswesen fortbesteht. Zur Beurteilung, ob das Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung anwendbar ist, ist der Zeitpunkt zu berücksichtigen, zu dem die Entscheidung, den Auftrag in dieser Form zu vergeben, getroffen worden ist …”.


Was die Beurteilung des für den Rechtsstreit maßgeblichen Sachverhalts und der nationalen Rechtslage betrifft, ist den Erwägungen des vorlegenden Gerichts nicht zu widersprechen, und was die soeben wiedergegebenen Ausführungen im letzten Teil von Rn. 32 der Vorlageentscheidung betrifft, bin ich der Ansicht, dass sie eine zutreffende Auslegung der Richtlinie 2004/18 enthalten.

Die daraus abzuleitende Antwort auf die Vorlagefrage lautet, dass für den vorliegenden Fall unerheblich ist, dass der ursprüngliche Vertrag vor dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union geschlossen wurde. Entscheidend sind vielmehr die Handlungen des öffentlichen Auftraggebers, die zwischen 2004 und 2016 vorgenommen wurden. Von diesen Handlungen ist logischerweise die Vergabe des neuen Auftrags im Jahr 2016 die entscheidende.

Die tschechische Regierung versucht demgegenüber, ihre Verantwortlichkeit für die Herbeiführung der ausschließlichen Abhängigkeit mit der Begründung auszuschließen, dass für die Bewertung auf den Zeitpunkt der Unterzeichnung des ursprünglichen Vertrags abzustellen sei. Sofern ihr damaliges Verhalten einwandfrei rechtmäßig gewesen sei, könne beim öffentlichen Auftraggeber auch nicht von einem ihm zuzuschreibenden zielgerichteten Handeln gesprochen werden.

Diese Argumentation teile ich nicht:

– Wie bereits ausgeführt, beginnt die Verpflichtung des Mitgliedstaats, sein Handeln am Unionsrecht auszurichten, mit seinem Beitritt zur Union. Von diesem Moment an übernahm der öffentliche Auftraggeber als staatliche Einrichtung die Verpflichtung, die Einhaltung der Unionsvorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe, darunter der Richtlinie 2004/18, sicherzustellen. In diesem Zusammenhang spielt keine Rolle, ob deren Verletzung durch die staatlichen Steuerbehörden auf ein aktives Handeln oder auf ein Unterlassen zurückzuführen war.

– Zur Beurteilung des Verhaltens des öffentlichen Auftraggebers ist dolus directus hinsichtlich der Herbeiführung der Ausschließlichkeitssituation keine Voraussetzung. Es genügt, dass der öffentliche Auftraggeber – indem er seine Pflicht, bei der Vergabe des neuen Vertrags die bestehende (und von ihm selbst oder seinem Rechtsvorgänger herbeigeführte) Ausschließlichkeit zu beenden, versäumt – auch den neuen Vertrag dem Wettbewerb entzieht, wie dies schon beim ursprünglichen Vertrag der Fall war.

Als weiteren Gesichtspunkt führt die tschechische Regierung an, sie räume zwar ein, dass sie in Situationen wie der vorliegenden Entscheidungen treffen müsse, die es ihr ermöglichten, sich aus der Abhängigkeit von einem bestimmten Anbieter zu befreien, spreche sich aber dafür aus, eine vernünftige Lösung zu akzeptieren, worunter sie die wirtschaftlich günstigste versteht, die das dauerhafte Funktionieren der Informationssysteme in kritischen Bereichen der nationalen Verwaltung gewährleiste. Ihrer Ansicht nach rechtfertigen diese Faktoren in der vorliegenden Rechtssache die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung.

Auch diesem Argument kann ich nicht zustimmen, wenngleich ich verstehe, welchen Problemen sich der öffentliche Auftraggeber 2016 de facto gegenübersah. Steuerbehörden können sich jedoch ebenso wenig wie alle übrigen staatlichen Behörden auf praktische, verwaltungstechnische oder wirtschaftliche Schwierigkeiten berufen, um die Nichteinhaltung der durch eine Richtlinie festgelegten Verpflichtungen zu rechtfertigen, denn es ist Sache der Mitgliedstaaten, diese mit geeigneten Maßnahmen zu überwinden.

Eine weitere Argumentation, mit der die tschechische Regierung das Vorgehen des öffentlichen Auftraggebers verteidigt, ist das Vorbringen, dass dieser versucht habe, sich durch den Erwerb des Urheberrechts aus der Abhängigkeit von dem Anbieter zu befreien, was ihm jedoch aufgrund des Widerstands des Anbieters nicht gelungen sei.

Diesem Argument kann nicht gefolgt werden, wenn man bedenkt, dass der öffentliche Auftraggeber ab 2004 (bis zum Jahr 2016) genügend Zeit hatte, um die Verweigerungshaltung von IBM zu überwinden. Angesichts der schon jahrzehntelang bestehenden Ausschließlichkeitssituation hätte er Maßnahmen einleiten müssen, um seine Abhängigkeit von diesem Anbieter zu durchbrechen, und zwar durch die Suche nach Angeboten anderer Anbieter, was er offenbar nicht getan hat. Dies ist die Auffassung des vorlegenden Gerichts, die ich abermals teile.

Im Übrigen geht aus der Vorlageentscheidung nicht hervor, dass der öffentliche Auftraggeber ernsthafte Versuche unternommen hätte, um neue Anbieter zu finden und die Situation der Abhängigkeit, in der er sich befand, zu durchbrechen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss der öffentliche Auftraggeber “ernsthafte Nachforschungen anstellen”, um zu ermitteln, ob es auf europäischer Ebene Unternehmen gibt, die in der Lage sind, eine bestimmte Software zu liefern (bzw. zu ersetzen).

Anlässlich ihrer Darstellung des Problems der Anbieterbindung bei IT‑Systemen schlägt die Kommission den öffentlichen Auftraggebern bestimmte Alternativen vor, um Einschränkungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe – wie im vorliegenden Fall – zu überwinden.

Obwohl die tschechischen Behörden vortragen, Verfahren für eine Ex-ante-Kontrolle eingeführt zu haben, um die in der Mitteilung von 2013 erwähnte Anbieterbindung zu bekämpfen, wurde in dem Vertrag, der Gegenstand des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens ist, die bereits bestehende Ausschließlichkeitssituation unverändert beibehalten. Dem öffentlichen Auftraggeber ist daher zuzuschreiben, dass er im Jahr 2016 durch Handeln oder Unterlassen eine von seinem Rechtsvorgänger herbeigeführte Ausschließlichkeitssituation aufrechterhalten hat, die ihn daran hätte hindern müssen, das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung anzuwenden.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sich der Gerichtshof bei ähnlichen Aufträgen wie dem hier in Rede stehenden bereits zur Notwendigkeit einer Öffnung gegenüber dem Wettbewerb geäußert und dabei als selbstverständlich angesehen hat, dass diese den allgemeinen Regeln über die Vergabe öffentlicher Aufträge unterliegen:

“… ein öffentlicher Auftraggeber, der ein Vergabeverfahren zur Sicherstellung der Pflege, der Anpassung oder der Weiterentwicklung einer bei einem Wirtschaftsteilnehmer erworbenen Software durchführen möchte, [muss] dafür sorgen …, dass er den potenziellen Bewerbern und Bietern hinreichende Informationen übermittelt, um die Entwicklung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem abgeleiteten Markt für die Pflege, die Anpassung oder die Weiterentwicklung der Software zu ermöglichen”.

V. Ergebnis

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen schlage ich vor, dem Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) folgendermaßen zu antworten:

Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge

ist wie folgt auszulegen:

Der öffentliche Auftraggeber darf nicht durch sein eigenes Handeln eine Ausschließlichkeitssituation herbeiführen, um mit dieser die Anwendung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zu rechtfertigen.

Schließt der öffentliche Auftraggeber einen neuen Vertrag ab, auf den die Richtlinie 2004/18 Anwendung findet, ist unerheblich, dass die Ausschließlichkeitssituation von einem ursprünglichen Vertrag herrührt, den die Behörden eines Mitgliedstaats vor seinem Beitritt zur Europäischen Union abgeschlossen haben. Um das Verhalten des öffentlichen Auftraggebers im Zusammenhang mit dem neuen Vertrag zu bewerten, ist auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses neuen Vertrags abzustellen.

OLG Köln zu der Frage, dass ein Angebot als nicht formgerecht auszuschließen ist, wenn das Leistungsverzeichnis nur als pdf-Dokument eingereicht wird, obwohl der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen festgelegt hat, dass das Leistungsverzeichnis unter Verwendung des dort genannten Softwareprogramms als GAEB-Datei im Format d.84 oder x.84 einzureichen ist

OLG Köln zu der Frage, dass ein Angebot als nicht formgerecht auszuschließen ist, wenn das Leistungsverzeichnis nur als pdf-Dokument eingereicht wird, obwohl der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen festgelegt hat, dass das Leistungsverzeichnis unter Verwendung des dort genannten Softwareprogramms als GAEB-Datei im Format d.84 oder x.84 einzureichen ist

von Thomas Ax
Ein Angebot ist als nicht formgerecht auszuschließen, wenn das Leistungsverzeichnis nur als pdf-Dokument eingereicht wird, obwohl der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen festgelegt hat, dass das Leistungsverzeichnis unter Verwendung des dort genannten Softwareprogramms als GAEB-Datei im Format d.84 oder x.84 einzureichen ist.
Sowohl GAEB-Programme als auch Windows PCs oder das XML-Format sind allgemein verfügbar und mit allgemein verbreiteten Geräten kompatibel im Sinne von § 11a Abs. 1 Satz 1 VOB/A 2016.
OLG Köln, Urteil vom 07.02.2024 – 11 U 118/20

Gründe

I.

Die Klägerin, die ein auf Abbruch- und Sanierungsarbeiten spezialisiertes Bauunternehmen betreibt, verlangt vom Beklagten Ersatz entgangenen Gewinns wegen Nichtberücksichtigung bei einer Vergabe.

Am 7. Februar 2019 schrieb der Beklagte für das Bauvorhaben “JVA P.” die Schadstoffsanierung sowie Abbruch- und Geländearbeiten aus, nachdem eine Kostenberechnung eine Auftragssumme von 136.950,00 EUR netto ergeben hatte. Nach Ziffer 7 der Ausschreibungsbedingungen konnten Angebote elektronisch in Textform eingereicht werden. In der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots waren Anlagen aufgelistet, “die, soweit erforderlich, ausgefüllt mit dem Angebot einzureichen” waren, und zwar unter anderem

“Angebotsschreiben

Teile der Leistungsbeschreibung: Leistungsverzeichnis/Leistungsprogramm als GAEB-Datei im Format d.84 oder x.84″.

Die Klägerin gab unter dem 4. März 2019 ein Angebot ab, das mit einer Angebotssumme von 165.001,13 EUR netto abzüglich eines Nachlasses von 10 % (ergibt 148.501,02 EUR netto) das günstigste war. Dabei reichte sie die Angebotsunterlagen jedenfalls vollständig im PDF-Format ein. Der Beklagte schloss das Angebot der Klägerin von der Prüfung aus, da es nicht in Form einer GAEB-Datei eingereicht worden sei. Am 12. März 2019 hob er die Ausschreibung wegen des Eingangs unvollständiger Angebote sowie wegen einer Kostenüberschreitung in Höhe von 50 % im Verhältnis zur Kostenberechnung und zum Budget auf. Darüber informierte er die Klägerin zunächst nicht. Stattdessen schrieb er die Leistungen, ohne die Klägerin einzubeziehen, im Rahmen eines formlosen Verhandlungsverfahrens neu aus und beauftragte am 12. April 2019 einen Drittunternehmer; die Auftragssumme betrug 131.947,96 EUR netto.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Ersatz des Gewinns, der ihr nach ihrer Behauptung durch die Nichterteilung des Zuschlags auf ihr Angebot vom 4. März 2019 entstanden ist. Sie hält es für rechtswidrig, dass der Beklagte ihr Angebot von der Prüfung ausgeschlossen hat. Sie behauptet, sie habe das Leistungsverzeichnis auch in Form einer GAEB-Datei eingereicht.

Der Beklagte meint, er habe das Angebot der Klägerin nicht nur wegen Nichteinhaltung der festgelegten Form, sondern auch mangels Eignung ausschließen dürfen. Hierzu hat er behauptet, die Klägerin habe für das Bauvorhaben “Z., L.” unberechtigte Nachträge zu sittenwidrig überhöhten Einheitspreisen geltend gemacht und habe sich bei der Berechnung von Stillstandskosten auf eine Baugeräteliste bezogen, die ursprünglich nicht Grundlage ihrer Kalkulation gewesen sei. Im Rahmen des Bauvorhabens “JVA N., Neubau Flügel C” habe sie Arbeiten an asbesthaltigen Baustoffen vorgenommen, ohne die einschlägigen Sicherheitsvorschriften zu beachten. Auch im Rahmen der Baumaßnahme “V. A.” habe die Klägerin mangelhafte Leistungen erbracht.

Durch Urteil vom 28. Juli 2020 (Bl. 267 ff. GA), auf das wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens, der erstinstanzlich gestellten Anträge, der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung im Einzelnen Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil der Beklagte die Klägerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vom Vergabeverfahren habe ausschließen dürfen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Mit Urteil vom 25. August 2021 hat der Senat die landgerichtliche Entscheidung abgeändert und die Klage dem Grunde nach für berechtigt erklärt (Bl. 375 ff. GA). Der Bundesgerichtshof hat in der Folge das Grundurteil des Senats durch Urteil vom 16. Mai 2023 zum Az. XIII ZR 14/21 aufgehoben und den Rechtsstreit an den Senat zurückverwiesen (Bl. 72 ff. BGH-Heft).

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie 36.307,31 EUR netto und Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.316,90 EUR jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Hilfsweise beantragt sie gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 17. Januar 2024 (Bl. 430 f. GA) durch Vernehmung der Zeugen D., W., M. und B.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17. Januar 2024 (Bl. 430 ff. ff. GA) Bezug genommen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den gesamten Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber in der Sache letztlich nicht begründet.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen einer Pflichtverletzung des in der Ausschreibung liegenden vorvertraglichen Schuldverhältnisses zu. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.

Der Beklagten hat das Angebot der Klägerin vom 4. März 2019 zu Recht nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2016 ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind unter anderem solche Angebote auszuschließen, die den Bestimmungen des § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2016 nicht entsprechen. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 VOB/A 2016 legt der Auftraggeber fest, in welcher Form die Angebote einzureichen sind. Im Streitfall entsprach das Angebot der Klägerin nicht diesen Festlegungen.

1.

Wie der Bundesgerichtshof für den zweiten Rechtsgang bindend entscheiden hat, war der Beklagte grundsätzlich berechtigt, Festlegung zur Verwendung von elektronischen Mitteln in der getroffenen Weise zu treffen.

§ 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 VOB/A 2016 berechtige den Auftraggeber auch, festzulegen, mit welchen elektronischen Mitteln im Sinne von §§ 11, 11a VOB/A 2016 Angebote einzureichen sind. Zur “Form” i.S.v. § 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 VOB/A 2016 gehören auch die elektronischen Mittel i.S.v. §§ 11, 11a VOB/A 2016. Werden diese festgelegten Mittel nicht verwendet, ist das Angebot nicht formgerecht eingereicht und gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2016 auszuschießen (BGHU Rn. 11 u. 29).

Die Beklagte hat in den Vergabeunterlagen festgelegt, dass das Leistungsverzeichnis unter Verwendung des dort genannten Softwareprogramms als GAEB-Datei im Format d.84 oder x.84 einzureichen ist (BGHU Rn. 28).

Dieser Vorgabe hat die Klägerin nicht genügt. Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin das Leistungsverzeichnis nur als pdf-Dokument, nicht indes auch als GAEB-Datei eingereicht hat:

Die Aussage der Zeugin M. war allerdings nicht ergiebig; sie hatte an die Vollständigkeit des Angebots der Klägerin das in Rede stehende Vergabeverfahren betreffend keinerlei Erinnerung (Bl. 432 GA).

Der Senat folgt jedoch den insoweit in sich stimmigen und zudem überzeugenden Bekundungen der Zeugen W. und B., die übereinstimmend bekundet haben, dass die Klägerin ihr Angebot zwar mit zahlreichen Dokumente elektronisch eingereicht habe, aber ohne GAEB-Datei – weder das Leistungsverzeichnis noch ein anderes Dokument (Bl. 432 f. GA). Die Zeugin W. war dabei als Schriftführerin bei der Eröffnung der vier eingegangenen elektronischen Angebote zugegen. Der Senat verkennt nicht, dass diese Zeugen als Mitarbeiter des Beklagten ein Näheverhältnis zu diesem aufweisen. Er hat jedoch nicht den Eindruck gewonnen, dass sich die Zeugen hiervon bei ihrer Aussage hätten leiten lassen. Die Zeugin W. hat den Vorgang ohne jegliche Belastungstendenz beschrieben und erst auf Nachfrage angegeben, dass eine GAEB-Datei nicht dabei gewesen sei. Der Zeuge B. hat ebenfalls ohne Belastungstendenz beschrieben, dass er zwar schon in das Vergabeverfahren unterstützend eingebunden war, sich die Angebotsunterlagen aber nicht zeitnah angeguckt habe, sondern erst im letzten Jahr. Die Bekundungen des Zeugen B. entsprechen dem durch den Beklagte vorgelegten Ausdruck aus der elektronischen Vergabeplattform, aus der sich zahlreiche pdf-Dateien, indes keine GAEB-Datei ergibt (Anlage BZ 1, Bl. 402 f. GA), und werden somit durch objektive Umstände gestützt. Zudem konnte dieser Zeuge dem Senat und den Parteien im Rahmen der Beweisaufnahme auch eigenständigen Einblick in die elektronische Vergabeplattform des Beklagten verschaffen mit dem Ergebnis, dass – bezogen auf die Angebotsunterlagen der Klägerin – dort keine GAEB-Datei ersichtlich war (Bl. 433 GA). Die Klägerin hat diesem eindeutigen Ergebnis der richterlichen Inaugenscheinnahme nicht widersprochen.

