Ax Vergaberecht

Kurz belichtet: VK Südbayern zur Unzulässigkeit der Direktvergabe, wenn die Dringlichkeit selbst verschuldet worden ist

Kurz belichtet: VK Südbayern zur Unzulässigkeit der Direktvergabe, wenn die Dringlichkeit selbst verschuldet worden ist

von Thomas Ax

1. Auch ein Auftraggeber, der Leistungen der Daseinsvorsorge zu erbringen hat, die nicht unterbrochen werden dürfen, darf keine Direktvergabe der Interimsleistungen nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV an einen Wirtschaftsteilnehmer durchführen, wenn er die Dringlichkeit durch den Versuch, während eines laufenden Nachprüfungsverfahrens vollendete Tatsachen zu schaffen, selbst aktiv herbeigeführt hat.

2. Im Falle der bestandskräftigen Feststellung der Nichtigkeit eines unter Verstoß gegen die Verpflichtung zur Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union geschlossenen Vertrags durch die Nachprüfungsinstanzen darf ein öffentlicher Auftraggeber die rechtswidrig beschafften Lieferungen nicht einfach behalten oder benutzen, sondern hat den Vertrag rückabzuwickeln.

3. Eine Direktvergabe von Interimsleistungen darf nicht dazu führen, dass die Rückabwicklungsverpflichtung aus einem bestandskräftigen Beschluss der Vergabekammer nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, in dem die Nichtigkeit des geschlossenen Vertrags festgestellt wurde, umgangen und der obsiegende Antragsteller faktisch rechtsschutzlos gestellt wird.

VK Südbayern, Beschluss vom 26.06.2023 – 3194.Z3-3_01-23-9

OVG Bremen zu der Frage, wie ein Auswahlverfahren zur Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für das Einbringen von E-Scootern in den Straßenraum zum Verleih durchgeführt werden kann und ob ein Losverfahren in Frage kommt

OVG Bremen zu der Frage, wie ein Auswahlverfahren zur Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für das Einbringen von E-Scootern in den Straßenraum zum Verleih durchgeführt werden kann und ob ein Losverfahren in Frage kommt

vorgestellt von Thomas Ax

Es begegnet grundsätzlich keinen Bedenken, wenn sich eine Behörde im Rahmen komplexer Entscheidungsverfahren zur Strukturierung ihrer Ermessensausübung einer Bewertungsmatrix bedient, bei der eine Punktevergabe und Gewichtung einzelner Faktoren erfolgt. Ob die Entscheidung in der Folge allein durch das rechnerische Ergebnis vorgegeben wird oder weitere wertende Betrachtungen hinzutreten können, unterliegt ebenfalls grundsätzlich der Entscheidung der handelnden Behörde. Es ergeben sich keine durchgreifenden Bedenken dagegen, auf einen Losentscheid zurückzugreifen. Auch unter Berücksichtigung grundrechtlicher Garantien und vorliegend namentlich des Art. 12 Abs. 1 GG kann ein Losverfahren zur Vergabe einer Erlaubnis oder Genehmigung jedenfalls dann zur Anwendung kommen, wenn sich mehrere Konkurrenten nach Festlegung von sachbezogenen Auswahlkriterien und deren Anwendung auf den konkreten Einzelfall als gleichrangig erweisen.

OVG Bremen, Beschluss vom 27.10.2023 – 1 B 146/23

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für das Einbringen und entgeltlichen Anbieten von E-Scootern im öffentlichen Straßenraum.

Die Antragstellerin und die Beigeladene sind Vermieterinnen von E-Scootern. Die Antragstellerin besaß für das Land B. eine befristete Sondernutzungserlaubnis, die im Jahr 2023 auslief. Bereits 2021 beschloss die Stadtbürgerschaft B. ein Sondernutzungskonzept für die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen für Elektrokleinstfahrzeuge (Drs. 20/494 S). Dieses legte ein Gesamtkontingent von insgesamt 2.500 E-Scootern fest, das auf zwei Anbieter verteilt werden sollte. Eine weitere Zersplitterung würde die Überwachung unverhältnismäßig erschweren. Der Auswahl solle eine Muster-Sondernutzungserlaubnis zugrunde gelegt werden und es sollten diejenigen Verleihunternehmen eine Erlaubnis erhalten, deren Konzepte in qualitativer Hinsicht am besten die Gewähr dafür böten, die Nebenbestimmungen der Sondernutzungserlaubnis einzuhalten und die Anforderungen des § 18 BremLStrG umzusetzen. Soweit danach keine überwiegenden Sachgründe eine Entscheidung vorgäben, solle die Auswahl durch Losentscheid erfolgen. Am 08.02.2023 gab die Antragsgegnerin unter Veröffentlichung einer Muster-Sondernutzungserlaubnis öffentlich bekannt, dass ab dem 01.05.2023 ein entsprechendes Auswahlverfahren durchgeführt werde.

Am 27.02.2023 teilte die Antragsgegnerin einer Konkurrentin der Antragstellerin auf Nachfrage per E-Mail mit, wenn alle Bewerber die Mindeststandards erfüllten, würde eine darüber hinausgehende qualitative Bewertung der eingereichten Unterlagen vorgenommen: Es erhielten dann die Verleihunternehmen eine Erlaubnis, deren Konzepte in qualitativer Hinsicht am besten die Gewähr dafür böten, dass die Nebenbestimmungen der Mustererlaubnis eingehalten werden. Dies sei mit den “überwiegenden Sachgründen” gemeint. Nur wenn sich kein “qualitativer Vorsprung” einzelner Bewerber erkennen ließe, fände ein Losentscheid statt.

Die Antragsgegnerin erstellte unter dem 03.04.2023 einen Vermerk zum Ausgang des Auswahlverfahrens. Darin wurde ausgeführt, um das Ermessen transparent und nachvollziehbar auszuüben, sei eine Bewertungsmatrix erstellt worden, welche auf die Regelungen der Muster-Sondernutzungserlaubnis ausgerichtet sei. Nach dieser Bewertungsmatrix erfolgte eine Priorisierung der Nebenbestimmungen in drei Kategorien. Die Anforderungen der Kategorie A wurden mit dem Faktor 3, die der Kategorie B mit dem Faktor 2 und die der Kategorie C mit dem Faktor 1 gewichtet. Insgesamt waren 120 Punkte erreichbar. Die erreichte Gesamtpunktzahl sollte nicht zwangsläufig zur Erteilung oder Versagung eine Sondernutzungserlaubnis führen, vielmehr sollte hiernach noch eine ergänzende Gesamtschau erfolgen. Von den vier am Verfahren teilnehmenden Unternehmen erhielt das am besten bewertete Unternehmen insgesamt 112 Punkte. Bei der Auswertung der Ergebnisse wurde u.a. darauf abgestellt, dass dieses Unternehmen insbesondere bei den nutzerbezogenen Maßnahmen zur Wahrung der Barrierefreiheit stets die höchste Punktzahl erhalten habe. Es biete daher am besten die Gewähr dafür, die Nebenbestimmungen der Muster-Sondernutzungserlaubnis einzuhalten. Das nach Punkten am schlechtesten bewertete Unternehmen habe hingegen häufig intransparente und oberflächliche Angaben gemacht, was sich in einer Punktzahl von 82 Punkten widerspiegele. Ferner habe dieses Unternehmen bei den Sanktionsmaßnahmen keine eindeutigen und klaren Maßnahmen benannt. Die Antragstellerin (98 Punkte) und die Beigeladene (92 Punkte) lägen sehr nah beieinander. Sie unterschieden sich in lediglich sechs Punkten in der Gesamtwertung. Bezogen auf die in die Kategorie B eingruppierten Anforderungen glichen sich die unterschiedlich bewerteten Punkte teilweise untereinander aus. Der Vergleich bei den Nebenbestimmungen der Priorisierungsstufe A sei ausgeglichen. Auch wenn die Antragstellerin “bekannt und bewährt” sei, lägen in der Gesamtschau keine überwiegenden Sachgründe vor, die eine Entscheidung vorgeben würden, sodass ein Losverfahren durchgeführt werde.

Am 17.04.2023 wurde im Beisein von Vertretern der Antragstellerin eine Losziehung durchgeführt, die zugunsten der Beigeladenen ausfiel.

Mit Bescheid vom 24.04.2023 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin ab. Sie erläuterte die an die Anbieter vergebenen Punkte und verwies auf die vorgenommene Gesamtschau und das Ergebnis des Losverfahrens. Dabei wiederholte sie zur Begründung im Wesentlichen die Ergebnisse des Auswahlvermerks. Am 25.04.2023 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen die Ablehnung ihres Antrages, wobei sie zugleich Widerspruch gegen die an die Konkurrentinnen erteilten Erlaubnisbescheide einlegte.

Am 27.04.2023 teilte die Beigeladene der Antragsgegnerin mit, dass sie nur die Genehmigung von 800 E-Scootern beantrage, sich aber vorbehalte, die Flotte ggf. nach oben anzupassen. Unter dem 28.04.2023 wurde ihr eine auf zwei Jahre befristete und für sofort vollziehbar erklärte Sondernutzungserlaubnis für das Einbringen und Anbieten von 800 Fahrzeugen erteilt.

Bereits am 27.04.2023 hat die Antragstellerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes beantragt, die Antragsgegnerin zur Erlass einer Sondernutzungserlaubnis, hilfsweise zur erneuten Bescheidung zu verpflichten. Zudem hat sie beantragt, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 25.04.2023 gegen die Sondernutzungserlaubnis der Beigeladenen wiederherzustellen.

Mit Beschluss vom 24.05.2023 hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antrag der Antragstellerin vom 08.03.2023 unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu zu bescheiden. Im Übrigen lehnte es den Eilantrag ab. Bei der begehrten Erlaubnis handle es sich um ein Sondernutzungsbegehren im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 BremLStrG. Dem Auswahlverfahren unter Zugrundelegung einer Mustererlaubnis stünden keine Bedenken entgegen. Die Stadtbürgerschaft sei befugt, allgemeine Richtlinien zur Ausübung des Ermessens vorzugeben. Bei dem Sondernutzungskonzept handle es sich um materielle Verwaltungstätigkeit, die eine Bindung nur insoweit hergebe, als dass eine Vereinbarkeit mit höherrangigem Rechts bestehe, und eine Orientierung an spezifisch straßenrechtlichen Erwägungen gegeben sei. Die Begrenzung der Anzahl der E-Scooter diene wie die Beschränkung auf lediglich zwei Anbieter der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehres. Eine fehlerhafte Entscheidung ergebe sich weder aus der Priorisierung einzelner Auswahlkriterien noch aus einem Verstoß gegen das Transparenzgebot. Insbesondere habe die Antragsgegnerin ihre Entscheidung nicht von anderen als in den Verfahrensinformationen genannten Kriterien abhängig gemacht. Die Auswahlentscheidung sei auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Erlaubnis der Beigeladenen die zulässige Höchstzahl von 1.250 Fahrzeugen nicht ausschöpfe. Der (Mindest-)Umfang eines Antrags sei nicht vorgegeben gewesen. Dass die Antragstellerin die nach Punkten Zweitplazierte sei, führe ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit. Wann “überwiegende Sachgründe” im Sinne des Sondernutzungskonzepts eine Entscheidung vorgäben, bestimme sich nach der Ermessenspraxis der Behörde. Diese gehe hier nicht dahin, im Falle eines Punktevorsprungs ohne weitere Abwägung eine Erlaubnis zu erteilen. Die verwandte Bewertungsmatrix habe nur eine verwaltungsinterne Orientierungshilfe sein sollen. Der maßgeblichen Ermessenspraxis könne entnommen werden, dass bei einem Punkteunterschied von sechs Punkten zwischen Zweit- und Drittplatziertem nicht automatisch von “überwiegenden Sachgründen” für den punktbesseren Antragsteller auszugehen sei, sondern es zusätzlich einer Gesamtabwägung bedürfe. Der E-Mail eines Sachbearbeiters vom 27.02.2023 im Verwaltungsverfahren käme für die Entscheidungspraxis keine Bedeutung zu. Unabhängig davon stünden die dortigen Aussagen nicht zwingend im Widerspruch dazu, einen “qualitativen Vorsprung” nicht schon bei einem geringfügigen Punktevorsprung anzunehmen. Die Antragsgegnerin habe auch nicht bei einem festgestellten qualitativen Vorsprung ein Losverfahren durchgeführt, sondern sei von einer Gleichwertigkeit der Konzepte ausgegangen. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, deshalb ein Losverfahren durchzuführen, erweise sich aber als ermessensfehlerhaft, weil ihr bei der Bepunktung ein Fehler unterlaufen sei. Sie sei hinsichtlich des Einsatzes einer Fußpatrouille in Bezug auf die Beigeladene von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Mangels einer Ermessensreduzierung auf Null folge hieraus nur ein Anspruch auf erneute Entscheidung. Soweit die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruches begehre, fehle es am Rechtsschutzbedürfnis. Der Erlaubnisbescheid der Beigeladenen zeitige für sie keine unmittelbare belastende Wirkung.

Als Reaktion auf die verwaltungsgerichtliche Entscheidung hat die Antragsgegnerin Ermittlungen zum Einsatz einer Patrouille durch die Beigeladene vorgenommen und in deren Rahmen auch bei dieser hierzu Informationen eingeholt. Mit Bescheid vom 29.06.2023 hat sie sodann den Antrag der Antragstellerin unter Rücknahme des Bescheides vom 24.04.2023 erneut abgelehnt. Die Beigeladene habe Angaben zum Vorhandensein einer Patrouille gemacht. Es verbliebe bei ihr und der Antragstellerin bei der vorgenommenen Bepunktung. Lediglich das am schlechtesten bewertete vierte Unternehmen erhalte nun zwei Punkte mehr und daher insgesamt 84 Punkte. Im Rahmen einer Gesamtschau sei weiterhin nicht vom Vorliegen überwiegender Sachgründe für die Antragstellerin oder die Beigeladene auszugehen, weshalb zu losen sei. Hierbei sei das Ergebnis des durchgeführten Losverfahrens bindend. Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 10.07.2023 ebenfalls Widerspruch eingelegt.

Am 08.06.2023 hat die Antragstellerin Beschwerde gegen den ihr am 26.05.2023 zugestellten Beschluss erhoben. Zudem hat sie mit Schriftsatz vom 10.07.2023 erklärt, auch im Lichte der Neubescheidung vom 29.06.2023 an der Beschwerde festhalten zu wollen. Die Antragsgegnerin sei derart an ihr Bewertungskonzept gebunden gewesen, dass die Auswahl anhand des Punktevorsprungs habe erfolgen müssen. Dass die Bewertungsmatrix nur als Orientierung habe dienen sollen, werde erst im nach der Bepunktung erstellten Auswertungsvermerk erwähnt. Ein Losentscheid sei nur bei einem Fehlen überwiegenden Sachgründe für eine Entscheidung vorgesehen gewesen. Nach den Verfahrensunterlagen sei dies bei einem qualitativen Unterschied nicht der Fall. Dies sei in der Email vom 27.02.2023 bestätigt worden. Die Voraussetzungen einer Losentscheidung hätten angesichts des Punktevorsprungs der Antragstellerin nicht vorgelegen. Die Antragsgegnerin habe die Bewertungsentscheidung akribisch vorbereitet und durchgeführt. Das detailorientierte und ausgewogene Vorgehen lasse es absurd erscheinen, das Ergebnis zu verwerfen und stattdessen eine Zufallsentscheidung zu treffen. Bei einem Vorsprung von sechs Punkten lägen die Ergebnisse nicht sehr nahe beieinander. Mit der Formulierung, die Konzepte der Antragstellerin und der Beigeladenen seien “annähernd gleich”, habe die Antragsgegnerin zu erkennen gegeben, dass die Konzepte nicht gleichwertig seien. Zudem erschöpfe sich die Begründung für den Losentscheid in einer Darstellung der Bepunktung. Dass die vermeintliche “Gesamtschau” tatsächlich nicht vorgenommen worden sei, zeige auch ein Vergleich zwischen Ablehnungs- und Neubescheid. Obwohl sich die Bewertung des vierten und schlechtplatziertesten Unternehmens geändert habe und nun deren Abstand zur Beigeladenen von acht Punkten kaum größer sei als der Abstand der Beigeladenen zur Antragstellerin, habe die Antragsgegnerin dies in den Ausführungen zu der “Gesamtschau” nicht berücksichtigt. Zudem sei ein Losentscheid nur als Ultima Ratio zulässig. Das Vorgehen verstoße zudem gegen die unionsrechtlich garantierten Grundfreiheiten der Dienstleitungs- und Niederlassungsfreiheit sowie gegen das Kartellrecht. Auch die Abweichung von den in den Verfahrensunterlagen vorgesehenen 1.250 Fahrzeugen durch die Beigeladene widerspräche den Verfahrensvorgaben. Wenn sich die Antragsgegnerin für eine strenge Kontingentierung entscheide, dürfe sie Erlaubnisse nur zur tatsächlichen Ausübung erteilen. Ansonsten müsse die Erlaubniss einem anderen Unternehmen erteilt werden. Schließlich habe es im Rahmen der Neubescheidung eines neuen Losentscheids bedurft und der Beigeladenen habe keine Gelegenheit gegeben werden dürfen, ihr Konzept nachzubessern.


Die Antragstellerin beantragt unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 24.05.2023 (Az. 5 V 829/23), soweit dieser entgegensteht,

1. die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin die am 08.03.2023 beantragte Sondernutzungserlaubnis für das Einbringen und entgeltliche Anbieten von E-Scootern im öffentlichen Straßenraum der Stadtgemeinde B. vorläufig zu erteilen,

hilfsweise dazu: die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, über den Antrag der Antragstellerin vom 08.03.2023 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts vorläufig erneut zu entscheiden,

2. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 25.04/ 12.05.2023 gegen die der Beigeladenen erteilte Sondernutzungserlaubnis vom 28.04.2023 wiederherzustellen.


Die Antragsgegnerin ist der Beschwerde entgegengetreten. Die Beschwerde sei unzulässig. Sie könne die Rechtsstellung der Antragstellerin nicht verbessern, weil sich die erstinstanzliche Entscheidung, deren Aufhebung begehrt werde, auf den aufgehobenen Bescheid vom 24.04.2023 beziehe. Weder die Ausgangsverfügung noch die erneute Verfügung wiesen Defizite auf. Im Rahmen ihrer neuen Entscheidung sei zur Patrouille der Beigeladenen ermittelt worden. Dies habe die Richtigkeit der Einschätzung zu deren Bedeutung in der ursprünglichen Verfügung bestätigt. Ein erneutes Losverfahren sei nicht geboten gewesen, da im Beschluss des Verwaltungsgerichts nur ein vermeintlicher Ermessensfehler in einem abgrenzbaren Teilbereich der Auswahlentscheidung gerügt worden sei. Formelle Einwände gegen den durchgeführten Losentscheid bestünden nicht. Die Situation habe sich seit dem Losentscheid im April nicht geändert.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und auf ihren Vortrag in einem von ihr angestrengten eigenständigen Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts (Az: 1 B 151/23) Bezug genommen.

15Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.