Die Überzeugungskraft dieser Bekundungen der Zeugen W. und B. sowie des Ergebnisses der Inaugenscheinnahme wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der für die Klägerin tätige Zeuge D. abweichend bekundet hat, er habe auch die durch das Kalkulationsprogramm befüllte GAEB-Datei routinemäßig und ohne dass er nachdenken müsse hochgeladen auf die Vergabeplattform des Beklagten (Bl. 431 GA). Denn objektiv sind auf dieser Vergabeplattform die Angebotsunterlagen ohne die GAEB-Datei gespeichert, wobei der Zeuge B. überzeugend ausgeführt hat, dass sie auch nicht etwa gelöscht werden können (Bl. 433 GA). Es liegt daher nahe, dass dem Zeugen D. ein Versehen unterlaufen oder ein technischer Defekt beim Befüllen des Ordners vor dem Hochladen aufgetreten ist.

Soweit die Klägerin vorbringt, unvollständige Angaben lasse das Bietertool technisch gar nicht zu (Bl. 3 f. u. 414 GA), trifft diese vage, nicht näher beschriebene und aus sich heraus auch nicht verständliche Behauptung bereits nach den Angaben des von ihr benannten Zeugen D. nicht zu. Dieser hat nämlich bekundet, dass die mittels des von ihm verwendeten Kalkulationsprogramms “K.” befüllte GAEB-Datei neben anderen Dateien von ihm in einen Ordner gelegt und dieser Ordnerinhalt sodann auf die elektronischen Vergabeplattform hochgeladen werde. Dies gehe für ihn schon automatisch (Bl. 431 GA). Damit hat er indes lediglich eine von ihm verinnerlichte Routine, ausdrücklich aber keine technisch notwendige Verfahrensweise beschrieben. Der insoweit angetretene Sachverständigenbeweis (Bl. 4 GA) der Klägerin geht danach als offensichtliche Ausforschung ins Leere, zumal auch unverständlich wäre, inwieweit das Bietertool eine allgemeine technische Vorgabe zur zwingenden Einreichung einer GAEB-Datei treffen könnte, wo doch das vorgegebene technische Mittel im jeweiligen Vergabeverfahren durch den Auftraggeber bestimmt werden muss.

2.

Das vorgegebene Softwareprogramm GAEB-Datei erfüllt auch den Anforderungen von § 11a VOB/A 2016.

Nach dieser § 11 VgV entsprechenden Regelung müssen elektronische Mittel und deren technische Merkmale allgemein verfügbar, nichtdiskriminierend und mit allgemein verbreiteten Geräten und Programmen der Informations- und Kommunikationstechnologie kompatibel sein. Sie dürfen den Zugang von Unternehmen zum Vergabeverfahren nicht einschränken und die barrierefreie Ausgestaltung muss gewährleistet sein.

Hierzu stellte die Revisionserwiderung und stellt nun die Berufung darauf ab, dass die Systemvoraussetzung eines Windows PC und das verwendete XML-Format nicht allgemein verfügbar und kompatibel i.S.v. § 11a Abs. 1 S. 1 VOB/A 2016 sei (Bl. 65 f. BGH-Heft u. 414 GA).

Dies ist unzutreffend: Sowohl GAEB-Programme als auch Windows PCs oder das XML-Format sind allgemein verfügbar und mit allgemein verbreiteten Geräten kompatibel.

GAEB steht für “Gemeinsamer Ausschuss Elektronik im Bauwesen” und fördert die Rationalisierung im Bauwesen mittels Datenverarbeitung. Das einheitliche Format dient zum einfachen Austausch von Daten zwischen den am Bau Beteiligten. Ziel des GAEB ist eine effiziente Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung (AVA) von Bauleistungen zu ermöglichen (zum Ganzen Vergabekammer Freistaat Thüringen, Beschluss vom 20. Mai 2020 – 250-4002-817/2020-E-003-SH K -, juris Rn. 132). Dieses Format ist allgemein verfügbar und kompatibel, kann also von allen Menschen gegen ein marktübliches Entgelt erworben werden und ist mit üblicherweise verwendeten Geräten bzw. Programmen nutzbar (s. dazu Schranner, in: Ingenstau/Korbion, VOB Teile A u. B, 22. Aufl. 2023, § 11a VOB/A Rn. 2). Die Beklagte stellt nach Klägervortrag ein kostenloses Programm für den Versand nach dem GAEB-Standard zur Verfügung (Bl. 65 BGH-Heft); jeder Bieter kann damit dem GAEB-Standard entsprechen. GAEB-Dateien sind ferner – was die Bekundungen des Zeugen D. eindrücklich bestätigen – branchenüblich, was auch ihre übliche Verwendung indiziert (Prell, in: VergabeR-HdB, 3. Aufl. 2021, § 5 Rn. 58).

Zwar mag wiederum das Betriebssystem Windows eine Systemvoraussetzung sein. Auch Windows liegt aber – wie allgemein bekannt – nicht außerhalb üblicher Standards, sondern wird üblicherweise verwendet und ist allen Menschen zugänglich gegen ein markübliches Entgelt. Ob die GAEB-Dateien auch mit den Betriebssystemen von Apple oder dem Betriebssystem Linux hergestellt und bearbeitet werden können, ist insoweit entgegen der Ansicht der Berufung unerheblich. Allgemein verfügbar und kompatibel i.S.v. § 11a Abs. 1 S. 1 VOB/A 2016 ist jede am Markt frei verfügbare Standardlösung; unzulässig sind demgegenüber nur Sonderkonfigurationen, die besondere Programme oder besondere EDV-Fähigkeiten erfordern, die außerhalb üblicher Standards liegen und deshalb nur für einen eingeschränkten Kreis von Nutzern verwendbar sind (vgl. Planker, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB/A u. B, 8. Aufl. 2022, § 11a VOB/A Rn. 2). Rechtlich gefordert ist mithin nicht etwa, dass jeglicher EDV-Standard akzeptiert wird.

Auch das XML-Format zählt schließlich zu den mit allgemein verbreiteter Hard- und Software kompatiblen Dateiformaten (Wichmann, in: Zielkow/Völlink, VergabeR, 4. Aufl. 2020, § 11 VgV Rn. 5).

Der Zugang zum Vergabeverfahren wird nach alledem vorliegend nicht i.S.v. § 11a Abs. 1 S. 2 VOB/A 2016 durch unzumutbare technische Hürden eingeschränkt.

OLG Düsseldorf zu der Frage, dass der öffentliche Auftraggeber im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb grundsätzlich die Eignung der Unternehmen prüft, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt und dass mit der positiven Eignungsprüfung – anders als im offenen Verfahren – ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen begründet wird

OLG Düsseldorf zu der Frage, dass der öffentliche Auftraggeber im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb grundsätzlich die Eignung der Unternehmen prüft, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt und dass mit der positiven Eignungsprüfung - anders als im offenen Verfahren - ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen begründet wird

von Thomas Ax

Hat der Bieter ein vorheriges Nachprüfungsverfahren insgesamt für erledigt erklärt, spricht viel für die Begründung eines schützenswerten Vertrauenstatbestands zu Gunsten des Auftraggebers dergestalt, dass der Bieter die nach Einschätzung der Vergabekammer für unbegründet gehaltene Beanstandung bezüglich der Eignungsleihe endgültig fallen gelassen hat. Der erneuten Rüge der Unzulässigkeit der Eignungsleihe in einem weiteren Nachprüfungsverfahren stünde dann der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen.
Im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb prüft der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Unternehmen grundsätzlich, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Dadurch wird mit der positiven Eignungsprüfung – anders als im offenen Verfahren – ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen begründet. Etwas anderes gilt, wenn der Bieter bis zum Abschluss des Teilnahmewettbewerbs nicht alle zur abschließenden Prüfung seiner Eignung erforderlichen Unterlagen eingereicht hat (hier: Verpflichtungserklärung des Eignungsleihgebers).
Öffentliche Auftraggeber trifft die Pflicht, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und Widersprüchlichkeiten zu vermeiden. Bei der Frage, welcher Erklärungswert den maßgeblichen Teilen der Vergabeunterlagen zukommt, ist im Rahmen einer normativen Auslegung auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter bzw. Bewerber, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen.
Vor diesem Hintergrund wird der durchschnittliche Bieter von einem Ausschluss der üblicherweise zulässigen Eignungsleihe nur dann ausgehen, wenn dies klar und unmissverständlich so in den Vergabeunterlagen erklärt beziehungsweise eine Selbstausführung vorgeschrieben wird. Schweigen die Vergabeunterlagen zur Eignungsleihe, so ist diese zulässig, da nicht auf das Übliche – ihre Zulässigkeit -, sondern auf das Ungewöhnliche – ihren Ausschluss – hingewiesen werden muss.
Der Auftraggeber ist verpflichtet, die Gründe für seine Auswahlentscheidung eingehend zu dokumentieren. Die Bewertungsentscheidungen ist daraufhin überprüfbar, ob die jeweilige Bewertung im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden. Es muss nachvollziehbar sein, weshalb ein Mitbewerber besser bewertet wurde; die Wertungen müssen im Quervergleich mit den besser bewerteten Angeboten stimmig sein, insbesondere demjenigen des Zuschlagsprätendenten. Dabei dürfen aber im Interesse der Handhabbarkeit keine allzu hohen Anforderungen an die Bewertungsbegründung gestellt werden, eine Nachvollziehbarkeit genügt.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.04.2022 – Verg 47/21

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 26. Juni 2020 ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb betreffend ein Telemedizinisches Versorgungsprogramm für ihre Versicherten mit den Indikationen Herzinsuffizienz und/oder chronisch obstruktive Lungenerkrankung EU-weit aus (Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, Bekanntmachungsnummer …). Die Ausschreibung ist durch Bekanntmachungen vom …, Bekanntmachungsnummer …, in Bezug auf die Bewerberauswahl bei gleicher Anzahl der Referenzprojekte, und vom …, Bekanntmachungsnummer …, in Bezug auf die Eignungsanforderungen berichtigt worden.

Der Ausschreibungsgegenstand war die telemedizinische Versorgung von Versicherten der B. mit Herzinsuffizienz und/oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) im Rahmen eines Vertrages der Besonderen Versorgung nach § 140a Abs. 4a SGB V, wobei die Betreuung ein tägliches Telemonitoring von Zeichen und Beschwerden der behandlungsführenden Indikation bzw. Indikationen umfasst. Dafür werden die Versicherten mit indikationsspezifischen telemedizinischen Geräten ausgestattet. Die erhobenen Werte werden kontinuierlich und automatisch an den Auftragnehmer übermittelt und dort überprüft. Bei Auffälligkeiten wird ein Alarm beim Auftragnehmer ausgelöst und der Versicherte durch den Auftragnehmer kontaktiert, um die Ursache für die Auffälligkeit zu ermitteln und wenn möglich zu beheben. Neben diesen anlassbezogenen Kontakten erfolgt in regelmäßigen Abständen die Kontaktaufnahme durch den Auftragnehmer beim Versicherten zur allgemeinen Betreuung im Programm sowie zum Zweck von indikations- und gesundheitsbezogenen Schulungen.

Bewerber hatten ihre Eignung und Leistungsfähigkeit bezüglich der Organisation, Administration und Durchführung durch nach Art und Größe vergleichbare Referenzprojekte für gesetzlich Krankenversicherte in den letzten fünf Jahren nachzuweisen, wobei die Antragsgegnerin lediglich solche Bewerber als geeignet erachtet, welche wenigstens ein entsprechendes Referenzprojekt nachweisen können. Als Referenz eignete sich nach der Bekanntmachung in der Fassung der Änderungsbekanntmachung vom 23. Juli 2020 ein Projekt, bei dem gleichzeitig mindestens 5.000 Versicherte mit mindestens einer chronischen Erkrankung, darunter möglichst die Herzinsuffizienz, über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten telemedizinisch hinsichtlich mindestens einer chronischen Erkrankung betreut wurden. Die Versicherten sollten möglichst aus dem Bereich der GKV stammen. Das Referenzprojekt musste mit mindestens 20 Mitarbeitern in der telemedizinischen Betreuung durchgeführt worden sein (Ziffer VII.1.2 der Bekanntmachung in der Fassung der Berichtigung vom … unter Änderung von Ziffer III.1.3 der ursprünglichen Bekanntmachung).

Im Fall der Bildung einer Bewerbergemeinschaft konnten die diesbezüglichen Erklärungen gemeinsam erbracht werden, wobei die Erklärungen jeweils auf den Leistungsteil zu beziehen waren, den das jeweilige Mitglied der Bewerbergemeinschaft übernommen hat. Im Fall des Einsatzes von Nachunternehmern waren die Erklärungen für Nachunternehmer insoweit zu erbringen, wie sie auf die vom Nachunternehmer zu übernehmende Leistung anwendbar sind (Ziffer III.1.3 der Bekanntmachung). Die Verpflichtungserklärung des benannten Dritt-/Nachunternehmers gegenüber dem Bieter war spätestens vor Zuschlagserteilung einzureichen (Ziffer III.1.1 der Bekanntmachung).

Der Preis war nicht das einzige Zuschlagskriterium (Ziffer II.2.5. der Bekanntmachung). Daneben sollten auch qualitative Aspekte mit maximal 60 von 100 Punkten Berücksichtigung finden (Ziffer 10 der Teilnahmebedingungen). Zu den jeweils mit 0 bis 6 Punkten zu bewertenden Qualitätskriterien gehörte als Nummer 8 auch die persönliche Präsentation der Angebotsunterlagen. Nach den Bewertungskriterien waren dabei die in der Leistungsbeschreibung zu den jeweiligen Kriterien dargestellten Beschreibungen und Anforderungen zu berücksichtigen, weil die dort aufgeführten Anforderungen Aspekte hervorheben, die der Auftraggeberin besonders wichtig sind. Insgesamt handelte es sich um 19 unterschiedlich gewichtete Einzelkriterien. 0 Punkte erhielt ein Bieter, wenn Ausführungen zu dem jeweiligen Kriterium fehlen oder in wesentlichen Punkten unzureichend oder unvollständig sind, 2 Punkte, wenn einzelne Unklarheiten bestehen, jedoch verständliche und wertbare Ansätze vorhanden sind, 4 Punkte, wenn die Anforderung voll erfüllt werden, und 6 Punkte, wenn die Anforderungen in besonderem Maße erfüllt werden. Die danach zu vergebenden Punkte konnten sich dabei durch einen Vergleich mit anderen Anbietern ergeben (Anlage B4 der Vergabeunterlagen).

Nach Ziffer III.2. der Bekanntmachung, Bedingungen für den Auftrag, Unterpunkt 1. musste der Bewerber zum berechtigten Personenkreis nach § 140a Abs. 3 Nr. 6 SGB V gehören, also Hersteller von Medizinprodukten im Sinne des Gesetzes über Medizinprodukte sein. Dementsprechend wurde in den Teilnahmebedingungen, Anlage A0, die Erklärung, Medizinproduktehersteller i.S.d. § 140a Abs. 3 Nr. 6 SGB V und damit berechtigt zu sein, mit einer gesetzlichen Krankenkasse einen Vertrag über besondere Leistungen nach § 140a Abs. 4a SGB V zu schließen, vom Bieter gefordert.

Die Antragstellerin, die Bestandsbieterin, und die Beigeladene sowie die im Parallelverfahren antragstellende, drittplatzierte Bieterin I. reichten nach erfolgreichem Teilnahmeantrag und unverbindlichem Erstangebot jeweils fristgerecht ein verbindliches Angebot ein. Mit Schreiben vom 8. Januar 2021 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass beabsichtigt sei, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen; das Angebot der Antragstellerin sei nicht das wirtschaftlichste. Mit Schreiben vom 12. Januar 2021 rügte die Antragstellerin die beabsichtigte Zuschlagserteilung, das Angebot der Beigeladenen sei wegen fehlender Referenzen auszuschließen, diese könnten nicht im Wege der Eignungsleihe nachgewiesen werden. Bezüglich der Bewertung sei für sie nicht nachvollziehbar, weshalb sie nur bei den Kriterien 4 und 6.2. und nicht auch bei den Kriterien 1.5., 2.2., 2.3. und 2.4. die Höchstpunktzahl erhalten habe. Diese Rüge wies die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 14. Januar 2021 zurück. Die Eignungsleihe sei nicht in Abweichung von § 47 VgV ausgeschlossen worden, bei der Bewertung sei es ihr aus Gründen der Gleichbehandlung verwehrt, auf die Kenntnisse aufgrund der bisherigen guten Zusammenarbeit zurückzugreifen.

Die Antragstellerin beantragte am 18. Januar 2021 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer erteilte den rechtlichen Hinweis, der Referenznachweis im Wege der Eignungsleihe begegne keinen Bedenken, diese sei nicht ausgeschlossen worden; allerdings sei die Wertung problematisch, es sei nicht zulässig, in wettbewerbskonformer Weise erworbene Vorteile des bisherigen Leistungserbringers nicht zu berücksichtigen, auch müsse ein Angebot von Zusatzgeräten einen Niederschlag finden. Die Antragsgegnerin hat daraufhin das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotswertung zurückversetzt und das Vergabenachprüfungsverfahren für erledigt erklärt. Die Antragstellerin hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen, weil sie ihr Rechtsschutzziel erreicht habe.