II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Der Antrag zu 1. ist zulässig, aber unbegründet.

a) Der Zulässigkeit der Beschwerde steht die Neubescheidung des Antrags der Antragstellerin während des Beschwerdeverfahrens nicht entgegen. Zunächst ist weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Neubescheidung ändert nichts daran, dass die Antragstellerin weiterhin ein schutzwürdiges Interesse an einer Sachentscheidung über ihren Eilantrag hat. Ein Obsiegen im Beschwerdeverfahren würde ihr einen rechtlichen Vorteil verschaffen Ob sich der Streitgegenstand des Verfahrens durch die Einbeziehung des Umstands der Neubescheidung verändert hat, erscheint fraglich, kann aber im Ergebnis dahinstehen, da eine dann notwendige Antragsänderung nach § 122 Abs. 1 i.V.m. § 91 Abs. 1 2. Alt VwGO zulässig wäre. Zum Teil wird vertreten, der Versagungsbescheid gehöre zur “Vorgeschichte” eines geltend gemachten Anspruchs auf Erlass eines Verwaltungsakts und sei daher vom Streitgegenstand umfasst (so Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 40; a.A. BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 77.84, wo im Falle einer Verpflichtungsklage in der Einbeziehung eines neuen Ablehnungsbescheids keine Klageänderung gesehen wurde; danach differenzierend, ob eine Verpflichtungs- oder eine Bescheidungssituation vorliegt: Decker, in: Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, 66. Edition 01.07.2023, § 113 Rn. 71 f.). Folgte man dem, läge in der Einbeziehung der neuen Bescheidung eine Antragsänderung. Die damit einhergehende Änderung des Streitgegenstandes in der Beschwerdeinstanz eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes wird weder durch den Beschleunigungsgedanken noch die grundsätzliche Beschränkung des Beschwerdeverfahrens auf eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) ausgeschlossen. So soll § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO den Beschwerdeführer zwar dazu zwingen, seine Einwände gegen die Entscheidung zügig und vollständig auf den Punkt zu bringen, nicht aber sachdienliche Änderungen des Streitgegenstandes verhindern (OVG Bremen, Beschluss vom 29.03.2021 – 1 B 100/2; Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 25). Gerade im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) können daher auch hier Antragsänderungen in entsprechender Anwendung des § 91 Abs. 1 VwGO sachdienlich und zulässig sein. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn – wie vorliegend – die Antragsänderung einer Veränderung der Sach- oder Rechtslage Rechnung trägt, die nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts eingetreten ist (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 19.05.2022 – 2 B 89/22 m.w.N., auch zur gegenteiligen Ansicht). Die Voraussetzungen einer Antragsänderung lagen auch im Übrigen vor, da diese jedenfalls im Sinne des § 122 Abs. 1 i.V.m. § 91 Abs. 1 2. Alt VwGO sachdienlich ist. Eine Änderung ist regelmäßig dann sachdienlich, wenn sie die Möglichkeit bietet, den Streitstoff zwischen den Beteiligten endgültig zu bereinigen und keine erhebliche Verzögerung des ansonsten entscheidungsreifen Rechtsstreits nach sich zieht. Beides ist vorliegend bezogen auf eine vorläufige Klärung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache der Fall.

b) Die Beschwerde ist allerdings unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Änderung oder Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses. Dies wäre nur in Betracht gekommen, wenn die Antragstellerin im Sinne des § 123 Abs. 1 VwGO einen Anordnungsanspruch hinsichtlich einer Verpflichtung der Antragsgegnerin zu einer erneuten Entscheidung glaubhaft gemacht hätte. Dies ist ihr nicht gelungen.

Der Senat legt seiner Entscheidung dabei neben der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts und dem innerhalb der Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO eingebrachten Vortrag der Antragstellerin auch die erst nach Ablauf der Begründungsfrist ergangene neuerliche Ablehnung vom 26.06.2023 sowie den hierauf bezogenen Vortrag der Beteiligten zugrunde. Für den Erfolg der Beschwerde ist nicht maßgeblich, ob das Verwaltungsgericht unter Zugrundelegung der ihm bekannten Tatsachen richtig entschieden hat, sondern, ob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis zutreffend ist. Das Beschwerdegericht ist deshalb in seiner Prüfung nicht auf solche Tatsachen beschränkt, die bereits zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung vorgelegen haben und auch vom Beschwerdeführer geltend gemacht worden sind. Es hat in seine Prüfung vielmehr grundsätzlich auch nachträglich eingetretene und vorgetragene Veränderungen der Sach- oder Rechtslage einzubeziehen (OVG Bremen, Beschluss vom 11.04.2023 – 1 B 295/22). Die Prüfungsbefugnis ist nach Sinn und Zweck des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO sowie dessen systematischen Zusammenhangs mit den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nur auf Umstände beschränkt, die der Beschwerdeführer in der Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vortragen konnte und musste (OVG MV, Beschluss vom 22.10.2015 – 2 M 13/15; vgl. auch Kautz, in: Fehling/Kastner/Störmer, VerwR, 5. Aufl. 2021, § 146 VwGO Rn. 27 f.; s.a. OVG Bremen, Beschluss vom 17.11.2022 – 2 B 206/22, sowie Urt. v. 24.09.2020 – 2 B 187/20). Nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eintretende jedenfalls offensichtliche entscheidungserhebliche Tatsachen, Rechtsänderungen sowie neue, bislang unverschuldet nicht unterbreitete präsente Beweismittel und der diesbezügliche Vortrag der Beteiligten sind daher grundsätzlich berücksichtigungsfähig (VGH BW, Beschluss vom 26.01.2017 – 5 S 1791/16; Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 146 Rn. 19 und 29; Külpmann, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2017, Rn. 1157 f.; a.A. OVG MV, Beschluss vom 20.08.2018 – 3 M 14/16; OVG Bln.-Bbg., Beschluss vom 30.05.2016 – 2 S 8.16; NdsOVG, Beschluss vom 11.12.2012 – 7 ME 131/12 -, jeweils unter Verweis auf § 80 Abs. 7 VwGO). Hierfür sprechen, da der Vortrag des Beschwerdegegners normativ keinen thematischen oder zeitlichen Beschränkungen unterliegt, auch der Grundsatz der Waffengleichheit und prozessökonomische Gründe (VGH BW, Beschluss vom 08.03.2011 – 10 S 161/09).

Die Antragstellerin hat es dennoch nicht vermocht, darzutun, dass ein Anordnungsanspruch für die von ihr mit ihrem Antrag zu 1. begehrte Regelung besteht. Zwar hatte sie, wenn man die in der Beschwerde nicht bestrittene Ansicht des Verwaltungsgerichts zugrunde legt, dass der Einsatz der E-Scooter eine Sondernutzung darstellt, aus § 18 Abs. 4 BremLStrG grundsätzlich einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag auf die Gewährung einer Sondernutzungserlaubnis. Da die Anzahl der vorgesehenen Zulassungen von der Antragsgegnerin auf zwei begrenzt wurde, stellte die Entscheidung über die Sondernutzungserlaubnis zudem eine Verteilungsentscheidung in einem wettbewerblich geprägten Umfeld mit grundrechtlicher Relevanz für die Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG), aber auch für den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) dar. Dieser Verteilungskonflikt musste unter Wahrung der Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz gelöst werden (Barth/Kase, NVwZ 2021, 177, 180; vgl. auch NdsOVG, Urt. v. 19.02.2015 – 7 LC 63/13). Dass dies nicht jedenfalls unter Berücksichtigung der Erwägungen in der erneuten Bescheidung vom 26.06.2023 erfolgt ist und damit der Anspruch der Antragstellerin aus § 18 Abs. 4 BremLStrG erfüllt wäre (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 412), ist nicht zu erkennen.

aa) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin die im Vorfeld ihrer Entscheidung formulierten Maßstäbe für die vorzunehmende Auswahl beachtet und durfte auf dieser Grundlage ermessensfehlerfrei zu dem Ergebnis kommen, dass eine Auslosung vorzunehmen war.

Nach den Festlegungen der Bürgerschaft und auch den in der Folge veröffentlichten Ausschreibungsbedingungen sollten diejenigen Verleihunternehmen eine Genehmigung erhalten, deren Konzepte in qualitativer Hinsicht am besten Gewähr dafür bieten, dass die Nebenbestimmungen der Mustererlaubnis eingehalten und die Anforderungen des § 18 BremLStrG umgesetzt werden. Soweit danach keine überwiegenden Sachgründe eine Entscheidung vorgeben, sollte die Auswahl zur Auflösung der Konkurrenzsituation durch Losentscheid erfolgen. Gegen diese Konzeption der Auswahl ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Zudem hat die Antragsgegnerin dadurch, dass sie den Genehmigungsbewerbern diese im Vorfeld ihrer Entscheidung unter Übermittlung der Muster-Sondernutzungserlaubnis mitteilte, eine hinreichende Transparenz hergestellt. Die potenziellen Bewerber konnten sich so bei ihrer Bewerbung auf die mitgeteilten Anforderungen einstellen. Dass die im Auswahlverfahren als Hilfsmittel herangezogene Bewertungsmatrix nicht veröffentlicht wurde und damit u.a. die Gewichtung der Kriterien den Antragstellern nicht bekannt war, ändert daran nichts. Es ist nicht erforderlich, dass sie die Auswahlentscheidung anhand derart detaillierter Angaben bereits selbst vorab vornehmen oder “errechnen” konnten, da ihnen durch die Kenntnis der Kriterien hinreichend Gelegenheit gegeben wurde, ihre Eignung darzulegen und nachzuweisen, inwieweit sie die gestellten Anforderungen erfüllen (vgl. VGH BW, Beschluss vom 28.03.2023 – 6 S 1168/22; NdsOVG, Urt. v. 14.09.2016 – 8 LC 160/15 -).

(1) Nach derzeitigem Sachstand ist nicht ersichtlich, dass eine Selbstbindung der Antragsgegnerin dahingehend bestanden hat, bereits dann zwingend von “überwiegenden Sachgründen” auszugehen, wenn sich aus der Bewertungsmatrix ein auch nur geringer Punktevorsprung für einen der Bewerber ergibt.

Es begegnet grundsätzlich keinen Bedenken, wenn sich eine Behörde im Rahmen komplexer Entscheidungsverfahren zur Strukturierung ihrer Ermessensausübung einer Bewertungsmatrix bedient, bei der eine Punktevergabe und Gewichtung einzelner Faktoren erfolgt. Ob die Entscheidung in der Folge allein durch das rechnerische Ergebnis vorgegeben wird oder weitere wertende Betrachtungen hinzutreten können, unterliegt ebenfalls grundsätzlich der Entscheidung der handelnden Behörde. Vorliegend ist indes nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin ihre Entscheidung, wie von der Antragstellerin unterstellt, streng und ausschließlich dem rechnerischen Ergebnis nach Punkten unterwerfen wollte. Dafür lässt sich zunächst weder der Entschließung der Bürgerschaft noch den bekanntgemachten Unterlagen etwas entnehmen. In beiden Fällen wird die Bewerbungsmatrix nicht erwähnt. Sie wurde auch ansonsten im Vorfeld der Entscheidung nicht veröffentlicht, sodass nach außen der Eindruck hätte entstehen können, es käme allein auf die dort zu erreichenden numerischen Werte an. Weiterhin ergibt sich aus dem Vermerk zum Auswahlverfahren vom 03.04.2023, dass die Bewertungsmatrix auf die Regelungen der Muster-Sondernutzungserlaubnis lediglich dazu dienen sollte, das Ermessen transparent und nachvollziehbar auszuüben (Bl. 466 Behördenakte). Ausdrücklich sollte dabei die vergebene Gesamtpunktzahl nicht zwangsläufig zur Erteilung einer Erlaubnis führen, sondern ergänzend eine wertende Gesamtschau vorgenommen werden (Bl. 467 Behördenakte). Der von Antragstellerin in Bezug genommenen E-Mail eines Behördenmitarbeiters aus dem Auswahlverfahren an eine ihrer Konkurrentinnen lässt sich nichts anderes entnehmen. Auch diese erwähnt die Bewertungsmatrix nicht, sondern befasst sich lediglich damit, wann unter Würdigung der veröffentlichten Ausschreibungsbedingungen von einer Situation auszugehen sein sollte, in der eine Losentscheidung erfolgt.

Auch ansonsten bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin von einer strikten Bindung an das Punktesystem ausgegangen ist. Allein die Existenz der Matrix und dass darin im Wege der Gewichtung von Kriterien bereits wertende Elemente enthalten sind, zeigt dies nicht auf. Vielmehr ist es nachvollziehbar, dass aus Sicht der Behörde eine strikte Bindung an das Bepunktungssystem angesichts der Komplexität der zu treffenden Entscheidung problematisch gewesen wäre.

(2) Aus den Einwänden der Antragstellerin ergeben sich auch ansonsten keine durchgreifenden Bedenken dagegen, auf einen Losentscheid zurückzugreifen.

Auch unter Berücksichtigung grundrechtlicher Garantien und vorliegend namentlich des Art. 12 Abs. 1 GG kann ein Losverfahren zur Vergabe einer Erlaubnis oder Genehmigung jedenfalls dann zur Anwendung kommen, wenn sich mehrere Konkurrenten nach Festlegung von sachbezogenen Auswahlkriterien und deren Anwendung auf den konkreten Einzelfall als gleichrangig erweisen (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 04.09.2017 – 11 ME 330/17; Jarass, NVwZ 2017, 273, 277; s.a. OVG NRW, Beschluss vom 15.05.2017 – 4 A 1504/15; weitergehend BVerwG, Beschluss vom 04.10.2005 – 6 B 63.05).

Von einem solchen Fall der Gleichwertigkeit ist die Antragsgegnerin erkennbar ausgegangen, wenn sie feststellt, dass keine überwiegenden Sachgründe für die Antragstellerin auf der einen und die Beigeladene auf der anderen Seite vorlägen und diese “sehr nahe beieinander” lägen (Bl. 480 Behördenakte). Sowohl dem zunächst ergangenen Ablehnungsbescheid vom 24.04.2023 als auch dem Bescheid vom 26.06.2023 lässt sich entnehmen, dass die Antragsgegnerin eine wertende Gesamtschau durchgeführt hat, auf deren Grundlage sie zu dem Ergebnis kam, dass zwischen den Konzepten der Antragstellerin und der Beigeladenen keine Unterschiede bestanden, die aus ihrer Sicht eine von Sachgründen getragene Differenzierung rechtfertigen würden. Diese Würdigung war vom Einschätzungsspielraum der Antragsgegnerin gedeckt und ist angesichts des Ergebnisses aus der Bewertungsmatrix auch nachvollziehbar begründet worden. Die Antragsgegnerin hat nach der Feststellung und Punktevergabe in den einzelnen Nebenbestimmungen aufgezeigt, aus welchen Gründen aus ihrer Sicht keine überwiegenden Sachgründe für eine Entscheidung zugunsten der Antragstellerin bestehen. Dabei hat sie darauf hingewiesen, dass der nach der Matrix vorgenommene Vergleich bei den Nebenbestimmungen der am höchsten bewerteten Kategorie A ausgeglichen ausfiel. Soweit sich die Unterschiede auf Nebenbestimmungen in der Kategorie B beziehen, lag die Antragstellerin zwar in zwei Bereichen vorne (“Wartung der Fahrzeuge” und “Meldewege”), während die Beigeladene nur in einer Kategorie ein besseres Ergebnis erzielte (“Aufstellen und Umverteilen”). Insofern wird im Auswahlvermerk indes darauf verwiesen, dass sich die einzelnen Punkte teilweise untereinander ausglichen (Bl. 480 Behördenakte). Durch die niedrigere Priorisierung dieser Anforderung durch die Antragsgegnerin wird zudem deutlich, dass diesen Unterschieden im Vergleich mit Differenzen bei den Kriterien der höchsten Priorisierungsstufe nur eine untergeordnete Bedeutung zukam. Zudem bezieht sich bei näherer Betrachtung der Unterschied in der Kategorie “Meldewege” lediglich darauf, dass die Beigeladenen keine Angaben zur Meldung per Chatbot, Live-Chat und QR-Code gemacht hat (vgl. Bl. 220 d.A.).

Die Entscheidung Antragsgegnerin ist auch nicht deshalb nicht nachvollziehbar oder intransparent, weil nach der im Rahmen der Neubescheidung festgestellten Punkteverteilung ein vierter Mitbewerber nunmehr 84 Punkte und damit acht Punkte weniger als die Beigeladene (92 Punkte) erhielt. Wenn die Antragstellerin anführt, dieser Abstand sei im Vergleich zu dem zwischen ihr und der Beigeladenen bestehenden Unterschied von sechs Punkten als “kaum mehr größer” anzusehen, geht dies an den vorgenommenen Wertungen vorbei. Die Antragsgegnerin hat sich nie ausschließlich auf einen absoluten Punktestand gestützt, sondern daneben angeführt, dass gerade in den Kategorien der höchsten Priorisierungsstufe die Beigeladene und die Antragstellerin in einer Kategorie jeweils besser abgeschnitten hätten. Das vierte Unternehmen konnte dagegen ausweislich der Bewertungsmatrix in keinem Punkt ein besseres Ergebnis erzielen als die Antragstellerin. Im Verhältnis zur Beigeladenen erhielt es lediglich in einer der vier mit höchster Bedeutung priorisierten Anforderungen mehr Punkte, während die Beigeladene in zwei Bereichen vorn lag. Zudem hat die Antragsgegnerin im Zuge der Begründung, warum das vierte Unternehmen nicht ausgewählt wurde, sowohl im Auswahlvermerk als auch in den an die Antragstellerin gerichteten Bescheiden angeführt, dass die Angaben des vierten Unternehmens oberflächlich und häufig intransparent gewesen seien. Dies hat sie im Auswahlvermerk noch näher spezifiziert und u.a. auf die Bedeutung fehlender und klarer Maßnahmen bei den Sanktionen verwiesen (Bl. 479 Behördenakte). Vor diesem Hintergrund ist es ohne Weiteres nachvollziehbar, warum das vierte Unternehmen weder in Relation zur Beigeladenen noch der Antragstellerin als gleichwertig eingestuft wurde, während die Antragsgegnerin im Binnenvergleich zwischen Beigeladener und Antragstellerin zu einem anderen Ergebnis kam.

(3) Dass die Auswahlentscheidung rechtswidrig war, weil die Beigeladene die zulässige Höchstzahl von 1.250 Fahrzeugen nicht ausschöpft, ist unter Zugrundelegung des Beschwerdevorbringens ebenfalls nicht anzunehmen.

Entgegen der Ansicht Antragstellerin hat die Antragsgegnerin keine Vorgabe aufgestellt, nach der Genehmigungsbewerber nur zum Zuge kommen sollten, wenn sie tatsächlich 1.250 E-Scooter anbieten. Eine im Rahmen einer Selbstbindung entstehende Verpflichtung zur Berücksichtigung eines geringeren Angebotes bestand deshalb nicht. Nach den Angaben im Sondernutzungskonzept (Drs. 20/494 S) und auch in der Ausschreibung zum Genehmigungsverfahren waren die vorgesehenen Gesamtkontingente für die zwei auszuwählenden Anbieter als Höchstwerte zu verstehen. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus der dort jeweils gewählten Formulierung, nach der die jeweiligen Anzahlen “höchstens” zu genehmigen waren. Vor diesem Hintergrund genügt es auch nicht, dass im Tenor der Muster-Sondernutzungserlaubnis unter Ziffer 1 von der Genehmigung von 1.250 E-Scootern ausgegangen wird, um von etwas anderem auszugehen.

Es ist auch nicht ersichtlich, warum für die Antragstellerin ansonsten eine Verpflichtung bestanden haben sollte, dafür zu sorgen, dass die ausgewählten Anbieter möglichst viele Fahrzeuge anbieten. Das Recht der Antragstellerin auf eine freie Berufsausübung wird nicht dadurch beeinträchtigt, wie viele Fahrzeuge ihre Konkurrentinnen einsetzen. Vielmehr folgt ihre Beeinträchtigung daraus, dass lediglich zwei Anbieter zugelassen wurden, zu denen sie nicht gehört. Diese Einschränkung greift die Antragstellerin in der Sache nicht an und befasst sich insofern auch nicht mit den dies als rechtmäßig erachtenden Gründen der angegriffenen Entscheidung. Demnach sei die grundsätzliche Beschränkung auf zwei Anbieter zur Erleichterung der Überwachung und damit Gefahrenabwehr ermessensfehlerfrei. Soweit die Antragstellerin ausführt, die Beigeladene habe sich einen ungerechtfertigten Vorteil verschafft, weil die von der Antragsgegnerin aufgestellten “Spielregeln”, für die betriebswirtschaftliche Kalkulation und die Konzepterstellung von Bedeutung gewesen seien, kann sie damit ebenfalls nicht durchdringen. Eine Ausschöpfung des maximal möglichen Kontingents gehörte nicht zu den Vorgaben der Antragsgegnerin. Sollte die Antragstellerin dennoch ihr Konzept darauf ausgerichtet haben, liegt dies in ihrem Verantwortungsbereich.

bb) Ein Anordnungsanspruch der Antragstellerin besteht auch nicht deshalb, weil im Rahmen der Neubescheidung keine erneute Losentscheidung erfolgte. Auch insofern kommt es allein darauf an, ob der Anspruch der Antragstellerin aus § 18 Abs. 4 Satz 1 BremLStrG auf eine fehlerfreie Ermessensausübung bereits erfüllt wurde (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 412). Dies ist jedenfalls unter Berücksichtigung der in der Neubescheidung vom 26.06.2023 enthaltenen erneuten Befassung der Antragsgegnerin mit dem Betriebskonzept der Beigeladenen der Fall.

Durch die von der Antragsgegnerin vorgenommene Strukturierung bestand der Prozess der Auswahl zwischen den Genehmigungsbewerbern aus mehreren Teilen. Die Teilentscheidung, ob eine Auslosung stattzufinden hatte, musste dabei zwangsläufig vor einer Bescheidung der Genehmigungsbewerber erfolgen und ist bereits im Auswahlvermerk vom 03.04.2023 dokumentiert worden. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin hat sich daher bei der Überprüfung im Rahmen der Neubescheidung nicht etwa eine “erneute Konkurrenzsituation ergeben”. Vielmehr wurde unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht als nicht hinreichend aufgeklärt angesehenen Frage des Bestehens einer Patrouille der Beigeladenen die schon zuvor getroffene Annahme einer Gleichwertigkeit ihres Konzepts mit dem der Antragstellerin bestätigt. Die ergänzenden Feststellungen – deren Richtigkeit die Antragstellerin nicht infrage stellt – sind lediglich nachgeschobene Erwägungen, durch welche sich die vor der Auslosung erfolgte und im Auswahlvermerk dokumentierte Entscheidung über das “Ob” des Losens als fehlerfreie Ermessensausübung darstellt.

Ob in Bezug auf eine solche Entscheidung ohne Außenwirkung die im Rahmen des Nachschiebens von Gründen bei Verwaltungsakten bestehenden Anforderungen heranzuziehen sind und § 114 Satz 2 VwGO entsprechend anzuwenden ist, kann dahinstehen. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen, dass die neuen Gründe schon zum Entscheidungszeitpunkt vorgelegen haben müssen, keine Wesensänderung eintreten darf und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird, liegen jedenfalls vor (vgl. zu diesen Anforderungen bei Verwaltungsakten BVerwG, Urt. v. 20.06.2013 – 8 C 46.12 -). Im Ergebnis hat sich lediglich die bereits im Auswahlvermerk vorhandene Annahme der Antragsgegnerin, dass auch die Beigeladene eine proaktiv agierende Patrouille einsetzt, bestätigt. Dies war nach dem Dafürhalten des Verwaltungsgerichts von der Beigeladenen lediglich in ihren Antragsunterlagen nicht hinreichend klar dargelegt worden. Im Übrigen ergibt sich auch aus der angegriffenen Entscheidung nicht, dass es davon ausging, im Rahmen der Neubescheidung müsse zwingend eine neue Auslosung erfolgen.

cc) Schließlich ist die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin auch nicht deshalb fehlerhaft, weil sie der Beigeladenen im Rahmen der Neubescheidung Gelegenheit gegeben hat, zur Bedeutung der von ihr eingesetzten Patrouille vorzutragen.

Zunächst ist weder den Ausschreibungsbedingungen noch dem sonstigen Verhalten der Antragsgegnerin zu entnehmen, dass sie ihre Entscheidung ursprünglich allein anhand der Angaben in den von sich aus eingereichten Antragsunterlagen bzw. Konzepten hätte treffen wollen. Insbesondere hat sie bereits im Vorfeld der Erstellung des Auswahlvermerks über die eingereichten Konzepte hinaus Informationen bei den Anbietern eingeholt (vgl. zu solchen Nachfragen an die Antragstellerin Bl. 446 Behördenakte und an die Beigeladene Bl. 78 Behördenakte).

Es verstieß es auch nicht gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung, dass die Antragsgegnerin in Folge der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bei der Beigeladenen Informationen zur Patrouille einholte. Zum einen stand es ihr im Rahmen des Auswahlverfahrens grundsätzlich frei, nur zu den Punkten und bei den Anbietern Nachfragen zu stellen, in denen sie eine Klärungsbedürftigkeit annahm. Eine Ungleichbehandlung oder Diskriminierung könnte hier nur dann vorliegen, wenn sie dies bei vergleichbaren Unklarheiten in den eingereichten Unterlagen der anderen Bewerberinnen unterlassen hätte. Dafür ist nichts vorgetragen. Die Kritik der Antragstellerin, auch sie hätte “gerne von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, zur Verbesserung der Bewertung Klarstellungen an ihrem Konzept vorzunehmen”, geht an der Sache vorbei, weil die Antragsgegnerin auch der Beigeladenen keine allgemeine Nachbesserungsmöglichkeit eingeräumt hat, sondern nur die Klärung einer offenen Tatsachenfrage zuließ. Zudem erfolgte dies auch nicht, um ihr eine Verbesserung der Bewertung zu ermöglichen, sondern um zu überprüfen, ob die bereits erfolgte Bewertung auf zutreffenden Annahmen basierte.

Schließlich kann entgegen der Annahme der Antragstellerin auch aus dem angegriffenen Beschluss nicht entnommen werden, dass die Antragsgegnerin keine weiteren Aufklärungsmaßnahmen durchführen durfte. Das Verwaltungsgericht ist dort zwar unter Auswertung der vorliegenden Konzepte davon ausgegangen, dass die Antragstellerin in Bezug auf die Beigeladene von einem unzutreffenden Sachverhalt hinsichtlich der Annahme des Bestehens einer Patrouille ausging. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass es meinte, die Neubescheidung müsse aus rechtlichen Gründen allein auf dieser Grundlage erfolgen. Das Verwaltungsgericht hat insofern lediglich den ihm damals bekannten Sachverhalt gewürdigt. Auch aus den Aussagen dazu, dass sich bei einer ermessensfehlerfreien Bewertung eine andere Entscheidung in Betracht kommt (S. 28 des Beschlusses), ergibt sich nichts anderes. Auch hier handelt es sich lediglich um die Bewertung der Sachlage nach dem damaligen Kenntnisstand.

c) Auch unter Berücksichtigung des Unionsrechts ergibt sich kein anderes Ergebnis.

Zwar sind nach Art. 56 Abs. 1 AEUV Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, grundsätzlich verboten. Auch wenn man im Sinne der Antragstellerin die hierzu im Kontext von Konzessionsvergaben ergangene Rechtsprechung des EuGH auf die hiesige Fallgestaltung überträgt, verhilft ihr dies indes nicht zum Erfolg. Demnach muss ein System der vorherigen behördlichen Genehmigung auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruhen. Zur Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und des sich daraus ergebenden Transparenzgebots gehört es, dass die objektiven Kriterien, die die Eingrenzung des Ermessens der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten ermöglichen, ausreichend bekannt gemacht werden (vgl. EuGH, Urt. v. 03.06.2010 – Rs. C-203/08 -). Der Ausübung des Ermessens sollen hinreichende Grenzen gesetzt werden, um die seine missbräuchliche Ausübung zu verhindern. Zudem soll es, um eine Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Genehmigungsverfahren unparteiisch durchgeführt worden sind, erforderlich sein, dass die zuständigen Behörden jede ihrer Entscheidungen auf eine öffentlich zugängliche Argumentation stützen, in der genau angegeben wird, aus welchen Gründen eine Genehmigung gegebenenfalls versagt wurde (EuGH, Urt. v. 19.07.2012 – Rs. C-470/11 -).

Diesen Anforderungen wurde vorliegend entsprochen. Die Antragsgegnerin hat die Kriterien, nach denen sie die Auswahl durchführte im Rahmen der Bekanntmachung veröffentlicht. Dass sie dabei die Bewertungsmatrix nicht veröffentlichte, ist unschädlich. Die objektiven Kriterien, nach der sie ihre Entscheidung vorzunehmen gedachte, ergaben sich ausreichend deutlich aus dem Hinweis in der Bekanntmachung, dass maßgeblich auf die Gewähr der Einhaltung der Nebenbestimmungen der ebenfalls veröffentlichten Sondernutzungserlaubnis abgestellt werden sollte (vgl. auch oben unter b)). Entgegen der Ansicht der Antragstellerin wurde damit eine Verfahrensgestaltung gewählt, welche die Ausübung des Ermessens inhaltlich hinreichend strukturiert hat und geeignet war, dessen Missbrauch zu verhindern. Dass dennoch Entscheidungsspielräume verblieben, liegt im Wesen von Ermessensentscheidungen, die im Grundsatz auch in der zitierten Rechtsprechung des EuGH gerade gebilligt werden.

Die herangezogenen Kriterien waren auch weder selbst diskriminierend, noch wurden sie in solcher Weise angewandt. Insbesondere folgt, anders als die Antragstellerin meint, aus der Vornahme einer Gesamtschau keine Diskriminierung. Die Antragsgegnerin hat sich mit dieser nicht etwa über die eigenen Bewertungskriterien hinweggesetzt, sondern lediglich ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt.

2. Auch der Hilfsantrag zum Antrag zu. 1 hat keinen Erfolg. Es fehlt auch insoweit an einem glaubhaft gemachten Anordnungsanspruch, da auf Grundlage des Vortrags der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht ersichtlich ist, dass ihr Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung nicht mittlerweile erfüllt wurde.

3. Bezüglich des Antrages zu 2. kann die Beschwerde schon deshalb keinen Erfolg haben, weil sie sich mit den Gründen des Verwaltungsgerichts hinreichend auseinandersetzt. Insbesondere befasst sie sich nicht mit der Annahme, dass die grundsätzlich vorgesehene Beschränkung auf zwei Anbieter einer Zulassung der Antragstellerin in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden sei und es der Antragsgegnerin überdies freistehe, ihre Ermessenspraxis für die Zukunft zu ändern und (doch) mehrere Anbieter zuzulassen (BA S. 31). Damit ist den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entsprach der Billigkeit, der Beigeladenen keine Kostenerstattung zuzusprechen, da sie im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt hat und somit kein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 43.1 Streitwertkatalog, wobei die Wertung der Ziffer 54.1 hinsichtlich eines Mindeststreitwerts von 15.000 Euro im Falle von Gewerbeerlaubnissen mit herangezogen wurde. Eine Halbierung im Sinne von Ziffer 1.5 Satz 2 des Streitwertkataloges war nicht vorzunehmen. Es ist davon auszugehen, dass mit der Entscheidung im Eilverfahren jedenfalls für die für die Bemessung des Streitwertes relevante Dauer eines Jahres (vgl. Ziffer 43.1 Streitwertkatalog) die Hauptsache vorweggenommen wird.

Hinweis: Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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Wir bieten an Schulungen zur Vergabe öffentlicher Grundstücke nach Konzeptqualität

Wir bieten an Schulungen zur Vergabe öffentlicher Grundstücke nach Konzeptqualität

Kommunen stehen vor immer komplexer werdenden Aufgaben. Insbesondere in wachsenden Regionen zählt die Bereitstellung von zusätzlichem Wohnraum zu vertretbaren Miet- oder Kaufpreisen zu den zentralen Herausforderungen. Aber auch die steigende Nachfrage nach besonderen Wohnformen, gemeinschaftlich orientierten Wohnprojekten, von denen bedeutende Impulse für die soziale Gestaltung des Gemeinwesens ausgehen könnten, findet auf dem Wohnungsmarkt noch keine Entsprechung. Aufgrund des großen Nachfragedrucks steigen die Baulandpreise vielerorts in astronomische Höhen, so dass sich rentable Mieten oder Verkaufserlöse vielfach nur im hochpreisigen Marktsegment darstellen lassen. Im Interesse einer nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik sollten die Kommunen steuernd eingreifen und Projekte unterstützen, die der Segregation, der Verdrängung und der wirtschaftlichen Überlastung eines zunehmenden Teils der Bevölkerung entgegenwirken. Doch welche Möglichkeiten der Steuerung gibt es? Wie kann im öffentlichen Interesse Einfluss auf die qualitative Verwertung von Grundstücken und vor allem auf die Grundstückspreise genommen werden?

Neben den Festsetzungen im Rahmen der Bauleitplanung macht eine vorausschauende und aktivierende Bodenpolitik Kommunen handlungsfähig. Durch den (Zwischen-)Erwerb von Schlüsselgrundstücken und Entwicklungsflächen können sie aktiv Einfluss auf die Entwicklung ihrer Stadt nehmen. Die Vergabe kommunaler Grundstücke nach Konzeptqualität statt nach dem höchsten Preis ist ein zentraler Schlüssel auf dem Weg zu einer lebendigen, sozial gerechten und funktional gemischten Stadt und damit zur Schaffung von Urbanität.

In den Kernempfehlungen und Maßnahmen des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit heißt es:

„Alle Gebietskörperschaften sollen Grundstücke für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum verbilligt abgeben. Soweit erforderlich, sind die  haushaltsrechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Dies schließt eine Vergabe der Grundstücke nach Konzeptqualität und nicht nach dem Höchstbieterverfahren ein. Transparente Bewertungskriterien sollten zwingende Voraussetzung für eine stärkere Nutzung von Konzeptvergaben sein. Allerdings dürfen deren Anforderungen das Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, nicht durch überhöhte Ansprüche konterkarieren.“

Wir stellen vor die Vergabe von Grundstücken nach Konzeptqualität im Vergleich zu anderen Vergabeverfahren. Wir erläutern die wesentlichen Grundsätze. Wir geben Orientierung für ein anspruchsvolles Verfahren.

Konzeptvergabe

Bei Konzeptvergabeverfahren steht die Qualität des eingereichten Konzepts im Vordergrund der Vergabeentscheidung. Das Verfahren ist sowohl für zum Verkauf stehende Liegenschaften als auch für Liegenschaften, die in Erbpacht vergeben werden sollen geeignet.

Ziel ist es, für einen Standort nach Maßgabe ausgewählter Kriterien die beste Lösung zu finden. Die Varianten der Konzeptvergabe unterscheiden sich in der Gewichtung des Preises innerhalb der Zuschlags-/ Wertungskriterien:

– Ist ein Festpreis ( ≥ Verkehrswert) Voraussetzung für den Erwerb eines Grundstücks, dann umfassen die Qualitätskriterien in Summe 100 Prozent der Zuschlagskriterien. Diese Gewichtung ist zu empfehlen, wenn insbesondere zivilgesellschaftliche oder soziale Akteure eine Chance zur Baulandentwicklung erhalten sollen.

– Bei einem Bestgebotsverfahren findet neben den qualitativen Kriterien auch der Preis eine Berücksichtigung. Zur Bewertung der Angebote wird bereits mit der Bekanntmachung die Gewichtung von Konzeptqualität und Kaufpreisangebot festgelegt. Die Qualität des Konzepts wird anhand aufgabenspezifischer Kriterien bewertet.

Als Gewichtung wird empfohlen:

Konzept 70 % (min. 50 %)
Kaufpreis 30 % (max. 50 %)

Die Erarbeitung der Konzepte erfolgt in der Regel je nach Aufgabenschwerpunkt durch Architekten, Stadtplaner und/oder Landschaftsarchitekten. Es handelt sich hierbei um eine vergütungspflichtige Leistung, die nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) zu entgelten ist.

Die Vergabe öffentlicher Grundstücke nach Konzeptqualität ist eine wichtige Voraussetzung für die Schaffung nutzungsgemischter, urbaner Quartiere mit hoher städtebaulicher und architektonischer Qualität und für die Umsetzung nachhaltiger sozialer, ökologischer und ökonomischer Standards.

Zur Bewertung der Konzepte werden in der Regel Qualitätskriterien für die Bereiche Wohnungspolitik, Städtebau / Quartier, Funktion / Architektur und Energie / Ökologie / Verkehr formuliert. Sie werden in Abhängigkeit von der Aufgabenstellung jeweils unterschiedlich gewichtet.

Soll das Grundstück unterhalb des Marktwertes vergeben werden, so muss sich bereits aus den Kriterien der Konzeptvergabe ergeben, dass die zu erbringende Dienstleistung, nämlich die Realisierung z.B. eines sozialen Wohnungsbaus, von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ist und daher eine Kaufpreisdämpfung rechtfertigt.

Mögliche Kriterien werden an einem Beispiel aufgezeigt, wo der Rat beschlossen hat, die Vergabe städtischer Grundstücke im Rahmen von Konzeptvergaben für den Geschosswohnungsbau anzuwenden. Dies gilt auch für Kleinere Grundstücke ab 10 Wohneinheiten.

SCHWERPUNKT 1:

WOHNUNGSPOLITIK

– Zusätzliche Wohnraumförderung (zum Beispiel höhere Quote geförderter Wohnungen, längere Bindungen, Höhe der Miete)

– Preisgedämpfter (Miet-)Wohnungsbau (zum Beispiel Mietpreisbindungen, Begrenzung der Umwandlung von Miete in Eigentum, Begrenzung der Mietanpassung und Wiedervermietungsmiete)

– Zielgruppen / Organisationen (zum Beispiel Studentinnen / Studenten, Auszubildende, Seniorinnen / Senioren, Menschen mit Behinderungen, anerkannte Flüchtlinge und Asylsuchende, Baugemeinschaften [Eigentum], Genossenschaften)

– Gemeinschaftsorientierung (zum Beispiel integrative Wohnformen, Mehrgenerationen-Wohnen, Wohngruppenmodelle)

SCHWERPUNKT 2:

STÄDTEBAU / QUARTIER

– Verfahren zur Qualitätssicherung (zum Beispiel Gutachterverfahren, Wettbewerb, Einhaltung von vorlaufenden Qualifizierungsverfahren)

– Städtebauliche Qualität und Freiraumqualität (zum Beispiel Umgang und Berücksichtigung angrenzender Bestandsgebäude / Planungen, Einfügen in das städtebauliche Umfeld, Qualität der Erschließung und Anordnung / Unterbringung der Stellplätze, Qualität der Freiraumplanung)

– Integration in das Quartier (zum Beispiel Wohnumfeldverbesserungen, nachbarschaftswirksame / stadtteilbezogene Maßnahmen, Bereitstellen von Infrastrukturen, Nutzungsmischung)

– Soziales Konzept (zum Beispiel Einbindung in das Umfeld, Infrastrukturangebote, Integrationsleistungen, ergänzende Gemeinschafts- und Beteiligungsangebote)

SCHWERPUNKT 3:

FUNKTION / ARCHITEKTUR

– Nutzungsvielfalt (zum Beispiel Grundrissvariabilität, Spektrum an Wohnungsgrößen, Gemeinschaftsbereiche, Abstellflächen, Barrierefreiheit, Freiraumbezug, Spielflächen, Nutzungsmischung / Wohnformen)

– Architektur und Gestaltungsqualität (zum Beispiel Architektur und Haustyp, Fassadengestaltung, Individualität der Gestaltung, Außenwirkung und Identifikationspotenzial, Einhaltung Vorgaben Denkmalschutz, Umgang mit Um- / Nachnutzung von bestehenden Gebäuden)

SCHWERPUNKT 4:

ÖKOLOGIE / ENERGIE / VERKEHR

– Mobilitätskonzept (zum Beispiel Vergabe von Gutachten, Gemeinschaftliche Mobilitätsangebote)

– Energieeinsparung (zum Beispiel erhöhte Energieeffizienz von Gebäuden, Anwendung neuer Technologien)

– Energieversorgung (zum Beispiel Prüfung Fernwärmeanschluss durch Abwasserwärme / erneuerbare Energien)

– Klimaanpassung (zum Beispiel Berücksichtigung kleinklimatischer Auswirkungen, Frischluftschneisen, Starkregenvorsorge, Begrünung, sommerliche Verschattung, Erhalt von Grünflächen und Nutzbarkeit von Freiflächen)

– Ökologisches Bauen (zum Beispiel Baustoffrecycling, Gütesiegel / Zertifizierung, Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen).

Weitere Kriterien zum Thema Ressourcenschutz könnten ein sparsamer Flächenverbrauch, eine hohe städtebauliche Dichte o.ä., sein. In den Verfahren werden das Konzept mit 70 Prozent und der Kaufpreis mit 30 Prozent gewichtet. Als Mindestangebot für den Kaufpreis ist der aktuell ermittelte Verkehrswert bindend abzugeben. Darüber hinausgehende Preisangebote gehen mit maximal 30 Prozent in die Bewertung ein. Das Bestgebot erhält die volle Punktzahl. Alle weiteren werden prozentual zum Bestgebot gewertet.

Rechtliche Rahmenbedingungen der Grundstücksvergabe nach Konzeptqualität

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Vergabe öffentlicher Grundstücke nach Konzeptqualität ergeben sich aus dem kommunalen Haushaltsrecht und dem europäischen Beihilferecht. Vergaberechtliche Anforderungen bestehen im Einzelfall. 

Das Europäische Beihilferecht

Ein weiteres bei der Entscheidung über die Vergabe eines Grundstücks zu beachtendes Rechtsgebiet ist das Europäische Beihilferecht. Dieses regelt nicht nur milliardenschwere Bankenrettungsprogramme, sondern betrifft prinzipiell auch Beihilfen von geringem Umfang. Ziel einer Vergabe nach Konzeptqualität ist es, diese so auszugestalten, dass eine Beihilfe entweder nicht vorliegt oder sie als zulässige Beihilfe gilt. Die verbilligte Überlassung eines Grundstücks an einen Interessenten kann durchaus eine Beihilfe im Sinne des Europäischen Rechts sein. Dieses definiert eine Beihilfe in Art 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) als eine aus staatlichen Mitteln gewährte selektive Begünstigung eines Unternehmens, die den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht und eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels hervorruft.

Im Detail versteht der Europäische Gerichtshof unter einem Unternehmen jede organisatorisch selbständige Einheit, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. In welcher Rechtsform das Unternehmen geführt wird und ob ein Gewinn erzielt wird ist, unerheblich. Daher kann

z.B. auch eine Bauherrengemeinschaft ein Unternehmen im Sinne des Europäischen Beihilferechts sein. Unter einer Begünstigung wird jeder finanzielle Vorteil ohne angemessene Gegenleistung verstanden. Eine Selektivität liegt dann vor, wenn einem bestimmten Unternehmen oder Wirtschaftszweig eine Begünstigung zukommt. Schließlich muss die Begünstigung aus staatlichen Mitteln stammen – was bei dem Verkauf eines öffentlichen Grundstücks stets der Fall ist – und sie muss den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen und eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels hervorrufen.