Mit Schreiben vom 18. März 2021 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin erneut mit, dass beabsichtigt sei der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen. Zwar habe die Neubewertung zur Bewertung des Angebots der Antragstellerin auch bei den Kriterien 1.5. und 2.3. zu der Höchstpunktzahl geführt, hierdurch ändere sich jedoch die Wertungsreihenfolge nicht. Mit Schreiben vom 24. März 2021 rügte die Antragstellerin erneut die beabsichtigte Zuschlagserteilung. Weshalb die qualitätserhöhenden Umstände nicht auch bei den Kriterien 1.1., 2.4., 2.5., 6.1. und 8. zu einer Erhöhung geführt hätten, sei nicht nachvollziehbar. Zudem sei das Angebot der Beigeladenen wegen Einbindung eines Eignungsleihgebers, der auch nicht Medizinproduktehersteller sei, auszuschließen. Diese Rüge wies die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 30. März 2021 zurück, sie habe sich auf die von der Vergabekammer beanstandeten Kriterien beschränkt, eine Doppelbewertung der gleichen Punkte sei nicht erfolgt.

Die Antragstellerin beantragte daraufhin mit Anwaltsschriftsatz vom 12. April 2021 erneut die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens zu dessen Begründung sie ihr Rügevorbringen wiederholte und vertiefte. Die zu ihren Gunsten zu berücksichtigende qualitätserhöhende Aspekte müssten insgesamt berücksichtigt werden, stattdessen habe sich die Antragsgegnerin an ein vermeintliches Doppelverwertungsverbot gebunden gefühlt. Zudem müssten die qualitätserhöhenden Aspekte auch im Vergleich zu den Mitbietern berücksichtigt werden. Zudem sei das Angebot der Beigeladene wegen Einbindung eines Dritten, der nicht Medizinproduktehersteller sei, auszuschließen, zumal auch bereits die Eignungsleihe ausgeschlossen sei.

Nach Vorlage der in dem von der drittplatzierten Bieterin eingeleiteten parallelen Nachprüfungsverfahren von der Vergabekammer angeordneten Neudokumentation (Anlagenkonvolut BG 1) der Angebotsbewertung hat die Antragstellerin ihre Beanstandung der Bewertung auf das Kriterium 2.1. erweitert.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. die Antragsgegnerin anzuweisen, das Vergabeverfahren erneut in den Stand vor Beginn der Angebotsauswertung zurückzuversetzen und die Zuschlagsentscheidung unter ermessensfehlerfreier Verwendung der zuvor bekannt gemachten Zuschlagskriterien und unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut zu treffen;

2. ihr Akteneinsicht zu gewähren;

3. die Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten für notwendig zu erklären.

4. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich ihrer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin und die mit Beschluss vom 14. April 2021 hinzugezogene Beigeladene haben beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;

2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich ihrer zur zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen aufzuerlegen;

3. festzustellen, dass die Hinzuziehung anwaltlicher Verfahrensbevollmächtigter durch sie notwendig war.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben vorgetragen, die Antragstellerin sei mit dem vermeintlichen Verstoß gegen § 140a SGB V bereits wegen Erklärung des ersten Nachprüfungsverfahrens für erledigt ausgeschlossen, wegen der Unzulässigkeit der Eignungsleihe sei sie präkludiert. Die Bewertung halte sich im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums und weise keine Beurteilungsfehler auf.

Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 6. Oktober 2021 den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Zwar sei dieser insgesamt zulässig, da mit der Rückversetzung des Vergabeverfahrens und erneuter Zuschlagsentscheidung sich auch die Wertung der Beigeladenen als geeignet aktualisiert habe. Bei einem übereinstimmend für erledigt erklärten Nachprüfungsverfahren fehle es auch an einer erneuten Befassung entgegenstehenden bestandskräftigen Entscheidung der Vergabekammer. Der Antrag sei jedoch unbegründet. Die Eignungsleihe sei in § 47 VgV ausdrücklich vorgesehen. Soweit § 69 Abs. 4 Satz 3 SGB V Abweichungen gestatte, fehle es am erforderlichen Ausschluss der Eignungsleihe. Im Gegenteil spreche die Zulassung der vollständigen Leistungserbringung durch Nachunternehmer in Ziffer 6 der Teilnahmebedingungen für die Zulässigkeit auch der Eignungsleihe. Dem stehe auch nicht § 140a Abs. 4a SGB V entgegen, der Gesetzgeber habe die Eignungsleihe auch im Rahmen dieser Sonderregelung gerade nicht ausgeschlossen. Letztendlich stehe einem Ausschluss aber bereits der mit der Zulassung zum Verhandlungsverfahren begründete Vertrauenstatbestand entgegen. Die Bewertung des Angebots lasse keine Fehler erkennen, nicht jede Übererfüllung müsse zu einer Bewertung mit mehr als vier Punkten führen. Dabei sei es auch sachgerecht, Mehrleistungen schwerpunktmäßig einzelnen Wertungskriterien zuzuordnen.

Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Die Wertung des Angebots der Beigeladenen sei mit § 140a Abs. 4a SGB V unvereinbar. Der Gesetzgeber habe diese Vertragsart nur für eine bestimmte Gruppe von Vertragspartnern zugelassen, wesentliche Leistungen würden aber von der Eignungsleihgeberin erbracht, die kein Medizinproduktehersteller sei. Ein gleichwohl geschlossener Vertrag sei unwirksam, weshalb ein auf ein solches Angebot erteilter Zuschlag gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstieße. Es liefe auch dem Gleichheitsgrundsatz zuwider, einen Bieter zu bezuschlagen, der die sozialrechtlichen Vorgaben nicht einhalte. Auch gehe es nicht an, zumindest eine Unsicherheit in Bezug auf die Eignungsleihe zu schaffen. Da eine Unvereinbarkeit der Angebotskonstruktion Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit des Angebots habe, könne einem Ausschluss auch kein mit der Zulassung zum Verhandlungsverfahren begründeter Vertrauenstatbestand entgegengehalten werden. Hinsichtlich der Bewertung ihres Angebots fehle es an einer Berücksichtigung der qualitätserhöhenden Aspekte ihres Angebots bei der Bewertung aller Angebote. Zudem habe sich die Antragsgegnerin aufgrund eines zu Unrecht angenommenen Doppelbewertungsverbots an der Berücksichtigung der qualitätserhöhenden Aspekte ihres Angebots in mehreren Qualitätskriterien gehindert gesehen. Eine Schwerpunktbildung hätte in der Angebotsdokumentation deutlicher zum Ausdruck kommen müssen. Im Einzelnen sei nicht ersichtlich, dass die Erfahrungen ihres Akquise-Personals beim Kriterium 1.1. Berücksichtigung gefunden hätten. Es sei verfehlt, dass ihre seit 20 Jahren erfolgreiche zusätzliche Methodik der Akquisition der Versicherten bei 2.1. als Schwäche gewertet worden sei. Die von ihr zur Verfügung gestellten Zusatzgeräte müssten auch bei den Kriterium 2.4. und 6.1. zur Höchstpunktzahl führen, die langjährige Erprobung ihrer Mitarbeiter auch beim Kriterium 2.5. Es erschließe sich auch nicht, weshalb ihre überzeugende, auch die Zusatzgeräte ausführlich vorstellende Präsentation nicht höher bewertet worden sei.

Die Antragstellerin beantragt,

1. den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 6. Oktober 2021 – Aktenzeichen: VK 2 – 45/21 – aufzuheben;

2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Angebotswertung zu wiederholen und die Zuschlagsentscheidung unter ermessensfehlerfreier Verwendung der zuvor bekannt gemachten Zuschlagskriterien und unter Beachtung der Rechtsauffassung des angerufenen Gerichts erneut zu treffen;

3. hilfsweise, die 2. Vergabekammer des Bundes zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des angerufenen Gerichts über Sache neu zu entscheiden;

4. die Heranziehung ihrer Prozessbevollmächtigten für notwendig zu erklären;

5. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens vor der 2. Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der Antragstellerin sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,

die sofortige Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin, die zusätzlich eine Auferlegung der Kosten des Eilverfahrens gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB beantragt, und die Beigeladene verteidigen die Entscheidung der Vergabekammer. Die Antragsgegnerin trägt vor, die in § 47 VgV vorgesehene Möglichkeit der Eignungsleihe sei nicht ausgeschlossen worden, von der in § 69 Abs. 4 Satz 3 SGB V vorgesehenen Abweichungsbefugnis habe sie gerade keinen Gebrauch gemacht, wie sich auch aus dem internen Vergabevermerk ergebe. Einer Bezuschlagung des Angebots der Beigeladenen stehe § 140a Abs. 4a SGB V schon deswegen nicht entgegen, weil die Beigeladene als ihre vorgesehene Vertragspartnerin Medizinprodukteherstellerin sei. Im Übrigen stehe einem Ausschluss wegen mangelnder Eignung bereits der durch die Zulassung zum Verhandlungsverfahren begründete Vertrauenstatbestand entgegen. Auch ihre Bewertung der Angebote sei vergaberechtskonform. Die Hinweise der Vergabekammer seien selbstverständlich bei der zwischenzeitlichen Neubewertung unterschiedslos angewandt worden. Dabei habe sie sich auch keineswegs von einem imaginären Doppelverwertungsverbot leiten lassen, sondern bestimmte Faktoren schwerpunktmäßig einzelnen Wertungskriterien zugeordnet und dort maßgeblich einfließen lassen.

Die Beigeladene trägt ergänzend vor, die Bestimmung des § 140a Abs. 4a SGB V ziele allein auf den Vertragspartner, dessen “Helfer” müssten selbst nicht Medizinproduktehersteller sein. In Anbetracht des Regel-Ausnahme-Verhältnisses sei die Eignungsleihe auch im Anwendungsbereich des § 140a SGB V immer zulässig, wenn sie nicht explizit ausgeschlossen sei. Letztendlich sei wegen der voreiligen Erledigungserklärung des ersten Nachprüfungsverfahrens insoweit aber ohnehin materieller “Klageverbrauch” eingetreten. Bei einer “Zweitklage“, die nicht auf neue Tatsachen gestützt werde, könne der Einwand der erledigten Sache entgegengehalten werden.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zu Recht zurückgewiesen.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingereicht. Die erforderliche Beschwer der Antragstellerin ist nach § 171 Abs. 1 Satz 2 GWB gegeben, weil sie am Verfahren vor der Vergabekammer beteiligt war und die Vergabekammer ihren Nachprüfungsantrag teils verworfen und teils zurückgewiesen hat.

2. In der Sache hat die Beschwerde der Antragstellerin jedoch keinen Erfolg, der Nachprüfungsantrag ist insgesamt zulässig, aber unbegründet.

a) Der Nachprüfungsantrag ist auch insoweit zulässig, als die Antragstellerin die Eignungsleihe als vergabe- und sozialrechtswidrig beanstandet. Die Erklärung des ersten Vergabeverfahrens für erledigt, hindert die erneute Geltendmachung der Rüge in prozessualer Hinsicht nicht.

Der Kostenbeschluss im ersten Nachprüfungsverfahren entfaltet keine Rechtskraft hinsichtlich der Hauptsache, da nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien über diese gerade nicht entschieden worden ist (BGH, Urteil vom 28. November 1991, I ZR 297/89, GRUR 1992, 203, 205 – Roter mit Genever). Die Erledigterklärung hat lediglich die Rechtshängigkeit des Antrags beendet (BGH, Urteil vom 21. Januar 1999, I ZR 135/96, NJW 1999, 1337 – Datenbankabgleich). Einer erneuten Geltendmachung der mit für erledigt erklärten Beanstandung der Eignungsleihe als vergabe- und sozialrechtswidrig steht daher in prozessualer Hinsicht nichts entgegen. Eine eventuelle Treuwidrigkeit dieses antragstellerischen Verhaltens ist eine Frage der Begründetheit.

b) Soweit die Antragstellerin den Eignungsnachweis im Wege der Eignungsleihe als vergabe- und sozialrechtswidrig beanstandet, ist ihr Nachprüfungsantrag unbegründet. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, das Angebot der Beigeladenen nicht wegen fehlender Eignung gemäß § 57 Abs. 1 Halbsatz 1 VgV von der Wertung auszuschließen, verletzt die Antragstellerin nicht in ihrem Anspruch auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren aus § 97 Abs. 6 GWB.

aa) Es bestehen bereits erhebliche Bedenken, ob der erneuten Rüge der Unzulässigkeit der Eignungsleihe nicht der im Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB, wurzelnde Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegensteht. Die Antragstellerin hat das erste Nachprüfungsverfahrens insgesamt, also auch in Bezug auf die als vergaberechtswidrig beanstandete Eignungsleihe durch die Beigeladene, für erledigt erklärt, obwohl die Antragsgegnerin vor dem Hintergrund des rechtlichen Hinweises der Vergabekammer, die allein die Wertung für problematisch erachtet hatte, das Vergabeverfahren lediglich bis vor die Angebotswertung zurückversetzt hat.

Zwar begründet das prozessuale Fallenlassen von Ansprüchen im Allgemeinen noch kein schutzwürdiges Vertrauen in einen endgültigen Verzicht auf diese. So ist das Vertrauen des Gegners in die Klagerücknahme nach § 269 Abs. 6 ZPO allein im Hinblick auf seinen Kostenerstattungsanspruch gestützt. Für den Fall des Entfallens der Rechtshängigkeit durch Erledigterklärung gilt zivilprozessual nichts anderes. Durch die Erklärung eines Anspruchs für erledigt, wird der Kläger nicht gehindert, diesen erneut gerichtlich geltend zu machen oder im Wege der Klageerweiterung wieder in das Verfahren einzuführen (vgl. zur Wiedereinführung eines für erledigt erklärten Auskunftsantrags im Wege der Klageerweiterung: BGH, Urteil vom 21. Januar 1999, I ZR 135/96, NJW 1999, 1337 – Datenbankabgleich).

Das im besonderen Maße dem Beschleunigungsgrundsatz unterliegende Vergabeverfahren begründet jedoch ein vorvertragliches Schuldverhältnis, das die Beteiligten zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet (Senatsbeschluss vom 28. Juni 2017, VII-Verg 2/17, NZBau 2018, 54 Rn. 19), woraus etwa die Pflicht des Bieters resultiert, das seinige zur zeitnahen Klärung von Zweifelsfragen beizutragen (Senatsbeschluss vom 31. Januar 2018, Verg 41/16, ZfBR 2019, 820, 825/826).

Vor diesem Hintergrund hätte die Antragstellerin, wenn sie ihre Beanstandung hinsichtlich der als unzulässig gerügten Eignungsleihe hätte aufrecht erhalten wollen, das Nachprüfungsverfahren nur teilweise für erledigt erklären und im Übrigen fortführen müssen, um diesen strittigen Punkt einer raschen Klärung durch die Vergabekammer zuzuführen. Es erscheint mit dem Beschleunigungsgrundsatz nicht vereinbar, wenn dem Bieter in einem solchen Fall gestattet wird, das Ergebnis der neuen Wertung abzuwarten und dann, wenn es nicht zu dem erhofften Ergebnis führt, erneut die mangelnde Eignung des Zuschlagsprätendenten ins Feld zu führen. Da die Antragstellerin das Nachprüfungsverfahren insgesamt für erledigt erklärt hat, weil sie erklärtermaßen mit der erneuten Angebotswertung ihr Rechtsschutzziel erreicht hat, spricht zudem viel für die Begründung eines schützenswerten Vertrauenstatbestands zu Gunsten der Antragsgegnerin dergestalt, dass die Antragstellerin die nach Einschätzung der Vergabekammer für unbegründet gehaltene Beanstandung bezüglich der Eignungsleihe endgültig fallen gelassen hat. Dies kann vorliegend letztendlich aber alles dahinstehen, da der Nachprüfungsantrag ohnehin unbegründet ist.

bb) Die Antragstellerin war nicht aus einem anderen Grund nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert, die fehlende Eignung der Beigeladenen geltend zu machen. Zwar hat die Antragsgegnerin die Beigeladene nach vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zum Verhandlungsverfahren zugelassen und zur Angebotsabgabe aufgefordert. Hierdurch ist aber kein Vertrauenstatbestand zugunsten der Beigeladenen dahingehend begründet worden, dass ihre Eignung (abschließend) bejaht worden ist und nachträglich nicht anders beurteilt wird.

Im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb prüft der öffentliche Auftraggeber zwar gemäß §§ 42 Abs. 1 Satz 1 und 52 Abs. 1 i.V.m. § 51 VgV die Eignung der am vorgeschalteten Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen grundsätzlich, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Dadurch wird mit der positiven Eignungsprüfung – anders als im offenen Verfahren – ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen begründet, dass sie nicht damit rechnen müssen, der ihnen durch die Erstellung der Angebote und Teilnahme am Wettbewerb entstandene Aufwand könnte dadurch nachträglich nutzlos werden, dass der Auftraggeber ihre Eignung auf gleichbleibender tatsächlicher Grundlage später nochmals abweichend beurteilt (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 33 – Stadtbahnprogramm Gera). Dass dieser Vertrauenstatbestand im Interesse einer fairen Risikoabgrenzung zwischen öffentlichem Auftraggeber und Bieterunternehmen einer späteren Verneinung der Eignung auf gleichbleibender Tatsachengrundlage entgegensteht, ist ein letztlich in § 242 BGB wurzelnder Grundsatz, der allgemein gilt und nicht auf Bauvergabeverfahren beschränkt ist. In den Letzteren hat er mit § 16 b Abs. 3 VOB/A EU lediglich eine ausdrückliche Regelung erfahren. Mitbieter im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb haben danach einen Vergaberechtsverstoß, der in der fehlerhaften Bejahung der Eignung eines Unternehmens am Ende des Teilnahmewettbewerbs liegt, ab der Begründung des Vertrauenstatbestands hinzunehmen (Senatsbeschluss vom 29. März 2021, VII-Verg 9/21, NZBau 2021, 632 Rn. 24 m. w. Nw.).

Ein solcher Vertrauenstatbestand kann jedoch nur dann begründet werden, wenn der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Bewerber abschließend bejaht hat, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Hieran fehlt es folglich, wenn der Bieter – so wie hier – bis zum Abschluss des Teilnahmewettbewerbs nicht alle zur abschließenden Prüfung seiner Eignung erforderlichen Unterlagen eingereicht hat. Wer weiß, dass dem öffentlichen Auftraggeber im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung zum Verhandlungsverfahren die Grundlage für eine abschließende Prüfung seiner Eignung fehlte, kann legitimerweise kein Vertrauen in die Beurteilung seiner Eignung haben.