Die Beeinträchtigung des Wettbewerbs wird bereits dann angenommen, wenn das Empfängerunternehmen im Vergleich zu seinen Konkurrenten bessergestellt wird. Die Relevanz für den Wettbewerb wird auch dadurch nicht ausgeschlossen, dass es sich um eine Begünstigung in relativ geringer Höhe handelt. Auch der rein lokale Wirkungsbereich schließt eine Beihilfe nicht aus.

Ein erster Weg der beihilferechtskonformen Ausgestaltung einer Konzeptvergabe setzt daher unmittelbar am Begriff der Beihilfe an. Entsprechend der Definition der Beihilfe liegt eine solche nicht vor, wenn keine Begünstigung gegeben ist. Nach Ansicht der Europäischen Kommission liegt eine Begünstigung nicht vor, wenn das Grundstück zum Marktpreis verkauft wird.

Der Marktpreis kann dabei entweder in einem diskriminierungsfreien Ausschreibungsverfahren ermittelt werden. Alternativ lässt die EU Kommission bei Verkauf eines Grundstücks die Ermittlung des Marktwerts durch Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen zu (Bekanntmachung der Europäischen Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikel 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, 2016/ C 262/01, Rn. 103).

Ist eine Konzeptvergabe geplant, so bietet sich die Wertermittlung durch Sachverständigengutachten an.

Der so gefundene Marktwert kann dann als Festpreis bzw. Mindestpreis fungieren. Das Gutachten kann durch den Gutachterausschuss im Sinne der § 192 f. BauGB erstellt werden. Ein Gutachten des Ortsgerichts reicht hingegen nicht aus. Das Gutachten muss zwingend vor Beginn der Verkaufsverhandlungen eingeholt werden. Erscheint der vom Gutachter festgestellte Marktwert als zu hoch und soll von diesem abgewichen werden, liegt begrifflich eine Beihilfe vor. Diese ist aber zulässig, wenn sie durch das europäische Recht erlaubt wird.

In Betracht kommen dabei mehrere rechtliche Ansätze:

– Macht die Begünstigung einen Betrag von höchstens 200.000 Euro aus, so kommt eine Auszahlung auf Grundlage der De minimis-Verordnung in Betracht (Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission). Die Beihilfe kann in diesem Fall voraussetzungsfrei gewährt werden. Allerdings darf die Förderung auf Grundlage der De minimis-Verordnung innerhalb von drei Jahren den Höchstwert nicht übersteigen. Dies kann kritisch werden, wenn die Empfänger auch aus anderer Quelle eine auf die De minimis-Verordnung gestützte Förderung erhalten.

– Macht die Begünstigung einen höheren Betrag aus, so kann die Maßnahme bei einem Betrag von bis zu 500.000 Euro nach der De minimis-Verordnung für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse oder bei einem höheren

Betrag nach dem so genannten Freistellungsbeschluss zulässig sein. In diesen Fällen muss in einem Betrauungsakt festgelegt werden, welche Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse der Erwerber des Grundstücks erbringt und welche Begünstigung er erhält. Dieser Betrauungsakt enthält eine Regelung für die Rückforderung der Begünstigung, wenn der Erwerber die Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nicht oder nur unzureichend erbringt.

Unter einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse wird eine Dienstleistung verstanden, die für die Allgemeinheit erbracht wird und die vom Markt nicht oder nicht in dieser Form angeboten wird.

Dies können z.B. der soziale Wohnungsbau, Umweltschutz oder soziale Aspekte sein. Die Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse muss sich aus den Kriterien des Konzeptvergabeverfahrens ergeben. Die Höhe der Begünstigung darf in diesem Fall den Ausgleich des durch die Gemeinwohlverpflichtung entstehenden Nachteils nicht übersteigen.

Da die Europäische Kommission in den letzten Jahren verstärkt die Zulässigkeit von Beihilfen überprüft, ist darauf zu achten, dass die Dokumentations- und Meldepflichten sorgfältig beachtet werden. Ebenso ist zu prüfen, ob ein beihilferechtlich zulässiges Handeln nichtzu unerwünschten steuerlichen Konsequenzen führt.

Hinweise zum Verfahren

In rechtlicher Hinsicht ist es von zentraler Bedeutung, dass die Kommune rechtzeitig Klarheit über den beabsichtigten Verfahrensgang herstellt. Von einer Änderung des Verfahrens im laufenden Prozess ist entschieden abzuraten. Dieser Verfahrenswechsel ist kaum rechtssicher möglich. In diesem Fall sollte das Verfahren neu gestartet werden.

Ist zunächst die Vergabe eines Grundstücks im Bieterverfahren geplant und schwenkt die Kommune nachträglich auf eine Wertermittlung durch ein Verkehrswertgutachten in Kombination mit einer Konzeptvergabe um, so muss sichergestellt werden, dass das Gutachten vor Beginn der Vertragsverhandlungen und vor Abschluss des Kaufvertrages beauftragt und erstellt ist. Andernfalls wird die EU-Kommission das Gutachten nicht anerkennen und die Frage der Begünstigung eigenständig prüfen.

Verfahrensablauf

Die Ausschreibung der Grundstücke im Rahmen der Konzeptvergabe findet in der Regel über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten statt und erfolgt in mehreren Schritten.

Vor dem offiziellen Start ist es notwendig, den Marktwert der betroffenen Grundstücke durch ein Sachverständigengutachten zu ermitteln. Dieser Wert bildet bei einer Konzeptvergabe ohne Kaufpreisangebot den Festpreis, bei einer Konzeptvergabe mit Kaufpreisangebot den Mindestpreis ab.

Das Verfahren startet mit der öffentlichen Bekanntmachung der Ausschreibung z.B. im Amtsblatt oder der Tageszeitung, auf der Homepage der jeweiligen Stadt sowie auf weiteren Portalen. Die im Vorfeld individuell definierten Qualitätskriterien werden mit Festlegung ihrer jeweiligen Gewichtung in der Bekanntmachung veröffentlicht. Zum Verfahren zugelassen wird, wer die formulierten Zulassungskriterien (Ausschlusskriterien) ohne Ausnahme erfüllt. Die Angebote, die frist- und formgerecht eingereicht wurden, werden auf Grundlage der Bewertungsmatrix durch die Verwaltung oder ein Betreuungsbüro vorgeprüft und durch ein Gremium / einen Beirat bewertet.

Variante: (Investoren )Wettbewerb

Zur Erzielung der bestmöglichen Qualität ist es zweckdienlich, im Rahmen der Grundstücksvergabe einen Planungswettbewerb gemäß der RPW durchzuführen. Die Kommune ist bei dieser Verfahrensvariante Auslober des Planungswettbewerbs. Die Bieter (Investoren) reichen ihr Konzept und ihr Kaufpreisangebot anonym (Zwei-Umschlagverfahren) ein.

Informations- und Auftaktveranstaltung, Kolloquien

Innerhalb der Bewerbungsfrist (2–3 Monate) können in einer Auftaktveranstaltung oder in Kolloquien Fragen zur zu vergebenden Liegenschaft und zu den Kriterien erörtert werden. Die Ausschreibungsunterlagen werden hierbei vorgestellt, und es können Fragen zum Kriterienkatalog geklärt werden. Die Ergebnisse werden in Protokollen festgehalten, die Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen werden.

Gremium / Beirat / Preisgericht

Zur qualitativen Bewertung der eingereichten Konzepte empfiehlt es sich, ein Gremium zusammenzustellen. Die Mitglieder des Gremiums werden bereits in der Bekanntmachung genannt.

Beispielhafte Zusammensetzung:

– Vertreter der Politik

– Vertreter der beteiligten Fachämter, ggf. Planungsdezernent, ggf. Fachausschuss

– 2–3 Fachleute, die als unabhängige Stadtplaner oder Architekten beraten zu Städtebau / Quartier sowie Funktion / Architektur

– ggf. Fachleute für innovative Wohnprojekte / Ökologie / Energie / Verkehr Bei der Durchführung eines (Investoren-) Wettbewerbs ist die Zusammensetzung des Preisgerichts gemäß der RPW geregelt.

Auswahlgespräche / Beiratssitzung / Preisgerichtssitzung

Die Bieter haben Gelegenheit, ihr Konzept dem Beirat vorzustellen (ca. 30 Minuten). Der Beirat entscheidet nach den in der Bekanntmachung festgelegten Wertungskriterien. Um dem Beirat eine sachgerechte Bewertung der einzelnen Konzepte zu ermöglichen, wird eine vergleichende Vorprüfung aller Konzepte im Vorfeld empfohlen. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob sich eine anonyme Einreichung der Konzeptvorschläge anbietet. Nach der Entscheidung werden die Bieter unmittelbar informiert. Der Beirat kann eine Entscheidung mit der Aufforderung zur Nachbesserung einzelner Bestandteile des Konzepts (unter Beachtung der Kriterien) formulieren. Eine angemessene Frist wird hierfür festgelegt.

Bei der Durchführung eines Wettbewerbs gemäß der RPW 2013 wird das Verfahren als anonymer, offener oder nichtoffener Planungswettbewerb oder als kooperatives Verfahren durchgeführt. Ein unabhängiges Preisgericht fällt seine Entscheidung in nichtöffentlicher Sitzung. Bei einem Zwei-Umschlagverfahren werden im ersten Schritt die eingereichten Konzepte bewertet. Im zweiten Schritt erfolgt die Wertung der Kaufpreisangebote.

Bekanntgabe der Entscheidung

Die Entscheidungen werden ausführlich dokumentiert. Die Bieter erhalten jeweils eine begründete Information nach Verfahrensschluss. Es ist sicherzustellen, dass das Verfahren transparent und nachvollziehbar erfolgt.

Abschluss

Nach Durchführung der Ausschreibung wird das Grundstück dem erfolgreichen Bieter / der Bietergemeinschaft anhand gegeben, damit diese(r) für die Kaufentscheidung wesentliche Fragen hinsichtlich der Finanzierung und der im Angebot dargestellten Qualitäten in weiteren Arbeitsschritten klärt.

Die Anhandgabe erfolgt je nach Komplexität der Aufgabe für einen Zeitraum zwischen 1 bis max. 2 Jahren, in dem das Grundstück der Stadt keinem anderen Interessenten angeboten wird. Für die Zeit der Anhandgabe werden „Meilensteine“ vereinbart, um die im Angebot dargestellten Qualitäten zu realisieren. Werden wesentliche Bestandteile der Bewerbung verändert, kann der Grundstücksverkäufer seine Zustimmung zur Vergabe zurückziehen

Mit dem Erwerb des Grundstücks sind formale Vorgaben zu erfüllen (z.B. aktuell gültige EnEV, planungs- und bauordnungsrechtliche Vorgaben). Darüber hinaus werden die vom Bieter erfüllten Angebotsbedingungen Bestandteil des späteren Kaufvertrags und je nach Eignung durch Eintragung im Grundbuch dinglich gesichert. Hierzu zählen zum Beispiel die Anerkennung definierter städtebaulicher Vorgaben, spätere Nutzungskonzepte, eine Bauverpflichtung zu einem definierten Zeitpunkt und die Errichtung der jeweils festgelegten Quote geförderten Wohnungsbaus.

Erfolgt der Grundstücksverkauf zu einem Preis unterhalb des Marktwerts, so müssen zusätzliche beihilferechtliche Voraussetzungen eingehalten werden. In diesem Fall ist z.B. eine Betrauung mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse notwendig. Der endgültige Verkauf (oder die Verpachtung) erfolgt nach Ablauf der Anhandgabefrist. Der Kauf (oder Pacht-)vertrag wird aufgesetzt und die notarielle Beurkundung kann erfolgen.

Wir bieten an Schulungen zur Bürgerbeteiligung im Städtebau

Wir bieten an Schulungen zur Bürgerbeteiligung im Städtebau

Unsere Kommunen sind in der Regel die erste Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger, wenn es ums Bauen geht. Dabei spielen nicht nur Einzelbauvorhaben eine wichtige Rolle. Gerade die städtebauliche Entwicklung ihres Ortes liegt den Menschen sehr am Herzen.

Die kommunale Planungshoheit gibt den Gemeinden dabei das Recht und die Aufgabe, diese Entwicklung nachhaltig und im Sinne der Allgemeinheit zu gestalten. Sie planen für ihre Bürgerinnen und Bürger. Ziel muss es daher sein, deren Wünsche und Bedürfnisse bei ihren Projekten zu berücksichtigen.

Außerdem kennen die Menschen „ihren“ Ort meist am besten: Von Generation zu Generation wird Wissen über ihre Heimat weitergegeben, über das Behörden nicht zwingend verfügen. Eine gute städtebauliche Planung und umsetzungsfähige Projekte zeichnen sich dadurch aus, dieses konkrete Wissen zu nutzen und mit fachlicher Expertise zu verknüpfen.

Der Schlüssel zum Erfolg ist deshalb eine möglichst transparente und frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit – und die sieht in jeder Gemeinde anders aus. Und auch die Ziele können bei jedem Projekt andere sein: Ein Leitbild zur langfristigen Orts-entwicklung braucht eine andere Herangehensweise als Überlegungen zur Bebauung eines Quartiers in der Altstadt. Mit anderen Worten: Jede Planung erfordert ein individuelles und maßgeschneidertes Konzept – das gilt gerade auch für die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger!

Wir unterstützen Sie bei der Erarbeitung eines Beteiligungskonzeptes, das für

Ihre Situation maßgeschneidert ist.

Es ist als Anleitung und Hilfestellung für Städte und Gemeinden gedacht, die zu einem konkreten städtebaulichen Projekt eine Bürgerbeteiligung durchführen.

Schulungsteil 1
„Informieren“ gibt Ihnen Grundlageninformationen, die gege
benenfalls auch bei der Information des Gemeinderats unterstützen.

In Schulungsteil 2
„Machen“ werden Sie in sieben Schritten bei der Erstellung 
Ihres individuellen Konzepts begleitet. Aus dem Schulungsteil 1 und den nachfolgenden Schulungsteilen 3 und 4 holen Sie sich hierfür gezielt die zusätzlichen Informationen, die Sie für Ihre konkrete Herausforderung benötigen.

Schulungsteil 3
„Praxis“ bietet Tipps für häufige Herausforderungen.

Schulungsteil 4
„Umsetzung“ ergänzt Abläufe für typische städtebauliche Verfahren
und Instrumente. Sie finden jeweils Hinweise, wann Bürgerbeteiligung durchgeführt werden kann und was rechtlich zu beachten ist. Dazu zeigen Beispiele, welche Herangehensweisen andere Städte und Gemeinden gewählt haben.

Vier Gründe, warum Bürgerbeteiligung heute wichtig ist

1. Bürgerinnen und Bürger wollen sich einbringen!

Immer mehr Menschen wollen sich vor Ort einbringen. Sie engagieren sich in zivilgesellschaftlichen Initiativen, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Auch die Protestbereitschaft gegenüber „hoheitlichen“ Planungen hat zugenommen. Da wir für die Menschen in unseren Städten und Gemeinden planen und bauen, sollten deren Wünsche und Ziele in den Planungen Berücksichtigung finden.

2. Städtebau und Ortsplanung profitiert von der Perspektive derer, „die vor Ort wohnen“

Stadtplaner und Architekten, Politik und Verwaltung, Investoren, Einzelhändler und Bürger haben oft ganz unterschiedliche Intentionen, Bedürfnisse und Wünsche. Gleichzeitig sind städtebauliche Projekte komplexe Fachplanungen. Die Einbeziehung anderer Perspektiven hilft nicht nur, neue Impulse zu sammeln, sie trägt auch zu einer nachhaltigen Akzeptanz und Optimierung des Projektes bei. Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern ist großes Fachwissen vorhanden, das über einen gelungenen Beteiligungsprozess für die Planung nutzbar gemacht werden kann.

3. Bürgerbeteiligung als Seismograph für Bedenken und Konflikte

Wird Beteiligung von Anfang an mitgedacht, lassen sich potenzielle Konflikte und Streitthemen früh erkennen und durch die Einbeziehung in die Planung oftmals sogar auflösen.

4. Fehlende Legitimation durch Nicht-Beteiligen kann viel Geld kosten

Wer in Projekten, bei denen Bürgerinnen und Bürger Beteiligung erwarten, die Menschen nicht miteinbezieht, der muss damit rechnen, dass ihm das Projekt später auf die Füße fällt. Bürgerinnen und Bürger können durch Proteste Bauprojekte verzögern oder verhindern. Das kostet viel Geld und behindert wichtige Entwicklungen. Wer hingegen die Menschen vor Ort frühzeitig einbezieht, kann die Öffentlichkeit „mitnehmen“ und so Eskalationen entgegenwirken.

Rechtsprechungsübersicht VK Rheinland

Rechtsprechungsübersicht VK Rheinland

Leistungsfähigkeit hängt auch von der Betriebsorganisation ab!

Einschätzung der Referenzgeber muss nicht überprüft werden!

Keine Änderung der Vergabeunterlagen bei unklarer Ausschreibung!

Unaufklärbare Widersprüche sind erkennbar und zu rügen!

Nicht erfüllbare (abfallrechtliche) Anforderung ist vergaberechtswidrig!

Keine Bindefristverlängerung bis zum Sankt-Nimmerleinstag!

Vermutungen ohne Anknüpfungstatsachen = Rüge “ins Blaue hinein”!

Übermittlungsrisiko ist Bieterrisiko!

Nachunternehmer nicht geeignet: Generalunternehmer wird ausgeschlossen!

Unklarheiten in den Vergabeunterlagen sind durch Nachfrage auszuräumen!

Unschärfen eines abstraktes Wertungssystem muss der Bieter hinnehmen!

Manipulationsanfälliges Wertungssystem ist zu rügen!

Nachprüfungsverfahren rechtfertigt keinen vorzeitigen Zuschlag!

Verbundene Unternehmen müssen Zweifel an Unabhängigkeit der Angebote ausräumen!

Vergaberechtsverstoß im Nachprüfungsverfahren erkannt: Keine Rüge erforderlich!

Auftraggeber muss Gleichwertigkeitsparameter vorgeben!

Wie wird der Geheimwettbewerb unter “Konzernschwestern” gewahrt?

Gebührenhöhe bei einem Planungswettbewerb?

Rahmenvertrag begründet keine Abnahmeverpflichtung!

Dienst- oder Werkvertrag? Auftraggeber darf sich festlegen!

Fehlende Unterlagen führen auch im Sektorenbereich zum Ausschluss!

Rechtlich (noch) nicht existentes Unternehmen kann keine Nachprüfung beantragen!

Nachweise müssen aktuell sein!

Baukostenschätzung mittels BKI-Kostenkennwerten?

Lärmschutzwände sind eigenes Fachlos!

Datenschutz und die Informationssicherheit rechtfertigen Gesamtvergabe!

Kein Eilrechtsschutz gegen erfolgte Interimsvergabe!

Bieter über Ausschreibung informiert: Bekanntmachungsverstoß bleibt folgenlos!

Keine nachträgliche Einführung neuer Eignungskriterien!

Grundlage der Angebotswertung ist das schriftliche Angebot!

Kein Nachprüfungsverfahren nach wirksam erteiltem Zuschlag!

Wann ist ein Bieter vorbefasst?

Personalqualität als Zuschlagskriterium?

Benennung spezieller Nachunternehmerleistungen kann nachgefordert werden!

Keine Aussicht auf den Zuschlag: Kein Rechtsschutz für den Bieter!

Gutes Personal als Zuschlagskriterium: Nicht nur bei intellektuellen Leistungen!

Können Leistungen des ÖPNV direkt vergeben werden?

Ausschluss vom offenen Verfahren: Keine Teilnahme am Verhandlungsverfahren!

Jeder bietet auf je ein Los: Zulässige Bietergemeinschaft?

Es ist nur das anzubieten, was auch ausgeschrieben wurde!

Auftraggeber muss nicht produktneutral ausschreiben!