Zu den im Rahmen der Eignungsprüfung vorzulegenden Unterlagen gehört bei Inanspruchnahme einer Eignungsleihe eine ordnungsgemäße Verpflichtungserklärung des Eignungsleihgebers. Ein Bieter, der sich im Rahmen der Eignungsprüfung auf die Kapazitäten anderer Unternehmen beruft, hat nachzuweisen, dass er tatsächlich Zugriff auf deren Mittel hat, weshalb in zweistufigen Vergabeverfahren das eignungsvermittelnde Unternehmen bereits innerhalb des Teilnahmewettbewerbs benannt und auch dessen Verfügbarkeit nachgewiesen werden muss (Opitz in Burghi/Dreher Beck`scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 122 GWB Rn. 39, 43). Der Systematik des § 47 VgV nach muss der Nachweis erbracht sein, wenn der öffentliche Auftraggeber nach Abs. 2 im Rahmen der Eignungsprüfung überprüft, ob die entsprechenden Drittunternehmen selbst die Eignungskriterien erfüllen und ob sie Ausschlussgründe aufweisen; denn vorgelagert ist nach § 47 Abs. 1 VgV die Prüfung der Eignung des Bieters selbst, der sich im Wege der Eignungsleihe auf Dritte bezieht (Tomerius in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 47 VgV Rn. 6).

Vorliegend hat die Beigeladene die Verpflichtungserklärung ihrer Eignungsleihgeberin erst im Rahmen des Verhandlungsverfahrens mit ihrem Angebot vorgelegt. Dies war zwar vergabekonform. Soweit nach § 42 Abs. 2 VgV bei Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nur solche Bewerber zur Abgabe eines Angebots aufzufordern sind, die ihre Eignung – vollständig – nachgewiesen haben, kann hiervon nach § 69 Abs. 4 Satz 3 SGB V bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach 140a SGB V abgewichen werden, was vorliegend geschehen ist. Nach Ziffer III.1.1.b) der Auftragsbekanntmachung war die Verpflichtungserklärung des benannten Dritt-/Nachunternehmers gegenüber dem Bieter spätestens vor Zuschlagserteilung einzureichen, wobei Drittunternehmer auch der Eignungsleihgeber ist. Kehrseite der folglich zulässigen und von der Beigeladenen genutzten Möglichkeit der Vorlage erst nach Zulassung zum Verhandlungsverfahrens ist aber, dass der öffentliche Auftraggeber die Eignung ersichtlich nicht abschließend prüfen und dementsprechend auch kein Vertrauen in das Ergebnis dieser Prüfung begründet werden kann.

cc) Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Beigeladenen zu Recht nicht mangels Eignung der Beigeladenen von der Wertung ausgeschlossen. Sie durfte sich zulässigerweise der Eignungsleihe bedienen. Den Vergabeunterlagen ist weder ein Ausschluss der nach § 47 Abs. 1 VgV grundsätzlich zusätzlichen Eignungsleihe noch ein Selbstausführungsgebot im Sinne des § 47 Abs. 5 VgV zu entnehmen.

(1) Vergabeunterlagen müssen klar und verständlich sein. Aus den Vergabeunterlagen muss für Bieter eindeutig und unmissverständlich hervorgehen, was von ihnen verlangt wird (BGH, Urteil vom 15. Januar 2013, X ZR 155/10, NZBau 2013, 319 Rn. 7 – Parkhaus; BGH, Urteil vom 3. April 2012, X ZR 130/10, NZBau 2012, 513 Rn. 9 – Straßenausbau). Die Vergabestellen trifft die Pflicht, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und Widersprüchlichkeiten zu vermeiden (BGH, Urteil vom 3. April 2012, X ZR 130/10, NZBau 2012, 513 Rn. 9 – Straßenausbau). Für die Leistungsbeschreibung ergibt sich dies ausdrücklich aus §§ 121 Abs. 1 Satz 1 GWB, 31 Abs. 1 VgV, wonach der Leistungsgegenstand so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben ist, so dass die Beschreibung für alle Unternehmen im gleichen Sinne verständlich ist und die Angebote miteinander verglichen werden können (Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2017, VII-Verg 19/17, NZBau 2018, 242 Rn. 37 – LKW-Mautsystem III). Infolge der übergeordneten Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung aus § 97 Abs. 1, Abs. 2 GWB, die durch §§ 121 Abs. 1 Satz 1 GWB, 31 Abs. 1 VgV für einen Teilbereich nur näher ausgeformt werden, gelten die für die Leistungsbeschreibung formulierten Anforderungen für andere Teile der Vergabeunterlagen entsprechend (Senatsbeschluss vom 28. März 2018, VII-Verg 52/17, NZBau 2018, 563 Rn. 31).

Die Frage, welcher Erklärungswert den maßgeblichen Teilen der Vergabeunterlagen zukommt, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 – Stadtbahnprogramm Gera; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 18. Juli 2017, 11 Verg 7/17, BeckRS 2017, 121590 Rn. 59). Dabei ist im Rahmen einer normativen Auslegung auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter bzw. Bewerber, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 – Stadtbahnprogramm Gera). Es kommt nicht darauf an, wie die Antragstellerin als einzelne Bewerberin die Unterlagen verstanden hat, sondern wie der durchschnittliche Bewerber des angesprochenen Bewerberkreises sie verstehen musste oder konnte. Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (Senatsbeschlüsse vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 Rn. 40 – BSI, sowie vom 5 November 2014, VII-Verg 21/14, BeckRS 2015, 11625; Lampert in Burgi/Dreher, Beck`scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, Teil 4, GWB § 121 Rn. 77). Wie Mitbieter oder -bewerber die Vergabeunterlagen verstanden haben, kann für die normativ zu bestimmende Verständnismöglichkeit des durchschnittlichen Bieters beziehungsweise Bewerbers von indizieller Bedeutung sein (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2008, X ZR 78/07, NZBau 2008, 592 Rn. 15 – BAB-Leiteinrichtungen; Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2017, VII-Verg 19/17, NZBau 2018, 242 Rn. 37 – LKW-Mautsystem III; Lampert in Burgi/ Dreher, a. a. O.). Auf Abweichungen vom Üblichen ist hinzuweisen, da ein Bieter Ungewöhnliches grundsätzlich nicht erwarten muss (Lampert in Burgi/Dreher, Beck`scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, Teil 4, GWB § 121 Rn. 77).

(2) Bei Anwendung dieser Grundsätze konnte den Vergabeunterlagen ein Ausschluss der Eignungsleihe nicht entnommen werden. Die Zulässigkeit der Eignungsleihe und ihr Ausschluss stehen in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis, um das der durchschnittliche Bieter weiß.

Nach § 47 Abs. 1 VgV kann ein Bewerber oder Bieter für einen bestimmten öffentlichen Auftrag im Hinblick auf die erforderliche wirtschaftliche und finanzielle sowie die technische und berufliche Leistungsfähigkeit die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch nehmen, wenn er nachweist, dass ihm die für den Auftrag erforderlichen Mittel tatsächlich zur Verfügung stehen werden, indem er beispielsweise eine entsprechende Verpflichtungserklärung dieser Unternehmen vorlegt.

Zwar gestattet § 69 Abs. 4 Satz 3 SGB V bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach 140a SGB V den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 der Vergabeverordnung, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, abzuweichen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass § 47 Abs. 1 VgV der Umsetzung von Art. 63 Abs. 1 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU dient, weshalb das Recht eines Wirtschaftsteilnehmers, in Bezug auf die Kriterien für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit für einen bestimmten Auftrag die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch zu nehmen, nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände eingeschränkt werden kann (EuGH, Urteil vom 7. April 2016, C-324/14, NZBau 2016, 373 Rn. 39 – Partner Apelski Dariusz/Zarzd Oczyszczania Miasta). Auch im Bereich der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach § 140a SGB V stellt der Ausschluss der Eignungsleihe folglich einen zu begründenden Ausnahmefall dar.

Vor diesem Hintergrund wird der durchschnittliche Bieter von einem Ausschluss der üblicherweise zulässigen Eignungsleihe nur dann ausgehen, wenn dies klar und unmissverständlich so in den Vergabeunterlagen erklärt beziehungsweise eine Selbstausführung vorgeschrieben wird. Schweigen die Vergabeunterlagen zur Eignungsleihe, so ist diese zulässig, da nicht auf das Übliche – ihre Zulässigkeit -, sondern auf das Ungewöhnliche – ihren Ausschluss – hingewiesen werden muss. Allein die Tatsache, dass in den Vergabeunterlagen von “der Bieter” die Rede ist, erlaubt keinen Rückschluss auf einen Ausschluss der Eignungsleihe. Für die Eignungsleihe gilt nichts anderes. Es fehlte auch nicht an einem Hinweis auf den nach § 47 Abs. 1 Satz 1 VgV erforderlichen Nachweis. Nach Ziffer III.1.1. der Auftragsbekanntmachung war eine Verpflichtungserklärung des benannten Dritt-/Nachunternehmers gegenüber dem Bieter spätestens vor Zuschlagserteilung einzureichen; der Eignungsleihgeber ist ein solcher Drittunternehmer. Der Umstand, dass das Formblatt die Passage zur Verpflichtungserklärung des Eignungsleihers nicht enthielt, ändert daran schon deswegen nichts, weil diese erst zu einem späteren Zeitpunkt einzureichen war.

Dieses aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis, vor dessen Hintergrund nicht die Zulässigkeit, sondern der Ausschluss der Eignungsleihe einer unmissverständlichen Erklärung bedarf, resultierende Bieterverständnis korrespondierte im Übrigen mit der uneingeschränkten Zulässigkeit eines Nachunternehmereinsatzes, worauf die Vergabekammer zu Recht hingewiesen hat. Zwar muss der Eignungsleihgeber nach § 47 VgV nicht zwangsläufig ein Nachunternehmer nach § 36 VgV sein, auch wenn sie in der Praxis vielfach identisch sind (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Juni 2010, VII-Verg 13/10, NZBau 2011, 54, 55). Die Überlegungen, die zu einem Ausschluss der Eignungsleihe führen können, sind aber durchaus auf den Nachunternehmereinsatz zu übertragen. Sind die auszuführenden Aufgaben derart kritisch, dass die Anordnung einer Selbstausführung durch den Bieter i.S.d. § 47 Abs. 5 VgV veranlasst ist, würde die Zulassung eines Nachunternehmereinsatzes – jedenfalls bezüglich wesentlicher Teile des Auftrags – die mit dem Ausschluss einer Eignungsleihe verfolgte Zielsetzung faktisch konterkarieren.

dd) Auch der Umstand, dass die Eignungsleihgeberin der Beigeladenen nicht ebenfalls Herstellerin von Medizinprodukten im Sinne der Verordnung (EU) 2017/745 ist, berührt die Eignung der Beigeladenen nicht. Es fehlt bereits an der Festlegung eines entsprechenden Eignungskriteriums.

Die Antragsgegnerin hat die Anforderung, dass der Bewerber zum berechtigten Personenkreis nach § 140a Abs. 3 Nr. 6 SGB V gehören, also Hersteller von Medizinprodukten im Sinne des Gesetzes über Medizinprodukte sein muss, in der Auftragsbekanntmachung unter Ziffer III.2., Bedingungen für den Auftrag, und nicht als Eignungsanforderung im Sinne des § 122 GWB formuliert. Dementsprechend hat sie in Teilnahmebedingungen, Anlage A0, die Erklärung, Medizinproduktehersteller i.S.d. § 140a Abs. 3 Nr. 6 SGB V und damit berechtigt zu sein, mit einer gesetzlichen Krankenkasse einen Vertrag über besondere Leistungen nach § 140a Abs. 4a SGB V zu schließen, nur vom Bieter selbst gefordert. Dem ist die Beigeladene nachgekommen, die auch unstreitig tatsächlich Herstellerin von Medizinprodukten ist.

Eine auf das Fehlen dieser Eigenschaft bei der Eignungsleihgeberin gestützte Verneinung der Eignung scheitert folglich bereits am Fehlen einer entsprechenden Eignungsanforderung. Nach § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB sind Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen, wobei sie für den verständigen Bieter auch als Eignungskriterium erkennbar sein müssen, der vorliegend die Anführung unter Ziffer III.2., Bedingungen für den Auftrag, entgegenstand.

Zudem hätte die sozialrechtliche Vertragsbeschränkung in § 140a Abs. 3 Nr. 6, Abs. 4a SGB V gar nicht als Eignungskriterium formuliert werden können. Wie sich aus dem Wortlaut des § 122 Abs. 2 Satz 2 GWB, § 42 Abs. 1 VgV ergibt, darf es sich bei den vom öffentlichen Auftraggeber herangezogenen Eignungskriterien ausschließlich um die in § 122 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 3 GWB genannten Kriterien handeln, die in §§ 42 ff. VgV weiter konkretisiert werden. Die Kriterien sind abschließend, für ungeschriebene Eignungskriterien, deren Verneinung zum Ausschluss des Bieters führen könnte, ist neben den normierten Ausschlusstatbeständen der §§ 123, 124 GWB kein Raum (Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB, § 122 Rn. 21 f.; Hausmann/von Hoff in Röwekamp/ Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 122 Rn. 16). Das gilt auch für das vom Senat in früherer Rechtsprechung als von Bieterunternehmen zu erfüllen geforderte Eignungsmerkmal der “rechtlichen Leistungsfähigkeit” (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 1. Dezember 2015, VII-Verg 20/15, BeckRS 2016, 2948 Rn. 23), für das nach der heutigen Gesetzessystematik über die gesetzlich geregelten Einzelaspekte hinaus kein Anwendungsbereich verbleibt (Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2020, VII-Verg 36/19, NZBau 2020, 732 Rn. 45).

Im Übrigen steht das Fehlen der Medizinprodukteherstellereigenschaft bei der Eignungsleihgeberin dem Vertragsschluss mit der Beigeladenen und dessen Wirksamkeit ohnehin nicht entgegen. § 140a Abs. 3 Satz 1 Nr. 6, Abs. 4a Satz 1 SGB V normiert lediglich eine Anforderung an den Vertragspartner der Antragsgegnerin, dieser muss Hersteller von Medizinprodukten im Sinne der Verordnung (EU) 2017/745 sein.

Dass auch vom Vertragspartner eingebundene Dritte, wie Eignungsleihgeber und/oder Nachunternehmer Hersteller von Medizinprodukten seien müssen, wenn sie wesentliche Teile des Auftrags ausführen sollen, ist weder der Norm selbst noch der Gesetzesbegründung zu entnehmen. Die Norm stellt allein auf den Vertragsschluss und damit auf die Person des Vertragspartners ab. Auch der Begründung des Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation vom 9. Dezember 2019, durch dessen Art. 1 Nr. 24 in § 140a SGB V der Absatz 4a eingefügt worden ist, liefert keinen Anhalt dafür, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers auch alle in die Vertragsdurchführung involvierten Unternehmen Medizinproduktehersteller sein sollten. Die Regelung nach Abs. 4a Satz 1 zielt primär auf die Schaffung eines Anreizes zur Entwicklung innovativer Angebote und der Nutzung telemedizinischer Dienstleistungen, wobei vertraglich sichergestellt werden soll, dass die diagnostische Feststellung unter ärztlicher Einbindung erfolgt (BT-Drs. 19/13438, S. 61). Mit der Vorgabe, dass der Vertragspartner Medizinproduktehersteller zu sein hat, befasst sich die Begründung nur insoweit, als es sich bei den digitalen Versorgungsprodukten aufgrund des Verweises auf die Regelung des § 140 Absatz 3 Satz 1 Nummer 6 um Medizinprodukte handelt, wobei aber eine inhaltliche Beschränkung auf Medizinprodukte, die zugleich digitale Gesundheitsanwendungen nach § 33a sind, wird nicht vorgenommen wird (BT-Drs. 19/13438, S. 61). Dem kann eine besondere Bedeutung der Eigenschaft als Medizinproduktehersteller für alle Aspekte der Vertragsdurchführung nicht entnommen werden.

c) Die Bewertung des Angebots der Antragstellerin ist nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, die Wertungsentscheidung vergaberechtsfehlerfrei durchgeführt und ihre Entscheidung nunmehr auch transparent begründet.

Gemäß § 127 Abs. 1 GWB wird der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt, wobei Grundlage eine Bewertung des öffentlichen Auftraggebers ist, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt.

aa) Der öffentliche Auftraggeber hat die Bewertung selbst vorzunehmen; die Wertungsentscheidung ist nicht delegierbar, die an ihr beteiligten Personen müssen Vertreter des öffentlichen Auftraggebers sein (Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 6/19, NZBau 2020, 318 Rn. 44). Diese haben zu prüfen, inwieweit die Angebote die in der Bewertungsmatrix aufgestellte Anforderung erfüllen (Senat, a. a. O. Rn. 48). Welche Anforderungen die Bewertungsmatrix aufstellt, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 – Stadtbahnprogramm Gera; Senatsbeschluss vom 18. September 2019, VII-Verg 10/19; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 18. Juli 2017, 11 Verg 7/17, BeckRS 2017, 121590 Rn. 59). Dabei ist im Rahmen einer normativen Auslegung auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 – Stadtbahnprogramm Gera). Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe erforderliche Fachwissen verfügt (Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2017, VII-Verg 19/17, NZBau 2018, 242 Rn. 41 – Lkw-Mautsystem III; Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 6/19, NZBau 2020, 318 Rn. 49).

Bei der Bewertung kommt dem öffentlichen Auftraggeber systemimmanent ein Beurteilungsspielraum zu (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 53 – Postdienstleistungen; Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 6/19, NZBau 2020, 318 Rn. 46). Es handelt sich um eine individuelle Wertungsentscheidung (Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 6/19, NZBau 2020, 318 Rn. 46), die naturgemäß immer eine subjektive Note hat, da sie auf dem Hintergrund und auf der Erfahrung der betreffenden Persönlichkeit beruht (OLG München, Beschluss vom 25. September 2014, Verg 9/14, ZfBR 2015, 195, 198).

Diese muss allerdings in sich und in Relation zu den übrigen Angebotennachvollziehbar sein. Es muss klar sein, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Bewertung eingegangen sind. Der Auftraggeber ist daher verpflichtet, die Gründe für seine Auswahlentscheidung eingehend zu dokumentieren (§ 8 Abs. 1 Satz 2 VgV). Die Bewertungsentscheidungen ist daraufhin überprüfbar, ob die jeweilige Bewertung im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 53 – Postdienstleistungen). Es muss nachvollziehbar sein, weshalb ein Mitbewerber besser bewertet wurde (OLG Düsseldorf, 2. Kartellsenat, Beschluss vom 13. Juni 2018, 2 U 7/16, BeckRS 2018, 15885 Rn. 104); die Wertungen müssen im Quervergleich mit den besser bewerteten Angeboten stimmig sein (Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 6/19, NZBau 2020, 318 Rn. 44), insbesondere demjenigen des Zuschlagsprätendenten (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 53 – Postdienstleistungen). Dabei dürfen aber im Interesse der Handhabbarkeit keine allzu hohen Anforderungen an die Bewertungsbegründung gestellt werden, eine Nachvollziehbarkeit genügt.

bb) Diesen Anforderungen wird die im Nachgang zum Hinweis der Vergabekammer im ersten Nachprüfungsverfahren überarbeitete und in Umsetzung der Entscheidung der Vergabekammer im Parallelverfahren der drittplatzierten Bieterin neu dokumentierte als Anlagenkonvolut BG 2 vorgelegte Bewertung durch ein Bewertungsteam aus drei Mitarbeiterinnen der Antragsgegnerin gerecht.

Die Bewertungsmatrix sieht eine Bewertung anhand der in der Leistungsbeschreibung zu den jeweiligen Kriterien formulierten Anforderungen vor, wobei ein diese voll erfüllendes Angebot mit 4 Punkten zu bewerten ist. Die Höchstpunktzahl von 6 Punkten ist hingegen Angeboten vorbehalten, die hierüberhinaus die Anforderungen in besonderem Maße erfüllen. Dabei können sich die vergebenen Punkte auch im Vergleich mit den anderen Anbietern ergeben. Jedem Kriterium ist über einen Prozentwert ein bestimmtes Gewicht zugewiesen. Die Prozentangaben addieren sich zu 60 Prozent, entsprechend 60 Punkten. Die verbleibenden 40 Prozent entfallen auf den Preis, wobei der Bieter mit dem niedrigsten Preis die vollen 40 Punkte enthält und die anderen Bieter im Verhältnis ihres Preises zu diesem entsprechend weniger (sogenannte “einfachen linearen Methode“, vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 53 – Postdienstleistungen).

Dabei muss nicht jedes “Mehr” gegenüber den in der Leistungsbeschreibung formulierten Anforderungen notwendiger Weise zu einer Bewertung mit der Höchstpunktzahl von 6 Punkten führen. Die Antragsgegnerin kann die Höchstpunktzahl erheblichen, das Angebot im jeweiligen Kriterium deutlich über das geforderte Maß hinaushebenden zusätzlichen Leistungen vorbehalten, wenn sie diesen strengen Maßstab gegenüber allen Bietern gleichermaßen walten lässt.

Vorliegend hat die Antragsgegnerin bei ihrer Bewertungspraxis einen solchen strengen Maßstab angewandt.

Die Antragsgegnerin war bei der Vergabe der Höchstpunktzahl durchgehend sehr zurückhaltend und hat diese bei – einschließlich der Präsentation – 19 Kriterien und damit bei drei Bietern 57 Einzelbewertungen gerade einmal acht Mal vergeben. Dabei lag allen Vergaben von 6 Punkten jeweils eine erhebliche Mehrleistung zugrunde.

Im Rahmen einer solchen strengen Bewertungspraxis ist es auch sachgerecht, Mehrleistungen, denen Bedeutung für verschiedene Kriterien zukommt, allein bei dem Kriterium zu berücksichtigen, für das sie die größte Bedeutung haben. Ausgehend hiervon ist die Bewertung des Angebots der Antragstellerin nicht zu beanstanden.

(1) So ist einsichtig, dass Zusatzleistungen wie die von der Antragstellerin über das in der Leistungsbeschreibung geforderte Geräteausstattung hinaus angebotene telemedizinisches Blutdruckmessgerät und das telemedizinisches Pulsoximeter allein im Kriterium 2.3, Telemonitoring, zu berücksichtigen, wo diese Geräte zur Erreichung der der Höchstpunktzahl geführt haben. Bei einer Berücksichtigung auch bei den Kriterien 2.4., Interventionsfall, und 6.1., Telemetriegeräte, würden zwei zusätzliche Geräte im Vergleich zu den Mitbietern vor dem Hintergrund der dann zu kumulierenden Leistungsanforderungen der drei Kriterien jedenfalls bei Anwendung eines strengen Maßstabs kein solches “Mehr” darstellen, als dass eine Vergabe von mehr 4 Punkten zu rechtfertigen wäre.

(2) Gleiches gilt für die Berücksichtigung der langjährigen Erprobung der Mitarbeiter der Antragstellerin allein im Kriterium 4, Personal, wo sie ebenfalls zur Bewertung mit 6 Punkten geführt haben. Eine zur Höchstpunktzahl führende Berücksichtigung auch im Kriterium 2.5., Coaching und Schulung, liefe auf eine Benachteiligung der ebenfalls streng bewerteten Mitbieter hinaus.

(3) Die Antragsgegnerin hat die Anforderungen im Kriterium 1.1, Einschreibung Versicherte, für voll erfüllt angesehen und dementsprechend mit 4 Punkten bewertet. Das ist unter Berücksichtigung der Leistungsbeschreibung Anlage B 2, Abschnitt II, nachvollziehbar und vom Bewertungsspielraum gedeckt.

Für die von der Antragstellerin vermisste Bewertung der Erfahrung ihres Akquisepersonals gilt das zuvor zur Berücksichtigung beim Personal Ausgeführte. Dass die Antragsgegnerin die Einbindung des Praxispersonals vor Ort als für das Kriterium nur am Rande relevant und beim Kriterium 3.1., Einbindung Leistungserbringer, berücksichtigt hat, ist sachgerecht und deckt sich mit dem Vorgehen bei der Bewertung der Angebote der Mitbieter. Ein Grund für eine zwingende Bewertung mit 6 Punkten ist auch im Übrigen im Vergleich mit den Mitbietern nicht ersichtlich.

(4) Die Antragsgegnerin hat die Anforderungen im Kriterium 2.1, Aufnahmegespräch, für voll erfüllt angesehen und dementsprechend mit 4 Punkten bewertet. Auch dies ist unter Berücksichtigung der Leistungsbeschreibung Anlage B 2, Abschnitt II, nachvollziehbar und vom Bewertungsspielraum gedeckt. Soweit die Antragstellerin die von ihr vorgeschlagene Übermittlung des ärztlichen Kooperationsvertrages durch den Teilnehmer als Schwäche beanstandet, entspricht dies der Vertragslage; nach § 4 Abs. 2 des Vertrages ist es Sache des Vertragspartners mit Einverständnis des versicherten Teilnehmers den behandelnden Arzt zu kontaktieren. Es ist allein Sache des öffentlichen Auftraggebers, die von ihm ausgeschriebene Leistung zu definieren und dabei im Interesse der sensiblen Arzt-/Patientenbeziehung auf bestimmte Akquiseformen zu verzichten.

Dabei zeigt gerade der Vergleich mit dem hier mit 6 Punkten bewerteten Mitbieter […], weshalb eine Bewertung des Angebots der Antragstellerin mit 6 Punkten nicht veranlasst war. So sieht dessen Angebot eine Ermittlung der digitalen Affinität bei allen Teilnehmern in Vorbereitung einer eher digitalen oder eher printbasierten Gestaltung des Verfahrensablaufs und die Eruierung des Kenntnisstands des Teilnehmers hinsichtlich seiner eigenen Erkrankung vor.

(5) Die Antragsgegnerin hat die Anforderungen im Kriterium 8., Persönliche Präsentation der Angebotsunterlagen, für voll erfüllt angesehen und dementsprechend mit 4 Punkten bewertet. Auch dies ist unter Berücksichtigung der hierfür formulierten Anforderung einer vollständig sicheren, verständlichen und konsistenten Vorstellung der geplanten Vorgehensweise, der Berücksichtigung der Anforderungen und der kompetenten Beantwortung der Fragen der Auftraggeberin nachvollziehbar und vom Bewertungsspielraum gedeckt. Soweit die Antragstellerin hier die Berücksichtigung der von ihr angeboten Zusatzgeräte vermisst, kann auf die vorstehenden Ausführungen zu (1) verwiesen werden. Generell stellt die Präsentation bereits bei den Kriterien berücksichtigter Mehrleistungen kein über die in der Anforderung geforderte Präsentation der geplanten eigenen Vorgehensweise hinausgehendes “Mehr” der Präsentation dar. Gleiches gilt für die kompetente Beantwortung aller Fragen. Ein Grund für eine zwingende Bewertung mit 6 Punkten ist auch im Vergleich mit den Mitbietern nicht ersichtlich.

VK Sachsen-Anhalt zu der Frage des Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen und zu der Frage der Rügeobliegenheit im Unterschwellennachprüfungsverfahren

VK Sachsen-Anhalt zu der Frage des Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen und zu der Frage der Rügeobliegenheit im Unterschwellennachprüfungsverfahren

von Thomas Ax

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 TVergG-SA gilt dieses Gesetz für öffentliche Aufträge i.S.d. §§ 103 bis 105 GWB, deren geschätzter Auftragswert die Schwellenwerte nach § 106 Abs. 2 GWB nicht erreicht, so dass grundsätzlich auch Konzessionen in den Anwendungsbereich des Tariftreue- und Vergabegesetz Sachsen-Anhalt fallen. Mangels konkreter Anwendungsvorschrift in der UVgO ist jedoch hinsichtlich der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen kein Nachprüfungsverfahren eröffnet. Auch im Unterschwellennachprüfungsverfahren gilt: Ohne rechtzeitige Rüge ist der Antragsteller mit Einwendungen, die er bis zur Angebotsabgabe hätte geltend machen können, ausgeschlossen.
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.09.2024 – 3 VK LSA 25/24

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin hat in Anlehnung an die Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte (Unterschwellenvergabeordnung – UVgO) das Vorhaben “Vergabe der gastronomischen Bewirtschaftung/Catering in der …” ausgeschrieben.

Dazu hat sich die Antragsgegnerin teilweise an den für eine Auftragsvergabe üblichen Formblättern orientiert.

Laut Vergabevermerk ist sie vorliegend von einer Dienstleistungskonzession ausgegangen.

Eine öffentliche Bekanntmachung wurde nicht vorgeschaltet. Die Schätzung des Gesamtauftragswertes beläuft sich auf einen Betrag in Höhe von 2.500.000,00 Euro netto.

Als Verfahrensart wurde die Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb gewählt. Die Antragsgegnerin hatte hierzu am 28.02.2024 eine Interessensabfrage an sieben ihr bekannte potenzielle Bieter gerichtet und sodann am 08.04.2024 die Angebotsaufforderung nebst Vergabeunterlagen über die e-Vergabe-Plattform eingestellt.

In der Aufforderung zur Angebotsabgabe wurden als Zuschlagskriterien folgende Punkte benannt:

1. Konzeption und Kalkulation von Beispielangeboten für verschiedene Veranstaltungsformate

2. Investitions- & Einrichtungsplan, Personalplan

3.Bewertungsskala

3.1. Weitere Zuschlagskriterien sind angefügter Bewertungsmatrix zu entnehmen. […]”

Dem in den Vergabeunterlagen enthaltenen “Informationsmemorandum” ist auszugsweise zu entnehmen:

“1.1 Ziel dieses Verfahrens ist Verpachtung der Gastronomieflächen in der … für die Erbringung gastronomischer Leistungen/Catering in der … zur Bewirtschaftung von Besuchern/Teilnehmern der dort stattfindenden Veranstaltungen.

Dafür sucht die Betreibergesellschaft der … genannt, einen kompetenten und leistungsfähigen Pächter (nachfolgend Caterer genannt).

1.4 Geschlossen werden soll ein Pachtvertrag über die Nutzung von Räumlichkeiten und Gastronomieflächen in der … mit der gesamtheitlichen gastronomischen Versorgungspflicht aller Veranstaltungen als festgesetzter und priorisierter Hauscaterer dem weitgehend eine Vorrangstellung zur Versorgung eingeräumt wird, welches jedoch kein Recht auf Exklusivität beinhaltet. Die Vergütung der Pacht gegenüber der … erfolgt auf Basis prozentualer Umsatzbeteiligung.

5 DIE BETREIBERGESELLSCHAFT

Die … ist mitjährlich über 400 Messe-, Sport-, Kultur- und TV-Veranstaltungen sowie Kongressen und Konferenzen mit 1 Mio. regionalen und überregionalen Besuchern das führende Unternehmen aus dem Bereich Messe-, Ausstellungs- und Veranstaltungsorganisation in Sachsen-Anhalt.

Die … Gesellschaft leistet einen wesentlichen und nachhaltigen Beitrag zur positiven Entwicklung von Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Spott und Gesellschaft der Stadt ….

7 UMSATZ GASTRONOMIE/CATERING

Der Umsatz in der Gastronomie wird perspektivisch aufjährlich bis zu ca. 500.000 Euro netto prognostiziert.

8 UMFANG DER ZU ERBRINGENDEN LEISTUNGEN

Der Caterer übernimmt in Form der Priorisierung als fester Hauscaterer und Vertragspartner die gastronomische Versorgung von Tagungen, Kongressen, Bällen, Kultur- und Firmenveranstaltungen.

Dem Caterer obliegt darüber hinaus die Durchführung der gastronomischen Versorgung der in der stattfindenden Ausstellungsformaten.

Die gemeinsame Entwicklung eines Café- & Bistrokonzepts zur punktuellen (Pop-up Café o.ä.) und perspektivisch im Rahmen der Möglichkeiten kontinuierlichen Angebotes für die Öffentlichkeit ist ausdrücklich erwünscht. Konzeptionelle Vorschläge sind im zukünftigen Vergabeverfahren beizufügen bzw. vorzustellen.

Von … an Kunden unterbreitete gastronomische Offerten (erstellt durch sind bei Zustandekommen eines Vertrages zu übernehmen und zu gleichen Konditionen abzusichern. Hierbei handelt es sich zum Beispiel um Pré Opening Veranstaltungen und vereinzelte, bereits angefragte, Businessveranstaltungen.

9 AUSNAHMEN DER PRIORISIERUNG

#Einzelne Veranstaltungen/Veranstaltungsformen bzw. Veranstalter bedürfen der sogenannten Cateringfreiheit, da diese Veranstaltungen sonst in der … ggf. nicht stattfinden könnten.

In diesen Fällen kann die gastronomische Bewirtschaftung auch durch Dritte durchgeführt werden.

Diese Optionen werden jedoch nicht als offene Angebotsvariante kommuniziert, so dass der Hauscaterer immer erster Ansprechpartner zur Versorgung ist.

12 INVESTITIONSBEDARF

Bezogen auf vorstehende durch den Caterer zu erbringende Betriebsmittel, wird ein prognostizierter Investitionsbedarf von ca 70 TEuro zu erwarten sein, welcher aber durch offen gestaltbare Einrichtung in den betreffenden Bereichen individuell abweichen kann. Erwartet wird die Bereitstellung von Außenmobiliar im Bereich des Café-Bistros und der Seminarräume, Es erfolgt zu ggb. Zeit eine inhaltliche und visuelle Abstimmung.

13 BETRIEBS-NEBENKOSTEN

Alle durch das Betreiben der gastronomischen Einrichtungen in der … verursachten Betriebskosten, Nebenkosten und Nebenabgaben hat der Caterer selbst zu tragen. Dem Caterer obliegen die Reparaturen und ggf. der Abschluss von Wartungsverträgen, bezüglich des ihm mitverpachteten Inventars, gemäß Pkt. 11. Die notwendigen Versorgungsverträge für Energie, Wasser etc. sowie Wartungsverträge für das Großinventar hat … abgeschlossen und stellt dem Caterer diese jährlich nach Verbrauch in Rechnung.

Hierzu wird per Vertrag ein monatlicher Abschlag veranschlagt, welcher in der Jahresendabrechnung angerechnet wird. Der Abschlag kann an die dynamische Entwicklung der Verbrauchsabrechnung angepasst werden.

Die Kosten für die Abfallentsorgung und Reinigung/Entsorgung trägt der Caterer und werden ggf. pauschal umgelegt.

14 ZU LEISTENDES ENTGELT

Für alle getätigten baren und unbaren Umsätze des Caterers in der … Veranstaltungscatering ein Entgelt in Höhe von 15 % des F&B Nettoumsatzes und im Publikumscatering in Höhe von 15 % des Nettoumsatzes zuzüglich der jeweils gültigen Mehrwertsteuer.

Bewerber sind angehalten, gegebenenfalls eine höhere Umsatzbeteiligung anzubieten, möglicherweise auch erst ab einer bestimmten erreichten Umsatzgröße.

15 BEZAHLSYSTEM / ABRECHNUNG

Für Barzahlungen hat der Caterer ein geeignetes Kassensystem vorzuhalten, in welches jeder Verkauf an den Gast mit dem konkret gekauften Produkt eingebucht wird. Die Auswertungen des Kassensystems führen zum Umsatznachweis für die Abrechnung der Umsatzprovisionen gegenüber Bei Veranstaltungen mit Rechnungslegung erhält die eine Kopie der Endrechnung.

19 VERSICHERUNGEN

Der Caterer wird vertraglich verpflichtet, eine Betriebshaftpflichtversicherung einschließlich Sach-/Haftpflicht-Feuerversicherung mit einer Mindestdeckungssumme in Höhe von zehn Millionen Euro je Schadensfall für Personen-, Sach- und Vermögensschäden abzuschließen.