Ax gestaltet interessante, top aktuelle Inhouse-Schulung zu Beschaffung/Auftragswesen/Vergaberecht für Beschäftigte der Bundeszentrale für politische Bildung in Gera

Ax gestaltet interessante, top aktuelle Inhouse-Schulung zu Beschaffung / Auftragswesen / Vergaberecht für Beschäftigte der Bundeszentrale für politische Bildung in Gera

Inhalte:

  • beschaffungsrelevante Ziele und Strategien
  • Vorgehen bei Markterkundungen
  • Grundlagen des Vergaberechts
  • Bedeutung und Funktion der unterschiedlichen Vergabeverfahrensarten
  • Erstellung von Leistungsbeschreibungen
  • Ablauf des Beschaffungsprozesses
  • Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten bei der Beschaffung sowie Behandlung ausgewählter Fragestellungen aus der Praxis (z. B. Entscheidung zwischen EU-Verfahren und nationalen Verfahren, Festlegung der richtigen Vergabeart, Bewertung der Angebote, Vermeidung und Durchführung von Nachprüfungsverfahren)

Dr. jur. Thomas Ax

Special Kommunale Unternehmen – Komplexe Inhouse-Konstellationen zunehmend kritischer gesehen

Special Kommunale Unternehmen - Komplexe Inhouse-Konstellationen zunehmend kritischer gesehen

von Thomas Ax

In den vergangenen Jahren ist in der deutschen Vergaberechtspraxis eine extensive Auslegung der Inhouse-Ausnahmetatbestände feststellbar, die auch Kombinationen unterschiedlicher Inhouse-Tatbestände für zulässig erachtet (vgl. u.a. VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 21.09.2020, VK-SH 13/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08.2019, VII-Verg 9/19). Die aktuellen Entscheidungen des EuGH sowie des OLG Naumburg deuten allerdings darauf hin, dass komplexe Inhouse-Konstellationen zunehmend kritischer gesehen werden.

OLG Naumburg zu der Frage der Ausschreibungsfreiheit eines Vertrages nach § 108 Abs. 3 Alt. 2 GWB (sog. Schwester-Schwester-Vergabe)

Danach ist die Ausschreibungsfreiheit eines Vertrages nach § 108 Abs. 3 Alt. 2 GWB (sog. Schwester-Schwester-Vergabe) davon abhängig, dass die beiden vertragsschließenden juristischen Personen von demselben öffentlichen Auftraggeber kontrolliert werden. An einer solchen Identität des kontrollierenden öffentlichen Auftraggebers fehlt es, wenn zwar die zu betrauende Einrichtung von dem öffentlichen Auftraggeber i.S.v. § 108 Abs. 1 Nr. 1 GWB kontrolliert wird, aber die beauftragende juristische Person von diesem öffentlichen Auftraggeber nur gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern i.S.v. § 108 Abs. 4 GWB kontrolliert wird.(Rn.31)

OLG Naumburg, Beschluss vom 3. Juni 2022, 7 Verg 1/22

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines vom Antragsgegner mit der Beigeladenen direkt und ohne ein wettbewerbliches Verfahren geschlossenen Dienstleistungsvertrages.

Der Antragsgegner ist ein Abwasserzweckverband in der Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Sitz in der Stadt W. . Verbandsmitglieder sind neben der Stadt W. (künftig: die Stadt W.) vier weitere Städte, davon drei jeweils nur mit einzelnen Ortschaften, und eine Gemeinde mit vier Ortschaften. Der Antragsgegner ist in seinem Zweckverbandsgebiet für die Beseitigung des Schmutz- und des Niederschlagswassers zuständig.

Das Hauptorgan des Antragsgegners ist die Verbandsversammlung (§ 6 Abs. 1 Verbandssatzung). Sie setzt sich aus den von den Verbandsmitgliedern gewählten Vertretern zusammen; dabei haben die Verbandsmitglieder je angefangene 5.000 Einwohner eine Stimme (§ 6 Abs. 2 und Abs. 3 Verbandssatzung). Die Verbandsversammlung legt die Grundsätze für die Verwaltung des Zweckverbandes fest und entscheidet über alle Angelegenheiten des Zweckverbandes, soweit nicht die Verbandsgeschäftsführerin kraft Gesetzes bzw. kraft Übertragung durch Satzung oder Beschluss der Verbandsversammlung zuständig ist (§ 7 Abs. 1 Verbandssatzung). In § 7 Abs. 2 Verbandssatzung sind wesentliche, wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Zweckverband der Verbandsversammlung vorbehaltene Entscheidungen aufgeführt. Die Verbandsversammlung ist berechtigt, jede Angelegenheit an sich zu ziehen und sie ist Dienstvorgesetzte der Verbandsgeschäftsführerin.

Nach § 9 Abs. 1 Verbandssatzung ist die Verbandsversammlung beschlussfähig, wenn nach ordnungsgemäßer Ladung mehr als die Hälfte der Verbandsmitglieder und mehr als die Hälfte der satzungsmäßigen Stimmen vertreten sind, oder dann, wenn alle Verbandsvertreter der Verbandsmitglieder anwesend sind und keiner eine Verletzung der Vorschriften über die Einberufung rügt. Ist jedoch eine Angelegenheit wegen Beschlussunfähigkeit zurückgestellt worden und wird die Verbandsversammlung zur Verhandlung über den gleichen Gegenstand unter Hinweis auf diese Rechtsfolge zum zweiten Mal einberufen, so ist sie ohne Rücksicht auf die Zahl der anwesenden Verbandsmitglieder und Stimmen beschlussfähig (vgl. § 9 Abs. 2 Verbandssatzung). Beschlüsse der Verbandsversammlung werden mit einfacher Mehrheit der Stimmen gefasst; bei Stimmengleichheit gilt der Antrag als abgelehnt (§ 10 Abs. 2 Verbandssatzung). Anderes gilt lediglich für Beschlüsse nach § 7 Abs. 2 Verbandssatzung; insoweit ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit der satzungsmäßigen Stimmenzahl der Verbandsversammlung und eine Mehrheit der Verbandsmitglieder erforderlich (§ 10 Abs. 3 Verbandssatzung).

Der Verband hat nach §§ 5, 16 Abs. 1 Verbandsversammlung eine hauptamtliche Verbandsgeschäftsführerin, welche den Zweckverband gerichtlich und außergerichtlich vertritt, die Verwaltung des Zweckverbandes leitet und in eigener Verantwortung die Geschäfte der laufenden Verwaltung erledigt. Sie ist an die Beschlüsse der Verbandsversammlung gebunden (§ 16 Abs. 2 Verbandssatzung).

Zum Zeitpunkt des streitbefangenen Vertragsschlusses verfügten sämtliche Verbandsmitglieder zusammen über 16 Stimmen; hiervon entfielen auf die Stadt W. acht Stimmen (50 %).

Die Beigeladene ist ein 100 %-iges Tochterunternehmen der Stadt W. . Der Gegenstand des Unternehmens sind nach § 2 ihres Gesellschaftsvertrages der Betrieb und die Verwaltung je eines Familien- und Freizeitbades und eines Sportbades sowie die Wahrnehmung von Aufgaben und die Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Strom-, Gas- und Wärmeversorgung sowie der Trinkwasserversorgung zur nachhaltigen Wahrnehmung einer angemessenen Daseinsvorsorge. Nach dem Beteiligungsbericht 2020 der Stadt W. hält die Beigeladene die Geschäftsanteile der Stadt W. an einem gemischt-wirtschaftlichen Mehrsparten-Versorgungsunternehmen (künftig: die Stadtwerke) und ist Nutznießerin eines Ergebnisabführungsvertrages mit den Stadtwerken. Im Bericht heißt es u.a., dass die Beigeladene aus dem operativen Geschäft der Bäder keine Gewinne erwirtschaften könne und dauerhaft auf die Ergebnisabführung der Stadtwerke angewiesen sei.

Im Jahr 2014 schloss der Antragsgegner mit der Antragstellerin, einer mehrheitlich kommunalen Unternehmung zur Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung vor allem im südlichen Sachsen-Anhalt, einen Dienstleistungsvertrag über die technische und kaufmännische Betriebsführung mit einer Laufzeit bis zum 31.12.2022. Die kaufmännische Betriebsführung endete bereits zum 31.03.2022.

Gemäß dem Beschluss der Verbandsversammlung vom 03.08.2020 beabsichtigt der Antragsgegner, im Rahmen einer Umstrukturierung zu einem Regiebetrieb zurückzukehren und das sog. Kerngeschäft wieder selbst zu erledigen. Die Stadt W. bot dem Antragsgegner unter Vorlage eines entsprechenden, im Auftrag der Beigeladenen erstellten Rechtsgutachtens vom 02.06.2020 an, die kaufmännische Betriebsführung ausschreibungsfrei auf die Beigeladene zu übertragen. Der Antragsgegner holte selbst ein weiteres Gutachten zu rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Aspekten der Umstrukturierung vom 02.12.2020.

Am 12.07.2021 fasste die Verbandsversammlung den Beschluss 16/2021, einen entgeltlichen Vertrag über die kaufmännische Betriebsführung des Verbandes mit der Beigeladenen zu schließen, der am 01.04.2022 in Kraft treten und für eine Laufzeit von fünf Jahren Gültigkeit haben sollte (vgl. § 10). Der Vertrag wurde von der hiermit beauftragten Verbandsgeschäftsführerin des Antragsgegners und der Betriebsführerin der Beigeladenen am 09.09.2021 unterzeichnet. Der Antragsgegner informierte die Öffentlichkeit am 10.09.2021 auf einer Internetseite über diesen Vertragsabschluss.

Mit Schriftsatz vom 08.10.2021 hat die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit dem Ziel beantragt, dass festgestellt werden möge, dass der zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen am 09.09.2021 geschlossene Dienstleistungsvertrag über die kaufmännische Betriebsführung von Anfang an unwirksam ist. Sie hat die Auffassung vertreten, dass keine der in § 108 GWB geregelten Formen der ausschreibungsfreien interkommunalen Zusammenarbeit für den vorliegenden Vertrag einschlägig sei.

Der Vorsitzende der Vergabekammer hat die nach § 167 Abs. 1 GWB am 12.11.2021 auslaufende Entscheidungsfrist mit Verfügung vom 09.11.2021 bis zum 17.12.2021, mit Verfügung vom 13.12.2021 bis zum 21.01.2022 und mit Verfügung vom 18.01.2022 bis zum 25.02.2022 jeweils verlängert. Die Beiladung der Vertragspartnerin des Antragsgegners ist durch einen Beschluss vom 02.12.2021 erfolgt. Die Beteiligten haben einer Verhandlung und Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.

Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin durch Beschluss vom 24.02.2022 stattgegeben, also die Unwirksamkeit des Vertrags vom 09.09.2021 festgestellt (Ziffer 1) und dem Antragsgegner für den Fall des Festhaltens an seiner Beschaffungsabsicht aufgegeben, die Leistung im Wege eines transparenten Vergabeverfahrens zu beschaffen (Ziffer 2). Sie hat dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens auferlegt und zugleich festgestellt, dass er von der Entrichtung der Gebühren der Vergabekammer befreit ist (Ziffer 3), und ihn zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin verpflichtet (Ziffern 4 und 5).

Gegen diese ihm am 28.02.2022 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 14.03.2022 erhobene und am selben Tage per beA beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangene sofortige Beschwerde des Antragsgegners.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 24.02.2022, 2 VK LVwA 10/21, aufzuheben und den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen.

Sie verteidigt im Wesentlichen die angefochtene Entscheidung.

Der Senat hat am 20.05.2022 einen Termin der mündlichen Verhandlung durchgeführt; wegen des Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom selben Tage Bezug genommen.

B.

Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Vergabekammer hat zu Recht darauf erkannt, dass der streitgegenständliche Dienstleistungsvertrag unwirksam ist, weil die Antragstellerin rechtzeitig und begründet geltend gemacht hat, dass der Antragsgegner für die Vergabe dieses Auftrags einer EU-weiten Ausschreibungspflicht unterlegen hat.

Das Rechtsmittel des Antragsgegners ist zulässig. Es ist nach § 171 Abs. 1 GWB statthaft und ist nach § 172 Abs. 1 bis 3 GWB frist- und formgerecht beim zuständigen Gericht (§ 171 Abs. 3 Satz 1 GWB) eingelegt worden.

Die Vergabekammer ist in seiner angefochtenen Entscheidung (BA S. 13 bis 15) zu Recht von der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags der Antragstellerin ausgegangen. Die Antragstellerin ist als bisherige Leistungserbringerin, welche auch weiterhin leistungsbereit ist, nach § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Eine Rüge des Vergabeverstoßes ist nach § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB entbehrlich, weil die Antragstellerin die Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrages i.S.v. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB begehrt, welcher ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Supplement des Amtsblatts der Europäischen Union vergeben worden ist und hinsichtlich dessen sie geltend macht, dass eine ausschreibungsfreie Direktvergabe durch das Gesetz nicht eröffnet gewesen sei. Die Vergabekammer hat auch zutreffend festgestellt, dass die spezielle Antragsfrist des § 135 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GWB eingehalten ist, weil der Antrag innerhalb von sechs Monaten ab dem Vertragsschluss anhängig gemacht worden ist. Der Senat folgt der Vergabekammer auch darin, dass die in selber Vorschrift in Alt. 1 geregelte Frist von 30 Kalendertagen nicht einschlägig ist, weil insoweit auf eine – hier nicht vorliegende – unmittelbare Information des Antragstellers durch den öffentlichen Auftraggeber abzustellen ist (vgl. nur Maimann in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, – künftig: Röwekamp pp., GWB, … – § 135 Rn. 41 m.w.N.).

III. Die Vergabekammer hat in ihrer angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, dass jedenfalls die Voraussetzungen für die drei nachgenannten Fallgruppen der in § 108 GWB zusammengefassten Tatbestände der Bereichsausnahme von der EU-weiten Ausschreibungspflicht im Hinblick auf sog. Eigengeschäfte der öffentlichen Hand nicht erfüllt sind. Insoweit werden die Feststellungen der Vergabekammer vom Antragsgegner nicht angegriffen.

Vorab ist anzumerken, dass die Beteiligten nicht darüber streiten, dass das streitgegenständliche Rechtsgeschäft dann, wenn keine Bereichsausnahme einschlägig ist, in den Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts fiele und eine EU-weite Ausschreibungspflicht bestünde. Denn der Antragsgegner ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 3 GWB, er beschafft mit dem Vertrag eine Dienstleistung (kaufmännische Betriebsführung) gegen ein Entgelt, so dass ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag i.S.v. § 103 Abs. 1, Abs. 4 GWB vorliegt, und der Auftrag hat einen den maßgeblichen Schwellenwert von 214.000,00 € (vgl. § 106 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 1 Nr. 1 lit. c der Delegierten Verordnung (EU) 2019/1828 KOM, ABl. EU L 279/25) erheblich übersteigenden Netto-Auftragswert.

Die Voraussetzungen einer (vertikalen) einfachen Inhouse-Vergabe i.S.v. § 108 Abs. 1 und Abs. 2 GWB liegen schon deswegen nicht vor (vgl. BA S. 15), weil der Antragsgegner über die 100 %-ige Tochter (die Beigeladene) seines Verbandsmitglieds (der Stadt W.) keine Kontrolle wie über eigene Dienststellen ausübt.

Eine Vergabefreiheit nach den Grundsätzen der (horizontalen) institutionellen Kooperation i.S.v. § 108 Abs. 4 GWB kommt nicht in Betracht, weil die Beigeladene keine Einrichtung ist, welche vom Antragsgegner gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern kontrolliert wird (vgl. BA S. 18). Die Beigeladene wird, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, ausschließlich von der Stadt W. kontrolliert.

Schließlich kann eine Ausschreibungsfreiheit des Dienstleistungsvertrages nicht aus dem Rechtsinstitut der (horizontalen) vertraglichen Kooperation i.S.v. § 108 Abs. 6 GWB hergeleitet werden (vgl. BA S. 19 f.), weil die beabsichtigte und vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen keinem kooperativen Konzept folgt, sondern in einer entgeltlichen Leistungserbringung durch die Beigeladene für den Antragsgegner besteht.

Nur vorsorglich ist darauf zu verweisen, dass sich der Antragsgegner auf eine Ausschreibungsfreiheit nach der Fallgruppe des § 108 Abs. 3 Alt. 1 GWB – der sog. inversen Inhouse-Vergabe – schon nicht beruft. Es ist evident, dass der Antragsgegner nicht der die Beigeladene kontrollierende öffentliche Auftraggeber ist; dies ist die Stadt W.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners liegen die Voraussetzungen einer Inhouse-Vergabe nach § 108 Abs. 3 Alt. 2 GWB nicht vor. Während die Beigeladene unstreitig von der Stadt W. kontrolliert wird, wird der Antragsgegner von mehreren Gebietskörperschaften gemeinsam kontrolliert.

Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der nationalen Vorschrift des § 108 Abs. 3 Satz 1 GWB gelten die Regeln des Absatzes 1, also diejenigen der einfachen vertikalen Inhouse-Vergabe, auch für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die von einer kontrollierten juristischen Person, welche zugleich öffentlicher Auftraggeber i.S. der § 99 Nr. 1 bis Nr. 3 GWB ist, an eine von diesem öffentlichen Auftraggeber, d.h. dem kontrollierenden Auftraggeber, ebenfalls kontrollierte andere juristische Person vergeben werden. Voraussetzung für die Ausschreibungsfreiheit der sog. Schwester-Schwester-Vergabe ist es danach, dass die beiden vertragsschließenden Einrichtungen von derselben juristischen Person kontrolliert werden.

Die Vergabekammer hat zutreffend festgestellt, dass die Stadt W. zwar über die Beigeladene eine hinreichende Kontrolle i.S.v. § 108 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 GWB ausübt, nicht jedoch über den Antragsgegner (vgl. BA S. 15 bis 18).

a) Entgegen dem Beschwerdevorbringen des Antragsgegners hat die Vergabekammer dabei nicht etwa auf eine starre Quote der Stimmanteile abgestellt. Die Vergabekammer hat vielmehr ausgeführt, dass das – gegenüber der aus dem Auftragsbegriff abgeleiteten Definition in der früheren Rechtsprechung des EuGH (vgl. nur Urteil v. 18.11.1999, C-107/98 „Teckal Srl ./. Comune di Viano u. AGAC di Reggio Emilia“, NZBau 2000, 90; EuGH, Urteil v. 11.01.2005, C-26/03 „Stadt Halle u. RPL Recyclingpark Lochau GmbH ./. ARGE TREA Leuna“, NZBau 2005, 111; vgl. Wiedemann in: Byok/Jaeger, VergabeR, 4. Aufl. 2018, § 108 Rn. 6 und 39 ff. m.w.N.) neue – Kontrollkriterium gerade nicht auf die Beteiligungsverhältnisse abstellt, sondern auf eine hinreichende Kontrolldichte und Kontrollintensität. Die Vergabekammer hat dabei auf typische Parameter für die Beurteilung der Kontrolldichte zurückgegriffen, ohne eine absolute Grenze zu definieren oder anzuwenden.

b) Für die Frage der Anerkennung des Antragsgegners als eine von der Stadt W. kontrollierte Einrichtung kommt es auf das Maß der Selbständigkeit des Handelns des Antragsgegners im Verhältnis zur Stadt W. an, so dass zutreffend der Blick auf die Gesellschaftsform und die konkrete Verfassung dieser juristischen Person zu richten ist. Der Antragsgegner ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Die Vergabekammer hat die Entscheidungsstrukturen dieser Körperschaft anhand der Verbandssatzung untersucht und zutreffend herausgearbeitet, dass die Stadt W. mit einem 50 %-igen Stimmenanteil zwar quasi ein Vetorecht gegen jegliche Entscheidungen in der Verbandsversammlung ausüben kann, dass sie aber letztlich keine Weisungen gegenüber der Verbandsgeschäftsführerin hinsichtlich der Geschäfte der laufenden Verwaltung des Antragsgegners – zu denen regelmäßig auch Beschaffungen gehören – erteilen kann. Insbesondere hat die Vergabekammer zutreffend erkannt, dass die Stadt W. allein aus eigener Kraft zwar eine Beschlussunfähigkeit der Verbandsversammlung herbeiführen und damit die Ablehnung eines jeden Antrags zur Entscheidung durch die Verbandsversammlung erreichen kann. Das zeigt aber gerade, dass die Stadt W. damit nicht positiv eine bestimmte Entscheidung herbeiführen, sondern sie nur verhindern kann. Das mag der Stadt W. faktisch einen großen Einfluss sichern, weil sie nur ein weiteres Verbandsmitglied von ihrer Rechtsposition überzeugen muss; rechtlich genügt ihr Stimmenanteil allein nicht, um der Verbandsgeschäftsführerin vorzuschreiben, mit wem sie Verträge im Geschäft der laufenden Verwaltung schließt.

c) Die im Beschwerdeverfahren neu angeführten rechtlichen Aspekte stehen dieser Bewertung nicht entgegen. Der Verweis auf die Vorschrift des 11 Abs. 3 des Gesetzes über die kommunale Gemeinschaftsarbeit (GKG-LSA) geht ins Leere. Danach ist zwar der Vertreter des Verbandsmitgliedes in der Verbandsversammlung an die Weisungen des ihn entsendenden Verbandsmitgliedes gebunden, aber – bezogen auf den vorliegenden Fall – übt der von der Stadt W. entsandte Vertreter die (anteiligen) Stimmrechte der Stadt W. aus, die in ihrer Gesamtheit gleichwohl noch nicht ausreichen, um allein eine Mehrheitsentscheidung in der Verbandsversammlung herbeizuführen. Die vom Antragsgegner angeführten Vorschriften der kartellrechtlichen Fusionskontrolle sind nicht einschlägig, weil sie einem vollständig anderen Schutzzweck dienen.