Die Versicherung muss mögliche Schadensfälle aus dem Betrieb der Gastronomieflächen, der gastronomischen Versorgung von Veranstaltungen in der … und insbesondere auch das Risiko der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gegenüber sowie gegenüber Dritten abdecken.

Dem Caterer wird dringend empfohlen, eine Betriebsunterbrechungsversicherung abzuschließen.”


Im Ergebnis der Angebotsaufforderung sind drei Angebote eingegangen.

Das Angebot der Antragstellerin lag im Rahmen der Wertung durch die Antragsgegnerin auf Rang 3.

Der Zuschlag auf das Angebot der Bezuschlagten (Rang 1) ist bereits mit Schreiben vom 12.06.2024 erfolgt. Entsprechende Absageschreiben wurden zum gleichen Zeitpunkt übersandt.

Mit Schreiben vom 19.06.2024 hat die Antragstellerin das Verfahren gegenüber der Antragsgegnerin gerügt. Zur Begründung führte die Antragstellerin an, die spezifischen Bewertungskriterien sowie deren Gewichtung seien nicht angegeben worden. Der Antragstellerin sei zudem nicht erläutert worden, in welchen Bereichen sie keine Punkte für ihr Angebot erhalten habe und warum ihr Angebot im Vergleich zu den anderen Angeboten schlechter bewertet worden sei. Im Weiteren lägen Verstöße gegen den Transparenzgrundsatz sowie S 134 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vor. Eine pauschale und unspezifische Begründung für eine Ablehnung genüge den Anforderungen nicht.

Die Antragstellerin erläuterte mit Schreiben vom 20.06.2024 gegenüber der Vergabekammer das bis dahin aus ihrer Sicht geführte Verfahren. So habe sich die Antragstellerin an einer Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb nach der UVgO beteiligt. Ein Bietergespräch habe am 14.05.2024 stattgefunden. Am 14.06.2024 sei der Antragstellerin über die e-Vergabe-Plattform die Absagemitteilung vom 12.06.2024 unter dem Begriff “Interessenbekundungsverfahren” zugegangen. Da es sich eindeutig um eine Verhandlungsvergabe handele, sei für die Antragstellerin dieser Begriff nicht nachvollziehbar. Am 12.06.2024 habe die Bezuschlagte bereits mit der Personalsuche im Internet begonnen.

In dem bei der 3. Vergabekammer eingegangenen Nachprüfungsantrag vom 21.06.2024 monierte die Antragstellerin vor allem weiter das Bewertungsverfahren (Bewertungsmatrix Punktevergabe).

Mit E-Mail vom 25.06.2024 übersandte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Einzelbewertung nebst Erläuterung ihres Angebotes.

Hierzu hat die Antragsgegnerin gegenüber der Vergabekammer unter dem 26.06.2024 Stellung genommen. Der Nachprüfungsantrag sei nach ihrer Ansicht unzulässig, da die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen nicht vom Anwendungsbereich des Tariftreue- und Vergabegesetzes Sachsen-Anhalt (TVergG LSA) erfasst sei. Die UVgO beinhalte ebenfalls keine Konzessionen. Aus diesem Grund gelte der nach S 19 TVergG LSA gewährte Primärrechtsschutz für Vergabeverfahren mit einem Nettoauftragswert unterhalb des Schwellenwertes nicht für Ausschreibungen eines Konzessionsgebers. Im Gegensatz zum öffentlichen Auftrag stamme bei der Konzession die Gegenleistung typischerweise nicht vom öffentlichen Auftraggeber, jedenfalls nicht in einem Umfang, der dem Konzessionsnehmer das Betriebsrisiko abnehmen würde. Entgegen dem öffentlichen Auftrag liege bei der Konzession ein “dreipoliges Entgeltlichkeitsverhältnis” zwischen Konzessionsgeber, Konzessionsnehmer und einem an den Konzessionsnehmer leistenden Dritten vor. Das Betriebsrisiko trage der Konzessionsnehmer. In der Einräumung eines Nutzungsrechts liege die eigentliche Gegenleistung des Konzessionsgebers. Die Antragsgegnerin gebe im vorliegenden Fall der Antragstellerin durch die Nutzung der Veranstaltungshalledie Möglichkeit, dort bei Veranstaltungen gegenüber Dritten Cateringleistungen gegen Entgelt anzubieten. Die Antragstellerin trage auch das Betriebsrisiko. Es sei ihr kein Exklusivrecht eingeräumt, Cateringleistungen für potenzielle Veranstalter zu erbringen. Dritte könnten auch auf andere Anbieter von Cateringleistungen zurückgreifen. Die Antragsgegnerin hat im Weiteren ausgeführt, die Nichterfassung von Konzessionsgebern ergebe sich aus dem in S 2 TVergG LSA definierten persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes. Für juristische Personen des Privatrechts werde in Abs. 2 eine entsprechende Geltung nur für den Fall angeordnet, dass die Voraussetzungen des S 99 Nr. 2 GWB erfüllt seien. Für einen Konzessionsgeber sei eine speziellere Regelung im GWB aufgenommen worden. Die in S 101 GWB enthaltene Personengruppe sei jedoch gerade nicht in den Anwendungsbereich des Landesvergabegesetzes aufgenommen worden. Dafür spreche auch die Regelung nach S 1 Abs. 2 TVergG LSA, welche im Unterschwellenbereich eine dynamische Verweisung auf die jeweils aktuelle Fassung der UVgO und der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A Ausgabe 2019 (VOB/A) enthalte. Diese Regelwerke hätten bereits bei Inkrafttreten des TVergG LSA keine Bestimmung für Konzessionen enthalten. Im Folgenden führte die Antragsgegnerin weiter aus, dass das TVergG LSA bei Konzessionen nicht zur Anwendung komme. so dass insoweit auch kein Nachprüfungsverfahren möglich sei. Darüber hinaus sei die Einholung eines Primärrechtsschutzverfahrens auch deshalb nicht möglich, weil der Zuschlag bereits erteilt worden sei. Komme die Regelung des S 19 TVergG LSA nicht zur Anwendung, bestehe auch keine Vorabinformations- und Wartepflicht. Der Zuschlag habe somit unmittelbar erfolgen können.

Auf Nachfrage teilte die Vergabekammer der Antragsgegnerin mit, an ihrer Verfügung vom 24.06.2024 entsprechend festzuhalten.

Mit Schreiben vom 27.06.2024 wurde die Antragstellerin über die Aussetzung durch die Vergabekammer informiert.

Unter dem 01.07.2024 nahm die Antragsgegnerin erneut Steilung. Ergänzend trug sie noch vor, dass selbst bei Eröffnung eines Nachprüfungsverfahrens der Antrag in Bezug auf die behaupteten Vergaberechtsverstöße unzulässig wäre. Darüber hinaus wäre er auch nicht begründet. Die Antragstellerin sei mit sämtlichem Vorbringen (etwa zum Bewertungsverfahren) gemäß S 19 Abs. 4 TVergG LSA präkludiert.

Mit Schreiben vom 03.07.2024 wurde die Antragstellerin durch die erkennende Vergabekammer dahingehend angehört, dass ihr Antrag nach bisheriger Prüfung als unzulässig anzusehen sei. Nach Ansicht der Vergabekammer handele es sich vorliegend um eine Dienstleistungskonzession und es könne entgegen den Angaben in der Aufforderung zur Angebotsabgabe nicht von einem Liefer- oder Dienstleistungsauftrag ausgegangen werden. Die Konzession falle zwar grundsätzlich in den Anwendungsbereich des S 1 Abs. 1 S. 1 TVergG LSA. Mangels konkreter Anwendungsvorschrift in der UVgO könne hinsichtlich dieser Konzessionen jedoch kein Nachprüfverfahren eröffnet sein.

Mit Stellungnahme vom 10.07.2024 entgegnete die Antragstellerin, es sei zu keinem Zeitpunkt durch die Antragsgegnerin bekannt gemacht worden, dass es sich bei dem Vergabegegenstand um eine Dienstleistungskonzession handele. Aus den Vergabeunterlagen sei dies ebenfalls nicht zu entnehmen gewesen. Erst in ihrem Schreiben vom 26.06.2024 habe die Antragsgegnerin behauptet, es handele sich um eine Dienstleistungskonzession. Im Rahmen der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes sei eine Verhandlungsvergabe kommuniziert worden. Die Begründung der Antragsgegnerin sei unzulässig. Es handele sich eindeutig um die Vergabe eines Liefer- bzw. Dienstleistungsauftrages unter Einhaltung der verpflichtenden Regularien des TVergG LSA. Daher sei der Nachprüfungsantrag zulässig. Die Zuschlagserteilung sei auch unter Missachtung der Wartefrist aus S 19 Abs. 1 TVergG LSA erfolgt. Die Antragsgegnerin behaupte lediglich, dass es sich um eine Dienstleistungskonzession handele, um ein Nachprüfungsverfahren umgehen zu können. Der Antrag sei auch unter Beachtung der Schwellenwerte zulässig. Im Übrigen wiederholte die Antragstellerin ihren bisherigen Vortrag. Zur Ergänzung des Vortrages hat sie Auszüge aus den Vergabeunterlagen angeführt.

Mit Schreiben vom 18.07.2024 an die 3. Vergabekammer teilte die Antragstellerin mit, die Antragsgegnerin eröffne entgegen der Verfügung der Vergabekammer die zu einer “Pre Opening Ausstellung” am 18.07.2024. Die Bezuschlagte habe sich bereits in den Räumlichkeiten eingerichtet und werde ab 18.07.2024 mit der gastronomischen Bewirtschaftung beginnen.

Mit weiterer Stellungnahme der Antragstellerin vom 25.07.2024 wiederholte sie ihren bisherigen Vortrag und wies darauf hin, dass gemäß dem Informationsmemorandum der Bieter als Caterer in Form der Priorisierung als fester Caterer und Vertragspartner insbesondere die gastronomische Versorgung von Tagungen, Kongressen, Bällen, Kultur- und Firmenveranstaltungen übernehmen solle. Nur bei einzelnen Veranstaltungen könne die gastronomische Bewirtschaftung auch durch Dritte erfolgen. Bieter und Antragsgegnerin legten Verkaufspreise und das Angebotsportfolio gemeinsam gegenüber den besuchenden Veranstaltern fest. Zudem habe die Antragsgegnerin “Pauschalen” für das Catering verlangt. Da dies wirtschaftlich den weit überwiegenden Anteil des öffentlichen Auftrags ausmache, könne der Bieter hier genau kalkulieren und trage keinerlei Betriebsrisiko, was jedoch das für eine Konzession maßgebliche Merkmal sei.

Mit Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 25.07.2024 ergänzte diese, dass es gerade auf den Vertragsgegenstand ankomme und nicht auf den in der Aufforderung zur Angebotsabgabe verwendeten Begriff des Liefer- bzw. Dienstleistungsauftrages. Maßgeblich sei, wie das Vertragsverhältnis konkret ausgestaltet sei. Ergänzend verwies die Antragsgegnerin darauf, dass der Schwellenwert für ein Nachprüfungsverfahren einer Dienstleistungskonzession nicht erreicht sei. Um eine Markttransparenz zu schaffen, sei ein Verfahren gewählt worden, um in Anlehnung an das Vergaberecht den Auftrag für diese Dienstleistungskonzession zu vergeben.

Aus Sicht der Antragstellerin sei gemäß Schreiben vom 12.08.2024 für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession entscheidend, ob der Vertragspartner vorliegend das Betriebsrisiko trage. Die Antragsgegnerin trage zu Unrecht vor, dass dem Vertragspartner kein Exklusivrecht, Cateringleistungen für potenzielle Veranstalter zu erbringen, eingeräumt werde. Der Vertragspartner übernehme in Form der Priorisierung als fester Hauscaterer die gastronomische Versorgung von Veranstaltungen. Nur einzelne Veranstaltungen bedürften der “sog. Cateringfreiheit”. Die Antragstellerin räume ferner ein, dass die reine Bezeichnung des Vertragsgegenstandes irrelevant sei. Der vorliegende Auftrag sei jedoch für die Antragstellerin deshalb von Interesse, da das Betriebsrisiko minimal sei. Es fehle vorliegend an der erforderlichen Übernahme eines wesentlichen Teils des bisher bei der Antragsgegnerin liegenden Nutzungs- und Verwertungsrisikos durch einen Auftragnehmer. Es bestehe kein Risiko eines finanziellen Verlustes aus unternehmerischer Tätigkeit bzw. spiele dieses eine absolut untergeordnete Rolle. Zur Begründung führt die Antragstellerin Rechtsprechung an. Im Ergebnis handele es sich um einen Dienstleistungsauftrag deutlich oberhalb der Schwellenwerte. Die Angelegenheit sei nach ihrem Dafürhalten an die 1. oder 2. Vergabekammer abzugeben.

Mit Schreiben vom 28.08.2024 hörte die 3. Vergabekammer die Antragstellerin anknüpfend an die erste Anhörung und mit weiterer Begründung (und Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Antragstellerin) dahingehend an, dass aufgrund des Vorliegens einer Dienstleistungskonzession das Nachprüfungsverfahren nach S 19 TVergG LSA nicht eröffnet sei. Dabei wurde auch auf das von der Antragstellerin (maßgeblich) zu tragende Betriebsrisiko eingegangen.

Hierauf reagierte die Antragstellerin mit Stellungnahme vom 04.09.2024. Sie könne den angeführten Kriterien zur Abgrenzung anhand des Betriebsrisikos hinsichtlich des streitbefangenen Vertragsgegenstandes nicht folgen. Das Betriebsrisiko sei insbesondere dadurch erheblich minimiert, dass eine Leistung nur zu erbringen sei, wenn auch eine tatsächliche Nachfrage der Örtlichkeit bestehe, die Vertragslaufzeit für einen planbaren Zeitraum von fünf Jahren geschlossen werde, eine dynamische Preisanpassung möglich sei und das Ausmaß der Nachfrage durch vergleichbare Veranstaltungsstätten sowie bereits weit im Voraus geplante Veranstaltungen abgeleitet werden könne. Damit könne durch die Priorisierung von einer “Quasi-Monopolstellung” ausgegangen werden. Im Ergebnis sei nach Ansicht der Antragstellerin ein Dienstleistungsauftrag gegeben. Dazu führte sie entsprechende Rechtsprechung an.

Zur Vermeidung von Wiederholungen der Erwägungen der erkennenden Vergabekammer in der vorstehenden Anhörung wird auf die nachfolgende Würdigung im Beschluss verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakte Bezug genommen.


Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

dass der geschlossene Vertrag für von Anfang an unwirksam erklärt wird und dass bei fortbestehender Beschaffungsabsicht der Auftrag in einem neuen Vergabeverfahren vergeben wird.


Die Antragsgegnerin beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen,

2. die Bezuschlagte beizuladen.


II.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist unzulässig.

Die 3. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt ist gemäß den §§ 19 Abs. 2, 24 TVergG LSA i. V. m. der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Vergabekammern (Bek. des MW vom 17.04.2013 – 41-32570-17, veröffentlicht im MBI. LSA Nr. 14/2013) für die Nachprüfung des vorliegenden Vergabeverfahrens zwar örtlich, jedoch nicht sachlich zuständig.

Der Rechtsweg für ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer ist nicht eröffnet, denn die von der Antragsgegnerin ausgeschriebene gastronomische Bewirtschaftung/Catering in der stellt sich nach Überzeugung der Vergabekammer im Ergebnis als eine Dienstleistungskonzession und nicht als Dienstleistungsauftrag dar.

Insoweit aber ist die Zuständigkeit der 3. Vergabekammer für ein Nachprüfungsverfahren nicht gegeben, was sich aus Folgendem ergibt.

Nach § 1 Abs. 1 S. 1 TVergG LSA gilt dieses Gesetz für die Vergabe öffentlicher Aufträge in Sachsen-Anhalt i. S. der §§ 103 bis 105 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), deren geschätzter Auftragswert die Schwellenwerte nach § 106 Abs. 2 GWB nicht erreicht.

Seit dem 01.01.2024 beträgt der Schwellenwert für Dienstleistungskonzessionen 5.538.000 damit ist dieser vorliegend unterschritten.

Öffentliche Aufträge im Sinne der §§ 103 bis 105 GWB sind entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die Liefer-, Bau- und Dienstleistungen zum Gegenstand haben, ferner verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge sowie Konzessionen.

Konzessionen können sich zwar auf Bau- oder Dienstleistungen beziehen. Einem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer können jedoch nur Vergabeverfahren unterzogen werden, die in den Anwendungsbereich einzuhaltender Regularien durch den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber fallen,

Hierzu sieht § 1 Abs. 2 S. 1 TVergG LSA vor, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge unterhalb der Schwellenwerte nach § 106 Abs. 2 des GWB die Regelungen der UVgO bzw. des Abschnitts I der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A) anzuwenden sind.

Während die VOB/A aber in § 23 Abs. 2 für die Vergabe von Baukonzessionen die §§ 1 bis 22 VOB/A für sinngemäß anwendbar erklärt, sieht die UVgO gerade keine entsprechende Anwendungsvorschrift für Dienstleistungskonzessionen vor. In der UVgO fehlt jegliche Regelung zu Konzessionen.

Anders als es der Wortlaut des § 1 Abs. 1 S. 1 TVergG LSA vermuten lässt, findet daher das TVergG LSA auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen keine Anwendung, so dass insoweit auch ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer nicht durchgeführt werden kann.

Die hier beanstandete Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb hat die Vergabe einer Dienstleistungskonzession und nicht den Abschluss eines Dienstleistungsauftrages zum Gegenstand.

Daher ist es auch unbeachtlich, dass die Zuschlagserteilung hier erfolgt ist, denn die in § 19 Abs. 1 TVergG LSA geregelte Wartefrist hatte die Antragsgegnerin nicht zu beachten.

Die Antragstellerin kann nicht mit Erfolg einwenden, das Nachprüfungsverfahren sei schon deshalb eröffnet, weil sich die Antragsgegnerin zur Durchführung einer Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb entschlossen hat. Dass in den Vergabeunterlagen nur die Verhandlungsvergabe und an keiner Stelle die Dienstleistungskonzession benannt ist, vermag die Eröffnung für ein Nachprüfungsverfahren jedenfalls noch nicht zu begründen. Allein hierdurch wird das streitbefangene Vergabeverfahren der Antragsgegnerin noch nicht dem Vergaberechtsregime unterstellt und einer Nachprüfung durch die Vergabekammer unterworfen. Daher kommt es in erster Linie auf den durch Auslegung objektiv zu ermittelnden materiellen Gehalt des Rechtsverhältnisses an und nicht etwa darauf, ob tatsächlich eine Verhandlungsvergabe durchgeführt worden ist.

Die Vergabekammer kann weder durch eine Angabe in der Aufforderung zur Angebotsabgabe noch in den weiteren Vergabeunterlagen sachlich zuständig werden. Es besteht kein Wahlrecht des Auftraggebers zwischen einer Dienstleistungskonzession und einem Dienstleistungsauftrag. Anderenfalls könnte die Vergabestelle im umgekehrten Fall bei Vorliegen eines Dienstleistungsauftrages durch einfache Bezeichnung des Beschaffungsvorgangs als Dienstleistungskonzession diesen dem Vergaberechtsregime entziehen.

Soweit die Antragstellerin ebenfalls meint, die Antragsgegnerin sei an die Bezeichnungen in ihren Vergabeunterlagen gebunden und müsse sich dementsprechend auch einer vergaberechtlichen Nachprüfung unterziehen, geht sie damit aus den genannten Gründen ebenfalls fehl.

Außerdem ist der internen Dokumentation (Vergabevermerk) zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin selbst von Anfang an von einer Dienstleistungskonzession ausgegangen ist.

Aus dem vorliegenden Sachverhalt kann nicht abgeleitet werden, dass ein an sich nicht vorgesehenes Nachprüfungsverfahren durch die Vergabekammer eröffnet wird. Eine etwaige Selbstbindung des öffentlichen Auftraggebers beschränkt sich auf sein eigenes Verhalten, vermag jedoch nicht eine vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens zu begründen (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 15.04.2016, Az.: 7 Verg 1/16).

Die Dienstleistungskonzession nach § 105 Abs. 1 Nr. 2 GWB zeichnet sich durch das Betrauen eines oder mehrerer Unternehmen seitens des Konzessionsgebers mit der Erbringung und Verwaltung von Dienstleistungen mittels entgeltlichen Vertrages aus, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Verwertung der Dienstleistungen oder in diesem Recht zuzüglich einer Zahlung besteht.

So liegt hier der Fall.

In Abgrenzung zur Vergabe öffentlicher Aufträge geht gemäß § 105 Abs. 2 S. 1 GWB bei der Vergabe einer Dienstleistungskonzession das Betriebsrisiko für die Verwertung der Dienstleistungen auf den Konzessionsnehmer über.

Dies ist nach § 105 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und 2 GWB der Fall, wenn unter normalen Betriebsbedingungen nicht gewährleistet ist, dass die Investitionsaufwendungen oder die Erbringung der Dienstleistungen wieder erwirtschaftet werden können und der Konzessionsnehmer den Unwägbarkeiten des Marktes tatsächlich ausgesetzt ist, sodass dessen potenzielle geschätzte Verluste nicht vernachlässigbar sind.

Ob und inwiefern der Konzessionsnehmer bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung tatsächlich den Unwägbarkeiten des Marktes ausgesetzt ist und er das Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt, hängt nach der Rechtsprechung von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (vgl. EuGH, Urteil vom 25.03.2020, Az.: Rs. C-451/08).

Mit der Übertragung des Rechts zur Nutzung auf den Konzessionsnehmer muss damit auch der Übergang eines wesentlichen Teils des Betriebsrisikos auf den Konzessionsnehmer verbunden sein. Allerdings reicht allein die Übernahme eines Risikos, ohne dass die übrigen Voraussetzungen des S 105 GWB erfüllt sind, für das Vorliegen einer Konzession nicht aus. Zu beachten ist, dass der Konzessionsgeber nicht mehr Risiken als diejenigen übertragen kann, die er selbst trägt. Erforderlich ist dabei jedoch nicht allein die Tragung eines erheblichen Risikos durch den Konzessionsnehmer, sondern die Übertragung des wesentlichen Teils des bisher beim Konzessionsgeber liegenden Risikos auf den Konzessionsnehmer. Zum einen darf unter normalen Betriebsbedingungen nicht gewährleistet sein, dass die Kosten für die Erbringung der Dienstleistungen wieder erwirtschaftet werden können (§ 105 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 GWB). Zum anderen muss der Konzessionsnehmer tatsächlich den Unwägbarkeiten des Marktes in einer Weise ausgesetzt sein, dass potenzielle geschätzte Verluste für ihn nicht vernachlässigbar sind. Für die Tragung eines Risikos durch den Leistungserbringer (hier des Konzessionsnehmers) kommt es unter anderem darauf an, ob dieser sich den Gefahren eines Ausfalls seines Vergütungsanspruchs, der Nichtinanspruchnahme seiner Leistung oder den Risiken der Konkurrenz durch andere Wirtschaftsteilnehmer, einer nicht vollständigen Deckung der Betriebsausgaben durch die Einnahmen oder der Haftung für Schäden bei der Erbringung der Dienstleistung gegenübersieht (vgl. Ziekow/Völlink/Ziekow, 5. Aufl. 2024, GWB § 105 Rn. 24-32).

Auch nach Ansicht des EuGH ist zu beachten, dass das wirtschaftliche Betriebsrisiko der Dienstleistung als das Risiko zu verstehen ist, den Unwägbarkeiten des Marktes ausgesetzt zu sein (vgl. in diesem Sinne Urteil Eurawasser, Rdnrn. 66 u. 67), das sich im Risiko der Konkurrenz durch andere Wirtschaftsteilnehmer, dem Risiko eines Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage, dem Risiko der Zahlungsunfähigkeit derjenigen, die die Bezahlung der erbrachten Dienstleistungen schulden, dem Risiko einer nicht vollständigen Deckung der Betriebsausgaben durch die Einnahmen oder dem Risiko der Haftung für einen Schaden im Zusammenhang mit einem Fehlverhalten bei der Erbringung der Dienstleistung äußern kann (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 27. 10. 2005 – Rs. C-234/03, Sig. 2005, 1-9317 = EuZW 2006, 153 Rdnr. 22 – Contse u. a. und Urteil Hans & Christophorus Oymanns, Rdnr. 74). Hingegen sind Risiken, die sich aus einer mangelhaften Betriebsführung oder aus Beurteilungsfehlern des Wirtschaftsteilnehmers ergeben, für die Einordnung eines Vertrags als öffentlichen Dienstleistungsauftrag oder als Dienstleistungskonzession nicht entscheidend, da diese Risiken jedem Vertrag immanent sind, ob es sich dabei um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag oder um eine Dienstleistungskonzession handelt (EuGH, Urteil vom 10.03.2011 – Rs. C-274/09, Rn. 37, 38).

Zudem ist die Dienstleistungskonzession im Unterschied zum Dienstleistungsauftrag in der Regel durch ein Dreiecksverhältnis zwischen Auftraggeber, Leistungserbringer/ Konzessionsnehmer und Nutzern gekennzeichnet. Der Konzessionsnehmer trägt dabei das wirtschaftliche Risiko seiner Leistung und erhält seine Vergütung im Wesentlichen durch eine Zahlung vom Nutzer der Dienstleistungen. Dagegen liegt bei einem Dienstleistungsauftrag überwiegend nur eine bilaterale Beziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vor.

Unter Zugrundelegung dieser Prüfungsmaßstäbe hat die Vergabe der Antragsgegnerin – ungeachtet des Wortlautes in den Vergabeunterlagen tatsächlich eine Dienstleistungskonzession zum Gegenstand.

Ausweislich des in den Vergabeunterlagen enthaltenen Informationsmemorandums zielt das Vergabeverfahren auf die Verpachtung der Gastronomieflächen in der für die Erbringung gastronomischer Leistungen/ Catering für die dort stattfindenden Veranstaltungen mit einem leistungsfähigen Partner ab.

Die Vergabekammer sieht es als erwiesen an, dass dabei auch das Betriebsrisiko übergeht, denn der Konzessionsnehmer hat die Leistungen – die Erbringung gastronomischer Leistungen/ Catering – mit allen damit verbundenen möglichen Unwägbarkeiten selbst zu erbringen. Soweit dieser hierbei Verluste erwirtschaftet, hat er hierfür vollständig einzustehen.

Der Konzessionsnehmer wird entsprechend auf eigene Rechnung tätig. Ansprüche gegenüber der Antragsgegnerin für nicht beglichene Rechnungen ergeben sich aus den Vergabeunterlagen nicht.

Dem Konzessionsnehmer obliegt nach dem vorliegenden Informationsmemorandum darüber hinaus eine Vielzahl von weiteren Verpflichtungen.

So hat er hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen in einem nicht unerheblichen Umfang die hierfür erforderliche Organisation bereitzustellen, Investitionen zu tätigen sowie Personal und entsprechende Sachmittel vorzuhalten.

Dabei erscheint der Vortrag der Antragstellerin, das Betriebsrisiko minimiere sich erheblich dadurch, dass die zu erbringende Leistung nur erbracht werden müsse, wenn auch eine tatsächliche Nachfrage zur Buchung der Örtlichkeit bestehe, nicht überzeugend, zumal entsprechende feste Kostenpositionen durch den Konzessionsnehmer in jedem Fall vorzuhalten sind.

Es ist ungewiss, ob die hiermit verknüpften Ausgaben durch entsprechende Einnahmen gedeckt werden oder gar entsprechende Überschüsse erwirtschaftet werden können. So kann nicht vorausgesehen werden, welche Teilnehmerzahlen sich tatsächlich zu den beispielsweise erwähnten Kongressen, Tagungen, Firmenveranstaltungen sowie weiteren Veranstaltungsformen ergeben. Die tatsächliche Auslastung derbleibt ebenso unklar.

Soweit nach Ansicht der Antragstellerin von einer “Quasi-Monopolstellung” ausgegangen werden könne, vermag die von ihr hierzu angeführte Rechtsprechung nicht zu überzeugen.

Eine solche Monopolstellung wie etwa im Beschluss des OLG Brandenburg vom 12.01.2010 angesprochen (Beseitigungspflichtiger für Tierkörper/Tierkörperteile) ist bei der Antragstellerin im Hinblick auf die streitgegenständliche Leistung nicht annähernd zu erkennen.

Eine Monopolstellung von Caterern erscheint ohnehin geradezu fernliegend.

Außerdem kann hier eine genaue Nutzerzahl nicht im Voraus bestimmt werden. Eine solche Sicherheit ergibt sich insoweit naturgemäß auch nicht aus den Vergabeunterlagen.

Dies gilt umso mehr, da ausweislich Punkt 5 des Informationsmemorandums tatsächlich regional ähnliche weitere Veranstaltungsstätten als Konkurrenz existieren.

Daran ändert auch eine mögliche Planbarkeit aufgrund einer Vertragslaufzeit von fünf Jahren nichts, da dies allein keinen Einfluss auf die zu erwirtschaftenden Einnahmen hat.

Soweit die Antragstellerin meint, es fehle am nötigen Betriebsrisiko aufgrund einer bestehenden Priorisierung als Hauscaterer, geht sie fehl, da keinerlei verbindliche Zusagen für etwaige Umsätze bestehen. Dies ist nur pauschal Punkt 8 des Informationsmemorandums zu entnehmen. Dem stehen auch die unter diesem Punkt bereits unterbreiteten gastronomischen Offerten der Antragsgegnerin nicht entgegen. Eine weitere Unbekannte bleibt auch das Risiko aus Punkt 9 des Informationsmemorandums hinsichtlich Anzahl und Umfang der dort benannten Ausnahmen.

Es sei an dieser Stelle entgegen der Ansicht der Antragstellerin hervorzuheben, dass sich aus den Vergabeunterlagen die Pflicht für den Konzessionsnehmer zur Erbringung der Cateringleistungen ergibt, ein Anspruch hieraus jedoch nicht abgeleitet werden kann.

Es ist offensichtlich, dass die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen aus dem Informationsmemorandum mit nicht unerheblichen wirtschaftlichen Unsicherheiten verbunden ist. Es ist darin zwar aufgeführt, dass Hauscaterer in vergleichbaren Veranstaltungshäusern der Antragsgegnerin in vorangegangenen drei Jahren positive Umsatzzahlen zu verzeichnen gehabt hätten. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass der Konzessionsnehmer in den kommenden Jahren ebenfalls einen entsprechenden Umsatz erwirtschaften wird. Schließlich muss auch Berücksichtigung finden, dass die Leistungserbingung mit einer Neueröffnung der verbunden ist, der noch keine konkreten Erfahrungswerte zugrundeliegen.

Weitere Verpflichtungen hat der Konzessionsnehmer beispielsweise hinsichtlich sämtlicher Leistungen der Ausstattung, Betriebstechnik sowie deren Instandhaltung zu erfüllen. Der Antragstellerin obliegen laut Informationsmemorandum außerdem die Reparaturen und die Verpflichtung zum Abschluss von Wartungsverträgen, Versicherungen (siehe Punkt 13 und 19) sowie zur Einholung behördlicher Genehmigungen und Konzessionen.

Auch Investitionen in einem nicht unerheblichen Umfang sind durch den Konzessionsnehmer zu übernehmen (siehe Punkt 12 Informationsmemorandum). Es mag zwar sein, dass nach Ansicht der Antragstellerin das Erfordernis von Investitionen für sich allein genommen nicht genügt. In jedem Fall ist es aber in der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen, zumal die Antragsgegnerin im Informationsmemorandum auf einen nicht unerheblichen Investitionsbetrag ausdrücklich hinweist. Ob davon ausgegangen werden kann, dass hier bereits bestehende Ressourcen zum Einsatz kommen können oder nach einer möglichen Tätigkeitsaufgabe einer Weiterverwendung zugänglich sind, ist hier nicht entscheidend. Die seitens der Antragstellerin hierzu angeführte Rechtsprechung (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 – Rs. C-382/05, Rn. 42) ist auch im Übrigen nicht geeignet, für den vorliegenden Fall einen Dienstleistungsauftrag zu begründen.

Schließlich spricht auch die Beteiligung der Antragsgegnerin am Umsatz entsprechend Punkt 14 des Informationsmemorandums für die Ansicht der Vergabekammer, da in aller Regel von einem umgekehrten Fluss der Zuschusszahlung an einen Konzessionsnehmer auszugehen ist.

Für die Einordnung des Betriebsrisikos ist es letztlich nicht erforderlich, dass der Konzessionsnehmer das gesamte Risiko trägt. Für die Annahme einer Dienstleistungskonzession genügt grundsätzlich die Übernahme eines eingeschränkten Risikos. Ein solches sieht die Vergabekammer hier als gegeben an, da der Konzessionsnehmer insbesondere das Risiko übertragen bekommt, dass die aus der Inanspruchnahme ihrer Leistung erzielten Einnahmen die vorgesehenen Investitionsaufwendungen für die Aufnahme der Tätigkeit und die Kosten für die Erbringung der Dienstleistung nicht hinreichend abdecken können.

Dies lässt sich auch nicht aufgrund der seitens der Antragstellerin behaupteten Möglichkeit einer dynamischen Preisanpassung anders beurteilen, da auch Nachverhandlungen zu Preisgestaltungen der Abstimmung mit der Antragsgegnerin bedürfen und damit das Risiko bergen, dass der Konzessionsnehmer möglicherweise Abhängigkeiten ausgesetzt ist, die ihm während der fünfjährigen Vertragslaufzeit auferlegt werden. Im Übrigen trägt er auch das gesamte Haftungsrisiko (siehe Punkt 19 Informationsmemorandum).

Die Schlussfolgerung der Antragstellerin, aus der “Priorisierung” und “gemeinsamen Preisgestaltung” lasse sich eher ein bilaterales Verhältnis herleiten als ein für die Dienstleistungskonzession typisches Dreiecksverhältnis, geht dahingehend fehl, dass der Caterer sehr wohl in erster Linie in Abhängigkeit von Dritten, hier der Nutzer der steht, die seine Leistungen in Anspruch nehmen. Denn allein hieraus folgen seine Einnahmen.

Es sei nur am Rande hinsichtlich der seitens der Antragstellerin angeführten Entscheidung des OLG München, Beschluss vom 21.05.2008, Az.: Verg 5/08, Rn. 40, erwähnt, dass sich dieser Fall anders als vorliegend darstellt, da dort in dem streitbefangenen Verkehrsdienstleistungsvertrag ein nachträglicher Verlustausgleich gegenüber dem Leistungserbringer vorgesehen war, d. h., der prognostizierte Verlust sollte gegenüber dem Leistungserbringer ausgeglichen werden. Es war somit eine Zuschussleistung vorgesehen, die keiner weiteren Definition oder Eingrenzung unterlag. Eine sichere Aussage zu der Frage, ob das wirtschaftliche Risiko in nennenswertem Umfang beim Auftraggeber verbleibt, war hier nicht möglich und daher von einem Dienstleistungsauftrag statt einer Dienstleistungskonzession auszugehen. So gestaltet sich jedoch der vorliegende Fall gerade nicht. Etwaige Zuschüsse sind in keiner Weise vorgesehen, und es bestehen auch keine anderweitigen Risikoausgleiche für den Konzessionsnehmer.

Damit ist vorliegend von einer Dienstleistungskonzession auszugehen.

Für diese finden die Vorschriften des TVergG LSA jedoch aus den genannten Gründen keine Anwendung.