Der Senat folgt der Vergabekammer schließlich auch in der Bewertung, dass das nationale Recht in § 108 GWB in der vorliegend gegebenen Konstellation auch nicht in einer Kumulation der Tatbestände des Absatzes 3 Alt. 2 und des Absatzes 4 einen ausschreibungsfreien Vertragsschluss zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen gestattet.

Soweit sich der Antragsgegner für seine Auffassung von der Vergabefreiheit des o.a. Dienstleistungsauftrags darauf beruft, dass das Rechtsgeschäft auch künstlich in zwei formal selbständige Rechtsgeschäfte hätte aufgespalten werden können und dass dann ein jedes dieser Teil-Rechtsgeschäfte nicht der EU-weiten Ausschreibungspflicht unterlegen hätte (sog. „Vergabe über Eck“), sind die Erwägungen nicht tragfähig.

a) Der Senat kann offenlassen, ob es vergaberechtlich zulässig gewesen wäre, dass der Antragsgegner die kaufmännische Betriebsführung für den Verband zunächst unter Berufung auf § 108 Abs. 3 Alt. 1 GWB auf sein Verbandsmitglied, die Stadt W., vergeben hätte und sodann die Stadt W. im Rahmen einer einfachen Inhouse-Vergabe nach § 108 Abs. 1 GWB denselben Auftrag an die Beigeladene weitergeleitet hätte. Diese Konstellation ist theoretischer Natur und hat mit der hier zu beurteilenden Vertragsabschlusssituation nichts zu tun.

b) Selbst wenn das vorbeschriebene Procedere zu zwei – bei isolierter Betrachtung jeweils ausschreibungsfreien – Eigengeschäften der öffentlichen Hand geführt hätte, ergibt sich hieraus nicht, dass die Direktvergabe vom Antragsgegner auf die Beigeladene ebenfalls der Bereichsausnahme unterfällt. Es ist einerseits eine andere tatsächliche Konstellation unter Berücksichtigung anderer Tatbestände der Bereichsausnahme zu prüfen. Andererseits ist das vergaberechtliche Umgehungsverbot zu berücksichtigen, welches hier eine einheitliche Betrachtung beider Teil-Rechtsgeschäfte gebietet.

aa) Der Gerichtshof der Europäischen Union geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine künstliche Aufspaltung eines Beschaffungsvorgangs eine Umgehung des Vergaberechts darstellen kann und deswegen der materielle Beschaffungsvorgang ungeachtet seiner formellen Aufspaltung hinsichtlich des Bestehens einer Ausschreibungspflicht einheitlich zu bewerten ist (vgl. nur EuGH, Urteil v. 10.11.2005, C-29/04 „KOM ./. Rep. Österreich“ – Stadt Mödling, VergabeR 2006, 47). Dem folgt die nationale Rechtsprechung der Vergabesenate (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.06.2007, VII-Verg 2/07 „Stadt Ahlhorn“, VergabeR 2007, 634, in juris Rz. 54 f.; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 13.06.2008, 15 Verg 3/08, VergabeR 2008, 537, in juris Rz. 34; OLG Naumburg, Beschluss v. 29.04.2010, 1 Verg 2/10 „Anteilsveräußerung I“, ZfBR 2010, 722, in juris 36; OLG Naumburg, Beschluss v. 29.04.2010, 1 Verg 3/10 „Anteilsveräußerung II“, VergabeR 2010, 979, in juris Rz. 69).

bb) Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ergibt sich nichts Abweichendes hierzu aus der von ihm zitierten Entscheidung des Vergabesenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Beschluss v. 07.08.2019, Verg 19/19, NZBau 2020, 190; vorgehend: VK Rheinland, Beschluss v. 20.02.2019, VK-52/2018). Der Senat hat denselben Rechtssatz angewendet, aber die tatsächliche Situation abweichend bewertet. Dort war eine Vereinbarung zwischen einem kommunalen Dachverband (dem dortigen Beigeladenen) und einem Verbandsmitglied (der Antragsgegnerin) zu prüfen, d.h. die Vergabe eines Dienstleistungsauftrags von einem von von mehreren Verbandsmitgliedern an den gemeinsam kontrollierten Beigeladenen. Das war ein „klassischer Fall“ des § 108 Abs. 4 GWB (vgl. Rz. 23 ff.). Zwar hatte der Dachverband zuvor mit einem anderen Verbandsmitglied (dem Zweckverband T.) bereits eine Leistungsvereinbarung getroffen, aufgrund derer er die Nutzungsrechte an der elektronischen Plattform der T. 1-GmbH, einer 100 %-igen Tochter des Zweckverbandes T., erworben hatte, welche er für die Leistungserbringung gegenüber der Antragsgegnerin benötigte; dieser Vorgang lag aber in der Vergangenheit und war weder Gegenstand des laufenden Nachprüfungsverfahrens noch hätte er (wegen des Ablaufs der Antragsfrist) noch zum Gegenstand eines anderen vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens gemacht werden können (vgl. in juris Rz. 39). Hinsichtlich des nachzuprüfenden Rechtsgeschäfts – betreffend Leistungen für die Antragsgegnerin – stellte der Vergabesenat fest, dass Rechtsverhältnisse mit der T. 1-GmbH weder durch den Beigeladenen noch durch die Antragsgegnerin neu begründet worden waren (vgl. in juris Rz. 38). Dem gegenüber wurde hier ein unmittelbares Rechtsverhältnis zwischen dem hiesigen Antragsgegner und der Beigeladenen begründet.

Wie vorausgeführt, bezieht sich die in § 108 Abs. 3 Alt. 2 GWB normierte Bereichsausnahme ihrem Wortlaut nach darauf, dass die vertragsschließenden juristischen Personen jeweils von demselben öffentlichen Auftraggeber kontrolliert werden, d.h. dass sie von derselben „Mutter“ kontrolliert werden. Das ist im vorliegenden Fall nach den Vorausführungen nicht gegeben. Absatz 3 spricht auf der Auftraggeberseite des Beschaffungsvorgangs von einem („dem“) kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber bzw. von einer von diesem (Einzahl) öffentlichen Auftraggeber kontrollierten anderen juristischen Person. Soweit § 108 Abs. 4 GWB eine gemeinsame Kontrolle gegenüber einer anderen juristischen Person als hinreichende Kontrolle legalisiert, bezieht sich diese Vorschrift nach ihrem Wortlaut ebenfalls auf Absatz 1 und nicht etwa auf die Kontrollverhältnisse des Absatzes 3. Absatz 4 hebt den in Absatz 1 in der Einzahl gebrauchten Begriff des kontrollierenden Auftraggebers nicht etwa auf und weicht ihn auf, sondern lässt ihn unerwähnt.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist aus der Systematik der Regelungen kein anderer Befund abzuleiten. In § 108 GWB sind ganz verschiedene Formen der Eigengeschäfte der öffentlichen Hand versammelt. Soweit in manchen Kommentierungen die Auffassung vertreten wird, dass die Reihenfolge der Regelungen einschließe, dass die jeweils vorstehenden Absätze auch für die nachfolgenden gelten, ist das durch den Wortlaut der Regelungen mehrfach widerlegt: So verweist Absatz 3 konkret auf den Absatz 1 und Absatz 6 hat nach allgemeiner Auffassung nichts mit den Absätzen 1 bis 5 zu tun, in denen es jeweils um Formen der institutionellen Zusammenarbeit geht, während Absatz 6 die vertragliche Zusammenarbeit betrifft (vgl. ausführlich Wiedemann, a.a.O., § 108 Rn. 97 „keine Anwendbarkeit der Sonderformen des einfachen Inhouse-Geschäfts im Bereich des gemeinsamen Inhouse-Geschäfts“; ebenso von Engelhardt/Kaelble in: Müller-Wrede, GWB, 2016, § 108 Rn. 50 und Rn. 68 ff.; Voll in: BeckOK VergabeR, Stand 31.07.2021, § 108 GWB Rn. 60; Losch VergabeR 2016, 541, 552).

Zwar verweisen die Gegenstimmen in der Literatur (vgl. Portz in Röwekamp u.a., a.a.O., § 108 Rn. 169 ff.; auch Webeler in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-VergabeR, 5. Aufl. <Stand 13.07.2020>, § 108 Rn. 61; Ganske in: Reidt/Stickler/Glahs, VergabeR, 4. Aufl. 2018, § 108 Rn. 65) zutreffend darauf, dass der nationale Gesetzgeber ausweislich seiner Gesetzesbegründung eine Ausweitung der Regelungen des Absatzes 3 auch auf Fälle einer gemeinsam von mehreren öffentlichen Auftraggebern kontrollierten Mutter als zulässig angesehen hat (vgl. BR-Drs. 365/15, S. 93 – zu Abs. 4). Diese Rechtsmeinung hat jedoch im Gesetz selbst keinen Niederschlag gefunden.

Schließlich rechtfertigt auch die teleologische Auslegung des § 108 Abs. 3 Alt. 2 und Abs. 4 GWB im vorliegenden Fall nicht das Absehen von einer EU-weiten Ausschreibung.

a) Es mag bereits zweifelhaft sein, inwieweit es von der Kompetenz eines Rechtsanwenders noch gedeckt ist, zwei grundsätzlich nebeneinanderstehende Ausnahmetatbestände für ein Absehen von der Ausschreibungspflicht zu kumulieren und dadurch einen größeren Anwendungsbereich der Bereichsausnahme zu eröffnen. Beide Fallgruppen haben jedenfalls einen unterschiedlichen Regelungszweck: In Absatz 3 sind zwei Sonderformen des vergabefreien Inhouse-Geschäftes mit umgekehrter vertikaler Auftragsvergabe geregelt, vom Kontrollierten zum Kontrolleur bzw. vom Kontrollierten vermittelt über den Kontrolleur zu einem anderen Kontrollierten. In Absatz 4 wird eine Möglichkeit eines vergabefreien horizontalen Inhouse-Geschäfts geschaffen, welche auf einer Verminderung der Kontrolldichte und Kontrollintensität durch den einzelnen öffentlichen Auftraggeber beruht. Hätte der nationale Gesetzgeber eine weitergehende Bereichsausnahme regeln wollen, hätte er dies ausdrücklich tun müssen.

b) Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, dass bei teleologischer Auslegung des Absatzes 3 nicht ersichtlich sei, weswegen eine Schwester-Schwester-Inhouse-Vergabe bei einer gemeinschaftlichen Kontrolle beider Schwestern durch mehrere öffentliche Auftraggeber ausgeschlossen sein solle (vgl. Ziekow in: Ziekow/Völlink, VergabeR, § 108 GWB Rn. 71), führt das zu keinem anderen Ergebnis. Denn zugleich wird wegen des Charakters der Regelung als Rechtsgrundverweisung als eine Voraussetzung angesehen, dass alle an den horizontalen Leistungserbringungsprozessen beteiligten Tochterunternehmen von denselben kommunalen Trägern beherrscht werden müssten (vgl. Ziekow, a.a.O.; ebenso Portz, a.a.O., § 108 Rn. 171). Leistungen zwischen Einrichtungen, deren Träger unterschiedlich zusammengesetzt seien, seien hingegen von der Ausschreibungspflicht erfasst. In der hier zu bewertenden Konstellation sind die den Antragsgegner kontrollierenden Gebietskörperschaften nicht in ihrer Gesamtheit kontrollierende Mutter der Beigeladenen, sondern lediglich die Stadt W.


Wie aufgezeigt, stellt sich eine Divergenz-Situation i.S.v. § 179 Abs. 2 GWB nicht. Ebenso ist der Senat nicht verpflichtet, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten.

a) Allerdings wäre der erkennende Senat nach Art. 267 Abs. 3 AEUV grundsätzlich zu einer Vorlage an den EuGH verpflichtet, soweit es um eine Frage der Auslegung des Unionsrechts ginge, weil gegen die Entscheidung des Vergabesenats nach dem innerstaatlichen Recht kein Rechtsmittel mehr eröffnet ist. Das in Art. 267 AEUV vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren ist das Schlüsselelement des durch die Verträge geschaffenen Gerichtssystems, welches einen Dialog von Gericht zu Gericht zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedsstaaten organisiert und damit die einheitliche Auslegung des Unionsrechts gewährleisten, dessen Kohärenz sicherstellen und seine volle Geltung und Autonomie ermöglichen soll. Insbesondere sind auch die Bestimmung und Formulierung der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen ausschließlich Sache des einzelstaatlichen Gerichts; die Parteien des Ausgangsverfahrens können die Fragen nicht inhaltlich ändern oder beeinflussen (vgl. EuGH <Große Kammer>, Urteil v. 06.10.2021, C-561/19 „Consorzio Italian Management u.a. ./. RFI“, NJW 2021, 3303, Rz. 27, 55). Wenn das einzelstaatliche Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, annimmt, dass es von der in Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Pflicht, den Gerichtshof anzurufen, befreit ist, muss die Begründung der Entscheidung erkennen lassen, dass entweder die aufgeworfene unionsrechtliche Frage für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erheblich ist oder dass sich die eigene Auslegung der betreffenden Unionsvorschrift auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes stützt oder (wenn es eine solche Rechtsprechung nicht gibt) dass die Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (EuGH, a.a.O., Rz. 51).

b) Im vorliegenden Fall ist die Frage der Auslegung des Art. 12 Abs. 2 RL 2014/24/EU schon nicht entscheidungserheblich. Der Senat stützt seine Entscheidung ausschließlich auf die Auslegung des nationalen Rechts. Selbst wenn die im Unionsrecht normierte Bereichsausnahme weiter auszulegen wäre, als die nach Auffassung des Senats im nationalen Recht vorgenommene Umsetzung, so wäre das (bezüglich des Bestehens einer EU-weiten Ausschreibungspflicht strengere) nationale Recht maßgeblich.

Ist nach dem Vorausgeführten ein Vertragsschluss zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Supplement des Amtsblattes der Europäischen Union und damit ohne ein wettbewerbliches Verfahren nicht gestattet, so ist der Antrag der Antragstellerin auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages vom 09.09.2021 begründet. Die Vergabekammer hat die Unwirksamkeit dieses Vertrages zu Recht festgestellt (Beschlussausspruch zu Ziffer 1). Damit korrespondiert, dass der Antragsgegner für den Fall, dass er an der Beschaffungsabsicht festhält, unter diesen Bedingungen ein wettbewerbliches Verfahren durchzuführen hat (Beschlussausspruch zu Ziffer 2).

C.

OLG Köln zu der Frage, ob die Werkleistung den anerkannten Regeln der Technik entsprechen muss

OLG Köln zu der Frage, ob die Werkleistung den anerkannten Regeln der Technik entsprechen muss

vorgestellt von Thomas Ax

1. Das Werk eines Bauunternehmers ist mangelfrei, wenn es zum Zeitpunkt der Abnahme die vereinbarte Beschaffenheit hat, den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht und funktionstauglich ist. Das gilt nicht nur im VOB/B-, sondern auch im BGB-Vertrag.
2. Der Unternehmer hat vor der Abnahme die Mangelfreiheit des Werks zu beweisen. Das ist nicht anders zu beurteilen, wenn der Besteller bereits vor der Abnahme Mängelansprüche geltend macht.
3. Eine Zustimmung des Bestellers zu einer hinter den allgemein anerkannten Regeln der Technik zurückbleibenden Ausführung kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn der Unternehmer auf die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken hinweist, es sei denn, diese sind dem Besteller bekannt oder ergeben sich ohne Weiteres aus den Umständen.
4. Gegenüber einem privaten, im Baurecht nicht bewanderten und bei Vertragsschluss nicht durch einen erfahrenen Fachmann rechtsgeschäftlich vertretenen Besteller wird die VOB/B nur dann wirksam in den Vertrag einbezogen, wenn der Unternehmer dem Besteller die Gelegenheit einräumt, den vollen Text der VOB/B zur Kenntnis zu nehmen.
5. Die Bezugnahme auf die VOB/B im schriftlichen Vertrag reicht bei einem im Baurecht unerfahrenen privaten Besteller für ihre Einbeziehung nicht aus. Auch der Umstand, dass der Besteller zunächst noch selbst von der Einbeziehung der VOB/B ausgeht, ist unerheblich.
OLG Köln, Urteil vom 10.02.2021 – 11 U 128/19

Gründe:

A.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten zu 1 Schadensersatz wegen einer angeblich mangelhaften Werkleistung. Die Beklagte zu 2 nimmt sie als Bürgin der Beklagten zu 1 in Anspruch.

Mit schriftlichem Vertrag vom 8. Februar 2003 (Anlage K 1 zur Klageschrift), der Bezug nahm auf ein Einheitspreisangebot vom Vortag (Anlage K 2 zur Klageschrift) und auf die VOB Teil B, beauftragte die Klägerin die Beklagte zu 1 mit der Aufstockung des Flachdaches eines ihr und ihrem Ehemann gemeinsam gehörenden Wohnhauses. Die von der Beklagten zu 1 übernommenen Leistungen umfassten die Lieferung und Herstellung einer mit einer Holzverschalung zu versehenen Außenwand (Position 1.4), die Lieferung und Herstellung von Gipskartonwänden im Inneren (Position 1.5), die Lieferung und Montage einer Dachrinne (Position 6.1) und eines Regenfallrohres (Position 6.6) sowie Heizungs- und Sanitärinstallationen (Titel 10). Den weiteren Innenausbau des neu zu errichtenden Dachgeschosses, insbesondere Maler- und Tapezierarbeiten, schuldete die Beklagte zu 1 nicht.

Die Leistungen der Heizungs- und Sanitärinstallation wurden nicht von der Beklagten zu 1, sondern von einer Firma X. ausgeführt. Diese hatte die Klägerin zumindest mit der Lieferung der einzubauenden Sanitärobjekte (Waschtisch, WC, Dusche, Heizkörper) beauftragt, da ihr die von der Beklagten zu 1 angebotenen Objekte nicht zugesagt hatten. Jedenfalls diese Leistungen hatten die Parteien deshalb einvernehmlich aus dem Auftragsumfang der Beklagten zu 1 herausgenommen. Ob dies auch hinsichtlich der übrigen Leistungen der Heizungs- und Sanitärinstallation, also insbesondere hinsichtlich der Verlegung der erforderlichen Rohre und des Anschlusses der Sanitärobjekte, geschehen war oder ob die Firma X. insoweit als Subunternehmerin der Beklagten zu 1 tätig wurde, ist streitig. Im Zuge der Arbeiten schloss die Firma X. die Abwasserleitungen des neu errichteten Bades an eine bereits vorhandene Entwässerungsleitung an. Die vorhandene Leitung wurde darüber hinaus auch mit einem Fallrohr der Regenrinne verbunden, das durch eine an das Nachbargebäude angrenzende Gebäudeabschlusswand in das Gebäude geführt wurde; wer diese Arbeiten ausführte, ist streitig.

Nachdem die Beklagte zu 1 ihre Arbeiten – abgesehen von der Heizungs- und Sanitärinstallation – zumindest weitgehend fertiggestellt hatte, ließ die Klägerin die Leistungen durch den Bausachverständigen C. begutachten. Dieser stellte in einem Gutachten vom 21. August 2003 zahlreiche Mängel unter anderem an der Holzverschalung und den Trockenbauwänden fest; abschließend führte er aus, bis zur Beseitigung der Mängel könne eine Abnahme nicht erfolgen (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 25. Juni 2014).

Ohne Berücksichtigung von Leistungen der Heizungs- und Sanitärinstallation und unter Berücksichtigung unstreitiger Änderungen des Auftragsumfangs stellte die Beklagte zu 1 der Klägerin unter dem 9. Februar 2004 eine Schlussrechnung über 77.838,66 Euro. Unter Berücksichtigung eines seinerzeit streitigen Skontoabzugs hatte die Klägerin 52,39 Euro mehr als den Rechnungsbetrag bereits gezahlt. Mit Schreiben vom 28. Februar 2004 forderte sie die Beklagte zu 1 auf, mehrere Mängel zu beseitigen, nämlich unter anderem angebliche Setzungen an den Decken und Wänden des Dachgeschosses sowie eine angeblich nicht ordnungsgemäße Montage von Rollladenkästen. Unter Bezugnahme auf dieses Schreiben und einen Ortstermin vom 13. März 2004 wies die Beklagte zu 1 die Mängelrüge mit Schreiben vom 17. März 2004 zurück und teilte mit, die Arbeiten seien vereinbarungsgemäß ausgeführt worden. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 25. Juni 2004 kam die Klägerin auf die Mängelrüge zurück und setzte der Beklagten zu 1 eine Frist zur Beseitigung der angeblichen Mängel.

Durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Landgerichts Köln vom 15. Juli 2005 – 17 O 334/04 – wurde die Beklagte zu 1 verurteilt, den zu viel gezahlten Betrag von 52,39 Euro an die Klägerin zurückzuzahlen und eine Gewährleistungsbürgschaft zu stellen. Die Beklagte zu 2 übernahm daraufhin am 28. Juli 2005 für die Leistungen der Beklagten zu 1 eine Gewährleistungsbürgschaft in Höhe eines Betrags von 3.777,79 Euro.

Infolge des Anschlusses der im Dachgeschoss neu errichteten Toilette an die vorhandene Entwässerungsleitung kam es am 5. Oktober 2005 zu einer Rohrverstopfung, für deren Beseitigung dem Ehemann der Klägerin 252,78 Euro in Rechnung gestellt wurden. Um die Ursache für diese und weitere Verstopfungen sowie für einen bei starkem Regen regelmäßig auftretenden Rückstau in der Wasserleitung feststellen zu lassen, wurde die Leitung am 11. Oktober 2005 mit einer Kamera untersucht, wofür dem Ehemann der Klägerin weitere 534,88 Euro in Rechnung gestellt wurden.

Im Jahr 2006 ließ die Klägerin die Leistungen der Beklagten zu 1 durch den Bausachverständigen O. begutachten (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 11. Januar 2021), der ihr dafür 1.295,78 Euro in Rechnung stellte. Anschließend rügte die Klägerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 28. März 2007 gegenüber der Beklagten zu 1 verschiedene angebliche Mängel, nämlich unter anderem die Durchdringung der Gebäudeabschlusswand durch das Fallrohr, den Anschluss des Fallrohres an den vorhandenen Entwässerungsstrang, einen angeblich nicht ordnungsgemäßen Abfluss der Abwässer der neu errichteten Toilette, Risse in den Gipskartonwänden sowie Zuglufterscheinungen im Bereich der Flachdachaufstockung. Zur Beseitigung der angeblichen Mängel setzte die Klägerin der Beklagten zu 1 eine Frist bis zum 27. April 2007. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 14. Dezember 2007 rügte die Klägerin darüber hinaus angebliche Mängel der Holzverschalung. Mit weiterem Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 14. Dezember 2007 machte sie gegenüber der Beklagten zu 2 die Forderung aus der Bürgschaft geltend. Mit weiterem Schreiben vom 22. August 2008 forderte der Prozessbevollmächtigte die Beklagte zu 2 erneut zur Zahlung auf.

Mit notariellem Vertrag vom 17. Mai 2013 verkauften die Klägerin und ihr Ehemann das Grundstück zum Preis von 269.000 Euro (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten zu 1 vom 30. April 2019).

Mit ihrer bereits am 29. Januar 2009 erhobenen Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten zu 1 Schadensersatz in Höhe eines Betrags von 20.420,40 Euro. Die Klägerin hat zunächst geltend gemacht, dieser Betrag sei erforderlich, um die vorgerichtlich gerügten Mängel zu beseitigen. Nach einem Hinweis des Landgerichts auf die Änderung der Rechtsprechung zur Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten hat die Klägerin den Anspruch unter anderem auf einen angeblichen Minderwert des Grundstücks gestützt. Über den Betrag von 20.420,40 Euro hinaus verlangt die Klägerin von der Beklagten zu 1 Ersatz der wegen der Rohrverstopfung aufgewandten Beträge (787,66 Euro), der Gutachterkosten (1.295,78 Euro) und vorgerichtlicher Anwaltskosten (1.065,04 Euro). Die Beklagte zu 2 nimmt sie in Höhe der Bürgschaftssumme (3.777,79 Euro) zuzüglich vorgerichtlicher Anwaltskosten (402,81 Euro) in Anspruch. Nach einem weiteren Hinweis des Landgerichts hat die Klägerin ihren Klageantrag dahin umgestellt, dass sie in Höhe eines Betrags von insgesamt 21.485,44 Euro (20.420,40 Euro + 1.065,04 Euro) nicht länger Zahlung nur an sich selbst, sondern Zahlung an sich und ihren Ehemann begehrt hat.

Das Landgericht hat sodann der Klage nach Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung mehrerer Sachverständigengutachten stattgegeben. Auf sein Urteil wird insbesondere hinsichtlich der erstinstanzlichen Anträge und des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien Bezug genommen.

Dagegen richten sich die Berufungen beider Beklagten. Die Beklagte zu 1 wiederholt und vertieft im Berufungsverfahren im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie rügt, dass das Landgericht dieses Vorbringen nicht ausreichend berücksichtigt habe. Die Beklagte zu 2 schließt sich der Berufungsbegründung der Beklagten zu 1 an.

Die Beklagten beantragen,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

B.

Die Berufung der Beklagten zu 2 hat keinen, die Berufung der Beklagten zu 1 nur zu einem geringen Teil Erfolg.

I.

Zur Berufung der Beklagten zu 1

1. Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte zu 1 dagegen, dass das Landgericht der Klägerin gemäß den §§ 634 Nr. 4, 280 Absätze 1 und 3, 281 Abs. 1 Satz 1 BGB Schadensersatz wegen eines mangelbedingten Minderwerts des Grundstücks zugesprochen hat. Dieser Anspruch ist allerdings der Höhe nach begrenzt auf den von der Klägerin geltend gemachten Betrag von 20.420,40 Euro. Soweit das Landgericht einen Anspruch in Höhe von 21.485,44 Euro angenommen hat, hat es übersehen, dass der Differenzbetrag von 1.065,04 Euro auf vorgerichtliche Anwaltskosten entfällt (dazu unten Ziffer 4).

a) Zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 ist unstreitig ein Werkvertrag über die Aufstockung des Flachdaches des im gemeinschaftlichen Eigentum der Klägerin und ihres Ehemannes stehenden Wohnhauses zustande gekommen. Die VOB Teil B ist entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht Vertragsinhalt geworden. Die Bezugnahme im schriftlichen Vertrag reicht dafür nicht aus. Denn gegenüber Vertragspartnern, die im Baurecht nicht bewandert sind und bei Vertragsschluss auch nicht durch einen erfahrenen Fachmann, etwa einen Architekten, rechtsgeschäftlich vertreten sind (Jurgeleit, in: Kniffka/Koeble/Sacher/Jurgeleit, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., 2. Teil Rn. 187), wird die VOB Teil B nur wirksam einbezogen, wenn der Verwender seinem zukünftigen Vertragspartner die Gelegenheit einräumt, den vollen Text zur Kenntnis zu nehmen (BGH, Urteil vom 10. Juni 1999 – VII ZR 170/98, NJW-RR 1999, 1246, 1247 mwN). Dass dies im Streitfall geschehen ist, ist trotz eines Hinweises des Senats nicht dargelegt. Nicht dargelegt ist auch, dass die Klägerin bei Vertragsschluss im Baurecht bewandert war. Die Beklagte zu 1 hat hierzu auf den Hinweis des Senats vorgetragen, die Klägerin sei ausgewiesene Bankkauffrau und habe den Bauantrag mit Hilfe eines Architekten selbst gestellt. Das reicht nicht aus, um auf hinreichende baurechtliche Kenntnisse schließen zu können. Die vorgetragene Einschaltung eines Architekten bei Stellung des Bauantrages führt ebenfalls nicht zur wirksamen Einbeziehung der VOB/B, da der Architekt am Abschluss des Vertrages nicht beteiligt war. Auch der Umstand, dass die Klägerin jedenfalls bis zu dem Hinweis des Senats selbst von der Einbeziehung der VOB Teil B ausgegangen ist, ist unerheblich (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 1994 – VII ZR 26/93, NJW 1994, 2547).

b) Da die Beklagte zu 1 das Werk als fertiggestellt angeboten und eine Schlussrechnung erteilt hat, kann die Klägerin den Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes auch unabhängig von einer Abnahme geltend machen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 – VII ZR 301/13, NJW 2017, 1604 Rn. 44).

c) Zu Lasten der Beklagten zu 1 ist davon auszugehen, dass das von ihr hergestellte Werk in mehrfacher Hinsicht mangelhaft ist.

aa) Die Beweislast trifft insoweit die Beklagte zu 1. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Auftragnehmer vor der Abnahme die Mangelfreiheit seiner Leistungen zu beweisen. Dies gilt auch dann, wenn der Auftraggeber vor der Abnahme Mängelansprüche geltend macht (Urteil vom 23. Oktober 2008 – VII ZR 64/07, NJW 2009, 360 Rn. 14 mwN). Im Streitfall ist eine Abnahme nicht erfolgt.

Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1 hat die Klägerin das Werk nicht im September 2003 gegenüber dem für die Beklagte zu 1 tätigen Zeugen Z. abgenommen. Die Beklagte zu 1 verweist insoweit auf ihren Vortrag, wonach der Zeuge, als er mit restlichen Bauteilen auf die Baustelle gefahren sei, festgestellt habe, dass die von der Beklagten zu 1 noch nicht vollständig fertiggestellten Trockenbauwände bereits von einem anderen Unternehmer verspachtelt und verschlossen worden seien. Die Klägerin habe dazu erklärt, die von ihr beauftragten Leute seien gut und könnten die Arbeiten ordnungsgemäß ausführen. Diese angebliche Erklärung der Klägerin bezieht sich nur auf die Fertigstellung der Trockenbauwände durch einen anderen Unternehmer. Der Erklärung lässt sich hingegen nicht entnehmen, dass die Klägerin die von der Beklagten zu 1 in Bezug auf die Trockenbauwände erbrachten Leistungen als vertragsgemäß gebilligt hat; dies gilt erst recht für die weiteren vertraglich geschuldeten Leistungen an anderen Gebäudeteilen.

Nicht nachvollziehbar ist, dass die Beklagte zu 1 in diesem Zusammenhang auf das Privatgutachten des Bausachverständigen C. vom 21. August 2003 verweist. Ausweislich des Gutachtens hat der Sachverständige der Klägerin ausdrücklich von einer Abnahme abgeraten. Dass die Klägerin dieser Empfehlung nicht gefolgt ist, lässt sich nicht feststellen.

Auch mit der Behauptung, die Klägerin habe am 4. November 2003 3.927,50 Euro gezahlt, womit sie – die Beklagte zu 1 – bereits überzahlt gewesen sei, hat die Beklagte zu 1 eine (stillschweigende) Abnahme nicht dargelegt. Denn die Schlussrechnung datiert erst vom 9. Februar 2004. Auf diese Schlussrechnung hat die Klägerin keine weiteren Zahlungen mehr geleistet. Stattdessen hat sie unter dem 28. Februar und 25. Juni 2004 Mängel gerügt. Dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt – etwa bei dem Ortstermin vom 13. März 2004 – von diesen Rügen abgerückt ist, ist nicht dargetan. Es ist deshalb auch nicht zu erkennen, dass die Klägerin das Werk durch Nutzung des Gebäudes stillschweigend abgenommen hat.

Eine fiktive Abnahme gemäß § 12 Nr. 5 VOB/B 2002 scheidet schon deshalb aus, weil die VOB Teil B nicht wirksam in den Werkvertrag einbezogen worden ist (dazu oben a). Dass die Klägerin im Vorprozess 17 O 334/04 Landgericht Köln selbst von einer fiktiven Abnahme ausgegangen und das erkennende Gericht dem gefolgt ist, ist unerheblich. Denn an ihre im Vorprozess vertretene Rechtsauffassung ist die Klägerin nicht gebunden. Die rechtliche Beurteilung des Landgerichts im Vorprozess ist auch nicht in Rechtskraft erwachsen.

bb) Den ihr in Ermangelung einer Abnahme obliegenden Beweis der Mangelfreiheit der Werkleistung hat die Beklagte zu 1 bezüglich mehrerer Mängelrügen nicht geführt.

(1) Dies gilt zunächst hinsichtlich der von der Klägerin gerügten Rissbildungen im Bereich der Trockenbauwände.

(a) Der Sachverständige L. hat in seinem Gutachten vom 11. Januar 2013 zahlreiche Risse im Bereich der Anschlüsse der Trockenbauwände an die Decke, im Bereich von Wand-Wand-Anschlüssen sowie an den Fugen der Plattenanschlüsse an den Decken und Wänden festgestellt (Seiten 6 ff.). Jedenfalls ein Teil dieser Risse ist nach den Ausführungen des Sachverständigen auf eine nicht fachgerechte Konstruktion der Wände zurückzuführen. An einer von ihm vorgenommenen Bauteilöffnung im zufällig ausgewählten Bereich eines Wand-Decken-Anschlusses hat der Sachverständige nämlich festgestellt, dass entgegen den Herstellerrichtlinien kein konstruktiver Anschluss der innen liegenden Wand an die Decke erfolgt ist und zudem die Befestigungsklammer nicht den Querbalken der Unterkonstruktion getroffen hat. Darüber hinaus wies auch die Trennwand zwischen Flur und Kinderzimmer keinen konstruktiven Anschluss an die Außenwand auf. Der Sachverständige konnte ein Lineal 13 Zentimeter weit in den im Bereich des Anschlusses vorgefundenen Riss schieben und konnte das Lineal über die gesamte Risshöhe nach oben und unten bewegen, ohne auf Widerstand zu stoßen (Seiten 33, 51 ff. und 58 des Gutachtens vom 11. Januar 2013, Seiten 3 und 6 der Sitzungsniederschrift vom 10. Juni 2015).

Sichere Feststellungen zum Ausmaß der konstruktionsbedingten Mängel können nicht getroffen werden. Dazu wären nach den Ausführungen des Sachverständigen weitere Bauteilöffnungen erforderlich (Seite 59 des Gutachtens vom 11. Januar 2013, Seite 3 der Sitzungsniederschrift vom 10. Juni 2015). Solche Öffnungen waren beim ersten Ortstermin nicht gewünscht; beim zweiten Ortstermin waren sie nicht mehr möglich, weil das Grundstück zwischenzeitlich veräußert worden war und die Erwerber keine weiteren Untersuchungen vor Ort duldeten (Seite 4 des Ergänzungsgutachtens vom 8. Mai 2013, Seite 3 der Sitzungsniederschrift vom 10. Juni 2015). Dass sich an dieser Haltung der Erwerber zwischenzeitlich etwas geändert hat, hat die Beklagte zu 1 auch nach einem diesbezüglichen Hinweis des Senats nicht dargelegt; auch ein von ihr vorgelegtes Schreiben der Erwerber vom 23. Dezember 2020 bietet dafür keine Anhaltspunkte (Anlage zum Schriftsatz vom 14. Januar 2021).

Da weitere Ermittlungen demzufolge nicht möglich sind, muss zu Lasten der beweisbelasteten Beklagten zu 1 davon ausgegangen werden, dass konstruktionsbedingte Mängel in einem erheblichen Ausmaß vorliegen. Dass der Sachverständige neben den Konstruktionsmängeln auch eine fehlerhafte Ausbildung und Verspachtelung von Fugen als Ursache von Rissbildungen in Betracht gezogen hat (Seiten 56 ff. des Gutachtens vom 11. Januar 2013), steht dem nicht entgegen. Der Sachverständige ist nämlich, ohne insoweit abschließende Feststellungen treffen zu können, vor allem auf Grund der Größe der vorgefundenen Risse zu der nachvollziehbaren Einschätzung gelangt, dass jedenfalls die meisten Risse auf Bewegungen in der Konstruktion zurückzuführen sind, die darauf schließen lassen, dass die Konstruktion nicht in Ordnung ist. Er hält es sogar für möglich, dass mehr oder minder alle Risse auf die Konstruktion zurückzuführen sind (Seiten 3 ff. der Sitzungsniederschrift vom 10. Juni 2015). Daran hat er auch in seinem abschließenden mündlichen Ergänzungsgutachten festgehalten (Seite 6 der Sitzungsniederschrift vom 20. März 2019). Schließlich hat die Beklagte zu 1 auch selbst vorgetragen, ihre Arbeiten insoweit nicht abschließend fertiggestellt zu haben (siehe sogleich unten Buchstabe b). Ob und inwieweit die Beklagte zu 1 für eine fehlerhafte Ausbildung und Verspachtelung von Fugen verantwortlich ist, kann der Senat deshalb offenlassen.

(b) Dass die Klägerin auf eine fachgerechte Fertigstellung der Konstruktion der Trockenbauwände verzichtet hat, lässt sich nicht feststellen.

Die Beklagte zu 1 hat – ohne nähere Erläuterung – eingeräumt, bei der Herstellung der Trockenbauwände hätten noch “das Anbringen der Blech-Kantteile an den im Grundriss 45°-Wänden” und “der Gips-Eckplatten in den Anschlussbereichen” gefehlt (Seiten 9 f. des Schriftsatzes vom 8. April 2013). Sie hat behauptet, der Zeuge Z. habe, als er mit den so vorbereiteten Teilen auf die Baustelle gefahren sei, festgestellt, dass die nicht vollständig fertiggestellten Trockenbauwände bereits von einem anderen Unternehmer verspachtelt und verschlossen worden seien. Der Zeuge habe daraufhin der Klägerin erklärt, das eigenmächtige Verschließen der noch offenen Wandteile lasse keine Überprüfung durch die Beklagte zu 1 mehr zu. Die Klägerin habe erklärt, die von ihr beauftragten Leute seien gut und könnten die Arbeiten ordnungsgemäß ausführen.

Dieser Vortrag ist unerheblich. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine rechtsgeschäftliche Zustimmung des Auftraggebers zu einer hinter den allgemein anerkannten Regeln der Technik zurückbleibenden Ausführung regelmäßig nur in Betracht, wenn der Auftragnehmer auf die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken hinweist, es sei denn diese sind dem Auftraggeber bekannt oder ergeben sich ohne Weiteres aus den Umständen (Urteil vom 14. November 2017 – VII ZR 65/14, NJW 2018, 391 Rn. 29). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Denn weder hat der Zeuge Z. die Klägerin auf das Risiko von Rissbildungen hingewiesen noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin dieses Risiko auch ohne einen solchen Hinweis klar vor Augen stand.

(2) Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen L. liegt ein weiterer Mangel der Werkleistung darin, dass die Rollladenkästen im Schlafzimmer des Dachgeschosses nicht luftdicht verschlossen sind (Seite 62 des Gutachtens vom 11. Januar 2013).

(3) Des Weiteren sind die Entwässerungsleitungen in zweifacher Hinsicht mangelhaft.

(a) Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen M. ist zum einen die Hindurchführung des Regenfallrohres durch die an das Nachbargebäude angrenzende Gebäudeabschlusswand nicht fachgerecht. Bei dieser Wand handelt es sich um eine Brandwand, durch die nach § 33 Abs. 5 BauO NRW 2000 Leitungen nur hindurchgeführt werden durften, wenn eine Übertragung von Feuer und Rauch nicht zu befürchten war oder Vorkehrungen hiergegen getroffen waren. Diesen Anforderungen genügt die Hindurchführung des Regenfallrohres nicht. Es fehlen die erforderlichen Rohrabschottungen nach DIN 4102-11 (Seiten 2 f. des Gutachtens vom 16. September 2010, Seiten 2 f. der Sitzungsniederschrift vom 4. Mai 2018).

Zum anderen werden die Abwasserleitungen des neu errichteten Bades über das Regenfallrohr entlüftet. Das ist unzulässig, weil nach DIN 1986-100 Abschnitt 5 Regen- und Schmutzwasser über getrennte Leitungen aus dem Gebäude herauszuführen sind (Seiten 3 f. der Sitzungsniederschrift vom 4. Mai 2018, Seite 4 des Gutachtens vom 16. September 2010).

(b) Für beide Mängel ist die Beklagte zu 1 verantwortlich.

Ihre Behauptung, die Parteien hätten sämtliche Leistungen der Heizungs- und Sanitärinstallation nachträglich aus dem Auftragsumfang herausgenommen, ist unerheblich, da die Verlegung des Regenfallrohres zu den Klempnerarbeiten (Titel 6 des Angebots vom 7. Februar 2003) und nicht zu den Leistungen der Heizungs- und Sanitärinstallation gehört (Titel 10).

Im Übrigen hat das Landgericht die Behauptung nach Vernehmung von drei Zeugen als widerlegt angesehen. Es spricht viel dafür, dass diese Würdigung einer Überprüfung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO standhält. Das kann aber letztlich offenbleiben. Denn für ihren Einwand einer nachträglichen Vertragsänderung ist die Beklagte zu 1 beweisbelastet. Jedenfalls diesen Beweis hat sie angesichts der divergierenden Zeugenaussagen nicht geführt. Mit dieser Maßgabe nimmt der Senat Bezug auf die Würdigung im angefochtenen Urteil und schließt sich dieser an.