Die Frage, ob es sich bei der Antragsgegnerin um einen öffentlichen Auftraggeber handelt, kann damit dahinstehen.

Unabhängig von alledem sei nur erwähnt, dass das (weitere) Vorbringen der Antragstellerin zu mangelhaften Bewertungskriterien oder der Anwendung einer fehlerhaften Bewertungsmethode verspätet bzw. gem. S 19 Abs. 4 (Nr. 1) TVergG LSA präkludiert wäre.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist aus den genannten Gründen unzulässig.

Von einer Beiladung der Bezuschlagten wurde daher abgesehen.

Kosten

VergabePraxis: Kurz belichtet: Voraussetzungen für einen Eintritt in die Preisprüfung und das Preisaufklärungsverlangen

VergabePraxis: Kurz belichtet: Voraussetzungen für einen Eintritt in die Preisprüfung und das Preisaufklärungsverlangen

von Thomas Ax

Gem. § 60 Abs. 1 VgV verlangt der öffentliche Auftraggeber vom Bieter Aufklärung, wenn der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheinen. Wann letzteres der Fall ist, entscheidet der öffentliche Auftraggeber vor der eigentlichen Aufklärung auf Grundlage eines ihm zukommenden, von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.05.2018, VII-Verg 3/18). Der Beurteilungsspielraum ist von den Nachprüfungsinstanzen nur darauf hin überprüfbar, ob der öffentliche Auftraggeber den Sachverhalt vollständig ermittelt, die Entscheidung nachvollziehbar begründet und nicht willkürlich getroffen hat (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2017, Verg 8/17). Für seine Beurteilung kann er die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen wie die Angebotssummen anderer Bieter, eine ordnungsgemäß aufgestellte Kostenschätzung und/oder Daten aus früheren Ausschreibungen als Vergleichsmaßstab heranziehen (VK Westfalen, Beschluss vom 24.11.2021, VK 1 – 49/21 m. w. N.).

Die Festlegung einer starren, internen Aufgreifschwelle, die sich nicht an der Angebotsstruktur im konkreten Vergabeverfahren orientiert, verstößt gegen das Transparenz- und Nichtdiskriminierungsgebot, wenn sie erst nach Ablauf der Angebotsfrist festgelegt wird. Dürfte ein Auftraggeber erst nach Angebotsabgabe, also in Anbetracht der Angebotssummen anderer Bieter, eine starre Aufgreifschwelle, die sich nicht an der Angebotsstruktur im konkreten Vergabeverfahren orientiert, festlegen, so würde hiermit der Möglichkeit Tür und Tor geöffnet, gezielt Angebote, die im Gefüge der konkreten Angebotsstruktur keine Anhaltspunkte für einen ungewöhnlich niedrigen Preis bieten, durch die nachträgliche Festlegung einer starren Aufgreifschwelle, dennoch einer Preisprüfung zu unterziehen. Nachweisbar wäre dies im Einzelfall nicht. Dass eine intern gebildete Aufgreifschwelle den Bietern nach der Rechtsprechung nicht vorab mitgeteilt werden muss (vgl. VK Bund, Beschluss vom 15.10.2014 – VK 2-83/14), steht dem Erfordernis einer Festlegung und entsprechenden Dokumentation vor Angebotsöffnung nicht entgegen.
Bezugspunkt für die prozentuale Abweichung ist nach der Rechtsprechung das nächst höhere Angebot. Dieses ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung regelmäßig mit 100 % anzusetzen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Juli 2022 – 11 Verg 4/22 -; OLG Düsseldorf Beschluss v. 30.4.2014 – Verg 41/13). Setzt man das Angebot der Beigeladenen mit 100 % an, ergibt sich ein Preisabstand zur Antragstellerin von unter 16 %.
Bei der Ermittlung der Vergleichsangebote, dürfen Angebote von Bietern, die aufgrund von Ausschlussgründen mit kalkulationserheblicher Bedeutung auszuschließen sind, wie etwa bei einer Änderung der Vergabeunterlagen, nicht berücksichtigt werden (Ziekow/Völlink/Steck, 4. Aufl. 2020, VgV § 60 Rn. 3). Umgekehrt darf der Auftraggeber bei der Ermittlung des Bezugsangebots solche Angebote nicht unberücksichtigt lassen, die lediglich aus Gründen ausgeschlossen wurden, welche sich auf die Seriosität der Preisbildung nicht auswirken. Denn auch diese Angebote spiegeln das aktuelle Preisniveau am Markt wider.

Ließe man diese bei der Betrachtung außer Acht, so würde ein Angebot je nach Stand des Vergabeverfahrens möglicherweise an unterschiedlichen Bezugsangeboten gemessen. Es könnte je nach Bezugsangebot mal unangemessen niedrig und mal nicht erscheinen. Zur Beantwortung der Frage, ob das niedrigere Angebot unangemessen niedrig ist, ist ein solcher Ansatz ungeeignet.

Zwar steht die Wahl eines geeigneten sachgerechten Bezugspunkts für die Annahme eines unangemessen niedrigen Angebots dem Auftragsgeber grundsätzlich frei (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.07.2022 – 11 Verg 4/22). Der zulässige Rahmen wird jedoch hierbei von § 60 Abs. 1 VgV vorgegeben. Anlass zur Aufklärung müssen demnach der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zur erbringenden Leistung sein. Kalkulationsfehler in einem früheren Vergabeverfahren – wenn sie auch eingeräumt wurden – lassen per se keinen Rückschluss auf einen ungewöhnlich niedrigen Preis in einem neuen Vergabeverfahren zu.

Noch vor Einleitung der Preisprüfung ist eine Feststellung des öffentlichen Auftraggebers erforderlich, dass das Angebot ungewöhnlich niedrig ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Juli 2022 – 11 Verg 4/22). Der Auftraggeber muss zunächst das Angebot anhand der vorliegenden Unterlagen prüfen. Erst und wenn sich das Angebot nicht mit den vorhandenen Unterlagen beurteilen lässt, ist der Bieter zur Aufklärung aufzufordern. Enthält das zu prüfende Angebot bereits eine ausführliche Kalkulationstabelle zur Zusammensetzung des SVS, aus der sich die Höhe der vom Bieter getätigten Zuschläge bereits entnehmen lässt, liegen die Kalkulationsgrundlagen insofern bereits offen. Bei der Entscheidung der Frage, ob das Angebot ungewöhnlich oder unangemessen niedrig ist, kommt dem öffentlichen Auftraggeber im Rechtssinn kein Beurteilungsspielraum zu (OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.4.2014 – VII-Verg 41/13). Die genannten Prüfungskriterien stellen unbestimmte Rechtsbegriffe dar. Unbestimmte Rechtsbegriffe lassen nur eine richtige Deutung zu, unter die der Sachverhalt zu subsumieren ist (OLG Düsseldorf, aaO).

Auch nach Durchführung der Preisaufklärung darf der öffentliche Auftraggeber ein Angebot nur auf feststehender, tatsächlich gesicherter Tatsachengrundlage ausschließen, insbesondere müssen die Zweifel an der Auskömmlichkeit des Angebots plausibel sein und auf einer tragfähigen Grundlage beruhen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. August 2014 – 15 Verg 7/14). Den Erwägungen des Auftraggebers muss sich dem entsprechend mit der gebotenen Gewissheit entnehmen lassen, dass der angebotene Preis nicht die Kosten deckt. Dem genügt es nicht, wenn der Auftraggeber zu zahlreichen Einzelpositionen nur eine eigene Kalkulation gegen die des Bieters setzt, ohne dass nachvollziehbar wird, dass er die Grenze der Auskömmlichkeit berechnet hat (OLG Karlsruhe, aaO).

Nicht zuletzt muss sich die Bewertung, dass die Aufklärung nicht zu einer zufriedenstellenden Erläuterung des Angebotspreises geführt hat, im Rahmen des eingeräumten Beurteilungsspielraums halten (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Juli 2022 – 11 Verg 4/22 -, Rn. 81 – 97; OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.4.2014 – VII-Verg 41/13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. August 2014 – 15 Verg 7/14). Wenn auf gesicherter Grundlage feststeht, dass ein Unterkostenangebot vorliegt, muss vom öffentlichen Auftraggeber eine Prognoseentscheidung getroffen werden, ob trotz des niedrigen Angebotspreises eine ordnungs- und vertragsgemäße Leistungserbringung zu erwarten ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Juli 2022 – 11 Verg 4/22 -). Hierbei hat der öffentliche Auftraggeber eine Preisprüfung im Rechtssinn vorzunehmen (vgl. OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.4.2014 – VII-Verg 41/13). Diese muss sich auf den Gesamtpreis und die Einzelpreise des Angebots, die Auskömmlichkeit der Preise und den Gewinn der Bieterin beziehen (OLG Düsseldorf, aaO). Zu prüfen ist, ob die Gefahr besteht, dass der Bieter versucht ist, den Auftrag aufgrund des niedrigen Preises so unaufwändig wie möglich und damit auch nicht vertragsgerecht zu erfüllen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Juli 2022 – 11 Verg 4/22). Die Feststellung unterliegt dabei der wertenden Entscheidung des Auftraggebers (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Juli 2022 – 11 Verg 4/22 -). Hierbei ist auch das Verhältnis der ggf. ungedeckten Kosten etwa zum Gesamtumsatz des Bieters zu berücksichtigen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. August 2014 – 15 Verg 7/14). Die Prognoseentscheidung des Auftraggebers ist nur eingeschränkt überprüfbar. (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.07.2022 – 11 Verg 4/22; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.04.2014 – VII-Verg 41/13; VK Sachsen, Beschluss vom 25.05.2022 – 1/SVK/005-22).

VergabePraxis: Kurz belichtet: Ausschlusstatbestand des § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV kann auch dann eingreifen, wenn erforderliche Preise zwar eingetragen wurden und damit formal nicht fehlen, die angegebenen Preise jedoch offensichtlich unzutreffend sind

VergabePraxis: Kurz belichtet: Ausschlusstatbestand des § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV kann auch dann eingreifen, wenn erforderliche Preise zwar eingetragen wurden und damit formal nicht fehlen, die angegebenen Preise jedoch offensichtlich unzutreffend sind

Nach § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV sind Angebote von der Wertung auszuschließen, die nicht die erforderlichen Preisangaben enthalten, es sei denn, es handelt sich um unwesentliche Einzelpositionen, deren Einzelpreise den Gesamtpreis nicht verändern oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigen.

Der Ausschlusstatbestand des § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV kann auch dann eingreifen, wenn erforderliche Preise zwar eingetragen wurden und damit formal nicht fehlen, die angegebenen Preise jedoch offensichtlich unzutreffend sind; Bieter dürfen trotz ihrer grundsätzlichen Kalkulationsfreiheit die Gesamtkosten im Hinblick auf § 53 Abs. 7 S. 2 VgV nicht beliebig einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses zuordnen und dadurch möglicherweise Zahlungspflichten des Auftraggebers bei Vertragsabwicklung manipulieren (VK Bund, Beschluss vom 2. März 2023 – VK 2 – 10/23 – unter Hinweis auf grundlegend OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Oktober 2021 – Verg 4/21).

So sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nach der Vorschrift nicht nur solche Angebote grundsätzlich von der Wertung auszuschließen, in denen die erforderlichen Preisangaben gänzlich fehlen, sondern auch solche Angebote, die auf einer Mischkalkulation beruhen, bei der durch sogenanntes “Abpreisen” bestimmter ausgeschriebener Leistungen und sogenanntes “Aufpreisen” anderer angebotener Positionen Preise benannt werden, die die für die jeweiligen Leistungen geforderten tatsächlichen Preise weder vollständig noch richtig wiedergeben (BGH, Beschluss v. 18.5.2004 – X ZR 7/04, Rdnr. 24 – ).

Dazu muss es sich aber handeln um erforderliche Preisangaben im Sinne des § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV.

Die Parallelvorschrift für oberschwellige Bauleistungen des § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A erfasst mit fehlenden “geforderten Preisen” nur Preisangaben, die für die Wertung des Angebots anhand der Zuschlagskriterien maßgeblich sind (VK Bund, Beschluss v. 18.7.2018 – VK 1-55/18). Dass nur das Unterlassen wertungsrelevanter Preisangaben zum Ausschluss des Angebots führen kann, ergibt sich für die genannte Vorschrift aus einer Gesamtschau der insoweit relevanten Normen (§ 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A und § 16 EU Nr. 3 VOB/A sowie des im Bereich der VOB/A grundsätzlich geltenden Nachforderungsgebots gemäß § 16a EU VOB/A). Ein darüber hinaus gehender Anwendungsbereich, der das Unterlassen jedweder Preisangaben erfasst, kann der Norm indes nicht entnommen werden und ist auch aus übergeordneten Transparenz- und Gleichbehandlungsgründen nicht geboten, weil eine Nachforderung der insoweit fehlenden Erklärungen keine Auswirkung auf den Wettbewerb um das wirtschaftlichste Angebot hat. Nichts anderes gilt nach Auffassung der Kammer für die Auslegung von § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV. Erforderliche Preisangaben im Sinne dieser Vorschrift können demnach nur solche Preisangaben sein, die für die Wertung des Angebots anhand der Zuschlagskriterien maßgeblich sind. Bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich im Umkehrschluss aus § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV 2. HS dass es sich bei den erforderlichen Preisangaben zudem jedenfalls um (nicht unwesentliche) eigenständige Preispositionen (“Einzelpositionen”) handeln muss.

Darüber hinaus müssen im Angebot Anhaltspunkte für eine unzulässige Preisverlagerung zwischen Leistungspositionen und ein Spekulationspotential im Sinne einer unzulässigen Mischkalkulation erkennbar sein.

Eine ausschlusswürdige Mischkalkulation ergibt wirtschaftlich für einen Bieter nur dann einen Sinn, wenn er regulär zu bepreisende Positionen entsprechend abpreist, um so den Preis niedriger zu kalkulieren, als er bei korrekter Bepreisung der betreffenden Positionen wäre, während er Positionen, die nicht regulär anfallen, von denen er aber annimmt, dass sie bei der Vertragsdurchführung oft anfallen werden, entsprechend aufpreist, um darin die anderweitig abgepreisten Leistungen einzukalkulieren. Nur bei einer solchen Sachlage könnte ein entsprechendes Kalkül überhaupt aufgehen (VK Bund, Beschluss vom 2. März 2023 – VK 2 – 10/23).

Für Erwägungen, die die Auskömmlichkeit des Angebots betreffen, ist im Übrigen im Rahmen der Prüfung des Ausschlussgrundes gem. § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV kein Raum. Das Erfordernis, alle geforderten Erklärungen abzugeben und insbesondere jeden in der Leistungsbeschreibung vorgesehenen Preise so wie gefordert vollständig mit dem Betrag anzugeben, der für die betreffende Leistung beansprucht wird, dient nicht dem Zweck, unangemessen hohe oder niedrige Angebote aus der Wertung auszuscheiden; vielmehr soll sichergestellt werden, dass die Wirtschaftlichkeit des Angebots im Vergleich zu anderen Angeboten auf transparenter und alle Bieter gleichbehandelnder Grundlage festgestellt wird (BGH, Beschluss v. 18.5.2004 – X ZR 7/04).

VergabePraxis: Kurz belichtet: Eigenschaften der Fachkunde und Leistungsfähigkeit sind keine konkretisierten Kriterien

VergabePraxis: Kurz belichtet: Eigenschaften der Fachkunde und Leistungsfähigkeit sind keine konkretisierten Kriterien

von Thomas Ax

Fachkunde und Leistungsfähigkeit bilden gem. § 122 Abs. 1 GWB gemeinsam die Eignung. Eignungskriterien dürfen gem. § 122 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 3 ausschließlich die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie die technische und berufliche Leistungsfähigkeit betreffen, wobei die Eignungskriterien vom öffentlichen Auftraggeber “im Einzelnen” festzulegen und in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen sind, § 122 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 2 GWB. Die möglichen, vom öffentlichen Auftraggeber festzulegenden Eignungskriterien werden in §§ 42 ff. VgV weiter und abschließend konkretisiert.

Die Eigenschaften der Fachkunde und Leistungsfähigkeit lassen sich unter keinem Gesichtspunkt den in § 122 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 3 GWB genannten und in §§ 42 ff. VgV konkretisierten Kriterien zuordnen. Vielmehr stellen sie lediglich den in § 122 Abs. 1 GWB aufgestellten Rahmen dar, der vom öffentlichen Auftraggeber gerade durch konkretere Vorgaben in von ihm aufzustellenden Eignungskriterien zu spezifizieren ist. Als Oberbegriffe stellen sie für sich allein keine Eignungskriterien dar, die Grundlage der Eignungsprüfung können.

Für ungeschriebene Eignungskriterien, deren Verneinung zum Ausschluss des Bieters führen könnte, ist neben den normierten Ausschlusstatbeständen der §§ 123, 124 GWB, nach geltender Rechtslage darüber hinaus kein Raum mehr (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Okt. 2020 – Verg 36/19). Ausdrücklich entschieden wurde dies bereits für das in früherer Rechtsprechung als von Bieterunternehmen zu erfüllen geforderte Eignungsmerkmal der “rechtlichen Leistungsfähigkeit” (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 01. 12. 2015 – Verg 20/15, vom 09. 11. 2011 – Verg 35/11, vom 04. 05. 2009 – Verg 68/08, vom 13. 08. 2008 – Verg 42/07, und vom 21. 02. 2005 – Verg 91/04), für das nach der heutigen Gesetzessystematik über die gesetzlich geregelten Einzelaspekte hinaus kein Anwendungsbereich verbleibt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Okt. 2020 – Verg 36/19).

Nichts anderes kann nach der oben dargestellten heutigen Regelungssystematik für das Merkmal der Fachkunde gelten. Die Berücksichtigung des Verhaltens von Bietern in früheren Auftragsverhältnissen ist nach der heutigen Regelungssystematik der Prüfung der Ausschlussgründe gem. §§ 123, 124 GWB, insbesondere § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vorbehalten.