Dass die Klägerin die behauptete Auftragsänderung im Vorprozess 17 O 334/04 Landgericht Köln nicht bestritten hatte, ist unerheblich. Denn daran ist sie nicht gebunden. Sie ist auch nicht dafür verantwortlich, dass die Beklagte zu 1 eine Vergütung für die Leistungen der Heizungs- und Sanitärinstallation zu keinem Zeitpunkt gefordert hat.

(4) Ob und in welchem Umfang die von der Klägerin gerügten Mängel an der Holzverkleidung der Fassade vorliegen, lässt der Senat offen.

d) Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 28. März 2007 hat die Klägerin der Beklagten zu 1 eine angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt. Diese ist erfolglos abgelaufen. Das gilt auch für die Luftundichtigkeit der Rollladenkästen. Eine Reaktion der Beklagten zu 1 auf die diesbezügliche Fristsetzung lässt sich nur insoweit feststellen, als die Beklagte zu 1 der Klägerin während des Prozesses eine Nacherfüllung angeboten hat (Seite 63 des Gutachtens des Sachverständigen V. vom 11. Januar 2013). Dieses Angebot kam zu spät, weil die Frist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war.

e) Umstände, auf Grund derer die Beklagte zu 1 die Mängel und deren Nichtbeseitigung innerhalb der Nacherfüllungsfrist nicht zu vertreten hätte, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB).

f) Durch die Mängel ist der Klägerin ein Schaden in Höhe von mindestens 20.420,40 Euro entstanden.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Besteller die Möglichkeit, den Schaden nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen in der Weise zu bemessen, dass er im Wege einer Vermögensbilanz die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der durch das Werk geschaffenen oder bearbeiteten, im Eigentum des Bestellers stehenden Sache ohne Mangel und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel ermittelt (Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, NJW 2018, 1463 Rn. 27 mwN). Dabei kann in geeigneten Fällen der mangelbedingte Wertunterschied aus Gründen der Vereinfachung anhand fiktiver Mängelbeseitigungskosten geschätzt werden (Beschluss vom 8. Oktober 2020 – VII ARZ 1/20, NJW 2021, 53 Rn. 30).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen, die nach dem Rechtsgedanken des § 1011 BGB auch bei einer nur im Miteigentum des Bestellers stehenden Sache Geltung beanspruchen, schätzt der Senat im Streitfall den Unterschied zwischen dem tatsächlichen Wert des Grundstücks und dem hypothetischen Wert des Grundstücks ohne Mängel auf Grund der vorliegenden Sachverständigengutachten bezogen auf den Zeitpunkt des Grundstücksverkaufs im Jahr 2013 auf mindestens 20.420,40 Euro (§ 287 Abs. 1 ZPO).

Bezüglich der Trockenbauwände hat der Sachverständige L. Mangelbeseitigungskosten in Höhe von 15.000 Euro netto geschätzt (Seite 82 des Gutachtens vom 11. Januar 2013, Seite 16 der Aktennotiz zum Anhörungstermin vom 20. März 2019). Dieser Betrag ist ausgehend davon, dass zu Lasten der Beklagten zu 1 von konstruktionsbedingten Mängeln in einem erheblichen Ausmaß auszugehen ist, nicht zu beanstanden. Denn bereits den Aufwand für die Sanierung der beiden von ihm untersuchten und einer möglichen weiteren Fehlstelle hat der Sachverständige auf 6.500 Euro bis 8.500 Euro geschätzt. In Abhängigkeit vom Ergebnis weiterer Bauteilöffnungen können nach den Ausführungen des Sachverständigen auch deutlich höhere Kosten als 15.000 Euro anfallen (Seiten 5 f. der Sitzungsniederschrift vom 10. Juni 2015).

Die Kosten für ein Verschließen und eine eventuelle Erneuerung der undichten Rollladenkästen hat der Sachverständige auf 2.000 Euro netto geschätzt (Seite 82 des Gutachtens vom 11. Januar 2013, Seite 16 der Aktennotiz zum Anhörungstermin vom 20. März 2019).

Der Sachverständige M. hat schließlich die Kosten für eine Ertüchtigung der Hindurchführung des Regenfallrohres durch die Brandwand auf 800 Euro netto und die Kosten für eine Fallrohrentlüftung der Schmutzwasserleitung auf 3.400 Euro netto geschätzt (Seite 3 des Gutachtens vom 19. März 2012). Sowiesokosten sind insoweit nicht abzuziehen. Denn die Beklagte zu 1 schuldete eine insgesamt fachgerechte Leistung, zu der auch eine ordnungsgemäße Entlüftung der Abwasserleitung gehörte.

Es errechnet sich auch ohne Berücksichtigung von Umsatzsteuer und Regiekosten ein zur Beseitigung der Mängel erforderlicher Gesamtbetrag von 21.200 Euro. Dass die Wertminderung des Grundstücks diesen Betrag unterschreitet, ist nicht ersichtlich. Denn nach der nachvollziehbaren Einschätzung des Sachverständigen L. wird sich ein über die Mängel vollständig aufgeklärter Kaufinteressent an den Mangelbeseitigungskosten orientieren (Seiten 16 f. der Aktennotiz zum Anhörungstermin vom 20. März 2019).

cc) Zu welchen Konditionen die Klägerin und ihr Ehemann das Grundstück verkauft haben, ist unerheblich. Denn sollte das Grundstück über Wert verkauft worden sein, würde der Schaden dadurch nicht gemindert. Nach den von Treu und Glauben geprägten schadensrechtlichen Wertungen unter Berücksichtigung des in § 254 Abs. 2 BGB zum Ausdruck gekommenen Gedankens sollen dem Ersatzpflichtigen nämlich solche Vorteile grundsätzlich nicht zugutekommen, die sich der Ersatzberechtigte durch Abschluss eines Vertrags mit einem Dritten erarbeitet hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, NJW 2018, 1463 Rn. 29). Eine abweichende Beurteilung ist selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn man zugunsten der Beklagten zu 1 unterstellt, dass die Klägerin und ihr Ehemann das Grundstück nur deshalb über Wert verkaufen konnten, weil sie die Erwerber über die Mängel arglistig getäuscht haben. In diesem Fall ist eine Vorteilsanrechnung nämlich schon deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin und ihr Ehemann den Erwerbern zum Schadensersatz verpflichtet sind (§ 437 Nr. 3, § 280 Absätze 1 und 3, § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB).

g) Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1 ist der Anspruch nicht nach § 640 Abs. 2 BGB in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung ausgeschlossen. Denn diese Vorschrift betrifft nur die in § 634 Nr. 1 bis 3 BGB geregelten Rechte, nicht aber den in § 634 Nr. 4 BGB geregelten Schadensersatzanspruch. Ohnehin liegt eine Abnahme nicht vor.

h) Der Anspruch ist schließlich auch nicht verjährt. Die fünfjährige Verjährungsfrist des § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB hat erst mit der Entstehung des Abrechnungsverhältnisses, also mit der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs (vgl. § 281 Abs. 4 BGB), die frühestens im Jahr 2007 erfolgt sein kann, begonnen. Die Frist ist deshalb durch die Klageerhebung Anfang 2009 gehemmt worden. Unerheblich ist es, dass die Klägerin den Klageantrag später insoweit umgestellt hat, als sie zunächst Zahlung nur an sich und später Zahlung an sich und ihren Ehemann verlangt hat. Denn durch diese Korrektur des Antrags hat sich der Streitgegenstand ebenso wenig geändert wie durch die Änderung der Schadensberechnung.

2. Mit Erfolg wendet sich die Beklagte zu 1 dagegen, dass das Landgericht sie ohne nähere Begründung gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB zum Ersatz der wegen der Rohrverstopfung aufgewandten Beträge verurteilt hat. Nach den Feststellungen des Sachverständigen M. war die Rohrverstopfung auf eine Engstelle in der im Bestand bereits vorhandenen Entwässerungsleitung zurückzuführen, an die die Firma X. die Abwasserleitungen des neu errichteten Bades angeschlossen hatte (Seite 2 des Gutachtens vom 19. März 2012, Seite 4 der Sitzungsniederschrift vom 4. Mai 2018). Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen war die Beklagte zu 1 nicht verpflichtet, die Bestandsleitung vor dem Anschluss der neuen Abwasserleitungen zu untersuchen (Seiten 5 f. der Sitzungsniederschrift vom 4. Mai 2018). Ein Mangel liegt deshalb insoweit nicht vor.

3. Neben dem mangelbedingten Minderwert des Grundstücks kann die Klägerin von der Beklagten zu 1 in Höhe eines Betrags von 647,89 Euro anteiligen Ersatz der Kosten des Sachverständigen O. verlangen (§ 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB). Der geltend gemachte Gesamtaufwand von 1.295,78 Euro, der durch die an die Klägerin gerichtete Rechnung des Sachverständigen (Anlage K 9 zur Klageschrift) hinreichend belegt ist (§ 287 Abs. 1 ZPO), erweist sich auch in Ansehung des vorangegangenen Gutachtens des Sachverständigen C. insoweit als ersatzfähig, als der Sachverständige O. sich mit den zwischenzeitlich aufgetretenen Rissbildungen (Titel 4, dazu oben Ziffer 1 Buchstabe c Doppelbuchstabe bb Ziffer 1) und den von der Klägerin gerügten Zuglufterscheinungen (Titel 3, dazu oben Ziffer 1 Buchstabe c Doppelbuchstabe bb Ziffer 2) beschäftigt hat. Soweit der Sachverständige O. darüber hinaus Ausführungen zur Engstelle der im Bestand vorhandenen Entwässerungsleitung gemacht hat (Titel 2), ist die Beklagte zu 1 dafür hingegen nach den vorstehenden Ausführungen (oben Ziffer 2) nicht verantwortlich. Entsprechendes gilt für die Ausführungen unter Titel 1, die einen im vorliegenden Verfahren nicht geltend gemachten Mangel betreffen. Den ersatzfähigen Anteil der Kosten schätzt der Senat gemäß § 287 Abs. 1 ZPO auf 50 %, also auf 647,89 Euro.

4. Des Weiteren kann die Klägerin von der Beklagten zu 1 gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB Ersatz der durch das Anwaltsschreiben vom 28. März 2007 entstandenen Kosten verlangen. Ersatzfähig sind eine 1,3 Geschäftsgebühr aus einem Wert von bis zu 22.000 Euro zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer, wobei die bis zum 31. Juli 2013 geltende Gebührentabelle heranzuziehen ist. Es errechnet sich ein Betrag von 1.023,16 Euro.

5. Die Zinsansprüche folgen aus den § 288 Abs. 1, § 291 BGB.

II.

OLG München zu der Frage, ob Mängelansprüche der Erwerber zeitlich unbeschränkt fortwirken

OLG München zu der Frage, ob Mängelansprüche der Erwerber zeitlich unbeschränkt fortwirken

vorgestellt von Thomas Ax

1. Auch wenn die Abnahme fehlschlägt, bestehen Mängelansprüche der Erwerber nicht zeitlich unbeschränkt fort. Die Erwerber können ihre Mängelansprüche verwirken.
2. Allein ein erheblicher Zeitablauf reicht nicht aus, um von einer Verwirkung der Mängelansprüche auszugehen. Maßgeblich ist jeweils eine Gesamtschau der konkreten Umstände des Einzelfalls.
3. Die Verwendung einer unwirksamen Abnahmeklausel durch den Bauträger steht der Verwirkung der Mängelansprüche nicht entgegen.
OLG München, Beschluss vom 19.10.2023 – 28 U 3344/23 Bau

Hinweis

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 13.07.2023, Az. 2 O 1924/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

I. Urteil des Landgerichts

Das Landgericht wies die auf Kostenvorschuss der klagenden Wohnungseigentumsgemeinschaft gerichtete Klage als verwirkt ab.

Zur Begründung wird ausgeführt, dass zwischen den Mitgliedern der Klägerin und der Rechtsvorgängerin der Beklagten 1999 ein Bauträgervertrag geschlossen worden sei. Die Erwerber hätten das Gemeinschaftseigentum nicht abgenommen; die Verträge sähen eine Abnahme durch einen vom Käufer unwiderruflich zu bestellenden Sachverständigen vor, wobei streitig geblieben sei, ob der eingesetzte Sachverständige nach Übergabe des Objekts 2001 die Abnahme erklärt habe.

Die Klägerin habe 2004 diverse Mängel an der Heizanlage gerügt, in der Folgezeit habe sie einen Sachverständigen beauftragt, der 2005 auf 37 Seiten eine Vielzahl an Mängeln festgestellt habe. Die Klägerin sei davon ausgegangen, dass 2006 die Mängel überwiegend behoben worden seien; 2007 sei in einer Eigentumsversammlung vermerkt worden, dass die Gewährleistung nunmehr abgelaufen sei, die Mängelbeseitigung weit fortgeschritten und fast abgeschlossen sei.

Die Klägerin habe 2021 erhebliche Mängel am Dach gerügt, deren Beseitigung sie mit über 800.000 Euro beziffert habe.

Die im Raum stehenden Ansprüche der Klägerin seien aber verwirkt.

II. Berufung der Klägerin

Die Klägerin argumentiert, das Erstgericht habe zu Unrecht eine Verwirkung der Ansprüche angenommen.

III. Gegenwärtige Einschätzung des Senats

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Die im Raum stehenden Ansprüche der Klageseite gemäß § 637 Abs. 3 BGB sind jedenfalls verwirkt.

a) Die im vorliegenden Fall zu behandelnde – eher rechtspolitische – Fragestellung ist, ob im Hinblick auf eine fehlgeschlagene Abnahme Mängelansprüche zeitlich unbeschränkt fortbestehen.

Dies ist aus Sicht des Senats mit den Gründen der Rechtssicherheit und der Billigkeit nicht in jedem Fall zu vereinbaren. Der 28. Zivilsenat hat in diversen Entscheidungen hierbei aber deutlich gemacht, dass allein auch ein erheblicher Zeitablauf nicht ausreichend ist, die Verwirkung die Ausnahme darstellt und diese auf besondere und atypische Einzelfälle beschränkt ist. Maßgeblich ist jeweils eine Gesamtschau der konkreten Umstände des Einzelfalls.

b) Mit der Verjährung hat der Gesetzgeber ein Rechtsinstitut geschaffen, dass aus Gründen des Schuldnerschutzes und vor allem des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit allgemein als zwingend erforderlich anerkannt ist, eine spezialgesetzliche Ausformulierung von Treu und Glauben darstellt und letztlich auch öffentliche Interessen schützt.

Der Gesetzgeber hat sich hierbei wertend entschieden, den Aspekt der Verjährung auf Ansprüche i.S.d. § 194 BGB zu beschränken und gerade das gesetzliche Regelungskonzept der §§ 197, 199, 200 f. BGB zeigt, dass grundsätzlich keine Ausnahmen gewollt sind und sogar Zustände, wie z.B. das Eigentum, betroffen sein können (§ 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Auch die §§ 438 Abs. 3, 634a Abs. 3 BGB zeigen, dass sogar bei einem arglistigen (meist gleichzeitig deliktischem) Verhalten den Aspekten des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit immanente Bedeutung zugemessen wird und eine Verjährung in Betracht kommt.

Gleiche Erwägungen gelten im Hinblick auf die Dauer der Verjährungsfristen. Auch insoweit hat der Gesetzgeber Wertungsentscheidungen dahingehend getroffen, welche Vertragsseite das Risiko in Richtung der Lebensdauer von Wirtschaftsgütern tragen muss. In Bausachen wird eine Gewährleistung als nicht mehr gerechtfertigt angesehen, wenn sich nicht innerhalb eines Zeitraums von 5 Jahren Mängel zeigen.

Zur Überzeugung des Senats müssen diese Wertungen bei der Anwendung des § 242 BGB einfließen, um unbillige Ergebnisse zu korrigieren.

c) Im vorliegenden Fall prägen folgende tatsächliche Momente die Entscheidung.

aa) Die erhebliche Zeitdauer von etwa 20 Jahren, gemessen zwischen Übergabe im Jahr 2001 und den Beanstandungen der streitgegenständlichen Mängel im Jahr 2021.

Berücksichtigt man die Wertung in § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB ist das Zeitmomentum das Vierfache der regulären Verjährungsfrist überschritten und sogar im Strafrecht kommt der doppelten Verjährungsfrist erhebliche Rechtsbedeutung zu (§ 78c Abs. 3 S. 2 StGB).

In § 199 Abs. 4 BGB ist eine allgemeine Verjährungshöchstfrist von 10 Jahren vorgesehen.

bb) Die Besteller – und diesem Gesichtspunkt kommt erhebliches Gewicht zu – handelten im Bewusstsein (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB), dass ihnen potentiell Ansprüche zustehen.

So haben sie von ihrem Recht Gebrauch gemacht, die fertig gestellte Sache auf ihre Mangelhaftigkeit hin zu untersuchen, Mängel wurden festgestellt, diese wurden rechtlich geltend gemacht und durchgesetzt.

Die Situation ist somit – was die Berufung rügt – nicht im Ansatz mit einer Fallgestaltung vergleichbar, in der ein Gläubiger keine Kenntnis von seiner Rechtsposition hat, von dieser erst später erfährt und dessen Unkenntnis daher schützenswert scheint (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

cc) Abnahmeklauseln – wie hier verwendet – waren zum Zeitpunkt der Errichtung des gegenständlichen Objekts die Regel und wurden notariell beurkundet.

Die Rechtsprechung hat – bis heute – erhebliche Schwierigkeiten im Umgang mit der Abnahme des Gemeinschaftseigentums bei Wohnungseigentumsanlagen, ein Umstand, der durch die Nachzügler-Rechtsprechung noch verschärft wird.

(1) Einem Unternehmer kann daher bei einer Gesamtbetrachtung nicht der Vorwurf gemacht werden, sich unredlich verhalten zu haben.

Diesen, im Hinblick auf die Unwirksamkeit der Abnahmeklauseln, für alle Zeit zu sanktionieren, ist eher eine angloamerikanische Betrachtungsweise.

Im deutschen Zivilrecht neigt man stattdessen zu hypothetischen Erwägungen und im vorliegenden Fall wäre dann ausgeschlossen, dass die Klägerin für die geltend gemachten Mängel noch Ersatz fordern könnte. Die Klägerin hat umfassend zum Zeitpunkt des vermeintlichen Verjährungseintritts die Sache untersucht. Da eine positive Untersuchung stattfand und sich – in Richtung der streitgegenständlichen Mängel – weder Mängelsymptome gezeigt haben, noch Mängelursachen festgestellt wurden, ist nicht ersichtlich, dass sie durch die unwirksame Abnahmeklausel Nachteile erlitten hätte.

(2) Auch die konkrete Form der Abnahmeklausel ist zu berücksichtigen.

Die Rechtsprechung sieht formularmäßige Klauseln zur Abnahme kritisch, da das Rechtsinstitut der Abnahme nicht nur eine Pflicht des Bestellers ist, sondern gleichzeitig dessen Recht, dem überragende Bedeutung zukommt.

Im konkreten Fall sah der Vertrag vor, dass der Besteller unwiderruflich einen Sachverständigen wählt, der die Abnahme erklärt. Auch wenn insoweit die Klausel im Hinblick auf die nicht gegebene Widerruflichkeit nicht ausreichend dem gesetzlichen Wertbild entspricht, wurde zumindest gewährleistet, dass das Prüfrecht des Dritten in der Bestellersphäre verankert war.

(3) Der Senat misst dem Umstand, dass die Besteller / Klägerin zweifach das Werk über einen Sachverständigen prüfen ließ und die Beklagte jeweils die dort festgestellten Mängel beseitigt hat, erhebliches Gewicht zu.

Auch wurden, soweit die Klägerin ohne Einsatz eines Sachverständigen Mängel gerügt hat, diese abgearbeitet.

(a) Das Objekt wurde unmittelbar nach der Übergabe am 22.02.2001 durch den Sachverständigen Winkler geprüft, der nach einer weiteren Begehung im Mai 2001 eine mehrseitiges “Mängelprotokoll” erstellte.

(b) Vier Jahre später beauftragte die Klägerin den Sachverständigen ###, der 2005 insgesamt 140 Positionen rügte.

(c) Die Klägerin hat im Jahr 2004 Mängel an der Heizanlage gerügt.

(d) Für einen verständigen Empfänger in der Position der

Beklagten, haben die Besteller durch ihr Verhalten zum Ausdruck gebracht, abschließend die Gewährleistungssituation beurteilen zu wollen.

Wäre eine Abnahme wirksam vorgenommen worden, wären die Sekundäransprüche 2007 verjährt. Der Einsatz eines Privatsachverständigen kurz vor dem Eintritt der vermeintlichen Verjährung bringt gegenüber der Beklagten deutlich zum Ausdruck, dass die Klägerin als Bestellerin umfassend ihr Prüfrecht wahrnehmen wollte.

2.

Ax Vergaberecht
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